Melanchthon, Philipp - Antwort auf eine im Auftrage des Niedern Klerus zu Cöln herausgegebene Schrift.

Melanchthon, Philipp - Antwort auf eine im Auftrage des Niedern Klerus zu Cöln herausgegebene Schrift.

Ich zweifle nicht, daß es unter den Bürgern zu Cöln, so wie an der dortigen Hochschule, ja auch unter dem sogenannten Klerus viele verständige und würdige Männer gibt, welche nicht nur über die in der neulich gegen Bucer herausgegebenen Schrift geführte possenhafte Sprache ihren Abscheu bezeugen, sondern vielleicht auch etwas Besseres wünschen. Und es hätten auch in der That die, welche von zwei hohen Behörden dazu ausersehen wurden, eine so wichtige Angelegenheit zu führen, statt ihrer leichtfertigen Gesinnung zu folgen, vielmehr die Wichtigkeit der Sache sowohl, als auch die Würde ihres Standes berücksichtigen sollen, zumal da sie auch wissen, daß ihr Fürst mit dem rühmenswerthen Plane sich beschäftigt, der Kirche eine bessere Verfassung zu geben, und ihnen erinnerlich ist, daß Bucer ganz in Gemäßheit des kirchlichen Brauchs zur Untersuchung und Prüfung dieser Angelegenheit sich erboten hat. Wozu bedurfte es solches Muthwillens, wozu des unmäßigen Streitens, und obendrein einer so schmutzigen Sprache, zu der man die unfläthigsten Worte aus den Komödieen des Plautus entlehnt hat? Was sollten Schmähungen bezwecken gegen die wahre Lehre, gegen so viele Kirchen Gottes, welche doch alle im Glauben an den Sohn Gottes den Vater anrufen, gegen die Staaten, die den Kirchen Schutz und Pflege angedeihen lassen, in so großer Menge ausgesprochen, daß sie, wie jener wackere Mann im Homer sagt, ein Schiff nicht alle fortbringen würde? Solche unedle Mittel müssen unbezweifelt den Unwillen vieler würdiger Männer rege machen. Als ich mich daher entschloß, zur Zurechtweisung des Lesers Einiges zu erwiedern, fand ich nöthig, ein Wort darüber voraus zu schicken, daß ich nur mit den Verfassern jener abgeschmackten, schmähsüchtigen Schrift den Streit führe, keineswegs aber weder die Schmälerung des Glanzes jener hochberühmten Stadt, noch des Ansehens ihrer Hochschule, so wie auch keines rechtlichen Mannes im Klerus beabsichtige. Denn, um in Beziehung auf die Stadt und die kirchlichen Collegien Nichts zu erwähnen, so hege ich, wie gegen alle Universitäten als Freistätten der mannichfachsten Gelehrsamkeit überhaupt, so insbesondere gegen die Cölner hohe Verehrung, weil auch ich zum Theil ihr die Bildung meines Geistes, wie niedrig sie auch anzuschlagen sein mag, verdanke. Denn als Jüngling hab' ich zwei Männer von ausgezeichneter Gelehrsamkeit, Georg Simler und Conrad Helvetius, Zöglinge der Cölner Hochschule, gehört, von denen Jener mir zuerst das Verständniß der lateinischen und griechischen Dichter aufgeschlossen, und auch zu einer reinern Philosophie mich angeleitet hat, indem er oft die damals allgemein gebrauchten aristotelischen Lehrbücher zu den griechischen Quellen zurückführte; der Andere aber, Conrad, ein Zuhörer des gelehrten und berühmten O. Cäsarius, hat mich in Heidelberg zuerst die Anfangsgründe der Astronomie gelehrt, und aus diesem Grunde bekenn' ich mich dem O. Cäsarius gleich als meinem Lehrer, zu besonderer Hochachtung und Dankbarkeit verpflichtet. Sodann hat mich mit vielen Zöglingen dieser Hochschule die innigste, unauflöslichste Freundschaft verbunden, so mit Busch, Peter Mosellanus und Mezler. Doch es würde zu weitläufig sein, sie Alle aufzuzählen. Ich bitte also dringend alle Wohlgesinnte an der Universität, einmal, daß sie nicht glauben, ich wolle mit der Universität die Fehde beginnen, sodann, daß sie es mir zu Gute halten, wenn ich wie die Beleidigungen vieler Anderer, so nicht auch die Schmähungen dieser Wenigen mit Stillschweigen übergehe. Ich will meine Meinung unverhohlen sagen. Leicht hätt' ich mich über das Uebrige erhaben fühlen können, eingedenk jenes atheniensischen Bürgers, der, als ihn Jemand auf dem Markte und vor der versammelten Menge lange Zeit heftig geschimpft, und bei seinem Weggehen ihm allen Hohn und Spott nachgeworfen hatte, gar Nichts erwiederte, sondern nur, indem er sich entfernte, seinem Diener befahl, weil schon die nächtliche Finsterniß sich verbreitete, zu Jenem hinzugehen, und ihn mit der Fackel voran nach Hause zu geleiten. Aber der Verfasser jener Schrift, mag er übrigens sein wer er wolle, behauptet im letzten Abschnitte, die Unsrigen sprächen Lästerungen zögen den heiligen Geist aus. Diese furchtbare Beschuldigung leicht zu übergehen, wäre selbst ein Unrecht. Eck, Phygius und viele Andere haben wohl in einem wüthenden Tone geschrieben, aber solche harte Worte hat kaum Einer von ihnen zu brauchen gewagt. Ich antworte daher, daß es unser aufrichtigstes und herzlichstes Bestreben ist, die Ehre Gottes und seines Sohnes Jesu Christi, unsers Herrn, zu verherrlichen, die Lehre des heiligen Geistes wahrhaft und rein zu verkündigen, und das Heil der Kirche zu fördern, damit sie den ewigen Gott und Vater unsers Befreiers Jesu Christi im Vertrauen auf sein Mitleid wahrhaft anrufe, und für alle Anrufende die Negierung des heiligen Geistes erflehe. Um nun dem göttlichen Willen Folge zu leisten, und diese Anrufung in der Kirche rein zu predigen, ist es noth, Abgötterei und verderbten Cultus zu rügen. Und wir zweifeln nicht, daß unser Streben vor Gott und der Kirche recht erfunden werde. Denn wir befolgen als feste Regel der Lehre die Schriften der Propheten und Apostel, das apostolische, nicänische und athanasische Symbol, die als gültig erklärten Aussprüche der alten Synoden, nämlich der nicänischen, byzantinischen, ephesinischen und chalcedonischen, und ähnliche Zeugnisse der alten reineren Kirche. Auch zweifeln wir nicht, daß diese Lehre, zu welcher unsere Kirchen sich bekennen, sei in Wahrheit die Uebereinstimmung der katholischen Kirche Christi; so wachen wir denn auch über dieser Uebereinstimmung, und werden sie mit Gottes Hilfe stets treulich gegen allerlei wüthende Angriffe der Epikureer, Jüdischgesinnten, Heiden, Muhamedaner, Häretiker und Aller vertheidigen, welche die Abgötterei in Schutz nehmen. Es ist uns auch nicht unbekannt, daß die wahre Kirche solche Kampfe bestehen muß, wie sehr auch das Urtheil der Menschen diese Streitigkeiten tadelt. Denn wir sind der Ueberzeugung, das Evangelium sei nicht eine ersonnene Mähr, sondern das wahre Wort des ewigen Gottes. So scheiden wir uns von dem Wahne der Epikureer, welche meinen, alle Religionen seien ursprünglich erdichtet, zu dem Zwecke, damit die gesetzlos herumschweifende Menge zu friedlicher Ordnung und bürgerlichen Pflichten geneigt gemacht werden könnte, und man müsse jederzeit die eben vorhandene Religionsform, wie sie auch sein mag, in Schutz nehmen, um Störungen in der Harmonie der politischen Verfassung zu verhüten.

Ich habe, in wie weit es für jetzt nöthig schien, auf die allerhärteste Schmähung geantwortet. Und kein Mensch in der ganzen Welt ist mir so lieb, daß ich mich nicht verbunden halten sollte, ihn zu widerlegen, wofern ich höre, daß er mit solcher Lästerung die Lehrweise verdammt, die in unsern Kirchen herrscht. Weise Staatsmänner sollten solcher offenbaren Frechheit Einhalt thun, damit nicht solche Aeußerungen allgemeines Ungemach als Strafe herbeiführten. Wie mag man ferner Fried' und Eintracht jemals hoffen, so lange man schlechtgesinnten Menschen solch' zügelloses Betragen gegen uns zuläßt? Zu dieser ganz, kurzen Rechtfertigung will ich noch einiges Wenige hinzufügen. Ich bitte den Leser dringend, daß er sorgfältig erwäge, was jede von beiden Parteien eigentlich beabsichtiget, für was man gegenseitig kämpft. Ich weiß, daß viele Epikurischgesinnte entweder spotten, oder beide Theile mit Verachtung betrachten. Doch der Weisheit Solcher sollen diese Streithandel nicht empfohlen werden. Bessergesinnte, welche vom Evangelium nicht verächtlich urtheilen, mögen sowohl auf die Kirche, als auf die Bestrebungen ihre Aufmerksamkeit richten, welche auf beiden Seiten hervortreten. Bevor man diese Sache anregte, herrschte überall großes Dunkel. Die Klöster und Kirchen, ja alle Familien waren mit menschlichen Ceremonien so belastet, daß Gerson und viele Andre diese Folterbank der Gewissen mit Schmerzen beklagten. Nach heidnischer Weise wurden Verstorbene angerufen, Wallfahrten zu Bildsäulen angestellt; die Lehre von der Buße war durch ein stachlichtes Gewebe unauflöslicher Spitzfindigkeiten über Beichte, Genugthuung, Ablaß ganz verhüllt. In Betreff des Glaubens, durch den allein Vergebung der Sünden empfangen werden soll, herrschte tiefes Schweigen. Diese Unbekanntschaft mit dem Glauben hatte auch auf die Anrufung verderblichen Einfluß. Niemand wußte richtigen Unterschied zwischen göttlichem Gesetz und menschlichen Satzungen. Welche abgeschmackte Meinungen waren in Bezug auf das göttliche Gesetz verbreitet, da man schrieb, es könne der Mensch dem göttlichen Gesetz genug thun! Das Abendmahl des Herrn ist viele Jahrhunderte hindurch größtentheils auf die Todten übergetragen, und durch einen furchtbar gesteigerten Aberglauben entstellt worden. In Bezug auf den wahren und wesentlichen Nutzen der Sacramente herrschte Schweigen. Oeffentliche Predigten waren an vielen Orten höchst selten; an andern Orten wurden sie mit Fabeln von St. Georg, Christoph, Katharina und mit ähnlichen Dingen, oder mit dem, was zur Bereicherung der Mönche diente, angefüllt. Die Lehre von der wahren Anrufung, von den Uebungen des Glaubens im täglichen Leben, von der hohen Bedeutung des bürgerlichen Lebens lag in Vergessenheit. Will Jemand läugnen, daß dieß der Zustand der Kirche gewesen, der kann nicht nur durch das Zeugniß redlicher Männer, sondern auch durch die noch wohlmeinenden Schriften der Mönche widerlegt werden. Und auch das ist ein offenbares Zeugniß: Es würden nie so viele bejahrte und würdige Männer in Deutschland den Beginn der Wiedergeburt der reinern Lehre so begünstigt haben, wären sie nicht von der Nothwendigkeit einer Verbesserung der Kirche überzeugt genesen. Es begünstigten aber jene, Erneuerung Alle, welche dem Epikureismus nicht offenbar huldigten. Einige Beschränktere wurden durch die darauf eingetretenen Unruhen abgeschreckt, wie ja der Teufel Aergerniß zu erregen pflegt. Das benutzten irreligiöse Menschen, und für ihren Bauch bekümmerte Mönche, die Fürsten zu gewaltsamen Maßregeln aufzureizen. Wir, die wir inzwischen mit vielen Mühseligkeiten und vielen Gefahren in Kirchen und Schulen die reine Lehre verkündigen, was beabsichtigen wir? Suchen wir etwa Schätze oder Gewalt? Die Sache selbst rechtfertigt uns; denn viele gelehrte und wackere Männer, welche, obgleich sie ruhig und geachtet leben konnten, zogen dieses Bekenntnis selbst ihrem Leben vor; solche waren Heinrich von Zütphen, D. Johann Crösus und Adolph, der zu Köln verbrannt worden;, so könnt' ich noch Viele außer diesen nennen. Wir, die wir verschont geblieben, hatten, um nur das zu erwähnen, wohl ruhiger leben mögen, wenn wir diese Sache nicht zu der Unsrigen Macht hätten; Vielen hätte ihre Gelehrsamkeit den Zugang zu hohen Aemtern geöffnet. Auch unsere Fürsten tragen ihre gar nicht leichte Last. Aber wir, haben nur den einzigen Zweck: wir wünschen, daß die reine und der Kirche heilsame Lehre zur Ehre Gottes erhalten und vertheidigt werde. Wir ermahnen aber euch, daß von den Unsrigen alle bürgerliche Pflichten erfüllt werden. Der wissenschaftlichen Bestrebungen nehmen wir uns mit ganz vorzüglichem Eifer an. So sind auch irrige Meinungen, wenn sie irgendwo sich zu regen begonnen, durch treuen Fleiß und Glauben unterdrückt worden, wie unsre Schriften und die Staaten selbst bezeugen, welche unter allen deutschen Staaten mit Hilfe Gottes die friedlichsten sind und gewesen sind. Und was der Verfasser der Cölner Schrift uns zum Vorwurf macht, daß wir von der Kirche die wahren Lehrsätze empfangen, das gesteh' ich offen wo frei, und wiederhole es laut; denn nicht neue Dogmen bringen wir auf die Bahn, sondern die alte und reine Kirchenlehre suchen wir, so viel Gott uns beisteht, ins Licht zu setzen. Simson sagt (Richt. 14, 18,): „Hättet ihr nicht mit meinem Kalbe gepflügt, ihr hättet es nicht gefunden!“ So rufen auch wir unablässig, daß man die Kirche hören müsse als die Lehrerin, welche von Anfang an das Wort Gottes verkündigt hat. Aber wenn ihr denn zugesteht, wendet man ein, daß man Vieles von der Kirche entlehnen müsse, warum nehmt ihr nicht Alles von ihr an? Warum reißt ihr Einzelnes heraus? Die richtige Antwort ist: Wir reißen kein Dogma der Kirche heraus, sondern nur die neuen Irrthümer, welche dem Evangelium und dem Urtheil der wahren Kirche zuwider, in die Kirche sich eingeschlichen haben, diese tadeln wir; überhaupt tadeln wir nur, um in cölnischen Worten zu reden, irrige Meinungen nicht der Kirche, sondern die des niedern Klerus, d. h. des unechten und entarteten, tadeln wir. Was hingegen die andere Partie bezweckt, vermag ich kaum zu errathen. Denn wie es im Psalm heißt: „Sie hassen mich ohne Ursach“ (Ps. 35, 19.), so suchen auch Jene das auftauchende Licht des Evangeliums ohne irgend einen Grund zu unterdrücken. Einige verständige Männer sagen, man müsse die bestehende Form der kirchlichen Verfassung mannhaft vertheidigen; stets sei es das angelegentlichste Geschäft weiser Staatsmänner gewesen, Abänderungen in den Gesetzen zu verhüten. Aber wenn solche die Sache reiflich prüfen wollten, würden sie finden, daß durch Heilung ihrer Gebrechen die Verfassung der Kirche nicht zerrissen, sondern vielmehr befestigt werde. Vielleicht würde sie weniger äußern Glanz, aber gewiß auch weit mehr wahren Schmuck in Hinsicht auf Gelehrsamkeit, Frömmigkeit, Ansehen besitzen. Sie kämpfen mithin für äußern Glanz, Luxus, Wohlleben, nicht für die Verfassung; und solche Kämpfe sind gar gewöhnlich in der Kirche, und werden von Gott entschieden. Wie der Streit zwischen den Aposteln und den jüdischen Priestern geendigt worden, wissen wir. Damals jedoch konnten die Priester sich hoch rühmen, eine von Gott gegründete Verfassung zu verfechten. Jetzt vertheidigt der niedere Klerus menschliche, fehlerhafte und neu ersonnene Gesetze und die Gebrechen einer kirchlichen Verfassung, welche Anfangs weit trefflicher war, als sie jetzt ist, indem noch nicht die Verstümmelungen des heiligen Abendmahles und andere Mißbräuche eingeführt, die geistlichen Collegien aber noch die ehrwürdigsten Vereine frommer Lehrer und Schüler waren. Stets nämlich waren mit zahlreichern Gemeinden auch solche Collegien verbunden; denn gleich wie den Propheten der Kreis seiner Zuhörer begleitete, um Zeugen der prophetischen Lehre und Verkündiger derselben zu sein: so hatten auch die Apostel, nachdem sie Gemeinden gegründet, auserlesene Vereine ihrer Schüler um sich, welche als ihre vertrauteren Zuhörer der religiösen Forschung ausschließend sich widmeten, um bei der Nachwelt Zeugnis abzulegen von der wahren Lehre der Apostel, und denselben im Lehramte zu folgen. So war Polykarp, und viele Andere, des Johannes Schüler. Daß vor dem gothischen Zeitraume auch in Deutschland solche Gemeinden und Schulen bestanden, beweisen viele alte Denkmäler. Nachdem aber barbarische Völkerstämme Europa verwüstet hatten, nachdem Deutschland spät und mit Mühe eine friedlichere Verfassung erhalten hatte, wurde diese neue Form der kirchlichen Verfassung, da die alte Lehre durch vielfachen Aberglauben schon verdunkelt war, allmälig begründet; diese aber hat mit zunehmendem Alter, wie ja alle äußerlichen Verfassungen ihre verschiedenen Perioden haben, immer unreiner sich gestaltet. Und vielleicht wird Gott durch große, allgemeine Veränderungen diesen Kampf in Bezug auf solche Verfassung endigen. Unterdessen sammelt Er durch die Stimme des Evangelium die Ueberreste der Kirche, gleichsam wie Breter aus einem Schiffbruche; wie Er ja auch vor dem babylonischen Exil durch Jeremias, vor der Zerstörung Jerusalems durch den Täufer, durch Christus und die Apostel, vor der Zertrümmerung des Römerreichs durch die Apostel und deren Schüler die Reste seiner Kirche gesammelt hat. Denn auf eine wunderbare Weise regieret Gott seine Kirche, erneuert sie, wenn sie verfallen, und erhält sie, und züchtigt zu gleicher Zeit die ungöttliche Menge durch mannichfache Noth, wie die Geschichte aller Zeiten in einem fortgehenden Gemälde veranschaulicht. Die Vorträge der Propheten handeln oft davon. Wie laut daher auch jene politischen Grundsätze, daß man die gegenwärtig bestehende Form festhalten und schützen müsse, verständigen Männern sich aufzudringen suchen, so wollen doch wir das Wort des ewigen Gottes höher achten, der von dem Sohne spricht: „Diesen sollt ihr hören!“ und das unwandelbare Gebot gibt: „Fliehet die Abgötterei!“

