Melanchthon, Philipp - Die Historie vom Leben und Geschichten des ehrwürdigen Herrn Dr. Martin Luthers,

Melanchthon, Philipp - Die Historie vom Leben und Geschichten des ehrwürdigen Herrn Dr. Martin Luthers,

durch Dr. Philipp Melanchthon. 15461).

Es hat uns zwar der ehrwürdige Hr. Dr. Martinus Luther vertröstet, er wolle uns erzählen den ganzen Lauf seines Lebens und Anfang aller seiner Kämpfe, und hätte es auch gethan, wo er nicht aus diesem sterblichen Leben zur ewigen Gesellschaft Gottes und der himmlischen Kirche wäre genommen worden.

Nun wäre es aber nütze, daß man wüßte, wie er für sich selbst daheim gelebt hätte, und daß solches wohl und fleißig beschrieben wäre. Denn darin möchten viel Exempel gefunden werden, die da sehr dienlich wären, fromme Herzen in Gottes Furcht zu stärken; so könnten auch Zeit und Gelegenheit, so dabei angezeigt würden, die Nachkommen von vielen Dingen unterrichten. Zudem würden auch die Lästermäuler dadurch widerlegt, so da vorgeben, daß er sei von Fürsten oder andern Leuten gereizt worden, die Bischöfe unwerth und veracht zu machen, oder ja muthig aus dem Kloster gelaufen, dieweil er nicht habe mögen nach der Mönchsordnung eingezogen leben und unterthänig sein. Also daß es wohl gut wäre, daß solche Dinge ganz und nach der Länge von ihm selbst erzählt worden, und an den Tag gegeben wären.

Denn obschon böswillige Leute ihm hätten das gemeine Sprichwort vorgeworfen, da man sagt: dieser muß sich selbst loben; die Nachbarn sind ihm weit gesessen rc. rc.; so wissen wir doch wohl, daß er eines solchen ehrbaren Gemüths war, daß er freilich solche Historien glaubwürdiglich würde erzählt haben. So wäre es ja auch lächerlich gewesen, daß er von sich selbst hätte fremde Dinge gedichtet und ausgebracht, wie die Poeten in ihren Fabeln zu thun pflegen, da er doch wohl gewußt, daß noch viel frommer und verständiger Leute, lebten, die den ganzen Handel genugsam erkannt hatten.

Dieweil er denn nun von dem Tode übereilt worden, ehe denn er solche Historien hat an den Tag gegeben; so will ich davon treulich und mit Wahrheit schreiben, was ich zum Theil von ihm gehöret, zum Theil selbst gesehen habe:

Es ist in der Wohlgebornen Herrn und Grafen von Mansfeld Herrschaft ein alt und groß Geschlecht ehrlicher Leute, die einen ziemlichen Stand geführt haben, genannt die Luther. Daher sind auch Martin Luthers Aeltern gewesen; die haben erstlich ihre Wohnung in der Stadt Eisleben gehabt, da auch Martin Luther geboren ist; darnach sind sie gen Mansfeld gezogen; daselbst ist sein Vater, Johann Luther, in's Regiment gekommen, und ist um seiner Redlichkeit willen bei allen frommen Leuten lieb und werth gehalten worden. Seine Mutter, Margaretha, Johann Luthers Eheweib, hat viel Tugenden an sich gehabt, die einer ehrlichen Frau zustehen, und ist insonderheit berühmt gewesen ihrer Zucht, Gottesfurcht und fleißigen Gebetes halben, daß auch alle andere ehrliche Weiber auf sie, als auf ein Exempel und Vorbild der Tugend und Ehrbarkeit, sonderlich gesehen haben. Dieselbe, als ich sie oftmals gefragt, zu welcher Zeit ihr Sohn wäre geboren worden, hat sie mir gesagt, des Tags und Stunde sei sie wohl gewiß, aber an der Jahrzahl habe sie Zweifel, und sagt, er wäre geboren worden am zehnten Tage des November in der Nacht nach elf Uhr, und wäre das Kind darum Martinus geheißen worden, daß der nächste Tag hernach, da es durch die Taufe der Gemeine Gottes eingeleibt worden sei, St. Martinus Fest gewesen wäre. Aber sein Bruder Jakob, ein frommer aufrichtiger Mann, sagt, die Freundschaft hätte es allwege also gehalten, daß sein Bruder geboren wäre worden im Jahr nach Christi Geburt 1483. Nachdem nun gemelkter, ihr Sohn Martinus, des Alters gewesen, daß er hat mögen Etwas fassen und lernen, haben ihn die Aeltern im Hause fleißig gehalten zu rechter Erkenntniß und Furcht Gottes, und zu Uebung andrer Tugend, und nach gemeinem Brauch ehrlicher Leute lassen Schreiben und Lesen lernen, und hat ihn Herr Georgen Aemilii Vater in die Schule getragen, als er noch klein gewesen; welcher denn auch noch lebt und diesem Schreiben mag Zeugniß geben.

Nun waren aber zur selbigen Zeit in den sächsischen Städten ziemlich gute Schulen, darin man die Grammatik lehret; darum auch Martinus Luther, als er in sein vierzehntes Jahr ging, gen Magdeburg geschickt worden ist, mit Johann Reinicken, welcher darnach ein trefflicher Mann geworden, und in diesen Landen um seiner Tugend willen großes Ansehen bekommen hat, und haben auch darnach sie zwei einander allezeit lieb gehabt, vielleicht daher, weil sie von Jugend auf einander gewohnt gewesen, oder daß sich sonst ihrer Beider Natur mit einander so wohl verglichen hat. Es ist aber Luther nicht länger denn Ein Jahr zu Magdeburg geblieben; darnach ist er zu Eisen ach in die Schule gegangen zu einem Manne, der die Grammatika baß gelehret hat, denn sonst der Gebrauch gewesen; denn ich weiß mich noch zu erinnern, daß Luther seliger denselben rühmet seiner Lehre und Verstandes halben. Nun war er aber daselhst hin der Ursach halben geschickt worden, daß seine Mutter daselbst herum von einem alten ehrlichen Geschlecht geboren war, Und hat auch allda seine Grammatik ausgelernet.

Und nachdem er eines sehr guten Verstandes gewesen, und sonderlich geneigt zum Wohlreden, hat er alsbald angefangen in seinen Schriften alle Worte wohl zu setzen, und ein Ding weitläuftig zu handeln; und ist also in diesem Stück und auch in lateinischen Versen zu schreiben, seinen Gesellen weit überlegen gewesen. Da er nun gemerkt, wie ein lieblich Ding es wäre um die Lehre, hat er alsbald aus brünstiger Begier zu lernen, Lust zur hohen Schule bekommen, dieweil er hielt, daß aus derselben, als aus einer Brunnquelle, alle Künste herflössen. Hätte auch seinem hohen Verstande nach alle solche Künste nach einander mögen begreifen, wo er nur geschickte Lehrer bekommen, welches vielleicht auch dazu gedient hätte, daß durch solche freundliche und sittige Lehre der rechten Philosophie, und durch seinen Fleiß, den er hatte, wohl und geschicklich zu reden, sein heftiger und ernster Muth, so ihm angeboren, etwas gelindert worden wäre.

