Molenaar, Isaak - Predigt über Epheser 6,4

Molenaar, Isaak - Predigt über Epheser 6,4

(Gehalten nach Trinitatis.)

Der heutige Sonntag ist von der obern, geistlichen Behörde dazu verordnet, daß an demselben die Wichtigkeit einer christlichen Erziehung vorgestellt, und die Eltern sowohl, als die Kinder recht dringend ermahnt werden sollen, doch hierin nichts zu versäumen; sondern von den Mitteln und Gelegenheiten, die uns so reichlich angeboten werden, einen gewissenhaftem Gebrauch zu machen.

Obgleich nun diese Verordnung, als solche, uns nicht unmittelbar betrifft, so ist doch ihr Zweck so herrlich, daß wir uns auf das stärkste gedrungen fühlen, uns an dieselbe von Herzen anzuschließen.

Kann es, wenigstens für den größten Theil der Gemeine, einen wichtigeren, mehr beherzigungswerthern Gegenstand der Betrachtung geben? Und auch die Wenigen unter uns, die es nicht unmittelbar angehen möchte, werden gewiß schon um der Wichtigkeit der Sache willen, aufrichtigen Antheil daran nehmen; ja es kann ihnen ein Spiegel werden, worin sie vielleicht mit besonderer Klarheit ihr eigenes, geistliches oder inneres Angesicht erblicken. Wolle es uns denn Allen der Herr zum Segen gereichen lassen, daß wir auch dadurch Seine Gnade tiefer erkennen, und eifriger darnach ringen mögen. Laßt uns beten:

O du Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der du der einige rechte Vater bist Aller deren, die da Kinder heißen im Himmel und auf Erden - und uns täglich deine ganze Vaterliebe anbieten, uns so dringend ermahnen lässest, daß wir doch Alle umkehren, und deine Kinder werden sollen, o, wie müßte es uns einst ewig gereuen, wenn wir dieser deiner Ermahnung, deiner Bitte kein Gehör gegeben, und auf eine solche Seligkeit nicht geachtet hätten! O gib, daß wir so lang es heute heißt, doch unsere Herzen nicht verhärten, sondern deine Stimme hören mögen. Segne dazu auch heute unsre Andacht, und erhöre uns, wenn wir sprechen: Unser Vater rc. Amen.

Text: Eph. 6,4.
Und ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn; sondern ziehet sie auf in der Zucht, und Vermahnung zum Herrn.

Eine christliche Haustafel, d. h. eine Vorschrift, ein Spiegel für die Christen in ihrem häuslichen Leben, muß natürlich auch die Pflichten der Eltern und Kinder umfassen, und eine solche will der Apostel hier geben. Zwar thut er das gewissermaßen in allen seinen Briefen, daß er nämlich erst die Größe der Gnade Gottes in Christo darstellt, und dann zeigt, wie dieselbe den ganzen Menschen erneuern, und sein Leben heiligen müsse. In diesem jedoch, und in dem an die Colosser geht er in die einzelnen Verhältnisse ein, und zeigt, wie wir uns als Ehe-Gatten, als Eltern und Kinder, als Herrschaften und Dienstboten christlich betragen, und uns überall als Kinder, und darum als Nachfolger Gottes erweisen sollen.

Darum zeigt ex, wie in Allem Jesus Christus der Herr, unser einziges und vollkommenes Vorbild sei, und wir, als seine Glieder, durch Liebe und Demuth an Ihn, der das Haupt ist, in allen Stücken hinanwachsen, und Alle einander unterthänig sein müssen,

Diese herzliche Demuth müsse Mann und Weib, Eltern und Kinder, Herrschaften und Dienstboten verbinden, und sie ist gleichsam der allgemeine Grund und Boden, worauf allein alle christliche Tugenden gedeihen können.

Hiemit ist denn auch das Ziel, ja das innerste Wesen der christlichen Erziehung angegeben, und wir wollen dieselbe, nach Anleitung unseres Textes, näher erwägen, und zwar erstens, die eigentliche Erziehung selbst, und zweitens, den Unterbracht.