Ich habe auf die Schmähungen geantwortet; ich will nun auch in Beziehung auf die streitige Sache Weniges hinzufügen, nicht um hier eine vollständige Entwickelung dieser Streitigkeiten zu geben, sondern nur um den der Sache unkundigen Leser auf die Blendwerke und Gaukeleien in der Schrift aufmerksam zu machen. Denn wenn Jemand aus Eifer für die Wahrheit diesen Streit in seinem ganzen Umfange kennen zu lernen wünscht, so sind Schriften vorhanden, welche die Hauptsumma der gesammten kirchlichen Lehre enthalten, und einen Leser, der sie ohne Ränkesucht beurtheilt, wohl befriedigen können. Jetzt haben wir es mit Solchen zu thun, welche, obgleich sie die Wahrheit anerkennen, doch ihrer innern Ueberzeugung entgegen, die Irrthümer in Schutz nehmen, und die Abgötterei bekräftigen. Sie führen aber den Kampf theils gewaltsam, theils durch Ränke. Gewalt ist's, wenn sie auf die hergebrachte Weise, auf die Beistimmung der großen Menge sich berufen; Ränke sind es, wenn sie manche offenbare Gebrechen verhüllen, und das, was durch einigen Schein sich empfiehlt, hervorheben; wenn sie manche Mißbrauche mit neuen Farben übertünchen, einige Mängel zugestehen, und im Einzelnen zu bessern versprechen. Sie heucheln dieß, um durch diesen Kunstgriff dem Beginn einer durchgängigen Verbesserung vorzubeugen. Denn sie sehen, daß, wenn irgend welche Verbesserung versucht werden sollte, ein großer allgemeiner Sturz erfolgen werde. Drum fürchten sie sich, nach dem Worte des Aristoteles, auch vor dem geringsten Schritt dazu.

Es geht aber das Buch jener Beauftragten gar nicht auf redliche Untersuchung irgend eines Streitpunktes ein. Um so leichter war es daher, durch Blendwerke zu täuschen, indem sie hin und wieder aus den Materien Einzelnes heraus heben, was beifallswürdig scheint. Die meisten Blätter sind mit den Artikeln von der Beichte, von den Genugthuungen, von der Anrufung Verstorbener, vom Abendmahl, von der Ehe der Geistlichen, angefüllt. Daher werde auch ich vorzugsweise in Ansehung der Punkte antworten, bei welchen der Leser, wenn er sieht, mit welcher Redlichkeit und Aufrichtigkeit sie ihre Sache führen, erkennen kann, daß man vor solchen Betrügern sich wahren müsse!

Es ist für die Kirche von hohem Nutzen, daß die Lehre von der Buße möglichst rein und klar in ihr vorhanden sei. Es ist aber Allen bekannt, daß in den Sentenzenbüchern eine ungeheure Verwirrung und endlose Irrgänge, namentlich in Bezug auf diese Materie, sich befanden. Ich würde das erweisen, wofern es nicht zu weitläufig, und in jenen Schriften selbst bezeugt wäre. Nichts Anderes war es auch, was Anfangs redliche Gemüther so geneigt machte, die Lehre Luthers kennen zu lernen, als weil sie eine reinere Lehre in Ansehung der Buße ersehnten, welcher Artikel denn auch, Gott sei Dank! von den Unsrigen gewissenhaft und geschickt erklärt worden ist. Die Beichte und die Vorschriften über die Genugthuungen waren Folterbänke des Gewissen, und über das Vertrauen auf unverdiente Erbarmung herrschte durchaus Stillschweigen. Daher war es nöthig, nicht nur die Lehre vom Glauben zu verkündigen, durch welchen Vergebung der Sünden um des Mittlers Christi willen, aus Gnaden empfangen, und durch welchen die wahre Anrufung angezündet wird, sondern es mußten auch die Gemüther unterwiesen werden, damit nicht trügerischer Wahn von Aufzählung der Sünden und Genugthuung den Glauben verdrängte. Es liegt aber unsere Ueberzeugung klar in unsern Schriften vor. Jene nun stellen eine Aufzählung als nothwendig dar, welche sie unbezweifelt nicht einmal selbst zu leisten vermögen. Es ist aber die gewöhnliche Weise der Heuchler, Andern Lasten aufzulegen, welche, wie Christus spricht, sie nicht mit dem Finger rühren. Sodann entstellen sie boshafter Weise einige Aussprüche Bucers: Es würde, sprechen sie, kein Unterschied zwischen den Werken der Heiden und der Christen sein, wenn sie allesammt fehlerhaft waren. Was bedarf es solches Lärmens? Wir lehren genau, wie der Gehorsam in den Wiedergebornen um Christi willen angenehm sei, obgleich er unvollkommen sei, und stets in diesem Leben in den Wiedergebornen Sünden bleiben. Wir fügen auch den Unterschied zwischen der Todsünde, oder der herrschenden Sünde, um welcher willen man der Gnade verlustig geht, und der nichtherrschenden, oder der erläßlichen Sünde, wie sie gewöhnlich heißt, hinzu. Doch ich gehe über diese Seite hinweg, da sie nur leere Schmähungen enthalt, die entweder Bosheit oder Unwissenheit des Schreibers verräth. Versteht er die Lehre von der Gerechtigkeit, so weiß er, daß unsere Meinung richtig ist; versteht er sie nicht, so ist's Anmaßung, daß er sich zum Richter aufwirft.

In Ansehung der Genugthuungen erhebt er ein erbärmliches Geschrei. Diese sucht er durchaus zu vertheidigen, behauptet, mit deutlichen Worten sei die Genugthuung durch den Geist der Schrift ausgedrückt, und vermengt Aussprüche des Cyprian mit Zeugnissen der Schrift. Cyprian redet von einem Gebrauch seiner Zeit, nach welchem denjenigen, welche öffentliche Verbrechen begangen hatten, vor der Absolution entweder eine Büßung aufgelegt, oder ein Verhör mit ihnen angestellt wurde. Wenn sie um diese Gebrauche streiten, so wissen sie ja, daß sie schon viele Jahrhunderte nicht beobachtet worden sind. Nur der Schatten und Name ist geblieben. Wir haben aber hinlänglich wichtige und entscheidende Ursachen, diese Irrthümer in Bezug auf Genugthuungen zu rügen, die sie für Werke, welche zu leisten man nicht schuldig sei, erklärt, und erdichtet haben, durch dieselben würden die Strafen des Fegfeuers abgekürzt, auch wenn sie von Solchen vollbracht würden, welche nicht in der Gnade ständen. Später ist aus dieser Quelle die wahnwitzige Lehre vom Ablaß hervorgegangen. Ob sie vielleicht diese Possen und diesen Trug dem Volke auf's Neue aufzubürden beabsichtigen, da sie so angelegentlich für den Namen Genugthuung fechten, ungeachtet Bucer darüber Nichts behauptet hatte, da er andere Gegenstände in seinem Buche verhandelte!

Ich weiß, daß zu der Berathung jener „Delectorum“ (Ausschusses) einige verständige Männer gezogen worden sind, welche mitunter geäußert haben, daß sie öffentliche Eintracht wünschten, jedoch so, daß das Licht der wahren Lehre erhalten würde. Wie mag aber je Eintracht zu Stande kommen, so lange man es der Willkür solcher Ränkeschmiede gestattet, die Kämpfe unaufhörlich zu erneuern? Daß er aber sagt, es sei durch den Geist der Schrift mit bestimmten Worten die Genugthuung ausgedrückt; nun welche denn? Wir wissen, daß Fromme durch völlige Buße und gute Werke Milderung der gegenwärtigen Strafen erlangen, wie geschrieben steht: „Bekehret euch zu Mir, so will Ich Mich zu euch bekehren“ (Mich. 2, 7.). Aber in welcher Beziehung steht das zu jenen alten Genugthuungsgebräuchen, oder zu dem Schatten, der noch davon vorhanden ist? Oder meint etwa der Verfasser, die Propheten reden von Wallfahrten zum heiligen Jakob, oder zum Kopfe der h. Anna hier in der Nachbarschaft? Da siehst du, lieber Leser, die Aufrichtigkeit des Verfassers, wenn er, nach einem Schatten von Genugthuungen prophetische Aussprüche verdreht, die von dem ganzen Werke der Buße, von wahren Gottesdiensten, von wahren schuldigen Werken, nicht aber von solchen handeln, von welchen es heißt: „Vergeblich dienen sie Mir mit Menschengeboten!“ (Matth. 15, 9.)

Ueber den Gebrauch, der zu Cyprians Zeit herrschte, hab' ich anderwärts genug gesagt. Es bezog sich derselbe weder auf Erlaß der Schuld überhaupt, noch der Strafen im Fegfeuer; Niemand hatte noch von solchen Possen geträumt, sondern dieser Gebrauch hatte andere, bürgerliche Ursachen. So war es z. B. dienlich, Gefallene, solche, die den Glauben verläugnet oder verfälscht hatten, gleichsam durch eine äußerliche Beschimpfung zu bezeichnen; denn solche Vergehungen bestraften die Heiden nicht. Es war auch zweckmäßig, die Gesinnung derselben zu erforschen, ob sie den ernstlichen Vorsatz der Besserung hatten. Und doch wuchs durch Aberglauben die Strenge dieses Gebrauchs, und schon bei Cyprian findet sich Einiges, was zu hart erscheint, als daß es gebilligt werden könnte; so, wenn er spricht, die Absolution sei nicht gültig, wenn nicht jener Ritus der Genugthuungen dazu komme.

