Murray, Andrew - Die Schule des Gebets - Dreizehnte Lektion.

Murray, Andrew - Die Schule des Gebets - Dreizehnte Lektion.

„Wenn ihr steht und betet, so vergebt,“ oder das Gebet und die Liebe.

Wenn ihr steht und betet, so vergebt, wo ihr etwas wider Jemand habt, auf dass auch euer Vater im Himmel euch vergebe eure Fehler. Wenn ihr aber nicht vergeben werdet, so wird euch euer Vater, der im Himmel ist, eure Fehler nicht vergeben. Mark. 11,25.26.

Diese Worte folgen unmittelbar auf die große Verheißung: „Alle Dinge, die ihr bittet im Gebet, so ihr glaubt, soll es euch werden.“ Wir haben schon vernommen, dass das Wort: „Habt Glauben an Gott“, dieser Verheißung voraus ging. Der HErr lehrte uns damit, dass, in richtiger Beziehung zu Gott zu stehn, für den gläubigen Beter eine unentbehrliche Sache ist.

In den Worten, die auf die Verheißung folgen, lehrt ER uns, dass es eben so unerlässlich ist, in einer richtigen Beziehung zu dem Nächsten zu stehen. Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten sind unzertrennlich. Von der Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen hängt die Kraft des Glaubensgebetes ab.

Wir finden, dass der HErr diesen Gedanken mehrmals ausgesprochen hat. So in der Bergpredigt, Matth. 5,23.24.

Ferner im Gebet des HErrn, da ER uns lehrt zu bitten: Vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben. Und ER fügt dabei dieselbe Ermahnung hinzu, wie in unserem Text. Im Gleichnis vom unbarmherzigen Dienstknecht (Matth. 18,35) macht ER die Anwendung in folgenden Worten: Also wird euch mein himmlischer Vater auch tun einem Jeglichen, so ihr nicht vergebt von Herzen einem Jeglichen seine Fehler. Und bei dem verdorrten Feigenbaum im Reden übers Glaubensgebet spricht ER plötzlich, scheinbar außer allem Zusammenhang, denselben Gedanken noch einmal aus. Diese Lektion ist von unaussprechlichem Belang, als Aufschluss über die Ursache von der Unfruchtbarkeit vieler Gebete. Die Kraft meines Gebetes zu Gott hängt mit von meinem Verkehr mit meinem Mitmenschen ab. Mangel an Liebe zum Nächsten wird sich rächen durch Mangel in Kraft zum Gebet.

Die erste Lektion, die wir hier vernehmen, ist über die Versöhnlichkeit. Wir bitten: „Vergib uns unsere Schulden, gleich wie wir auch vergeben.“ Die Schrift sagt: „Vergebt euch untereinander, gleich wie euch Gott in Christo Jesu vergeben hat.“ Die vollkommene Vergebung Gottes an uns bedingt nach Seinem festen Gesetz unsere Vergebung gegenüber unseren Mitmenschen. Anders würde unsere gebrechliche Vergebung, die gar keine Vergebung ist, das Maß für Gottes Vergebung an uns. Jedes Gebet schöpft seine Kraft in der Berufung auf Gottes vergebende Gnade. Handelte Gott mit uns nach unseren Sünden, dann wäre ja an eine Antwort auf unser Gebet nicht zu denken. Nur weil ER uns eine vollkommene Vergeltung geschenkt hat, kann ER uns segnen und erhören. Der feste Grund der Gebetserhörung ist Seine Vergebung. Und es versteht sich von selbst, dass Jeder, der die Vergebung in ihrer wesentlichen Kraft kennt, als das Empfangen und Genießen der Liebe Gottes, auch selbst vergeben wird. Wenn Gottes Versöhnung von unserem Gemüt Besitz nimmt, wird sie in uns eine Gesinnung der Versöhnlichkeit bewirken. Kraft der Vergebung Gottes, an uns und in uns offenbart, vergeben wir, gleich wie ER vergibt. Und das sowohl bei den großen wie bei den kleinen Versündigungen gegen uns. Bei großem schreienden Unrecht, das uns geschieht, suchen wir bewahrt zu werden vor dem Suchen nach Recht, vor dem Gefühl gekränkter Ehre, vor der Begierde nach Wiedervergeltung.

