Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das Geheimnis des Gesetzes von den an's Holz gehängten Uebelthätern.

Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das Geheimnis des Gesetzes von den an's Holz gehängten Uebelthätern.

Wenn Jemand eine Sünde gethan hat, die des Todes würdig ist, und wird also getödtet, daß man ihn an ein Holz hänge, so soll sein Leichnam nicht über Nacht am Holze bleiben, sondern sollst ihn desselben Tages begraben; denn ein Gehenkter ist verflucht bei Gott; auf daß du dein Land nicht verunreinigest, das dir der Herr, dein Gott, gibt zum Erbe.
5 Mos. 21, 22. 23.

Daß diese merkwürdige Verordnung Gottes ihr Absehen auf Christum und seinen Kreuzestod gehabt habe, das möchte wohl Einem, der nicht geübte Sinne in der Schrift hat, im Anfang hart und unglaublich vorkommen, allein es fehlt nicht an Gründen, womit dieser Ausspruch bestätigt werden kann, welche hergenommen sind theils von der Beschaffenheit dieses Gesetzes, theils von der anderswo gegebenen Erklärung des heiligen Geistes.

Endlich ist diese Verordnung selbst so beschaffen, daß sie, wenn man die Absicht auf Christum davon hinwegnimmt, keine vernünftigen Ursachen haben kann. Da es aber unmöglich ist, daß Gott, der die wesentliche Weisheit ist, eine unvernünftige Verordnung machen und seinem Volk vorschreiben sollte, so wird man dadurch genöthigt, höhere Absichten unter diesem Gesetz zu suchen. Insonderheit sind zwei Umstände in dieser Verordnung zu finden, welche, wenn sie nicht ihr Absehen auf Christum haben sollen, mit der Weisheit Gottes nicht gereimt werden können.

Der erste Umstand ist dieser: daß ein Gehenkter der Fluch Gottes genannt wird. „Ein Gehenkter“, heißt es, „ist verflucht bei Gott“, welche Worte im Hebräischen noch nachdrücklicher also lauten: „Ein Gehenkter ist ein Fluch Gottes“, das ist, der ist nicht nur in den Augen der Menschen ein häßliches und abscheuliches Schauspiel, sondern er ist auch vor Gott selbst abscheulich, in seinen Fluch gleichsam eingekleidet und dazu bestimmt, daß er auf eine ganz ausnehmende und besondere Art seinen Zorn tragen soll. Gewiß, wer den großen Nachdruck dieser Worte erwägt, der wird sich kaum dieser Gedanken erwehren können: Wie kann ein gehenkter Uebelthäter der Fluch Gottes genannt werden? Sollten wohl die Schultern eines Sünders stark genug sein, die ganze Last des göttlichen Fluches zu tragen? Und warum wird das nur von einem Gehenkten gesagt? Warum ist nicht auch ein solcher, der um seiner Missethat willen gesteinigt, oder enthauptet, oder verbrannt worden, ein Fluch Gottes? Hat ein Gehenkter allein dieses Unglück, daß er an und für sich selbst ein Fluch Gottes ist, so muß man sagen, daß alle Israeliten, die man nach dem Gesetz an's Holz gehenkt, ewig verdammt worden sind, sie mögen sich vor ihrem Tode bekehrt oder nicht bekehrt haben. So hat es denn in der Macht des hohen Rathes zu Jerusalem gestanden, so oft es ihm beliebt, einen Israeliten dem ewigen Zorn und Fluch Gottes zu übergeben. Und wo soll der bußfertige Schächer bleiben, der auch neben Christo am Holz gehangen, folglich auch ein Fluch Gottes gewesen, dem aber nichts desto weniger von Jesu Christo das Paradies geöffnet worden, in welches gleichwohl nichts Verbanntes und Verfluchtes eingehen kann?

Soll demnach dieser ernstliche Ausspruch Gottes seine Richtigkeit haben und seinen ganzen Nachdruck behalten, so muß ein solcher Gehenkter angesehen werden als die Figur eines Andern, der künftig einmal am Holz hangen und die Last des göttlichen Fluches tragen sollte. Man muß nämlich bei dieser Verordnung Gottes einen Blick thun theils rückwärts in das Paradies, theils vorwärts auf den Berg Golgatha. Die erste Sünde unserer ersten Eltern ist an einem Baum oder Holz begangen worden, dessen verbotene Frucht sie mit einer offenbaren Uebertretung des göttlichen Befehls genossen. Diese erste, durch den ersten Adam am Holz begangene Sünde hat den Fluch Gottes über das ganze menschliche Geschlecht gezogen, und es konnte diese Sünde sammt allen übrigen, die darauf erfolgt, nicht eher versöhnt, und dieser Fluch nicht eher getilgt werden, bis Jesus Christus, als der andere Adam, an ein Holz gehenkt und der Fluch Gottes geworden war. Zwischen diesen beiden Personen, dem ersten und dem andern Adam, steht gleichsam ein gehenkter Israelit in der Mitte und hat nach göttlicher Absicht auf alle beide sein Absehen.

Er wird demnach ein Fluch genannt erstlich darum, weil er in dieser Gestalt ein klägliches Denkmal und Schauspiel war von dem Fluch, welcher durch die erste am Holz begangene Sünde in die Welt eingedrungen und als eine Sündfluth, wie alle übrigen Völker, also auch das israelitische Volk überschwemmt hat. So oft demnach die Israeliten einen von ihren Brüdern am Holz hängen sahen, so sollten sie dadurch erinnert werden, daß der Fluch, der durch die Sünde in die Welt gekommen und durch das Gesetz offenbart worden, noch nicht hinweggenommen sei. Vornehmlich aber wurde ein solcher Uebelthäter darum ein Fluch Gottes genannt, weil er in seinem Hangen am Holze denjenigen vorstellte und abbildete, welcher Sünde und Fluch an seinem Leibe an das Holz hinauf tragen, 1 Pet. 2, 24, und daselbst der ganzen Welt zu einem erschrecklichen Exempel der Strafgerechtigkeit Gottes vor Augen hangen sollte. Und das ist der erste bedenkliche Umstand in dieser göttlichen Verordnung, welcher nicht zuläßt, daß wir bei einem gehenkten Israeliten stehen bleiben, sondern uns nöthigt, ihn als eine Figur des gekreuzigten Jesu zu betrachten.

