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Neander, August - Pauli Bekehrung.

Neander, August - Pauli Bekehrung.

Der Apostel, dessen Andenken wir an diesem Tage feiern, ist mit Recht durch den Namen des „Apostels der Heiden“ ausgezeichnet worden. Alle Millionen der Heidenvölker, welche bisher bekehrt worden, und bis zur letzten Erfüllung der Verheissungen des Herrn noch werden bekehrt werden, haben ihm besonders das Evangelium und somit ihr Heil zu verdanken. Er ist dazu erkoren worden, das Evangelium in seiner Unabhängigkeit von dem Gesetz des alten Bundes und so in der Gestalt zu verkündigen, in der es zu allen Geschlechtern der Menschen und allen Völkern ohne Unterschied gebracht werden konnte. Und damit hängt zusammen, daß durch ihn besonders die Grundwahrheiten, welche den Mittelpunkt und Angelpunkt des neuen Bundes bilden, unabhängig von allem andern mit Flammensprache in den Herzen eingeschrieben worden sind: der Gegensatz von Sünde und Gnade, Adam und Christus, der alte und der neue Mensch, das Gesetz und das Evangelium von dem Heil in Christo. Dies ist es, was dem Christenthum seinen Anschliessungspunkt in den Gemüthern aller Menschen, unter allen Himmelsstrichen, bei aller Verschiedenheit der Bildungsstufen immer gewährt hat und immer gewähren wird. Denn wie der Mensch nur aus dem Schlamm der Erde auftaucht und zum Bewußtsein seines wahren höhern Selbst gelangt, muß er sich der Knechtschaft, in welcher diese seine höhere, gottverwandte Natur schmachtet, bewußt werden, und das Verlangen nach einer Befreiung, nach einer Erlösung muß in ihm entstehen, welches nur in Christo seine Befriedigung finden kann. Keine Höhe menschlicher Bildung kann dem Menschen jenes Wasser des Lebens, das allein Christus dem sich belastet und niedergedrückt fühlenden Gemüth zu verleihen vermag, ersetzen; ohne jenes Wasser wird doch Alles, was noch so herrlich zu blühen scheint, in Fäulnis übergehen, wie solche Fäulnis unsrer heutigen Bildung droht, wenn sie nicht wieder zu dem Grunde sich hinwendet, von dem sie unter den Heidenvölkern durch die Verkündigung des Paulus ursprünglich ausgegangen. Dieser Apostel gehört in einem besondern Sinne unsrer evangelischen Kirche an, wie sie sich aus der durch Luther unter der gnädigen Leitung des Herrn vollbrachten Reformation entwickelt hat; denn wie dieser Apostel dazu erwählt worden, das Evangelium darzustellen in seinem Gegensatz mit dem Alten Bunde und im Kampf mit allen Versuchen, es zu demselben wieder herabzuziehen, so ist die evangelische Kirche in ihrem Ursprung davon ausgegangen, daß im Gegensatz zu einer neuen Vermischung des Gesetzes und des Evangeliums, des Judenthums und des Christenthums, das Evangelium wieder in seiner Selbstständigkeit hergestellt werden mußte. Und um diese Reinigung des Christenthums zu vollziehen, mußte eben wieder auf den Paulus zurückgegangen werden.

Die deutsche Reformation ist das Werk desselben Paulus, der jenen Kampf mit Juden und jüdischgesinnten Christen zuerst siegreich bestand.

Wie nun Paulus zu diesem außerordentlichen göttlichen Beruf bestimmt war, so ist er durch einen Zusammenhang unberechenbarer großer Fügungen für denselben gebildet worden. Er selbst war sich dessen wohl bewußt, wie er sagt (Gal. 1, 15.), daß ihn Gott dazu ausgesondert habe von seiner Mutter Leibe an und dazu berufen durch seine Gnade.