Und in den kleinen täglichen Reibungen wachen wir gegen den aufkeimenden Zorn, das heftige Wort und das scharfe Urteil, ohne uns zu entschuldigen damit, dass wir es nicht so bös meinen, dass die Aufwallung wieder schnell vorüberging, dass es übermenschlich sei, „zu vergeben gleich wie Christus“. Nein, wir nehmen das Wort unseres HErrn buchstäblich, als Richtschnur unserer Gesinnung und unseres Betragens. „Gleich wie Christus euch vergeben hat, so tut ihr auch also.“ Das Blut, das unser Gewissen reinigt vor Gott, reinigt unser Herz auch von der Eigenliebe. In der Kraft dieses Blutes glauben wir an die volle Herstellung der Gunst Gottes gegen uns, und betonen wir die vergebende Liebe gegen den Nächsten. Ohne dies kein Glaubensgebet.

Eine zweite Lektion ist mehr allgemeinen Inhalts. Unser tägliches Leben, wie wir es in der Welt führen, gibt den Maßstab zu unserem Gebetsumgang mit Gott.

Mancher Christ meint, wenn er sich zum Gebet anschickt, muss er alle Sorgfalt anwenden, um in einer Stimmung zu Gott zu kommen, die Ihm angenehm sein kann. Er vergisst dabei, dass das Leben nicht aus vielen einzelnen losen Stücken besteht, sondern ein Ganzes ist, und dass die Stimmung beim Gebet keine andere sein kann, als die täglich gewohnte im Leben, von welcher jene nur eins Teil ist. Die Gesinnung, mit der wir uns gen Himmel kehren, deckt sich mit derjenigen, die wir in den irdischen Dingen hegen. Unlauterkeit in dieser, macht den Aufschwung zu Gott kraftlos. Nicht allein das Bewusstsein, dass ich etwas gegen meinen Nächsten habe, oder mein Nächster gegen mich, sondern auch der durchgehende Ton meines Verkehrs mit Andern, unbedachte Worte, verborgene Empfindungen können Ursachen werden, dass mein Gebet nicht erhört wird. Kräftiges Glaubensgebet kommt nur, wenn mein Leben nach Gottes Willen in der Liebe geführt wird.

Das ist alsdann die dritte Belehrung. In dem Leben mit den andern Menschen, ist die Liebe das, worauf es ankommt. Vergebung ist nur ein Offenbarwerden der Liebe. Weil Gott die Liebe ist, vergibt ER. Nur wenn wir lieben, können wir vergeben, wie ER vergibt. Unsere Liebe zu den Brüdern bezeugt unsere Liebe zu Gott und gibt uns Freimütigkeit vor Ihm im Gebet. Wer seinen Bruder nicht liebt, den er steht, wie kann er Gott lieben, Den er nicht steht? Lasst uns lieben in der Tat und in der Wahrheit, so wird unser Herz gewiss vor Gott. Wenn unser Herz uns nicht verdammt, so haben wir Freudigkeit zu Gott, und wissen, dass wir die Bitte haben, die wir vor Ihn bringen. Denn das ist Sein Gebot, dass wir glauben und uns unter einander lieben. So wie das Wort, welches der großen Gebetsverheißung vorangeht: „Habt Glauben an Gott,“ nicht zu umgehen ist, ebenso kann das Wort, das derselben folgt: „Habt Liebe unter einander,“ nicht umgangen werden. Das rechte Verhalten zu den Mitmenschen ist ebenso unumgänglich nötig zu dem Glaubensgebet, als das rechte Verhalten zu Gott.

