Quandt, Carl Wilhelm Emil - Der Beschluß.

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Der Beschluß.

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Es stand in alter Zeit, so berichtet ein sinnvolles schwedisches Lied, im hohen Norden ein dichter Wald und in dem Walde ein Kloster, und in dem Kloster lebte ein Mönch frommen Gemüths und forschenden Geistes. Dieser Mönch geht an einem Frühlingsmorgen betend und sinnend hinein in den Wald und kommt unter dem Beten und Sinnen immer weiter und weiter. Und siehe, der Wald wird immer schöner und prächtiger. Längst hat er die Eichen und Tannen hinter sich, dann ist er durch Myrtenbüsche gegangen, dann durch stattliche Reihen von Cedern, und endlich sieht er sich von lauter Palmen umgeben. Er will stehen bleiben, er ist wie ein Träumender, aber der von fern her klingende Gesang eines Vogels lockt ihn weiter. Aus dem Wipfel einer Palme ertönt er, und zu ihrem Fuße steht der Mönch endlich still, hinanstaunend nach dem Vogel mit dem prächtigen Gefieder und dem wunderbaren Sange. Und der Vogel singt so wehmüthig, als klagte er um Vergangenes und Verlorenes, aber diese Töne der Wehmuth sind nicht die Grundtöne des Gesanges, sondern dazwischen hindurch klingt eine freudige, selige Melodie von einer ewigen, unvergänglichen Herrlichkeit. Der Mönch horcht entzückt; ihn umweht es wie Luft des Paradieses, und seine Augen fließen über von Thränen gestillter Sehnsucht.

Wir sind miteinander auch durch einen wundersamen Wald gegangen - durch den heiligen Wald des Vaterunsers. Betend und sinnend haben wir ihn durchschritten, vorüber sind die Eichen, vorüber die Myrten und Cedern; nun stehn wir am Fuße der Palme, von ihrem Wipfel schallt uns der Gesang des Paradiesvogels entgegen, leise klingen die drei dunklen Töne Schuld und Versuchung und Uebel noch nach, aber sie tragen eine Melodie gar fröhlich und gar selig und unaussprechlich herrlich, ein Lied durchhaucht von dem Athem aus der ewigen Stille. Das ist das Lied, Engel und Erzengel schlagen ihre Harfen und stimmen mit ein, und erlöste Sünder der Erde beten es jauchzend mit: Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Wir kennen alle diese letzten Worte des Vaterunsers unter dem Namen „der Beschluß.“ Es giebt noch einen schöneren Namen, als diesen von einer ganz äußerlichen Betrachtung gegebenen. Die Alten nannten die letzten Worte des Vaterunsers „die Doxologie“, das ist: die Lobpreisung. Dieser Name trifft das Wesen der Worte. Denn die Schlußworte des Gebetes des Herrn sind eben keine Bitte mehr, sondern ein Preis des Vaters im Himmel; ein Preis, wie er am Ende des Vaterunsers, selbst wenn er in der Bibel fehlte, von selbst in jedem wahrhaft betenden Herzen aufsteigt.

Mit dem Wörtlein „denn“ ist die Doxologie an die sieben Bitten gekettet. Wir können getrost und mit guter Zuversicht zu unserm Vater im Himmel flehen um die Heiligung seines Namens, um das Kommen seines Reiches, um das Geschehen seines Willens, um unser täglich Brod, um Vergebung unsrer Schuld, um Bewahrung in Versuchungen, um Erlösung vom Uebel; denn der, zu dem wir flehn, ist kein erdachter Gott, wie die Götter Griechenlands, auch kein ohnmächtiger Gott, wie jener Götze der Baalspfaffen, sondern der, zu dem wir Christen flehn, ist der große lebendige, majestätische Herr und Gott und Vater im Himmel, dessen das Reich ist und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Sein ist das Reich! Ihm ist Niemand zu vergleichen, er ist Monarch in dreien Reichen. Doch in des Gnadenreiches Grenzen sieht man ihn am schönsten glänzen. Auf diesem seinem Gnadenreiche, das er mitten in der abgefallenen, sündigen Welt aufgerichtet hat in Jesu Christo, ruht am Schlusse der sieben Bitten unser Auge, und wir sagen uns: Wohl haben wir's nimmermehr verdient, daß die allerhöchste Majestät ihr Ohr auf unser Flehn neige; aber wir liegen auch nicht vor Gott auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf seine Barmherzigkeit, nämlich auf seine Barmherzigkeit in Jesu Christo, durch welchen er aufgerichtet hat unter uns ein Reich der Gnade, in welchem er um Jesu willen sich gegen uns arme Sünder als ein gütiger Vater gegen liebe Kinder stellt. Der uns seinen Sohn gegeben, sollte er uns mit ihm nicht Alles geben? Der uns in das Reich des Sohnes berufen, sollte er uns versagen, was wir in Jesu Namen als seine Unterthanen bitten? Nein, sein ist das Reich, das Gnadenreich, und in diesem Reiche leben wir, angenehm gemacht in dem Geliebten, so können wir gewiß sein: Er will uns erhören.