Der andere bedenkliche Umstand ist dieser, daß das Land Canaan verunreinigt wurde, wenn ein Gehenkter über Nacht am Holz hangen blieb, gleichwie es, Kraft des Gegensatzes, für rein erklärt wurde, wenn der Gehenkte abgenommen und vor Untergang der Sonne begraben wurde. Denn also heißt es im 23. Vers: „Sein Leichnam soll nicht über Nacht am Holze bleiben, sondern sollst ihn desselben Tages begraben, auf daß du dein Land nicht verunreinigest, das dir der Herr, dein Gott, zum Erbe gegeben hat.“ Was kann man wieder, wenn man die Absicht auf Christum hinwegnimmt, für eine vernünftige und der Weisheit Gottes gemäße Ursache hievon anzeigen? Wie kann doch dadurch ein ganzes Land mit allen seinen Einwohnern verunreinigt werden, wenn ein Gehenkter die Nacht über am Holze hangen bleibt? Man sollte vielmehr gemeint haben, dadurch würde das Land verunreinigt werden, wenn ein solcher Verfluchter in die Erde gelegt und begraben würde. Man sollte denken, ein solcher Mensch, der nicht werth geachtet war, daß ihn die Erde trage, und der daher als eine Pest von der Erde entfernt und in die Luft erhöht worden, der sei auch nicht werth, in die Erde begraben zu werden, sondern sein Leichnam müsse billig den Vögeln des Himmels oder den wilden Thieren zur Speise überlassen werden, als welches ein Stück des göttlichen Fluches war, der im 5 Mos. 28, 26. den Uebertretern des Gesetzes gedroht wird: „Dein Leichnam wird eine Speise sein allem Gevögel des Himmels und allen Thieren auf Erden, und Niemand wird sein, der sie scheuchet.“ Wie kommt's, daß einer, der doch ein Fluch Gottes heißt, und in welchem billig alle Flüche des Gesetzes zusammenkommen sollten, gleichwohl dieser Wohlthat gewürdigt wird, daß Gott eine besondere Sorge für sein Begräbniß trägt?

Noch unbegreiflicher aber ist das, wie und warum durch das Begräbniß eines Gehenkten das Land Canaan wieder gereinigt werde. Was hat doch dieses für eine natürliche Verbindung, daß ein ganzes Land für rein geachtet wird, wenn ein Gehenkter begraben wird? Da man vielmehr meinen sollte, daß das Land dadurch erst recht verunreinigt werden würde, wenn eine solche verfluchte Person in die Erde hineingelegt würde. Wird man nicht dadurch unvermerkt auf die Gedanken geleitet, daß die Verunreinigung des Landes keine wahrhaftige, sondern nur eine vorbildende Verunreinigung gewesen, folglich daß auch die Schenkung und das Begräbniß eines israelitischen Sünders unter die vorbildenden Dinge des jüdischen Gesetzes gehöre, welches den Schatten hatte von dem, das zukünftig war, wovon der Körper und das Wesen selbst in Christo zu finden ist? Col. 2, 17. Sobald man demnach erkennt, daß Gott hiebei sein Absehen auf Christum und dessen Begräbniß gehabt habe, so gewinnt diese Verordnung ein ganz anderes Ansehen und erblickt man darin die höchste Weisheit. Denn hiedurch wollte der weise Gesetzgeber anzeigen, daß Jesus Christus, nachdem er an ein Holz gehängt worden, keineswegs am Holze die Verwesung sehen, sondern noch an eben dem Tage, da er als ein Verfluchter erhöht worden, auch wieder abgenommen und begraben werden sollte als einer, der den Fluch nunmehr vertilgt und den Segen wieder erworben, folglich nicht nur das Land Canaan, sondern auch die ganze von Gott verfluchte Erde wieder gereinigt und in ein liebliches Erbtheil des Herrn verwandelt habe. Das ist also der erste Grund, warum man Christum in diesem Gesetz suchen muß, wenn es der Weisheit Gottes gemäß sein soll.

Der andere Grund ist die ausdrückliche Erklärung des heiligen Geistes, welche wir Gal. 3, 13. finden, da es heißt: „Christus hat uns erlöset von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns. Denn es steht geschrieben: „Verflucht ist Jedermann, der am Holz hanget.“ Paulus hatte hier den Satz vorgetragen: „Christus ist ein Fluch worden.“ Weil nun dieser Satz eine solche Wahrheit in sich faßt, welche der schwachen Vernunft des Menschen allzuhart und anstößig vorkommen möchte, so führt er von diesem Glaubenspunkte einen Beweis aus der Schrift an, welche der gewisseste Abdruck des göttlichen Verstandes und Willens ist. Er nimmt aber seinen Beweisgrund her aus eben dem Texte, den wir jetzt betrachten, indem er hinzusetzt: „Denn es steht geschrieben: Verflucht ist Jedermann, der am Holz hanget.“ Nimmermehr hätte Paulus aus diesen Worten beweisen können, daß Christus am Holze ein Fluch für uns geworden sei, wo er nicht in dem Licht des heiligen Geistes erkannt hätte, daß dieses Gesetz, welches eigentlich die israelitischen Uebelthäter betraf, seine vornehmste Absicht auf Jesum Christum gehabt habe, welcher am Kreuz auf die vollkommenste Art ein Fluch Gottes werden, aber eben dadurch allen Fluch aufheben, ihn durch seine ewige Unschuld verschlingen und die Erde davon reinigen sollte.

Nachdem also dieser Grund gelegt und bewiesen, daß das Gesetz von den Erhenkten auf Christum gezielt habe, so können wir nun eine nähere Vergleichung zwischen Christo und einem solchen Gehenkten anstellen. Es findet sich denn eine Aehnlichkeit theils zwischen der Aufhängung und Kreuzigung, theils zwischen einem aufgehängten Israeliten und dem gekreuzigten Jesu.