Nun ist er aber gen Erfurt gekommen, und hat daselbst die Dialectica (welche Kunst vornehmlich lehret recht und wohl disputiren) also müssen lernen, wie sie damals gelehret ward, das ist, dunkel und verworren genug, doch hat er dieselbe bald gefasset; denn er eines solchen scharfen Verstandes gewesen, daß er Grund und Ursach derselbigen Lehre besser, denn die Andern, hat können verstehen. Und als nun sein Sinn und Muth ganz begierig war zu lernen, und immer etwas Weiteres und Besseres suchte, hat er angefangen, die vornehmsten alten lateinischen Schreiber zu lesen, als da ist Cicero, Virgilius, Livius und andere dergleichen. Die er denn also gelesen hat, daß er nicht allein die Worte daraus genommen, wie die jungen Knaben, sondern auch eine Lehre und Exempel des menschlichen Lebens daraus gefaßt hat. Darum er auch desto fleißiger Acht gehabt, was derselben Scribenten Vornehmen wäre, und wohin ihre Rede gereichet, und darnach fast alles Dasselbige, so er gelesen oder gehört hatte, im Sinn behalten, gleich als ob er's immer vor Augen hätt, wie er denn sonst behältig und guten Gedächtnisses war. Auf solche Weise ist er vor andern jungen Gesellen vorgekommen, daß auch die ganze hohe Schule daselbst über Luthers Verstand sich verwundert hat.

Da er nun 20 Jahre alt, und Magister in den freien Künsten geworden, hat er angefangen, in Rechten zu studiren, auf Rath seiner Freunde. Denn derselbigen Meinung war, man sollte einen solchen wohl beredten und verständigen Menschen hervor ziehen und zu gemeinen Sachen brauchen. Aber bald hernach, da er nun 21 Jahre alt geworden, kommt er unversehens ohne seiner Aeltern und andrer Freunde Wissen, in das Augustiner-Kloster zu Erfurt, und begehrt, man wolle ihn da aufnehmen. Und als er da aufgenommen worden, hob er gleich an mit Fleiß zu lernen die Lehre, so da in der Kirche gebräuchlich und gemein war, hielt sich über das auch selbst mit großem Ernst in Zucht und Furcht, und in allen Uebungen that er's den andern Allen weit zuvor, mit Lesen, Disputiren, Fasten, Beten, und was dergleichen war.

Er war aber von Natur von wenigem Essen und Trinken, daß ich mich seiner oft verwundert habe, dieweil er doch nicht klein, noch schwach von Leib war. Ich hab' gesehen, daß er zu Zeiten in vier ganzen Tagen, wenn er schon gesund war, Nichts gegessen oder getrunken hat. So habe ich auch sonst oft gesehen, daß er täglich nur mit wenig Brot und einem Hanna, begnügt gewesen, und das zu Zeiten viel Tage lang.

Daß er aber eben den Mönchsstand angenommen und denselben für den bequemlichsten gehalten, fromm zu leben, und Gottes Wort zu lernen, ist das die Ursach, wie er uns selbst gesagt und auch andere Viel wissen. Wenn er etwa dem Zorn Gottes und den erschrecklichen Exempeln Seiner Strafen mit Ernst nachgedacht hat, sind ihm alsbald solche Schrecken angekommen, daß er davon schier vergangen wäre. Und zwar ich hab's selbst gesehen, daß er in einer Disputation, die Lehre betreffend, so tief in die Gedanken gekommen, daß er gar erstorben ist, und sich in die nächste Kammer auf ein Bett gelegt, und indem er betet, diesen Spruch oft wiederholt hat: „Er hat Alles beschlossen unter die Sünde, auf daß Er sich Aller erbarme.“ Solche Schrecken hat er am ersten gefühlet, oder ja am heftigsten, als er auf eine Zeit seiner Gesellen Einen verloren hatte, so etwa durch ein Unfall war umgekommen. Also ist nun offenbar, daß ihn gar nicht seine Armuth, sondern die Gottesfurcht zum Mönchsleben getrieben hat.

Wiewohl er nun im Kloster die Lehre, welche damals in den Schulen gemein war, täglich vor hatte und lernte, und die Lehrer, die man Sententiarios nennet, fleißig las, dazu im Disputiren viel Irrungen und geschwinde Ränke, daraus sich andre Leute nicht richten konnten, dermaßen erkläret, daß sich sein viel Leute verwunderten, schlug er doch seinen Fleiß nicht ganz darauf, sondern ließ es sich nur eine Uebung sein, damit er sich nach andern hohem Geschäften erlustiret, und merket bald, wie er sich darein schicken sollte; sonst war seine Meinung nicht, daran seine Kunst zu beweisen, und großen Ruhm zu erjagen, sondern sucht nur, was ihm zu einem heiligen gottesfürchtigen Leben dienen möchte. Darum gab er sich darneben mit größerem Ernst auf der Propheten und Apostel Schriften, als den rechten Grund und Quelle der himmlischen und göttlichen Lehre, auf daß er gewisse Zeugnisse hätte von dem Willen Gottes, damit er sein Herz trösten, und sich in rechter Gottesfurcht und wahrem Glauben stärken könnte. Dazu ihm denn auch seine Furcht und Schrecken, davon droben gesagt ist, groß Ursach gaben.

Er hat uns auch erzählt, wie er oft aus eines Alten Rede im Augustinerkloster zu Erfurt sehr getröstet sei worden. Denn als er demselben seine Schrecken offenbaret, hat er ihm viel vom Glauben gesagt, und ihn auf den Artikel des Glaubens von der Vergebung der Sünden gewiesen. Diesen Artikel hat ihm derselbe Alte ausgelegt und gesagt, daß man nicht allein insgemein glauben müsse, daß Etlichen ihre Sünden verziehen würden, wie auch die Teufel glauben, daß sie dem h. David oder St. Peter verziehen werden; sondern das wäre Gottes Befehl, daß unser Jeder insonderheit glaube, ihm werden seine Sünden nachgelassen. Und daß solches der rechte Verstand wäre, hat er bewiesen aus einem Spruch St. Bernhards, und ihm gezeiget einen Ort in der Predigt von der Verkündigung Maria, da denn diese Worte stehen: „Dazu sollst du aber auch das glauben, daß dir durch Ihn deine Sünden geschenkt werden. Dieß ist das Zeugniß, so der heilige Geist zeuget in deinem Herzen, da er spricht: deine Sünden sind dir vergeben. Denn also hält es der Apostel, „daß der Mensch ohne Verdienst gerecht werde, durch den Glauben.“ Röm. 3. (28.)

