Melanchthon, Philipp - Am Sonntage Reminiscere.

Melanchthon, Philipp - Am Sonntage Reminiscere.

Evangelium Matth. 15.

(Einige Andeutungen über die Zeit und den Ort, in welche diese Erzählung fällt.)

Diese Erzählung enthält ein sehr merkwürdiges Beispiel des wahren und lebendigen Glaubens, welches wir, so oft wir beten, vor Augen haben sollten. Vor Allem aber verdienen die nähern Umstände, in Ansehung der Zeit und des Orts, so wie einige sehr anziehende Gemüthsäußerungen, welche in dieser Geschichte bemerkbar gemacht werden, unsere Beachtung.

Der Evangelist hat kurz vorher der Entweichung Christi aus Galiläa in die Wüste, jenseits des nördlichen Users des Jordan, Erwähnung gethan. Dieß fiel vor, nicht lange, nachdem der Tetrarch von Galiläa, Herodes, den Johannes hatte hinrichten lassen. Christus kehrt also jetzt zurück,- und durchwanderte, nachdem Er über den See Genezareth gesetzt, Galiläa, und begibt sich an die äußersten Gränzen von Palästina, oder, wie es hier heißt, in die Umgegend von Tyrus und Sidon, welches Seestädte in Phönizien waren. Denn Christus wollte, weil Herodes Ihm nachstellte, sich den Oertern nähern, welche unmittelbar unter römischer Botmäßigkeit standen, und wo Herodes Nichts zu befehlen hatte. Als Elias aus dem Reiche Israel floh, zog er sich auch in die Küstengegenden um Tyrus und Sidon zurück, um der Gefahr weniger ausgesetzt zu sein, die ihm von den Königen zu Samaria drohte. Denn in der Nähe von Sidon lag Sarepta, wo jene Witwe wohnte, welche den Elias zur Zeit der Hungersnoth gastfreundlich aufnahm, und es ist wohl möglich, daß Christus wegen der Erinnerung an Elias sich lieber in diese Gegend begeben wollte, wo vieles Große geschehen war, und wo höchst wahrscheinlich Ueberbleibsel der Prophetenschulen sich erhalten hatten. Der Name „Sarepta“ bedeutet: eine Schmelzhütte oder Seigerhütte, weil dort die Erze geschmolzen wurden, die man in der Umgegend gewann. - Zugleich war in der Nähe dieser Stadt jene Masse sehr häufig, aus welcher das Glas geschmolzen wird, dessen Bereitung auch in jener Gegend zuerst entdeckt worden ist. - Sidon ist älter als Tyrus. Es hat den Namen vom ältesten Sohne des Kanaan, der ein Sohn des Ham, des jüngsten der Söhne Noah war, über welchen Noah den Fluch ausgesprochen hatte., weil er die Blöße seines Vaters frevelhaft enthüllt hatte. , Dieser Fluch drückte zuletzt seine Nachkommen darnieder, gemäß jenem Verse im Theokrit, der ohne Zweifel von den heiligen Altvätern entlehnt ist, weil die Heiden viele schöne Aussprüche gleichsam wie von Hand zu Hand von den Vätern empfangen, und dieselben, weil sie mit ihren Gesetzen übereinstimmten, aufbewahrt haben. Der Vers ist dieser:

„Glück wird den Kindern der Frommen zu Theil, nicht denen der Bösen.“

Er sagt Dasselbe, was der Psalm (37, 26.): „Der Same des Gerechten wird gesegnet sein;“ d.h., Gott segnet die Nachkommen derer, die Ihn fürchten, ehren und recht anrufen. Hingegen erstreckt sich auch die Strafe für die Gottlosigkeit der Aeltern über ihre ganze Nachkommenschaft.

Ein anderer merkwürdiger Vers, der dem Orpheus zugeschrieben wird, lautet:

„Furchtbar verfolgt auf der ganzen Erde der Fluch der Erzeuger.“ .

Die traurigen Beispiele, wie schrecklich oft Aelternfluch die Kinder trifft, mögen die Aeltern vor übereilten Verwünschungen ihrer Kinder, zumal bei geringfügigen Veranlassungen, warnen, aber auch die Kinder, daß sie nicht durch hartnäckigen, boshaften Sinn den Zorn der Aeltern reizen. Oft verzieht die Wirkung des göttlichen Fluchs. Ham war dazu verflucht, daß er der Knecht seiner Brüder sein sollte, und dennoch erfreuten sich seine Nachkommen, nachdem sie sich in den Besitz von dem schönsten, fruchtbarsten Theil der Erde, nämlich von Aegypten, Kyrenaika, Libyen, Palästina und Phönizien gesetzt, eine Zeit lang eines blühenden Zustandes. Der Name Kanaan bedeutet einen Kaufmann, der Name Sidon einen Jäger. Sie bemächtigten sich also des Landes, welches Kanaan genannt wurde, von dem ein Küstenstrich später den Namen Phönizien, sowie das Land Kanaan selbst den Namen Palästina erhielt. Der Name Phönizien ist abzuleiten von dem Worte Phöniz, die Dattelpalme; Palästina aber ist nach einem von den Söhnen des Kanaan, Namens Philistin, benannt worden. Galiläa bildete die Gränze von Palästina nach Phönizien hin, und der Name selbst bedeutet eine Gränze, „eine Mark.“ -

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß an der phönizischen Küste der erste Handel getrieben wurde, oder daß er wenigstens, wegen der Nähe des mittelländischen Meeres, daselbst vorzüglich blühend war. Denn von jener Küste aus schifften sie nach Aegypten und holten die Waren, welche sie nach Syrien, Assyrien und Chaldäa schafften, und auf dem mittelländischen Meere stand ihnen die Schifffahrt nach Afrika, Kleinasien und Europa offen. Diese günstige Lage war es auch, warum jene phönizischen Städte, unter denen Tyrus und Sidon die vornehmsten waren, durch Handel sich so sehr bereicherten. Es war aber Tyrus, welcher Name Empörung bedeutet, eine Kolonie von Sidon. Vermuthlich hatten sich einige reiche Bürger bei einem Aufstande von Sidon weggewendet und ihren Wohnsitz in der Gegend aufgeschlagen, wo später Tyrus von ihnen gegründet ward. -

Einige Bemerkungen über das Weib im Evangelium.

Das Weib, das in der heutigen Erzählung erwähnt wird, nennen einige Evangelisten eine Kananäerinn, Andere ein griechisches oder syrophönizisches Weib. Diese verschiedenen Benennungen zeigen, daß sie ein heidnisches Weib war, und das deutet auch Christus an, wenn Er, scheinbar dieselbe abweisend, sagt: „Er sei nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel.“ Ais das Volk Israel in das Land Kanaan eingeführt worden war, vertilgte es die Nachkommenschaft des Harn größtentheils, und es wurde dort die Wirkung jenes über Ham ausgesprochenen Fluches recht sichtbar, als sie das Land wegen ihrer aufs Höchste gesteigerten Lasterhaftigkeit ausspie. Es blieben jedoch einige Ueberreste von den Nachkommen des Ham.