Ja, der göttliche Reichsherr ist tausendmal williger zu geben, als wir zu nehmen, bereiter zu erhören, als wir zu bitten. Er späht und horcht den ganzen Tag, ob nicht sein Volk zu ihm seine Hände ausstrecke und seine Seufzer zu ihm schicke; und sein Vaterherz wallt ihm vor Verlangen, sich zu öffnen für Alle, die ihn anrufen. So wahr sein das Reich, das Reich der Gnade ist, so wahr ist's auch: Er will erhören.

Es ist ja auch das wahr, Mancher bittet und erlangt nichts; aber das geschieht darum, weil er übel bittet. Doch wer im Namen Jesu betet d. h. sowohl in seinem Sinne, also wenn auch nicht immer mit Vaterunserworten, so doch immer mit Vaterunser-Gedanken und Gefühlen, als auch vor allen Dingen eingehüllt in Jesu Blut und Gerechtigkeit, der kann gewiß sein, Gott will ihn erhören, so wahr er uns in das Reich der Gnade Jesu Christi aufgenommen hat. Er wird sein Volk nicht verstoßen, noch sein Erbe verlassen. Im alten Griechenland lebte einst ein berühmter Feldherr, Themistocles. Derselbe wurde von seinen eigenen, neidischen Landsleuten ins Elend getrieben, und wußte nicht, wo er sich hinwenden sollte, als zu dem König Admet. Weil aber dieser auch sein abgesagter Feind war und er sich das Schlimmste von ihm besorgen mußte, ergriff er im Vorzimmer des Königs Söhnlein, nahm es auf die Arme und sprach: „König Admet, im Namen dieses Kindes, das du lieb hast, bitte ich dich um Gnade. Um dieses deines Sohnes willen nimm mich in Schutz!“ Dadurch bewegte er das Herz des Königs also, daß er ihm Erhörung zusagte und ihm seinen Schutz angedeihen ließ. Gleicherweise erlangen wir, die wir an den Sohn Gottes glauben und in seinem Reiche ihm dienen, im Namen dieses Sohnes allezeit Zugang bei dem König der Könige und können immerdar der guten Zuversicht sein: Er will uns erhören um Jesu willen. Sein ist das Reich, das Reich der Gnade Jesu Christi - auf diese seine Reichsgnade bauend, vertrauen wir: Er will uns erhören. „Wohl mir, ich bitt' in Jesu Namen, der mich zu Deiner Rechten selbst vertritt! In ihm ist Alles Ja und Amen, was ich von Dir im Geist und Glauben bitt'.“

Sein ist das Reich und die Kraft. So hat er denn nicht nur den Willen, uns zu erhören, er hat auch die Macht dazu: Er kann uns erhören.