Auf diese Liebe kommt es auch vor Allem an, wenn wir an Seelen arbeiten und für sie bitten. Wir geben uns jeweils her, um für den HErrn zu wirken, im Eifer für Seine Sache, oder weil wir begehren Seinen Willen zu tun, aber ohne die persönliche, selbstaufopfernde Liebe, die sich an diejenigen hingibt, an denen sie arbeitet. Und das ist doch nötig. Jeden Elenden, so unlieblich und abstoßend er auch sein mag, in dem Licht der Erlösung und der Liebe Jesu Christi ansehen, in ihnen den HErrn Selbst erkennen, und ihn um Jesu Willen in Liebe aufnehmen, dies, dies ist das Geheimnis gesegneter Arbeit, und kräftigen Glaubensgebets. Gottes Vergebung ist das Unterpfand Seiner Liebe. Als der HErr Vergebung verlangt, im Gebet, weist ER damit auf die Liebe hin, die deren Wurzel ist. Ebenso schickt ER in der Bergpredigt Seiner Gebetsunterweisung und der Verheißung, die dem Gebet gegeben ist, Belohnung über die Barmherzigkeit voraus; Matth. 5,7.9.22-28. Es bleibt also dabei, dass ein Leben der Liebe gegen den Nächsten und Bruder die Bedingung der Freimütigkeit ist, die gläubig bitten kann. Lasst uns in diesen herzdurchsuchenden Bemühungen nicht aufgehalten werden durch die trägen Gedanken, Gott höre nicht auf unser Gebet, weil doch alle Dinge schon in Seinem Rat beschlossen wären. Nein, o Nein! Lassen wir uns vielmehr von dem Wort unseres Gottes durchforschen! dass es nicht von uns gesagt werden müsse: „Ihr bittet und erlangt nicht, darum, dass ihr übel bittet!“ Fragen wir uns, ob unser Gebet wesentlich der Ausdruck eines Lebens sei, das ganz an Gottes Willen hingegeben ist, besonders auch in Beziehung auf unsere Gesinnung gegen unseren Nächsten.

Die Liebe ist der Boden, darin das Glaubensgebet Wurzel schlägt, sowohl Gottes Liebe zu uns und zu unserem Nächsten, als unsere Liebe zu Gott und zu unseren Brüdern. Nicht nach der Vollkommenheit, die wir erreicht haben, sondern der wir mit aufrichtigem Sinn und Herzen nachjagen, erhält unser Gebet vor dem Vater Geltung. Wer sich also Gott übergibt, dass Gottes Liebe in ihm wohne, und er liebe und vergebe, wie Gott ihn liebt und ihm vergibt, der wird das Gebet des Glaubens bitten können.

HErr, lehre uns beten.

HErr, unser Gott! Der Du die Welt also geliebt hast, dass Du für sie Deinen eingebornen Sohn gabst; Du bist die Liebe, und allein der in der Liebe bleibt, kann in Gemeinschaft mit bleiben. Vater, ich will den Unterricht Deines lieben Sohnes annehmen und im Herzen behalten. Die vollkommene Übergabe an Dich im Glauben verlangt die vollkommene Hingabe an meinen Nächsten in der Liebe. Die innige Vereinigung mit Dir ist nicht möglich ohne innige Einigung mit meinen Mitmenschen. Der Genuss von Allem, davon Deine Vergebung der Anfang und Eingang ist, auch das Recht auf die Verheißung von der Gebetserhörung hängt von der täglichen Betätigung einer Liebe ab, die auch Alles vergibt.

Teurer Heiland! Ich blicke auf Dich, dass Du in mir wirken möchtest. O, gieße doch durch den Heiligen Geist so die Liebe Gottes in mein Herz aus, dass die Liebe zu den Unwürdigsten meine Freude wird. Wollest doch Dein Blut jeden Tag so kräftig an mir wirken lassen, dass die Erfahrung Deiner wunderbaren Gnade an mir Unwürdigen es unmöglich macht, Andere nicht mit Liebe und Geduld zu tragen. O Jesus, wohne in mir mit Deiner Liebe.

Himmlischer Lehrmeister! Ich rechne auf Dich, um mich beten zu lehren. Zeige mir, HErr, was etwa in mir den Glauben und das Gebet hindern könnte. Herrsche ganz über mich, und lass allen meinen häuslichen oder gesellschaftlichen Verkehr mit meinen Mitmenschen durch Deine Gnade so sein, dass es nicht im Geringsten ein Hindernis, sondern eine kräftige Hilfe sei fürs Glaubensgebet. Amen.

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