Quandt, Emil - 3. Die Vorbilder des heiligen Kreuzes.

Quandt, Emil - 3. Die Vorbilder des heiligen Kreuzes.

Am Kreuz auf Golgatha hat sich der tiefste Grundgedanke des Wesens aller Wesen, das die Welt und unser Herz gemacht hat und von dem und durch das und zu dem alle Dinge sind, geoffenbart, nämlich der Gedanke zeitlicher Vermählung der ewigen Heiligkeit ohne Gleichen mit der ewigen Liebe ohne Gleichen, der Gedanke der Erlösung der gefallenen Welt durch das Sühnopfer des Fleisch gewordenen Wortes, und wir rufen, diesem geoffenbarten Gottesgedanken nachdenkend, wie ein stammelndes Kind dem Liebeswort der Mutter nachdenkt, anbetend aus: Gedanke voller Majestät, du bist es, der das Herz erhöht; Gedanke voller Seligkeit, du bist es, der das Herz erfreut! Es ist aber mit Gottes Gedanken anders, als mit Menschengedanken, auch darin anders, daß alle Gottesgedanken mit einander in der schönsten Einheit und vortrefflichsten Harmonie stehn. Ein Mensch denkt wohl heute so und morgen anders, aber was der Herr unser Gott denkt, hat er von Ewigkeit in gleicher Weise gedacht; Gottes Gedanken bilden nicht eine Kette von verschiedenen Gliedern, sondern einen Strom, in welchem Welle auf Welle aus derselben Quelle daherflutet. Daraus folgt, daß der Liebesgedanke des heiligen Gottes, wie er sich auf Golgatha den anbetungswürdig großen Offenbarungsausdruck des Kreuzes gegeben hat, schon vor dieser höchsten Offenbarung hindurchklingen muß durch alle vorangehenden Offenbarungen Gottes. Und diesen göttlichen Volklängen des einzigartigen Ereignisses von Golgatha in frommer Andacht nachzusinnen, ist eine ebenso ernste Pflicht, als ein köstliches Privilegium der Menschen des Glaubens.

Gottes Gedanken haben sich vor der Liebesoffenbarung auf der Schädelstätte von Jerusalem zwiefach den Menschen geoffenbart, nämlich in der natürlichen und in der biblischen, alttestamentlichen Offenbarung. Ist, was auf Golgatha geschehen, die Offenbarung des tiefsten Grundgedankens Gottes, so werden wir Spuren und Vorklänge dieses Gedankens auch schon in diesen beiden vorbereitenden Offenbarungen Gottes in der Natur wie im alten Testamente erwarten, suchen und finden. Wir - nämlich wenn wir Leute sind, denen der heilige Geist die Schuppen von den Augen genommen hat, daß wir auch verhüllte Zeugnisse Gottes anerkennen und erkennen.

In der That schon die Werke der äußeren Schöpfung tragen nicht nur den Stempel der ewigen Kraft und Gottheit ihres Meisters, sondern für den, der Augen hat zu sehen und Sinne, die Zeichen Gottes zu deuten, bergen sie auch Hinweisungen auf das Mysterium von Golgatha. „Seine Lieb', die gleichnißlose, zeigt mir jeder Baum am Steg, und die Dornen jeder Rose deuten seinen Schmerzensweg.“

Unsere frommen Väter verstanden sich aus dem Grunde auf die heilige Symbolik der Natur. Sie sahen Vorbilder des heiligen Kreuzes in der Schöpfung, wo der moderne Weltverstand wenig oder gar nichts sieht. Die Vögel in der Luft, wie sie mit ausgebreiteten Schwingen dahin fliegen, die Schiffe im Meer mit ihrem Mast und ausgespannten Segeln, der Pflug des Landmanns, wie er den Erdboden durchschneidet, riefen das Bild des heiligen Kreuzes in ihre Seele. Ja die ganze große Welt mit ihren vier Weltgegendeu Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht erinnerte sie an das heilige Kreuz mit seinen vier Enden und an die Länge, Breite, Tiefe und Höhe der Liebe, die am Kreuze starb. Am allermeisten aber erschien die Welt im Kleinen, der Mensch selbst, wie er aufrecht stehend mit ausgestreckten Armen betet, als eine großartige von Gott selber gegebene lebendige Weissagung und Hinweisung 'auf das Kreuz; und es war im christlichen Alterthum ein oft gehörtes Wort: Der Mensch eine Figur des Kreuzes.

