Möhrlen, Christoph - Geschichte der Waldenser - Fortsetzung der Geschichte der Waldenser in Piemont von der Reformationszeit an bis auf unsere Tage.

Möhrlen, Christoph - Geschichte der Waldenser - Fortsetzung der Geschichte der Waldenser in Piemont von der Reformationszeit an bis auf unsere Tage.

„Und ich trat an den Sand des Meers. Und sah ein Tier aus dem Meere steigen; das hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und es ward ihm gegeben zu streiten mit den Heiligen, und sie zu überwinden.“ Offb. Joh. 13,1-7. Wenn je Roms Grausamkeit sich in ihrer schauerlichen Gestalt gezeigt und geoffenbart hat, so geschah dies im Kampf gegen die armen Waldenser. Dies haben wir schon im ersten Teil unserer Geschichte gesehen; aber es scheint, die Wunde, welche das Tier durch die Reformation erhalten hat, brachte dasselbe nur noch mehr in Wut gegen das Volk Gottes. In größeren protestantischen Ländern wagte der Antichrist es nicht, oder vielmehr, konnte er seinen Ingrimm nicht auslassen; aber in jenen stillen Alpentälern entlud er seinen ganzen Zorn gegen die Gläubigen. Es waren dies ja nur eine Hand voll Leute, und es standen ihnen keine Verteidigungsmittel zu Gebote, als das Gebet, die Geduld und der Glaube.

Durch die Reformation wurden die Waldenser in Piemont ermutigt, trotz der fortwährenden Verfolgungen, denen sie ausgesetzt waren, ihren Gottesdienst öffentlich zu halten (1532), und es kam so weit, dass die Messe aus den Tälern von Piemont verbannt wurde. Bisher hatten sie keine ordentliche Bibel, und bedienten sich nur einiger alten Handschriften; das alte Testament hatten sie nicht einmal ganz und vollständig in ihrem Dialekt; da ließen sie sich eine Bibel von Neuenburg kommen, beschickten auch Erbauungsbücher aus Genf, aber ihr Bote ward unterwegs getötet. Die äußeren Schicksale der Waldenser haben sich im Ganzen nach denen der südlichen Provinzen gerichtet. Wo diese von Frankreich und den südlichen Höfen aus verfolgt wurden, da litten auch die Waldenser mit. Unter und von Franz I., König von Frankreich, wurden die Verfolgungen mit vieler Grausamkeit fortgesetzt. Der Waldenser Geofry wurde im Schlosshof zu Turin verbrannt, und machte durch seine Sanftmut und seinen Glaubensmut einen großen Eindruck auf die Zuschauer. Am Schlusse des 16ten Jahrhunderts wurde Bartholomäus Copin, aus dem Lucerne-Tal, als er zu Ast auf dem Jahrmarkt einige Worte gegen das Papsttum hatte verlauten lassen, in Verhaft genommen. Die Mönche eilten herbei und wollten ihn bekehren; aber er bewies sich ungemein standhaft. An seine Gattin schrieb er, dass er sich allein auf die Gnade Jesu Christi verlasse, und nur im Vertrauen auf das Verdienst des Sohnes Gottes hoffe er selig zu werden. Er starb im Gefängnis, wahrscheinlich von seinen Feinden erdrosselt, und sein Leichnam wurde verbrannt.

Vermöge eines Tauschvertrags zwischen Heinrich IV. von Frankreich und dem Herzoge von Savoyen, zu Ende des 16ten Jahrhunderts, verloren die Waldenser des Marquisats von Saluces die Freiheiten, die sie unter der damaligen französischen Regierung genossen hatten. Der Papst hetzte ihren neuen Landesherrn gegen sie auf, und Viele von ihnen suchten ihre Sicherheit in Frankreich; einige von ihnen, verleitet durch die Liebe der Welt, verließen ihren Glauben und opferten die Wahrheit einem elenden zeitlichen Dasein, und das himmlische Vaterland dem kurzen Besitz ihrer irdischen Heimat auf. Die Waldenser erließen damals eine öffentliche Rechtfertigung, worin sie ihre Treue und Friedfertigkeit, die Härte ihres Schicksals, ihre vollkommene Übereinstimmung mit allen protestantischen Kirchen bezeugten, und als echte Wahrheitszeugen sich beurkundeten.

Diejenigen Waldenser, welche in den Alpen in und um Barcelonette wohnten, wurden im Jahre 1570 vom Herzoge von Savoyen grausam verfolgt. Sie sowohl, als andere ihrer Mitbrüder, baten die protestantischen Fürsten um ihre Fürsprache bei ihrem Landesherrn. Der Pfalzgraf am Rheine tat dies mit besonderem Eifer, konnte aber nichts ausrichten, und die Einwohner von Barcelonette mussten mitten im Winter ihre Heimat verlassen, und eine Menge kam auf einem hohen Berg, den sie passieren mussten, um's Leben; die übrigen retteten sich in's Tal Fraissiniere.