Menschliche Liebe kann nicht immer, wie sie will. Es giebt unzähliges, herzzerreißendes Elend auf Erden, dem gegenüber auch der liebebrünstigste und mächtigste Mensch ohnmächtig die Hände ringt. Karl V. war ein so weitgebietender Kaiser, daß man sagte, in seinem Reiche ginge die Sonne nicht unter. Er hatte einen Diener, den er lieb hatte; dieser Diener, nachdem er ihm lange treu gedient, wurde todtkrank. Der Kaiser besuchte ihn und fragte ihn, ob er sich nicht noch eine Gnade ausbitten wolle. Der Kranke sagte, er habe keine andere Bitte, als daß ihm noch einige Stunden das Leben gefristet werden möge. Der Kaiser erwiederte traurig, solches stehe nicht in seiner Macht; da seufzte der Kranke und rief: „Ach, ich elender Mensch! Der, dem ich so viele Jahre treulich gedient habe, kann mir nicht einmal um einige Stunden das Leben verlängern!“ Fürsten sind Menschen vom Weibe geboren und kehren um zu ihrem Staub; ihre Anschläge sind auch verloren, wenn nun das Grab nimmt seinen Raub. Weil denn sein Mensch uns helfen kann, rufe man Gott um Hülfe an. Hallelujah, Hallelujah!

Ja wohl, Hallelujah, daß wir einen Gott haben, dessen die Kraft ist; einen kräftigen, allmächtigen Gott, der immer helfen kann, wenn er helfen will. Gelobet sei Gott der Herr, der Gott Israels, der allein Wunder thut. Wo ist ein Gott im Himmel und auf Erden, der es seiner Macht könnte nachthun? Er hat im Anfang durch seine große Kraft die Erde gemacht, er führt nach seiner Kraft die Sterne am Himmel aus, daß ihrer keiner fehlt. Er hat mit großer Kraft und ausgerecktem Arm Israel aus Egypten geführt; wo er mit seiner Kraft sich erhebt, werden die Widerwärtigen zerstreut, wie die Spreu vom Winde. Er kann geben und nehmen, verwunden und heilen, tödten und lebendig machen nach seinem Wohlgefallen. Weg hat er allerwege, an Mitteln fehlt's ihm nicht. Bei unserm Gott ist kein Ding unmöglich; sein ist die Kraft ohne Maaß; darum kann er allezeit thun, was die Gottesfürchtigen begehren, und ihnen helfen.

An dieser seiner Helferkraft soll uns auch nicht irre machen das moderne Gerede, als ob es unmöglich sei, daß ein menschliches Gebet irgend welchen Einfluß haben könne bei Gottes von Ewigkeit her feststehenden Weltplane. Der Gott der Schrift ist nicht ein Mechanikus, daß er am Anfang der Tage die Maschinerie der Welt vollendet und seitdem sie ihrem eignen Gange überlassen hätte. Nein, der Gott der Schrift ist ein lebendiger Gott, der seine Kraft nicht verkauft hat an unabänderliche Naturgesetze, sondern in seiner Schöpfung fort und fort wirksam ist und seine Heiligen durch ihre Reichsgebete an dieser seiner lebendigen, göttlichen Wirksamkeit Theil nehmen läßt. Die Welt und die Weltgeschichte nehmen sich im Lichte des Glaubens eben etwas anders, etwas erhabener aus, als im Lichte jener kümmerlichen Lampe, die die alte Wettermacherin Vernunft alle Abend mit dem Oel der öffentlichen Meinung tränkt. Sein ist die Kraft, vor der die Berge zittern und die Hügel zergehn, vor der das Erdreich bebet, dazu der Weltkreis und alle, die darin wohnen; sein ist die Kraft, und wer im Namen Jesu ein Vaterunser betet, nimmt Theil an dieser seiner Kraft und geht einher in der Kraft des Herrn Herrn. Rühmet, ihr Menschen, den hohen Namen deß, der so große Wunder thut; Alles, was Odem hat, rufe Amen und bringe Lob mit frohem Muth! Eine Geschichte für viele, zum Beweise, daß Gott in jedem Augenblick die Macht hat, seinen Kindern zu helfen, wenn ihnen Hülfe noth thut. Ein treuer Gottesmann, Fresenius, Prediger in Frankfurt a. M. (gest. 1760), traf einst seine Mutter während ihres Wittwenstandes betrübt und in Verlegenheit um einen Thaler, den sie gerade in dieser Stunde nothwendig brauchte und nicht herbeizubringen wußte. Er antwortete auf ihre Klage: „Auch mir scheint es nothwendig, daß Sie den Thaler bekommen; ich wende daher diese Sanduhr um und versichere Sie, daß der Thaler, wenn er in der That nöthig ist, wirklich hier auf dem Tische liegen soll, ehe die Uhr ausgelaufen ist. Liegt er nicht da, so wird uns Gott nach dieser Stunde überzeugen, daß er so nothwendig nicht war, als wir beide meinten.“ Die Sanduhr war kaum zur Hälfte ausgelaufen, so traf ein Bote, der über acht Stunden weit herkam, bei Fresenius ein und überbrachte einen Thaler, den ihm jemand noch schuldig war. - Die Familie wurde später im Zeitlichen sehr gesegnet; aber dieser Thaler war ihnen fortwährend kostbarer, als die reichste Einnahme. Das wieder eingewechselte Geldstück ward ihnen zu einer Denk- und Schaumünze mit der Umschrift: „Siehe, daß ich helfen kann.“

Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. So hat er nicht nur den Willen, uns zu erhören, dazu nicht blos die Macht, uns zu erhören, sondern auch die heilige Verpflichtung, uns zu erholen; wir reden kühnlich: Unser Gott muß uns erhören.

Gottes Herrlichkeit ist seine auswendige Heiligkeit. Nach dieser seiner Heiligkeit muß Gott gläubige Reichsgebete allezeit erhören. Denn so wenig er an die Naturgesetze gebunden ist, so sehr ist er an die Gebete der Reichsgenossen gebunden durch seine Gebote und durch seine Verheißungen. Er hat uns in der Schrift tausendfach geboten zu beten; seine Ehre erfordert es, daß er die Supplikate erhört, die er selbst veranlaßt hat. Er hat uns in der Schrift die köstlichsten und großartigsten Verheißungen gegeben, daß er uns will erhören; seine Majestät erheischt es, daß er sein gegebenes Gotteswort in jedem einzelnen Falle einlöst. Dazu kommt, daß die Sache, um die die Kinder des Reichs in ihren Reichsgebeten Gott den Herrn anflehn, einestheils zwar ihre, anderntheils aber auch Gottes eigne Sache ist; denn nicht blos die Heiligung des göttlichen Namens, das Kommen seines Reichs und das Geschehen seines Willens berührt die eigensten Interessen Gottes, sondern auch das Wohl begnadigter Sünder nach Leib und Seele ist verflochten mit Gottes eigener Ehre, und seine ganze Gottesherrlichkeit fiele dahin, sobald ein einziger Beter, der an die Gnade Gottes in Jesu Christo von Herzen glaubt, umsonst geglaubt und vergebens gebetet hätte. Sein ist die Herrlichkeit - er muß uns erhören.

Auf diese Herrlichkeit Gottes stützte und steifte sich Dr. Luther, als er zu Weimar für den auf den Tod erkrankten Melanchthon zu Gott schrie. „Allda, so erzählt er von diesem seinem Gebete selbst, mußte mir unser Herr Gott herhalten. Denn ich warf ihm den Sack vor die Thüre und rieb ihm die Ohren mit allen Gebetsverheißungen, die ich in der heiligen Schrift zu erzählen wußte, daß er mich mußte erhören, wo ich anders seinen Verheißungen trauen sollte.“ Darauf ergriff der kühne Beter den kranken Melanchthon bei der Hand und sprach: Sei gutes Muths, Philippe, Du wirst nicht sterben! , Und Philippus wurde je länger, desto munterer und erhielt bald seine frühere Stärke wieder zur Ehre und zur Herrlichkeit Gottes, der seinen Knechten Wort hält und erfüllt, was er ihnen verheißen hat.

Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Gott will erhören, Gott kann erhören, Gott muß erhören, was seine Auserwählten bitten, und zwar nicht blos gestern, sondern auch heute und in Ewigkeit. Sein Reich hat kein Ende, und seine Kraft hat kein Ende, und seine Herrlichkeit hat kein Ende; darum können wir allezeit gewiß sein: Gott wird uns erhören!