Die herrlichste Voroffenbarung des heiligen Kreuzes in der Natur aber ist erst in neuerer Zeit zur Kenntniß der abendländischen Christenheit gekommen. Am Firmamente des südlichen Himmels strahlt das vielgefeierte, erhabene Viergestirn, das den Namen des südlichen Kreuzes trägt. Schon der große Dichter Dante besang es als das majestätische Zeichen Gottes am Himmel von herrlichem Geflimmer und nannte den Norden ein verwaistes Land, weil es den goldnen Glanz dieser herrlichen Lichter nicht sähe. Und ein andrer Dichter, Chamisso, läßt einen einsam auf der Insel Salas y Gomez sterbenden Greis beten: „Laß weltverlassen sterben mich allein und nur auf deine Gnade noch vertrauen; von deinem Himmel wird auf mein Gebein das Sternbild deines Kreuzes niederschauen!“ Staunend sehen die Missionare, die durch die Oceane schiffen, um den Völkern der Finsterniß und des Todesschattens das Wort vom Kreuze zu bringen, staunend sehen sie, sobald sie die Mittagslinie passirt haben, das goldig funkelnde Kreuz am Himmel oder eigentlich drei Kreuze, ein großes Himmelskreuz in der Mitte und zwei kleinere daneben, eins zur Rechten und das andere zur Linken. Wie eine unbewußte Prophetie muß es erscheinen, wenn aus dem Munde der Völker jenseits des Aequators, die nach dem jeweiligen Stande des großen Kreuzes sich orientiren, der Ausruf gehört wird: Mitternacht ist vorüber, denn das Kreuz hat sich geneigt! Ach, daß das Sternbild des Kreuzes bald bei den Völkern der Mitternacht seine johanneische Mission erfüllt hätte, daß es sie hinführen möchte unter der Predigt des Wortes zu dem Kreuz auf Golgatha, das alle Finsterniß und Mitternacht verscheucht durch den Morgenglanz der Ewigkeit!

Wenn aber der Gedanke Gottes, der sich am Kreuz auf Golgatha weltgeschichtlich und heilsgeschichtlich verleiblichte, in mancherlei Abschattung sich vorher abdrückte am Himmel, im Meere und auf Erden, in der großen Welt und in der kleinen Welt, im ganzen Gebiete der Natur: so hat er doch viel kraftvoller, viel näher, viel faßbarer noch sich zuvor manifestirt auf dem Gebiete, der in unvergleichlicher Weise von den Heilsgedanken Gottes durchgehet ist, auf dem Gebiete der biblischen Offenbarung. Und zwar hier in doppelter Weise, in Wort und Vorbild.

Ein vordeutendes Wort vom Kreuze finden wir schon in dem Evangelium des verlornen Paradieses. Wenn Gott der Schlange, die die Menschheit zur Sünde verführt hat, ankündigt, daß ein Weibessame ihr den Kopf zertreten würde, sie aber ihm in die Ferse stechen würde - so ist damit Golgatha mit seinem Kreuze unter Schleiern vorgedeutet; denn am Kreuz auf Golgatha hat sich dies Beides erfüllt; die Schlange hat dem Erlöser in die Ferse gestochen damit, daß sie ihn in Leid und Blut und Tod gebracht hat, er aber hat ihr den Kopf zertreten damit, daß er am Kreuz die Sünder erlöset hat von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, Was aber in dieser ersten Weissagung von Christo noch wie ein unscheinbares Kräutlein ist, das wird, je voller die Weissagung wird, desto mehr zur wachsenden, ihren Glanz täglich erhöhenden Blume; und wenn der Fürst unter den Propheten, Jesaias, in seiner großen Passionspredigt uns den Heiland vor die Augen malt, wie er geplagt, geschlagen und gemartert, mit unser Aller Sünde beworfen und unsre Strafe tragend, als ein stilles Lamm zur Schlachtbank geht und sein Leben für uns zum Schuldopfer giebt, so nennt auch er zwar nicht das Kreuz mit ausdrücklichem Namen, aber stellt es uns doch zum Händegreifen nahe hin. Nicht blos das neue Testament durch seine Geschichte und Lehre von der Erfüllung, auch das alte Testament ist durch seine Weissagungen das Wort vom Kreuze. Noch mehr und noch eigentlicher aber durch seine Vorbilder.