Aus dieser Rede, sagt Luther, wäre er nicht allein getröstet, sondern auch erinnert worden, was allenthalben die rechte Meinung St. Paulus wäre, in dem Spruch, den er so oft anzeigt, nämlich: „durch den Glauben werden wir gerecht.“

Nun hatte er darüber viele Auslegungen gelesen, und doch nie gemerkt, daß die gemeine Lehre des Papstthums von diesem Stück so gar Nichts werth wäre, bis er dieses Alten Rede gehöret, daraus er einen solchen Trost in seinem Herzen empfangen hatte. Als er darnach je länger, je mehr gelesen, und die Sprüche und Exempel, die von den Propheten und Aposteln angezeiget werden, dazu gehalten, und unter einander verglichen hat, und mit täglichem Gebet sich im Glauben wacker gemacht, ist er also allgemach je mehr und mehr erleuchtet worden. Da hat er auch angefangen, St. Augustini Bücher zu lesen, und hat gefunden in der Auslegung der Psalmen, und im Buch vom Geist und Buchstaben viel hellere Sprüche, die solche Lehre vom Glauben und den Trost, so nun in seinem Herzen angezündet war, bestätigten. Hat aber doch daneben die Sententiarios nicht gar hingeworfen. Denn den Gabrielem und den Cameracensem konnt' er schier von Wort zu Wort auswendig sagen. So hat er Occams Schriften fleißig gelesen, und hielt ihn, seiner Scharfsinnigkeit halben, höher, denn den Thomam und Scotum. Deßgleichen hat er auch Gersonem fleißig gelesen, und sonderlich des heiligen Augustini Schriften alle, wie er sie auch wohl wußte. Solchen hohen Fleiß hat er angefangen zu Erfurt im Augustinerkloster, darin er vier Jahre lang gewesen ist.

Da nun zur selbigen Zeit der ehrwürdige Herr Staupicius, welcher die hohe Schule zu Wittenberg hat helfen aufrichten, auch gern gesehen hätte, daß man in derselben neuen Schule die heilige Schrift gelehret hatte; und gedacht, was Luther für ein hochverständiger, gelehrter Mann wäre, brachte er ihn gen Wittenberg, als man zählet nach Christi Geburt 1508, seines Alters im 27sten Jahre; da hat er sich täglich müssen üben mit dem Predigen und mit Lesen in der Schule, daraus man darnach noch das hat sehen können, wie einen guten Verstand er hatte; also daß ihn viel treffliche Männer, als nämlich Dr. Martin Mellerstadt und Andre mehr, fleißig gehöret haben, und Dr. Mellerstadt oft gesagt: es wäre ein solcher hoher Geist in dem Manne, daß er nichts Anderes könnte denken, denn er würde eine neue Art und Weise zu lehren in die Schulen bringen.

Allda hat er erstlich die Dialektica und Physica aus dem Aristoteles gelehret, und doch dazwischen nicht unterlassen, der heiligen Schrift Lehrer fleißig zu lesen.

Ueber drei Jahre darnach ist er gen Rom gezogen, von wegen etlicher Zwiespalte zwischen den Mönchen, und als er in demselben Jahre wieder gekommen, ist er nach gemeinem Gebrauch der hohen Schule Doctor geworden, und hat ihm Herzog Friedrich, Kurfürst zu Sachsen, die Kosten dazu erlegt; denn er hatte ihn zuvor gehört predigen, und sich verwundert, da er gesehen, wie reich von Verstand und kräftig in Worten er wäre, und wie nützliche Lehren er handelte in seinem Predigen. Und ist zu wissen, daß er zum selbigen Mal schon im 30ten Jahr seines Alters gewesen, damit Niemand meine, er sei Doctor gemacht worden, ehe er zum rechten Verstand gekommen sei. Er erzählete uns, wie er sich solcher Ehren sehr geweigert; da hab' ihn Staupitius geheißen, er soll sich lassen zum Doctor machen, und in Schimpfs2) weise dazu gesagt, unser Herr Gott werde nun Viel zu thun bekommen in seiner Kirche, dazu Er ihn brauchen müsse. Wiewohl nun dieses eine Schimpfrede gewesen, ist es doch darnach also ergangen. Wie denn oft viele Dinge zuvor gesagt und errathen werden, wenn solche Aenderungen sollen kommen.

Nach diesem hat er angefangen, die Epistel zu den Römern auszulegen, darnach die Psalmen, und hat dieselben Schriften dermaßen an den Tag gebracht, daß alle fromme verständige Leute seine Lehre nicht anders können halten, als ein neues Licht, das durch die dicke Finsterniß, darin sie zuvor lange gesessen wären, heraus scheinet und leuchtet. Denn da zeigt er an, welcher Unterschied zwischen dem Gesetz und Evangelium wäre; widerlegt den Irrthum, der damals in den Kirchen und Schulen überhand genommen hatte, in welchen man lehrte, daß die Leute durch ihre eigne Werke Vergebung der Sünden verdienten und durch äußerliche Frömmigkeit vor Gott gerecht würden, wie die Pharisäer gelehrt haben. Also hat Luther die Herzen der Menschen wiederum zu dem Sohne Gottes gezogen, und sie, gleichwie Johannes der Täufer, auf das Lamm Gottes, das unsre Sünde getragen hat, gewiesen, und angezeigt, daß die Sünden ohne Verdienst verziehen werden, allein um des Sohnes willen, und daß solche Güte durch den Glauben müsse gefasset werden. Darnach hat er die andern Artikel unsers christlichen . Glaubens auch nach einander erkläret, und also an nützlichen und nöthigen Stücken angefangen, dadurch er ein großes Ansehen bekommen, sonderlich dieweil auch sein Leben der Lehre gleich, und seine Lehre nicht bloße Worte waren, sondern Jedermann sahe, daß er es von Herzen also meinte. Denn solcher Ruhm an einem Lehrer, seines ehrlichen Wandels halben, bringt bald große Gunst bei den Zuhörern, wie auch ein alter griechischer Spruch lautet: ein ehrbarer Wandel behält den besten Glauben. Daher ist auch gekommen, daß ihm darnach viel ehrliche fromme Männer nicht zuwider gewesen, sondern ihm vielmehr beigestanden sind, da er angefangen hat, die alten Ceremonieen und Kirchengebräuche zu ändern; denn sie hatten ihn erkannt, und gesehen, daß seine Lehre und Leben gerecht war, und bisher die Welt in denselben Stücken jämmerlich wäre verführt worden.