Ein Schatten solcher alten Sitte besteht noch in den Fällen, wo man sich eines Mörders versichert (durch ein äußeres Zeichen, Brandmal u. s. w.), welcher Gebrauch nicht erst nach der Apostel Seit entstanden ist. Sondern es ist bekannt, daß es auch bei den Heiden Malzeichen der Schuldigen gab, welche Mörder an sich trugen, wie wir von Orest und Adrast lesen. Diese Zeichen trugen sie so lange, bis sie durch einen bestimmten Ritus entsündigt waren. Meines Dafürhaltens aber ist diese Ceremonie von den ältesten Vätern in der Absicht angeordnet worden, um Andere vom Umgang mit Mördern abzusondern, und damit rohe Leute lernen sollten, sowohl freventlichen Mord zu meiden, als auch Mörder zu verabscheuen. Aber es verdienen diese Beispiele weder Erlaß der Schuld, noch der Strafen, die Gott verhängt, sondern Gott will vielmehr die Strafen selbst als Zeichen der Verschuldung von uns angesehen wissen. Wenn z. B. David aus seinem Reiche vertrieben, und seines großen Ruhms in Ansehung der Königswürde nicht nur, sondern auch seiner Weisheit und Tapferkeit entkleidet wird, so wird der von Gott Entblößte gleichsam mit dem Zeichen der Schuld bekleidet; hier erkennt er den Zorn Gottes, erkennt sich für schuldig, und ruft aufrichtig aus: „Vor Dir allein bin ich Sünder, ein schuldvolles Wesen, damit Du gerechtfertigt seist in Deinen Worten“ (Psalm 51, 6.). So sollen wir auch die allgemeinen und besondern Strafen, den Tod, Krankheiten und anderes Ungemach nicht als Zufälligkeiten betrachten, wie die Epikureer träumen, sondern als Zeugnisse des göttlichen Zorns gegen die Sünden, und uns als Schuldige anerkennen, und zum Sohne Gottes unsre Zuflucht nehmen, der die Versöhnung geworden. Doch ich breche jetzt ab von diesem Artikel, wiewohl Nichts heilsamer ist, als in der Kirche oft und nachdrücklich von der allgemeinen Buße zu reden, und das, weiß ich, geschieht von den Unsrigen mit vielem Fleiße. Doch jener wohlgemästete Mönch, der das Buch „Delectorum“ geschrieben, thut, wie die Heuchler pflegen; er fordert Genugthuungen, welche er selbst keineswegs leistet. Es ist keine Aufgabe für ein träges, sicheres Gemüth, von der hohen Bedeutung der Sünde, vom Zorne Gottes, vom Glauben zu predigen, der die Vergebung empfängt, sondern das ist die eigenthümliche und geheime Weisheit der Kirche Gottes, und wird nur im wahren Kampfe, im wahren Streite, in der Anrufung Gottes erlernt. Es gehört aber auch wesentlich zu dieser Weisheit, daß man die bürgerlichen Gebräuche von der Gerechtigkeit des Geistes gehörig unterscheide. Die kanonischen Genugthuungen, von denen Cyprian redet, waren ein bürgerlicher Gebrauch. Die Bekehrung hingegen, von welcher die Propheten und Apostel predigen, umfaßt die Regungen des Herzens: Furcht Gottes, Glaube, Liebe, Gehorsam im Kreuz und andere Früchte des Geistes, wie Paulus sie nennt (Gal. 5, 22.). Da aber dieser ganze Gegenstand oft mit Gewissenhaftigkeit erläutert worden, und ich glaube, daß fromme Christen, welche unsere Schriften gelesen, sich völlig befriedigt gefunden haben, bedarf es hier keiner weitläufigem Widerlegung. Ich will daher einiges Wenige über die Anrufung Verstorbener sagen, in Betreff deren er uns, wie schon erwähnt worden, das Alterthum entgegen stellt, und anführt, Theodosius habe sich vor den Gräbern Verstorbener niedergeworfen, seine Gebete gesagt u. s. w. Was nun zuerst die Jahrhunderte und das Ansehen der alten Schriftsteller anlangt, so antworte ich also: Es gibt eine beständige, fortgehende reine Lehre der katholischen Kirche Gottes, die durch die Apostel verkündigt worden, und die Zeugnisse der Kirche auch der folgenden Zeiten hat. Aber es sind einige Schriftsteller reiner, als die andern, und der ganze Lehrbegriff ist, wenn man umsichtig prüft, bei Augustin reiner, als bei Origenes. Auch mischt jedes Jahrhundert seinen besondern fehlerhaften Einfluß bei, wie ja die menschliche Natur in dieser Schwachheit nie ohne Mängel ist. Ferner begünstigen wir in der Regel die väterliche und gegenwärtige Weise und Sitte, daher, als der Same des Aberglaubens in die Kirche sich eingeschlichen hatte, erwogen entweder die heiligen Väter Manches nicht sorgfältig genug, oder duldeten es nur, wiewohl sie es nicht billigten. Allgemein bekannt ist die Klage Augustins über den Aberglauben seiner Zeit, wenn er sagt, die kirchliche Knechtschaft sei nunmehr bereits härter, als die Mosaische. Er duldete aber auch, beschäftigt mit andern schwierigem Kämpfen, so manche Gebrechen. Sodann waren jene Mißbräuche, von denen jetzt die Rede ist, noch nicht so hoch gestiegen, wie sie in der Folge, in den Zeiten der Barbarei, und als Gewinnsucht sich dazu gesellte, gestiegen sind. Es war Gewohnheit, bei den öffentlichen Gebeten der Verstorbenen Erwähnung zu thun. Die Meinung, daß man für sie dabei das Abendmahl des Herrn halten müsse, war noch nicht dazu getreten, - es war noch nicht eine Erwerbsquelle. Vielleicht mochten wohl auch Einzelne im Stillen Verstorbene anrufen. Jedoch gab's noch keine Bilder; noch waren unter die Todten besondere Geschäfte nicht vertheilt; Anna leistete noch nicht, gleich der Juno (Geburts-) Hilfe; noch stand Georg nicht den Reitern bei, wie Kastor und Pollux; es war mit Einem Worte der Same ausgestreut, der zwar noch unmerklich war, doch aber das Licht des wahren Glaubens schon verdunkelte. Dem stellte man sich nun mit größerem oder geringerem Ernste entgegen. Epiphanius erzahlt, es hatten zu seiner Seit in Syrien Frauen das Bild der Maria umher getragen, und ihr Kuchen, und ich weiß nicht, was sonst noch, geopfert. Diesen Gebrauch zählt er unter die Ketzereien, und sagt, er wäre als eine Nachahmung heidnischen Unsinnes, durch die Wachsamkeit und das Ansehen der Bischöfe unterdrückt worden. Jetzt gilt es als besondere Frömmigkeit, die Maria anzurufen, und sie mit Geschenken zu überladen. Wenn Ihr daher uns Beispiele aus dem Alterthum entgegen stellt, so entgegnen wir, daß wir, wie schon oben gesagt, an der Uebereinstimmung der katholischen Kirche Christi getreulich festhalten, und versichern, daß wir hinsichtlich der Symbole von den bewahrten Schriftstellern des Alterthums in unsrer Meinung nicht abweichen, meinen auch, daß jenes Zeitalter auch in den übrigen Meinungen mit uns übereinstimmt, wenn man dasselbe richtig auffaßt. Denn wenn auch jene Schriftsteller selbst oft nachlässig sich ausdrücken, und bei Einzelnen manche Beispiele gefunden werden mögen, welche unsern Gebräuchen entgegen sind, so stimmt doch fast durchgängig der allgemeine Gebrauch der Kirche mit uns überein. Das Abendmahl des Herrn wurde durchgängig gemeinsam gefeiert, wenn man auch vielleicht ein Beispiel finden sollte, wo Einer nach seinem besondern abergläubigen Wahne von einem darzubringenden Opfer für sich insonderheit, die allgemeine Gewohnheit veränderte. So riefen auch Einige Verstorbene an. Denn allmälig drängte dieser Aberglaube sich ein.

Auch gilt der von Euch gebrauchte Beweis nicht: Das ist zur Zeit der Väter geschehen; man behalte also die gegenwärtige Weise bei! Denn sie ist ja der frühern nicht gleich! Gerade, als wollte Jemand behaupten: Der Vater läßt's geschehen, daß der Sohn bisweilen einem Schmause beiwohnt; darum wird er's auch müssen zugeben, wenn er ein liederlicher Nachtschwärmer und Nachsteller der Unschuld sein wird. So sucht Ihr durch solche Beispiele des Alterthums, welche weniger Verderbliches noch enthalten, offenbare, dem Heidnischen schon ähnliche Verirrungen der spätern Zeit zu befestigen. Mag auch Basilius die Martyrer also anreden: „Ihr Trefflichen, die ihr unserer Verehrung theilhaft seid; ihr Mitförderer unsers Gebets, die ihr vielvermögende Gesandte seid“; so darf man doch nicht die Sitte dieser Zeit beibehalten, wo Alles voll Bilder ist, an die man die Anrufung Gottes entweder, oder Verstorbener knüpft, und wie man vom Neptun einst günstige Schifffahrt, von der Ceres reiche Früchte erflehte, gleicher Weise jetzt Vermittler aller Art anruft. Da es denn nun ausgemacht ist, daß die alte Sitte der spätern gänzlich ungleich ist, so laßt jene einzelnen, wenigen Beispiele, und kehrt zu der wahren Richtschnur, nämlich zu den prophetischen und apostolischen Schriften zurück. Der Stein, sagt Basilius, muß nach der Richtschnur gefügt, die Richtschnur darf nicht nach dem Steine verschoben werden. Die Beispiele, sagt man gewöhnlich, müssen zu den Gesetzen passen.

Das hier über die Zeit der alten Schriftsteller Gesagte mag auch in Bezug auf das Uebrige gelten. Denn es war jenes Zeitalter nicht ganz ohne Gebrechen, und doch erwähnt Hieronymus im Streit mit Vigilantius in Ansehung der Verehrung der Verstorbenen weder der Anrufung, noch wird deutlich gesagt, was Theodosius gethan. Gesetzt aber, es wäre gewöhnlich gewesen, zu sagen: „Bitte, o Paulus, für mich!“ so war es doch gleichsam wie bei Pflanzen ein Same, nämlich des Irrthums, und mit diesem Samen muß man nicht die Tollheit neuerer Zeiten bekräftigen wollen.

Aber man muß doch, schreiet Ihr, der Schwachheit des Volks und der öffentlichen Ruhe Etwas nachgeben! Was ist's denn nur für ein großes Unglück, sprecht Ihr, wenn nun auch der gemeine Haufe in frommem Irrthum Verstorbene anruft, und bei gewissen Bildern Hilfe sucht! Zu allen Zeiten hat der gemeine Haufe seine Thorheiten! Solcher weisen Rede stellen wir das entgegen: Die Anrufung Gottes ist die gemeinsame, allerwichtigste Angelegenheit; ganz eigenthümlich scheidet sie von den übrigen Völkern die Kirche Gottes. Es gibt Viele, und hat deren Viele gegeben, bei denen, wiewohl sie den wahren Gott nicht gekannt, doch alle übrigen bürgerlichen Tugenden sich fanden; so Aristides, Scipio, Pomponius Attikus. Aber Eins fehlte ihnen - die Anrufung Gottes. Ueber diese muß die Kirche Belehrung ertheilen. Sie ist die Burg der Frommen, wie es im Salomo heißt (Sprüche 18, 10.): „Der Name des Herrn ist ein festes Schloß.“ Und wiewohl man die Anrufung für etwas so Leichtes, für so bekannt und Allen einleuchtend hält, daß Ihr vornehmen Lehrer nur selten darüber predigt, so wird sie doch nur zu leicht verfälscht, nur zu leicht gänzlich verscheucht. Denn, daß es einen Gott gebe, eine ewige Vernunft, welche die Ursach des Guten in der Natur sei, wie Plato ihn erklärt, das wissen alle Menschen durch natürlichen Verstand. Darum rufen Alle Ihn auf irgend welche Weise an. Ja, weil sie jene ewige Vernunft nicht als allein sich denken, denn sie will erkannt und angeschaut sein, gesellen sie ihr einige Diener bei. Auch diese rufen sie an. Daher der Götterhaufe bei den Heiden; daher die Anrufung Verstorbener. Du fragst vielleicht, welchen Nachtheil das habe? Gar vielfachen. Nur auf solche Weise will Gott, daß man Ihn anrufe, wie Er sich geoffenbaret hat; als den einigen Schöpfer und Helfer will Er, daß wir Ihn erkennen, der versöhnt ist durch den Sohn; im Glauben an Diesen sollen wir Ihn anrufen. Die übrigen Völker erkennen Gott weder als den ewigen Vater unsers Herrn Jesu Christi, noch können sie der Annahme und Erhörung ihres Gebets sich fest versichert halten. Die Kirche ist gewiß, und Gott will, daß wir der Verheißung glauben sollen, daß Er um des Sohnes willen uns erhöre.

Das Volk rennt zu den Heiligenbildern, sagt seine Gebetsformeln her, ohne daran zu denken, weder, was es anruft, ob Gott, oder die Sele eines Verstorbenen, noch, ob Gott also angerufen sein und warum er unser Gebet gewißlich annehmen wolle. Diese in den Vorträgen der Propheten so oft verdammten Gräuel werden von Euch bestätigt, indem Ihr diese Sitte durch allen möglichen Vorwand rechtfertigt. Haltet Ihr es denn nicht für die größte Sünde, die heidnische und die christliche Religion zu vermengen, die wahre Anrufung Gottes zu vertilgen, die Kirche Gottes zu beflecken, und diese vielfach angefochtene Menschennatur ihrer wahren Hilfe zu berauben? Wenn die Leute so denken: Vertreibe die Krankheit, o Quirinus! so ist's ein Frevel gegen Gott, indem sie der Kreatur göttliche Macht zuschreiben. Denken sie sich's aber so: Vertreib' o Gott! die Krankheit um der Bitten Quirins willen! so ist's abermals ein Frevel, Gott an dieses Bild zu binden, und sich einzubilden, daß dieses Gebet hier mehr angenommen werde. Es weiß auch das Gemüth nicht, ob Gott wolle, daß man also Ihn anrufe, und die Gewohnheit führt die Menschen vom wahren Mittler, und von der Erkenntniß desselben ab. Wir sind erschaffen und erlöset, um Gott zu erkennen, Ihn wahrhaft anzurufen und zu preisen, nicht, wie die Philosophen wähnten, ein Jeder nach seiner eigenthümlichen Vorstellung, sondern wie Gott selbst mit Seiner Stimme Sich kund gethan. Darum sollen diesen unsichtbaren Gott, der Sich durch die Sendung Seines Sohnes geoffenbaret, und mit Seiner Stimme uns befohlen hat, diesen Sohn zu hören, der sammt Seinem Sohne und dem heiligen Geist die ganze Natur geschaffen hat, unser Gebet gerichtet, und der Glaube in uns angezündet sein, welcher die Zuversicht habe, daß unser Gebet um des Mittlers, Seines Sohnes willen, angenommen werde, und um die Regierung und Heiligung des heiligen Geistes flehe. Also lautet das Gebot der Propheten, der Apostel und der reinen Kirche. So oft du ein Gebet beginnst, so denke dein Gemüthe: Dich, den lebendigen und allmächtigen Gott, den Ewigen, den Vater unsers Herrn Jesu Christi, den Schöpfer aller Kreaturen, welche Du nebst Deinem Sohne, unserm Herrn, Jesus Christus, und dem heiligen Geiste erhältst, rufe ich an: Erbarme dich meiner um Deines Sohnes, unsers Herrn Jesu Christi willen, den Du für uns hast wollen das Opfer werden lassen, und nach Deinem wunderbaren unaussprechlichen Rathschlusse zu unserm Mittler und Fürbitter verordnet hast, um Deinen wahrhaftigen Zorn gegen die Sünden des menschlichen Geschlechts, und Deine unermeßliche Barmherzigkeit gegen uns darzuthun; heilige und regiere mich durch Deinen heiligen Geist, sammle, leite und erhalte Dir die Kirche, lenke die Staaten; gib uns Unterhalt, Frieden, gute und glückliche Führung der Geschäfte, u. s. w. So etwa soll die Form des Gebets sein, daß sie unsere Anrufung nicht nur von heidnischer, jüdischer, muhamedanischer Anbetungsweise unterscheide, sondern zugleich den Glauben erwecke, der die Zuversicht gibt, daß unser Gebet um des Sohnes willen angenommen werde, und solche Verehrung Gott gefällig sei. Diese nothwendige Lehre der Kirche von solchen hochwichtigen Dingen verbannen und vertilgen jene heidnische Meinungen von der Anrufung Verstorbener, welche Ihr nährt und kräftigt. Welches Bild des Aberglaubens habt Ihr bis jetzt abgethan? Ich höre, daß man jetzt noch Geld zu einem Mantel für die Anna sammelt, auf den Ihr wahrscheinlich, wie auf den Mantel der attischen Minerva, eure Gigantomachie werdet malen lassen, mit der Ihr den Himmel bekriegt! Das hab' ich dargestellt, damit der Leser, theils um welche wichtige Sachen sich's handelt, theils was Ihr, und mit welcher Ehrlichkeit Ihr es erstrebt, erwägen könne.

