Melanchthon, Philipp - Auslegung des vierunddreißigsten Psalms.

Melanchthon, Philipp - Auslegung des vierunddreißigsten Psalms.

Dieser Psalm ist vornehmlich ein Danklied für die Befreiung aus einer nicht besonders genannten Gefahr. Die Ueberschrift, weist auf die 1. B. Samuelis 21 (10 ff.) aufgezeichnete Geschichte hin, wo erzählt wird, David sei zu Achis gekommen, und als man ihn erkannt, der Gefahr nur dadurch entgangen, daß er sich plötzlich wahnsinnig gestellt habe. Welche Begebenheit aber immer diesem Psalme zum Grunde liegen mag (denn es muß der Gerechte Viel leiden, wie der Psalm selbst spricht), so ist doch dieses Danklied gewiß nicht in Beziehung auf David allein, sondern um der ganzen Kirche willen geschrieben. Es ist aber zum Verständniß dieser Abschnitte der Schrift und zu richtiger Anwendung derselben aufs Leben, nöthig, gleich Anfangs die Quellen zu betrachten. Alle in den Psalmen vorgetragenen Belehrungen umfassen entweder die Lehre des Gesetzes oder der Glaubensartikel, d. h. das Evangelium, oder diejenigen Trostverkündigungen, welche die Verheißungen Gottes in Ansehung künftiger und gegenwärtiger Güter enthalten; oder sie sprechen endlich die Verwerfung der Gottlosen aus. Hierbei muß man auch die gesammte Lehre vom Gebet, vom Glauben, von den Uebungen des Glaubens in der Erwartung zeitlicher Hilfe und des ewigen Lebens, ferner die Lehre von der Verschiedenheit der zeitlichen und ewigen Verheißungen, im Auge haben. Diese vorangestellte Erwägung belehrt uns, daß dieser Psalm ein Trostpsalm weil dieses Danklied in der Absicht, Andere durch Trost aufzurichten, geschrieben worden ist, damit sie gleiche Hilfe im Glauben erflehen und erwarten sollen. Er stellt auch das Beispiel seiner Errettung, und Verheißungen auf, in denen derselbe Gedanke öfters wiederholt ist. Wir sollen aber wissen, daß die Verheißungen, und gleichermaßen die Beispiele auch uns angehen, gleich wie die Aussprüche: „Kommt zu Mir Alle“ rc.; ferner: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll selig werden“ (Matth. 11,28. Apostelgesch. 2, 21.), einen Jeden angehen. Demnach sollen wir überzeugt sein, daß, gleich wie Abraham, Joseph, David, die Israeliten im rothen Meer, und im Ofen zu Babylon gerettet worden sind, also auch wir von Gott beschützt und erhalten werden; denn es könnte bei der so großen Hilflosigkeit des menschlichen Geschlechts, bei so furchtbarer Feindschaft des Teufels, bei dem gräulichen Wüthen der Menschen, die Kirche nicht bleiben, und Familien, Schulen und bürgerliche Ordnung könnten nicht bestehen, wofern nicht der Sohn Gottes, der darum menschliche Natur angenommen hat, damit nicht das Geschlecht der Menschen gänzlich untergehen Möchte, unser Schutz und Schirm, und also mit uns wäre, wie Er im babylonischen Ofen sichtbar nahe war. Er ist also bei , uns, Er erhört, und hilft uns, und wir sollen nicht wähnen, Er versäume uns, weil nicht immer der Ausgang den Traumgebilden unsers Herzens entspricht. Denn Beides ist Wille und Rathschluß Gottes, sowohl, daß die Kirche unter dem Kreuze sein soll, damit die Sünde erkannt und das Gebet geübt werde, als auch, daß die Kirche erhalten, und seine Gegenwärtigkeit in der Kirche anschaulich werden soll; und eben darum will Er, daß man Seine Errettung dankbar preise, wie Er spricht: „Rufe Mich an in der Noth, und Ich will dich erretten, und du sollst Mich preisen“ ( 50, 15.); und: „So laß nur die Kraft des Herrn groß werden, - so werden's die Aegypter hören, daß Du unter diesem Volke seist.“ (4. B. Mose 14, 13. 14. 17.)

