Melanchthon, Philipp - Rede von dem Ansehen der Gesetze

Melanchthon, Philipp - Rede von dem Ansehen der Gesetze

gehalten 1538.

Es gibt nichts Nützlicheres im Leben, als den Gemüthern eine gute und ächtungsvolle Meinung von den Gesetzen einzupflanzen, und nichts Verderblicheres gibt's im Leben und im Tode, als wenn man die Gemüther zur Verachtung und Verhöhnung der Gesetze gewöhnt. Da es nun äußerst heilsam ist, daß dieß der Jugend öfters eingeprägt werde, so geschieht nach meiner Meinung sehr recht daran, wenn bei diesen öffentlichen Promotionen der nämliche Gegenstand: „von dem Ansehen der Gesetze,“ öfters behandelt wird. Und welches Geschäft ist auch rühmlicher, als die Geschenke der Gottheit zu preisen und zu verherrlichen, und die unerfahrne Jugend zu inniger Befreundung mit den Dingen, welche das Nützlichste im Leben find, und zur Hochschätzung derselben zu ermuntern? Oder was verdient mehr, in gelehrten Kreisen zu ertönen, als solche Reden, welche auf die Verherrlichung Gottes, und die Zucht der Jugend berechnet sind, zumal da die Zusammenkünfte, unwissender, lasterhafter Menschen von unmäßigen Schmähungen der Gesetze widerhallen? Es ist aber oft der Gedanke in mir aufgestiegen, daß solche Schmähungen nicht nur aus menschlicher Unwissenheit und Verkehrtheit entstehen, sondern daß sie vom Teufel gleich scharfen Stacheln in die rohen Gemüther, um sie zu zerfleischen, geworfen werden, damit die Achtung gegen die Gesetze erlösche, und Auflösung der Zucht und Ordnung erfolge, welche für die Religion sowohl, als für die gemeinsame Wohlfahrt und Sicherheit verderblich ist. Es fordert aber unsre Stellung und unser Amt uns auf, jene Stachel, d. h. jenen falschen Wahn, aus den menschlichen Gemüthern auszureißen, das hohe Ansehen der Gesetze und des Rechts durch Wort und Beispiel ins Licht zu setzen, und zu verherrlichen, und so viel an uns ist, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Zucht Sorge zu trägen. Da nun an dieser Statte ein anderer ausgezeichneter Mann, v. Hieronymus (Schurff), den ich nicht nur wegen sehr vieler besonderer Beweise seines Wohlwollens gegen mich, sondern auch um seiner ausgezeichneten Rechtlichkeit und Gelehrsamkeit willen, hochachte, und gleich einem Vater verehre, uns sämmtlich in kräftiger Rede zur Ehrfurcht gegen die Gesetze, und dann unsre Zuhörer insbesondere zu fleißigem Studium derselben ermahnt hat, will ich heut' ein anderes, wiewohl verwandtes Thema wählen, nämlich den für Studirende so fruchtbaren Satz will ich abhandeln: Daß die Christen zu den mosaischen Gesetzen nicht verbunden sind, sondern daß ihnen erlaubt ist, die Gesetze anzunehmen, welche dem Naturrecht gemäß sind,' mögen sie auch von einer heidnischen Obrigkeit aufgestellt sein.' Sodann will ich zeigen, daß das römische Recht vorzüglicher, als die Gesetze der übrigen Völker, ja daß es wahrhaft eine gewisse Philosophie ist. Denn ich weiß, daß vor einigen Jahren ein Jüdisch-gesinnter hier sogar öffentlich behauptet hat, Christen dürften sich nicht des heidnischen Rechts bedienen, weil die Christen durch das Wort Gottes sich müßten regieren lassen. Nachher erklärten seine Anhänger in öffentlichen Vorträgen die übliche Strafe des Diebstahls, und noch viele andere bürgerliche Verordnungen der jetzigen Rechtspflege für unstatthaft. Solche willkürliche Abschaffung der Gesetze ist-nicht nur ungerecht, sondern erschüttert auch die Staaten, wie die Folgen der furchtbaren Volksunruhen vor dreizehn Jahren gezeigt haben. Auch