Er stammte von jüdischen Aeltern ab, und wurde geboren, erhielt seine erste Erziehung in der Stadt Tarsus in Cilicien, wo griechische Sprache und Bildung vorherrschte. Sein ursprünglicher Name war Saul, welches Wort nach der ursprünglichen Bedeutung im Hebräischen den Erbetenen, Ersehnten bezeichnet, und es kann dieses wohl vermuthen lassen, - wenn es sich auch nicht beweisen läßt - daß er der erstgeborne Sohn seiner Aeltern war, der ihnen geworden, nachdem sie um eine Frucht ihrer Ehe lange gebetet hatten, ein Kind des Gebetes. Solche Söhne pflegte man besonders dem Dienst Gottes zu weihen, und so wurde Saul von seinen Aeltern dazu bestimmt, der Erforschung des Gesetzes und der Auslegung desselben von früher Jugend an sich hinzugeben. Sein ursprünglicher Name wurde in eine mehr römisch-griechische Gestalt umgebildet, Paulos, sei es, daß er von Anfang an diese beiden Namen führte, den einen für den Umgang mit den Juden, den andern für den Umgang mit den Griechen, oder sei es, daß er erst später, als ihn sein Beruf mit Heiden besonders umgehen ließ, seinen ursprünglichen Namen so umgestaltete; auf alle Fälle trat eben deshalb jene ursprüngliche Gestalt seines Namens gegen die spätere römische Umgestaltung ganz zurück und der Name Paulos wurde ihm der bleibende.

Vermöge jener von seinen Aeltern ihm gegebenen Bestimmung wurde er als Knabe nach Jerusalem gesandt, um in den Pharisäerschulen zum Gottesgelehrten sich zu bilden. Einer der bedeutendsten Männer unter den Gesetzeslehrern jener Partei, Gamaliel, war sein Lehrer. Wie es für Luthers Bildung zur Gründung der evangelischen Kirche so wichtig war, daß er die damalige scholastische Theologie studieren und vortragen mußte, als deren Gegner er nachher auftreten sollte; so war es für die Bildung des Paulus zum Apostel der Heiden besonders wichtig, daß er die pharisäische Theologie so eifrig studieren mußte, um nachher das Evangelium im Gegensatz mit derselben desto tiefer erkennen und auf desto lichtvollere, kräftigere Weise entwickeln zu können. Aber Luther kannte damals schon eine bessere in der Schule des heiligen Geistes erlernte Theologie, und mußte im Kampf mit seiner Neigung sich Gewalt anthun, um nach dem Gebot seiner Oberen statt jener Herzenstheologie, die ihm das Liebste war, eine Theologie der Menschensatzungen zu treiben. Doch that er es, obgleich er noch nicht wußte, wozu es ihm dienen sollte, wohl aber wußte, daß Gottes Gedanken nicht Menschen Gedanken sind. Für Paulus hingegen war jene Theologie damals noch das Höchste, und er suchte in der Pharisäer Lehre das Heil. Er sollte aus seinen eignen schmerzlichen Erfahrungen, aus seinen eignen innern Kämpfen lernen, daß kein Fleisch vor Gott gerecht werden kann durch des Gesetzes Werke, daß durch das Gesetz nur Erkenntnis der Sünde und des göttlichen Zornes kommt, daß alles Wollen und Laufen des Menschen nichts ist ohne Gottes Erbarmung und Gnade. Er mußte dieses unter dem schweren Druck jener Jahre seiner Jugend so an sich selbst erfahren haben, um mit dieser Beredtsamkeit des Herzens und der innern Erfahrung so davon zeugen zu können, wie in dem Römerbrief und wie es in seiner mündlichen Predigt gewiß der Fall war. Die Schule, welche Paulus in dem Pharisäerthum durchmachen mußte, ist zu vergleichen mit dem, was für Luther seine innern Kämpfe in dem Kloster zu Erfurt waren. Es gab unter den Pharisäern zwei Klassen, die größere Menge der Scheinheiligen, deren Verderben unser Herr Christus so vielfach bekämpft, und