Gott hat in vergangenen Zeiten seinen Betern manchmal und mancherlei Weise in glänzenden Erholungen seine Liebe, seine Macht und seine Herrlichkeit bewiesen. Als der Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs hat er im alten Bunde, als der Vater Jesu Christi hat er im neuen Bunde allen seinen Betern fort und fort sich als ihren Erlöser und Nothhelfer bezeugt. Wird er das auch ferner noch thun? Wir wissen ja, wie oft Menschenliebe wechselt und dahinsinkt. Jacob sahe das Angesicht Labans, und siehe es war nicht gegen ihn wie gestern und ehegestern. „Ach, ich Hab' ihn auch gefühlt Labans kalten Blick, wenn die Liebe abgekühlt stumm sich zog zurück, wenn ein Herz, das treu und warm einst an meinen schlug. Plötzlich kalt und liebearm sprach: Es ist genug!“ Wir wissen auch, wie bald Menschenkraft und Menschenherrlichkeit dahin sinkt, wie bald die Hand erlahmt, die uns zum stützenden Stabe und zum deckenden Schilde diente, wie bald auch solche Augen, die von den Höhen des Lebens freundlich auf uns herabschauen, einfallen und brechen! Ist es mit der Liebe und mit der Macht und mit der Herrlichkeit Gottes auch also? Nein, sie währen in Ewigkeit. Sein Reich, darin seine Liebe in Jesu Christo waltet, ist ein ewiges Reich; es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, unser Erbarmer. Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen, spricht der Herr, unser Erbarmer. Alles Ding hat seine Zeit, Gottes Lieb' in Ewigkeit. Auch seine Kraft, mit der er schaffen kann was er will, und erhören kann, wen er will, ist eine ewige Kraft; seine Gotteshand wird niemals müde, daß sie nicht erlösen könnte; er übet Gewalt mit seinem Arme immerdar. Auch seine Herrlichkeit, mit der er seine Verheißungen erfüllt, ist eine ewige Herrlichkeit; es ist nimmer aus mit seiner Güte, und seine Verheißung hat kein Ende; Gott ist ein treuer und wahrhaftiger Gott; er ist's, der Herrscher aller Welt, welcher uns ewiglich Glauben hält. Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Er will, er kann, er muß, er wird erhören!

Amen, das heißt: daß ich soll gewiß, nun ganz gewiß sein, solche Bitten sind dem Vater im Himmel angenehm und erhöret, denn er selbst hat uns geboten, also zu beten und verheißen, daß er uns will erhören. Indem wir dieses Wörtlein Amen aus unsere Lippen nehmen, geben wir der felsenfesten Gewißheit der Erholung, wie sie aus Gottes Liebe, Macht, Herrlichkeit und Ewigkeit hervorgeht, einen letzten zusammenfassenden, triumphirenden Ausdruck, sprechen aber zugleich damit eine Gewißheit der Erhörung aus, wie sie, abgesehn von allen Offenbarungen, durch die tiefsten Gefühle des Gewissens und heiligsten Ahnungen des Herzens verbürgt ist, durch Gefühle und Ahnungen, für die die Menschensprache keine Worte hat. Amen, das heißt noch mehr, als: Gott will, Gott kann, Gott muß, Gott wird mich erhören; Amen - wir setzen mit diesem Worte den Fuß auf die höchste Stufe des Thrones Gottes und sprechen damit aus, was wir unserm Gott aus seinen Augen lesen: Er erhört mich, er hat mich schon erhört!