Als Grund, warum man Verstorbene anrufen müsse, führen sie an, weil, wie es im Cyprian heißt, zu einem würdigen, heiligen Gebet viel erforderlich sei, was man weit mehr bei den vom Körper befreiten Heiligen, als bei Lebenden finden könne. Erwäge, lieber Leser, was das für ein Grund ist. Obgleich der Betende bußfertige Gesinnung vor Gott bringen muß, so darf doch die Zuversicht der Bitte nicht auf unsre Würdigkeit, sondern sie muß auf Christus, den Mittler, sich stützen, wie Er selbst spricht: „Was ihr bitten werdet in Meinem Namen, das wird Er euch geben“ (Matth. 21, 22.). In Seinem Namen befiehlt Er zu beten, d. h. mit Berufung auf Ihn, indem wir den Vater um des Sohnes willen, und mit der Zuversicht bitten, daß Er um Desselben willen uns annehmen, erhören, helfen wolle, wie Paulus spricht: „Durch Ihn haben wir einen Zugang zu Gott“ (Eph. 2, 18,); und „Da wir einen solchen Hohenpriester haben, so laßt uns zu Gott treten!“ (Hebräer 4, 14. 16.) Wenn David seine Würdigkeit ermessen will, wann wird er anrufen? Nein, also muß man zu Gott nahen: mit bußfertiger Gesinnung, und dem Bekenntniß der Unwürdigkeit, wie David spricht: „Vor Dir ist kein Lebendiger gerecht“ (Psalm 143, 2.); und: „An Dir allein hab' ich gesündigt“ (Ps. 51. 6.); und Daniel (9, 18.): „Nicht um unserer Gerechtigkeit willen bete ich, sondern ich fliehe zu Deiner Barmherzigkeit, und bitte um des Herrn, d. i. um des zukünftigen Messias willen.“ So heißen uns die Propheten, so Christus, die Apostel und die Kirche beten. Jene aber halten die Lebendigen von der Anrufung Gottes ab, und heißen sie indeß die Verstorbenen suchen, um Ihre Angelegenheiten zu führen, wie ich mich erinnere, daß in einem Dorfe Bauern auf die Frage, ob sie Gebete wüßten, antworteten: es wäre genug, wenn der Pastor sie wüßte, der ja deßhalb bezahlt würde, um., für sie zu beten.

Die übrigen Gaukeleien und Verunglimpfungen in Ansehung dieses Punktes übergeh' ich, ermahne aber den redlichen Leser, daß er es nicht als einen Streit wegen einer geringfügigen Sache betrachte, wenn wir von der Anrufung handeln, sondern erwäge, daß die wahre Anrufung die vorzüglichste Schutzwehr, um mich so auszudrücken, des frommen Gemüthes in so großen Mühseligkeiten des Lebens ist, wie es auch im Psalm heißt (Ps. 20, 8.): „Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse; wir aber wollen im Namen unsers Gottes anrufen!“ Ferner beherzige er, daß die wahre Anrufung die vorzüglichste Gabe ist, die wir Gott darzubringen schuldig sind, und daß man ohne diese Uebung die Wohlthaten Christi nicht zu erkennen vermag. Sodann halte er sich folgende Gründe vor: Wer das unsichtbare Wesen anruft, schreibt Ihm Allmacht zu, weil er die Ueberzeugung hegt, daß Dasselbe die Bewegungen in den Herzen aller Menschen sehe, Ueberdieß kann die Vernunft eine Verehrungsweise nicht für gottgefällig halten, die nicht durch das göttliche Wort bestätigt ist. Endlich lenkt dieser Gebrauch, wie man ihn auch zu verbessern suche, dennoch die Augen von dem Mittler, Christus, ab, er macht den Glauben, d. h. die Zuversicht zu dem Mittler, wankend, die bei der Anrufung leuchten muß, und erzeugt mannichfachen Aberglauben, den furchtbare Strafen begleiten.

So viel über die Anrufung. Etwas ganz Anderes ist es, davon zu reden, welche laute Anerkennung die Tugenden derselben verdienen, welche nicht nur zur Nachahmung aufzustellen sind, sondern auch, um zu lernen, wie Gott seine Kirche leitet und regiert, und damit wir fleißig beherzigen, wie der Wandel der Propheten, Apostel und Bischöfe beschaffen gewesen, und Gott danken, daß Er die Kirche erhält; daß wir die Beispiele des Zornes und der Erbarmung Gottes, z. B. in der Geschichte Davids und des Manasse erwägen, welche uns über die Furcht Gottes und den Glauben belehren. Einen großen bewundernswürdigen Schauplatz bieten die ganze Natur der Dinge, die Schönheit und Ordnung der Himmelskörper, die Gesetze der Bewegung, die Fruchtbarkeit der Erde, der nie versiegende Lauf der Flüsse dar. Diesen so mannichfaltigen Gegenständen sind glänzende Spuren der Gottheit eingedrückt. Aber es gibt kein schöneres Werk, keines, das entweder unserer Betrachtung würdiger wäre, oder wahrere Zeugnisse von Gott uns vor Augen stellte, als ein frommer Mensch, wie Abraham, Sara, Joseph, David, Jesaias, Jeremias, Elisabeth, Paulus u. A. Es läßt sich daher allerdings vieles Ernste und Fruchtbare von den Heiligen sagen, nur aber die Anrufung bleibe hinweg.

Indem ich nun vom Abendmahle des Herrn zu reden beginne, fordere ich alle fromme Christen auf, nicht unsere Schriften zu lesen, sondern mit ihrem Blick durch so viele Gotteshäuser in ganz Europa zu gehen, und die große Entweihung dieses göttlichen Institutes zu erwägen. Der größte Haufe jener Meßpfaffen dient, in gänzlicher Unwissenheit über das, was er verrichtet, und mit beflecktem Gewissen, entweder der Gewohnheit, oder dem Brauche. Außerdem wird es, obgleich diese Ceremonie zur Uebung des Glaubens in den Lebenden angeordnet ist, auf eine höchst unwürdige Weise auf die Todten übergetragen, Endlich tragen Jene, da doch die Sacramente Handlungen sind, die in einer bestimmten Weise geschehen sollen, das Brot, ganz außer der angeordneten Weise, und außerhalb der sacramentlichen Handlung, umher. Da aber Gott, ohne sein Wort, an keine Kreatur gebunden werden darf, so ist's unbezweifelt gewiß, daß das Brot außerhalb der angeordneten Handlung, keine sacramentliche Bedeutung hat. Gewiß ist, daß, wenn der Mensch getauft wird, bei der Handlung der heilige Geist zugegen ist. Wollte nun aber Jemand das Taufwasser umher tragen, gleich als bliebe der heilige Geist darin eingeschlossen, und die Anbetung Desselben fordern, so würden alle Fromme solchen Irrthum laut verwerfen. Eben so sollen auch in Ansehung des Abendmahls des Herrn fromme Christen wissen, daß die Ceremonie bei der Handlung, nicht aber das zu anderm Gebrauch umher getragene Brot das Sacrament ist. Wenn jetzt Ambrosius und Augustin, ich will gar nicht sagen, die Apostel, wieder aufleben, und zu einem solchen Schauspiele kommen sollten, bei welchem die Meßpfaffen in langer Reihe einher schreiten, hölzerne, silberne, marmorne Bilder tragend, denen sodann der das Brot tragende Weihpriester folgt, und wenn sie sähen, wie die am Boden liegende Menschenmenge das Brot anruft, - sie würden sich entsetzen und fragen, wo in aller Welt sie sich befänden, und welche neue heidnische Ceremonieen nach ihrer Zeit entstanden wären! Denn sie würden nicht glauben, in einen Ort, wo die christliche Kirche sei, gekommen zu sein. Wenn sie aber hören würden, daß das Abendmahl des Herrn auf solche Weise umgestaltet worden, wahrlich! dann würden sie, zugleich vor Schmerz und Unwillen entbrannt, und in gewaltiger Bewegung ihres Innern, das Volk zum wahren Gebrauch des Sacramentes zurück rufen, und dasselbe über die wahren Uebungen der Frömmigkeit belehren.

Es gab sonst in Persien eine ähnliche Gewohnheit. Das heilige Feuer wurde umher getragen, welches das Volk anbetete, und, voran gingen 365 Priester, welche Zahl der der Tage im Jahre entsprechen sollte, und trugen gewisse Kostbarkeiten.

Da nun so große Mißbräuche vor Augen sind, warum seid Ihr so gar hart, daß Ihr das Seufzen der Frommen und die gerechtesten Klagen nicht hören wollt? Obgleich Ihr ferner diese Gebrechen selbst einseht, so verhüllt Ihr sie doch dem Volke, damit, wie Ihr sagt, die kirchliche Verfassung nicht gestört werde. Ihr führt Zeugnisse des Alterthums, Kanones, Synoden an, um die Ungelehrten zu blenden, und die Irrthümer zu bekräftigen!

Ich erinnere mich, von würdigen Männern gehört zu haben, es sei nach Tübingen ein Meßpfaffe gekommen, der sogenannte Reliquien, ich weiß nicht von wessen Gebeinen, herum trug, und sie dem Volke mit dieser Anpreisung empfahl, diejenigen, welche diese Reliquien Einmal geküßt hatten, würden das ganze Jahr hindurch von ansteckender Seuche Nichts zu fürchten haben. Der Fürst Eberhard selbst, ein weiser ernster Mann, läßt, in der Ueberzeugung, daß man solche fratzenhafte Unverschämtheit in Predigten nicht dulden dürfe, den Pfaffen hart an. Dieser antwortete, er rede die Wahrheit, weil das Volk den Kuß nicht den Reliquien, sondern dem Glase gebe! - Das sind Eure Farben, mit denen Ihr jetzt Mißbrauche übertüncht, um Euch aus den Schlingen gerechten Tadels zu ziehen, und doch unter dem Volke heillose Gebräuche und Irrthümer zu bekräftigen. Ihr ersinnt zweideutige und verstümmelte Erklärungen des Opfers, und sagt dann, es sei für die Verstorbenen, wo nicht die Uebertragung, doch das Zeichen wirksam. Ihr dichtet dem Kanon eine hohe Schreibart an, um Abgeschmacktes zu mildern. Denn dort bittet Ihr, daß Gott dieses Opfer günstig ansehen wolle. Wozu das, wenn Ihr Seinen Sohn darbringt? Zuletzt habt Ihr, gleich den Juden, in vielen Materien stets Täuschungskünste in Bereitschaft.

Unsre Sache ist einfach und klar. Denn es ist bekannt, daß bei den Alten fast 400 Jahre hindurch ein gemeinschaftliches Abendmahl ohne Privatmessen bestanden hat. Diesem öffentlichen und allgemein anerkannten Gebrauch stellt Ihr ein aus Afrika hergeholtes Beispiel von einer Privatmesse entgegen, mit der man irgendwo ein Gespenst vertrieben. Es ist glaublich, daß allmälig Beispiele dieses Gebrauchs, besonders bei barbarischen Völkern sich eingeschlichen haben. Aber mehr muß der öffentliche und allgemein bestätigte Gebrauch gelten. Nach und nach wurde auch die Erwähnung Verstorbener bei dem Abendmahle eingeführt; der griechische Kanon sagt, es werde dasselbe dargebracht für die Propheten und Apostel. Als Aeußerung der Dankbarkeit war das zu billigen; es geschah nicht zur Befreiung derselben von Strafen. Nachher entstand der Wahn von einer zueignenden Uebertragung, daß die Verstorbenen von den Strafen befreit würden; was jedoch dem Wesen des Sacraments widerstreitet, da es angeordnet ist, um in den Lebenden den Glauben zu erwecken; wie Christus spricht: „Thut's zu Meinem Gedächtniß!“ Ueberdieß ist ein Gebet, welches das Zeugniß der Schrift nicht hat, unzuverlässig. Nirgends aber ist, weder in den Propheten noch in den Aposteln solch' ein Beispiel vorhanden.

Man stelle denn die alte Reinheit wieder her, damit das Volk die Kraft und den Nutzen des Sacraments recht verstehe, und bei dem Gebrauch desselben zu wahren Glaubensübungen angeleitet werde, daß es nicht ein falsches Vertrauen zu einem fremden Werke fasse, nicht abgeführt werde von der Erkenntniß der Wohlthaten Christi; damit es wisse, daß die, so es genießen, Glieder Christi werden, und daß dieser Genuß das Unterpfand ist, welches bezeugt, es werde uns wahrhaftig dargeboten, geschenkt, angeeignet um des Sohnes Gottes willen die im Evangelium verheißene Vergebung der Sünde. Der durch dieses Unterpfand erweckte Glaube aber soll sich stützen, nicht auf eigenes, oder des das Sacrament haltenden Priesters Werk, sondern auf den Mittler Christus; er soll an den Zorn Gottes gegen die Sünde, an das Opfer, an Christus, den Regierer und Beschützer der Kirche denken, Gott danken, bitten, daß der heilige Geist uns regieren und das Gemüth zu wahrem Gehorsam umlenken wolle. Diese hochwichtigen Sachen müssen bei dem Gebrauch des Sacraments den Leuten vorgehalten werden, da die Erkenntniß derselben ausgelöscht wird, wenn man das Vertrauen auf Verdienst und zueignende Uebertragung des Meßpfaffen nährt, und die Zueignung dieses von der Aneignung des Volkes unterscheidet, nach welcher ein Jeder durch den Glauben im Gebrauch des Sacraments und auf andere Weise Christum sich aneignet. Es ist aber der Wahn von der zueignenden Uebertragung des Meßpfaffen aus der Unbekanntschaft mit der Lehre von der Gerechtigkeit des Glaubens entstanden.

Ich habe jedoch über diese ganze Sache anderwärts ein Mehrere gesagt, auch haben die „Delecti“ gar nicht sich getraut, unumwunden zu sagen, was sie vertheidigen wollen, sondern führen Aussprüche von Schriftstellern der Mittlern und spätern Zeit an. Auch ich berufe mich auf ältere Schriften, und wünschte gar sehr, daß die Schriftsteller verglichen, und ihre Zeugnisse nicht bloß gezählt, sondern gewogen würden! Ich weiß es, daß eine große Verschiedenheit Statt findet, und das Neuere ist in der Regel das Unreinere. Das jüngste Zeitalter redet vom Untergang des Brotes, und fragt, was die Maus fresse, welche geweihetes Brot benage? - Mit Widerwillen erwähne ich das, und schaudere, indem ich daran denke. Wo gibt's etwas Aehnliches in den Alten, im Epiphanius, Ambrosius, Augustinus? Wie weit vorsichtiger reden sie!

