Murray, Andrew - Die Schule des Gebets - Einundzwanzigste Lektion.

Murray, Andrew - Die Schule des Gebets - Einundzwanzigste Lektion.

„Vater! Nicht wie ich will,“ oder Das Opfer auf dem Altar.

Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf Sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst. Matth. 26,39.

Welch ein Gegensatz binnen wenig Stunden! Welch ein Übergang von dem erhabenen: „ER hob Seine Augen auf gen Himmel und sprach: Vater, ich will“ zu dem geheimnisvollen: „ER fiel auf Sein Angesicht, betete und sprach: „Mein Vater, nicht, wie ich will!“ In dem einen Wort sehen wir den Hohenpriester innerhalb des Vorhangs in Seiner allvermögenden Fürbitte, in dem andern das Opfer, das sich dem Altar übergibt, um geschlachtet zu werden, und so durch den zerrissenen Vorhang Seines Fleisches den lebendigen Weg für uns zu bahnen. Das hohepriesterliche Gebet: „Vater, ich will“ wurde wohl der Zeit nach, vor dem andern, Mein Vater, nicht wie ich will“ ausgesprochen, das war aber nur die Vorausbetonung dessen, was die Fürbitte sein würde, wenn das Opfer erst vollbracht war; dem Wesen nach war es das Altargebet: Nicht wie ich will“, in welchem das Throngebet: „Vater! Ich will“ seinen Ursprung, seine Kraft und seinen Wert fand. Durch die vollständige Aufopferung Seines Willens in Gethsemane fand der Hohepriester Seine unbegrenzte Macht, vor dem Thron zu heischen, was ER will. Für Alle, die in der Schule Jesu beten lernen wollen, ist die Gethsemane-Lektion eine der heiligsten und kostbarsten. Einer oberflächlichen Betrachtung derselben hingegen will es scheinen, als ob sie uns den Mut zum gläubigen Bitten wegnähme. Wenn sogar das ernstliche Flehen des Sohnes keine Erhörung findet, so spricht man, wenn selbst der Geliebte sagen muss: „nicht wie ich will,“ wie viel mehr muss das bei uns der Fall sein! Daraufhin hält man es für unmöglich, dass die Verheißungen, die der HErr nur wenige Stunden vorher ausgesprochen hat, sollen buchstäblich gemeint sein. Aber die tiefere Einsicht in das Gebet von Gethsemane wird uns lehren, dass wir da gerade den festen Grund und den sicheren Weg zu voller Gebetserhörung finden sollen. Beugen wir uns in tiefer, demütiger Anbetung, während wir Ihn anschauen, der im Staub mit starkem Geschrei und Tränen bittet, ohne zu empfangen, was ER erfleht. ER selbst ist unser Unterweiser und wird uns in das Geheimnis Seiner heiligen Selbstaufopferung einleiten. Um dies Gebet zu verstehen, müssen wir auf den großen Unterschied merken zwischen demjenigen, was der HErr im hohepriesterlichen Gebet verlangt, und dem, was ER hier begehrt. Dort bat ER um die Verherrlichung des Vaters und um die Erfüllung Seiner Verheißungen, die ER Ihm und Seinem Volk geben sollte. ER wusste, dass, was ER bat, nach dem Wort und Willen Seines Vaters war, und ER konnte daher mit Freimütigkeit sagen: „Vater! ich will“. Hier bittet ER um etwas, das, soviel ihm bekannt war, gegen Gottes Rat stritt, denn ER hatte ja selbst mit Seinen Jüngern von dem Kelch gesprochen, den ER trinken müsse. ER wusste, dass ER dazu auf die Erde gekommen war. Aber in der Stunde der losgelassenen Macht der Finsternis, und als ER die unaussprechliche Bitterkeit der Zornesschale zu erproben begann, da kam Ihm der Gedanke, ob die Macht des Vaters keinen andern Weg zur Rettung der Sünder finden könnte, als diesen Tod auf dem Fluchholz. Das Begehren war keine Sünde, wenn es durch das „nicht wie ich will“ dem Willen des Vaters ganz unterworfen blieb. Das Begehren konnte nicht erfüllt werden, denn es war im Widerspruch mit dem ewigen Erlösungsrat des Vaters. In der Verleugnung dieses Begehrens, in der vollkommenen Unterwerfung seines Willens unter den Willen des Vaters hat Jesus Seinen Gehorsam in höchster Selbstüberwindung betätigt. Durch die Aufopferung des Willens in Gethsemane hat die Aufopferung des Lebens auf Golgatha erst ihren wahren Wert erhalten. Da hat ER, wie die Schrift sagt, Gehorsam gelernt. Weil ER gehorsam geworden ist bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz, hat Ihn Gott erhöht, und Ihm die Macht gegeben, als Fürbitter Seinen Willen geltend zu machen. Aus dem Vater, nicht wie ich will“ gelangte ER zu dem: „Vater, ich will“. Auf der Nichterhörung Jesu in Gethsemane beruht die Gewissheit unserer Gebetserhörung.