Was die Aehnlichkeit zwischen der Aufhängung und Kreuzigung betrifft, so ist dieselbe sowohl in der Benennung, als in der Sache selbst zu finden.

  • Was 1) die Benennung dieser Todesstrafe betrifft, so ist's gewiß, daß Einen kreuzigen und Einen an ein Holz hängen in der Schrift gleich giltige Redensarten sind, wovon eine so viel bedeutet, als die andere. Wenn es im Buch Esther c. 7, 9. heißt: „Siehe, es steht ein Baum im Hofe Hamans“, der König sprach: „Laßt ihn daran hangen“, so hat solches die griechische Uebersetzung gegeben: „Laßt ihn an demselben kreuzigen.“ Also wenn Petrus den Obersten der Juden vorhält, daß sie Jesum gekreuzigt hätten, so spricht er: „Welchen ihr erwürgt habt und an das Holz gehängt“, Apstg. 5, 30. Wie denn auch in den Lästerschriften der Juden, die sie gegen unsern gesegneten Heiland geschrieben haben, es gar gewöhnlich ist, daß sie ihn den Gehenkten nennen, und in ihrem Talmud bekennen sie selbst: „Man hat ihn“ (den Jesus von Nazareth) „aufgehängt am Abend des Osterfestes.“
  • Was 2) die Sache selbst betrifft, so ist auch darin eine Ähnlichkeit.
  • 1) Bei der Aufhängung wurde der Uebelthäter von der Erde erhöht und in der Luft befestigt, damit er als ein Denkmal des Fluches, der durch die Sünde Adams in die Welt gekommen, von Jedermann gesehen weiden könnte. Bei der Kreuzigung geschah dasselbe. Daher der Herr Jesus Joh. 12, 32. spricht: Wenn ich erhöhet werde von der Erde, so will ich sie Alle zu mir ziehen.“ Da Johannes hinzusetzt: „Dieß sagte er aber zu deuten, welches Todes er sterben würde.“
  • 2) Die Aufhängung geschah an einen Baum oder Balken, welcher zu dem Ende in die Erde gesteckt war, und aus welchem oben ein Holz hervorragte, an welches des Uebelthäters zusammengebundene Hände befestigt wurden. Zur Kreuzigung wurde gleichfalls ein Holz mit einem Querbalken gebraucht, das aus einem abgehauenen Baum zubereitet worden, daher auch das Kreuz Christi Apstg. 5, 30. c. 10, 39. 1 Pet. 2, 24. ein Holz genannt wird.
  • 3) Derjenige, der an's Holz gehängt wurde, wurde mit Riemen oder Stricken daran befestigt. Und eben dieses widerfuhr auch denen, die gekreuzigt wurden, obwohl gemeiniglich noch überdieß Hände und Füße mit eisernen Nägeln angeheftet wurden, wie solches auch unserem Heilande Jesu Christo nach der vorhergegangenen Weissagung, Psalm 22, 7., widerfahren.
  • 4) Der Gehenkte kehrte sein Gesicht gegen das Volk, damit es ihn als einen Spiegel des Zornes Gottes ansehen und den Fluch Gottes gleichsam an seiner Stirne lesen könnte. Ebenso war das Angesicht eines Gekreuzigten gegen das Volk, welches vor ihm stand und ihn ansah, gekehrt.
  • 5) Ein Gehenkter wurde endlich dem ganzen Israel zu einem Exempel der gestraften Bosheit dargestellt. Und eben dieses war auch der Zweck, wenn die Römer Einen kreuzigen ließen, daß er nämlich Andern zum Exempel und zur Warnung dienen sollte. Daraus sehen wir also, was für eine große Aehnlichkeit zwischen dem Aufhängen und dem Kreuzigen sei.

Doch findet sich bei dieser Gleichheit auch einige Ungleichheit. Denn das Aufhängen an ein Holz war eine jüdische, das Kreuzigen aber eine römische Strafe. Dem Gehenkten waren die Hände über dem Kopfe zusammengebunden, ein Gekreuzigter aber mußte sie voneinander dehnen und an das Querholz des Kreuzes befestigen lassen. An das Kreuz wurden die Uebelthäter lebendig gehängt und mußten an demselben sterben. Ein Israelit wurde nicht lebendig, sondern todt an's Holz gehangt, nachdem er vorher entweder erwürgt oder gesteinigt worden. Denn so müssen die Worte des Gesetzes eigentlich gegeben werden: „Wenn ein Mensch eine Sünde, die des Todes würdig ist, gethan hat, und also getödtet worden, und du ihn an ein Holz gehängt hast, so soll sein Körper nicht über Nacht am Holz bleiben.“ Dieser Umstand nun hat sich bei unserm Heilande nicht gefunden. Er ward nicht nach der jüdischen Art erst zu Tode gesteinigt, hernach an das Holz gehängt, sondern er wurde nach römischer Art gekreuzigt und also lebendig an das Holz erhöht. Doch hatte er schon vor seiner Kreuzigung am Oelberge den ewigen Tod geschmeckt und das ungestüme Geschrei des Volks: Kreuzige, Kreuzige ihn, war nicht anders, als eine Art der Steinigung anzusehen, daß also unser Heiland auch in diesem Stück dieß Gesetz erfüllt hat. Im übrigen, daß bei der Aufhängung die Hände über dem Kopf zusammen gebunden, bei der Kreuzigung aber zu beiden Seiten ausgebreitet waren, das macht keinen wesentlichen Unterschied. Daß aber unser Heiland lieber das letztere erwählen und seine gesegneten Hände am Kreuz ausstrecken lassen wollte, das ist wohl unter anderm auch darum mit geschehen, weil diese Stellung bequemer war, theils seine herzliche Liebe und Neigung, alles in seine Arme zu sammeln, lieblich abzubilden, theils anzuzeigen, daß er derjenige sei, welcher die Sünde der ersten Eltern, die sie durch Ausstreckung ihrer Hände nach dem verbotenen Holz und dessen Frucht begangen, am Holz büßen und der göttlichen Gerechtigkeit dafür genug thun mußte.