Griechen aber nennen die Evangelisten alle Nichtjuden, d. h. Alle, welche nicht abrahamitischer, sondern heidnischer Abstammung sind. Und eine Syrophönizierinn wird jenes Weib genannt, weil, es in demjenigen Theile Syriens geboren, oder wenigstens wohnhaft war, welcher Phönizien hieß; oder vielleicht auch deßhalb, weil sie in dem, Syrien zunächst gelegenen Theile Phöniziens wohnte. Herodot nennt oft jene ganze Länderstrecke von Arabien an, Syrien, und begreift unter diesem Namen auch das eigentliche Phönizien und Palästina mit. -

Auch die Meinung, daß jenes Weib eine Kananäerinn darum genannt werde, weil ihr Vaterland Groß-Kana gewesen, mißfällt mir keineswegs. Es gab nämlich zwei Städte unter dem Namen Cana, nämlich Klein-Kana, welche in Galiläa, und Groß-Kana, welches unweit Sarepta, zwischen Tyrus und Sidon lag.

Welches der damalige Zustand der Kirche gewesen.

Diese Schilderung der Gegend und die Bemerkung, daß jenes Weib eine Heidinn gewesen, gibt uns Veranlassung, über den wunderbaren Rathschluß Gottes nachzudenken, nach welchem Er, vermittels Seines Wortes, aus den verschiedenartigsten, ja aus unwürdigen Menschen eine Gemeinde sammelt. Christus wandelt umher, und nimmt nicht nur Elende, Hilfsbedürftige, und von den Pharisäern verachtete Menschen aus dem jüdischen Volke, sondern auch diejenigen, welche von den Heiden zu Ihm ihre Zuflucht nehmen, bald einen Hauptmann, bald einen Zollpächter, bald einen samaritanischen Aussätzigen, und hier das heidnische Weib an, gewährt ihnen nicht nur körperliche Heilung, sondern macht auch ihr Inneres von der Sünde frei, und tröstet ihr Gewissen, und erwirbt so der Kirche wahre Glieder.

Wir sollen daher wissen, daß die Kirche, als eine Gesellschaft elender, schwacher, hilfsbedürftiger Menschen, nicht an einen bestimmten Ort gebunden oder eingeschlossen, sondern in den verschiedensten Gegenden zerstreut ist. Darauf beziehen sich jene Schilderungen der Kirche: „Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen; sondern was thöricht und schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet.“ (1. Kor. 1, 26, 27.) Ferner: „Ich preise Dich, Vater, daß Du Solches den Unmündigen offenbaret;“ (Matth. 11, 25.) und: „Ich will in dir lassen übrig bleiben ein armes, geringes Volk, die werden auf des Herrn Namen trauen!“ (Zephanja 3, 12.)

Die Pharisäer und Sadducäer, und die entartete Menge im jüdischen Volke besaßen damals zwar den Namen der Kirche, aber sie waren mit nichten die wahre Kirche, weil sie nicht nur die Lehre von der Person und dem Amte Christi entstellt hatten, sondern auch gegen die von Christo wieder gereinigte Lehre offenbares Widerstreben bewiesen, und dadurch zeigten, daß sie nicht Glieder der wahren Kirche waren. Indessen gibt es doch unter jenem Volke auch noch einzelne wenige Elende, die zu Christus fliehen, und außer ihnen werden auch aus Heiden, Kananitern, Samaritern, römischen Zollbeamten Einzelne zur Kirche versammelt, um lebendige und wahre Glieder derselben zu sein. So kommt auch dieses heidnische Weib zu Christus, und hat einige Kenntniß der Lehre vom wahren Gott und von den in Bezug auf den Messias ertheilten Verheißungen. Sie weiß, daß es nur Einen Gott gibt, und daß dieser Jesus der vom Vater gesendete Sohn ist; denn sie nennt Ihn Sohn Davids, d.i. den verheißenen Messias, und traut Ihm Thaten zu, die nur von Gott geschehen können. Diese einzelnen Grundwahrheiten verdankte sie höchst wahrscheinlich dem allgemeinen Rufe, der damals von Christus verbreitet war; denn Markus schreibt: „Sie hatte von Seinen Thaten gehört;“ weil ja der Glaube durch das Hören, das Hören durch das Wort Gottes kommt. Auch kann man wohl annehmen, daß unter den in der Nachbarschaft der Juden wohnenden Heiden eine allgemeine Kenntniß des Messias verbreitet gewesen sei; denn auch das samaritische Weib spricht: „Ich weiß, daß der Messias kommt; wenn Derselbige kommen wird, so wird Er uns Alles verkündigen.“ (Joh. 4, 25.) Ja Gott hat darum eben die Juden mehrmals in alle Theile der Welt zerstreut, damit durch diese Gelegenheit Viele von den Heiden Kenntniß der prophetischen Lehre erhalten möchten. Vielleicht hatte sich auch das Andenken an Elias, der bei der Witwe zu Sarepta gelebt hatte, noch bei den folgenden Geschlechtern, erhalten

Aber nicht nur das Licht der prophetischen Lehre und der Kenntniß des Messias, sondern auch eine mächtige Glaubensflamme leuchtet in diesem Weibe. Deßhalb ruft hernach Christus ihr zu: „O Weib, dein Glaube ist groß!“ Dieser Glaube hatte nicht in ihr sein können, hätte sie nicht einige Bekanntschaft mit der Lehre des Volkes Gottes schon, bevor sie zu Christus lief, besessen, da sie Ihn nicht auf heidnische, irdische oder abergläubische Weise, sondern mit wahrem Glauben und im Drange des heiligen Geistes anruft.

Stets aber muß der Regung des Glaubens im Herzen die Kenntniß oder Belehrung vorangehen. Denn Gott hat diese Ordnung, getroffen, um durch die Stimme des Evangelium die Kirche zu sammeln. Daraus geht aber die Nothwendigkeit des Predigtamts in der Kirche und die Pflicht hervor, das Studium der christlichen Lehre für etwas Wichtiges zu achten; und es ist dieß wohl zu beherzigen, damit wir auch dieß mit Dankbarkeit erkennen, daß Gott zu allen Zeiten in der Welt, in einigen Theilen mehr, in andern weniger, die Kenntniß des Evangelium erhält, und damit wir wissen, daß man das Studium desselben nicht vernachlässigen darf. Fern sei also von uns der Wahn der Schwärmer und Wiedertäufer, welche die Gelehrsamkeit verachten, und auf neue besondere Erleuchtungen sich berufen, und bann in die schrecklichsten Grauel verfallen. Laßt es uns wohl bedenken, daß die Kenntniß des Evangelium keine geringe Sache ist, und daß dazu Lernbegier und Fleiß, die Reinheit des Evangelium zu bewahren, erforderlich ist.

Man könnte uns aber folgenden Schluß entgegen stellen: Niemand gehörte in jener Zeit zur Kirche, außer wer dem Volke Israel einverleibt war; das kananäische Weib war nun dem Volke Israel nicht einverleibt, oder sie war kein Glied dieses Volkes: folglich war sie kein Glied der Kirche. Was nun das erste Urtheil in diesem Schlusse anlangt, so war die Gemeinschaft mit der Kirche in diesem Volke nicht bloß von den mosaischen Gebräuchen, sondern ganz vornehmlich von der gläubigen Annahme und dem Bekenntniß der wichtigsten Verheißung von dem „Samen“ zu verstehen, der aus der Nachkommenschaft Abrahams hervorgehen würde. Wer nur immer diese Verheißung von dem Samen, in dem alle Völker würden gesegnet werden, sich fest aneignete, war ein wahres Glied der Kirche, mochte er auch nicht dieselben Gebräuche, wie das israelitische Volk annehmen. In dieser Beziehung unterscheidet man auch gewöhnlich drei Grade von Menschen, welche damals zur Kirche gehörten, nämlich Juden, Proselyten und Religiosen, oder gottesfürchtige Menschen.