Nichts übertrifft die Gräuel und die unmenschliche, fanatische Bosheit und Grausamkeit, welche die Papisten im 17ten Jahrhundert an den Waldensern verübten. Die Römlinge zeigten sich damals nicht mehr als Menschen, sondern als Teufel in Menschengestalt. Wilde Kannibalen können nicht ärger und nicht so gräulich verfahren, wie jene Christen der sogenannten alleinseligmachenden Kirche. Ja, wenn es möglich wäre, die Hölle selbst müsste sich entsetzen vor solchen Schandtaten. Wir werden keinen Schleier über die Gräuel werfen; nein, wir wollen ihn lüften, oder vielmehr, wir wollen nacherzählen, was Johann Leger, ein Waldenser-Pfarrer, ein Zeitgenosse, in seiner Geschichte der Waldenser mitteilt und mit echten Zeugnissen, sogar von Seiten der Feinde, sattsam belegt hat. Der Leser darf daher die Tatsachen, die wir hier mitteilen, für keine Übertreibungen halten, sondern als reine, unverfälschte Wahrheit. Die Entschuldigung, die so manche falschen Friedensvermittler vorbringen, als seien die Schandtaten im finsteren Mittelalter verübt worden, fallen hier durchaus weg; denn sie geschahen über hundert Jahre nach der Reformation, unter den Augen einer gebildeten, aufgeklärten Welt; sie geschahen nicht in der afrikanischen Wüste, unter einem heißen Himmelsstrich, wo, wie man sagt, die Sonnenhitze das Blut erhitzt und zu Grausamkeiten reizt; sondern im Herzen vom christlichen Europa. Wir sehen eben, wie hier die alte Wahrheit sich bestätigt, die wir schon oft ausgesprochen haben: Rom ist sich immer gleich geblieben; es dürstet nach dem Blut der Heiligen, bis die Zeit kommt, wo dasselbe endlich den Zornkelch des Allmächtigen bis auf die Hefe ausleeren wird.

Die Verfolgung der unglücklichen Waldenser in Piemont, die unter dem Herzoge, Viktor Amadeus, durch die Verwendungen der großbritannischen Macht etwas gemildert worden war, brach später nur um so furchtbarer aus, und wir müssen deren erste Ursache in Rom selbst suchen. Der Papst Gregor XV. hatte nämlich im Jahre 1622 eine Missionsgesellschaft zur Ausbreitung des römischen Glaubens in fremden Ländern gestiftet, die unter dem Namen Propaganda bekannt ist. Wenn der Papst Missionen gründet, so wissen wir Protestanten wohl, wie dies gemeint ist. Voran tritt der Missionar im Mönchs- oder Jesuitengewand, und hinter ihm steht der Henker, um den, der nicht Papist werden will, sogleich zu fassen. Da heißt's dann: „Glaube uns, oder stirb!“ Da bildete sich auch in Turin ein papistischer Verein zur Ausrottung der im Land wohnenden Ketzer (1650), und neben dem Männerverein entstand sogar eine Gesellschaft von Frauen, welche hin und her in den Häusern, teils in eigener Person, teils durch Spione, die Waldenser ausforschten, und alle Mittel anwandten, sie zum Abfall zu bringen. Sie suchten den Gatten mit seiner Ehefrau, diese mit ihrem Ehemann, die Kinder mit den Eltern, die Eltern mit den Kindern in Zwiespalt zu bringen, und sie versprachen denen, welche die Messe besuchen wollten, große Belohnungen. Wussten sie einen Handelsmann, dessen Geschäfte schlecht gingen, eine Familie, die durch Unfälle in Schulden geraten war, da waren die papistischen Weiber bei der Hand, und versprachen Hilfe, wenn die Waldenser nur katholisch werden wollten. Die Markgräfin von Pianesse stand an der Spitze dieses Weiberrats, der, um seine Pläne durchzuführen, große Geldkollekten veranstaltete. Der Männerverein fasste großartige Pläne, um die Ketzer auszurotten. Die Verordnungen der Ketzergerichte wurden erneuert und verstärkt, welche den Protestanten jede Art von Handel untersagten. Kein Patent, kein Edikt selbst, keine Konzession des Fürsten wurde berücksichtigt. Eine Schar von Mönchen zog in die Täler von Piemont ein, und setzte sich selbst in denjenigen Orten fest, wo seit Menschengedenken keine Messe mehr gehalten worden war. Die Papisten suchten, wie sie konnten, die Waldenser durch abgefeimte Heuchler zu einem aufrührischen Schritt zu bewegen, um eine Anklage gegen sie als gegen Empörer, wie der Wolf gegen das Lamm, zu bekommen.

