Quandt, Carl Wilhelm Emil - Die dritte Bitte.

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Die dritte Bitte.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.

Am Grafenschloß zu Boitzenburg in der Uckermark steht mit großen, goldenen Buchstaben die Inschrift: „Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes thut, der bleibt in Ewigkeit.“ Diese aus Gottes Wort entnommene Devise eines märkischen Grafengeschlechts trägt uns am schnellsten in den Ernst hinein, den die Betrachtung der dritten Bitte von uns erheischt, der Bitte: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!

Der Zusammenhang dieser Bitte mit ihren zwei Vorgängerinnen ist leicht und klar. Wer um die Verherrlichung des Namens, d. i. der geoffenbarten Person Gottes und um das Kommen und Blühen seines Reiches gebeten, dem legt sich die Bitte um ergebene und folgsame Unterthanen im Reiche Gottes auf Erden von selbst auf das Herz und auf die Lippen. Denn soll zur Ehre des Reichsherrn sein Reich gedeihen, muß der Wille des Reichsherrn geschehen an und von denen, die in seinem Reiche unter ihm leben. So bildet die dritte Bitte den natürlichen Abschluß der Bitten, die Gottes Ehre im Auge haben, und das Gebet um die Heiligung des göttlichen Namens durch das stetige Kommen seines Reiches findet sein Ende und seinen Ruhepunct in dem Seufzer um das Geschehen des göttlichen Willens wie im Himmel, also auch auf Erden.

Nicht auf beide Orte, die die Bitte nennt, nicht auf Himmel und Erde zugleich, bezieht sich auch die Bitte. Denn dafür, daß im Himmel Gottes Wille geschehe, haben wir nicht erst nöthig zu beten. Im Himmel geschieht ohne unser Gebet Gottes Wille fort und fort ohne Hemmung und Einspruch, sowohl in Gott, als außer Gott. Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, wie sie eins sind im Wesen, so sind sie auch eins im Willen von Ewigkeit zu Ewigkeit, wie sich diese ihre Willenseinheit auch geoffenbart hat in den Werken der Schöpfung und Erlösung. Und die Tausend mal Tausend, die dem Dreieinigen im Himmel dienen, und die Zehntausend mal Zehntausend, die vor seinem Angesichte stehn, suchen niemals ihren eignen Willen, sondern immerdar den Willen Gottes; es ist die Seligkeit der Engel und der vollkommenen Geister, in jedem Augenblick ihren Willen in Gottes Willen aufzulösen und auszuleeren. Wir bitten in der dritten Bitte nicht für den Himmel, der unserer Gebete nicht bedarf, sondern für die Erde, nämlich daß auf Erden Gottes Wille geschehen möge, wie er im Himmel geschieht.

Es giebt einen doppelten Willen Gottes für die Menschen der Erde. Der eine ist der regierende Wille Gottes, der sich an allen Geschöpfen des Allmächtigen, also auch an uns vollzieht, wir mögen unsererseits wollen oder nicht, den wir aber als Gottes Kinder willig leiden sollen. Der andere ist der gebietende Wille Gottes, mit dem er fordernd unserm eignen Willen gegenübertritt, der sich nur vollzieht, wenn wir selber wollen, und den wir als Gottes Kinder willig thun sollen. Auf jenen, wie auf diesen Willen Gottes geht die dritte Bitte gleichmäßig; und somit legt sie sich auseinander in die zwei Unterbitten: 1) Herr, hilf, daß wir Deinen regierenden Willen erkennen und willig leiden; 2) Herr, hilf, daß wir Deinen gebietenden Willen erkennen und willig thun.