Juden oder Israeliten waren die leiblichen Nachkommen Abrahams. Ihnen lag die Nothwendigkeit ob, die Beschneidung und die übrigen, von Mose angeordneten Ceremonien zu beobachten.

Proselyten, d. h. Ankömmlinge, Neuhinzugekommene, waren bekehrte Heiden, welche zur Religion der Juden dergestalt übertraten, daß sie zugleich die mosaischen Ceremonien freiwillig übernahmen.

Religiösen ober gottesfürchtige Leute waren Heiden, die sich jenem Volke anschlossen, ohne zugleich auch das Ceremonieenwesen desselben zu beobachten, Solche, die sich zum Glauben an den wahren Gott bekehrt hatten, und im Glauben und Bekenntniß sich die Verheißung vom Messias aneigneten, von dessen Segnungen sie überzeugt waren, daß sie sich auf alle Völker erstrecken sollten. Solche Menschen waren in Wahrheit Genossen und Glieder der Kirche, nämlich durch wahren Glauben und wahre Anrufung; und eben so war Niemand ein Glied der Kirche, der nicht jenem Volke, sei es als Israelit oder Proselyt, oder als Religiose einverleibt war. Jenes Weib nun war allerdings dem Volke Israel einverleibt, nämlich in Ansehung ihrer Bekanntschaft mit den Verheißungen, ungeachtet sie es hinsichtlich der mosaischen Gebräuche nicht war, welche ja auch nicht Alle, die sich bekehrten, annehmen mußten, wenn sie nur die Lehre sich aneigneten; und diese verstand jenes Weib besser noch, als die Pharisäer, die in Träumen von einem weltlichen Messiasreiche und von einer Verdienstlichkeit ihrer Opfer befangen waren.

Es sieht sich aber das Weib getrieben, den Messias anzurufen, weil ein heftiger Schmerz sie quält, den sie in den Worten ausspricht: „Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“

Von der älterlichen Liebe.

Hier bietet sich unserer Betrachtung eine mütterliche Empfindung dar, deren Starke jugendliche und unerfahrne Gemüther nicht ahnen. Nur sie, als Mutter, konnte ganz die Größe ihres Schmerzes empfinden. Ich erinnere mich, daß, als einst Dr. Luther, Dr. Bugenhagen, Amsdorf, Dr. Jonas und ich zusammen saßen, und mancherlei über die älterlichen Gefühle sprachen, Amsdorf sagte: Ich weiß, ich weiß, was das sagen will! Aber Dr. Luther unterbrach ihn mit den Worten: Nein, Ihr wißt Nichts von diesen Dingen! Denn Jener war nie verehelicht, nie Vater gewesen, darum konnte er die Vatergefühle nicht kennen; weit weniger fassen Jünglinge die Größe des mütterlichen Schmerzes. Du bist verpflichtet, nächst Gott deine Aeltern am meisten zu lieben; aber viel heißer ist die Liebe deiner Aeltern gegen dich. Die glühendste Liebe jedoch ist die einer Mutter gegen ihre Kinder, und bedeutsam ist das deutsche Sprichwort: , „Wer hat dich am liebsten? Die Mutter.“ Dieses Muttergefühl ist das von Gott der menschlichen Natur in der Absicht eingepflanzte natürliche Wohlwollen, damit es von der Liebe Gottes gegen den Sohn und gegen uns zeuge, gleich wie der ewige Vater vom Himmel herab ruft: „Dieß ist Mein lieber Sohn, an Dem Ich Wohlgefallen habe!“ (Matth. 3, 17.) Es drückt aber der deutsche Ausdruck „an Dem Ich Wohlgefallen habe,“ das griechische Wort nicht genug aus, und nur die Verbindung zweier anderer Worte entspricht dem griechischen Ausdrucke vollkommen: „An Dem Ich Wonne und Freude habe,“ oder: „zu Dem Ich herzliche Liebe und Freude habe.“ Gefühllose Menschen von starrem kalten Gemüth verstehen das nicht. Auf solche deuten die Verse hin:

Die Liebe kenn' ich nicht, ich selber liebe nicht;
Ich ward noch nie geliebt, und nimmer werd' ich lieben. -

Wenn sie nach stoischen Grundsätzen Gott die Liebe absprechen, weil sie in jeder Liebe Thorheit finden, so entgegne ich, daß die Liebe, wenn sie eine geregelte, vernünftige Liebe ist, mit nichten Thorheit ist, obgleich sich ihr in der verderbten Menschennatur leicht etwas Thörichtes beimischen mag; denn sie ist an sich etwas von Gott Geordnetes, mithin ein Gut. In Gott und in den Seligen ist die Liebe ohne Thorheit. - Eben so unrichtig ist die Behauptung der Stoiker, daß alle Empfindungen ihrem Wesen und ihrer Natur nach etwas Schlechtes, Fehlerhaftes seien. Gott hat auch in Seinem Gesetze Liebe gegen Gott und den Nächsten geboten, und der menschlichen Natur die Empfindungen der Liebe eingeschaffen. Irrig ist es endlich, wenn die Stoiker träumten, die Liebe sei nur eine Einbildung, durch die man bestimmt werde, um eines Andern willen sich großen Mühen zu unterziehen. Aber die Liebe ist von der Einbildung wesentlich verschieden; jene bildet sich im Gehirn, diese hat ihren Sitz im Herzen. - Da nun die Liebe der Aeltern gegen ihre Kinder so stark, ja viel größer ist, als die der Kinder gegen die Aeltern, so wollen wir fleißig bedenken, daß noch weit größer die Liebe Gottes gegen uns ist. Die Liebe Gottes gegen uns konnte nicht größer dargestellt werden, als wenn der Sohn Gottes Ihn bittet, daß der ewige Vater mit derselben Liebe uns umfassen wolle, mit der Er den Sohn umfaßt: „Daß Du sie liebest, gleich wie Du Mich liebest!“ (Joh. 17, 23.) In derselben Beziehung sagt Paulus: „Er hat uns angenehm gemacht in dem Geliebten;“ (Eph. 1,6.) und der Täufer: „Und von Seiner Fülle haben wir Alle genommen Gnade um Gnade.“ (Joh. 1, 16.)

Je vortrefflicher und edler ein Wesen ist, desto stärker ist in ihm die Empfindung der Liebe. Es wird aber die Macht der Liebe und des natürlichen Wohlwollens mehr im Unglück als im Glück erkannt, weßhalb ich oft sage, nächst der Empfindung der göttlichen Ungnade sei der höchste Schmerz der, welchen Aeltern bei der Noth und dem Leiden ihrer Kinder empfinden. - Dieser Schmerz ist viel größer, als der, den eigenes Leiden verursacht. Die Aegyptier hatten ein Gesetz, daß der Vater, wenn er sein Kind umgebracht hatte, nicht ebenfalls umgebracht werden sollte, sondern er Mußte drei Tage lang bei der Leiche des Kindes sitzen, weil sie es für die furchtbarste Qual hielten, wenn Aeltern neben der Leiche des von ihnen umgebrachten Kindes sitzen, und das traurigste Schauspiel vor Augen haben mußten. In der That ein unaussprechlicher Schmerz!