Es ist bei der Beurtheilung dieser Streitsache nicht sowohl Gelehrsamkeit, als vielmehr Glaube und Aufmerksamkeit nöthig; Jeder von gesundem Geiste sieht die unabweisbare Wahrheit der Behauptung ein, daß Sacramente Handlungen sind, die in einer bestimmten Weise geschehen, und daß außerhalb der angeordneten Handlung Nichts die Eigenschaft des Sacraments behält. Daher muß man, meines Erachtens, nicht sowohl die Unwissenheit, als vielmehr die Nachlässigkeit Jener rügen, welche in ihrem Irrwahne solche Mißbräuche entweder vermehrt haben, oder sie jetzt befestigen. Denn wenn sie ungeachtet der jetzt empfangenen Weisung dieselben doch verfechten, so sündigen sie mehr durch eine verdammliche Verkehrtheit, als durch Irrthum. Alle frommen Gemüther aber ermahne ich, die Entweihung des Abendmahls des Herrn zu fliehen, welche in den Privatmessen und jenem oben erwähnten persischen Geprange verübt wird, und zu bedenken, daß es unser Aller höchste Pflicht ist, um welcher willen vorzüglich wir geschaffen und erlöst sind: Gott auf die rechte Weise anzurufen, eingedenk der Mahnung: „Fliehet die Abgötterei“ (1. Kor. 10, 14.). Ich habe viel zu kurz und oberflächlich von dieser so wichtigen Sache geredet, und erinnere die „Delectos“, daß sie sich hüten mögen, größere Kämpfe zu erwecken. Wenn sie ihrem Hasse und frevelem Muthwillen folgen, so regen sie neue Fragen an, deren Erörterung keineswegs zu ihrem Vortheile dienen wird.

Einige Male zeigen die „Delecti“, daß auch sie eine Verbesserung der Kirche wünschen, und schieben die Schuld auf die Nachlässigkeit der Obern, und klagen, daß von denselben ihre dießfallsigen Absichten verhindert worden seien. Dieser schlaue Vorwand ist eine feine Wendung der öffentlichen Verhandlungssprache, wie Thucydides sagt, indem man mit einem guten Scheine schlechte Absichten verdeckt, wie es so oft in Staaten geschieht. Sie erheucheln Eifer für die Verbesserung der Kirche, da sie doch in der That die Nerven der Mißbräuche keineswegs erschüttern lassen, da sie die Anrufung der Todten, die Messe, den Cölibat, die Gelübde nicht berührt wissen wollen, ja sogar diejenigen noch verdammen, welche das Sacrament ungetheilt genießen. Steif und fest halten sie an den Irrthümern in der Lehre von der Buße und Gerechtigkeit. Was für eine Verbesserung wünschen sie denn also? Das will ich sagen: Sie wollen, daß von den Bildern in den Kirchen der Staub abgekehrt, sie wollen, daß die alten verblichenen Gemälde an den Kirchenwänden aufgefrischt werden sollen. Und um auch Etwas dem delphischen Orakelspruche gemäß zu thun, wollen sie die cubischen Altäre verdoppelt wissen, damit sie ansehnlicher seien, und geben Gesetze gegen das Tragen langer Bärte und das Herplappern nicht verstandener Gebete. Das sind die wichtigen Punkte, in denen sie eine Verbesserung erheischen, und von welchen sie sich beklagen, von ihrem fürstlichen Oberhaupte abgehalten worden zu sein. Sie legen nur ihre gehässige Gesinnung und ihren Starrsinn an den Tag, und ziehen ungerechter Weise ihren Fürsten hinein, der schon so viele Jahre mit den achtungswerthesten Männern aus den höchsten Kirchenämtern, wie die „Delecti“ gar wohl wissen, sich berathschlagt hat, wie man das Heil des Volks wahrhaft befördern, wie man die wahre Anrufung Gottes wieder herstellen mochte. Diese Absichten haben vorzugsweise Jene verhindert, welche eben so wenig das Licht der reinen Lehre, als eine ernste Untersuchung ihrer Sitten ertragen mögen. Nicht scheinbare Verbesserungen wollte der Fürst vorgeschlagen wissen, sondern solche, die den Glauben und die Sittlichkeit fördern sollten. Er sah die Unwissenheit, den Aberglauben des Volks, die Anbetung der Bilder, die Vernachlässigung der äußern Zucht; er sah, daß die Kirchen unwissenden Geistlichen anvertraut, und daß die Einkünfte von Abwesenden verschlungen wurden. Er sah, wie das Abendmahl auf vielfache Weise entweiht wurde; er sah, wie vergeblich man die verderbten Sitten der Geistlichen zu den Schranken der Kanones zurück zu rufen suche. Nicht einmal Ihr „Delecti“ mochtet Euch das gefallen lassen. Darum war die Beratschlagung über eine so wichtige Angelegenheit, um heilsame Gegenmittel aufzusuchen, langwierig und saumselig. Ich wünsche aber, er möge das finden, was mit dem Evangelium Gottes übereinstimmt, welches die Richtschnur der kirchlichen Verwaltung ist. Denn welche Richtschnur stellt Ihr auf, die Ihr bis auf den heutigen Tag das widerrechtliche Gesetz vom Cölibat verfechtet, welches Ihr selbst als die Quelle vieler ungeheurer Verbrechen kennt, die auf eine gräuliche Weise das Mißfallen Gottes erregen, und nicht nur oft mit allgemeinem Ungemach bestraft werden, sondern auch der öffentlichen Sittlichkeit schaden?

Hier häuft Ihr eine Menge leere Kanones und noch leerere Gründe auf. Diesem Allen stell' ich die eine Regel entgegen: Es müssen alle regierende Oberhäupter, vorzüglich kirchliche, darauf sehen, daß sie kein Gesetz geben, welches die wahre Anrufung Gottes verhindere. Nun ist aber bekannt, daß nur Wenige zum Cölibat sich eignen. Die Uebrigen fallen entweder in die Fesseln der allgemeinen Schwachheit, oder führen einen unglücklichen Kampf mit sich selbst. Durch die Befleckung ihres Gewissens gehindert, rufen solche Gott nicht an, sondern fliehen Ihn. So stürzen denn Viele in epikuräische Gottesverachtung, oder unterliegen der Verzweiflung. Daher hat dieses Gesetz schon so viele Jahrhunderte unzählige Scharen von Selen von Gott entfernt, und in das ewige Verderben gejagt. O der eisernen Herzen aller Derer, so das Regiment führen, wenn sie diese so großen Uebel nicht beherzigen, wenn das Verderben so vieler Selen sie nicht rührt, wenn sie es nicht als ein großes Verbrechen erachten, die wahre Anrufung zu verhindern; wenn sie nicht bedenken, daß der Kirche fromme und wohlunterrichtete, verehelichte Geistliche weit heilsamer, als solche leichtsinnige und unwissende Ehelose sind! Ihr wißt es aber selbst, daß an vielen Orten Geistliche fehlen; Ihr wißt, daß schon seit zwanzig Jahren viele gute Köpfe, welche dem Evangelium hätten treffliche Dienste leisten können, wegen der Fesseln des Cölibats dem evangelischen Lehramte sich nicht gewidmet haben.

Ich erinnere mich, daß zu Regensburg ein Bischof dem (päpstlichen Legaten) Contarenus vorstellte, man müsse nothwendig den Geistlichen die Ehe frei geben, weil sonst die Kirche keine Geistlichen haben würde, und schon viele Kirchen standen verlassen ohne Geistliche. Darauf erwiederte Contarenus verwundert, dieser Sache könnte er abhelfen, weil Italien Ueberfluß an Mönchen hätte, welche der Papst den leeren Kirchen senden würde. Jener fragte: Was werden sie aber thun, wenn sie unsre Sprache nicht verstehen? Sie werden, erwiederte Contarenus, nach der allgemeinen Weise opfern. Dagegen antwortete bescheiden der Bischof, es sei ein wesentliches Bedürfniß, daß das Volk belehrt und durch Kenntniß des Evangeliums die Frömmigkeit genährt werde; das äußere Gepränge des Ceremonieenwesens reiche nicht hin. - Da es nun so viele wichtige Gründe gibt, die Euch Allen gar wohl bekannt sind, welche gegen die Verbietung der Ehe sprechen, so zweifle ich nicht, daß Viele diese Schmähung der Ehe in Eurer Schrift mit tiefster Betrübniß lesen werden. Es gibt eine so klare Wahrheit, daß ein Nichtwissen gar nicht statt finden kann, sondern daß man die Unverschämtheit eines Widerspruchs mit Knütteln züchtigen möchte; so, wenn die Akademiker sich erkühnten, die geometrischen Grundsatze wankend zu machen. Gleicherweise, da alle Menschen von gesundem Verstande wissen, welch' eine Schmach für die Kirche das Eheverbot ist, gehört die größte Unverschämtheit dazu, dasselbe zu vertheidigen. Aber Paulus redet von dieser Sache scharf genug, wenn er die Behinderung der Ehe eine teuflische Lehre nennt. Ihr aber vertheidigt sie nicht nur, sondern fügt auch possenhafte, schnulzige Ausdrücke und viele Lästerungen hinzu. Es gibt jetzt in Teutschland 10,000 Geistliche, welche Ehegatten sind und viele Kinder haben, und es ist kein Zweifel, daß viele ehrbare Frauen in dieser Verbindung Gott in wahrer Frömmigkeit verehren, und Erben des ewigen Lebens sind. Diese Alle nennt Eck in seiner letzten Schrift Huren, und um witzig zu erscheinen, wiederholt er in jenem seinem Schwanenliede diese Schmähung fast auf jeder Seite. Mochte auch Eck diese Sache nicht gut heißen, so forderte es doch die Humanität, diesem Geschlechte Schonung zu bezeigen. Wie viel bescheidener Augustinus, der, obgleich er das Gelübde nicht aufgelöst wissen wollte, dennoch der Meinung war, daß die nach dem Gelübde geschlossenen Ehen für gültig zu halten seien; denn es erkannte dieser weise Mann, daß man auf das Weib Rücksicht nehmen müsse, und sprach vom Gelübde los, um die Rechte des Weibes nicht zu kränken. Auch die alten Kanones verwerfen die erste und zweite Ehe nicht; sie entsetzen nur des kirchlichen Amtes die, welche lieber in der Ehe leben wollten, und billigen jenes Lebensverhältniß. Eck aber verdammt mit unflätigem Munde die Ehe selbst, und so viele ehrbare fromme Hausfrauen nennt er Huren.

Ja wahrlich, ich glaube, daß es in ganz Deutschland keinen billig denkenden Mann gibt, der, möcht' er auch unsrer Sache feind sein, nicht urtheilen würde, diese Eckische Wuth habe bürgerliche Ahndung verdient. Ihr ahmt ihn jetzt nach, indem Ihr die Ehe wer weiß wie oft Blutschande, und einen verbrecherischen Umgang nennt, und andere schmähsüchtige Benennungen und Ausdrücke des Plautus hinzufügt, die ich nicht wiederholen will. Mag man diese schönen Sachen in Euren Büchern lesen, denn ich bin nicht gesonnen, mit Euch in schmutziger unflätiger Rede zu wetteifern, obgleich die Sitten Einiger von Euch Stoff genug dazu bieten. Ich bitte aber eine weise Obrigkeit, dieser Eurer Frechheit Schranken zu setzen, und sollte sie diese Bitte nicht beachten, so will ich doch Euch ermahnet haben, daß Ihr die Geister so vieler Jünglinge, welche schon aus diesen Ehen entsprossen sind, nicht verachten mögt. Je edelsinniger Einer ist, desto mehr verletzt ihn die Beschimpfung seiner Mutter.

Ich zweifle aber nicht, daß die Familien unsrer Geistlichen, welche das Evangelium wahr und treulich lehren, und um Christus willen großes Ungemach ertragen, der Fürsorge Gottes empfohlen sind. Es gibt unter ihnen Einige, die in der That mit nicht undeutlichen göttlichen Zeugnissen geschmückt sind, und die ich namentlich aufführen könnte. Darum wird Gott ihre Nachkommen in Schutz nehmen, und ihren Söhnen Zutritt zu öffentlichen Aemtern eröffnen, wo sie, Ihr dürft' es glauben, solche Schmach nicht vergessen werden. Und damit sie dieselbe nicht vergessen, müssen sie von vielen wackern Männern aufmerksam gemacht werden, welche sie schon jetzt mit tüchtiger Gelehrsamkeit ausrüsten, damit sie sowohl dem Staate treulich dienen, als auch Eure Tyrannei stürzen können. Zuletzt wird doch die Wahrheit, wie lange sie auch unterdrückt werde, durch die gegenwärtigen Schwierigkeiten sich hindurch ringen, und Eure Heuchelei, Eure Lästerungen und Fälschungen zu Nichte machen.

D. Bucer hat sich zu einer freundlichen Disputation und Vergleichung der Lehre erboten, und ich tadle seine Absicht keineswegs. Aber was fruchtet es, mit solchen zu disputiren, welche, selbst wenn sie wissen, daß sie eine schlechte Sache vertheidigen, doch der Gaukelkünste kein Ende machen, damit nur ihre Sache nicht unterliegend erscheine. Drum wollt' ich keine langen Widerlegungen anstellen; denn was nützt es, solche Seichtigkeiten zu widerlegen? Heut' zu Tage wird Keinem gegen seinen Willen der Zwang aufgelegt, weil Keiner gegen seinen Willen den geistlichen Stand wählt. Solche Sachen passen für den Pseudolus1) in der Komödie! Ihr gebt vor, es sei eine willkürliche Beschwerung. Gilt deßwegen ein abergläubiges Gesetz, das der größern Anzahl unmöglich ist, die wahre Anrufung verhindert und für einen großen Theil der Ehelosen verderblich ist? Keiner nimmt gegen seinen Willen von einem Wucherer Geld auf; war deßhalb das Gesetz, welches den Wucher billigte, gerecht? Wie kann man ferner von denen, welche ihr Leben um Geld von Mördern erkaufen, sagen, daß sie ihren Willen haben? Auf diese Weise schrecken sie viele fromme gelehrte Leute vom Predigtamte ab. Daher ist's äußerst ungerecht, daß einem unentbehrlichen Stande eine so gefährliche Beschwerung aufgelegt wird. Sie mögen, sprechen sie, ihr Fleisch zähmen! - Warum zähmen sie selbst das Fleisch nicht?