Wir haben aber auch die Aehnlichkeit zwischen einem gekreuzigten Israeliten und dem gekreuzigten Jesu zu betrachten, welche in folgenden Punkten besteht:

  • 1) Es wurden nach diesem Gesetz eigentlich keine andern, als Israeliten aufgehangen. Denn es mag auch hier heißen: „Was das Gesetz saget, das saget es denen, die unter dem Gesetze sind“, Röm. 3, 19. Nur diejenigen, welche von Abraham, dem Erben des göttlichen Segens, herstammten, konnten in solche Umstände gerathen, daß sie als ein Fluch zwischen Himmel und Erde hingehängt werden mußten. Der gekreuzigte Jesus war ebenfalls ein Israelit, ja gar derselbige Same Abrahams, in welchem alle Völker gesegnet werden sollten.
  • 2) Ein solcher Israelit mußte ein wichtig Verbrechen begangen haben, welches des Todes und der darauf erfolgten Anhängung würdig war. Unser gekreuzigter Jesus weiß von keiner eigenen Sünde, er war der heilige, unschuldige und unbefleckte und von den Sündern unendlich abgesonderte Hohepriester, Hebr. 7,26., nichts desto weniger hängt er am Holze. Wer am Holze hängt, der ist nach dem Ausspruch dieses Gesetzes verflucht, und zwar von Gott. Von Gott aber wird Niemand verflucht, als ein Sünder, weil nichts als die Sünde den Zorn und Fluch Gottes über eine Kreatur zieht. So ist dann, sprichst du, Christus ein Sünder. Ich antworte: Allerdings, wäre dieser nicht ein Uebelthäter, er wäre nicht als ein Fluch an's Holz gehängt worden. Wie reimt sich aber dieses, sprichst du, ferner mit seiner vollkommenen Unschuld? Das kann uns Niemand, als der Geist Gottes lehren. Dieser nennt den Messias den gerechten Knecht, welcher Niemand Unrecht gethan und in dessen Munde kein Betrug erfunden worden, Jes. 53, 9. 11.; aber er sagt zugleich, daß der Herr unser aller Sünde auf ihn geworfen, V. 6., daß er den Uebelthätern gleich gerechnet worden und Vieler Sünde getragen habe, V. 12. Paulus drückt dieses also aus, 2 Cor. 5, 21.: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht“, und Petrus bezeugt 1 Ep. 2, 24.: „daß er unsere Sünde hinaufgetragen an seinem Leib auf das Holz“. Daher er auch von Johannes beschrieben wird als „das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde tragt“, Joh, 1, 29. Er war demnach im göttlichen Gericht zwar ein Schuldner, aber nicht ein solcher, der eigene Schulden gemacht hatte, sondern ein solcher, der für fremde Schulden gutgesagt und daher „bezahlen mußte, was er nicht geraubt hatte“, Ps. 69, 5. „Christus“, spricht hievon der selige Luther, „ist, soviel seine Person anlangt, für sich selbst freilich unschuldig; hätte derhalben nicht gedürft, an's Holz gehänget und ein Fluch zu werden. Weil aber vermöge des Gesetzes ein jeglicher Mörder sollte gehangen werden, so hat nach dem Gesetz Mosis auch Christus hangen müssen. Denn er hat die Person eines Sünders und Mörders an sich genommen, ja nicht Eines allein, sondern aller Sünder und Mörder auf einen Haufen. Denn wir sind allesammt Sünder und Mörder vor Gott, sind derohalben des ewigen Todes und der Verdammniß schuldig. Christus aber hat auf sich genommen unser aller Sünde und ist daher am Kreuze gestorben. Darum hat er eben das müssen werden, das wir sind, nämlich ein Sünder, Mörder und Uebelthäter. Darum begreift ihn das Gesetz, so Moses von allen Uebelthätern und Mördern insgemein gegeben hat, auch mit, ob er wohl für seine Person unschuldig ist.“

Wie aber nach den Satzungen der Juden insbesondere die Gotteslästerung und Verführung zur Abgötterei also bestraft wurde, daß der Missethäter von der Versammlung Israels gesteinigt und darauf an's Holz gehängt wurde, damit er als einer, der die Majestät Gottes verletzt, auch noch nach seinem Tode Andern zum abscheulichen Schauspiel dargestellt wurde, also wissen wir, daß auch insonderheit diese beiden Sünden unserm gesegneten Heiland vor Gericht Schuld gegeben worden. Da er vor dem hohen Rath sein Bekenntniß ablegte, daß er Christus, der Sohn Gottes, sei, so zerriß der Hohepriester seine Kleider und sprach: „Er hat Gott gelästert“, Matth. 26, 65. Und da er nachher vor Pilatus dargestellt wurde, und derselbe bekannte, daß er keine Schuld an ihm finde, so antworteten die Juden: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben; denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht“, Joh. 19, 7. Mit welchen Worten sie zugleich auf zwei verschiedene Gesetze zu zielen scheinen; erstlich auf das Gesetz 3 Mos. 24. 16.: „Wer des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben“, und dann auf das Gesetz 5 Mos, 18, 20.: „Welcher Prophet redet in dem Namen anderer Götter, derselbe Prophet soll sterben.“ Wie denn die Juden auch sonst in ihren Schriften unsern Heiland beschuldigen, daß er das Volk durch seine Lehre zur Abgötterei habe verführen wollen. Ob nun wohl der Herr Jesus für seine Person an beiden Lastern höchst unschuldig war, so hatte er doch, als das Lamm Gottes, alle Lästerung und Abgötterei, die jemals unter der Sonne begangen worden, zu tragen. „Er hatte“, wie Luther abermals sagt, „auf seinem Halse liegen die Sünde Davids, welcher ein Ehebrecher und Mörder war, und machte, daß der Name des Herrn unter den Heiden verlästert wurde; die Sünde Pauli, der ein Gotteslästerer, Verfolger, Frevler gewesen rc. In Summa, er ist die Person, die an ihrem Leibe trägt und auf sich geladen hat alle Sünden aller Menschen in der ganzen Welt, die je gewesen, noch sind und sein werden.“