Die Waldenser verfassten (1653) mehrere Bittschreiben an ihren Landesfürsten, Carl Emanuel, welcher ihnen (d. 19. Mai 1654) die frühere, von seinem Vorfahren gewährte Freiheit und Duldung bestätigte; allein die Feinde, namentlich jener sogenannte Glaubensverein, ruhten nicht; sie brachten, da sie in Wahrheit den Waldensern nichts anhaben konnten, allerlei Lügen und Verleumdungen gegen sie in Umlauf. Eine öffentliche Zeitschrift berichtete z. B.: „Die Hugenotten im Tal Lucerne hätten den Priestern die Haut abgezogen und damit ihre Fahnen geziert; sie hätten Esel in die Kirchen geführt, denen sie die Hostie zu fressen gegeben usw.“ Ferner wurde ihnen Einäscherung von Häusern zu Schulden gelegt. Und an allen diesen nur zu lächerlichen Beschuldigungen war kein wahres Wort.

Dessen ungeachtet erließ Andreas Gastaldo (den 25. Jan. 1655) im Namen des Fürsten eine Verordnung, nach welcher die Waldenser bei Lebensstrafe ihre Wohnsitze innerhalb drei Tagen verlassen sollten. Als Orte, an denen sie geduldet werden sollten, wurden ihnen Bobbi, Villar, Angrogne, Noras und die Gegend von Bonnet angewiesen; aber auch hier musste, nach dem Willen des Herzogs, die Messe gehalten werden. Die Waldenser verließen sogleich ihre Häuser, ihre Heimat, und „nicht ein Schäflein,“ sagt ein Augenzeuge, Johann Leger, der Pfarrer und Moderator der Waldenser, „blieb den Klauen der Wölfe ausgesetzt. Wir haben Alles verlassen und sind Dir nachgefolgt; wir haben mit Freuden den Raub unserer Güter ertragen, und wir sind bereit, Alles zu dulden. Unser Wahlspruch ist das Wort des Vaters der Gläubigen: „Der Herr wird's versehen.“„ Indessen verwendeten sich die übrigen Waldenser, Johann Leger an der Spitze, für ihre Brüder. Sie begaben sich zu Gastaldo, und brachten solche Gründe vor, die jedes Herz, das nicht, wie Leger sich ausdrückt, so hart wie Diamant und Marmor ist, hätten erweichen müssen; aber Gastaldo war Mitglied des Vereins zur Ausrottung der Ketzer, und Kommissar desselben; daher bekamen sie schlechten Bescheid, und mit einer Bittschrift, die sie dem Fürsten überreichen wollten, wurden sie von der Markgräfin abgewiesen, und das Volk Gottes hatte nun keine anderen Waffen mehr, als Gebet, Seufzer und Tränen. Mittlerweile hatten die Feinde die Wohnungen der Waldenser beraubt und verbrannt, die Bäume umgehauen und das schönste Fruchtgefilde in eine schauerliche Wüste verwandelt. Der Graf Ressan, Präfekt des Gerichtshofs von Pignerol, hatte den Priester Fenil, den er hasste, durch Meuchelmörder aus dem Weg räumen lassen, und nun ließ er öffentlich bekannt machen, die Barbets, oder Waldenser seien die Urheber dieses Mordes; allein Ressan wurde dessen ungeachtet festgenommen. Als er aber auf Bürgschaft hin wiederum frei wurde, bekam er einen Verbrecher, Namens Berru, welcher den Bürgermeister Peter Nivoire von Mean ermordet hatte, in die Hände, und diesen überredete er, er solle vor Gericht aussagen, die beiden evangelischen Pfarrer Johann Leger und Johann Michelin von Angrogne hätten ihn zu jenem Mord gedungen. „So schmiedeten,“ sagt derselbe Johann Leger, „jene Höllenschmiede allerlei Beschuldigungen gegen die armen Evangelischen, ohne dass sie je Widerstand oder Anklage befürchten durften.“

Die Waldenser waren unterdessen nicht müßig: sie wendeten wiederholt alle gesetzlichen Mittel an, um Duldung zu bekommen Sie sandten Bittschriften über Bittschriften, bald an den Herzog, bald an dessen Mutter, bald an den Markgraf von Pianesse; alles war vergebens; denn der blutdürstige Pianesse war entschlossen, ihnen eine Antwort auf der Degenspitze zu bringen, und um das arme Volk unverhofft zu überfallen, vertröstete er ihre Deputierten auf eine Audienz. Unterdessen bereitete er alles zu einem Überfall vor, und zog den 16. April 1655 von Turin an der Spitze einer Armee in die Täler, wo er den 17ten, gerade an dem Tage ankam, den er ihnen für die Audienz bestimmt hatte. Seine Frau soll dem Tyrannen noch vor ihrem Ende die Ausrottung der Ketzer anbefohlen haben.

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