Quandt, Emil - 4. Die Abbilder des heiligen Kreuzes.

Quandt, Emil - 4. Die Abbilder des heiligen Kreuzes.

Das heilige Kreuz auf Golgatha, das Gott der Herr in mancherlei Vorbildern vorgedeutet hat in Natur und Schrift, haben dankbare Menschen nachgebildet in mancherlei Zeichen und Abbildern. Solche Abbildungen des heiligen Kreuzes sind nicht wider Gottes Wort. Denn das uralte Verbot: „Du sollst dir kein Bildniß noch Gleichniß machen“ verurtheilt nicht die Abbildung überhaupt, sondern die Abbildung zum Zwecke der Anbetung und Verehrung. „Du sollst dir kein Bildniß, Noch irgend ein Gleichniß machen, bete sie nicht an und diene ihnen nicht“ - so lautet das Bilderverbot vollständig und zeigt durch die Schlußworte: „Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“ daß Gott die abergläubische Anbetung der Bilder, nickt aber den gläubigen Gebrauch der, Bilder ahnden will. Der selbst die weite Welt mit abbildenden i Fußtapfen seines Geistes erfüllt hat, wehrt es seinen Kindern nicht, wenn sie, was ihnen lieb und theuer ist, in Bildern darstellen ihnen selbst zur symbolischen Erinnerung. Was aber ist dem Christen lieber und theurer, als das Kreuz und der Gekreuzigte? Was Wunder, wenn die Liebe früh die Christen drang, den Gekreuzigten und sein Kreuz in Sitte und Brauch, im öffentlichen und privaten Leben, in Kirche und Haus und auf dem Gottesacker durch Bild und Gleichniß darzustellen?

Das einfachste und natürlichste Abbild des heiligen Kreuzes ist das Kreuzeszeichen, das ohne Pinsel und ohne Meißel mit der bloßen Hand gemacht wird. Der Gebrauch, mit der Hand die Gestalt des Kreuzes nachzubilden und in diesem Zeichen der Erlösung und Gnade sich oder Andere zu segnen, ist uralt; schon die Kirchenväter des zweiten Jahrhunderts konnten seinen Ursprung nicht mehr angeben. Dieser fromme Gebrauch lebt bei uns in den heiligsten kirchlichen Handlungen. Wenn der Säugling in die Gemeinschaft der christlichen Kirche aufgenommen werden soll durch das Wasserbad im Wort, das Sacrament der heiligen -Taufe, segnet) ihn zuvor der Täufer mit dem Zeichen des Kreuzes und spricht: „Nimm an das Zeichen des Kreuzes an Stirn und Brust, zum Zeichen, daß du durch den gekreuzigten Jesus Christus erlöset bist.“ Beim Sacrament des Altars, wenn der Diener am Worte die Einsetzungsworte spricht, schlägt er das Zeichen des heiligen Kreuzes über Kelch und Hostien zum Zeichen, daß in, mit und unter dem Brode und Weine Leib und Blut des gekreuzigten Erlösers dargeboten werden. Wenn am Schluß der Gottesdienste der Prediger, dem Befehle des Herrn gemäß, den Segen Gottes auf die Gemeinde legt, macht er das Zeichen des heiligen Kreuzes, ein frommes Bild und Gleichniß, das den Sinn hat: Nimm mit, Gemeinde der Gläubigen, und trage heim das Gedächtniß des bitteren Leidens und Sterbens Deines Erlösers! Das sind die frommen kirchlichen Bräuche, bei denen sich das Kreuzeszeichen auch unter uns Evangelischen bis auf diesen Tag erhalten hat. Es war früherhin weit über diese Bräuche hinaus Sitte, das heilige Kreuz zu schlagen. Bei schwerem Gewitter segnete man sich mit dem heiligen Kreuze, und ehe man in's Gotteshaus trat, bekreuzte man sich mit Andacht. Die Magd,) wenn sie den Teig für's Backhaus angemengt hatte, machte das Zeichen des Kreuzes; die Hausfrau, ehe sie das Brod anschnitt, that desgleichen. Aerzte schlugen das Kreuz über ihre Recepte; und war ein Todter wo im Haufe, schlug man ein Kreuz über ihm. War das päpstlicher Aberglaube? Nun, aus den Banden römischen Aberglaubens sind wir längst befreit durch die Reformation Dr. Martin Luthers. Aber wie spricht Luther? „Des Morgens, so du aus dem Bette fährst, sollst du dich segnen mit dem heiligen Kreuz, und sagen: Das walt' Gott Vater, Sohn und heiliger Geist! Amen.