  • 3) Ueber einen Israeliten, der gesteinigt und an's Holz gehängt werden sollte, mußte erst „ein Gericht des Todes“, 5 Mos. 21, 22., gehalten und ihm darin die Strafe nach Urtheil und Recht zuerkannt werden, so hat auch die Weisheit Gottes nicht gewollt, daß Christus im Aufruhr umkommen sollte, sondern es ward vorher ein ordentlich Blutgericht über ihn gehalten, Zeugen abgehört, abgestimmt und endlich der Ausspruch gethan: Er ist des Todes schuldig. Und zwar wurde solches Urtheil über ihn gefällt von denen, die auf Mosis Stuhl saßen, die von dem Volk als Götter angesehen wurden, und die ihre Urtheile mit einer göttlichen Autorität aussprachen. Daher der hohe Rath sich allzeit in einem besondern Gemach des Tempels Gottes versammelte, Matth. 27, 1. 5, wenn der letzte Ausspruch einer Sache, die das Leben betraf, geschehen sollte, um hiedurch seinen Urtheilen ein desto größeres Ansehen zu machen, weil sie als in der nahen Gegenwart Gottes, der im Tempel wohnte, und in dem Angesicht seines Altars abgefaßt waren. In diese Umstände hat sich auch der leidende Jesus herabgelassen; denn weil er der göttlichen Gerechtigkeit genug thun sollte, so sollte er auch von einem solchen Tribunal verdammt werden, dessen Glieder im Gesetze genannt werden, die ihre Todesurtheile im Namen des Gottes Israel in seinem Palast und vor seinem Thron abzufassen pflegten.
  • 4) Ein solcher aufgehängter Israelit war wegen seiner begangenen Verbrechen ein Fluch und Abscheu vor Gott und Menschen. An dem gekreuzigten Jesu traf es vollkommen ein, was von einem aufgehängten Israeliten nur vorbildlich gesagt werden konnte, daß er „der Fluch Gottes“ sei; denn nachdem er sich zur „Sünde“ machen lassen, 2 Cor. 5, 21., so wurde er zugleich zum „Fluch“ gemacht, Gal. 3, 13. Denn der Fluch ist nichts anderes, als die gerechte Strafe der Sünden. Die Strafe der Sünden aber kann von der Sünde selbst, nach den Regeln der göttlichen Gerechtigkeit, unmöglich getrennt werden. Die Größe dieses Fluches richtet sich nach der Größe der Sünden, weil die Gerechtigkeit Gottes zwischen der Strafe und Schuld ein genaues Verhältniß zu halten pflegt. Da nun Christus in dem göttlichen Gericht als der größte Sünder angesehen wurde, so ist ihm auch das größte Maß des Fluches zugemessen worden. Ja wie alle Sünden der Welt auf ihn, als den Bürgen, allein gelegt worden, so ist auch aller Fluch Gottes, den die Welt mit ihren Sünden verdient, auf ihn allein gelegt worden. Wie die Sünden aller Sünder in ihm zusammengekommen sind, so ist auch der Fluch aller Verfluchten in ihm zusammengekommen. Daher wird er von Paulus durch den heiligen Geist, Gal. 3, 13., nicht nur ein „Verfluchter“, sondern der „Fluch“ selber genannt. Ein Ausdruck, davor die Vernunft selbst erstaunen muß. Und Ps. 88, 8. wird er unter dem Gefühl dieses Fluches also redend eingeführt: „Dein Grimm drückt mich“ (eigentlich lehnt sich auf mich und ruht auf mir), „und drängest mich mit allen deinen Fluthen.“ So hat denn der Herr Jesus alle Stücke des Fluches empfunden, und hat ihn wahrhaftig alles Elend überfallen und gequält, das in einem absoluten Fluch enthalten ist. Er hat empfunden einen wahrhaftigen Mangel des Segens, indem unter der Verlassung am Kreuz aus der inwohnenden Fülle der Gottheit kein Tröpflein Trostes und der Erquickung in seine Seele geflossen, sondern sein Verstand von dem Genuß des göttlichen Lichtes, sein Wille von der Empfindung der göttlichen Liebe, sein Gewissen von der Vergnügung, Ruhe und Freude, seine Triebe von allem Muth, sein Leib von allem Schutz Gottes auf eine Zeitlang entblößt und verlassen wurde. Hingegen hat er die zeitliche und ewige Strafe der Sünden vollkommen empfunden. Er hat gefühlt den unerträglichen Zorn Gottes, er hat gefühlt eine unbegreifliche Höllen- und Todesangst, er hat gefühlt die peinlichsten Schmerzen des Leibes, welcher von dem Scheitel des Hauptes bis auf die Fußsohlen so übel zugerichtet war, daß gleichsam alle Wunden in Eine zusammen geflossen waren; er hat endlich die äußerste Schmach empfunden, von welcher er, Ps. 69, 21., spricht: „Die Schmach bricht mir mein Herz und kränket mich.“ Es war nicht nur vor Menschen mit der Kreuzigung eine ungemeine Schmach verknüpft, indem dieses die allerschimpflichste Strafe war, mit welcher die Römer nur die verächtlichsten Sklaven zu belegen pflegten, sondern es wurde auch diese Schmach dadurch unendlich vergrößert, weil Gott selbst ihn für einen Verfluchten achtete. Denn was er nachher in seinem Wort, Gal. 3, 13., öffentlich von ihm hat bezeugen lassen, das hat er damals in seinem Herzen von ihm gedacht, weil dieses Wort nichts anderes, als ein Ausdruck seines Herzens ist.