Drei Reihen von Vorbildern des heiligen Kreuzes ziehen sich durch das alte Testament. Allgemeine Vorbilder des Kreuzes auf Golgatha sind alle Opferstätten des alten Bundes, insofern die Opfer selbst Abschaltungen des großen Opfers waren, mit welchem Christus am Kreuze in Ewigkeit vollendete, die da geheiligt werden. Besondere Vorbilder des Kreuzes finden wir in jedem Holz und Stamm, durch welchen Gott der Herr im alten Bund Heil und Hülfe über Israel kommen ließ. Und ganz besondere und directe Vorbilder des heiligen Kreuzes sind uns gegeben in den Kreuzen des alten Testamentes, von denen Heil und Segenauf das Volk strömte.

Alle Opfer des alten Testamentes hatten keinen andern Zweck als den, vorzubilden und vorzubereiten jenes große Eine wahrhaftige und vollgültige Opfer, das der große Hohepriester Jesus in der Fülle der Zeit Gotte darbrachte für die Sünden der Menschheit, da er sich selbst als das Lamm Gottes opferte am Holze des Fluchs auf Golgatha. So ist denn auch jeder Opferaltar, von den Altären Abels und Kains an bis zu den Altären im Tempel von Jerusalem, ein Hinweis auf das Opferkreuz des Mittlers der Menschheit. Vornehmlich aber ist der Altar ein Vorbild des Kreuzes, den auf dem Berge Morija Abraham errichtete, da er auf Befehl des Herrn von Bersaba gekommen war, um seinen einigen Sohn, den er lieb hatte, um Isaak zu opfern. Wie Isaak das Holz zum Brandopfer selbst hinauftragen mußte auf die Opferhöhe, so hat auch Christus sein eignes Kreuz getragen; wie Isaak auf das Holz oben auf den Altar gebunden wurde, so ward auch Christus an das Holz auf Golgatha gebunden. Aber der ew'ge Gott ist fromm und gut, er will dein Herz und nicht dein Blut; Gott ersparte dem Erzvater Abraham das Opfer seines einigen Sohnes im Hinblick auf das Opfer seines eingebornen Sohnes, das er selber in der Fülle der Zeit zu bringen gedachte. Das Gotteslamm war schon ersehn, der Mensch könnt' frei und ledig gehn. Aber daß das Gotteslamm schon ersehen war in Gottes Gedanken, daß Jesus Christus kommen sollte, um an seinem Leibe unsre Sünden zu opfern auf dem Holz, das bildete sich vor in dem unterbrochnen Opfer auf dem Berge Morija; und der Altar dort mit seinem Holze, auf das Isaak gebunden ward, war ein Vorbild des Hügels Golgatha mit seinem Kreuzesholze, an dem das Sühneopfer des Lammes Gottes sich vollendete.

Noch nähere Hinweisungen auf das heilige Kreuz liegen in den Wunderhölzern, die wir je und je in Israel antreffen als Gnaden- und Segensmittel. Da ist der Mann Mose selbst eins der großartigsten alttestamentlichen Vorbilder des Herrn Jesu, da die Erlösung Israels durch seine Hand das Unterpfand und Angeld auf die Erlösung der Menschheit durch die Hand des rechten Mittlers, Jesu Christi, war. Wenn nun bei Mose die ihm von Gott verliehene Wunder- und Segensmacht sich in seinem Stabe concentrirte, so ist dieser Stab ein Zeichen des Kreuzes, in welchem sich der Segen Christi zusammenfaßt; das Wunderholz der Erlösung aus Egyptens Knechtschaft ist ein Vorzeichen des Wunderholzes der Erlösung von Sünde, Tod und Teufel. Und wenn Mosis Stab die Stäbe der egyptischen Zauberer verschlingt, so ist das ein Schattenbild von der Macht des heiligen Kreuzes, vor dem alle andern Paniere, die die Welt aufrichtet, erbleichen und verschwinden müssen.