“ Und aus dem Munde des alten Kirchenlehrers Tertullian hören wir die Erklärung dazu: „Wie ein Gekreuzigter gewiß genug stirbt, also soll auch billig ein jeder Beter die Lüste seines Fleisches und jede unordentliche Begierde todten.“ Wahrlich, wer in diesem Sinne des Morgens, wenn er seinen Morgensegen spricht, das Zeichen des Kreuzes macht, thut wohl daran und thut nichts, was einem gut evangelischen Gewissen zuwider wäre. Desgleichen heißt's in unserm Catechismus vom Abendsegen: „Des Abends, wenn du zu Bette gehst, so sollst du dich segnen mit dem heiligen) Kreuze und sagen: Das walte Gott Vater, Sohn und heiliger Geist! Amen.“ Und das ist also auch gut evangelisch und kommt mit der Art unserer frommen Väter überein, wenn man beim Schlafengehen in frommer Erinnerung und lebhafter Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Jesu auf Golgatha das heilige Kreuz schlägt und denkt: Ich will mich mit du schlagen an's Kreuz und dem absagen, was meinem Geist gelüst't. Und wenn's am Abend der Vater am Bette seines Söhnleins thut, die Mutter an der Wiege ihres Töchterchens, wenn sie das heilige Kreuz über den Kindern schlagen, leise, andächtig und voll Gebets, und segnen also ihre Kinder ein für die Nacht mit dem Segen des gekreuzigten Jesus, das ist recht und wohlgethan, und nichts Abergläubisches dabei. Denn das heilige Kreuzeszeichen ist auch ein gut evangelisches Zeichen, weil es das Zeichen des Gedächtnisses des Kreuzes von Golgatha ist, an dem der gestorben ist, der uns und unsern Kindern das ewige Heil und die ewige Ruhe erworben hat.

Dies Zeichen des Kreuzes, wie es das allereinfachste Abbild des heilsamen Stammes von Golgatha ist, so ist es auch das allerleichteste Erkennungszeichen unter denen, die die auf Golgatha gekreuzigte Liebe lieb haben, und als solches im christlichen Alterthume, namentlich zur Zeit der heidnischen Verfolgungen, viel gebraucht. Daß Christen auch heutzutage noch als die Unbekannten sich bekannt werden können durch das Kreuzeszeichen, dafür zeugt eine liebliche Geschichte aus dem letzten orientalischen Kriege. Der Graf Fiquelmont reiste durch die türkische Provinz Bulgarien, geleitet von zwei Janitscharen, kriegerischen Muselmännern, die ihm zu seinem Schutze der türkische Pascha mitgegeben hatte. Als er eines Abends in ein christliches Dorf kam und hier sich zu erfrischen und zu nächtigen verlangte, fand er alle Häuser leer von Bewohnern und Speise; sämmtliche Einwohner hatten sich ans Angst vor den Türken geflüchtet. Nur eine alte Urgroßmutter war in einem Hüttlein allein zurückgeblieben, mit der irgendwelche Verständigung unmöglich schien, weil man ihrer Sprache nicht mächtig war. Als aber die Alte des Fremden europäische Tracht und freundliches Gesicht sieht, kommt sie einmal ganz leise von hinten her heran, rührt seine Schulter an, und als er sich umsieht, macht sie mit der Hand das heilige Kreuzeszeichen und wartet. Als aber der Graf auch ein Kreuz schlägt, da leuchtet ein Freudenglanz über ihr betagtes Gesicht, und sie eilt hinweg. Und nun regt sich's überall, die Versteckten kommen eilend hervor, denn die Angst vor dem Türken, ihrem Dränger, ist hinweg. Das Kreuz hat sie alle fröhlich hervorgebracht, und sie bringen dem Christenbruder, was sie haben. So werden an dem einfachen Zeichen des heiligen Kreuzes die Christen in aller Welt auch als die Unbekannten sich bekannt; denn dieses Zeichen erinnert sie an ihre gemeinschaftliche Heimath auf Golgatha.