I.

Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn; sondern ziehet sie, auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn. In diesen Worten ist das Wesen der christlichen Erziehung ausgesprochen; und zwar durch den Unterschied oder den Gegensatz hervorgehoben. Erst sagt der Apostel was eine christliche Erziehung nicht sei, dann worin sie bestehe.

Die Kinder zum Zorn reizen, oder wie es im Colosserbriefe heißt, erbittern, heißt nicht nur sie im Allgemeinen mit zu großer Härte und Strenge behandeln, so daß sie scheu, muthlos werden, und die Eltern mehr fürchten, als lieben: es heißt namentlich, sie nicht christlich, sie mehr gesetzlich, als evangelisch erziehen, und so fassen wir es hier auf.

Aber warum warnt der Apostel nicht vor dem andern Aeußersten, worin doch so manche Eltern verfallen, nämlich vor zu großer Gelindigkeit und Verzärtelung der Kinder. Weil er zu, Christen redet, Geliebte, von denen ein solcher Mangel an Ernst nicht einmal vorausgefetzt werden kann. Von christlichen Eltern versteht es sich ja doch von selbst, daß ihnen das wahre, ewige Heil, die Seligkeit ihrer Kinder, wie ihr eignes am Herzen liegen, und dieses also auch das Ziel sein wird, daß sie bei ihrer Erziehung im Auge haben. Wie könnten sie also das Böse, die Sünde an ihnen nicht bemerken und nicht strafen? Oder was muß man von solchen Eltern und ihrer Liebe zu den Kindern, halten, die auf nichts Anderes bedacht sind, nach nichts Höherem streben, als wie ihre Kinder am besten durch die Welt und in der Welt fortkommen sollen, und darum sie mit allem Fleiß dahin zu, bringen suchen, daß sie sich so früh wie möglich der Welt gleich stellen, und auf dem allgemeinen breiten Wege mitziehen, und nach ihrem Beifall trachten lernen? Die Schrift sagt: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist, nämlich des Fleisches Lust, und der Augen Lust, und hoffärtiges Wesen“; und lehren solche Eltern nicht selbst ihre Kinder diese drei Götzen anbeten, indem sie ihnen Genuß, Reichthum und Ehre bei den Menschen, durch Wort und Beispiel als das eigentliche Lebensziel anpreisen? Wahrlich, um Kinder dahin zu führen bedarf es keines Ernstes und keiner Strenge, sondern nur einer beständigen Nachgiebigkeit gegen den ihnen von Natur einwohnenden Weltsinn, oder gegen das Fleisch. Daß eine solche Erziehung keine christliche genannt werden kann, bedarf keines Wortes, aber - könnt ihr es leugnen, Geliebte, daß sie die allgemeine, die herrschende in unserer Zeit ist; unter Vornehmen und Geringen, Gebildeten und Ungebildeten. Denn der Stand macht hier keinen Unterschied, es ist derselbige Sinn. Aber was müssen wir dann von unserer Zeit sagen?

Der Christ hat für sich, und also auch für feine Kinder ein ganz anderes Ziel, nämlich den Herrn Jesum Christum. Wie er in Ihm das Leben hat, so will er auch seine Kinder zu Ihm führen, daß sie in Ihm leben mögen; damit sie auch einst in Ihm sterben. Das fetzt der Apostel bei seiner Warnung, oder seinem Rath voraus. Er will ihnen also den Weg zeigen, wie sie dieses Ziel erreichen müssen: nämlich durch Zucht und Vermahnung. Nicht auf einem gesetzlich strengen, sondern auf christlich ernstem Wege, dem Weg der Buße und des Glaubens, d. h. durch lebendige Erkenntniß ihrer Sünde und Seiner Gnade.