Bedenke wohl, daß du ein Mensch geboren, und zwar von ehrbaren Aeltern geboren bist! Beherzige es, mit welcher Gesinnung sie dich umfassen, und welche Gesinnung du hinwiederum ihnen bezeigen sollst! Die menschliche Natur soll nicht der des wilden Thieres gleichen; wiewohl auch die Thiere empfinden, bis zu der Zeit, wo sie erwachsen, eine gewisse natürliche Liebe. Die Kuh hat ihre Brüste am Bauche; - aber die Mutterbrust ruht über dem Herzen, weil die menschliche Mutter die Liebe, oder die ihr Herz belebenden Gefühle, dem Kinde einflößt, damit gegenseitig die Liebe sei, und damit die Mutter erinnert werde, daß sie nicht nur ihre Liebe auf ihr Kleines übertragen, sondern ihm auch Belehrung ertheilen solle, was die Thiere nicht thun, da sie ihren Jungen nur Nahrung mittheilen.

Das soll die Jugend wohl bedenken, und jene stoischen Phantasieen verachten; wie es denn gar Viele für eine besondere Weisheit halten, wenn sie abgeschmackte und den Widerspruch herausfordernde Meinungen vertheidigen. Wir sollen lernen, was wahr und gut ist, und die Werke Gottes in der Natur fleißig betrachten! So wollen wir denn, auch in dieser Erzählung auf jenes tiefe Leid, auf jene mächtige Bewegung in der mütterlichen Brust achten, welche diesem Weibe den Ausruf abdringt: „Erbarme Dich meiner; meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt!“ Es sieht diese Mutter das furchtbare Elend ihrer Tochter, sie fühlt den unaussprechlichen Schmerz der! selben, und leidet in ihrer Seele nicht weniger, als die Tochter körperlich. - Der traurigste Anblick mochte wohl der eines solchen besessenen Unglücklichen sein, der vom Satan auf die furchtbarste Weise gequält wurde. Drum vermögen wir auch den Schmerz jener Mutter nicht mit Worten zu schildern; vorstellen jedoch können wir uns ihn einigermaßen. Wer selbst Vater oder Mutter ist, weiß Etwas von solchen Sachen, weil „schmerzliche Erfahrungen belehren.“ Und doch hat oft Einer weit mehr und Härteres zu tragen, als mancher Andere, und zu bewundern ist, daß ein Mensch leben kann, der viel Elend an den Seinigen erfährt. -

Es bringt also dieses Weib einen großen Schmerz zu Christus, und fleht Ihn mit unaussprechlichem Seufzen um Hilfe. Das führt uns auf die Lehre vom Gebet und von den Anfechtungen des Glaubens. Es soll uns dieses Weib ein Vorbild sein, wie man beten, und die göttliche Hilfe erflehen müsse; und weil sodann Christus ihren Glauben rühmt, soll sie uns zugleich Muster sein, wie man den Glauben üben müsse.

Die Lehre vom Gebet -

fasse ich gewöhnlich im Allgemeinen in diesen Hauptsätzen zusammen: Erstlich mußt du wissen, zu wem du betest; zweitens mußt du das Gebot erwägen, welches dich beten heißt. Drittens mußt du der Verheißungen eingedenk sein. Viertens sollst du auch Glauben mitbringen, der zugleich die wahre Erhebung des Herzens zu Gott in sich faßt. Fünftens mußt du den Gegenstand deines Gebets ausdrücken.

Jedweder Mensch soll lernen, wie das Gebet einzurichten ist, weil das Gebet der höchste und ein der Kirche eigenthümlicher Gottesdienst ist. Die Heiden mögen wohl bürgerliche Pflichten erfüllen, wie: du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; aber das Gebet können sie nicht darbringen. Das ist der vornehmste Dienst in der Kirche, von dem es heißt: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll selig werden.“ (Apostelgesch, 2, 21.) Dieser Ausspruch muß aber richtig verstanden werden. Legen wir uns zur Verdeutlichung desselben diesen Schluß vor: Jeder, der den Schöpfer des Himmels und der Erde anruft, ruft den wahren Gott an; die Muhamedaner rufen den Schöpfer des Himmels und der Erde an: mithin rufen die Muhamedaner den wahren Gott an. -

Wir antworten in Beziehung auf das zweite Urtheil: Die Muhamedaner verfehlen den wahren Gott in zwiefacher Hinsicht. Einmal was das Wesen desselben betrifft, weil sie nicht den Gott anrufen, der sich in der Schenkung Seines Sohnes und der Sendung des h. Geistes geoffenbart hat, sondern irgend ein Wesen als Gott und Schöpfer der Welt annehmen, welches jedoch nicht der Vater unsers Herrn Jesu Christi ist. Sodann verfehlen sie Ihn hinsichtlich ihrer Gesinnung, weil sie nicht wissen, ob sie erhört werden, und warum sie erhört werden. Denn sie nahen zu Gott ohne Kenntniß Seines Gebotes und Seiner Verheißung, und ohne Vertrauen auf den Sohn als Mittler. Wir, so oft wir beten, müssen uns den durch den Sohn geoffenbarten Vater vorstellen, und ausdrücklich das Wort aussprechen, welches uns von Gott und Seinen Vorschriften über das Gebet und in den Verheißungen Seiner Gnade und leiblicher Güter an die Hand gegeben worden ist, und also den Glauben erwecken, und in diesem Glauben eben die Nothwendigkeit, die uns treibt, oder das zu erbittende Gut, sei es nun ein leibliches oder ein geistiges, namhaft machen. Wer die Verheißung verachtet, bleibt schlechthin in Zweifel und Ungewißheit, und ein Gebet ohne Glaube ist Sünde, wie Augustinus sagt. Wie träge und schüchtern wird aber gewöhnlich gebetet! Ja, Viele bleiben müßig sitzen, bis sie die Gewalt der Noth dazu zieht! Und doch ist uns eben deßhalb das Gebot des Gebets gegeben, damit wir dasselbe üben sollen; denn es heißt ja: „Bittet, so wird euch gegeben!“ (Matth. 7,7.) Dieses Wort wollen wir beachten, und unsern Glauben durch die Versicherungen kräftigen: „Da dieser Elende rief, hörte der Herr, und half ihm aus allen seinen Nöthen.“ (Ps. 34, 7.) Ferner: „Betet ohn' Unterlaß!“ (1. Thess. 5, 17.) Stets haftet selbst in den Heiligen noch viel Zweifel. Gegen diesen sollen wir uns durch Vergegenwärtigung der Verheißungen Gottes erheben, unter denen' man vor allen die Verheißung der Gnade ergreifen, und dieselbe durch den Glauben sich aneignen muß, der alle Artikel des Glaubens und namentlich den: „Ich glaube die Vergebung der Sünde,“ umfaßt, auf den alle übrigen sich beziehen. Und wenn der Gedanke, daß wir Sünder sind, und daß Gott keinen Sünder, mithin auch uns nicht erhören könne/ uns kleinmüthig und verzagt machen, unser Gebet stören will, so sollen wir bedenken, daß jener Ausspruch, „daß Gott die Sünder nicht höret,“ (Joh. 9, 31.) nur von Solchen, die in Sünden gegen ihr Gewissen verharren, nicht aber von denen gilt, welche Buße thun, im tiefen Schmerz über ihre Vergehungen Vergebung suchen, der Ueberzeugung sind, daß ihnen um des Mittlers willen ihre Sünden gewißlich vergeben werden, und dieselben abzulegen sich ernstlich bemühen. Denn Niemand kann wahrhaft beten mit dem Vorsatz, in seiner Lasterhaftigkeit zu bleiben, und der Glaube und der Vorsatz zu sündigen können nicht neben einander sein. Darum muß bei jedem Gebet der Gedanke an Buße und an den Trost des Glaubens sein. Das meint jenes Wort des Sirach: „Wenn du betest, so zweifle nicht!“ (Kap. 7, 10.) d. h., bitte mit Zuversicht, und bitte um Vieles und Großes, nämlich was zu deinem Heil, zur Ehre Gottes, zur Erhaltung der Kirche und des allgemeinen Wohles Noth ist. Nächst diesem magst du auch um Bedürfnisse des äußerlichen Lebens, sowohl um besondere als allgemeine bitten. Oft jedoch bleibt der Erfolg lange aus.. Auch da muß man den Glauben durch, das Gebet und die Verheißungen Gottes stärken: „Und ob Er verzieht, sei getrost und harre des Herrn!“ (Psalm 27, 14.) Auf diese allgemeine Lehre vom Gebet läßt sich nun sehr leicht das Beispiel des kananäischen Weibes anwenden. Sie nahet sich Christo, den sie als den Messias anerkannt. Die Noth, welche sie treibt, gilt ihr anstatt des Befehls. Sie ist der göttlichen Verheißung eingedenk, indem sie Christum „Du Sohn Davids“ nennt. Ein Beweis für ihren Glauben ist der Ruf: „Erbarme Dich meiner!“ Endlich drückt sie auch den Gegenstand ihres Flehens in den Worten aus: „Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ Ihr Glaube wächst aber in dem Kampfe, der in seiner Art einzig, in dieser Erzählung höchst bedeutungsvoll ist; denn er stellt uns vornehmlich