Möchten sie es nur glauben, daß Gott durch Unreinigkeit, und Brunst der Sele und des Leibes wahrhaft erzürnt wird. Möchten sie zu der Erkenntnis kommen, welch' eine herrliche gottgefällige Tugend die Keuschheit ist! Obgleich die menschliche Natur in dieser Schwachheit zu Fehlern geneigt ist, so gibt's doch Stufen in dieser Hinsicht. So lange das körperliche Wachsthum dauert, und vor der Reife der Mannbarkeit ist die Natur biegsam und zart, so daß ihr der eheliche Umgang noch nicht Bedürfniß ist. Deßhalb kann in diesem Alter, wenn nur einigermaßen Wachsamkeit und fromme Uebungen Statt finden, die Reinheit gar wohl bewahrt werden. Das soll die Jugend wissen, damit sie mit größerer Sorgfalt ihren sittlichen Zustand im Auge habe, und nicht durch die Vorstellung der Schwierigkeit in strenger Wachsamkeit nachlasse.

Viele verstrickt der Teufel in mannichfache Laster, welche die noch zarte Natur verabscheut. Vor solchen Fallstricken des Teufels und schlechter Gesellschaft lerne die Jugend sich hüten, und bedenke, daß der Teufel ein langes Gewebe anzeddelt. Sind sie einmal verstrickt, dann folgen wiederholter Fall und harte Strafen in diesem und jenem Leben; denn nicht trügt die Gottesstimme, welche spricht: „Hurer und Ehebrecher wird Gott richten!“ (Hebr. 13, 4.)

Später kann der Mensch in seiner Kraftfülle und männlichen Reife seine Kräfte mehr erproben. Hat er die Gabe, bei einiger Strenge die körperliche Reinigkeit treulich zu bewahren, so thut er wohl, wenn er über diese Gabe wacht. Reicht aber solche mäßige Strenge nicht aus, dann ist's Gottes Befehl, sich der Ehe zu bedienen, wie sie von Gott verordnet ist, um in diesem Stande einen reinen Wandel zu führen. Es ist demnach auch der eheliche Umgang, in so fern er mit jener Reinigkeit verbunden ist, Keuschheit, weil dadurch die von Gott festgestellte Naturordnung erhalten wird, der da wollte, daß Mann und Weib nicht nur nach bestimmtem Gesetze eine Verbindung eingehen, sondern auch, daß die also Verbundenen nicht durch unstäte, ungeregelte Lust, noch auf andere Weise sich beflecken sollten. Und es können allerdings fromme Menschen, welche mit dieser Gesinnung im Ehestande leben, die Reinheit des Gewissens bewahren, und Gott anrufen. Im Paulus findet sich das ausdrückliche Gebot: „Um der Vermeidung der Hurerei willen habe ein Jeglicher sein Weib.“ Ferner: „Irret nicht; weder die Hurer noch die Ehebrecher werden das Reich Gottes besitzen!“ Diese kräftigen Worte stellen wir den abergläubischen Kanones entgegen, welche die Ehe verhindern.

Wenn aber die Menschen durch Verachtung dieses von Gott verordneten Mittels in Lüste stürzen, behalten sie weder die Reinheit des Gewissens, noch können sie Gott anrufen. Es folgt dann entweder epikuräische Gottesverachtung oder Verzweiflung, und die Umstände bezeugen, daß ein gar großer Theil der Pfaffen in solcher epikuräischen Gottesverachtung ihren ganzen Lebenslauf zubringen. Wer das wirklich für Uebel hält, der möge das Cölibätsgesetz verwünschen!

Aber, sagt Ihr, durch Zähmung des Fleisches kann sie wohl bewahrt werden! Wohl ist's denkbar, daß einige üppig ausgestattete Menschen, selbst in der Zeit der Mannbarkeit, jedoch unter Beschäftigung mit schweren ernsten Sorgen, so lange sie eben beschäftigt sind, die Reinigkeit bewahren, wie Augustin, der, obgleich er in seiner Jugend ausschweifend gelebt hatte, doch später, während seiner heftigen Streitigkeiten mit Ketzern, und als ihn sein kirchliches Amt unablässig mit Sorgen beschäftigte, solche Flammen leichter dämpfte. Und dennoch lesen wir von vielen solcher Männer Klagen. Es gibt noch andere, ruhiger Lebende, welche, obgleich sie mit sich ringen, dennoch die Reinigkeit des Leibes nicht bewahren, wie Gerson in einer Stelle sagt. Das ist nicht Keuschheit, sondern eine mit göttlicher Ordnung im Widerspruch stehende Lebensweise. Auch verwunden solche unordentliche Triebe die Gewissen oft, und hindern die Anrufung Gottes. Weßhalb Paulus sagt: „ Es ist besser ehelich werden, als brennen.“

Es wolle daher in dieser Streitsache ein frommes Gemüth zuerst das göttliche Gebot bedenken, welches Keuschheit, d. h. Reinigkeit der Sele und des Leibes fordert, und die schrecklichen Drohungen und Strafen erwägen, in welchen Gott seinen Zorn gegen Befleckungen des Leibes kund thut. Die Geschichten sind ja bekannt. Unter den Ursachen der Sündfluth wird die Wollust angegeben. Aus eben diesem Grunde wurde später Sodom verwüstet, wurden 24,000 Menschen in der Wüste getödtet, und die Obersten des Volks aufgehangen (4. Mos. 25.). Der Stamm Benjamin ward wegen der geschändeten Gattin des Leviten fast gänzlich vertilgt (Richt. 20.); David ward wegen seines Ehebruchs vom Throne gestürzt. Als die zwei vorzüglichsten Ursachen der Zerstörung Jerusalems werden von Jeremias Abgötterei und Wollustsünden genannt. Wegen derselben Ursachen sind auch die andern Reiche auf der ganzen Erde durch vielfache Unruhen erschüttert und verändert worden. Wegen der geraubten Helena ward Troja zerstört; wegen der Schändung der Lukretia wurden die Könige aus Rom vertrieben. Die ägyptischen Könige wurden wegen vielfacher Lüste vertilgt. Endlich, warum haben die Türken Asien, Griechenland, Illyrien, Pannonien unterjocht? Es ist kein Zweifel, daß durch diese traurige Knechtschaft vorzüglich die Entweihung des Abendmahls des Herrn und die Wollust bestraft werden.

Darum wollen wir durch die Betrachtung des göttlichen Gebots und der gedroheten Strafen zur Keuschheit uns erwecken, und aus göttlichen Zeugnissen, nicht aus alten verlegenen Kanones lernen, was wahre Keuschheit sei. Wem die Gabe zu Theil geworden, der bewahre sie sorgsam, wer aber die Reinigkeit des Körpers außer dem Ehestande nicht bewahren kann, der nehme ein Weib, zu Folge des göttlichen Gesetzes, damit er in diesem Lebensverhältniß keusch und züchtig lebe, und wisse, daß die Menschennatur mit dieser Einrichtung geschaffen worden, daß in beiden Geschlechtern eine wechselseitige innige Liebe Statt finden, und daß das männliche die Pflicht der Beschützung und Unterhaltung des andern Theiles des menschlichen Geschlechtes übernehmen soll. Ferner wisse er auch, daß gerade dieses Lebensverhältniß eine wichtige Uebungsschule ist, weil die mütterlichen Mühen und Beschwerden bei der Geburt und Erziehung der Kleinen dem Manne vielfache häusliche Sorgen verursachen, in welchen Gott will, daß die Uebungen des Glaubens und der Liebe leuchten sollen. Aber nicht in häusliche Sorgen allein, auch in politische wird der Ehemann verwickelt; um seiner schwachen Familie willen fühlt er mehr das Bedürfniß allgemeinen Friedens, und eines mäßigen Wohlstandes für die Nachkommen. Wiewohl wir nun sehen, daß auch einige Ehelose, wie der Täufer, Christus, Paulus und Andere von der Sorge für derlei Dinge berührt werden, so sind doch solche edle Regungen nicht bei dem großen Haufen der Ehelosen gewöhnlich, weil dieser frei und ledig lebt, nicht um die Last öffentlicher Sorgen auf sich zu nehmen, sondern um Gefahren und Beschwerlichkeiten zu umgehen. „Weib und Kinder“, sagt Euripides, „sind für den Mann eine schwere Herrschaft!“ Und wahr ist's, der Ehestand ist eine schwierige Knechtschaft, aber Gott wohlgefällig, wenn das Gemüth sie auf die rechte Weise trägt, Anrufung übt, und den Gedanken festhält, daß die Zeugung also von Gott angeordnet ist, damit vermittelst derselben Menschen hervorgebracht werden, die Gott in der ewigen Kirche preisen sollen, und daß es Ihm zuwider ist, wenn dieses wunderbare Werk der Zeugung gemißbraucht wird, wie Ehelose auf eine furchtbare Weise dasselbe mißbrauchen. Auch die übrigen Pflichten, die Familie, Staat und Kirche erheischen, übernimmt der Gatte; denn als Erbschaft soll er den Kindern auch einen ehrenvollen Zustand des Staates und Reinheit der Kirche hinterlassen.

Solcher Gatten sind sehr Viele gewesen, im israelitischen Volke nicht nur, sondern auch alte Bischöfe. Ihr wißt, daß Gregor von Nazianz der Sohn eines Bischofs gewesen ist. Derselbe erzählt, indem er die Ehe seiner Aeltern rühmt, seine Mutter habe eine so ausgezeichnete Bildung und Frömmigkeit besessen, daß sie den Glauben seines Vaters durch trauliche Mittheilung und Unterhaltung mit ihm oftmals aufgerichtet und gestärkt habe; ferner sagt er, sie habe nicht nur in ihrem häuslichen Verhältnisse die Sorgen des Vaters gemildert, sondern ihr würdevoller Charakter habe auch die öffentliche Eintracht sehr befördert, indem sie in der Gesellschaft der Frauen großen Einfluß besessen. Solcher Presbyterenfamilien hat es Anfangs viele gegeben, und auch in unsrer Zeit kenn' ich viele, deren Beispiel für ganze Städte erbaulich ist.

Nachdem nun der Begriff der Keuschheit festgestellt worden, kehr ich zu der Widerlegung der Lästerungen zurück, vie in der Schrift der „Delectorum“ sich finden. Christus, sprechen sie, ermahnt zur Enthaltsamkeit; Bucer mahnt ab davon. Wem von Beiden soll man folgen? Und solcher Einwürfe häufen sie viele, um den Ungelehrten ein Blendwerk vorzumachen. Die wahre und feste Antwort ist: Christus ermahnt die, so zum ehelosen Leben geschickt sind, solche Gabe wohl zu bewahren. Derselbe Christus empfiehlt denen, so außerhalb der Ehe die Reinigkeit nicht bewahren mögen, daß sie im Ehestande einen reinen Wandel fuhren sollen. Und von diesen redet auch Bucer ganz in Gemäßheit des paulinischen Ausspruchs: „Um der Hurerei willen habe ein Jeglicher sein eigenes Weib;“ - „es ist besser freien, denn Brunst leiden.“ - „Wer ledig ist, der sorget, was dem Herrn angehöret.“ (1 Kor, 7, 2. 9. 32.) Oder meint Ihr, Paulus rede da von dem unreinen Ehelosen, der in schändliche Wollust stürzt, oder mit seiner üppigen Natur einen unglücklichen Kampf kämpft? Wie mögen solche Ehelose, da sie Gott nicht anrufen können, für das Göttliche Sorge tragen? Ein Eheloser, der die Gabe hat, und seinem Kämpferberuf ganz hingegeben ist, wie der Täufer, Paulus, Athanasius, ist freier und unbefangener bei allen unerwarteten Begegnissen, die ihm in einer so schwierigen Berufsverwaltung entgegen treten. Aber diese heroische Stufe ist nicht allgewöhnlich. Darum sollen die übrigen fruchtbaren Naturen in ihrer Mittelmäßigkeit getreulich dem Gebote gehorchen. Und mögen sie auch durch häusliche Sorgen und Mühseligkeiten mit Weib und Kindern abgezogen werden, sie bewahren doch das Wesentliche, nämlich ein gutes Gewissen, so daß sie Gott anrufen können. Das ist's, was wahre Selenruhe hervorbringt. Unreine Ehelose hingegen verlieren dieses hohe Gut, und werden von Gott gänzlich getrennt; und welche innere Glut, welche Zerrüttungen, welches Verderbniß darauf folgt, ist bekannt.

Wir vertheidigen die Ehe der Geistlichen in der Absicht, damit die Geistlichen mit einem guten Gewissen Gott dienen können. Warum verfechtet Ihr aber den Cölibat? Haltet Ihr denn alle Menschen auf der ganzen Erde für so gar dumm, daß Niemand den Grund davon merken, Niemand denselben muthmaßen sollte? Verfechtet Ihr ihn etwa deßhalb, damit das Leben keuscher sei? Es ist aber bekannt, wie die Sitten der größern Menge beschaffen sind! Oder etwa, weil bei der Jungfräulichkeit die Anrufung weniger verhindert ist? Im Gegentheil, je mehr Einer weiß, was die Anrufung erfordert, um so mehr wünscht er die Wegnahme dieser Bürde. Oder vielleicht, damit sie geschickter sein sollen, die Kirchen zu belehren? Wie viele sind ihrer aber, welche lehren? Der einzig wahre Grund, warum man den Cölibat vertheidigt, ist, damit das Kirchengut vortheilhafter verwaltet, und das Ansehen des geistlichen Standes aufrecht erhalten werde. Aus diesem Grunde, der in der Kirche durchaus nicht hätte dürfen Geltung haben, wird von den mächtigen Obern dieses ruchlose Gesetz vertheidigt, und viele fromme Priester sind um deswillen gemordet worden. Das wissen die „ Delecti“ recht wohl; und dennoch geben sie sich den Schein, als nähmen sie um der Frömmigkeit willen den Cölibat und die Gelübde (der Keuschheit) in Schutz, und wissen, daß dieß nicht durch redliche Gründe, sondern durch ungerechten Zwang und Grausamkeit vertheidigt wird.