So war der gekreuzigte Jesus nicht nur ein „Fluch und Fegopfer der Welt“, 1 Cor. 4, 13, sondern „ein Fluch Gottes“. Das war der höchste Gipfel der Schande, daß der heiligste Sohn Gottes, der die Quelle alles Segens ist, vor Gott selbst und allen seinen heiligen Engeln als ein Fluch angesehen wurde. Doch wie er nicht um seinetwillen, sondern für uns zur Sünde gemacht war, 2 Cor. 5, 21., so ist er auch nicht um seinetwillen, sondern für uns, an unserer Statt und zu unserm Besten zum Fluch gemacht worden, Gal. 3, 13., damit wir nicht ewig ein Fluch sein dürften.

  • 5) Ein solcher gehängter Israelit war nicht länger ein Fluch Gottes, als „bis zum Untergang der Sonne“, da er abgenommen werden mußte, und also war er zugleich in seinem Hangen am Holz anzusehen als ein der Gerechtigkeit Gottes ausgeliefertes Opfer, durch welches der öffentliche Fluch vom Lande hinweg, genommen wurde. Von wem aber kann man dieses mit größerm Recht sagen, als von dem gekreuzigten Jesu? Dieser hat Sund und Fluch hinweggenommen auf einen Tag, nach Zach. 3, 9., und ist nicht länger unter dem Fluch Gottes geblieben, als bis um die Zeit des Abendopfers, da er, nachdem er ausgerufen: „Es ist vollbracht“, seinen Geist in die Hände seines Vaters überantwortete und darauf vom Holz abgenommen und ehrlich begraben wurde, indem seine eigenen Feinde durch dieß göttliche Gesetz angetrieben wurden, daß sie kommen und Pilatum bitten mußten, daß sein Leichnam abgenommen würde, Joh. 19, 31.
  • 6) Wenn der Gehenkte abgenommen und begraben war, so wurde das israelitische Land, welches durch seine Sünden verunreinigt worden, wieder für rein geachtet. So lange er am Holze hing, so wurde das ganze Volk, dessen Mitglied er war, als unrein angesehen. Wenn aber Gott verstattete, daß sein Körper abgenommen und begraben wurde, so erklärte er damit, daß seiner Gerechtigkeit durch diese dem Uebelthäter auferlegte Schmach für dießmal ein Genüge geschehen sei, und also wurde das ganze Land, in welchem Gott vorhin seinen Zorn geoffenbart, wieder mit Gott versöhnt, 2 Sam. 21, 14. Dieß alles war nun ein Vorbild des Begräbnisses Christi, durch welches der Fluch von der Erde hinweggenommen worden. Dieser Bürge des menschlichen Geschlechts hatte unsere Sünden an seinem Leibe hinaufgetragen an das Holz, um an demselben der beleidigten Gerechtigkeit Gottes dafür genug zu thun. Da nun sein verbluteter und übel zugerichteter Körper wieder vom Holz abgenommen, gesalbt und ehrlich begraben worden, so war dieses ein unfehlbares Zeichen, daß die Gerechtigkeit Gottes mit seiner Genugthuung zufrieden sei. Wo nur das Geringste übrig gewesen wäre von der großen Schuld, die er zu bezahlen übernommen hatte, so würde sie nicht zugelassen haben, daß ein einziger Nagel aus dem Holz wäre herausgezogen worden. Da sie aber selbst für die Herabnehmung des todten Körpers gesorgt und zwei reiche und ansehnliche Männer erweckt, welche die Anstalten zum Begräbniß machen mußten, so hat sie damit zu erkennen gegeben, daß sie vollkommen befriedigt sei. Nun sind alle diejenigen, die an diesen Gekreuzigten glauben, rein in Gottes Augen, frei von allem Fluch, los von aller Verdammniß; da hingegen das arme jüdische Volk deßwegen noch unter dem Fluch und sein Land noch unter dem Bann liegt, weil es Jesum Christum noch als am Kreuz hangend verachtet und verspottet.

Eben deßwegen aber befahl Gott so ernstlich, daß ein Gehenkter noch vor Abends abgenommen werden sollte, weil er damit dem jüdischen Volk zu erkennen geben wollte, daß der Messias ganz gewiß an dem Tage, da er den Fluch am Holz getragen, noch vor Untergang der Sonne Sünde und Fluch hinwegnehmen und darauf begraben werden sollte. Wenn demnach die Richter eine solche Person die Nacht hindurch hätten hängen lassen, so hätten sie damit zu verstehen gegeben, daß sie nicht glaubten, daß der Messias in einem Tage (welcher das Gegenbild von dem israelitischen Versöhnfest sein sollte) die Versöhnung der Sünde zu Stande bringen würde. Hätten sie ihn aber immerdar am Holze hängen lassen, so hätten sie damit alle Hoffnung Israels auf die künftige Versöhnung des Messias für eitel erklärt und in der That geläugnet, daß jemals der Fluch von der Erde werde hinweggenommen werden. Diesen ungläubigen Gedanken wollte Gott durch die Verordnung von dem Begräbniß des Erhenkten zuvorkommen und durch dieß Vorbild die Kirche unterrichten, daß allerdings auf Einen gewissen Tag noch vor Untergang der Sonne der Fluch durch den Messias hinweggenommen werden sollte. Das ist also das glaubwürdige und trostvolle Geheimniß, das in die rauhe Schale dieses göttlichen Gesetzes eingeschlossen ist.

Beschaue nun, o Mensch, der du noch unter der Herrschaft der Sünde und unter dem Fluche Gottes liegst, beschaue den am Kreuz hangenden Jesus. Was Er geworden ist um deiner Sünde willen, das hättest du um deiner eigenen Sünde willen ewig werden sollen. Als ein solcher Fluch Gottes hättest du vor dem Angesicht aller Kreaturen behandelt und der göttlichen Gerechtigkeit zur Strafe ausgeliefert werden sollen. Wie man eine giftige Kröte durchspießt und ansteckt, so hättest du Engeln und Menschen zum Schauspiel dargestellt werden und allem Fleisch ein Greuel sein sollen, Jes. 66, 24. Aber Jesus Christus, dein Heiland, ist aus unbegreiflicher Liebe zu deiner Seele an deine Stelle getreten, hat sich alles Segens, alles Trostes und aller Erquickungen Gottes auf eine Zeitlang berauben und hingegen die ganze Last des Zornes und Fluches, sammt aller damit verknüpften Schmach, Schmerzen, Höllen- und Todesangst auf seine Seele walzen lassen, damit du verschonet werden könntest.