die Anfechtungen des Glaubens bei dem Gebete

sehr anschaulich vor Augen, welche auch uns wohl während des Betens nahen. Erstens: „der Herr antwortet ihr nicht.“ Hiermit wird angedeutet die Verzögerung der Hilfe, mit der gewöhnlich die Prüfung verbunden ist, daß es scheint, als ob uns Gott versäume, als ob Er nicht für uns Sorge trage, unserer Noth nicht achte. Ein ander Mal wieder scheint der Herr den Bittenden zuvor zu kommen. Aber hier hat Sein Schweigen den Schein einer Zurückweisung, die sehr hart ist. Doch das Weib läßt nicht ab mit Bitten; sie läßt sich das in ihrem Herzen glimmende Glaubensfünkchen durch diesen Aufschub nicht wie viele Andere, ertödten. Wir, wenn der Erfolg unsern Erwartungen nicht entspricht, oder wenn die Hilfe nicht auf der Stelle kommt, denken dann wohl: „Siehe, du hast nun schon so viele Jahre gefleht, daß Gott deine Noth lindern möchte, und doch nahet Er nicht mit Seiner Hilfe!“ Solche Schwachheit ist gewöhnlich in uns. Einige aber überwinden doch, und harren aus; und ob sie gleich nicht ohne große Qual empfinden, welch eine schwere Anfechtung der Verzug der göttlichen Hilfe sei, so erwarten sie doch die Zeit, die Er bestimmt hat, und rufen unablässig Ihn an, wie Christus in jenem Gleichniß empfiehlt, daß man „allezeit beten, und nicht laß werden soll“ (Luk. 18,1. ff.), weil die Erhörung, wenn auch nicht sogleich, zuletzt dennoch erfolgen wird. Salomo spricht: „die Hoffnung, die verzieht, ängstigt das Herz“ (Sprichw. 13, 12.), und das Sprichwort sagt: „Schleunige Gabe ist doppelte Gabe;“ und:

„Dem verzögerten Dienst raubt der Verzug seinen Werth.“ -

Doch könnte man auch ebenfalls sprichwörtlich entgegnen:

„Harre, kleiner Verschub bringt oftmals größeren Vortheil.“ Oder:

„Langsam nahen die himmlischen Gaben; doch reichlich erstattet
Wird der kurze Verzug stets durch erhöhten Gewinn.“ -

So besiegte das Weib die erste Anfechtung weil sie sich durch das Schweigen Christi, welches ihr nicht nur als ein Beweis von Gleichgiltigkeit erscheinen, sondern auch wegen der Verzögerung der Rettung ihr drückend sein mußte, nicht abschrecken ließ, sondern anhielt mit Bitten, und immer lauter rief. Nun verwenden sich die Jünger für sie. Der Herr antwortet zwar, aber mit einem Vorwurf gegen die Jünger, und wenn ihn das Weib vernahm, so mußte für sie diese Antwort weit härter noch, als Sein Schweigen sein. „Ich bin nicht gesandt,“ spricht Er, „denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel.“

Hier wird uns die Anfechtung in Ansehung der besondern Erwählung (Gnadenwahl) vor Augen gestellt; denn jenem Weibe wird eingewendet, daß sie nicht zu Israel gehöre. So denken auch wir wohl: Gott hat ein bestimmtes Verzeichniß Auserwählter; bin ich nicht in demselben aufgezeichnet, so bete ich vergebens. Oder: Gott hat Freiheit, zu erwählen, welche Er will. Ich kann aber nicht wissen, ob ich erwählt sei. Gegen diese schwere, qualvolle Anfechtung sollst du wissen, daß du nicht darfst in dem geheimen Rathschluß der Gottheit erforschen wollen, ob du zu den Auserwählten gehörst oder nicht, sondern aus dem geoffenbarten Worte, aus dem Evangelium, welches Erkenntniß seiner Sündhaftigkeit und Glauben an Christus fordert, magst du Solches lernen. Ist nun ein Anfang wahrer Buße und Glaubens, wenn auch ein geringer, geschehen, so darfst du dich versichert halten, du werdest nach der Zusage des Evangelium, um Christi willen, von Gott zu Gnaden angenommen werden, und ein Erbe des ewigen Lebens sein; du gehörest also zur Zahl der Auserwählten. Und das können auch Andere über dich urtheilen, wofern du in diesem Glauben bis zum letzten Haucht bleibest, nach den Sprüchen: „Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben;“ und: „Sei getreu bis an den Tod, so will Ich dir die Krone des Lebens geben!“ (Offenb. Joh. 14, 13. und 2, 10.)