eine Minderzahl von Solchen, denen es mit der Gerechtigkeit ihres gesetzlichen Standpunktes ein voller Ernst war, Solche welche, wie Paulus es bezeichnet, (Römer 10,2), für Gott eiferten, aber mit Unverstand. Zu diesen letztern gehörte gewiß auch Paulus. Eine gewaltige feurige Natur werden wir bei ihm vorauszusetzen haben, wie bei Luther; große Kräfte, wilde Triebe, welche zerstörend wirken konnten, wenn sie nicht durch die Macht heiliger Liebe beherrscht, beseelt und verklärt wurden. Solche Menschen können oft erst nach längerem schweren Kampfe zwischen Fleisch und Geist zur Ruh gelangen. Es gelingt ihnen nicht so leicht wie milderen, weicheren, minder reich begabten Naturen, mit sich selbst fertig zu werden. Zwar konnte wohl nicht bei einem Paulus die Macht des ungezügelten Fleisches in solchen Ausbrüchen sündiger Lust wie bei einem Augustinus sich offenbaren. Davor bewahrte ihn wie einen Luther die strenge gesetzliche Zucht, unter der er sich entwickelte. Er selbst sagt, daß er unsträflich gewesen sei nach der Gerechtigkeit des Gesetzes (Phil. 3,6). Aber desto mehr mußte das Böse in ihm nach innen zurückgedrängt werden, wenn es durch den Zaun des Gesetzes nach außen hin hervorzubrechen gehindert wurde, durch die Macht des Gesetzes aber doch nicht überwunden werden konnte. Desto stärker mußten die Regungen des Gesetzes in den Gliedern, die Regungen der dem Gesetze des Geistes widerstrebenden Lust im Innern sich geltend machen. Und Paulus, der nach einer wahren vor Gott geltenden Gerechtigkeit verlangte, nach Heiligung des innern Menschen, mußte, sein Inneres vor Gott prüfend, immer von neuem erkennen, wie fern er war von dieser Gerechtigkeit. Wir wissen nicht, ob nicht vielleicht jene schweren Kämpfe mit sich selbst, die Selbstpeinigungen, die er sich auferlegte, dazu beitrugen, seine Gesundheit und leibliche Kraft zu schwächen, wie uns manche Stellen in seinen Briefen Spuren einer solchen Körperbeschaffenheit bei ihm zeigen. Doch jene Erfahrungen, die er machen mußte, werden ihn nur zu neuen, immer größeren Anstrengungen angetrieben haben, um endlich die Macht der Sünde in sich zu brechen, und zur wahren Gerechtigkeit durchzubringen. Wie er von dem Gesetz Alles hoffte, mußte er desto eifriger sein in dem Kampf mit allem, was gegen das göttliche Ansehn des Gesetzes sich ihm aufzulehnen schien, und dadurch wurde er zum heftigen Verfolger des Christenthums und der Christen.

Es kann dies auffallend erscheinen, wenn wir bedenken, daß Paulus ein Schüler jenes Gamaliel war, der sich freier und milder als andre Pharisäer über die neue Religionssecte aussprach, der in der Art, wie das Christenthum wirkte, wohl etwas Göttliches ahnte, wenigstens etwas, das er sich nicht recht zu erklären wußte und das ihn stutzig machte, der in jenen merkwürdigen Worten (Apost. 5, 38 und 39.) dazu räth, daß man dem Gottesurtheil in der Geschichte nicht vorgreifen sollte. Aber wir dürfen ja nicht voraussetzen, daß die geduldig wartende Weisheit des Lehrers auch auf den Schüler übergegangen sei; wir können uns leicht denken, daß das jugendliche Gemüth, der Feuereifer des cholerischen Paulus nicht geneigt war, durch einen solchen Grundsatz sich bestimmen zu lassen, und wir müssen auch wohl berücksichtigen, wie die Sachen damals standen, als Gamaliel dieses aussprach und wie dieselben sich verändert hatten, als Paulus gegen das Christenthum aufzutreten bewogen wurde. Das Evangelium hatte sich zuerst in den Formen des alten Bundes