Ach, welch ein Schatz des Zornes wird in dem feurigen Pfuhl, worin aller Fluch Gottes zusammenfließen und die verdammten Kreaturen ewig überschwemmen wird, auf dich warten, wenn du diese Liebe, die der Sohn des gesegneten Gottes an dir bewiesen, verachtest und in deiner Unbußfertigkeit dahin stirbst. Wird nicht an dir erfüllt werden, was von dem verfluchten Verächter Jesu Christi geweissagt worden, Ps. 109, 17. 18.: „Er wollte den Fluch haben, der wird ihm auch kommen; er wollte des Segens nicht, so wird er auch ferne von ihm bleiben. Er zog an den Fluch wie sein Hemd, und ist in sein Inwendiges gegangen wie Wasser und wie Oel in seine Gebeine.“ Bedenke demnach wohl, was es für einen Ausgang mit dir nehmen werde, wenn du auf den Wegen des Fleisches fortgehst, deren Ende die Verdammniß ist; Sünde und Fluch gehören zusammen, und es ist unmöglich, dem Fluch zu entgehen, wenn man der Sünde nicht zu entgehen und ihr unseliges Joch abzuwerfen sucht. So schmeichle dir demnach nicht mit einer vergeblichen Hoffnung, laß dich nicht unter denen finden, welche, „ob sie schon hören die Worte dieses Fluches, sich dennoch segnen in ihrem Herzen, und sprechen: Es gehet mir wohl, weil ich wandle, wie es mein Herz dünket. Denn einem solchen Manne wird der Herr nicht gnädig sein, sondern sein Zorn und Eifer wird über ihn rauchen und werden sich auf ihn legen alle Flüche, die im Buch des Gesetzes geschrieben sind“, nach 5 Mos. 29, 19. 20.

Warum willst du aber, armer Mensch, den Fluch erwählen, da du den Segen haben kannst? Dein Mittler hat dich ja aus dem Fluch herausgekauft, da er an deiner Statt ein Fluch geworden ist. Das Lösegeld für deine wegen ihrer Übertretung des göttlichen Gesetzes verfluchte Seele liegt bereits vor dem Thron Gottes, und die züchtigende Gnade arbeitet an deinem Herzen, dich in die Ordnung der Buße und des Glaubens zu bringen, worin dir dieß Lösegeld zu deiner wirklichen Befreiung zugeeignet werden könne. Ach, wie sehnlich wartet dein Erlöser darauf, daß du kommest und seines so sauer erworbenen Segens genießest. Er ist bereit, dir alle deine Sünden zu vergeben. Hast du gleich deine Hände mit seinem Blut befleckt, hast du gleich durch deine Missethaten die Last seines Fluches vermehrt und seine Höllen- und Todesangst vergrößert, so will er doch (o des treuen Herzens!) dich solches nicht entgelten lassen, sondern wie er seine Fluchgestalt wieder abgelegt und nun die Quelle alles Segens geworden ist, so will er dir deinen Fluch aus- und den Segen anziehen und dich in einen solchen Stand der Freiheit setzen, in welchem dich kein Fluchstrahl mehr treffen soll, sondern wo du als einer, der niemals gesündigt, in die Erbschaft alles durch seinen Tod erworbenen Segens und Lebens eintreten sollst. Und siehe, die Erstlinge dieses seligen Zustandes kannst du noch heute vor Untergang der Sonne genießen, wenn du mit einer aufrichtigen und ernstlichen Verabscheuung der Sünde, die deinen Mittler zum Fluch gemacht hat, dich an denjenigen zum ewigen Eigenthum ergibst, der noch vor Untergang der Sonne den Fluch getilgt und in Segen verwandelt und zu dessen Versicherung vom Holz herabgenommen und begraben worden ist. Ach, darum eile, eile in die ausgespannten Arme Jesu Christi, damit heute die Sonne nicht über dir als einem Verfluchten, sondern als einem Gesegneten des Herrn untergehe, und wenn nach Untergang der Sonne der Tod dich suchen sollte, er dich in den Armen des gesegneten Heilandes antreffe.

Betrachte aber auch deinen an's Holz gehängten, aber auch wieder herabgenommenen Mittler, o Seele, die du in dem Kampfe der Buße begriffen bist, die du fühlst, was die Sünde für eine Last sei, die du empfindest, wie der Zorn Gottes ein aufgewachtes Gewissen drücke, ja die du unter einer bangen Furcht des ewigen Fluches, den das Gesetz allen Uebertretern droht, nach Gnade lechzest. Der Herr läßt dir sagen, was er dort dem Könige Josia, der über die Flüche des Gesetzes erschrocken war, sagen ließ: „Darum, daß dein Herz weich geworden ist und hast dich gedemüthiget vor Gott, da du seine Flüche hörtest, und hast deine Kleider zerrissen und vor mir geweint, so habe ich dich auch erhöret, spricht der Herr“, 2 Chron. 34, 27. So wisse denn, erschrockene Seele, daß der Zorn Gottes nicht mehr auf dir ruhe, weil er in dem Blute des Mittlers abgekühlt ist; wisse, daß der gesegnete Sohn Gottes an deiner Statt ein Fluch geworden und dadurch den Fluch von dir abgekauft und dir das Recht zum Segen erworben habe; wisse, daß er noch an dem Tage seiner Kreuzigung vom Holze abgenommen und herrlich begraben worden, zum Zeugniß, daß er durch seine ewige Unschuld den Fluch getilgt habe. Wie vorher aller Fluch in ihm zusammengekommen, so fließt nun in seiner geheiligten Menschheit wieder aller Segen zusammen, welcher aus ihm durch unzählige Kanäle göttlicher Verheißungen auf alle Völker, und in denselben auf alle bußfertigen und vor Gott gedemüthigten Seelen geleitet wird. Ob also gleich dein Gewissen ruft: Du bist ein Sünder! obgleich das Gesetz schreit: Du bist verflucht! obgleich der Satan brüllt: Du bist verdammt! so muß doch unter allen diesen erschrecklichen Stimmen dein Auge unverrückt auf deinen für dich zum Fluch gewordenen Erlöser und dein Ohr auf seine Stimme gerichtet sein, da er dir zuruft: „Nicht verloren werden, nicht verloren werden! sondern Segen und ewiges Leben haben“, Joh. 3, 16. 19. So laß denn den Fluch keinen Raum in deinem Gewissen finden, denn er ist ein- für allemal von dir hinweggenommen und auf die Schultern des Lammes Gottes gelegt, welche ihn aus dem Angesichte Gottes hinweggetragen haben; auf dich aber hat der himmlische Vater beschlossen, Gnade und Segen zu legen. Komm nur weinend und betend zu seinem Gnadenthron und laß dich in den Segen Jesu Christi einkleiden. Du bist gesegnet und wirst gesegnet bleiben, so lange du durch den Glauben in Jesu Christo bleiben wirst.