Das Zweite, was bei dieser Zweifelsfrage zu erwägen, ist, daß wir wissen, in welcher Ordnung Gott in uns Bekehrung und Glauben erweckt. Denn eine andere Ordnung hat die Philosophie, eine andere das Evangelium. In jener wollen wir erst durch Erfahrung uns überzeugen, dann folgt der Beifall, und sowohl in Betreff physischer als moralischer Gegenstände geht auf der Bahn der Philosophie die Erfahrung dem Beifall voran. Aber was die göttliche Tröstung anlangt, so muß man vorerst das Wort, d. h. die Verheißung mit Beifall aufnehmen, dann folgt das Bewußtsein des Trostes, wie der „Spruch sagt: „Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott. (Röm. 5, 1.) Wir empfinden nicht eher das freudige Gefühl des Trostes, als bis der Glaube in unsern Herzen begonnen hat. Diese Ordnung wird von Schwärmern vielfältig verkehrt. Sie führen die Gemüther vom Worte ab, und heißen sie innere Eingebungen abwarten. Dann lassen sie dieselben in Ungewißheit, bis sie außerordentliche Regungen des Glaubens in sich verspüren, und heißen sie dann erst glauben, wenn sie sich dazu gezogen, und widerstrebend dazu gedrungen fühlen. Dagegen sollen wir wissen, daß man nicht jene besondern Eingebungen abwarten, noch die Empfindung des Trostes an das Gefühl einer innern Entrückung oder ungewöhnlicher Antriebe binden, sondern vom Worte Gottes beginnen, das Evangelium hören und betrachten müsse, durch welches Gott in uns wirksam sein und die Herzen ziehen will. Zugleich sollen wir auch das wahrnehmen, daß wir auch in schweren Anfechtungen, wo wir kaum noch ein Fünklein des Glaubens in uns empfinden, unerschütterlich auf das Wort uns stützen sollen, wie es , dort heißt: „Meine Seele harret des Herrn, und ich hoffe auf Sein Wort.“ (Ps. 130,5.) In unserm Schmerze sollen wir nicht auf unsre Tugenden, oder unsern erneuerten Sinn, sondern allein auf den im Worte uns vorgehaltenen Mittler hinschauen, und durch die Betrachtung der geschriebenen Verheißung uns aufrichtend, mit Jenem ausrufen: Ich glaube, lieber Herr, aber hilf meinem Unglauben! (Mark. 9,24.)

Drittens muß man gegen jene Anfechtung in Ansehung der Erwählung die allgemeinen Verheißungen aufsuchen und festhalten. Denn wenn auch nicht alle Menschen das Evangelium annehmen, so ist doch die Verheißung allgemein, und gewiß ist, daß sie auch Alle angeht, welche dieselbe annehmen. Dergleichen sind: „Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid; Ich will euch erquicken!“ - „Auf daß Alle, die an den Sohn glauben, nicht verloren werden.“ - „Es ist Aller zumal Ein Herr, reich über Alle, die Ihn anrufen.“ - „Wohl Allen, die auf Ihn trauen!“ (Matth. 11, 28. Joh. 3, 16. Röm. 10, 12. Ps. 2,12.) Wie diese Verheißungen allgemein sind, so schließen sie auch uns und jeden Einzelnen, ein. -

Nehmen wir noch dazu jenes höchste und unwandelbare Gebot: „daß sie Alle an den Sohn Gottes glauben.“ Diesem Gebote müssen Alle Folge leisten; denn es ist ein allgemeines, und es verbindet mehr als jedes andere, wenn Gott selbst spricht: „Dieser ist Mein lieber Sohn, -, Den sollt ihr hören!“ (Matth. 17, 25.) und: „Küsset den Sohn!“ (Ps. 2, 12.) Darum heißt es auch: „Der heilige Geist wird die Welt strafen um die Sünde, - daß sie nicht glauben an Mich!“ und: „Wer nicht an den Sohn glaubt, der ist schon gerichtet, und der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ (Joh. 16, 18. 19. Kap. 3, 18.)

Einen andern Willen Gottes wollen wir nicht erklügeln, als wie wir ihn nothwendig in der Sendung des Sohnes, und in dem Evangelium, das Er aus des Vaters Schoß gebracht, zu suchen haben. Gott ist wahrhaftig, und wer Ihm nicht glaubt, macht Ihn zum Lügner. Eben so wenig wollen wir wähnen, daß in den Dingen, welche das ewige Leben betreffen, das Ansehen der Person Etwas vor Ihm gelte. Ertheilt Er auch nicht allen Gläubigen gleiche Gaben und gleiche Vorzüge; denn diese richten sich je nach dem jedesmaligen besondern Beruf des Einzelnen in diesem Leben; - so haben wir doch in Ansehung unsers ewigen Hells die allgemeine Beschreibung: „Alle, die an Christum glauben!“ ohne irgend eine Ausnahme, und Er ist gleichgesinnt gegen alle Gläubigen, ihnen Vergebung der Sünde und die Erbschaft des ewigen Lebens zu schenken. - Er nimmt Alle an, die Ihn anrufen, nach dem Zeugniß: „Wer den Namen bis Herrn anrufen wird, soll selig werden!“ -

Wie verträgt sich aber mit der allgemeinen Verheißung der Ausspruch Christi: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel?“ Ist das nicht eine ausdrückliche Verwerfung der Heiden? Ich antworte: Dieser Ausspruch ist nur von . Seinem äußerlichen Amte zu verstehen. In Ansehung dieses war Er allerdings nur, wie Paulus sagt, „ein Diener der Beschneidung“ (Röm. 15,8.), d. i. des beschnittenen jüdischen Volkes. Die Segnungen Christi und des Evangelium aber beziehen sich auch auf die Heiden, wie denn auch die Verheißung: „In deinem Namen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden;“ so wie alle übrigen Verheißungen vom Messias immer die Heiden mit in sich fassen. - Diese einander scheinbar widersprechenden . Aussprüche wußte denn auch jenes Weib recht gut mit einander zu vereinigen. Sie gibt den Satz zu, daß Christus um des Hauses Israel willen gekommen sei, nämlich in Ansehung Seines äußerlichen Amtes; dennoch wiederholt sie beharrlich ihre Bitte, die nun fast wie eine Zurechtweisung klingt, wenn sie von Neuem ruft: Herr, hilf mir!“ .