Es liegt in diesem Wörtlein Amen als in dem innigsten, großartigsten, erhabensten Laute menschlicher Gewißheit der Gebetserhörung ein Mysterium tremendum, ein seliges Reichsgeheimniß, verborgen dem Verstande der Verständigen und der Klugheit der Weisen, aber kündlich groß der frommen Einfalt kindlicher Gemüther. Eine alte, einfältige Wittwe in der Uckermark hat es in unsern Tagen verstanden, ihr Gebet mit einem siegreichen Amen zu schließen. Sie kam eines Tages zu ihrem Pfarrer und sagte in platter Sprache: „Ich bin lange krank gewesen und habe nichts verdienen können, da hab' ich meinen lieben Herrn gebeten, er möge mir sechs Thaler schenken, und er hat auch Ja gesagt!“ „Ei, sagte der Pastor, wie denn?“ „Ja, versetzte sie, er hat gesagt: Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich thun. Ich habe ihn gebeten. Nun wollte ich Sie bitten, daß Sie an die Regierung schreiben, damit ich das Geld bekomme.“ „Ja, sagte der Pfarrer, wie kann ich das thun? Die Regierung kann doch nicht Jedem, der Geld nöthig hat, etwas schicken.“ „O, antwortete sie, es bekommt ja doch so manche Küsterfrau eine Unterstützung. Was ich Ihnen sage, schreiben Sie nur; ich bekomme schon auch etwas.“ Da half denn keine Widerrede; der Pfarrer schrieb, was sie gesagt, erklärte, daß er sie nicht hätte abweisen können, und bat um fünf Thaler, nicht eingedenk, daß sie sechs gesagt hatte. Er liest ihr das Schreiben vor, und fragt: „Ist's so gut?“ „Nein, sagte sie, sechs müssen's sein!“ „Ach, versetzte er, das habe ich versehn, und abändern läßt es sich nun nicht mehr. Nun muß es dabei bleiben, was ich geschrieben habe.“ „Nun, erwiedert sie, sechs krieg' ich doch,“ lacht freundlich und geht. In der Woche ist eine Erbauungsstunde in der Kirche. Die Alte sitzt, wie immer, andächtig an den Stufen des Altars. Nach der Andacht fragt sie ihren Pastor: „Ist's schon da?“ „Nein,“ ist die Antwort. Aber bald darauf kommt ein Brief von der Regierung, darin heißt es: „Auf Ihren Antrag bewilligen wir ein für alle Mal der armen Wittwe eine Unterstützung von sechs Thalern.“ Als die Alte kommt, langt der Pfarrer fünf Thaler heraus und legt sie hin. „Ei, sagte sie, sechs müssen's sein, rücken Sie's nur heraus.“ Und er mußte ihr nun den sechsten Thaler auch geben. Diese uckermärkische Wittwe hat sich auf das Amen beim Beten verstanden; sie hat nicht nur gewußt: Gott will mich erhören, Gott kann mich erhören, Gott muß mich erhören, Gott wird mich erhören, sie hat auch gewußt: Gott erhört mich, Gott hat mich schon erhört! Amen, Amen, das heißt: Ja, ja, es soll also geschehen!

Das Wort Amen aber ist doch noch mehr, als das menschliche Schlußwort beim Gebet, es ist auch, wie ein schönes altes deutsches Sprüchwort sagt, des lieben Gottes großes Siegel. Am Schluß eines gläubig gebeteten Vaterunsers, jedes im Namen Jesu gebeteten Gebets ruft nicht nur der Mensch aus der Tiefe in die Höhe, sondern Gott selbst von der Höhe herab in die Tiefe: Amen, das ist, ja, ja, es soll also geschehen! Der Mensch, indem er Amen sagt, spricht zu seinem Gotte: du willst, du kannst, du mußt, du wirst erhören, du erhörst! in demselben Augenblick aber tönt es als Echo von Gott im Himmel hernieder: Ich will, ich kann, ich muß, ich werde erhören und ich erhöre!

Gott spricht nun sein Amen zwar immer zu jedem gläubigen Gebet, aber er spricht es in göttlicher Art. Er erhört immer und in jedem Falle; aber da seine Gedanken höher sind, als unsere Gedanken, so erhört er oft anders, als wir denken und erwarten. Wenn Moses für seine aussätzige Schwester Mirjam zum Herrn schrie und sprach: „Ach Gott, heile sie!“ und siehe, der Aussatz ward von ihr genommen, so erhörte Gott Mosis Gebet nach Mosis eigenen Gedanken. Wenn aber Moses später für sich selber betete: „Herr, laß mich sehen das gute Land jenseit des Jordans!“ der Herr aber ihn statt in das irdische, in das himmlische Canaan versetzte, daß er daselbst ruhe von aller seiner Arbeit, so erhörte Gott zwar auch dieses Gebet Mosis, aber nicht nach Mosis, sondern nach seinen viel höheren göttlichen Gedanken. Und ähnlich bittet manche Mutter für die Genesung ihres Kindes im Glauben, und Gott erhört sie, und das Kind verläßt das Bette und spielt wieder fröhlich zu der Mutter Füßen. Und eine andere Mutter bittet um das Gleiche für ihr krankes Kind - aber siehe, das Leben des Kindes wird vom Tode zerschnitten und hat ein jähes Ende, gleich wie eine Spieluhr plötzlich entzwei geht und verstummt mitten in einer angefangenen Melodie - und dennoch, der Herr hat auch das Gebet dieser Mutter erhört, nur nach seinen höheren Gedanken, er hat dem Kinde die ewige Gesundheit geschenkt, indem er es in das Paradies versetzt hat, wo die Kinder ihren Müttern aufgehoben werden, damit sie unverloren sein. Gott erhört jedes gläubige Gebet, aber seine Art zu erhören, geht hier in diesem Jammerthale oft über unser Verständlich.