Ich weiß recht gut, daß man uns die Fabel entgegen setzt, welche Aristoteles erzählt (Polit. III.): daß, wie einst die Hasen, als sie dem Löwen Gesetze geben wollten, zerfleischt wurden, so auch wir den Mächtigen umsonst predigten, und uns nur Unannehmlichkeiten zuzögen. Ihr könnt, sprechen sie, die hohem Stände nicht zwingen, ein längst bestehendes Gesetz abzuschaffen. Was schreit ihr vergeblich gegen den Staat? Das sind aber kirchliche Streitigkeiten, und sollten sie auch durch menschliche Beschlüsse nicht geendigt werden, so sind sie doch nicht unnütz. Die Priester und Vornehmen verlachten den Jeremias, den Täufer, Christum, die Apostel, bis durch die Zerstörung Jerusalems der Streit von Gott geendigt ward. Inzwischen hatten doch jene Lehrer eine Kirche gesammelt. Eben so ist auch unsre Bemühung nicht ganz vergeblich. Können wir auch nicht die Mächtigen umlenken, so wird doch hin und wieder ein Einzelner gewonnen, den Aberglauben und die Unzucht zu fliehen und zu verabscheuen. In der Kirche muß die Wahrheit ausgesprochen werden, und sollte auch die Erde zu Grunde gehen. Zu der Zeit, als in Sodom und den umliegenden Städten das äußerste Sittenverderbniß herrschte, lebten in der Nachbarschaft zwei Männer, Sem und Abraham, welche in ihren Predigten das Laster muthig rügten. Sem hatte seine Wohnung fast im Angesicht der Stadt Sodom, in Salem, welches nicht weiter als 8 Meilen von Sodom entfernt war. Dieser Mann nun hatte die Welt vor der Sündfluth gesehen, hatte die früheste Geschichte des Menschengeschlechts von den zuverlässigsten Zeugen überkommen, hatte die Kirche seit her Sündfluth schon 400 Jahre verwaltet, war durch Weisheit, Tugend und Alter vor allen Menschen seiner Zeit gleich ausgezeichnet. Aber auch Abraham, der nach ihm lebte, hatte der Stadt eine ungemeine Wohlthat erzeigt, daß er das feindliche Heer geschlagen, die gefangenen Bürger wieder geholt und wohl behalten in das Vaterland zurück geführt hatte. Die Fürsten jener Städte aber ließen sich weder durch das Ansehen, noch durch die Stimme dieser so ausgezeichneten Männer bewegen. Was Wunder nun, wenn unsre arme Predigt nun verlacht wird, die Wir ja in Wahrheit, wie Christus spricht, eine kleine schwache Herde sind? Dennoch aber weiß ich, daß diese schwache Herde der Fürsorge Gottes, empfohlen ist, und unsre Mühen werden nicht vergeblich sein. Es gibt viele redliche Gemüther, welche im Lichte des Evangelium die wahre Anrufung lernen, und Aberglauben und falschen Gottesdienst fliehen. Es ist verdrießlich, länger bei dieser Verhandlung sich aufzuhalten, denn obgleich die Bedeutung der Ehe ein sehr würdiger Gegenstand ist, so ist doch dieser Streit um so unangenehmer, weil weder die Gegner, noch die „Delecti“ in dieser Sache offen heraus sagen, was ihre Meinung ist. Mit dem Vorwande der Frömmigkeit vertheidigen sie den Cölibat und die Gelübde, ungeachtet sie wissen, daß diese Form ihrer Verfassung nur beibehalten wird, weil sie zur Verwaltung des Kirchenguts und zur Erhaltung des geistlichen Ansehens dienlicher ist. Ich endige daher diese Disputation, jedoch also, daß ich die, welche Gott wahrhaft zu verehren und ihr Heil zu berathen wünschen, ermahne, jene ruchlosen Fesseln zu fliehen. In Ansehung der Gelübde bedarf es auch nicht vieler Worte. Zn den Klöstern geschehen grauliche Entweihungen der Messen, Anrufung Verstorbener, und vielfacher anderer Aberglaube wird da geübt. Das sind hinlänglich einleuchtende Gründe, welche die Gelübde auflösen, und die, so an diese Lebensweise gebunden sind, entbinden. Denn es ist eine wahre Regel: ein Gelübde dürfe nicht ein Band zur Sünde sein. Wenigstens darf es den Menschen nicht zu abergläubiger Gottesverehrung verbinden. Drum ist das Gesetz Jovinians nicht auf diese Zeit anzuwenden, welches von solchen Jungfrauenvereinen redet, in denen noch nicht die fehlerhaften Gottesdienste Statt fanden, die jetzt vertheidigt werden. Dasselbe Gesetz verbot auch das Entführen, welches Julian aus Haß gegen das Christenthum erlaubt hatte. Aber Ihr habt das Allergehässigste, was Ihr nur immer auf Papier dargestellt gefunden, und was auf irgend eine Weise gegen die Unsrigen gekehrt werden kann, in diese Eure Schrift zusammen getragen, um die wahre, allen Frommen heilsame Lehre durch Gaukelkünste aller Art niederzudrücken, und Eure Tyrannei zu befestigen. Schon viele Jahrhunderte haben die in den Klöstern Eingeschlossenen beiderlei Geschlechts gerechte und dringende Gründe, das mit vielen fehlerhaften gottesdienstlichen Gebräuchen befleckte Klosterleben zu verlassen; denn es ist ein unwandelbares Gesetz: „Fliehet die Abgötterei!“

Ich will meine Meinung offen sagen. Mit großem Schmerz hab' ich jene abscheulichen Ausdrücke gelesen, wo die „Delecti“ die Ehen frommer Menschen blutschänderisch, gotteslästerlich, verbrecherisch nennen. Das ist eine entsetzliche Rede, und solche Beschuldigung geht alle unsre Fürsten und Staaten an. Denn wäre die Ehe ein blutschänderischer Umgang, so verdiente sie in nicht geringerem Grade gesetzliche Strafe, als der Mord. Denn eine blutschänderische Verbindung ist ein schweres Verbrechen, und wird oft durch öffentliche Plagen geahndet, wovon die Geschichte Thebens und Aegyptens Beweis gibt. O wollten doch die „Delecti“, welche in nicht geringem Maße die Kirche beflecken, ihre eigenen Sitten betrachten! Sie würden mit mehr Achtung von frommen Menschen und von unsern Städten reden!

Bucer hat dem gefahrvollen ehelosen Leben einen frommen Ehestand vorgezogen. Er hat eine achtbare Jungfrau, Elisabeth, geheirathet, welche, nachdem sie aus dem Evangelium gelernt hatte, daß man die Abgötterei fliehen müsse, aus eigenem Antrieb den klösterlichen Aberglauben verlassen, die Anbetung der Heiligenbilder, die Anrufung Verstorbener, die Entweihung des heiligen Abendmahls gemieden hat. Sie hat daher, einem Manne anvertraut, also gelebt, daß ihre Frömmigkeit, Züchtigkeit, und ihre in allen ihren Aeußerungen sich aussprechende Bescheidenheit für Viele ein gutes Beispiel gewesen. Dreizehn Mal hat sie geboren, und nicht geringe Mühseligkeiten des mütterlichen Berufs getragen; hat mit großer Sorglichkeit ihr Hauswesen geleitet, ihre Töchter unterrichtet, und gegen arme Frauen sich dienstfertig bewiesen. Sie hatte nebst ihrer Familie der in Straßburg wüthenden Pest entgehen können, wenn sie nicht hätte lieber die Gefahren ihres Gatten theilen wollen, der seinen Posten nicht verlassen wollte. Da sie nun die Ansteckung nicht vermeiden konnte, wurde sie von der Seuche niedergeworfen und starb, nachdem sie sich zuvor im Vertrauen auf den Mittler, mit frommer Zuversicht Gott übergeben hatte.

Achtet Ihr es denn nicht für Verbrechen, daß Ihr solche achtbare, sowohl lebende, als verstorbene Frauen, die Christi Glieder sind, lästert und verdammt? Häuft aus den Kanones so viele Beweise, als Ihr wollt, zusammen; dennoch wird die gesammte Kirche bekennen, daß man die Abgötterei fliehen müsse. Es sind also nicht blutschänderische, nicht gotteslästerliche, nicht verbrecherische Ehen, welche, mit Absagung der gottlosen klösterlichen Knechtschaft, dem Evangelium gemäß geschlossen werden, damit Gott mit reinem Gewissen angerufen werden könne!

Doch ein größeres, und wie die „Delecti“ schreien, gänzlich unversöhnliches Verbrechen ist noch übrig. Nach dem Tode seiner Gattin hat Bucer sich zum zweiten Male verehelicht. Hier meinen sie ihn in einem unauflöslichen Netze der Kanones verstrickt zu halten; hier meinen sie, daß er im Stiere des Phalaris braten müsse! Ich will ganz ohne schlaue Künste zu Werke gehen. Nirgends verdammen die alten Kanones eine solche Ehe; sie entfernen nur den vom Amte, der zum zweiten Mal ehelicht. In Eurer Schrift wird die fromme Gemeinschaft zwischen Ehegatten verdammt. - Da es aber in unsrer Zeit wenige geschickte Lehrer gibt, so muß jenem Kanon der Vortheil der Kirche vorangestellt werden. Doch abgesehen davon, warum stellt Ihr uns so oft die Verordnungen der Kanones entgegen, da Eure Sitten sowohl im öffentlichen als im Privatleben mit dem ganzen Geiste der Kanones, die mit dem göttlichen Rechte übereinstimmen, zum großen Theile in Widerspruch stehen! Doch auch das ist die gewöhnliche Art der Heuchler, Mücken zu seihen und Kamele zu verschlingen!

Aber Paulus befiehlt ja doch, der Bischof solle Eines Weibes Mann sein! (1. Tim. 3, 2.) Ganz richtig. Auch wer nach dem Tode der ersten Gattin zum zweiten Mal heirathet, ist Eines Weibes Mann. Und daß dieß die Meinung des Paulus ist, zeigen die alten Kanones. Obwohl aber die spätere Zeit den Paulus härter gedeutet hat, so ist doch gewiß, daß er frommen Lehrern gewiß nicht habe wollen gefährliche Fesseln anlegen. Er wußte, daß die Kirche fromme und gelehrte Diener nöthig habe; er wußte, daß man verhüten müsse, daß die Anrufung Gottes nicht verhindert werde. Darum gestattet er ausdrücklich, keusche Ehemänner zu wählen.

Ihr, die Ihr am Steuer der Kirche sitzt, solltet ganz vorzüglich das Amt des Evangelium fördern und schmücken, sowohl um die Ehre Gottes zu verherrlichen, als auch um für das Beste des Volks zu sorgen. Ihr wisset, daß dieß die eigenthümliche Obliegenheit der obern Geistlichkeit ist, Aber was thut Ihr? - Der größte Theil Derer, welche die Kirche auf den höchsten Posten gehoben hat, entzieht sich dem Lehramte ganz. An vielen Orten fehlt es an Geistlichen; die Einkünfte genießen unterdeß müßige Kanoniker. Sodann streichen Mönche in der Absicht zu lehren, umher, welche entweder vom Evangelium Nichts wissen, oder den Bestrebungen Anderer dienend, den Aberglauben und Götzendienst befestigen. Worein indeß vom Volke die Religion gesetzt wird, das zeigen Eure Gotteshäuser selbst; wie verschiedene Heiligenbilder gibt's in denselben! Hier wird Anna verehrt, dort Maria, an einem andern Orte Servatius, von dessen Hals ein Beutel herab hängt, weil man glaubt, er bewahre denen, von welchen er verehrt wird, das Geld; Ihr seht ja unzählige solcher Bilder, zumal in diesen Orten! Zu diesen Bildern zieht das Volk in großen Scharen; solche Ceremonieen hält es für Religion. Ueber die wahre Anrufung, über Christus, über die wahren Pflichten der Frömmigkeit, über die Kirchenzucht herrscht Schweigen! Inzwischen vernachlässigt Ihr nicht nur die Pflicht der evangelischen Predigt, sondern sucht sogar durch Vorschützung eines veralteten Kanons, in Ansehung dessen, der nach dem Tode seiner ersten Gattin, fromm und ehrbar eine andere ehelicht, und also Eines Weibes Mann ist, wackere und segensreich wirkende Lehrer zu verbannen.

Doch was streite ich, da Ihr durchaus in keiner Sache aufrichtig zu Werke geht? Nicht jenen alten Kanon verfechtet Ihr, sondern habt nur einen Vorwand gesucht, um auf irgend eine Weise Dr. Bucer in die Enge zu treiben. Ihr scheuet das Licht des Evangelium, und sucht die Irrthümer und den Aberglauben des Volks zu befestigen, auf daß, um nichts Schlimmeres zu sagen, Eure Ruhe nicht gestört werde! Ich habe zu Anfang gesagt, daß ich, auf einige Punkte, theils zur Belehrung des Lesers, theils um unsern festen Widerspruch gegen die Cölnische Schrift zu beurkunden, kürzlich antworten wolle. Denn solche heftige Schmähungen durfte man doch nicht mit Stillschweigen hinnehmen. Ich übergehe daher absichtlich die großen Kehrhaufen von gehässigen Beschuldigungen, welche das Buch der „Delectorum“ allenthalben her zusammen scharrt, und bitte jeden rechtschaffenen Leser, unsre Kirchen, oder die Gesinnung unsrer Lehrer, und unsre Lehre selbst nicht etwa nach der schmähsüchtigen Kölner Schrift, sondern nach Zeugnissen des Alterthums zu beurtheilen. Was ich für meine Person in Ansehung der einzelnen Artikel der Kirchenlehre bekenne, das hab' ich in meinen Schriften freimüthig, schlicht, und ohne sophistische Irrgänge aus einander gesetzt. Ich weiß, daß dieß die gemeinsame Lehre unsrer Kirchen ist, und zweifle nicht, daß dieser ganze Lehrbegriff, der in unsern Kirchen verkündigt wird, sei wahrhaftig die Uebereinstimmung mit der katholischen Kirche Gottes bis auf ihren Ursprung zurück. Lieber möge die Erde vor mir bersten, und der Aetna mich verschütten, als daß ich jene Verfälschungen der himmlischen Lehre rechtfertigen, oder mit der Kirche Gottes im Widerstreit sein sollte, in welcher ich wünsche, als in der ewigen Schule nach diesem Leben auch den Sohn Gottes, die Patriarchen, die Propheten und Apostel zu schauen, und ihren Unterricht und Umgang zu genießen. Diese künftige Schule steht im Geiste vor meinen Blicken, so oft ich in unsre Schulen eintrete, und nimmer möcht' ich mein Urtheil von jenen erhabenen Lehrern trennen. Da ich auch Bucern in Bonn gehört habe, so bezeuge ich ihm, daß er die Hauptsumma der christlichen Lehre in ihrem ganzen Umfange, rein und treulich gelehrt hat.

Da er zu diesem hochheiligen Amte nach wohl erwogener Entschließung des Erzbischofs und Fürsten berufen worden, und im Lehren eine solche Treue, Sorgfalt und Mäßigung bewährt, die eines frommen Lehrers würdig ist, so macht Ihr ihm mit Unrecht seine Berufung zum Vorwurf. Es ist nicht zu läugnen, daß von Euch die Kirchen lange Zeit vernachlässigt worden sind. Wem kam es daher mehr zu, das Wohl des Volks zu beherzigen, als dem Bischof und Fürsten, der die Meinungen Vieler, und darunter auch die Eurigen vernehmen und vergleichen wollte, und der in seinem Alter und bei seinem würdevollen Charakter nichts Andres sucht oder erstrebt, als daß das Beste des Volks befördert werde? Ihr wißt es selbst, daß er nur mit den tüchtigsten Männern aus dem obern Klerus Freundschaft unterhält, deren Weisheit und Tugend, wie Euch bekannt, vor den erhabensten Königen und Fürsten bewährt erfunden worden ist; ohne diese Freunde faßt auch er keinen Entschluß. Deßhalb geziemte es Euch, über seinen Plan und seine Gesinnung, mit mehr Bescheidenheit zu sprechen und zu schreiben.