Wiewohl Luther zur selben Zeit noch nichts in Ceremonieen geändert hatte, sondern hielt selbst ganz strenge Ordnung unter den Seinen. Hat auch die schweren und spitzigen Fragen, die in den Schulen getrieben werden, nicht mit eingeführt, sondern allein die gemeinen nothwendigen Lehren von der Buße, von Verzeihung der Sünden, vom Glauben, vom rechten Trost in Zeit der Trübsal, alle Zeit fleißig erklärt, und Jedermann gelehret; daran auch alle fromme und gottesfürchtige Herzen eine große Freude hatten, und war auch den Gelehrten lieb, daß Christus, sammt den Propheten und Aposteln, die vorhin, als in einem finstern Kerker gefangen gelegen und verschimmelt waren, einmal wieder hervor kamen, und die Leute lerneten, was für Unterschied wäre unter dem Gesetz und seinen Verheißungen und dem Evangelio und seinen Verbeißungen; item, unter menschlicher und evangelischer Lehre, unter geistlicher und weltlicher Frömmigkeit, davon man wahrlich in Thomas und Scotus Schriften Nichts findet. Es halfen aber auch Erasmi Roterodami Bücher wohl dazu, dadurch allenthalben die Leute bewegt worden, daß sie großen Fleiß auf die lateinische und griechische Sprache wendeten, also daß fromme verständige Leute zu solcher Lehre nun eine Liebe gewonnen, und der Sophisterei feind geworden, damit die Schulen und Mönche vorhin umgegangen waren. Es begab sich Luther auch selbst auf beide, griechische und hebräische Sprache, und lernte dieselbe eigentlich und fleißig, damit er seine Lehre aus dem rechten Brunnen schöpfen möchte, und also den rechten Verstand desto gewisser finden könnte.

Dieweil er aber damit umging, kam ein Predigermönch in dieses Land, genannt Tetzel, ein unverschämter Lecker, und verkaufte hin und wieder Ablaßbriefe; der machte mit seinen unchristlichen, gotteslästerlichen Predigten, daß Luther (als der einen rechten Ernst und Eifer hatte zur Gottesfurcht) etliche Artikel ließ, ausgehen von dem Ablaß, die nun im ersten Theile seiner Bücher gedruckt sind, und schlug dieselben öffentlich an die Schloßkirche zu Wittenberg auf Allerheiligen Abend im Jahr 1517.

Da hielt sich Tetzel, wie zuvor auch, und damit er möchte bei dem Papst zu Rom Dank verdienen, sammlete er einen Rath von etlichen Mönchen und sonst von etlichen losen Sophisten und Schulgelehrten; denen befahl er, wider Lutherum zu schreiben. Damit man aber nicht meinte, er wäre vergebens da und könnte allein Nichts, hob er an wider Luther zu donnern und zu hageln in seinen Predigten, und rief allenthalben, man sollte den Ketzer verbrennen; und warf seine Artikel und Predigten von den Ablaßbriefen öffentlich in's Feuer. Durch solches Wüthen und Rasen des Tetzels und seines Anhangs ward Luther gezwungen, weiter von der Sache zu handeln und die Wahrheit zu vertheidigen.

Daher ist nun der ganze Hader gekommen, wiewohl Luther damals noch Nichts geträumet hatte von Veränderung der Ceremonieen in der Kirche, verwarf auch die Ablaßbriefe noch nicht ganz, sondern begehrte allein, daß man nicht so grob davon redete. Darum lügen ihm fälschlich an Alle, die da vorgeben, er habe darum am Ablaß angefangen, damit er den Leuten einen Schein machte und ein ander Regiment anrichte, dadurch darnach er selbst oder sonst Leute desto mehr Macht und Ansehen bekamen; und ist gar Nichts dran, daß der H. von Braunschweig schreibt, er habe sich Fürsten Rede und Hofleute dahin lassen bewegen. Denn Herzog Friedrich ist sehr bekümmert gewesen, um solcher Uneinigkeit und Gezänkes willen, als der gar weit in den Handel gesehen, und wohl verstanden hat, daß solches Feuer mit der Zeit weiter würde um sich fressen, obschon der Anfang gut wäre, wie auch der heidnische Poet Homerus schreibt vom Zank:

Hebt erstlich an von kleinem Leid
Und bald hernach sich weiter ausbreit't.

Denn es war ja Herzog Friedrich unter allen Fürsten unserer Zeit zu gemeinem Frieden sonderlich geneigt, und suchte in allen Anschlägen gar nicht seinen eigenen Nutzen, sondern vornehmlich gemeine Wohlfahrt der ganzen Welt, wie man in vielen Sachen spüren kann; also, daß man nicht kann argwöhnen, daß er Luthern verhetzt oder sonst gestärkt habe; sondern hat oft zu verstehen gegeben, daß er sich der Sache hoch bekümmert und größere Zwietracht besorgt habe. Weil er aber doch ein weiser Fürst war, und nicht allein Weltweisheit brauchte, nach welcher man gemeiniglich keine Neuerung leiden will, sondern dieselbe gleich von Anfang sich unterstehet, mit Gewalt zu unterdrücken; sondern auch Gottes Wort zu Rache nahm, welches uns heißet, das Evangelium hören, und der öffentlichen Wahrheit nicht muthwillig widerstehen, und nennet solchen Muthwillen eine Gotteslästerung, die Gott zum Höchsten verdammet. Um dieser Ursach' willen that er auch, wie viel fromme und vernünftige Leute mehr thun, und wich nicht von unserm Herrn Gott, las auch fleißig allerlei Bücher, und was ihm dünkte der Wahrheit gemäß zu sein, wollte er nicht helfen unterdrücken. So weiß ich, daß er oft weise gelehrte Leute gefragt, was sie von dem Handel hielten, und auf dem Reichstage, den der Kaiser zu Cöln gehalten, nachdem er gekrönt worden, hat er Erasmum Roterodamum freundlich gebeten, er wollte ihm frei und unverholen sagen, ob er meinete, daß Luther unrecht hätte in den vornehmsten Stücken, davon er gehandelt hat. Da hat Erasmus öffentlich gesagt, Luther habe eine rechte Meinung; allein er möchte wohl wünschen, daß er etwas glimpflicher handelte. Darauf hat hernach Herzog Friedrich Luthero ernstlich geschrieben, und ihn hoch ermahnet, er wolle sich seines scharfen Schreibens mäßigen. Auch ist das offenbar, daß Luther dem Cardinal von Cajetan hat wollen verheißen, still zu schweigen, in sofern, daß die Widersacher auch also thäten. Daraus man öffentlich siehet, daß er zur selben Zeit noch nicht im Sinn gehabt, hernach einen neuen Zank anzuheben, sondern Ruhe und Frieden gesucht; daß er aber darnach je länger je weiter gekommen ist, das haben ungelehrte Leute gemacht, die ihm mit ihrem Schreiben wider ihn Ursach gegeben haben. Denn daher sind darnach kommen allerlei Disputationen und Gezänke, als vom Unterschied göttlicher und menschlicher Gebote, vom gräulichen Mißbrauch des Nachtmahls des Herrn, so man dasselbe verkauft, und andern Leuten zueignet; dazu ist vonnöthen gewesen eine gründliche Lehre und Erklärung vom Opfer und rechten Gebrauch der Sacramente. Da aber etliche fromme Leute in den Klöstern gehört haben, daß man der Abgötterei solle müßig gehen, haben sie zu solchem ungöttlichen Wesen nicht mehr wollen verbunden sein, und sind davon gezogen. Das hat Lutherum bewogen, daß er über das, so er vorhin von der Buße, von Verzeihung der Sünden, vom Glauben und vom Ablaß gelehret hatte, weiter auch vom Unterschiede göttlicher und menschlicher Gebote, vom rechten Gebrauch des heiligen Nachtmahls und anderer Sacramente und von Gelübden handelte; um dieser Stücke ist der größeste Zank gewesen.