Hier tritt ihr aber eine neue Anfechtung entgegen. Der Herr wendet ihr ein: „Es ist nicht sein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Er scheint sie durch ein ihre Unwürdigkeit ausdrückendes Schmähwort von Sich entfernen zu wollen, indem Er ihr den Namen eines Thieres gibt, das bei den Juden für unrein galt. Das ist das Bild der dritten Anfechtung, die sich in unser Gebet eindrängt. Stets schreit das Gesetz in unserm Gewissen, nur der Würdigen und Gerechten nehme Sich Gott an, und erhöre und beselige sie; wir aber seien ungerecht, unwürdig, befleckt, wie die Hunde. Dieses peinigende Gefühl der Unwürdigkeit quält wohl aller Menschen Gemüther. Achte nur Jeder auf sein Herz! Wenn wir uns Gott nahen, so erbebt unser Inneres im Bewußtsein unsrer Sünde, nach dem Worte: „Es ist kein Friede in meinen Gebeinen!“ und: „meine Sünde ist immer vor mir.“ (Ps. 51, 5.) Der Hinblick auf unsere Sünde schreckt uns zurück, daß wir uns nicht getrauen vor Ihn zu kommen; oder wenn wir auch dieses noch wagen, so raubt uns doch das Bewußtsein unserer Sünden allen Muth, Hilfe zu hoffen, zu erflehen, zu erwarten, betreffe es nun leibliche oder geistliche Angelegenheiten, weil ja jeder Art von Bitte, auch der um leibliche Güter, der Gedanke an die Sündenvergebung, Begnadigung, Versöhnung und Rechtfertigung voraus gehen muß. So liegen wir nun tiefgebeugt vor Gott, und bringen unsere Noth, unsern Kummer, unsere Schmerzen vor Ihn, wie der Psalm (130, 1.) spricht: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir!“ - „Straf mich nicht in Deinem Zorn!“ (Ps. 6, 2. - 38, 2.) Aber wir haben einen heißen Kampf mit dem peinigenden Gedanken zu kämpfen: Du bist ein Unwürdiger, darum wirst du nicht erhört werden; du hast Strafe verdient, trage sie also. So zagen wir allesammt als vielfach befleckte Sünder vor Ihm; wir seufzen und flehen um Abwendung, oder Linderung unserer Noth. Aber unser Gewissen klagt uns an und verdammt uns, und es muß Jeder bekennen, daß er unwürdig sei, nach den Worten des Psalm: „Ich will dem Herrn meine Uebertretung bekennen!“ (Ps. 32, 5.) ,

Doch dieser Anfechtung muß man die Stimme des Evangelium von der Rechtfertigung aus Gnaden, ohne eigenes Verdienst entgegen stellen, und die Zeugnisse sich vergegenwärtigen, welche erklären, daß auch die Unwürdigen, Ungerechten begnadigt werden. „Wir werden ohne Verdienst gerecht - allein durch den Glauben!“ (Röm. 3, 24 u. 28.) d. h., um des Mittlers willen, ohne einiges unser Verdienst wird die Sünde uns vergeben. -'

Gott hat gewollt, daß Seiner Gerechtigkeit genug gethan würde. In ein wunderbares Wechselverhältniß tritt mit Seiner Gerechtigkeit Seine Barmherzigkeit zur Erlösung des Menschen. Gott erbarmt Sich des Menschengeschlechts nach dem Falle, und fordert jedoch, weil Er gerecht ist, Bezahlung des Lösegeldes; Er fordert es aber im Sohne. Die Ursachen dieses wunderbaren Rathschlusses werden wir einst, in der Ewigkeit, kennen lernen. In dem gegenwärtigen Dunkel aber sollen wir, wenn wir auch denselben nicht zu fassen vermögen, unser Gemüth wenigstens auf das Nachdenken über denselben richten, und nicht die rohe Gleichgiltigkeit Derer theilen, die gar nicht darüber nachdenken, warum Gott den Sohn gesandt hat. Es ist demnach die Wahrheit fest zu halten, daß die Sünder, die Bußfertigen nämlich, erhört werden, aber auch sie nur um des Sohnes und Mittlers willen, nicht wegen eigener Würdigkeit; denn es heißt: „So ihr den Vater Etwas bitten werdet in Meinem Namen, so wird Er's euch geben. (Joh. 16, 24.) Auf solche Weise also wird die Anfechtung in Ansehung des Bewußtseins unsrer Unwürdigkeit durch die Worte: „aus Gnaden,“ und durch das Vertrauen auf den Mittler beseitigt. Man muß hier Sünde und Gnade vergleichend zusammen stellen, wie Paulus thut, wenn er sagt, „die Gnade sei mächtiger als die Sünde.“ (Röm. 6, 1.) Wenn auch meine und deine Sünden sehr groß wären, wie sie es denn in der That sind, so darf ich doch dem Sohne Gottes nicht die Schmach anthun, als ob meine Sünden größer als Sein Verdienst wären. Der Sohn Gottes und Sein Opfer ist höher als unsere Sünde zu achten. Der Gehorsam des Sohnes Gottes wiegt die Sünden der ganzen Welt auf. Das Lösegeld, das der Sohn Gottes darbringt, ist weit größer und köstlicher, als daß es durch die Sünden der ganzen Welt überwogen werden könnte. Das ist der Trost, den man festhalten muß. -

Es wird aber in den Worten: „Es ist nicht sein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde“ nicht allein die Anfechtung in Ansehung des Gefühls unsrer Unwürdigkeit, sondern auch das Vorrecht des jüdischen Volkes veranschaulicht. Die Juden werden die Kinder genannt; denn ihnen sind die Verheißungen ertheilt worden; aus ihrem Geschlechte ist der Messias geboren worden, ihnen mußte der Messias zuerst gepredigt werden; ja Christus wollte selbst sichtbar unter ihnen auftreten und Sich hören lassen. Das ist ein großes Vorrecht, und als ein solches betrachtet es auch Paulus, Röm. 9, 4. 5. Die ganze äußere Verfassung derselben ist zu dem Zwecke gegründet und erhalten worden, damit ein bestimmter Ort vorhanden wäre, wo der Sohn geboren werden, sichtbar wandeln, lehren, leiden, auferstehen könnte, und wo von Zeit zu Zeit Zeugnisse vom Messias hervortreten sollten. Es war das eine große Wohlthat, daß die Kirche an einen bestimmten Ort gebunden wurde, und sie hat sich bei jenem Volke fast 2000 Jahre von Abraham bis Christus erhalten.

Unbeschadet diesem Vorrecht jedoch waren die übrigen Völker auch während des Bestehens jener Verfassung keineswegs gänzlich ausgeschlossen. Von Zeit zu Zeit wurden auch Heiden berufen, und was das Verdienst anlangt, so stellt Paulus die Heiden den Juden gleich. „Sie sind allzumal Sünder,“ spricht er (Röm. 3, 23.); es findet hier kein Unterschied, kein Vorrecht Statt. Nicht nur die Heiden, auch die Juden müssen bekennen, daß sie kein Verdienst besitzen, daß sie vor Gott nicht würdig sind. Im Aeußerlichen zeigte sich bei den Juden etwas mehr Ehrbarkeit, als bei den Heiden. Deßhalb vergleicht Christus diese den Hunden, nämlich mit Rücksicht auf den größern sittlichen Verfall, und auf die Unreinheit des äußern Wandels bei ihnen.

Was aber das Urtheil Gottes anlangt, so „ermangeln Alle,“ sowohl Juden als Heiden, des Ruhmes, „den sie vor Ihm haben sollen, auf daß Aller Mund verstopfet werde, und alle Welt Gott schuldig sei. Denn Gott hat Alles beschlossen unter die Sünde (den Ungehorsam), auf daß Er sich Aller erbarme.“ (Röm. 3, 19. Kap. 11, 32.) .