Bedeutsamer noch als der Stab Mosis weist auf das heilige Kreuz hin der Stab Aarons. Als Aaron in feinem hohenpriesterlichen Amte bestätigt werden sollte, wurden zwölf Stäbe der Fürsten ihrer Väter Häuser nach der Zahl der zwölf Stämme der Kinder Israel in das Allerheiligste vor den Herrn in der Hütte des Zeugnisses hingelegt mit den darauf geschriebenen Namen dieser Stammhäupter, Die andern eilf Stäbe blieben dürre, saftlos und fruchtlos; Aarons Stab allein grünete, blühete und trug Mandeln über Nacht. Welch' eine merkwürdige Vorausdarstellung dessen, was an dem Kreuze geschehen, nachdem es in die Weltgeschichte eingetreten! Alle andern Paniere versühnenden und mittlerischen Priesterthums, auch der Krummstab des großen Priesters zu Rom, sind und bleiben welk und dürre und fruchtlos. Allein das Holz des Hohenpriesters Jesus Christus, allein das Kreuz von Golgatha grünt und blühet und trägt Frucht in Ewigkeit. Darum fangen unsre alten Väter: „O Kreuz, heilsamer Stamm, mit lebendiger Quelle bewässert, dessen Blüthe voll Wohlgeruch ist, dessen Frucht ersehnt wird!“ und bildeten in mannigfaltigen künstlerischen Darstellungen, namentlich auch in Fenstergemälden, das Kreuz ab als Baum mit Aesten und Zweigen, Blättern und Früchten. An dem berühmten Dome zu Köln endigen die Spitzen der Thürme in Zweige, mit Blättern und Stengeln, die bald ein einfaches, bald ein doppeltes, bald ein dreifaches Kreuz bilden. Wohl dem Volke, unter dem das Kreuz Christi grünt und blühet wie der Stab Aarons, nicht blos an Kirchenfenstern und auf den Thurmspitzen der Dome, sondern auch in den Häusern und Herzen.

Ein ähnliches vorbildliches Zeugniß vom Kreuze Christi finden wir in dem berühmten Holze von Mara, das die bitteren Wasser süß machte. Drei Tage schon hatte Israel auf seinem Wanderzuge durch die Wüste Durst gelitten; da findet es endlich Wasser, doch o Schrecken! bittres Wasser, das es nicht trinken kann, und nennt mit Murren wider Mose den Ort Mara, das ist Bitterkeit. Mose aber ward von Gott ein Baum gewiesen, den that er in das Wasser, da ward es süß, daß das Volk es trinken und seinen Durst loschen konnte. Dieser Wunderbaum zu Mara, wie laut predigt er dem, der Ohren hat zu hören, von dem Baum zu Golgatha, durch den alle Bitterkeit dieser sündenvollen Welt süß und gut wird! „Bittre Wasser ohne Zahl quillen aus der Erde, traurig steht in Todesqual die getäuschte Heerde. Mara, Mara! klingt es hohl aus der Fluth der Küste; Mara, Mara! heißt's am Pol, Mara! in der Wüste. Doch es blüht ein Wunderbaum, tausendmal gegrüßet, der im weiten Weltenraum alle Wasser süßet, blüht im fernen Morgenland ans dem Schädelhügel, blüht, wo sich ein Herz gewandt unter Jesu Flügel. Heil'ges Kreuz von Golgatha, Thron des Eingebornen, fern im Osten und doch nah jedem Auserkornen; heil'ges Kreuz, du bist der Baum, tausendmal gegrüßet, der im weiten Weltenraum alles Wasser süßet!“

Außer den allgemeinen Vorbildern des Kreuzes, wie sie uns in den weissagenden Opferstätten des alten Bundes begegnen, und außer den besonderen Vorbildern, die wir in den Segenshölzern Israels finden, enthält die alttestamentliche Offenbarung nun noch ganz besondere und directe Vorbilder des heiligen Kreuzes. Es sind das die Kreuze vor dem Kreuze, die Kreuze des alten Testamentes.

Die erste directe Vorbildung des Kreuzes' Christi fanden die alten Väter der Kirche in den gekreuzten Armen Jacobs, da er die Kinder Josephs segnete. Zum Mindesten haben wir in den segnenden Jacob die erste Erscheinung der Kreuzfigur in der heiligen Geschichte, und immerhin mag durch dieselbe der einfältige Glaube sich erinnern und hinweisen lassen auf den rechten Israel, Jesum Christum, der vom Kreuz herab und durch das Kreuz gesegnet hat alle Geschlechter der Menschen.

Andre gläubige Schriftforscher haben aufmerksam gemacht auf den nach alten Berichten aufrecht im Feuer stehenden Spieß, der über der Mitte ein Zwerchholz hatte, an dem vor dem Auszugs aus Egypten das Osterlamm gebraten wurde, ohne daß ihm ein Bein zerbrochen werden durfte. Nun ist ja Christus das rechte Osterlamm und wir wissen, daß auch ihm kein Bein zerbrochen werden durfte. Doch möchte die Vergleichung seines heiligen Kreuzes mit jenem Spieße im Feuer schon an der Grenze liegen, die das schriftgemäße Forschen nach Vorbildern des Kreuzes und ein frommes Spielen der Einbildungskraft von einander scheiden.