Daß Gottes regierender Wille die ganze Weltgeschichte und jede einzelne Lebensgeschichte, das Größte wie das Kleinste. bestimmend, umspannt, ist sonnenklare Schriftwahrheit. Aber diese Schriftwahrheit ist einem großen Theile der Menschheit noch verborgen, und stößt in dem andern Theile auf tausendfachen Widerspruch. Denn wenn auch die tägliche Erfahrung Jedem das alte Jeremiasbekenntniß nahe legt: „Ich weiß, daß des Menschen Thun stehet nicht in seiner Gewalt, und steht in Niemandes Macht, wie er wandle und seinen Gang richte,“ so ist von diesem negativen Bekenntnis doch noch ein weiter, weiter Weg bis zu dem positiven gläubigen Geständniß: „Gott sitzt im Regimente und führet Alles wohl.“ Der Unglaube setzt die Begegnisse des Lebens nicht auf Rechnung des regierenden Willens Gottes, sondern denkt sich oben an dem Webstuhl der Zeit ein eisernes Schicksal, ein blindes Geschick, einen unberechenbaren Zufall, wenn's hoch kommt, einen unpersönlichen Himmel, eine abstracte, von der Persönlichkeit Gottes losgerissene, blasse Vorsehung. Und auch die Gläubigen, die Kinder des Reichs, so sehr sie sich das Wort Jacobi gefallen lassen: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, vom Vater des Lichts“ so wenig mögen sie oft das alte Sirachswort gelten lassen: „Es kommt Alles von Gott, Glück und Unglück, Leben und Tod, Armuth und Reichthum.“ War doch das Leiden der Gerechten ein Punct, der schon die Frommen des alten Bundes oft irre machte an der Weltregierung durch den Persönlichen Gott; und auch die Kinder des neuen Bundes fragen nur allzuoft: Kann denn auch das Böse von Gott kommen? Nun, das steht ja fest nach der Schrift, daß Gott, nicht der Urheber des Bösen ist; aber das steht auch ebenso fest nach der Schrift, daß das Böse, was in der Natur oder unter den Menschen an uns tritt und uns wehe thut, unter Gottes Zulassung und somit unter seinem regierenden Willen steht. „Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht thue? Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus, er macht arm und reich.“ Und der Herr will, daß seine Kinder seine lenkende Gotteshand in Allem, in der Lust, wie in der Last sehen und erkennen und gläubig sprechen: „Es kann mir nichts geschehen, als was Er hat versehen!“ Je mehr es an solcher Erkenntnis bei uns und in uns gebricht, desto brünstiger haben wir zu beten: Hilf, o Herr, daß wir Deinen regierenden Willen erkennen.

„Er ist der Herr, Er thue, was ihm wohlgefällt!“ sprach der Hohepriester Eli einst zum Knaben Samuel. Aus diesem Worte Eli's leuchtet hervor die Erkenntniß des regierenden Willens Gottes, aber auch die Willigkeit, ihn zu leiden. Dieselbe Willigkeit hatte David, da er zu Zadok sprach: „Er mache es mit mir, wie es ihm wohlgefällt.“ Das erhabenste Vorbild aber solcher Willigkeit ist das Leben des Erlösers. „Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe!“ war seine Loosung nicht blos im Thal Gethsemane, sondern während seines ganzen Wandels im Erdenthal. Doch in diesen Fußtapfen der Heiligen und des Allerheiligsten wandeln nicht Viele. Wo Gottes regierender Wille Freuden verhängt, ei da singen Tausende: „Ich nehm' es, wie er's giebet, was ihm von mir beliebet, dasselbe hab' ich auch erkiest!“ Aber wo Gottes regierender Wille Leiden verhängt, da geschieht er selten mit der Menschen Willen, oft gegen ihren Willen oder wenn nicht gegen, so doch ohne ihren Willen.