Es ist ein sehr natürlicher Fortschritt, wenn die dankbare Liebe der Christenheit sich nicht mit dem Handzeichen des Kreuzes begnügt, sondern das heilige Kreuz auch nachbildet in Farbe, in Holz, in Stein, Wohl waren im frühesten christliche!, Alterthum sinnbildliche Darstellungen des Herrn unter der Figur eines Hirten, der ein Lamm auf seinen Achseln trägt, oder eines Lammes, eines Fischers oder eines Fisches und ähnliche, das Geheimniß des Glaubens vor den Augen der heidnischen Welt mehr verhüllende Bilder die gewöhnlichsten. Aber auch Abbilder des Kreuzesfinden sich frühe und zwar am frühesten Abbilder des einfachen Kreuzes, des Kreuzes ohne den Gekreuzigten. Die allgemeinere Verbreitung dieser einfachen Kreuzesabbilder nahm ihren Ausgang von einem wunderbaren Ereigniß, welches sich bei der Bekehrung des ersten christlichen Kaisers, Constantin des Großen, zugetragen haben soll. Man erzählt sich diese Bekehrungsgeschichte also: Constantin, nachdem er seine Widersacher besiegt, hatte nur noch einen gefährlichen Feind, den Gegenkaiser Maxentius. Ihn zu unterwerfen, zog er mit seinem Heere über die Alpen. Die früheren römischen Kriegsherren hatten sich, ehe sie in den Kampf zogen, durch allerlei heidnische Zauberkünste den Sieg zu sichern gesucht; Constantin aber verschmähte solches Unwesen und wandte sich an den lebendigen Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, rief ihn im Gebete an und erbat sich ein Zeichen seiner Gunst und Gnade. Da erblickte er, als die Sonne im Mittag stand, ein lichtes Strahlenkreuz über der Sonne mit der Inschrift: „In diesem siege.“ Auch das römische Heer schaute dies Wunder und staunte mit ihm. Der Kaiser versank in tiefes Sinnen,' bis die Nacht und der Schlaf über ihn hereinbrachen. Da erschien ihm der Herr Christus im Traum mit eben dem Zeichen, das er ihn am Himmel hatte schauen lassen, und befahl ihm, dieses Zeichen nachzubilden und sich des Abbildes als eines Schutzes und Trutzes gegen die Macht der Feinde zu bedienen. Am Morgen erzählte der Kaiser den Seinigen den wunderbaren Traum. Goldschmiede und Juweliere wurden bestellt und erhielten den Auftrag, ein Kreuz aus Gold und Edelstein zu bilden. Das geschah. Ein langer mit Gold eingefaßter Speer wurde mit einer Querstange zur Form des Kreuzes verbunden, auf der Spitze des Speers prangte eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Krone mit dem Namenszuge des Heilands; von der Querstange herunter aber hing ein purpurnes, mit Gold durchwirktes und mit kostbaren Edelsteinen besetztes Tuch. Das ist das sogenannte Labarum, die heilige Kreuzesfahne, deren sich der Kaiser von seiner Bekehrung an auf seinen siegreichen Feldzügen bediente. Ob durch diese Geschichte auch sagenhafte Züge gehen möchten, so viel steht fest, daß durch Constantin die Kreuzesbilder zu großen Ehren kamen und zu allgemeinerem Gebrauche. Wie er aus Ehrfurcht vor dem Kreuze die Kreuzesstrafe abschaffte, so schenkte er auch an mehrere Kirchen kostbare Kreuze. Das Kreuzesbild zeigte sich sehr bald nicht blos auf dem Banner des Heeres, sondern auch an den Wänden der Häuser, es funkelte von den Thürmen der Kirchen, es blickte hervor aus finsteren Waldesgründen. Man prägte das Bild des Kreuzes in den Gotteshäusern aus, sowohl in den alten Basiliken, da man zwischen die Tribüne und das Langschiff das Querschiff legte, so daß dem ganzen Aufbau die Kreuzform zu Grunde lag, als noch in viel höherem Grade in den späteren gothischen Kirchen und Münstern, die unsre alten deutschen Väter bauten und vor denen wir noch heute bewundernd stehen. Man trug das Kreuz als Halsgeschmeide; hohe Herren und Gewaltige hefteten es als Ehrenzeichen an ihre Brust; der deutsche Kaiser nahm es auf seine Krone und auf seinen Reichsapfel. Kein anderes Ding in der Welt gewann unter den geschickten Händen geistvoller Meister so viel Schönheit, Pracht und Herrlichkeit, als das Kreuz Christi. Die ganze weite christliche Welt wurde allmälig ein einziges großes Kreuzmuseum; und was einmal ein Dichter sprach von einer Ritterburg, es gilt im allerhöchsten Sinn von dem Kreuze auf Golgatha in seinen Abbildern: Weit ragt es über die Lande bis an das blaue Meer.