entwickelt, wie Christus selbst der Erfüller des Gesetzes erschien als ein unter das Gesetz Gethaner. (Gal. 4, 4.) Der neue, Alles erneuernde Sauerteig des Christenthums sollte erst von innen heraus Alles durchdringen und umbilden. Christus hatte zwar in manchen Aussprüchen klar genug angedeutet, wie durch den von ihm in die Welt gebrachten Geist Alles neu werden, und dieser auch die Formen des alten Bundes zersprengen sollte, aber dies recht zu verstehen, das gehörte zu dem, was Christus diesem Lehrer der Zukunft vorbehielt, was seine Jünger damals, als er auf Erden bei ihnen war, noch nicht fassen konnten, was sie erst durch die Erleuchtung dieses ihnen verheißnen Geistes, dem es vorbehalten war in die ganze Wahrheit sie einzuführen, verstehen lernen sollten. Und so fuhren nun zuerst die Jünger fort, das Gesetz streng zu beobachten, und sie konnten von dieser Seite auch den Pharisäern keinen Anstoß geben, sie waren mit denselben verbunden im Kampf mit mit den minder strengen Sadducäern. So standen die Sachen, als Gamaliel jenes Wort sprach, und wäre es so geblieben, so wäre auch vielleicht Paulus kein so heftiger Verfolger des Evangeliums geworden. Nun aber scheint dem Stephanus, einem der ersten sieben Diakonen der Gemeinde zu Jerusalem, zuerst ein Licht über das Verständnis jener auf die zukünftige Entwicklung des Christenthums sich beziehenden Worte des Herrn aufgegangen zu sein. Im Lichte des göttlichen Geistes scheint er zuerst erkannt zu haben, wie auf die Zerstörung des alten Tempels zu Jerusalem, mit welchem der ganze alttestamentliche Cultus stehen und fallen mußte, der Aufbau des neuen geistigen Tempels Gottes in der Menschheit, der Tempel der Gottesverehrung im Geist und in der Wahrheit, der an keine Zeit und keine räumliche Stätte mehr gebunden war, folgen sollte, und indem er in prophetischer Begeisterung dies aussprach, erregte er eben dadurch die Wuth der Juden in ihrer fleischlichen Beschränktheit, wurde als Feind des Gesetzes angeklagt und nun erst erschien das neue Christenthum als eine Auflehnung gegen das zu ewiger Dauer bestimmte Gesetz. Nun erst brach eine allgemeinere, heftigere Verfolgung gegen das Christenthum von Seiten der pharisäischen Partei aus und auch Paulus mußte durch seinen Eifer für das Gesetz, welches ihm damals als der einzige Grund der Rechtfertigung erschien, getrieben werden, die neue Secte, welche dasselbe umzustürzen drohte, mit heftiger Leidenschaft zu bekämpfen.

Wie es in den Wegen Gottes, in der Entwicklung seines Reiches sich oft wiederholt, wer dazu erkoren wird, eine neue Wahrheit auszusprechen, muß als Opfer für dieselbe fallen. Aber das Blut des Märtyrers muß den Sieg der Wahrheit vorbereiten, und wunderbar sind die Wege Gottes, ganz andere, als die Menschen im Voraus berechnen können. Die geheime Weisheit Gottes offenbart sich gern durch Gegensätze, er wirkt, was er vollbringen will, oft durch solche Mittel, welche am meisten dazu geeignet scheinen, ein ganz entgegengesetztes Ergebnis hervorzubringen. Eben der Saul, der am heftigsten gegen den Stephanus wüthete, war dazu auserwählt, in die Fußtapfen des Stephanus einzutreten, die Wahrheit, welche derselbe durch seinen Märtyrertod besiegelte, in sich aufzunehmen, weiter zu entwickeln und in der neuen Gestaltung der Kirche siegreich durchzuführen. Es war die heftigste Verfolgung, die der neuen Secte den Untergang drohte, und grade diese Verfolgung mußte dazu dienen, den mächtigsten Triumph des Christenthums in der