Einst aber wird kommen der Tag. wo wir im dichte schauen und verstehen werden, was wir hier geglaubet haben. Sind wir auch hier bei jedem Gebete im Glauben gewiß der Erhörung, so wissen wir doch hier oft nicht, was Gott thut und wie er's meint. Dort aber werden wir's erfahren. Dort werden wir Jesum Christum schauen von Angesicht zu Angesicht als das persönliche gottmenschliche Amen aller unsrer gläubigen Erdengebete, wie St. Johannes ihn schaute in der Offenbarung Joh. 3, 14. Und in dem geschauten Christus der Ewigkeit, als dem persönlichen Ja und Amen, werden sich alle Dissonanzen dieser Zeit, auch die Dissonanzen des Glaubens- und Gebetslebens harmonisch lösen, und wir werden im seligen Anschauen seiner Herrlichkeit, die da ist die Herrlichkeit Gottes, mit allen Engeln und Erzengeln in Ewigkeit singen und jauchzen in höherem Chor: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Ei, was wird das für Wonne sein, wenn wir im Himmel alle die Millionen göttlicher Amen zählen und bewundern werden, die der Herr auf all' die Millionen menschlicher Vaterunser gesprochen, die in dieser Zeitlichkeit von gläubigen Betern zu seinem Throne geschickt sind. Helfe uns nur Gott, daß wir in den Himmel kommen! Wir werden aber hineinkommen, wenn wir uns hineinglauben und hineinbeten; und wir werden uns hineinbeten, wenn wir täglich gläubig beten: Vater unser, der Du bist im Himmel. Geheiliget werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden. Unser täglich Brod gieb uns heute. Und vergieb uns unsere Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung. Sondern erlöse uns von dem Uebel. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Wir stehen am Ende unserer Betrachtungen über das heilige Vaterunser. Gebe Gott, daß sie unsere Ehrfurcht gemehrt haben vor dem hochheiligen Gebete, das dem liebreichen Herzen des Herrn Jesu entquollen und aus seinem holdseligen Munde geflossen ist, daß sie jene fromme, heilige Zartheit der alten Kirche in uns wach gerufen haben, die ihren Täuflingen, wenn sie sie das Vaterunser lehrte, zurief: „Nehmet hin dies theure Kleinod und bewahret es; nehmet hin das Gebet, welches vor Gott zu bringen Gott selber gelehrt hat!“'

Ob unsere Betrachtungen uns auch gefördert haben in der heiligen Kunst, das Gebet des Herrn zu beten im Sinne des Herrn? Nun, sie haben ihren Zweck erreicht, wenn sie uns auch nur zu dem Geständniß des lieben Wandsbecker Boten geführt haben, zu dem Geständniß, mit dem wir schließen: „Das Vaterunser ist ein für alle Mal das beste Gebet; denn wir wissen, wer es gemacht hat. Aber kein Mensch auf Gottes Erdboden kann es so nachbeten, wie er es gemeint hat; wir krüppeln es nur von ferne. Einer noch immer armseliger als der Andere. Das schadet aber nicht, wenn wir's nur gut meinen. Der liebe Gott muß doch immer das Beste thun, und der weiß, wie's sein soll.“

Dem aber, der überschwänglich thun kann über Alles, das wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirket, dem sei Ehre in der Gemeine, die in Christo Jesu ist, zu aller Zeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

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