heutiges Tages gibt es in. den Staatsämtern nicht Wenige, deren Gewissen von abergläubischem Wahn gefoltert werden, weil sie in Betreff der politischen Verhältnisse nicht gründlich unterrichtet sind. Keinesweges aber kommen solche Irrungen jetzt zuerst zum Vorschein; es ist das alter mönchischer Wahnwitz, welchen der Teufel jetzt, wie ein gedämpftes Feuer, wieder anfacht, wie er ja die nämlichen Ketzereien auch von Zeit zu Zeit von Neuem aufzurühren pflegt. Darum wird es zweckdienlich sein, die Jünglinge zu erinnern, daß sie über diese Materie theils eine richtigere Ansicht sich verschaffen, theils bei Beurtheilung der Meinungen die Aussprüche der wahren Kirche zu Rache ziehen. Vorerst nun will ich den Grund entkräften, den man gewöhnlich entgegen stellt: Christen nämlich müßten durch das Wort Gottes sich regieren lassen, weßhalb man die Nothwendigkeit des göttlichen Worts bei bürgerlichen Rechtsfällen behauptet. Entschieden und klar ist die Antwort in Bezug auf das äußerliche Leben, z. B. auf Speise, Arzneimittel, Baukunst, daß nämlich die Christen in dieser Hinsicht auch durch das Wort Gottes, aber durch das allgemeine, bestimmt werden, in wiefern es nämlich den Gebrauch dieser Dinge, als von Gott gebilligt, ja diese Dinge selbst als Gottes Gaben, zu unserm Nutzen verordnet, darstellt. Wie übrigens weder der Arzt noch der Baukünstler die Regeln ihrer Künste aus der Schrift entlehnen, so hat auch der Gesetzgeber in Bezug auf bürgerliche Angelegenheiten nicht nöthig, außer der allgemeinen Grundregel, fein System selbst aus der Schrift zu nehmen. Denn das Evangelium, da es eigentlich das ewige und geistige Leben verkündiget, verändert weder, noch erschüttert es die äußere Verwaltung oder oje Staatsverfassung, welche, verglichen mit den inneren Bewegungen des Herzens, einem Hause ganz ähnlich ist. s Denn so wie das Haus nach bestimmter Regel erbaut ist, nach welcher alle Theile zweckmäßig an einander gepaßt sind, damit es den Bewohner gegen das Ungemach der Witterung schütze;' obgleich das Innere des Bewohners innerhalb dieser Wände nicht eingeschlossen ist, sondern in stillem Nachdenken über den Willen Gottes und die Ewigkeit in unbeschrankter Ferne gleichsam zum Himmel sich aufschwingt, denn er denkt, den Veränderungen aller Zeiten nach, betrachtet den Ursprung und die Verschiedenheit der Religionen, den Wechsel der Weltreiche, die traurigen Schicksale, denen die menschliche Natur unterworfen ist, und im Gegensatz die Wohlthaten, die ihr durch Christus werden; richtet endlich seine Betrachtung auf das Haus selbst, bewundert seinen Baumeister, und wird sich bewußt, daß auch die Bequemlichkeiten des leiblichen Lebens Gottes Geschenke sind: eben so ist die gestimmte Staatsverfassung gleichsam ein Haus, mit wunderbarer Gunst von Gott erbaut, durch obrigkeitliche Gesetze, äußere Ordnung, Vertrage, Rechtspflege, Zucht, Strafen, Vertheidigungsmittel verwahrt und gesichert. Obgleich mit solchen Mauern umzäunt und umschirmt, können wir dennoch Gottes uns bewußt werden, und uns überzeugen, diese Staatsverfassung, zur Sicherung dieses Lebens bestimmt, sei gleichsam ein von Gott erbautes Haus, und es hängt in Bezug auf das geistige und ewige Leben Nichts davon ab, ob dieses Haus, d. i. die Staatsverfassung von Mose, oder andern Gesetzgebern, so zu sagen, aufgebaut sei, wenn sie nur mit dem Naturrecht übereinstimmt. Ich bekräftige das zuerst durch diesen Grund: Die Apostel sprechen Apostelgesch. 