Lasst uns nochmals das einzigartige Wunder, das in Gethsemane geschieht, recht anschauen. Der Vater gibt dem Einzig-geliebten den Becher des Zorns in die Hand. Der Sohn, allezeit so gehorsam, schreckt zurück und bittet, nicht trinken zu müssen. Der Vater erhört den Geliebten nicht, sondern will, dass ER den Kelch trinken soll. Und der Sohn opfert Seinen Willen auf, fügt Sich in die Nichterhörung Seines Gebets, nimmt den Kelch und geht nach Golgatha, um ihn dort zu leeren. O, Gethsemane! An dir lerne ich verstehen, warum mein HErr mir eine so unbegrenzte Zusage meines Gebets geben kann. Als Bürge erwirkt ER mir das, nachdem ER von der Erhörung Seines Flehens abgesehen hat. Von allen Leiden unsers HErrn wissen wir, dass ER für uns den Gegensatz von dem erworben, was ER gelitten hat. ER ward gebunden, damit wir los würden. ER litt alle mögliche Schmach, damit wir nimmermehr zu Schanden werden müssten. ER ward unschuldig verurteilt, damit wir vor dem gerechten Gericht Gottes freigesprochen werden könnten. ER starb am Fluchholz, um uns vom Fluch zu erlösen. Und so ertrug ER die Nichterhörung Seines Gebets, damit unsere Gebete Erhörung finden möchten. Ja, ER opferte Seinen Willen auf, um die Macht zu haben, uns sagen zu können: So ihr in Mir bleibt, soll euch geschehen, was ihr wollt. Hier in Gethsemane lerne ich das Wort: in Mir bleiben“ recht verstehen. ER, mein Haupt, hat sich als Bürge an meinen Platz gestellt und getragen, was ich ewig hätte ertragen müssen. Ich hatte verdient, dass Gott Sein Angesicht von mir abwende und für mein Rufen taub sei. Und nun unterzieht sich mein HErr diesem Allen für mich; ER leidet, was ich hätte leiden sollen, meine Sünden sind Ursache, dass Ihm der Kelch nicht erspart werden konnte. Und nun kommt Sein Leiden mir zu Statten, und Alles, wodurch ER dem Vater gefallen und Ihn geehrt hat, wird mir zugerechnet. Was ER verdient hat, darf ich genießen. Um Seinetwillen kann ich erhört werden, und mir geschieht wie ich will, so ich in Ihm bleibe.

Ja, ER, mein Haupt, hat nicht nur an meinem Platz gestanden, sondern lebt auch nun in mir und teilt mir die Gesinnung mit, die Ihn beseelt. Der ewige Geist, durch welchen ER Sich in Gethsemane Gott unsträflich aufgeopfert hat, ist der Heilige Geist, der in mir wohnt und mir die Kraft Seiner Versöhnung und Seiner Fürbitte zueignet. Der Geist lehrt mich, Ihm gleich, meinen Willen dem Willen des Vaters aufzuopfern. Alles, was nicht nach Gottes Wort und Willen ist, lehrt ER mich hassen und verlassen. ER flößt mir Scheu ein vor Allem, was aus meinem Eigensinn und eigenen Willen kommt, sollte es auch nicht geradewegs Sünde sein. ER weist auf die völligste Übergabe an Gottes Willen in Allem, als das Gebot des Vaters, das Vorbild des Sohnes und als die Berufung für jedes Kind Gottes, ER führt mich in die Gemeinschaft von Gethsemane und Golgatha ein, ins Sterben mit Christo, damit ich der Sünde abgestorben, Gott leben möchte, und damit mein Wille in der Selbstaufopferung gestorben, in der Kraft Seiner Auferstehung lebe. ER bildet in mir den erneuerten, geheiligten Willen, ein Werkzeug zum Dienste Gottes zu sein. Ich suche nun auch im Gebet vor Allem das Königreich Gottes und Seine Gerechtigkeit, und werde erhört. Je tiefer ich eindringe in meines HErrn heiliges Wort in Gethsemane: „Nicht wie ich will“, desto wesentlicher bekomme ich Teil an Seinem andern Wort: „Vater, ich will!“ Der Wille, der zunichte wird, auf dass Gottes Wille Alles sei, wird gestärkt mit himmlischer Kraft, um zu wollen, was Gott will, und es dann in Jesu Namen zur Geltung zu bringen.

HErr, lehre uns beten.

O mein HErr! Alle Deine Lehrlinge, denen Du in Gethsemane Dein Gebet und Deinen Gehorsam gezeigt hast, werden von Dir also geführt, dass sie von Dir das wahre Bitten lernen.

HErr, lehre mich verstehen, wie die ganze Aufopferung Deines Willens Dir und mir das Recht erworben hat, dem Vater zu nahen, und von Ihm zu bitten, was wir wollen. Und lehre mich, wie ich durch Deinen Geist in der Gemeinschaft mit Dir, die Macht empfange, meinen Willen aufzuopfern, und Gottes Willen über mich herrschen zu lassen. HErr, Du kennst wohl die fürchterliche Macht, die tiefverborgene Wirkung unseres Eigenwillens. Aber Du hast dies überwunden. Dir, der Du mächtig bist zu erlösen, und vollkommen selig zu machen, habe ich meinen Willen übergeben. Von ganzem Herzen will ich im Kleinsten wie im Größten, mit Dir sprechen: „Vater, Dein Wille geschehe.“ Und lehr mich dann auch, o mein HErr! dass wir, wenn der Wille Dir und dem Vater gänzlich übergeben ist, auch Freiheit haben, unsere Bitten darzulegen, und dass wir dann Teil bekommen an Deiner Alles vermögenden Fürbitte. Wer mit Dir und gleich Dir seinen Willen dem Vater aufopfert, der soll auch mit Dir und gleich Dir bei dem Vater Erhörung finden, Amen.

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