Die Frage von der Gewalt des Papstes hat darnach Doctor Eck vorgebracht um keiner andern Ursach willen, denn daß er den Papst, sammt Kaiser und Königen wider Luthern hetzte. Was aber die Artikel des christlichen Glaubens anbetrifft, die hat Luther rein und lauter behalten, wie sie durch die Apostel, durch das Concilium zu Nicea, und den heiligen Athanasius sind gestellet und geordnet worden. Darnach in Ceremonieen und Menschensatzungen hat er in vielen Schriften weitläufig genug angezeigt, was man andern sollte, und aus was für Ursachen.

Und in dem Bekenntniß des Glaubens, so Herzog Hans zu Sachsen, Kurfürst, und Philippus, Landgraf zu Hessen, rc. rc. Kaiser Karl dem Fünften auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahr 1530 überantwortet haben, stehet man wohl, was für Ceremonieen und Satzungen er habe wollen behalten, und welche Form und Weise ihm gefallen habe in der Lehre und Unterrichtung der Sacramente. Auch kann man es wohl sehen m den Ceremonieen unserer Kirchen in dieser Stadt, und aus der Lehre, so in unsern Kirchen gepredigt wird, welche Summa und Meinung in dem jetzt gemeldeten Bekenntniß ausdrücklich begriffen ist. Das Alles sage ich derohalben, auf daß fromme Leute nicht allein bedenken, was für Irrthum Luther gestraft habe, was für Abgötterei er habe abgethan, sondern auch wissen, daß er die ganze Lehre, so der christlichen Kirche vonnöthen ist, angenommen, die Ceremonieen und Kirchenordnungen wieder gebessert, und gottesfürchtigen Leuten ein Exempel vorgestellt habe, wie man die Kirchen recht anrichten solle. Solches soll man wissen, und ist nütze, daß die Nachkommen auch berichtet werden, was Luther für recht und gut gehalten habe oder nicht.

Ich will aber allhier nicht melden, wer zum ersten das Nachtmahl in beiderlei Gestalt gereicht habe; wer erstlich die Winkelmessen habe unterlassen; wo man habe angefangen, aus den Klöstern zu gehen; denn davon hat Luther nicht viel gehandelt, ehe der Reichstag im 1521sten Jahr zu Worms gehalten ist worden.

Dazu was die Ceremonieen belanget, die hat nicht er selbst, sondern der Carlstadt und Andere geändert, dieweil Luther ausgewesen ist. Davon darnach Luther auch geschrieben und seine Meinung öffentlich hat lassen ausgehen, da er wieder gekommen ist, damit Jedermann wüßte, was er daran für recht oder unrecht hielte. Denn Carlstadt hat viele Dinge durch Auflauf abgethan.

Nun weiß ich wohl, daß Alle, so bürgerliche Zucht und gut Regiment lieb haben, großen Abscheu haben an allen Neuerungen; und ist wahr, daß Zwietracht und Uneinigkeit in diesem trübseligen Leben allwege etwas Böses bringt, wenn schon der Anfang gut ist. Und dennoch muß man in der Kirche Gottes Gebot höher halten, denn alle menschliche Dinge. Denn also ruft der ewige Vater von Seinem Sohne: „Dieß ist Mein geliebter Sohn; Den höret!“ Und dräuet den Gotteslästerern ewigen Zorn, nämlich denen, so die erkannte Wahrheit begehren zu unterdrücken. Derhalben hat Luther ein nothwendig Werk gethan, sonderlich in der gemeinen Predigt, daß er die schädlichen Irrthümer gestraft hat, welche damals etliche ruchlose epikurische Leute mit Haufen und ohne alle Scham und Furcht aufbrachten, und es haben die Zuhörer billige Ursach gehabt, ihm zu folgen. Daß man aber solcher Neuerung feind ist, und daß solche Uneinigkeit viel Unraths gebiert, wie wir denn leider viel zu sehr inne werden, daran sind diejenigen schuldig, so erstlich solche Irrthümer allenthalben aufgebracht haben, und denn auch die, so noch dieselben aus teufelischem Haß und Neid handhaben wollen.

Solches rede ich aber nicht derohalben allein, daß ich Luthero und seinen Zuhörern Recht gebe, sondern darum, daß fromme Herzen zu unserer Zeit auch auf die Nachkommen gedenken und , sehen, was das Regiment der christlichen Kirche sei, und allezeit gewesen sei, wie sich Gott durch die Predigt des Evangelii eine ewige Kirche sammlet und aussucht aus diesem großen Haufen der Menschen, die doch alle unrein und eitel Sünde sind, und lässet unter denselben sein Evangelium scheinen wie ein Fünklein in einer tiefen Finsterniß.

Also war es zur Zeit der Pharisäer, da dennoch Zacharias, Elisabeth, Maria und Andere mehr die rechte wahre Lehre unter sich behielten. Also sind auch vor dieser Zeit viel Leute gewesen, die aus rechtem Herzen Gott haben angerufen, obschon Etliche das Evangelium nicht so eigentlich verstanden haben, als die Andern. Also ist auch jener Alte gewesen, der Luthern in seinen Schrecken und Anfechtungen oft getröstet und eine Anleitung gegeben hat zu der rechten Lehre vom Glauben, wie droben gesagt ist. Also sollen wir auch mit Ernst und von Herzen bitten, daß Gott förderhin bei Vielen das Licht Seines heiligen Evangelii erhatten wolle. Gleichwie Jesaias für seine Schüler bittet, da er spricht: Versiegele das Gesetz meinen Jüngern. Ueber das haben wir auch aus dieser Historie zu lernen, wie falscher Gottesdienst und Aberglauben nicht pflegen lange zu bestehen, sondern wird durch sonderliche Schickung Gottes ausgerottet. Und dieweil solches die rechte Ursach ist, daraus Aenderung und Neuerung folget, daß man desto fleißiger verhüten solle, daß keine Irrthümer in den Kirchen gelehret werden.