Dahingegen ist das dritte directe Vorbild des Kreuzes in der alttestamentlichen Offenbarung, das anzuschaun uns noch erübrigt, uns als Vorbild bezeugt durch den Mund der Wahrheit, durch den Herrn Jesum selbst, und es überragt sowohl um dieser Bezeugung, als um seiner innerlichen Bedeutung willen alle andern Kreuzvorbilder der biblischen Offenbarung, wie das Kreuz des Südens alle andern Kreuzesvorbilder in der Natur in Schatten stellt. Es ist das das Bild der ehernen Schlange in der Wüste.

Der Heiland hat dies Bild selbst in seinem Nachtgespräch mit Nicodemus Joh. 3 auf sein heiliges Kreuz gedeutet, da er sprach: Wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß alle die an ihn glauben, nicht verloren gehn, sondern das ewige Leben haben. Es war ebenfalls auf dem Wüstenzuge von Egypten nach Canaan, als die Kinder Israel zur Strafe für ihre Missethaten von den feurigen, giftigen Schlangen angefallen wurden. Alle Schrecknisse, die sie zuvor erlebt) das Wetter der Schlachten, Mühsale aller Art, Hunger und Durst, Frost und Blöße waren nichts gegen dies unheimliche Unheil, da ein furchtbares Heer fliegender Schlangen sie umschwärmte. Angstgeschrei hallte von einem Ende des israelitischen Heerlagers zum andern, als Einer nach dem Andern den Schlangenbiß empfing und fühlte und das Schlangengift in seinen Adern zu wüthen begann; und immer höher stieg die Angst, als der Tod in Folge der Vergiftung ein großes Volk in Israel dahinraffte. Mose aber, der Mittler zwischen Israel und Gott, bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose, feinem Knechte: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie zum Zeichen auf; wer) gebissen ist und stehet sie an, der soll leben. Und Moses that nach dem gnädigen Befehle des Herrn, machte eine eherne Schlange und richtete sie an einer Panierstange, an der wir uns über der Mitte ein Zwerchholz zu denken haben, zum Zeichen auf; und wenn Jemanden eine der feurigen Schlangen biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. Als die Schlangenplage vorüber war, nahm man aus Dankbarkeit das Wüstenpanier mit der ehernen Schlange mit und bewahrte es auf im Heiligthum; noch im Buche der Weisheit geschieht des heilsamen Zeichens ehren- und ehrfurchtsvolle Erwähnung. Später aber trieb man Abgötterei mit der ehernen Schlange unter dem Namen Nechusthan, indem man vor ihr räucherte; darum ward sie vom König Hiskias zerbrochen und zerstoßen. Unser Herr aber sieht in dem alten Bilde der ehernen Schlange eine Vorbildung seines heiligen Kreuzes. Wir haben nachzudenken, welche Züge der Hinweisnng und Vergleichung das Panier der ehernen Schlange darbietet.

Gegen den Biß der Schlangen in der Wüste gab es in alle dem, was der alte Bund sonst hatte, keine Heilung; Gott selber mußte ein neues, ganz absonderliches Heilmittel erfinden und darreichen in der Aufrichtung der ehernen Schlange. Das war eine thatsächliche Weissagung, daß gegen das Gift der Sünde, das die alte Schlange unter die Menschheit gebracht, Moses und die Propheten und der ganze alte Bund genügende Heilung nicht geben konnten, sondern nur Gott selber durch die Erfindung der ewigen Erlösung im neuen Bunde, nämlich durch die Aufrichtung des Paniers von Golgatha und die Hingabe seines Sohnes in den Tod am Kreuze.

Gott der Herr gab wider die Schlange eine Schlange. So hat er, um den Fluch der Sünde zu tilgen, seinen eingebornen Sohn, der von keiner Sünde wußte, selber zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Aber die Schlange, die als Heilmittel am Paniere hing, war selber rein vom Gift und Schaden der tödtlichen Schlangen. So hing Christus am Kreuze da, wohl für uns zur Sünde geworden d. i. in der Gestalt des sündlichen Fleisches, ja als ein Uebelthäter und Verfluchter, doch ohne Schuld und Sünde an ihm selber; denn er hatte nie etwas Ungeschicktes! gethan, nie war ein Betrug in seinem Munde erfunden, und Niemand konnte ihn einer Sünde zeihen. O Lamm Gottes unschuldig, am Stamme des Kreuzes geschlachtet!