Weltumbildung vorzubereiten. Die Reise, welche Paulus, als der heftigste Feind des Evangeliums, um die Kirche zu zerstören, unternahm, mußte dazu dienen, den eifrigsten Verkündiger der von ihm verfolgten neuen Lehre aus ihm zu machen. In der ansehnlichen Stadt Damaskus in Syrien, wo viele Juden wohnten, und fast alle Frauen der Heiden Proselytinnen waren, hatte das Christenthum großen Eingang gewonnen. Paulus reiste dahin als Abgesandter des Sanhedrin, des Höchsten Tribunals über alle religiösen Angelegenheiten, mit einer Vollmacht von demselben versehen, um die Verhaftung Aller, die sich zu der neuen Lehre bekannten, zu bewirken. Wir wissen nicht, ob der Anblick des mit verklärtem Angesicht von der Wahrheit zeugenden, mit zuversichtlicher Begeisterung dem Tode entgegengehenden, und als ächter Jünger Christi für seine Mörder selbst betenden Stephanus, ob dieser Anblick nicht doch bei aller Wuth der Leidenschaft gegen seinen Willen einigen Eindruck auf die Seele des Paulus gemacht hatte, ob nicht in seiner Seele Gedanken auftauchten, welche sich gegen sein Toben auflehnten, ihn zu einer neuen Prüfung aufforderten; aber gewiß ist es wenigstens, daß er solche Zweifel nicht in sich aufkommen ließ, und er gab sich desto mehr seiner Leidenschaft gegen das Christenthum hin. Es bedurfte einer höhern Macht, um den Sinn des Saulus zu überwinden. Als er sich der Stadt Damaskus näherte, um Mittag, erschien ihm der verklärte Christus in himmlischer Majestät in einem Lichte, welches sein Auge nicht fassen konnte; übermannt von dem gewaltigen Eindruck der himmlischen Erscheinung, fiel er zur Erde nieder und er vernahm die Worte dessen, der sich ihm darstellte als der Christus, den er vergeblich verfolge, vor dessen Macht er sich werde beugen müssen, der ihn dazu erkoren habe, um unter allen Völkern seinen Namen zu verkündigen. Daß die Begleiter des Paulus, welche eher Feinde des Evangeliums als Gläubige waren, auch einen Eindruck von dieser Erscheinung erhielten, ist ein Merkmal von der Wirklichkeit derselben; daß sie aber nicht so die Gestalt des Herrn schauten, nicht so seine Worte vernahmen, wie Paulus, kann uns nicht befremden, denn die Mittheilungen der unsichtbaren Welt, der wir unserm geistigen Wesen nach angehören, erfolgen nicht auf dieselbe Weise und nach denselben Gesetzen, wie die sinnlichen Wahrnehmungen aus dem Kreise der gewöhnlichen irdischen Erfahrung. Paulus war überzeugt, daß er Christus den Auferstandenen, aus den Schranken des irdischen Daseins in eine höhere Welt Uebergegangenen eben so wahrhaft geschaut habe, wie die übrigen Apostel (1 Kor. 9, 1. und 15, 8.). Es war dies auch dazu erfordert, um ihn den übrigen zwölf Aposteln gleichzusetzen, da es zu dem Begriff eines Apostels gehörte, einen persönlichen Eindruck von Christus empfangen zu haben und aus eigner Anschauung ein Zeuge von ihm und insbesondere der Wahrhaftigkeit seiner Auferstehung als der Grundlage des ganzen Evangeliums, mit deren Wahrheit und Wirklichkeit dasselbe steht und fällt, sein zu können (Apostelgesch. 1, 21. und 22.). Von dieser Thatsache ging der ganze neue gewaltige Umschwung seines Lebens aus; dies war ihm die Grundlage des Glaubens und der Hoffnung, von welcher er unter allen Kämpfen und Leiden im Angesicht des Todes, bis er sein Blut für den Herrn vergoß, so oft zeugte: sein ganzes, dem Heil der Heidenwelt geweihtes Leben ist ein Zeugnis von dieser göttlichen Thatsache, die dazu erfordert wurde, um aus dem Saulus einen Paulus zu machen.