Auf daß ich aber wieder auf meine vorige Rede komme von Luther, ist das auch wohl zu merken, daß er hernach eben sowohl, als am Anfang, Nichts aus Stolz und eigenem Muthwillen gehandelt, sondern bei seinem Amte blieben ist, also daß er keines Andern Gewalt gebraucht hat, denn in der Lehre und Predigt; sonst hat er allwege gewehret, daß man nicht Krieg anfinge, wiewohl er doch hitziger und zorniger Natur war; denn er verstand wohl, was für ein Unterschied wäre zwischen einem Bischofe, der die Kirche lehren solle, und zwischen der weltlichen Obrigkeit, der das Schwert befohlen ist.

Darum da der Teufel etliche Mal aufrührische Köpfe, als Münzer und seines Gleichen, entzündet hatte, Unruhe und Lärmen anzuheben, wie er denn allwege Aergcrniß suchet, dadurch er sich unterstehet, die Kirche zu trennen und Gott selbst Schmach anzuthun, und hat Lust und Freude, wenn's übel zugehet, und die armen Menschen verführt und verderbt werden; da hat Luther solche Schwärmerei heftig gescholten und verdammt, und dagegen die weltliche Obrigkeit und alle weltlichen Ordnungen nicht allein gerühmet und vertheidigt, sondern auch mehr gestärket bei dem Volk. Also daß, wenn ich bei mir selbst betrachte, wie oft viel herrlicher Männer aus der christlichen Kirche in diesem Stück sich vergriffen haben, kann ich's nicht anders halten, denn daß sein Herz und Gemüth nicht allein durch menschlichen Fleiß und Vermögen, sondern auch durch göttliche Erleuchtung also regiert und geführt worden sei, daß er beständig bei seinem Befehl geblieben und sich nicht weiter eingelassen hat.

Nun hat er nicht allein die aufrührerischen Lehrer unsrer Zeit, als Münzern und die Wiedertäufer, gescholten und verworfen, sondern auch alle die, so unverschämt und vermessen gewesen sind, daß sie in ihren Decreten und Satzungen haben dürfen setzen: St. Peter habe eben sowohl Gewalt und Befehl gehabt, das weltliche Regiment zu führen, als das Evangelium zu lehren. In Summa, er hat alle Menschen vermahnet, daß sie Gott geben, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist, das ist, daß sie Gott dienen in wahrer Reu' und Leid über ihre Sünden; in rechtem Ernst und Eifer, die wahre Lehre zu fassen und zu behalten, in wahrer Anrufung durch das Gebet; und in allem Gehorsam, dadurch ein gutes Gewissen behalten wird. Deßgleichen, daß ein Jeglicher der weltlichen Obrigkeit in allem bürgerlichen Gehorsam, mit Zucht und Ehrerbietung, als von Gottes wegen, unterthan wäre. Solcher Lehre ist er auch selbst nachgekommen; denn er hat Gott gegeben, was Gottes ist; hat eine rechte Lehre geführt; hat Gott recht angerufen, und hat sonst viel andere Tugenden an sich gehabt, die einem frommen Menschen, der Gott gefallen soll, zugehören, und in seinem äußerlichen Wandel hat er beharrlich und mit Fleiß vermieden alle Anschläge und Vornehmen, so zu Aufruhr dieneten. Diese Tugenden halt' ich für das größeste Kleinod, das Einer in diesem zeitlichen Leben wünschen möchte. Wiewohl nun dieselben an diesem Mann hoch zu loben wären, dieweil er sich der Gaben Gottes also weislich und mäßiglich gebraucht hat, so solle man doch Gott darum am meisten danken, daß Er uns durch ihn das Licht Seines heiligen Evangeliums wieder angezündet hat, und sollen solche Lehre behalten und nicht in Vergessung kommen lassen, sondern erweitern und je mehr und mehr forttreiben. Und es ficht mich gar nicht an, daß ruchlose, epikurische oder heuchlerische Leute wider uns rufen und schreien, und die öffentliche Wahrheit entweder verlachen, oder gar lästern und verdammen; sondern ich halte es für gewiß, daß die Lehre, so in unsern Kirchen gehört und gepredigt wird, sei der allgemeinen Kirche Gottes einmüthige Lehre und Meinung für und für gewesen, und daß diese Lehre Alle wissen müssen, die Gott recht anrufen und christlich leben wollen. Und zuletzt, daß es sei eben die Lehre, von welcher der Sohn Gottes spricht: „Wer Mich liebet, der hält Mein Wort, und Mein Vater wird ihn lieben; und Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen!“ Ich rede hier von der Summa und den Hauptstücken, wie dieselben von frommen gelehrten Leuten in unsern Kirchen verstanden und gelehrt werden. Denn ob schon zu Zeiten Einer deutlicher und geschicklicher lehret; denn der Andere, dagegen ein Anderer etwa nicht so artig und glimpflich redet, so ist doch die Meinung in der Hauptsache einerlei bei frommen und verständigen Leuten.

In den vergangenen Zeiten, von den Aposteln an bis zu unsrer Zeit, dünkt mich, wenn ich's wohl bedenke, es seien nach dem ersten Anfang, da die Lehre am reinsten gewesen, vornehmlich vier Aenderungen in der christlichen Kirche nach einander vorgegangen. Denn erstlich zu der Zeit des Origenes; wiewohl Etliche gewesen sind, die recht gelehret haben, dafür ich den Methodium halte, welcher des Origenes Allegorie und kindische Auslegung nicht hat zugelassen; so ist doch bei dem gemeinen Manne das Evangelium schier für eine Philosophie gehalten und verdunkelt worden durch die Lehre, daß man könnte Vergebung der Sünden verdienen, wenn man äußerlich fromm und züchtig lebte, so viel menschliche Vernunft und Vermögen geben kann, und sei dasselbige die Gerechtigkeit, davon der Spruch lautet: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“ Zu dieser Zeit ist der Unterschied zwischen dem Evangelio und dem Gesetz schier gar vergessen worden, und haben die Leute gelernt, anders reden, denn der Apostel Schriften lauten. Denn sie haben nicht mehr verstanden, was diese Wörter an sich selber eigentlich heißen: Buchstab, Geist, Gerechtigkeit, Glaube. Wo man nun den natürlichen Verstand der Wörter verlieret, da können auch die Dinge, die mit solchen Wörtern erstlich genannt sind, nicht mehr verstanden werden, sondern wird etwas Fremdes dafür verstanden. Aus dieser Wurzel ist darnach des Pelagii Irrthum erwachsen; der hat weit und breit überhand genommen. Also hat Origenes unter die reine Lehre, welche die Apostel als frische, helle Brunnen in die Kirche geleitet hatten, viel Lehm und Koth geschüttet.