Es haben die „Delecti“ ihrer Anklageschrift nach Rednerweise einen jämmerlichen Schluß angehängt, in dem sie zuerst über die Güter der Kirchen ein Geschrei erheben. Sodann vermengen sie unsre Kirchen mit den Wiedertäufern, wälzen allen nur erdenklichen Unsinn auf uns, und behaupten, in gänzlicher Vergessenheit ihrer eigenen Lasterhaftigkeit, Deutschland werde um unsertwillen mit allgemeinen Plagen heimgesucht. Ich antworte vor Allem Einiges in Ansehung der Kirchengüter. Ich weiß, daß weise Männer, wegen der Eintracht und des Ansehens derer, die das Steuerruder führen, so wie wegen der Verfassung der Kirche, in Sorge sind. Dieses Alles würden sie, wenn sie die Sache richtig beurtheilen wollten, ohne Schwierigkeit sichern und wahren können, wofern sie nur den Lehrbegriff, zu welchem wir uns bekennen, annehmen wollten. Denn das Evangelium predigt von der Erkenntniß und Anrufung Gottes, und schützt die bürgerliche Verfassung. Aber wenn die Mächtigen die Abgötterei und ungerechte Fesseln aufrecht zu erhalten streben, so muß nothwendig Spaltung eintreten. Aus Spaltungen aber geht in der Regel für beide Theile viel Schlimmes hervor. Dennoch aber, obgleich es also gekommen, können wir das Bekenntniß der Wahrheit nicht unterlassen.

Es sind aber auch diese Streitigkeiten nicht äußerer Guter wegen erregt worden, wie die römischen Ackergesetze2). Um das Licht der Lehre handelt sich's; dieses wünschen wir zu wahren und zu erhalten. In Betreff äußerer Besitzthümer und der Herrschaft mögen Die berathschlagen, deren Sache es ist, ungeachtet wir gewiß auf Nachsicht die gerechtesten Ansprüche haben, wenn es uns schmerzt, daß fromme Geistliche und arme Schullehrer am Hungertuche nagen, und wenn wir bitten, daß man ihnen einen mäßigen Unterhalt gewähren, und die wissenschaftlichen Bestrebungen unterstützen wolle. Mag es, wenn sie so wollen, bedeutende Kollegien edler Männer geben, deren Tugend und Einfluß dem Staate Nutzen bringen könne! Wer tadelt das? Es ist außerdem noch genug Kirchenvermögen übrig, von dem die Geistlichen unterstützt, und die Wissenschaften gefördert werden können. Auch wißt Ihr „Delecti“ recht gut, daß die Kanones die Sorge für diese Angelegenheiten Denen empfehlen, so Kirchen und Staaten regieren.

Daß Ihr aber sprecht, die Reformation schnappe nach den Besitzungen des Klerus, das sei der Christus, dem wir dienten; darauf erwiedere ich so gemäßigt als möglich: daß dem Bucer, wie den Fürsten und vielen Andern schweres Unrecht angethan wird; ich will den Vorwurf nicht zurück geben; denn welche von beiden Parteien mehr um äußere Güter kämpft, das ist wahrlich unverhohlen!

Man kann vernünftiger Weise durchaus nicht annehmen, daß so viele weise Fürsten, so viele verständige Rathsherren um irgend einen, wenn auch noch so großen, Lohn sich hätten wollen so viele Gefahren und Sorge zuziehen, wie das Bekenntniß des Evangelium bringt. Was haben wir Schulmänner, die wir wegen unsrer wissenschaftlichen Neigung, ungeachtet wir ein geruhiges Loos allen Würden und Reichthümern vorziehen wollten, dennoch in dieser streitvollen Lage, in welche unser Bekenntniß uns versetzt, auch dieses verlustig gehen, obgleich wir lieber den weit ergötzlichen Wissenschaften uns hingegeben hätten? Gott aber wird zuletzt richten, was man je auf beiden Seiten erstrebt; Ihn bitte ich, daß Er Eurem Frevelmuth Zaum und Gebiß anlegen wolle.

Elias hielt sich als Verbannter bei der Witwe von Sarepta auf, während gottlose Pfaffen im Reiche mit dem Glanze der Ehre und des Reichthums umgeben waren. So hat gemeiniglich die wahre Kirche nur geringe Zufluchtsstätten, und die großen Güter sind in den Händen der Feinde des Evangelium. Deßhalb wissen wir, daß wir in unsrer Dürftigkeit, uns genügen lassen, und dieselbe mit Weisheit tragen sollen. Aber Andere werden es sein, die Euch zu bestem Grundsätzen bringen. Indeß wird es jedoch auch uns nicht an gastlichen Zufluchtsörtern mangeln; denn es muß doch irgendwo sowohl das Buch der himmlischen Lehre, als auch wissenschaftliches Streben erhalten werden.

Nicht zufrieden endlich, unter wüthenden Schmähungen uns Blutschande und Gotteslästerung anzuschuldigen, heben sie noch Steine auf, und suchen uns gänzlich zu stürzen und zu vertilgen. Sie werfen uns in einen Haufen mit den Wiedertäufern und schreien, um unsertwillen zürne Gott gegen die ganze Natur, gleich als waren wir Scheusale in der menschlichen Gesellschaft; um unsertwillen brächen Krankheiten und Türkenkriege aus.

Da hörst du, lieber Leser, die Ehrentitel, mit welchen fromme Lehrer von atheistischen Menschen geschmückt werden! So spricht auch Paulus: „die Apostel würden als Gräuel und Scheusale der Welt geachtet“3). Die Frommen haben in der That keine schwerere Last zu tragen, als diese höchst ungerechten Urtheile der Heuchler. Darum tröstet die göttliche Stimme die Frommen so oft, damit sie ob solcher giftigen Lästerungen nicht muthlos werden sollen. Wir haben aber so oft von unsrer Gesinnung Zeugniß abgelegt, und nicht nur unsre Schriften, sondern auch die Staaten bezeugen uns, daß wir weit entfernt sind von dem wiedertäuferischen Wüthen, welches großen Theils von den Gegenden ausgegangen ist, wo das Volk die Stimme des Evangelium nicht vernehmen durfte.

Es ist bekannt, daß in den Schriften der Unsrigen das Reich Christi auf das klarste von weltlichen Dingen oder politischer Herrschaft unterschieden wird; bekannt ist, daß durch unsre Schriften die hohe Bedeutung des bürgerlichen Lebens besser, als durch die Schriften der Alten in's Licht gesetzt ward. Deßhalb ist es auch Grundsatz unsrer Kirchen, den Wahnsinn der Wiedertäufer zu meiden, und wir meinen, daß unsere Arbeiten an andern Orten zur Unterdrückung derselben förderlich sind. Denn wo sind die Schriften von Euch gegen die Wiedertäufer? Oder wie können die Heuchelei derselben Mönche widerlegen, welche ähnliche Thorheiten zur Schau tragen? Als: Frömmigkeit sei es, von allem Eigenthum sich loszusagen, in schmutzigem Gewande einher zu gehen, gleichsam eine ununterbrochene Traurigkeit zu erheucheln, die Stimme des Evangelium von der Gerechtigkeit des Glaubens abzustoßen und zu verachten, und im Gegentheil die Werkgerechtigkeit zu erheben; die Ueberzeugung in sich aufzunehmen, daß der Mensch dem Gesetze Gottes genug thun könne; den vollkommenen Gehorsam, welchen das Gesetz fordert, nicht zu unterscheiden von dem Tugendgrade, welchen Menschen erreichen können und sollen? Das ist bei den Mönchen, wie bei den Wiedertäufern, der gemeinsame Same des heuchlerischen Lebens.

Es kann aber nicht anders sein, es müssen große Verwirrungen, der Meinungen wie der Sitten, und große Unruhen und bürgerliche Zwietracht ausbrechen. Die Schuld aber ist auf Seiten Derjenigen, deren ungerechte Hartnäckigkeit Veranlassung zur Zwietracht bietet. Wich der Irrthum der Wahrheit, und lenkten die Obern mit vereinigten Bestrebungen Zucht und Sitte, so würden entweder gar keine schädlichen Meinungen entstehen, oder, wofern sie entständen, würden sie durch gründliche und rechtliche Entscheidungen schnell unterdrückt werden. Weil aber die Heuchler aus Haß gegen die Wahrheit Zwietracht anzünden, so folgen große Zerrüttungen. Denn in bürgerlicher Zwietracht ist, wie Thucydides sagt, alles mögliche Uebel begriffen. Dazu kommen noch außerdem unglückliche, züchtigende Weltereignisse, und es stehen in dieser letzten Alterstufe der Welt größere politische Verwirrungen bevor; daher wird allenthalben die Kirche, d. h. die frommen, überall in den Weltreichen zerstreuten Verkündiger der Stimme des Evangelium, bedrängt und erschüttert; sie müssen daher wissen, sowohl was die Kirche Gottes ist, als auch, welche Mühseligkeiten sie zu erdulden, welche Kämpfe sie zu bestehen hat. Zu diesen wichtigen Sachen müssen sie sich mit Muth rüsten, um die reine Lehre des Evangelium zu vertheidigen, und Andern zu verkündigen. Den Ausgang aber sollen sie Christo, dem Führer und Regierer seiner Gemeinde, empfehlen, der auch jene abscheulichen Schmähungen endlich widerlegen wird.

Wenn auch vielleicht diese meine Antwort Manchen zu hart scheinen sollte, so werden sie doch, wenn sie die Kölnische Schrift lesen werden, mich eher für sanft und unberedt, als für heftig erklären, weil ich den wüthenden Ton der „Delectorum“ nicht schärfer zurück weise. Ich kenne die Schwäche meines Geistes, und wie ich es vorziehe, auf einem ruhigen Strome zu schiffen; eben so mag ich lieber an gemäßigten Disputationen Theil nehmen, als im Schimpfen wetteifern. Die „Delecti“ haben ihr Publikum, dessen Beifalls sie sich versichert halten dürfen, und aus dem sie ihre Richter wählen. Auch ich berufe mich auf die Urtheile der Kirche, d. h. auf alle fromme und unterrichtete Männer, welche, wo sie immer sein mögen, diese Streithändel richten. Denn diese Streitigkeiten werden anders entschieden, als gerichtliche Prozesse. Sehr trefflich hat Basilius das geistliche Gericht also festgesetzt: „Allein, es gibt Bischöfe; dieselben rufe man zusammen zum Verhör; es gibt einen Klerus in der ganzen Kirche Gottes; die Bewährtesten sollen sich versammeln; mit Freimütigkeit rede ein Jeder, der da will, damit die Verhandlung eine ernste Untersuchung, nicht ein Schmähen und Schelten sei!“ Wollte Gott, es würde das kirchliche Gericht auf die rechte Weise angeordnet! Aber Ihr wißt Euch gar schlau vorzusehen! Ihr ernennt zu Richtern, wen Ihr wollt, nämlich solche, die Euch ergeben sind. Es gibt viele Erzählungen, welche unbillige Beurtheilungen zu meiden rathen; ich will aber ein neues Beispiel, das schönste unter allen, was ich in dieser Art gelesen oder gehört, erzählen: In Frankreich gibt's zwei ausgezeichnet gelehrte Männer, Castellanus und Bigotius. Und weil die gelehrten Vorträge des Castellanus öfters vom Könige angehört worden, erinnert Einer von den Hofleuten, daß man doch auch den Bigotius einmal hören müsse. Der König fragt, mit welchem Fache der Wissenschaft er sich beschäftige, und indem Andere ihn mit einem ehrenvollen Zeugnisse schmücken, unterbricht sie endlich Castellanus, weil er nicht will, daß Jener in ihrer Meinung steigen soll, und spricht: Was macht ihr so viel Rühmens? Er ist ein Aristoteliker. Der König fragt, was diese Bezeichnung zu bedeuten habe. Ich will es sagen, spricht Castellanus: Aristoteles behauptet, die aristokratische Verfassung sei besser, als das Königthum. Er wußte, daß er mit diesem Worte dem Aristoteles sowohl, als seinen Anhängern bei dem Könige allen Credit entziehen würde. Ns nun der König fragte, ob das Aristoteles geschrieben, und die Uebrigen es versicherten, und als er vernommen, daß Bigotius die Ansichten des Aristoteles vertheidigt habe, sagte er, Aristoteles sei wahnwitzig; einen Vertheidiger solcher Narrheiten wolle er nicht hören. Mit Hilfe eines solchen Richters trug Castellanus leicht den Sieg davon. Diese Erzählung ist das Bild des Gerichts, welches die „Delecti“ in ihrem Buche halten. Keineswegs wollen wir uns einer Untersuchung entziehen, sondern wünschen recht sehr, daß die Wahrheit durch ein wahrhaft kirchliches Gericht weiter verbreitet, und daß die Ruhe der Kirche auf eine rechtmäßige Weise geschirmt werden möge. Aber wie wenig diese Sorge die Machthaber berührt, das zeigt die Sache selbst. Inzwischen urtheilen und richten dennoch fromme Männer, und kennen die Regel, nämlich die prophetische und apostolische Lehre, und die Zeugnisse der ersten Kirche, wie ich oben gesagt. Sie wissen, daß die Kirche erbaut ist auf dem Grunde der Propheten und Apostel. Sie wissen, daß man die Stimme derselben hören, und schlimmer Gewohnheit, wenn auch die Länge der Zeit sie zu rechtfertigen scheint, vorziehen muß. Wenn wir wahrhaft überzeugt sind, daß Gott nur in dieser einen Art der Belehrung, die Er den Propheten und Aposteln anvertraut hat, sich geoffenbart habe, so muß man auch dieser als Richtschnur folgen. Aber viele irreligiöse Menschen meinen jetzt, die kirchliche Verfassung sei der von Athen oder Lacedämon gleich, durch menschliche Klugheit gegründet, und deßhalb müsse man stets die gegenwärtige Form, der Ruhe wegen, in Schutz nehmen. Und Viele, die diese Ansicht haben, werden zu Richtern in diesen Streithändeln aufgestellt, und durch diese Ueberzeugung bezaubert, suchen sie die offenbarste Wahrheit zu unterdrücken. Denn wir streiten nicht über dunkle oder verworrene Gegenstände, und gar nicht ehrerbietig urtheilen die von der himmlischen Lehre, welche dieselbe für verworren oder zweideutig halten. Gott hat gewollt, daß Er erkannt und angerufen werde, und hat befohlen, den Sohn zu hören, der aus dem Schoße des ewigen Vaters das Evangelium gebracht, und seiner Kirche eine gewisse Lehre gegeben hat. Die, welche diesen Lehrer hören, können diese Streithändel leicht beurtheilen. Auf diese beruf ich mich, und bitte Gott, den ewigen Vater unsers Herrn Jesu Christi, daß Er um des Sohnes willen uns mit dem heiligen Geiste regieren, und seine Kirche mehren und schalten wolle.

Gott die Ehre!

Quelle: Koethe, Friedrich August - Philipp Melanchthon's Werke, Fünfter Theil

1)
Ein verschmitzter Sclav in Plautus Komödien.
2)
Liv. II. 41.
3)
1. Kor. 4, 13.
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