Die giftlose Schlange wurde ein Gegengift gegen die giftigen Schlangen. So ist der sündlose Christus am Kreuze der Sünde ein Gift geworden, und durch ihn werden wir von der Sünde vergiftete Menschen heil und gesund. Aber nur diejenigen hatten Heil von der ehernen Schlange, die, wie Gott befohlen, ihr Auge zu ihr aufhoben, während alle diejenigen, denen eine an einen Pfahl erhöhte Schlange ein lächerliches und verächtliches Heilmittel zu sein schien, leer ausgingen und ungeheilt dem sicher tödtenden Gifte erlagen. So werden alle diejenigen Sünder durch den Mann am Kreuze errettet, die willig die Augen ihres inwendigen Menschen aufheben zu dem Holze auf dem Hügel Golgatha, von dannen ihre Hülfe kommt; selig sind die Augen, die das heilige Kreuz anschauen und ihr Leben mit allen Sünden und Schmerzen dem hingeben, der sich um ihretwillen hat an das Kreuz erhöhen lassen. Aber trotz des aufgerichteten Paniers von Golgatha z gehen alle diejenigen Sünder verloren, die dem heiligen Zeichen widersprechen, ihr Angesicht vor ihm verbergen und es nicht achten. Denn nur wer da glaubet und getaufet wird, wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden.

Nicht in einem Winkel, nicht an verborgenem Orte war die eherne Schlange aufgehängt, sondern frei öffentlich, sowohl weil alle ihrer heilenden Kraft bedürftig waren, als auch weil Niemand der Zugang zu derselben versperrt werden sollte. So ist das Kreuz Christi kein heimliches oder verheimlichtes Kreuz, sondern die Botschaft von demselben geht in alle Welt und wird auf den Dächern gepredigt. Denn einmal ist - mag man das auch noch so sehr als eine düstere Weltanschauung verschreien, es ist die Weltanschauung der Schrift und der Erfahrung - die ganze Welt ein Lazareth, und alle ihre Insassen sind der Heilung bedürftig durch die Arznei von Golgatha; und andrerseits will Gott, daß ihnen allen geholfen werde und sie alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen. Denn Ihm ist nichts zu schlecht, sie sind ihm alle recht; was Keiner sonst mag leiden, was alle Menschen meiden, das darf noch zu ihm kommen und wird gern angenommen.

Es war, um von dem giftigen Schlangenbiß geheilt zu werden durch die eherne Schlange, nichts, gar nichts weiter nöthig, als den Blick auf sie zu werfen. Keine Waschungen und Reinigungen, keine Pflaster und Salben noch deß etwas gingen vorher oder folgten nach. Das Panier ansehen, das war genug zur Heilung. Es hat einmal ein Schriftausleger gesagt: „Vielleicht war Einer unter dem Volk, der nur so wenig sah, daß er nur in einem Auge einen undeutlichen Schein hatte; aber wenn er auch nur ein Blinzeln auf die eherne Schlange warf, so lebte er.“ Gerade so verhält es sich mit dem Kreuze unseres Immanuel. Am Kreuze ist Alles zu haben, was zur Heilung der Seelen noch ist; die höchste Gerechtigkeit ist uns erworben, da Er ist am Stamme des Kreuzes gestorben. Nun steht unsere Seligkeit nicht auf irgend welchen Gesetzeserfüllungen und guten Werken; es verhält sich auch nicht so, als ob dieselben wenigstens nachher einige kleine Gewichte mit in die Wagschale legten. Nein, um versöhnt, erlöst, gerechtfertigt zu werden, ist weiter nichts nöthig, als das Auge des Glaubens auf den Mann am Kreuz zu richten. So halten wir nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Und wer auch nur mit den Augen des Glaubens blinzelt, kann selig werden. Der bußfertige Schacher sah von seinem Kreuze das Kreuz Christi an mit einem Glaubensauge, das die Todesangst umflorte, aber er sahe es au, und wurde gerettet.

So bildet denn also die eherne Schlange am Wüstenpfahl das bedeutungsvollste, kündlich große Geheimniß alttestamentlicher Abschattung und Vorbildung des heiligen Kreuzes. Möge die Betrachtung des Schlangenbildes sowie der übrigen Vorbilder des Kreuzes in Natur und Bibel uns in der heilsamen Erkenntniß des Geheimnisses von Golgatha fördern und stärken, daß wir glauben an die Weltversühnung im Blute des Gekreuzigten und in diesem Glauben das Leben haben und im dankbaren Besitze des Lebens anbeten die Macht der Liebe, die sich in Jesu offenbart. Amen.

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