Gegen des Menschen Willen geschieht Gottes Willen da, wo der Mensch sich auflehnt gegen das, was Gott verhängt und in sündlichem Trotze ihm in die Arme greift. Es ist des Menschen eigner Schade, wenn Gottes Wille gegen seinen Willen geschieht. Denn wo zwei Schiffe auf einander stoßen, so sinkt nicht das stärkere, sondern das schwächere Fahrzeug; und wo der Mensch gegen Gott anrennt, geht er zu Grunde. Sollte der Steuermann des Universums auch seinen ewigen Curs ändern? Doch ja, es giebt eine Verwegenheit, der gegenüber Gott wenigstens für eine Weile seinen eignen Willen zurückzieht, aber nur, um ihn darnach in Zorngerichten desto gewaltiger zu offenbaren. Es war einmal eine Mutter, die hatte ein einziges Kind, ein Söhnlein. Nun geschah es, daß dieses Kind krank wurde, und die Krankheit wurde immer ärger, man konnte wohl sehen, es sei nicht mehr zu helfen und das Kind müsse sterben. Die Mutter hatte anfänglich schon grimmige Angst; da aber die Krankheit offenbar dem Tode zuging, da wurde sie wie unsinnig; denn das Kind war ihr lieber, als die ganze Welt und als Gott selber. Als das der Geistliche hörte, ging auch er in das Haus, um der Mutter Trost und Ergebung zuzusprechen; aber es war Alles umsonst. Da stellte er sich an das Sterbebette des todkranken Kindes und betete laut: „Herr, wenn es Dein Wille ist, so schenke diesem Kinde Leben und Gesundheit wieder.“ Als die Mutter diese Gebetsworte hört, schreit sie wie rasend: „Nicht, wenn es sein Wille ist, das kann ich nicht ausstehn; es muß sein Wille sein; er darf mir mein Kind nicht sterben lassen!“ - Das Kind starb auch nicht. Zur unermeßlichen Freude seiner Mutter wurde es wieder gesund und wuchs auf. Ja, es ist gewachsen und groß geworden, jenes Mutterkind, das sie mit Gewalt nicht wollte sterben lassen; es ist gewachsen und groß geworden an Leib und - an Bosheit. Und der Bube hat von Jahr zu Jahr der Mutter mehr und ärgeren Verdruß, Schande und herzzergrabenden Kummer gemacht. Und endlich hat sie's erlebt, daß der Sohn ein Todesverbrechen begangen und auf dem Schaffot sein Ende gefunden hat. Was sollen wir dazu sagen? Herr, hilf uns, daß wir' unsern Willen in Demuth beugen unter Deinen regierenden Willen, daß unser Wille nicht gegen Deinen Willen sei und wir Dir nicht in die Hände greifen, mit denen Du die Welt regierst!

Es giebt aber auch solche Leute, von denen man zwar nicht sagen kann, daß Gottes Wille gegen ihren Willen geschieht, von denen man aber sagen muß, er geschieht ohne ihren Willen. Das sind die Menschen der Resignation. Es wird in der Welt die sogenannte Resignation viel gerühmt, die Kunst, Alles über sich ergehen zu lassen, Böses und Gutes, ohne eine Miene zu verziehn. Man halte das um Gotteswillen nicht für christlich, es ist die reine Blasirtheit. Nicht Socrates, da er Weib und Kinder fortschickt, um unter philosophischen Gesprächen mit Anstand den Giftbecher zu leeren, zeigt uns den Menschen, wie er sein soll; sondern Christus zeigt uns ihn, da er mit dem Tode ringt und die Ergebung sich erkämpft, in der er sprechen kann: Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe. Herr, laß Deinen Willen nicht geschehen ohne unsern Willen; laß uns dabei sein, wenn Du etwas über uns verhängst; laß uns kämpfen und ringen und siegen, um unsern Willen Deinem Willen im Geist und in der Wahrheit unterzuordnen.

Unsre Alten sprachen von einer seligen Submission. Diese Submission, d. h. die kindliche Ergebung und Untergebung in und unter Gottes Willen, ist es, um die wir in der dritten Bitte flehn. Ein altes Mütterchen in Rixdorf bei Berlin hatte diese Submission. Rixdorf wurde im April des Jahres 1847 von einer Feuersbrunst schwer heimgesucht. Die Flamme, welche 120 Gebäude in Asche verwandelte, hatte auch die Habseligkeiten einer alten, gläubigen Frau verzehrt. Ein frommer Schulmann, der die greise Christin sehr hochachtete, besuchte sie in jenen Tagen, um sie in ihrem Unglück zu trösten. Sie aber bedurfte seines Trostes nicht, sondern sprach zu ihm: Unser Herr Jesus hatte auf Erden nicht, wo er sein Haupt hinlegen konnte, und ich habe doch noch Aufnahme gefunden. Je älter ich werde, desto ärmer muß ich werden, und zwar leiblich, damit ich nicht am Irdischen hange. Wenn auch die Feinde sagen: „Euer Beten hilft nicht!“ wir werden doch nicht zu Schanden. Was hier in Rixdorf geschehen ist, hat der Herr gethan, und „Er hat noch niemals was versehen in seinem Regiment, nein, was Er thut und läßt geschehen, das nimmt ein gutes End'.“ Selbst getröstet durch die, der er Trost bringen zu müssen glaubte, ging der Schulmann von dannen. Es giebt ein ergreifendes Gedicht von H. Möwes, in welchem diese Submission in unvergleichlicher Weise aus schmerzensvoller Erfahrung heraus geschildert wird. Die erste Strophe lautet also:

„Du sollst, so sprach der Herr, du sollst ermatten;
Und siehe, meine Kraft verging wie Schaum;
Es blieb von mir ein marklos luft'ger Schatten
Nur locker haften an der Erde Saum,
Des Lebens Mai mit seinen heitern Spielen,
Des Lebens Lust mit ihren schönen Mühn,
Des Lebens Höh' mit ihren edlen Zielen -
Das Alles sah ich sinken und verblühn.
Da ward's wie Wehmuth in der Seele laut,
Da hat's in meinem Auge hell gethaut! -
Doch eine Wärme, anderswo entglommen,
Hat meines Auge Thräne weggenommen.
Er weint nicht mehr, o lieber Herr, Dein Knecht -
Ist Dir's so recht?“

Ja, wahrlich, so ist's ihm recht, in der Kraft des heiligen Geistes den eigenen Willen dem Willen des großen Gottes zu submittiren, in Demuth Gottes Wege anzubeten, auch wo sie sich in schwarzes Dunkel hüllen, und in diesem Sinne bitten wir zuerst die dritte Bitte: Herr, hilf uns, daß wir Deinen regierenden Willen auf Erden erkennen und willig leiden.

Anders als der regierende Wille, tritt uns der gebietende Wille Gottes gegenüber. Auch dieser Wille Gottes muß geschehen, aber er vollzieht sich übereinstimmend mit der Natur der menschlichen Freiheit. Wir müssen den Willen Gottes thun, wenn Gott seine Heilsabsichten an uns erreichen soll, wenn wir selig werden sollen; aber wir haben die traurige Freiheit, dem Willen Gottes zu widerstreben. Daß das nicht geschehe, daß vielmehr das Gegentheil geschehe, daß wir Gottes gebietenden Willen allezeit erkennen und allezeit willig thun mögen, das bitten wir zum Zweiten in der dritten Bitte.

Was Gottes guter und gnädiger Wille den Menschen gebietet, das lehrt die heilige Schrift. Die heilige Schrift ist das allgemeine Landrecht für alle Lande, das Amtsblatt Gottes für alle Kinder Adams. Wie aber der ganze Inhalt der Schrift sich in Gesetz und Evangelium scheidet, so ist auch der gebietende Wille Gottes ein zwiefacher, ein Wille nach dem Gesetz und ein Wille nach dem Evangelio. Nach dem Evangelio befiehlt Gott allen Menschen an allen Enden Buße zu thun und zu glauben an den Heiland der Sünder, wie Paulus das sagt den Aeltesten von Milet: „Ich habe euch nichts verhalten, daß ich euch nicht verkündigt hätte alle den Rath Gottes. Ich habe bezeuget beide, den Juden und den Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an den Herrn Jesum Christum.“ Nach dem Gesetz aber befiehlt der Herr allen Menschen Gott zu lieben über alle Dinge und den Nächsten als sich selbst, wie der Heiland selbst es lehrt: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe. Das ist das vornehmste und größeste Gebot. Das andre aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst. In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten.“ Nach dem Evangelio der Glaube, nach dem Gesetz die Liebe - das ist es, was Gottes Wille den Menschen gebietet, wie St. Johannes dies in seiner ersten Epistel am dritten so schön zusammenfaßt, da er spricht: „Das ist Gottes. Gebot, daß wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesu Christi und lieben uns untereinander.“

Das ist Gottes gebietender Wille, wie die Schrift ihn kund thut. Millionen kennen ihn noch nicht, weil sie die Schrift noch nicht kennen. So können sie den Willen Gottes auch nicht üben. Das sind die Heiden, die in Finsterniß und Schatten des Todes sitzen, und nicht minder alle übrigen ungetauften Menschen. Das sind auch die Namenchristen, die das Gotteswort haben, aber nicht daran glauben. Auf sie blicken wir, wie in der zweiten Bitte, so auch in der dritten Bitte und flehen: Herr, hilf, daß Dein Wort in aller Welt gepredigt und geglaubt werde, damit alle Welt Deinen guten und gnädigen Willen erkenne!