15. deutlich und bestimmt aus, man dürfe die Heiden nicht mit dem Gesetz Mose belasten; ja Petrus tritt denen, welche die entgegen gesetzte Meinung haben, mit strengem Vorwurf entgegen, und erklärt, sie versuchten Gott; ein Vorwurf, der nicht härter hätte sein können; denn Gott versuchen heißt: desselben spotten, indem man Etwas unter dem Vorwande göttlicher Auctorität anordnet. Daher zeigt Petrus, daß die, welche die Kirche an das mosaische Gesetz banden, keine geringe! Sünde begingen. Denn eben weil sie göttliche Auctorität fälschlich vorwenden, spotten sie Gottes auf eine grauliche Weise. Und eben so erklärt sich Petrus in Bezug auf die Ceremonieen und politischen Gesetze, wie die ganze Verhandlung der Apostel bezeugt, indem sie das Zeugniß des Heiligen Geistes anführen, daß Gott gesprochen, die mosaische Verfassung habe für die Heiden keine Geltung, und endlich ausdrücklich verordnen, man dürfe den Heiden Nichts auflegen, außer dem, was in jenen? Beschlusse enthalten ist, indem sie endlich auf die Schriftstellen sich beziehen, in welchen den Heiden die Seligkeit zugesprochen wird. Im eigentlichen Sinne aber werden Heiden die genannt, welche die mosaische Verfassung nicht haben. Darum war es nicht nöthig, den Heiden das mosaische Gesetz aufzubürden. Dazu füge ich noch ein anderes Zeugniß: Im Hebräer-Briefe heißt es: die Bestimmung des mosaischen Gesetzes reiche bis auf die Ankunft Christi. Es ist also jene Verfassung nach dieser Zeit nicht mehr nothwendig. Auch unterscheidet Christus sein Reich von einem leiblichen, wenn er spricht: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Ja gleich wie die Krieger Christum mit Dornen krönten und zerstachen, und in einem Purpurgewande aufführten, so krönen diejenigen Christum auf schmähliche Weise, welche, sein Ansehen fälschlich vorwendend, die bürgerliche Ordnung zerfleischen und untergraben, und eine neue zu gründen sich vermessen. Zugleich sündigen sie auch darin, daß sie die geistigen Wohlthaten und die Uebungen des Glaubens in Schatten stellen und verdunkeln, indem sie die Menschen durch den Wahn täuschen, als fordere Christus Nichts, als jene bürgerlichen Pflichten des Mose. Solche Verfinsterungen tilgen das Evangelium gänzlich aus. Es fordert endlich das Evangelium auch Gehorsam gegen die heidnischen Obrigkeiten; sonach muß man auch den Gesetzen derselben Folge leisten. Denn das Gesetz ist die Stimme der Obrigkeit selbst, und der Obrigkeit gehorchen ist nichts Anderes, als ihren Gesetzen und Verordnungen gehorchen. Noch könnt' ich viele andere Grunde hinzu fügen; jedoch da dieß einleuchtend und überzeugend ist, setz' ich Nichts weiter hinzu, zumal da die Heilige Schrift auch viele Beispiele frommer Leute außerhalb der mosaischen Verfassung aufstellt. Denn, um nicht zu sprechen von den Patriarchen vor der Zeit des Gesetzes, so hat es auch nachher unter den Heiden viele Fromme, und zwar auch Lenker großer Staaten gegeben, als Naäman, Nebukadnezar, Darms, Kyrus. Auch durfte Daniel bei den Persern die Erbschaften nicht nach den Gesetzen der Juden theilen. Werden ja auch römische Hauptleute und Krieger in der evangelischen Geschichte rühmlich erwähnt. Drum laßt uns keinen Zweifel hegen, daß auch die übrigen Staatsverfassungen, in sofern sie nur, wie gesagt, dem Naturrecht nicht widerstreiten, Gott wohlgefällig sind; und das eben meint Paulus, wenn er spricht: „Das göttliche Recht, von Gott in der Menschen Herzen geschrieben,“ damit sie eine Regel von Gott hätten, die Gesetze zu leiten und zu beurtheilen.