Betrachtet aber auch dieß Wunder der Liebe, ihr Seelen, die ihr durch das Zeugniß des heiligen Geistes versichert seid, daß ihr unter die Gesegneten des Herrn gehört und mit Paulo sagen könnt: „Gelobet sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum“, Ephes. 1, 3. Vergeßt niemals, durch was für einen entsetzlichen Weg die Erwerbung dieses Segens gegangen sei. Vergeßt niemals die unbegreifliche Liebe, die euren Heiland zum Fluch gemacht, von welcher ihr singet:

O Bräutigam, dein geheimnißvolles Lieben
Hat Dich selbst zum Anathema gemacht.
Wie? Wird die Lieb' auch bis zum Tod getrieben?
Ach ja, der Trieb hat sie so weit gebracht.
Das Leben nimmt uns wieder an,
Und wird selbst aus dem Buch des Lebens ausgethan.

Lernet nun die Reichthümer immer besser kennen, die euch durch die Herablassung des Sohnes Gottes in den Fluch zu Theil geworden sind. O wie groß muß dieser Segen sein, der eine so große Ursache hat! Ist der Fluch des Gesetzes groß, theils weil er das Urtheil Gottes, des gerechten Richters, ist, theils weil er alle geistlichen und leiblichen Strafen, und vornehmlich die Beraubung Gottes, des höchsten Gutes, und die Empfindung des unerträglichen Zornes Gottes in sich begreift, so kann der Segen, der von Christo und von seiner vollkommenen Genugthuung herrührt, nicht gering sein, weil er nicht nur eine richterliche Lossprechung des versöhnten Gottes von allem Fluch und allen Strafen der Sünden ist, sondern auch wirkliche Zuerkenntniß der vor Gottes Gericht gültigen hohen Gnade Christi, welche alle erworbenen Güter und vornehmlich den ewigen Genuß des höchsten Gutes mit sich führt. Seht, ihr Seelen, die ihr Christum kennet, das alles habt ihr zu danken der Liebe, die sich für euch verfluchen und an ein infames Kreuz hängen ließ. Vergeßt nicht, demjenigen ein tägliches Lob- und Dankopfer zu bringen, der für euch ein Fluchopfer geworden ist.

Sollte es denn auch in der Nachfolge dieser Liebe so weit mit euch kommen, daß ihr ein Fluch der Welt würdet, 1 Cor. 4,13., so freuet euch, daß ihr einen Theil der Schmach Christi tragen sollt, nachdem ihr durch seine verdienstliche Schmach von der ewigen Schmach und Schande, zu welcher die Gottlosen auferstehen werden, Dan. 12, 2., erlöst seid. Kreuziget nun täglich alle unordentlichen Lüste und Bewegungen eures Herzens, da er sich aus Liebe für euch hat kreuzigen lassen. Nehmt sein Kreuz auf euch täglich in seiner Nachfolge, welches er geheiligt und zu einem Kennzeichen seiner Jünger gemacht hat, so werdet ihr, wenn ihr euch der Gemeinschaft seiner Leiden nicht geschämt, auch einmal mit auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen, und wenn diejenigen, welche durch Unglauben seine Gnade verachten, die erschrecklichen Worte hören werden: „Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“, so werdet ihr die erfreulichen Worte hören: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“

Gebet

Nun, Du treuer und lebendiger Heiland, Herr Jesu Christe, gelobet sei deine brünstige und allen Begriff übersteigende Liebe, die Dich bewogen hat, von dem Thron deiner Herrlichkeit, wo Du von allen Engeln verehrt und von allen Cherubinen und Seraphinen angebetet wurdest, herabzukommen und die höchste Ehre mit der tiefsten Schmach, die höchste Freude mit der größten Traurigkeit, die höchste Vergnügung mit den äußersten Schmerzen zu verwechseln. Ja, daß Du in der Luft, als dem Wohnplatz des Satans, nackend und bloß gehangen, nicht nur als ein Spott der Leute und Verachtung des Volks, sondern auch als ein Fluch Gottes, aber eben dadurch den Fluch getilgt hast, weil Du an dem verfluchten Holz nichts Sündliches und Fluchwürdiges begangen, sondern die vollkommenste Liebe gegen deinen Vater und uns bewiesen, welche über Sünde, Fluch, Teufel und Hölle triumphirt hat. Laß nun, o gesegneter Immanuel, uns in Dir werden die Gerechtigkeit Gottes, gleichwie Du für uns zur Sünde gemacht worden bist. Segne uns Alle in der Ordnung der Buße und des Glaubens mit dem Segen, den Du erworben hast, da Du ein Fluch für uns geworden. Laß uns in deiner gesegneten Gemeinschaft leben und sterben und einmal unter deinen Gesegneten erfunden werden, um deiner Liebe willen. Amen.

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