Quandt, Carl Wilhelm Emil - Die sieben Bitten.

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Die sieben Bitten.

Es ist eine bekannte Predigerrede, die Rede, mit welcher zum Schlusse der kirchlichen Gottesdienste die Gläubigen aufgefordert werden, das Vaterunser zu beten, die Rede: „Alles, was wir sonst noch auf dem Herzen haben, lasset uns zusammenfassen in das Gebet des Herrn.“ Man hört diese Rede so oft, daß man sie meist hinnimmt als eine fromme Formel, ohne zu bedenken oder zu ahnen, welch' tiefer Sinn in ihr liegt. Fürwahr, es liegt dieser Art zu reden eine sehr tiefe Wahrheit zu Grunde. Alles, was ein Christenmensch dem großen Gott und Vater gegenüber auf dem Herzen hat, wenn er betend im Geiste vor seinem Angesichte steht, die ganze Welt von Seufzern, die im tiefen Grunde einer gläubigen Seele ruhen, alle ihre großen und kleinen Anliegen und Wünsche, die ganze unendliche Fülle unserer nur von Gott zu befriedigenden Bedürfnisse hat der Meister mit der gelehrten Zunge, Christus Jesus, unser himmlische Vorbeter, in den Vaterunserbitten zusammengefaßt, wie nur Er es zusammenfassen konnte, so großartig und so einfach, daß die Großen in Israel nichts Größeres beten und doch auch die kleinsten Kinder nichts Einfältigeres stammeln können.

Sieben Bitten sind wir im Vaterunser zu zählen gewohnt nach dem Vorgange der großen Kirchenlehrer Augustinus und Luther. Sieben ist die heilige Zahl des Bundes zwischen Gott und Menschen, geweiht im Anfang, da Gott Himmel und Erde in sechs Tagen schuf und Sabbath hielt am siebenten Tage. Diese heilige Sieben klingt hervor aus der Tonleiter der Musica, der nachgebornen Tochter der paradiesischen Harmonie zwischen Gott und Menschen. Sie leuchtet hervor aus der Farbenleiter zwischen Himmel und Erde, aus dem Zeichen Gottes in den Wolken, aus dem Regenbogen. So ist sie auch die Zahl der heiligen Bitten, die der Mittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Menschen, diejenigen Menschen der Erde beten lehrt, die durch Ihn zu Gott kommen.

Diese sieben Bitten nun erhalten eine natürliche Zweitheilung durch das dreimalige Dein in den drei ersten Bitten und durch das viermalige uns in den vier letzten Bitten. Erst die hohen Bitten, dann die tiefen Bitten, erst die Seufzer für Gott, dann die Seufzer der Noth - so theilen sich die Bitten. Es ist ähnlich wie mit den heiligen zehn Geboten, deren erste Tafel Gottes Ehre, deren zweite Tafel der Menschen Wohl und Wehe in's Auge faßt. Indessen dort wie hier ist die Zweiteilung keine Scheidung. Denn Gottes Ehre ist auch die Ehre seiner Kinder, und unsre Noth ist auch Gottes Noth, und unser Wohl auch sein Wohl. Aber es gebühret den Kindern erst den Vater zu grüßen, ehe sie sagen, was ihnen selber fehlt.

Und wenn es nun drei Gott geweihte Grüße sind, die unser Heiland au der Spitze der sieben Bitten vor dem Throne der Majestät uns aussprechen lehrt, so liegt es nahe, an eine Beziehung dieser drei Gott geltenden Bitten auf die heilige Dreieinigkeit zu denken. Und allerdings die drei ersten Bitten bilden auch unverkennbar eine dreieinige Bitte, nämlich eine Bitte, die da ersieht die Heiligung des Vaternamens Gottes im Reiche des Sohnes durch die Kraft des heiligen Geistes, der unsern Willen befreit und beseelt. So haben die drei ersten Bitten eine gewisse Gleiche mit dem zweiten Hauptstück, dem Hauptstück von unserm allerheiligsten Glauben, als dem Glauben an Gott den Vater, Sohn und heiligen Geist.

Die vier letzten Bitten sind vier Seufzer der Noth Leibes und der Seele. Vier ist in der Schrift das Zahlzeichen des Creatürlichen und Zeitlichen; vier Gegenden hat die Welt, vier Zeiten das Jahr, vier Zeiten auch der Tag, und vier Elemente bilden die Welt. Der Cherubim vor Gottes Thron, der Repräsentanten aller Creatur, sind vier. So faßt sich auch in vier Bitten zusammen, was der Mensch, diese Welt im Kleinen, von Gott für sich zu erbitten hat, Brod für den Leib und Vergebung für die Seele, Bewahrung vor der Sünde für Leib und Seele, endlich Erlösung von allen Fesseln Leibes und der Seele.

Dieses letzte Vierfache aber und jenes erste Dreieinige faßt sich, wenn man's genau besieht, schon in jeder einzelnen Bitte zusammen. Jede einzelne Bitte ist das Vaterunser im Kleinen und zielt wie auf die Ehre des Dreieinigen im Himmel, so auf das Wohl Leibes und der Seele seiner Kinder auf Erden. Darum läßt sich auch bei der Einzelbetrachtung der sieben Bitten keine strenge Scheidung in sieben verschiedene Gebiete durchführen. Siebenmal tauchen wir in das Meer des Gebetes, und sieben verwandte Perlen holen wir aus diesem heiligen Meeresgrunde herauf; im Glanze jeder der sieben spiegelt sich Gottes Ehre und die Noth der Welt; möge es Gott gefallen, den besonderen Glanz, den jede einzelne hat, uns auch in etwas erkennen zu lassen.

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