Nachdem ich nun gezeigt, daß auch die übrigen Staatsverfassungen Gott wohlgefallen, mögen redliche Gemüther das fleißig bedenken, daß auch diese, um mich so auszudrücken, Gottes Werk oder Gebäude sind. Denn auch Daniel sagt ausdrücklich, Gott gründe die Reiche, und Paulus: die Staatsverfassungen seien Gottes Ordnung. Drum ist's ein großes Verbrechen, durch Verletzung der Gesetze gleichsam das von Gott gewebte Gewebe zu zerreißen, was eben der Teufel auf ränkevolle Weise erstrebt. 'Denn was könnt' es Schöneres, was Anziehenderes geben, als Staatsverwaltung, - wenn die Harmonie der menschlichen Gesellschaft nicht unterbrochen und gestört würde! Wenn die Staatsoberhäupter für die Ausbreitung der wahren Religion und ihre Beschützung Sorge trügen! Wenn sie sorgfältig über den sittlichen Zustand der Bürger wachten; wenn sie die Streitigkeiten untersuchten, die Guten und Redlichen schützten und begünstigten, die Bösen aber hemmten und bestraften! Wenn die Bürger einträchtig unter einander mit bescheidenem Sinne Folge leisteten, wenn in den Kirchen Ruhe herrschte, und sie gut verwaltet würden. Wenn in den Schulen nützlicher Unterricht ertheilt, und strenge Zucht gehalten würde! Wäre nicht ein solcher Zustand jenes goldne Zeitalter, welches die Dichter schildern! Das ist die von Gott angeordnete Weise der Staatsverwaltung, und diese beschützt und erhält Gott, in sofern sie wohl besteht. Aber in seiner tollen Raserei bringt der Teufel in diesen Chor Verwirrung, regt Tyrannen auf, daß sie gleich jenen den Himmel befehdenden Giganten sich vermessen, die Religionen zu vertilgen, mit unmenschlichem Morden gegen die Bürger wüthen, die ganze Natur durch ihre schändlichen Lüste beflecken, die ungestrafte Freiheit des Verbrechens bestätigen, edle Wissenschaften ausrotten, die Kirchen zerfleischen. Das war der Zustand Rom's zur Zeit Nero's und ähnlicher Tyrannen. So schändete der Teufel die Harmonie der göttlichen Ordnung. Indessen ließ Gott dieselbe nicht gänzlich vertilgt werden, sondern stellte sie bald darauf durch die Ausrottung des Tyrannen wieder her. Wie aber jener Tyrann das Werkzeug des die göttliche Ordnung erschütternden Satans war, gleicher Maßen müssen sich alle Verächter der Gesetze als Werkzeug des Satans empfinden, die der göttlichen Strafe noch anheim fallen müssen, wie Gott so oft androht, und wie die Beispiele aller Zeiten darthun. Denn Gott, der Weltrichter, sieht es, und übergibt verbrecherische Menschen entweder der Obrigkeit zur Bestrafung, oder züchtigt sie selbst mit besondern furchtbaren Strafen. Keine Obrigkeit konnte dem Clodius Einhalt thun; endlich setzte Milo ihm Schranken. Den Antonius konnten weder Gesetze, noch das Ansehen des Senats, noch die heiligsten! Verträge abhalten, Bürgerkrieg zu erregen; so erwürgte denn dieser Tyrann, nachdem er bei dem Sieger vergeblich um sein Leben gefleht, und in seinem Elende auch die Königin Cleopatra sich entleiben gesehen hatte, sich selbst in furchtbarem Schmerze. Wir wollen nicht meinen, ihr Jünglinge, daß Solches durch Zufall also gekommen, sondern daß es göttlicher Ordnung zu Folge geschehen ist, welche auf diese Weise das rasende Beginnen solcher Menschen rächet, die dem Gesetze Hohn sprechen, und die von ihm selbst gegründete Harmonie der menschlichen Gesellschaft stören. Darum haben wir nicht bloß in der Geschichte solche Beispiele aufzusuchen, sondern auch in der Gegenwart bietet das Leben unzählige Var. Laßt uns also lernen die Gesetze achten, und bürgerliche Zucht lieben und bewahren, in der Gewißheit, daß die, welche nicht gehorchen, nicht nur wider die Menschheit, sondern wider Gott kämpfen, und in der uns umschließenden bürgerlichen Verfassung gleichsam das von Gott erbaute Gebäude untergraben.