Doch das Große, was dem Paulus jetzt widerfahren war, dürfen wir nur als die Vorbereitung und die Grundlage von Allem, was seitdem die Gnade des Herrn aus ihm machte, betrachten. Durch den gewaltigen Eindruck, den die Erscheinung Christi in ihm hervorgebracht hatte, war ihm noch keineswegs das Licht der evangelischen Wahrheit aufgegangen, er war dadurch noch keineswegs zum Verkündiger derselben befähigt, die Selbstvernichtung mußte der göttlichen Neubelebung vorangehen. Fürs erste konnte er nur zu dem Bewußtsein der Nichtigkeit seines bisherigen Treibens gelangen, der Eindruck, den er erfahren hatte, war zu mächtig, als daß das schwache irdische Gefäß nicht hätte demselben unterliegen müssen, leiblich und geistlich mußte er sich wie zernichtet fühlen. Er konnte sich nicht durch sich selbst aus diesem Zustand der gänzlichen Zerknirschung erholen. So brachte er drei Tage fastend in diesem schmerzlichen Zustande des Sich-selbst-Absterbens zu. Der Herr, der Menschen würdigt, Werkzeuge seiner Gnade für Andere zu werden, der gern durch Menschen auf Menschen wirkt, er gebrauchte einen frommen Christen, Ananias, den er dem Paulus zuführte, um ihn aus diesem Zustande des Todes zu neuem Leben zu erwecken. Ananias erschien ihm als Gesandter des Herrn, um ihm die Sündenvergebung in dessen Namen zu verkündigen, ihn von dem Beruf, zu dem er erkoren worden, gewiß zu machen, ihm das Siegel der Gemeinschaft mit dem Herrn durch die Taufe zu ertheilen, und ihm durch das Zeichen der Handauflegung die Weihe des Geistes im Namen Christi zu verleihen. Nun erst konnte er sich ermannen und erstarken zu dem neuen Lebensabschnitt, der für ihn beginnen sollte1). Doch wurde ihm Ananias nicht der Führer zur evangelischen Wahrheit; oft beruft sich Paulus darauf, wie besonders im Anfang des Briefes an die Galater, daß er nicht von Menschen seinen Unterricht empfangen, sondern unmittelbar durch die Offenbarung des Herrn selbst das Evangelium erkannt habe in der Gestalt, wie es durch ihn den Heidenvölkern verkündigt wurde. Von demselben Lehrer, welcher die übrigen Apostel in das Ganze der von ihnen aus dem Munde Christi selbst vernommenen Wahrheit einführte, empfing auch Paulus die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit auf die Weise, wie sie grade durch ihn besonders unter den Heidenvölkern verkündet werden sollte; von diesem innern göttlichen Licht ging bei ihm Alles aus. Wir dürfen dies freilich nicht so verstehen, als ob er durch dieses innere göttliche Licht allein auch alles das unmittelbar erkannt hätte, was die älteren Apostel durch Auge und Ohr vernommen hatten, die Worte und Werke Christi. Alles dieses konnte Paulus aus der ursprünglichen Ueberlieferung, die von jenen älteren Aposteln ausging, vernehmen, und wir werden in seinen Briefen in seinem Bericht von der Einsetzung des Heiligen Abendmahls (1 Korinth. 11.) manche Anklänge von dem, was sich in unsern Evangelien findet, erkennen. Aber wie für die älteren Apostel es noch nicht genug war, alles Dieses äußerlich vernommen zu haben, sondern ihnen nachher erst der von Christus verheißene Lehrer, der ihnen in Allem beistehen sollte, den rechten Schlüssel des Verständnisses geben mußte; so war es auch derselbe Lehrer, der ihm, unabhängig von allem andern Unterricht, den wahren Sinn der Worte Christi aufschloß, und ihn zum Bewußtsein mancher darin liegenden Wahrheit führte, die noch keiner vor ihm auf solche Weise erkannt hatte.