Auf daß nun solche Irrthümer aufs Wenigste zum Theil abgeschafft und gebessert würden, hat Gott den h. Augustin erweckt; der hat die rechten Brunnen ziemlicher Maßen wieder gereinigt, und ich zweifle nicht, wenn er in unsern Sachen sollte Richter sein, darüber wir jetzt uneins sind, er würde ganz und gar mit uns zustimmen. Denn so viel belangt die Vergebung der Sünden aus lauter Gnade und umsonst, die Gerechtigkeit des Glaubens, den Gebrauch der Sacramente, die Lehre von den äußerlichen Dingen, so uns frei stehen; da hält er's wahrlich öffentlich mit uns. Und wiewohl er an einem Orte dunkeler und schwerer zu verstehen ist, als an einem andern, so kann doch ein Jeglicher, der seine Bücher ohne Betrug und mit rechtem Verstande lesen will, leicht erkennen, daß er unsrer Meinung ist. Denn daß unsre Widersacher zu Zeiten etliche seiner Sprüche wider uns führen, und mit großem Geschrei sich auf die Väter berufen, das thun sie nicht, daß sie der Wahrheit oder der alten Lehre so geneigt sein, sondern wollen also aus arger List ihre Gräuel und Aberglauben beschönen mit der alten Väter Schriften und Zeugnissen, die doch von solcher Abgötterei dieser letzten Zeit noch Nichts gewußt haben. Wiewohl dabei auch wahr ist, daß zu der Väter Zeiten allerlei Aberglauben angefangen; daher auch St. Augustinus etliche Lehren von den Gelübden gesetzt hat; redet aber doch glimpflicher davon, denn die Andern.

Denn es pflegt gemeiniglich auch Frommen und Gutherzigen Etwas anzuhangen von den gewöhnlichen Mißbräuchen ihrer Zeit. Und wie ein Jeder sein Vaterland lieb hat, also läßt er sich auch seiner Zeit Gebräuche und Sitten wohl gefallen, in welchen er erzogen ist, wie der heidnische Poet Euripides recht und wahr gesagt hat:

Was auferwachsen ist mit ein'm,
Das ist ihm lieblich und geheim.

Aber dem sei wie ihm wolle, so wäre doch zu wünschen, daß alle diejenigen, so vorgeben, sie wollen des h. Augustini Meinung folgen, den Verstand und Sinn hielten, den er durchaus in seinen Schriften behält, und nehmen nicht nur halbe Sprüche oder Stücke aus seiner Lehre, und verkehrten die nicht fälschlich ihrem eignen Sinn und Gutdünken nach. In Summa, St. Augustinus Bücher haben in der christlichen Kirche wieder ein Licht angezündet, und sind den Nachkommen sehr nützlich gewesen. Denn darnach haben Prosper, Maximinus, Hugo, und Andere dergleichen, durch welche die Lehre getrieben und regiert worden ist, bis auf St. Bernhards Zeit, fast dem heiligen Augustino nachgefolgt.

Da aber daneben die Bischöfe an Gewalt und Reichthum zugenommen haben, ist es wieder gegangen, wie bei den alten tyrannischen Riesen, die man Gigantes nennet, nämlich, daß ungelehrte und verruchte Leute über die Kirche gesetzt worden sind, unter denen Wenig gewesen, die studirt haben, und dazu nichts Anderes, denn in der Curtisanen Practiken, die zu Rom an des Papstes Hof, oder sonst an Gerichten gilt. Da sind die Prediger- und Barfüßer-Mönche aufgekommen durch etliche Leute, die dem Ueberfluß und muthwilligem, ungöttlichem Wesen, darin die Bischöfe lebten, feind gewesen sind, und derhalben sich selbst eingeschlossen, und in solche strenge Orden ergeben haben, darin sie ein mäßiger und züchtiger Leben möchten führen. Aber dazu ist gleich ein Unverstand gekommen, aus welchem bald Alles voll Abgötterei und Aberglauben geworden ist. Darnach, da Etliche gesehen haben, daß viele Leute durch Hadern und Rechten am Hofgericht zu Rom zu großen Ehren und Reichthum gekommen, und dasselbige auch eine Ursach war, daß man nun in Schulen Nichts mehr studiret, denn von menschlichen Rechten und Gerichten, haben sie sich unterstanden, die Leute wiederum dahin zu bringen, daß sie Gottes Wort und die heilige Schrift lernten. Aber es hat ihnen an gutem Rath gemangelt; denn Albertus und seines Gleichen, die sich auf den Aristotelem gaben, haben aus der christlichen Lehre eine menschliche Lehre und Weltweisheit gemacht.

Dieß ist nun das vierte Alter, welches in die rechten Brunnquellen des Evangelii nicht allein Koth, sondern auch Gift geschüttet hat; denn da hat man den Leuten solche Lehre eingebildet, dadurch öffentliche Abgötterei zugelassen und bestätigt worden ist.

Es sind doch im Thoma, Scoto und andern solchen Lehrern so viel verwirrter falscher Meinungen, daß je und allewegen die Gelehrten der heiligen Schrift, so etwas verständig und gutherzig gewesen sind, gewünscht haben, daß man möchte eine andere Weise haben zu lehren, die verständiger und lauterer , wäre. Und kann Niemand sagen, er wolle denn gar unverschämt sein, daß ohne Noth gewesen sei, dieselbige Lehre zu andern, sintemal auch diejenigen, so ihr Leben lang bis in ihr Alter damit sind umgegangen, viel dunkeler und irriger Disputationen darin selbst nicht haben können verstehen, zudem, daß auch öffentliche Abgötterei dadurch vertheidiget wird, als da sie lehren, daß die Messe, welche sie ein Opfer nennen, den Leuten helfe, nur um des bloßen Werkes willen; Gott gebe, wie das Herz gesinnet sei. Item, daß nicht unrecht sei, die Bilder oder Götzen anzubeten; daß die Sünden nicht ohne unser Verdienst und allein durch den Glauben verziehen werden, und da sie die Gewissen kerkern und peinigen mit äußerlichen Ceremonieen und Menschensatzungen. Und in Summa viel andere Dinge, die noch schändlicher und voller Lästerung sind, dafür sich alle mein Leib entsetzt, wenn ich daran gedenke.