Doch ich will nun auch von dem andern Theile, nämlich vom römischen Rechte, warum der Staat gerade dieses angenommen hat, sprechen. Die jüdischen Gesetze waren für jene Nation ausschließend gegeben, und können nicht mehrern Völkern angemessen sein. Denn sie weisen bestimmten Familien bestimmte Wohnsitze an, und verbieten, dieselben zu vertauschen. Das kann nur in einem beschränkten Gebiete Anwendung finden. Spartanische Gesetze theilen die Länderelen nicht, sondern verordnen, dieselben gemeinschaftlich zu bebauen, und den Ertrag zu vertheilen. Auch das kann nur bei einer geringen Volkszahl Statt finden. Ueberdieß enthalten sie unsittliche Verordnungen in Betreff der Ehe. Die athenischen, Gesetze nähern sich den römischen mehr, doch haben diese eine größere Strenge in der Bestrafung der meisten Verbrechen. Auch bestimmen sie das Erbrecht genauer, unterscheiden zwischen Erbschaft, Fideicommiß und Vermächtnissen, ja Endlich sind auch die römischen Gesetze mit mehr Aufwand von Gelehrsamkeit abgefaßt. Denn oft wundre ich mich über die Verkehrtheit gewisser Leute, welche wähnen, was recht und billig sei, könne ohne Wissenschaft und Gelehrsamkeit, durch ein gewisses natürliches Gefühl erkannt werden, wie die Bienen ihrem künstlichen Bau ohne Gelehrsamkeit vorstehen. Aber sie sind ganz und gar in Irrthum. Denn allerdings gebe ich zwar zu, daß, wie bei andern Künsten, die Natur einige Grundzüge an die Hand gibt, wie die Wissenschaft durch staunenswerthe Messungen, dann durch künstliche Anordnung als solche allmälig sich gestaltet, so auch in Bezug auf Rechts- und Ordnungspflege die Grundregeln von der Natur dargeboten werden. Denn nothwendig müssen gewisse Principien vorhanden sein; aber aus diesen Quellen können ohne Gelehrsamkeit die besondern Regeln nicht abgeleitet werden. Wie oft täuscht den Menschen das Verwandte! Wie schmählich pflegt man auch in unserer Zeit durch unmäßige Zinsen ein vorgebliches Risico geltend zu machen! wie weiß man bald durch angebliche Geschäftsverbindung mit Anderen, bald durch erdichteten Kauf den gierigen Schlund des Wuchers zu verdecken! Solchen Sachen kann man ohne gelehrte Bildung und Wissenschaft weder auf die Spur kommen, noch Verbesserungen treffen. Welche Finsterniß würde in den Gerichtshöfen herrschen, welche Verwirrung, wenn der Unterschied der einzelnen Klagefälle nicht wissenschaftlich festgestellt wäre! Wer würde ohne gelehrte Kenntniß einsehen, warum vom rechtlichen Besitzthum der Besitzstand zu unterscheiden sei? Und dergleichen vieles Andere. Es nöthigt mithin die Sache selbst, zu gestehen, daß zur Bestimmung dessen, was recht und billig, höhere Gelehrsamkeit erforderlich, und daß eben das der hauptsächlichste Theil der Moralphilosophie sei. Nichts ist eines gelehrten Mannes unwürdiger, als wenn er das Ansehen seines besondern Fachs auf Kosten anderer gelehrter Fächer zu erheben sucht, denn alle sind ja vortreffliche Geschenke Gottes, und darum soll man Jedes achten und anerkennen. Wenn es nur das wunderbare Werk Gottes in