Ja, meine Geliebte, dieses ist die ewige, unveränderliche, in der Natur des Evangeliums, in der göttlichen und menschlichen Natur gegründete Ordnung des Heils; der einzig mögliche Weg, auf dem wir Sünder, wir seien nun Kinder oder Erwachsene, zu dem Herrn kommen können, und eben darum ist er auch die einzige Regel und Richtschnur der christlichen Erziehung. Darin besteht also ihre ganze Aufgabe, die ganze Erziehungskunst und Wissenschaft des Christen, das Kind so früh wie möglich zu der Erkenntniß seiner eigenen Sündhaftigkeit, und der überschwenglichen Gnade des Herrn, Seiner Sünderliebe und Herrlichkeit zu führen, und in eine persönliche, lebendige Gemeinschaft mit Ihm zu bringen. Diese Aufgabe ist aber die allereinfachste, und zugleich die mannichfaltigste, die leichteste, und doch unendlich schwer, denn sie ist zwar ihrem innersten Wesen nach immer dieselbe, in ihrer Anwendung aber muß sie sich nach dem jedesmaligen Zustand des Kindes, seiner natürlichen Anlage, seinem Alter und seiner ganzen Empfänglichkeit richten. Aber eben darum kann sie auch nur von wahren Christen geübt werden, die auf demselben Wege zu demselben Ziel gelangt sind, und also eine wahrhaftige, lebendige Erkenntniß von beiden haben, von der Sünde, die in dem menschlichen Herzen, und von der Liebe, die in dem Herzen des Heilandes wohnt; und zwar um so besser, je bessere Christen, d. h. je demüthiger und liebevoller, je bußfertiger und gläubiger sie sind, je mehr sie selbst in der Gnade und Erkenntniß des Herrn zugenommen haben. Darum gibt es auch keine wahre Erziehung, im höchsten und eigentlichsten Sinn, als die christliche; denn sie ist nichts anders, als eine Nachahmung, ein beständiges Abbild der göttlichen.

Hat Gott ein anderes Ziel mit Seinen Kindern, als sie zu Dem zu leiten, den Er uns selbst zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und Erlösung gemacht hat, und kann Er dieses Ziel anders erreichen, als auf dem Weg der Buße und des Glaubens, durch Ernst und Güte? Seht, Geliebte, dieser Weg Gottes ist eben der rechte evangelische, den wir meinen. Aber eben hierin offenbart sich auch die unendliche Tiefe Seiner Weisheit, daß Er jeden Einzelnen anders, und gerade so führet, wie es ihm, und gerade ihm, nöthig ist.

„Bald scheint Er sie was harte anzugreifen, bald aber führet Er ganz säuberlich - braucht Vaterernst, und zeigt Mutterliebe.“

Und wird es uns hier auch nicht von selbst klar, daß nur dieser evangelische, und keineswegs der gesetzliche Weg zu diesem Ziele fuhren kann? Das Gesetz ist gut, sagt der Apostel, so sein Jemand braucht, nämlich wozu es gegeben ist: zur Erkenntniß der Sünde, d. h. als einen Zuchtmeister auf Christum. Willst du aber durch dasselbe mehr ausrichten, als es vermag, eine Heiligkeit, ein Leben Gottes erzwingen; so brauchst du es unrecht, und richtest nur Zorn an, und erbitterst, und machst aus deinen Kindern entweder Heuchler und Scheinheilige, oder gar Feinde des Evangeliums, und stiftest größeren Schaden, als Jene, die ihren Kindern gar keine christliche, sondern eine bloß weltliche Erziehung geben.

II.