Wir von Gottes Gnaden glauben an Gottes Wort. Uns ist aus dem Worte Gottes heraus von Jugend auf gesagt, und wir wissen es. Was gut ist und was der Herr von uns fordert. Und dennoch fehlt viel, daß in der gläubigen Christenheit immer und alsobald Gottes gebietender Wille erkannt würde. Denn etwas Anderes ist der General-Wille Gottes, wie er sich im Gesetz und Evangelium der Schrift klar und hell für Jeden, der Augen hat zu sehen, zu erkennen giebt, und etwas Anderes ist der specielle Wille Gottes, wie er in den besonderen Lagen des verwickelten Lebens an den Einzelnen herantritt. Wohl wissen wir im Allgemeinen, daß Gott Glauben von uns fordert und zwar einen Glauben, der durch die Liebe thätig ist; aber wie oft sind wir im Besonderen wankend und schwankend, in welcher Art wir unsern Glauben bewähren, in welcher Weise wir unsre Liebe kund thun sollen! Wenn einem erweckten jungen Mädchen das Tanzen zur Sünde wird und doch fordern die Eltern, daß es in die Tanzstunde gehen soll - was soll es da thun und wie lautet für dieses Kind in diesem bestimmten Falle der gebietende Wille Gottes? Wenn der Zögling einer Missionsanstalt ein Herz voll Liebe zu den Heiden hat, und Einer seiner Lieben daheim bietet ihm ein ganzes Landgut zum Geschenk und bittet ihn daheim zu bleiben und das Gut in eine Anstalt für innere Mission umzuwandeln - was soll er da thun, und was fordert da der Herr von ihm? O es ist nicht leicht, mitten in den wundersamen Verschlingungen des Lebens Gottes Wunsch und Weisung scharf und bestimmt zu erkennen; und es wird nur allzu oft des großen Gottes Wille mit der eignen Wahl vertauscht. Darum gilt es die dritte Bitte brünstig zu beten in dem Sinne, daß wir flehen: Herr, hilf, daß wir Deinen gebietenden Willen in allen Lebensentscheidungen erkennen! So betet David: Herr, zeige mir Deine Wege und lehre mich Deine Steige. Und in einem andern Psalme betet er ähnlich, und unser große brandenburgische Churfürst Friedrich Wilhelm machte dies Gebet zum Wahlspruch seines Lebens: „Herr, thue mir kund den Weg, darauf ich gehen soll!“

Aber das bloße Erkennen des göttlichen Willens fördert weder Gottes, noch des Menschen Interessen. Das Erfüllen muß dazu kommen. Und gerade darin gipfelt der Sinn der dritten Bitte; denn „Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden“ heißt im Grunde und im Kerne: „Dein gebietender Wille, o Gott, möge „von den Menschen auf Erden erfüllt werden, wie er im Himmel erfüllt wird!“

Es ist einmal eine hehre, heilige Gestalt über die Erde gewandelt, die Gottes heiligen Willen auf Erden erfüllt hat, wie er im Himmel erfüllt wird, diese Gestalt ist Christus Jesus. Es war als ein Wort seines Mundes zuvor verheißen, und er hat dies Wort treulich gehalten: „Deinen Willen, o Gott, thue ich gern, und Dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“ Von Bethlehem bis zum Himmelfahrtsberge wandelte er in allen Geboten und Satzungen untadelig. Gottes Wille war allezeit seine Speise, seine Wonne, sein Leben. Der Sohn that nichts von ihm selber, sondern was er sahe den Vater thun, das that gleich also auch der Sohn. Nicht als ob die Führungen seines Lebens nicht auch durch mancherlei Versuchung und Anfechtung gegangen wären; im Gegentheil, das mitternächtigste Dunkel, durch das ein Leben geführt werden kann, ist ihm beschieden gewesen in Gethsemane und auf Golgatha. Aber er blieb in allen Anfechtungen dem Willen seines Vaters treu und war gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Nie ist ein Leben hinterher so allseitig in's Auge gefaßt und der Critik unterworfen worden, als das Leben Jesu Christi im Fleische; seit zwei Jahrtausenden ist es von Freunden und Feinden nach allen möglichen Gesichtspuncten beleuchtet, erörtert, beschrieben, beurtheilt worden: ja, man hat wohl einen andern Christus erträumen und einem solchen erträumten Christus allerlei Schwächen andichten können; aber der Christus der Evangelien, der wirkliche, wahrhaftige Christus der Geschichte, ist auch durch die heißesten Feuerproben unversehrt hindurch gegangen und steht da und wird ewig dastehn als der Eine, Große, Heilige, der den gebietenden Willen seines himmlischen Vaters auf Erden erfüllt hat, wie er im Himmel erfüllt wird.