Und sehen wir nun zu, wie das, was dieser Geist allein in ihm vollbringen konnte, in seinem eigenthümlichen Wesen und seinem eigenthümlichen bisherigen Entwickelungsgang vorbereitet war, so hatte er die ganze Macht der Sünde unter dem Joch des Gesetzes fühlen müssen, hatte die Ohnmacht des Gesetzes zur Befreiung von derselben in schmerzlichen Kämpfen an ich selbst erfahren, hatte die ganze Last der Knechtschaft des Gesetzes aus eigner Erfahrung kennen gelernt, um den Christus, der ihm erschienen war, als den einzigen Befreier und Erlöser erkennen zu können. Es pflegt die Art des Waltens der göttlichen Gnade zu sein, daß sie zuerst, wie Paulus selbst sagt (1 Kor. 1. 27. u. 28.), was thöricht ist vor der Welt, erwählet, daß es zu Schanden mache, was stark ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete, und das da nichts ist, um zu nichte zu machen, was etwas ist. So hatte Christus seine Jünger zuerst erkoren nicht aus der Zahl der Hohen und Weisen der Welt, sondern er hatte dazu gewählt einfache, ungelehrte, ungebildete Jünglinge, Fischer und Zöllner, die zu dem, was er ihnen gab, nichts hinzubrachten, Alles nur von ihm empfingen; auch waren unter ihnen nur wenige große Gaben der Natur, Alles sollte hier zuerst von der überschwenglichen Macht Christi und seiner Gnade ausgehen. Aber es erweist sich dann auch immer wieder, daß der Gott der Gnade der Gott der Schöpfung und der Natur ist, es erweist sich, daß die großen Kräfte, welche er durch die erste Schöpfung in die Menschen gelegt hat, für das, was von Allem das Ziel ist zur Verherrlichung Gottes, die Gründung und Verbreitung des Reiches der Gnade, auch nicht umsonst sein, sondern, was eben ihre höchste Bedeutung ist, dafür dienstbar gemacht werden sollen. So gehört es zu den eigenthümlichen Wegen der Weisheit Gottes, daß auf die Fischer und Zöllner der reichbegabte, in den Schulen jüdischer Weisheit zu scharfem Denken gebildete Geist des Paulus in der Entwicklung der göttlichen Wahrheit folgen mußte. Ohne Zweifel würde dieser Paulus, wenn er unter den Weisen und Rednern der Welt hätte glänzen sollen, als einer der bedeutendsten aller Jahrhunderte erschienen sein, er würde gewiß nicht Ursache gehabt haben, gegen irgend einen der Weltweisen und Meister der Rede, welche uns das griechische Alterthum erkennen lehrt, zurückzustehen, er hat aber alle seine hohen und reichen Geistesgaben zu den Füßen des Kreuzes niedergelegt, und Alles für nichts geachtet, um Christus zu gewinnen. Er redet nicht in menschlichem Selbstgefühl, im Bewußtsein der Reichthümer seines Geistes, im Bewußtsein seiner geistigen Kraft; er läßt alle seine Gaben zurücktreten, um nur Christus zu verherrlichen, der allein ihm Alles ist, er fühlt sich stark nur im Bewußtsein der Gnade Christi, rühmt sich in Beziehung auf seine menschliche Persönlichkeit nur seiner Schwäche. Doch strahlt uns in seinen Geistesblitzen, in der, auch abgesehen von jenem höhern Sinne, in welchem es nur auf die Wirkungen des heiligen Geistes paßt, in der auch nach menschlicher Art zu reden, geistreichen Weise seines Ausdrucke, in der nach der Mannichfaltigkeit der Umstände und der Zwecke berechneten Art seiner Rede, in der natürlichen Kraft seiner Worte, jener natürliche, vielmehr von ihm verdeckte, alle zur Schau getragene Reichthum seines tiefen Geistes, jene feine unverkennbare natürliche Beredtsamkeit entgegen, alles verklärt und beseelt durch den heiligen Geist.

1)
Die Zeit der Bekehrung des Apostels können wir mit Genauigkeit und Sicherheit nicht bestimmen; Alles zusammengenommen werden wir wohl am Besten thun, ungefähr das Jahr 36 nach Christi Geburt zu setzen.
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