Aber wie verhält sich nun zu diesem Ziel der Unterricht, oder die wissenschaftliche Ausbildung? Steht sie mit demselben in keiner, oder allenfalls nur einer fernen Verbindung? So wähnen Viele, aber sie beweisen eben dadurch, daß sie jenes Ziel aller Erziehung, die Gemeinschaft mit Gott, nicht kennen, wenigstens nicht als das ihrige anerkennen, daß sie zu den Weltmenschen gehören, die ein anderes Ziel, und also auch einen andern Weg haben. Der Religionsunterricht, freilich, das werden auch diese nicht leugnen, der muß sich auf dieses Ziel, wenigstens auf Christus und das Christenthum beziehen, und dazu hinführen, allein was ist ihnen dieser? Entweder gar nichts, und sie fügen sich auch hierin nur der Sitte, oder doch nicht der eigentliche Christus, der Erlöser, der Anfänger und Vollender, der im Fleisch offenbarte, in unser Elend herabgestiegene Gottessohn, und Welt- und Sünderheiland, sondern aufs Höchste genommen, ein Solcher, der das, was der Mensch ohnehin vermag, nur befördert und ergänzt. Daher kommt es denn auch, daß sie Seine Erkenntniß Nicht als das Erste, sondern als das Letzte, als eine bloße Zugabe ansehen, mit der man sich nur zu befassen habe, wenn alles Andere abgethan sei. So setzen sie diesen Unterricht so lang wie möglich ans, und wollen ihn so kurz wie möglich abgethan haben, um ja für das, was ihnen das Wichtigste ist, keine Zeit und Kraft zu verlieren.

Und diese traurige Gewohnheit - ich muß es öffentlich bekennen, und laut beklagen - fängt auch schon unter uns an, immer mehr einzureißen.

Aber, Geliebte, seht Ihr es selbst nicht ein, wie verkehrt, wie schädlich sie ist? denn wie schwer, wie unmöglich ist es, das so schon in sich selbst erstarkte, mit dem Wahn eigner Kraft erfüllte Gemüth dahin zu bringen, daß es sich vor den Herrn in seinem Elend und seiner Ohnmacht erkenne, wahrhaft Buße thue, und nach Gnade und Erneuerung hungere.

Ist es nicht eben dasselbe, als wenn man die heidnischen Völker erst mit aller menschlichen Wissenschaft und Bildung bekannt machen und dann zuletzt, wenn sie schon ganz unempfänglich dafür geworden sind, und es nicht mehr zu bedürfen wähnen, sie noch zu Christo hinführen wollte?

Nein, Geliebte, so muß es nicht sein, sondern gerade umgekehrt. Christus muß nicht das Letzte, sondern das Erste, oder vielmehr, das Erste und Letzte, der Anfang, Kern und Mittelpunkt, wie das Ende aller Erkenntniß, und darum auch die Grundlage, sowohl wie das Ziel, ja die Seele alles Unterrichts, aller Erkenntniß, aller Wissenschaft und Bildung sein. Nur in Ihm ist das Göttliche mit dem Menschlichen, das Ewige mit dem Zeitlichen, - das Unendliche mit dem Endlichen, das Geistige mit dem Leiblichen, die Schöpfung mit dem Schöpfer - Sünder mit Gott vereint.

Und so ist in Ihm die Quelle nicht nur alles Friedens, aller Freude, aller Ruhe, Kraft und Seligkeit, sondern auch aller gründlichen, wahren und lebendigen Erkenntniß und Wissenschaft. Denn in Ihm erkennen wir die Gottheit und die Menschheit, die Heiligkeit, die Sünde, und den Tod und das Leben; den Geist und die Natur mit allen ihren Kräften, denn in Ihm ist Alles geschaffen) das im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, beides die Thronen, und Herrschaften, und Fürstenthümer, und Obrigkeit, es ist Alles durch Ihn und zu Ihm geschaffen, und Er ist Kor Allem, und es bestehet Alles in Ihm.

Auch wir, auch du, und ich, auch unsre Kinder bestehen in Ihm, Er ist unser Leben, aber eben darum muß auch alle wahre Erziehung, aller gründlicher Unterricht von Ihm ausgehen und zu Ihm hinführen, in Ihm sich vereinigen. Allein dieß kann nur dann geschehen, wenn Kirche, Schule und Haus, wenn Prediger, Lehrer und Eltern in Ihm vereinigt sind, und vereinigt zu Ihm hinführen. O daß diese herrliche und selige Zeit bald herankomme. Amen.

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