Im größten Ansehn stand das Kreuzesbild zur Zeit der Kreuzzüge. Als der Türke Herr der heiligen Stadt geworden war und das Kren; von den Thürmen Jerusalems gerissen und seinen Halbmond darauf gesetzt hatte: da schliffen unsere Väter ihre blitzenden Schwerter mit dem Kreuzgriff; da nahmen sie ein Kreuz, aus rothem Tuch geschnitten, und hefteten es auf ihre Mäntel; da zogen sie gen Morgen und eroberten mit dem siegreichen Zeichen des heiligen Kreuzes das heilige Land. In unsern Tagen möchte ein pietätsloses Geschlecht am liebsten die Kreuze vertilgen und höchstens noch die Ordenskreuze behalten. Aber Gott erhalte uns in Gnaden die Kreuzesbilder in christlichen Landen, nicht zu irgend welcher abergläubischen Verehrung, zu welcher sie ja allerdings gemißbraucht worden sind, sondern zur kräftigen und tröstlichen Erinnerung an das heilige Kreuz von Golgatha und an die ewige Erlösung, die dort vollbracht ist. Gegrüßt sei uns das Kreuz auf den Zinnen unserer Kirchen; es ist ein Zeichen,) daß ohne das Kreuz Christi keine Kirche wäre, und daß nur das die wahre Kirche ist, die unter dem Kreuze Immanuels steht. Gegrüßt sei uns das Kreuz auf unseren Altären; es ist ein Zeichen, daß ohne Christi vollgültiges Opfer, da er sich selbst am Holze des Fluches opferte, kein Altar Bedeutung hätte. Gegrüßt sei uns das Kreuz auf unsern Bibeln; es predigt uns, daß das heilige Kreuz der Bibel kostbarstes Kleinodium ist, und daß nur das die rechten Bibelleser sind, die den gekreuzigten Christus suchen in der Bibel. Gegrüßt sei uns das Kreuz auf unsern Gesangbüchern, Gebetbüchern und Postillen; es ist ein Zeichen und Zeugniß, daß ohne Christi Kreuz keine Frucht der Lippen unserm Gotte wohlgefällt, und daß nur diejenigen gute Prediger, Sänger und Beter sind, denen allezeit der Klang aus dem Herzen strömt: „Laßt uns Ihm ein Halleluja bringen, mächtiglich sind wir errett't; laßt uns Ihm uns selbst zum Opfer bringen, das da sei geheiliget. Blut'ge Arme, für die Sünder offen, nehmt uns auf, so wie wir's gläubig hoffen; weil sein Mund so freundlich spricht: Kommt nur, ich verstoß' euch nicht!“ Gegrüßt sei uns das Kreuz auch auf den Gräbern; es ist ein Zeichen, daß ohne Christi Kreuz und Pein es keine Hoffnung der Auferstehung zum ewigen Leben gäbe, daß aber Alle, die sich in ihrem Leben des Kreuzes Christi getrösteten, auch im Tode sicher ruhn unter dem Schatten seines Kreuzes. Gegrüßet sei uns auch das Kreuz, wo es von der Hand unsrer frommen Väter in einsamem Thale oder auf den Gipfeln der hohen Berge aufgepflanzt, uns begegnet auf den Wanderungen unseres Lebens und uns mit Friedensgrüßen in die Seele blickt. Wie Manchem hat solches einsame, verwitterte, bemooste Kreuz schon auf ewig die rechte Richtung gegeben, die Richtung nach Jerusalem und Golgatha! Einst wanderte der berühmte schweizerische Gelehrte David Spleiß ohne Gott und ohne Trost im zerklüfteten Gebirge einher; da blickt Plötzlich geheimnißvoll vom Felsgestein ein Kreuz herab und ihm in's Herz tief, tief hinein, und siehe, er konnte das Kreuz nicht mehr vergessen und gab seit, Herz dem hin, der am Kreuze für ihn gestorben. Und also hat's das heilige Kreuz gar oft den Menschen angethan, daß sie den Gedanken nicht wieder los werden konnten: Der am Kreuze hat so viel) für mich gethan, was thue ich für ihn?