Da nun aber dem heidnischen Weibe nicht nur ihre Unwürdigkeit vorgehalten, sondern zugleich auch die Anfechtung hinsichtlich der besondern Erwählung mit einbegriffen wird, so laßt uns beachten, wie treffend sie antwortet. Sie gesteht zu, daß man das Brot der Kinder nicht den Hunden vorwerfen dürfe, d. h. sie bekennt, daß sie unwerth und unrein ist, und daß die Juden ein großes Vorrecht besitzen. Bald aber fügt sie eine Umkehrung hinzu, und indem sie eben jenes Gleichniß zu einer dringendern Rechtfertigung ihrer Bitte festhält, verbessert sie, was sie zugestanden und widerlegt den Schluß des Herrn, der gleich einem gewaltigen Blitzstrahl gegen sie gezückt worden war. „Ja, Herr,“ spricht sie, „aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Wie hätte sie sich feiner und gewandter, wie zierlicher ausdrücken können? Es war ein sehr hartes Wort: „Es ziemt sich nicht, das Brot der Kinder den Hunden zu geben;“ aber sie setzt hinzu, es gäbe eine Ausnahme von der Regel. Schnell greift sie als Anhaltpunkt für ihre Bitte das Bild von den Hunden auf, das ihr der Herr entgegen gestellt hat; sie gibt zu, daß sie ein Hündchen, die Juden aber Kinder des Hauses seien. Aber sie bekennt auch ihren Glauben , daß sie wohl um dieses Herrn, nicht um des Gesetzes willen, werde angenommen werden, und weiß, Gott wolle, daß der Mensch nicht durch scheues Zurückweichen, nicht durch unzufriedenes Murren gegen Ihn, sondern durch das Bekenntniß seines Elendes und durch gläubiges Vertrauen auf Seine Erbarmung Ihn verehre. Zugleich spricht sie ihren Glauben aus, daß die Brosamen des Evangelium auch für die Heiden gehören. Ihre Antwort beurkundet einen feinen Witz, und die überraschende Umkehrung, die derselben zum Grunde liegt, hat etwas Zwingendes. - Paulus bedient sich dieser Form oft mit Vortheil. –

Ueberhaupt ist's rathsam, daß man in Büchern, oder in der Unterhaltung mit geistreichen Menschen Beispiele von Witz beachte, welcher in der Gewandtheit des Geistes besteht, die Aehnlichkeiten an verschiedenartigen Dingen leicht und. schnell aufzufassen, oder das Wechselverhältniß der Ursachen geschickt darzustellen, oder überhaupt der Rede eine überraschende Wendung zu geben, geschehe es nun, um Andere zu ermahnen, oder zu versöhnen, zu trösten, anzuregen oder zu widerlegen, wie es eben die Gelegenheit fordert.

Die Wirkungen des Gebets und des Glaubens.

Nachdem jenes gar gewandte Weib durch seine witzige Erwiederung Christum gleichsam in Seinen eigenen Worten fast verstrickt hat, erlangt sie endlich von Ihm das ehrende Zeugniß: „O Weib, dein Glaube ist groß,“ und daß dieser Glaube nicht vergeblich sei, und eines guten Erfolgs nicht verfehle, bezeugt das andere Wort Christi: „Dir geschehe, wie du willst.“ Hiermit sagt Er mehr, als wenn Er nur gesprochen hatte: Deine Tochter sei gesund, sei gerettet! Es entsprach auch der Erfolg; „Sie ward gesund zu derselbigen Stunde.“ So sollen wir, wenn unser Glaube auch durch mannichfache Anfechtungen geprüft wird, doch nicht ablassen vom Gebet, und mit Hilfe des Glaubens uns durch alle Hindernisse hindurch ringen, die uns entgegen gestellt werden. Wir wollen diese Geschichte als einen Spiegel des Gebets und des aus den schwersten Anfechtungen sich heraus ringenden Glaubens uns vor Augen halten Ist auch in uns nicht gleiche Erleuchtung, gleiche Inbrunst, so wollen wir doch bei jedem Gebete rufen: „Ich glaube, lieber Herr; aber hilf Du meinem Unglauben!“ (Mark. 9,24.)

Zugleich laßt uns einen Blick auf das Bild der aus alten Völkern gesammelten Kirche richten, welche die Brosamen, d. h. die von den Propheten und Patriarchen im Volke Israel hinterlassene Lehre genießt. Auch dieses wird uns in der Syrophönizierinn bargestellt. Sie klagt schmerzlich, daß ihre Tochter vom Teufel beunruhigt werde. Die Heiligen werden zu allen Zeiten schrecklich gepeinigt, weil der größte Theil des menschlichen Geschlechts unter Irrthum und Aberglauben und andern fürchterlichen Uebeln schmachtet. Fraget auch jetzt nicht die Wahnwitzigen, sondern die Vernünftigen in der Kirche, welchen Schmerz ihnen die Spaltungen in derselben, die Irrthümer, der Aberglaube unter dem Menschengeschlechte verursachen! Ich sage von mir in Wahrheit, daß ich keinen größern Schmerz habe, als eben diesen, und daß ich gern sterben wollte, wenn ich damit diese traurigen Wunden heilen könnte. - Auch wir wollen jene Krankheiten und Wunden, an denen die Kirche leidet, uns recht vorstellen; denn wo keine Vorstellung von dem Uebel, wo gar keine Empfindung desselben vorhanden ist, wie mag da Gebet Statt finden? Die Heiligen können nichts Anderes thun, als gleich jenem Weibe zum Herrn rufen: „Herr hilf!“ So wollen denn auch wir flehen, daß Gott jene Uebel mildere, unsere Wunden heile, und auch hoffen, Gott werde das Seufzen der Ihn Anrufenden erhören und uns Hilfe schenken. Wir wollen nicht unempfindlich bleiben bei den allgemeinen Uebeln, sondern erst unser Heil dem Herrn empfehlen, unsere eigene besondere Noth anerkennen, und um Abstellung oder Linderung derselben bitten; sodann aber wollen wir auch für Andere beten, und in unserm Gebet immer die ganze Kirche umfassen. Wir wollen denken, wir ständen, wie jenes kananäische Weib, vor Christo, und Jeder Ihn bitten, daß Er unsere und der Kirche Wunden heilen möge. Um mich und Andere zu einem solch a Gebete zu erwecken, lege ich folgende Verse vor, welche die, so mehr Dichtertalent besitzen, verbessern mögen:

Welchen gewaltigen Schmerz empfindet die heidnische Mutter,
Wenn des Wahnsinns Gewalt schrecklich die Tochter beherrscht!
Gleiche Schmerzen erfassen auch jetzt die bekümmerte Kirche,
Wenn von Wahnsinn beherrscht, Lehrer und Führer sie sieht.
O Sohn Gottes, erhör' uns, erhöre, wenn seufzend wir flehen;
Nirgend erscheint uns Heil, wolltest nicht Du es verleih'n.
Treibe Du ferne von uns der Eiferer wüthendes Toben;
Dein Wort heile je mehr jegliches krankende Herz!
Drückt auch der Zorn des Vaters verdient uns, erscheinen wir Alle,
Gleich den Hunden vor Dir, eine verschuldete Schar;
Doch wie unter dem Tische des Herren das hungernde Hündlein
Schüchtern der Brocken harrt, welche die Milde ihm beut;
So wenn gieriger Hunger auch unsere Kräfte verzehret,
Christus! suchen bei Dir wir auch erquickende Kost. Göttlicher Sohn, Du kleidest Dich ein in die Masse der Menschheit;
Deine belebende Kraft trägt nun das schwache Geschlecht.
Du, o mächtiges Wort, gezeugt vom ewigen Vater,
Wollest immer fortan Haupt und Beschützer uns sein!

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