der menschlichen Seele ist, daß wir Zahl, Ordnung und Verhältniß der Dinge kennen, woraus viele Wissenschaften, z. B. die Arithmetik und Dialektik, hervorgehen,, warum bewundern wir nicht auch jene Kenntnisse, welche Recht und Unrecht unterscheiden, und die Rechtswissenschaft begründen? Diese Kenntnisse sind ein Theil des göttlichen Ebenbildes, und haben größern Einfluß auf das Leben, als andere Kennwisse, oder wissenschaftliche Ideen. Die aus diesem wunderbaren Lichte und diesem Gottesbilde hervorgegangene Wissenschaft der Rechtsgelehrten ist nicht minder eine Wissenschaft, als die übrigen Fächer der Gelehrsamkeit. Wenn es daher der Wissenschaft bedarf, um genaue Kenntniß und Unterschied dessen, was Recht und Unrecht, zu finden, wem anders sollten wir folgen, als den durch Gelehrsamkeit und Erfahrung gleich achtbaren Männern, die in den weisesten Berathungen über die höchsten Angelegenheiten des Staats diese Unterscheidungen festgestellt haben? Mit Recht bedienen wir uns daher des römischen Rechts! Welcher Fleiß auf diese gelehrte Sammlung seit Augusts Zeiten bis auf Justinian verwendet worden, davon gibt's diele klare Zeugnisse. Wie viele von den Entscheidungen des Trebatius, Tubero, Labeo, Capito hat Augustus, der selbst auch ausgezeichnete Weisheit in gerichtlichen Verhandlungen kund gab, aufgenommen! Auch gab er oft dem Labeo nach, wenn dieser ihm freimüthig entgegnete. Aber wie so oft selbst milde und sanfte Fürsten bisweilen starren Eigensinn zeigen, so gab auch Augustus, wenn er auch dem Labeo nicht wehe that, doch zu verstehen, daß er sich durch seine Freimüthigkeit verletzt fühle, und gab dem jüngern Capito das Konsulat. Die Weise Augustus behielten auch die ihm folgenden Kaiser bei, und ließen ohne Zuziehung von Rechtsgelehrten bei gerichtlichen Streitigkeiten keine Beschlüsse ergehen. Dem Tiber standen Nerva und Cassius, dieser auch dem Vespasian, dem Trajan und Hadrian, Celsus und viele Andere zur Seite. Doch wurde auch Keiner in den Rath aufgenommen, ohne durch Zeugnisse des Senats dem Kaiser empfohlen zu sein. Später hielten die Antoninen noch weit öftere Berathungen mit Rechtsgelehrten. Alexander Severus, von dem Im Codex sehr viele Gesetze befindlich sind, ließ kein Decret ergehen, ohne Zuziehung von zwanzig Rechtsgelehrten. Wenn ich diese Weise erwäge, kann ich nicht umhin, die Nachlässigkeit und Barbarei unsers Zeitalters zu rügen, mit der so viele mächtige Könige und Fürsten Entscheidungen geben, entweder ganz ohne Zuziehung gelehrter Männer, oder doch ohne zuvor mit einer hinlänglichen Zahl solcher sich reiflich berathen zu haben. Daher ergehen viele abgeschmackte und dem Rechte gänzlich widerstreitende Verordnungen und Entscheidungen, welche dem Ansehen der Fürsten gewiß nicht geringen Eintrag thun. Da nun jene ruhmwürdigen Männer ein gelehrtes Werk zusammen gestellt, und darin Alles mit sorgfältiger Unterscheidung umfaßt haben, was das Wohl und die Sicherheil der menschlichen Gesellschaft bedingt: Personen- und Sachenrecht, die verschiedenen