Seinen vollständigsten, dem natürlichen Gefühl am meisten entsprechenden bildlichen Abdruck und Ausdruck aber hat das Kreuz Christi erst erhalten in den sogenannten Crucifixen, d. i. Bildern des Kreuzes mitsammt dem Gekreuzigten. Es ist eine eigenthümliche Fügung, daß das älteste, auf uns gekommene Abbild des heiligen Kreuzes mit dem Gekreuzigten ein von Heidenhand gezeichnetes Spottbild ist. Man hat nämlich in unseren Tagen ein Denkmal aus den römischen Kaiserpalästen etwa aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christo aufgefunden, ein Stück einer Wand, an welchem nach einfachster Deutung ein heidnischer Page aus dem kaiserlichen Pädagogium zur Verspottung eines christlichen Mitschülers das Kreuz und den Gekreuzigten in carricaturartiger Weise dargestellt hat. Dieses römische Spottcrucifix beweist auf der einen Seite den glühenden Haß des alten Heidenthums gegen das Kreuz und den Gekreuzigten, es beweist auf der andern Seite aber auch das hohe Alter der Crucifixe; denn ein Spottcrucifix setzt das Vorhandensein von Crucifixen bei den Christen selbst voraus. Doch finden wir im allgemeinen christlichen Volksgebrauche die Crucifixe allerdings erst mehrere Jahrhunderte später; die Scheu vor dem Verdachte der Bilderverehrung bei den Heiden ließ die Sitte, ein Bild des Kreuzes zugleich mit dem Bilde des Gekreuzigten darzustellen, erst sehr allmälig zum Durchbruch kommen, und erst vom sechsten Jahrhundert ab läßt sich der allgemeine Gebrauch der Crucifixe bestimmt nachweisen. Und als es allgemeine Sitte geworden war, Crucifixe in den Häusern Gottes und in den Häusern der Gläubigen zu haben, schloß sich, das darf und kann nicht in Abrede gestellt werden, sehr bald die Sitte der abergläubischen Verehrung daran an. Allein der Mißbrauch einer Sache kann nie zum Beweise dienen gegen die Sache selbst. Auch das hochwürdige Sacrament des heiligen Abendmahls z. B. wird noch heutzutage in evangelischen Landen von Todtkranken oft genug als Zaubermittel gemißbraucht, dessen sie sich bedienen, damit die Krisis der Krankheit beschleunigt werde, damit die Krankheit sich entweder zum Guten oder zum Schlimmen entscheide; ein sehr böser Mißbrauch, für den doch das heilige Abendmahl selbst nicht verantwortlich ist. Aehnlich verhält es sich auch mit dem Crucifixe. Unserm theuren Kirchenvater, Dr. Martin Luther, dem wir nach Gottes Gnade die evangelische Reinigung unsrer Kirche verdanken, war der Mißbrauch des Crucifixes ein Gräuel, aber das Crucifix selbst so theuer, daß er sagte, er glaube, daß ihrer Viele im Papstthum selig geworden seien, welchen, da sie mit dem Tode gerungen und sterben wollten, das Crucifix vorgehalten ist und zu ihnen gesagt worden: Auf den setze deine Hoffnung! Desselben Sinnes war auch jener gut evangelische Graf von Mansfeld, der, da er 1595 das Zeitliche segnete, das Crucifix umfaßte und küßte. Gegen päpstlich-katholischen Mißbrauch dabei wird man hinlänglich geschützt sein, wenn man sich das Wort der frommen Landgräfin Elisabeth von Thüringen merkt. Derselben ward einst in einem Kloster ein schönes Crucifix an der Klosterwand von den Klosterjungfrauen gezeigt; als diese fragten, was sie davon hielte, sagte sie: „Liebe Schwestern, das Bild gehört in's Herz, sonst ist's an der Wand verlorne Arbeit.“ Das Crucifix an der Wand oder auf dem Altare des Herrn oder auf unserm Tische kann und will und soll uns eben mahnen, den^ Gekreuzigten in's Herz zu schließen, daß wir von Herzen sagen und singen: Wollt ihr wissen, was mein Preis? wollt ihr lernen, was ich weiß? wollt ihr sehn mein Eigenthum? wollt ihr wissen, was mein Ruhm? Jesus, der Gekreuzigte!