Derhalben lasset uns Gott dem ewigen Vater unsers Herrn Jesu Christi danken, daß es Ihm gefallen hat, Martinum Lutherum dazu zu brauchen, daß er den Koth und das Gift wiederum ausfegte aus dem Brunnen des Evangelii, und die reine, gesunde Lehre der Kirche wiederbrächte; alle fromme Menschen in der ganzen Welt, wenn sie daran gedenken, sollen sie billig mit einander seufzen und beten, und von ganzem Herzen begehren, daß Gott wolle bestätigen, was Er in uns gewirket hat, um Seines heiligen Tempels willen. O du lebendiger, wahrhaftiger Gott, ewiger Vater unsers Herrn Jesu Christi, ein Schöpfer aller Dinge, der Du auch Deine christliche Kirche aufgebauet hast, Dein ist dieß Wort und Verheißung, da Du sprichst: „Um Meines Namens willen will Ich Mich euer erbarmen, um Meinetwillen, ja um Meinetwillen will Ich's thun, auf daß Ich nicht gelästert werde.“ Ich bitte Dich von ganzem Herzen um Deiner und Deines lieben Sohnes Ehre willen, daß Du Dir allwege auch bei uns durch das Wort Deines Evangelii eine ewige Kirche für und für sammeln wollest, und um Deines Sohnes, unsers Herrn Jesu Christi willen, Der für uns gekreuziget und wieder auferwecket ist, Der unser Mittler und Fürbitter ist, daß Du mit Deinem heiligen Geist unsre Herzen regierest, auf daß wir Dich recht anbeten, und Dir nach Deinem Wohlgefallen dienen und gehorsam sein mögen: Du wollest auch unsre Müh' und Arbeit in der Lehre selbst regieren und führen, und wollest alle weltliche Obrigkeit und Regierung, unter welcher Deine Kirche und ihre Lehre beherbergt wird, gnädiglich führen und erhalten; und dieweil Du das menschliche Geschlecht darum erschaffen hast, und Dich ihm durch klare, herrliche Zeugnisse offenbaret, daß sie Dich erkennen und anrufen, so wollest Du solche Deine Versammlungen, in welchen Deine heilige Lehre gepredigt wird, nicht lassen vergehen, dieweil auch Dein Sohn, unser Herr Jesus Christus, da Er an Seine Leiden hat sollen gehen, für uns gebeten und gesagt: „Vater! heilige sie in Deiner Wahrheit; Dein Wort ist die Wahrheit.“ So thun wir zu solchem unsers Hohenpriesters Gebet auch unsre Bitte, und begehren zugleich mit Ihm, daß Deine Lehre allwege bei den Menschen leuchte, und uns leite und regiere!

Solch' Gebet haben wir auch täglich von Luthero gehört, und ist auch unter solchem ruhig und still von dieser Welt geschieden, als er nun im drei und sechszigsten Jahr seines Alters war. Den Nachkommen hat er Zeugniß genug gelassen, daraus man seiner gottseligen Lehre und Lebens mag erinnert werden. Denn erstlich hat er Schriften lassen ausgehen, darin er die Lehre verfasset hat, die allen Menschen heilsam und nothwendig ist, daraus fromme Herzen lernen können, was Buße sei, was Glaube sei, welches die rechten Früchte des Glaubens sind, welches der rechte Gebrauch der Sacramente sei, welcher Unterschied sei unter dem Evangelio und dem Gesetz, deßgleichen unter dem Evangelio und Menschensatzungen; wie man die Obrigkeit und den weltlichen Stand ehren solle, und was mehr der vornehmsten Stücke in der christlichen Lehre sind, die man in der christlichen Kirche halten muß. Dazu hat er auch etliche Streitschriften lassen ausgehen, darin er allerlei schädliche Irrthümer straft und widerlegt. Zuletzt hat er auch viel Auslegungen über der Propheten und Apostel Schriften geschrieben, darin auch unsre Feinde bekennen, daß er alle andere Auslegungen, so wir noch bisher gehabt, weit übertroffen.

Was er nun für großen Dank damit billig verdient haben soll, können gutherzige und gottesfürchtige Leute wohl verstehen. Wie große Werke aber das sind, so ist doch wahrlich eben so groß Nutz, auch wohl so viel Arbeit an dem alten und neuen Testament, wie er sie verdeutscht hat, da allein das Deutsche an ihm selbst so hell und klar ist, daß, wer es lieset, auch wohl eine Auslegung daran haben mag, und hat sie dennoch nicht allein in das bloße Deutsche gebracht, sondern bat auch Glossen und Erklärungen dazu gethan, die voller guter Lehre sind, und dabei gesetzt die Summarien und Inhalt, darin er die Hauptstücke der himmlischen Lehre Gottes anzeigt, und den Leser unterrichtet von der Art und Eigenschaft der Sprachen, auf daß alle fromme Herzen die rechtschaffenen Zeugnisse und Grund ihrer Lehre aus dem Brunnen selbst schöpfen könnten; denn es hat Luther die Leute mit seinen Schriften nicht wollen aufhalten und verhindern, sondern zu dem rechten Quell selbst führen. Er hat gewollt, daß wir Gottes Wort selber höreten, und daß durch dasselbe in vielen Leuten rechter Glaube und Anrufung würbe angezündet, damit Gott recht gelobet und gepreiset, und viel Kinder und Erben des ewigen Lebens würden. So ist es nun ja billig, daß man solchen seinen guten Willen und große Arbeit mit Dankbarkeit rühme, und zu einem Exempel eingedenk sei, auf daß auch wir uns befleißigen,“ ein Jeder nach seinem Vermögen, der Kirche Gottes eine Zierde und Ehre zu sein. Denn diese zwei Stücke sollen uns als zwei der vornehmsten Zwecke sein in unserm ganzen Leben, dahin wir alle unsre Mühe und Arbeit und alle unsre Anschläge richten sollen. Erstlich, daß wir Gottes Ehre und Herrlichkeit erweitern, darnach, daß wir der christlichen Gemeinde dienen und nütz sein. Vom ersten sagt der h. Paulus, 1. Kor. 10.: „Thut es Alles zur Ehre Gottes.“ Vom andern spricht der 122. Psalm: „Wünschet Jerusalem Glück!“ Und wird auch eine tröstliche Verheißung dabei gesetzt, nämlich: Die, so Gottes Gemeinde lieben, denen soll es glücklich und wohl gehen.

Diese himmlischen Gebote und Verheißungen sollen ja alle Menschen bewegen, daß sie die Lehre der christlichen Kirche recht lernen, die Diener des Evangelii und nutzbare Lehrer lieb und werth haben, und mit ihrem Fleiß und Arbeit auch dazu helfen, daß die rechte wahre Lehre förder gepflanzt und aufgeführet, und Friede und Einigkeit in der wahren christlichen Kirche erhalten werde. -

Quelle: Koethe, Friedrich August - Philipp Melanchthon's Werke, Fünfter Theil

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Ursprünglich lateinisch geschrieben, hier in der Uebersetzung aus dem 12. Theil der Wittenberger (8. der Altenburger) Ausgabe der Werke Luthers abgedruckt.
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Scherz
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