Erwerbsweisen, die Vertrage, Erbfolge, Erbschaften, Oblasten, Klagen, Strafen !c.: so sind wir in der That verpflichtet, Gott zu danken, daß er unserm Reiche solch ein Recht wieder geschenkt hat. Denn nicht ohne Gottes Fügung ist es geschehen, daß, obgleich nach dem Falle des Römerreichs auch der Gebrauch dieser Gesetze verloren gegangen, und eine fremde barbarische , Rechtspflege an ihre Stelle getreten war, dennoch 500 Jahre nach Justinian die römischen Gesetze in die Gerichtshöfe, so wie in die Hochschulen, wieder zurück gerufen worden find. Diese Erneuerung derselben hat viele, durch Barbarei herbei geführte Gebräuche in gerichtlichen Fällen sowohl als in den übrigen Beziehungen des bürgerlichen Lebens verbessert. Auch den Wissenschaften hat sie Dienste geleistet. Darum laßt uns über diesem hohen Gute um des gemeinsamen Bestens so vieler Völker willen treulich wachen. Denn das geschriebene Recht ist eine sichere Schutzwehr gegen die Tyrannei, und je wissenschaftlicher es abgefaßt ist, um so mehr Billigkeit spricht es aus. Durch diese Mauer ist die Volksfreiheit gegen die Willkür der Machthaber geschirmt. Ließen wir uns dieses Recht entreißen, - welche Tyrannei würde eintreten, wenn statt der Gesetze nur die Leidenschaften der Mächtigen gälten! Denn leicht ist's, Vorwände zu erdichten, und unter kriegerischem Außenschein die innere Gesinnung zu verbergen! Sehr wahr sagt Cicero: „Wenn man vom Recht sich entfernt hat, ist Alles unsicher.“ Eine weit größere Unsicherheit würde Statt finden, wenn gar kein geschriebenes Recht vorhanden wäre. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß jene Unsicherheit und Herrscherwillkür wiederum Veranlassung sein würde, ein neues Recht zu schreiben; und wenn dieß geschähe, so würde doch nur ein rohes, unausgebildetes Werk geschrieben werden, wie es ja wohl jetzt in einigen Gegenden der Fall war, und jede einzelne Stadt würde etwas Anderes aufstellen. Unser Recht -fördert nicht nur durch seine Billigkeit die allgemeine Sicherheit, sondern gewährt auch den Vortheil, daß viele Völker durch die Aehnlichkeit des Rechts unter einander verbunden sind. Drum wollen wir an diesem Rechte, das von so weisen Männern in einem so ausgezeichneten Staate geschrieben, das durch besondere Weisheit der angesehensten Männer wieder erneuert worden ist, das so gerechte Grundsätze ausspricht, und so sehr mit der Vernunft übereinstimmt, das uns schirmt gegen die Herrscherwillkür, das Zucht und Sittlichkeit fördert, festhalten, und es mit allem Eifer verfechten. Denn es offenbart so große Gerechtigkeit, daß es, war' es auch nicht öffentlich und allgemein eingeführt, doch in den Schulen gelesen werden müßte, um das Wesen der Gerechtigkeit und Billigkeit zu lernen. Denn nirgends ist das Bild der Gerechtigkeit vollständiger und deutlicher ausgedrückt, als in diesen Gesetzen. Deßhalb müssen wir auch zu Gott wünschen, daß Er diese Wissenschaft zu Ruh' und Frieden des Staates erhalten wolle.

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