Aber man ist in unseren Tagen so aufgeklärt worden, daß man wie die Kreuze, so ganz besonders die Crucifixe zu den frommen Spielereien eines überwundenen Standpunktes rechnet, vie für das jetzige, fortgeschrittene Geschlecht nicht mehr passen. Allein ist das heilige Kreuz Christi, aus Gottes Erbarmen auf diese arme Erde gepflanzt, keine Spielerei, sondern der höchste, heiligste, hehrste Ernst, dann ist auch das Crucifix auf unsern Altären und in unsern Zimmern keine Spielerei, sondern .ein ehrwürdiges, von den Vätern ererbtes frommes Denkmal der Pietät, das Herz und Sinne täglich zu dem kündlich großen Erlösungsgeheimniß von Golgatha lenkt. Und wie Gott nicht ungestraft läßt den, der seines gekreuzigten Sohnes spottet, so offenbart sich auch sein Zorn vom Himmel über die, die die christlichen Zeichen der Erinnerung an die Kreuzigung seines Sohnes, die Kreuze und Crucifixe, verspotten. Wohl spart er, als der ewige Gott der da Zeit hat, die Offenbarung seines Zornes sich gemeinhin für den großen Tag des allgemeinen Gerichts auf, wo er, was er mit Langmuth hier sich säumte, mit Schärfe wieder einholt. Aber manchmal giebt er Schreckenszeichen solches Zornes schon hier und läßt dem Spotte die Strafe auf dem Fuße folgen. In dem märkischen Dorfe Kampehl in der Grafschaft Ruppin schafften vor fünfzig Jahren übermüthige Franzosen bei der Plünderung des Dorfs die Mumie des Herrn von Kabbutz aus der Gruft in die Kirche und begannen, in dämonischer Blasphemie, ihn als Gekreuzigten auf den Altar zu stellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz schlagen. Als er beschäftigt war, die linke Hand festzunageln, fiel der erhobene Mumienarm zurück und gab dem untenstehenden Franzosen einen Backenstreich; dieser fiel todt um, Schreck und Gewissen hatten ihn getödtet. Eine ähnliche Geschichte, die doch einen besseren Ausgang hat, wird aus dem Thüringischen erzählt. In dem Städtchen Ermsleben, unweit Ballenstädt, waren, ebenfalls in der Franzosenzeit, einige Maurer beschäftigt, die heiligen Räume der kleinen Kirche auszuweihen. Einige der Gesellen, als sie mitten im Heiligthum sich zum Vespern niedergesetzt hatten, ließen in kecker Weise ihren Hohn und Unglauben aus und witzelten in den schnödesten Gotteslästerungen. Ja der Frechste von ihnen ergriff sogar seinen Manrerpinsel, wandte die lange. Stange um und stieß dem Heilandsbilde, das oben an der Wand als Crucifix befestigt war, diesen Speer höhnend in die Seitenwunde. „Da hast du noch einen Stoß, es war nicht genug,“ rief er und freute sich des höllischen Gelächters seiner Kameraden. Sie arbeiteten bis zum Abend. Am andern Morgen erschien der rohe Ermslebener Gesell nicht auf dem Werkplatze; man fragte und erfuhr, er sei an's Krankenlager gefesselt. Seit dem Abend vorher fühlte er einen brennenden, stechenden Schmerz in der linken Seite, und mit demselben vernahm er im Innern die Donnerstimme: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten!“ Seine Qual wurde von Tag zu Tage schrecklicher, die schmerzliche Stelle brach auf, und es entstand eine Wunde, der merkwürdiger Weise nie Eiter, sondern nur eine Absonderung entfloß wie Wasser und Blut. So litt der Unglückliche fast ein Jahr lang, aber dies lange Leiden diente zu seinem Heile. Er wurde mehr und mehr ein gläubiger und demüthiger Jünger des Heilandes, dessen treues Mittlerherz er so frech verspottet hatte. Oftmals ließ er sich in dieselbe Kirche tragen und vor demselben Crucifixe niederlegen, vor dem er einst so schnöde gefrevelt hatte, kniete dort nieder und flehte unter Thränenströmen in inbrünstigem Gebete um Erbarmen.