Aber eben auch nur bei Ihm finden wir diese absolute Erfüllung des göttlichen Willens. Seine Jünger, obwohl Er sie ausrüstete mit der Kraft des heiligen Geistes, kommen ihm im Thun des göttlichen Willens nicht von ferne gleich. St. Petrus weist uns mit goldenen Worten auf ihn und lehrt, daß Er uns ein Vorbild gelassen, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußtapfen, welcher keine Sünde gethan habe, sei auch kein Betrug in seinem Munde erfunden - und doch Petrus selber, hat er nicht in Antiochien geheuchelt und noch Andere verführt, mit ihm zu heucheln? Und Paulus, der da geschrieben hat das Hohelied von der Liebe, die Alles verträgt und Alles hofft - kam er nicht scharf zusammen mit Barnabas, also daß sie ihre gemeinsame Missionsreise aufgaben, und der Eine zog hier seines Weges und der Andre dort? Und wenn das an den Herzögen im Reiche Gottes geschah, was will man von dem Troß erwarten? Ach, es klingt ein großes Miserere durch das Volk des neuen Bundes, das ist das Miserere von Römer 7: „Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen; ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüthe.“

Ja, daran liegt's, daß selbst Gottes Reichsgenossen Gottes erkannten Willen so wenig erfüllen, daß es auf Erden anders ist wie im Himmel, aus dem alle feindlichen Mächte ausgestoßen sind, daß auf Erden dem Willen Gottes und seinen Geboten in uns selber ein andrer Wille entgegensteht, des alten Adams Wille, des Fleisches Wille. Und dieser fleischliche Wille hat zwei böse und gewaltige Bundesgenossen, des Teufels Wille und der Welt Wille. Diese drei Willen verfolgen uns bis an unser Ende, der eine in uns, der andere über uns, der dritte neben uns, und kämpfen alle drei mit vereinten Kräften wider den göttlichen Willen, daß sie uns verführen zu thun, nicht was göttlich ist und geistlich, sondern was fleischlich und böse ist. Soll Gottes Wille von uns täglich besser erfüllt werden, so müssen täglich mehr die drei feindlichen Willen unterjocht werden. Darum fragt Luther: „Wie geschieht! Gottes Wille bei uns?“ und antwortet: „Wenn Gott allen bösen Rath. und Willen bricht und hindert, so uns den Namen Gottes nicht heiligen und sein Reich nicht kommen lassen wollen, als da ist des Teufels, der Welt und unsers Fleisches Wille - sondern stärket und behält uns fest in seinem Wort und Glauben bis an unser Ende; das ist sein gnädiger und guter Wille.“ So gestaltet sich also die dritte Bitte zu einer Bitte um Niederwerfung! unsers eignen Willens, so wie des Willens der Weltbund des Fürsten der Welt und wir bitten: Herr, hilf uns, daß wir in der Kraft Deines heiligen Geistes allen bösen Rath. und Willen unter die Füße treten und also ungehindert Deinen guten Willeu willig thun!

In diesem Sinne hielt der gottselige Theodor Beza, der am Ende seiner Tage mit Augustinus von sich bekannte: „Ich habe lange genug gelebt, ich habe lange genug gesündigt!“ die dritte Bitte besonders hoch, und die letzte Predigt, die er in seinem Leben gehalten hat, hielt er über die Worte: „Dein Wille geschehe!“ Aus demselben Grunde gab Scriver, der erleuchtete Verfasser des Seelenschatzes, der dritten Bitte sogar den Vorzug vor der zweiten und sprach: „Wenn der heilige Wille Gottes geschieht, so wird sein Name auch geheiligt, so wird sein Gnadenreich auch fortgepflanzt.“ Uns erschien die zweite Bitte, die Reichsbitte, als die höchste und größte, aber wir fassen die dritte Bitte als die Fortsetzung und nochwendige Ergänzung der zweiten Bitte auf.' Denn Gottes Wille ist des Menschen Himmelreich. Darum, wer das Reich Gottes haben und halten will, der halte fest an diesem Gebet: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden! Amen.

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