Wir haben aber noch nicht alle Abbilder des heiligen Kreuzes aufgezählt. Herrlicher und heilsamer noch als das Kreuzeszeichen, das Kreuzesbild und das Crucifix ist ein anderes Kreuzesabbild. Welches ist es? Man kann es, zumal in seinem Verhältniß zu den vorher beschriebenen Abbildern nicht treffender bezeichnen, als es der gottselige Gottesgelehrte Spener einmal gethan, da er sagte: „Die besten Gemälde der Kirche sind die deutliche Unterrichtung von der göttlichen Wahrheit; dadurch kann eine Sache in die Herzen der Zuhörer so deutlich und deutlicher gebracht werden, als durch den allertunstlichsten Maler, ja auch diejenigen, welche kein Maler vorstellen kann. Die eigentlichen Gemälde sind in der Kirche bloshin Wohl nicht zu verwerfen; sie haben ihren Nutzen der Erinnerung; aber es muß das andere Gemälde der Lehre dabei sein und Christus in die Herzen gemalet werden, sonst ist jenes, und so man nur aus dem Ansehen der Gemälde lernen sollte, ein todtes Wesen.“ Ja wahrlich, die Abbildung des gekreuzigten Christus durch die Predigt des lauteren Evangeliums ist köstlicher als die köstlichsten Abbildungen durch Farbe, Stein und Holz, wo sie fehlt, ist allen andern Abbildungen fast ihr ganzer Werth geraubt; sie erst verleiht den andern ihre evangelische Bedeutung. Darum ist denn der beste Maler des heiligen Kreuzes St. Paulus gewesen, da er den Galatern und der ganzen Christenheit in Beweisung des Geistes und der Kraft Jesum Christum, den Gekreuzigten, vor die Augen malte. Und dies vor die Augen Malen des gekreuzigten Mittlers muß immerdar der Kern und Stern aller christlichen Predigt sein; wollte Gott, alle Prediger des Evangeliums wären solche Maler, die nichts anderes malten, als das heilige Kreuz von Golgatha mit dem Lamme Gottes unschuldig; unter dem allgemeinen Schalle solcher Predigt würden dann auch die Kreuze von Holz und Stein als beredte evangelische Prediger mitreden und mitzeugen: „Es ist in keinem Andern Heil, auch kein andrer Name den Menschen gegeben worden, darinnen sie können selig werden, als allein der Name des Gekreuzigten.“

Die Darstellungen des heiligen Kreuzes durch Hand und Mund, die Kreuzeszeichen und die Kreuzesbilder und die Kreuzespredigten, werden endlich alle miteinander übertroffen von der Abbildung des heiligen Kreuzes im Herzen, im Leben, in den Gedanken, Worten und Werken der Gläubigen. Das ist das schönste Kreuzesbild, das in des Herzens Grunde funkelt, und von diesem Mittelpunkte aus feinen milden und beseligenden Glanz verklärend bis in die äußersten Punkte der Kreislinie des Lebens verbreitet; der ist der trefflichste Kreuzesmaler, der von sich sagen kann: Ich lebe, aber nun nicht ich, sondern Christus, der Gekreuzigte, lebet in mir! Zu dieser tiefinnerlichen, lebendigen Kreuzesdarstellung wollen und sollen die Zeichen, die Bilder, die Worte vom Kreuze hinleiten, bis wir einst durch den Glauben der Religion des Kreuzes hinangekommen sind zu jenen lichten Höhen, wo alle Zeichen und Bilder gefallen sind und wir ohne Bild und ohne Hülle den von Angesicht zu Angesicht schauen, der einst auch an uns gedacht, als er am Kreuze sprach: Es ist vollbracht! Amen.

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