„Ich will den Herrn loben.“ Die Dankbarkeit ist überhaupt aus zwei Haupttugenden, nämlich aus der Wahrheit und der Gerechtigkeit zusammengesetzt. Die Wahrheit bekennt, von wem man eine Wohlthat erhalten, die Gerechtigkeit verpflichtet zur Aeußerung der Erkenntlichkeit, und der undankbare Mensch ist im Allgemeinen zugleich unwahr und ungerecht. Unwahr ist er, weil er den Urheber empfangener Wohlthaten nicht rühmend anerkennt, und wohl gar fremdes Verdienst sich aneignet; so Nebukadnezar, wenn er spricht: „Das ist die große Babel, die ich erbauet habe durch meine große Macht.“ (Daniel 4, 27.) Ferner ist er auch ungerecht, weil er unterläßt, Erkenntlichkeit zu äußern; so Alexander, der Gott ungehorsam ist, sich selbst zum Gott erhebt, seine Freunde mordet. Erwägt man diese schimpflichen Verirrungen, so wird man um so mehr einsehen, warum Gott Dankbarkeit fordert. Er will zuerst, daß wir nicht die Wahrheit verletzen, sondern Ihn als den Urheber der Wohlthaten anerkennen und preisen sollen, damit wir daraus lernen mögen, wie Gott sei, und wie Er gesinnt sei. Er will es aber auch deßhalb, damit Andere belehrt, zur Erkenntniß Gottes, zum Glauben, zum Gebet, zur-Hoffnung erweckt, und durch Trost aufgerichtet werden, ja daß sie Seine Hilfe erfahren Und durch Ihn beseligt werden sollen. Darum spricht Er in unserm Psalm: „Daß es die Elenden hören und sich freuen“ (V. 3.), und im 22. Psalm (V. 23.): „Ich will Deinen Namen predigen meinen Brüdern; ich will Dich in der Gemeinde rühmen;“ und Gott erweist uns Wohlthaten, damit Zeugnisse von Ihm vorhanden sein sollen, um uns und Andere zu kräftigen und zu starken. So heißt es 1. B. d. Könige 18, 36: „Auf daß alle Lande wissen, daß Du Gott in Israel bist.“ Es enthalt demnach der Anfang unsers Psalmes als Hauptsatz den Ausdruck des Dankgefühls: „Ich will den Herrn loben, d. h., ich will Ihn rühmen und bekennen, wie es sich verhält, daß ich von Ihm errettet worden bin.

„Meine Seele soll sich rühmen des Herrn,“ d. h, ich will mich nicht meiner Kraft und Weisheit rühmen, wie Nebukadnezar in jener eben erwähnten Aeußerung gethan, und wie Sanherib sprach: „Wer ist unter allen Göttern, der sein Volk habe mögen erretten von meiner Hand“ (2. B. d. Chron. 32,14.)? sondern, ich will mich rühmen des Herrn, d. h., ich will Ihm die Ehre geben; ich bekräftige, daß ich von Ihm errettet worden, gleich wie Daniel spricht: „Mein Gott hat Seinen Engel gesandt, der dem Löwen den Rachen zugehalten hat.“ (Daniel 6, 22.) Es folgt nun die Anwendung, welchen wohlthätigen Erfolg die Lobpreisung Gottes bezwecke; „daß die Elenden hören und sich freuen,“ d.i., auch um des Beispiels willen preise ich die Wohlthat Gottes, damit Andere zur Erkenntniß Gottes, zum Glauben, zum Gebet erweckt, durch Trost aufgerichtet und beseligt werden.

„Preiset mit mir den Herrn.“ Er redet zu der Kirche; sie soll Zeugin dieses Bekenntnisses sein; sie soll gleichermaßen wie Andere, solche Wohlthat rühmen.. In den Worten: „Da ich den Herrn suchte, antwortete Er mir,“ wird das Wesen dieser Wohlthat dargestellt. Unmittelbar darauf wird die allgemeine Verheißung und die Anwendung auf Andere eingeschaltet: „Welche Ihn ansehen und anlaufen (gleichsam an Ihn anströmen), derer Angesicht wird nicht zu Schanden;“ gleich als wollte er sagen: Wenn Menschen zweifeln, ob sie erhört werden, so muß ich diesen Zweifel für durchaus tadelnswerth erklären und versichern, daß die Ihn anrufen, wirklich Erhörung finden. Zu dem Ende wiederholt er sein eignes Beispiel: „Da dieser Elende rief, hörte der Herr.“ Diesen Vers wende auch auf dich an; auch dich wird der Herr erhören, wenn du zu Ihm rufen wirst!

„Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so Ihn fürchten, und hilft ihnen aus.“ Dieß Bild ist entlehnt aus 1. B. Mose 32, 2, wo Jakob bei der Erblickung der Engel ausruft: „Das sind Gottes Heere!“ und aus 2. B. Mose 33, 15. 16, wo Mose spricht: „Wo nicht Dein Angesicht vor uns hergehet, so führe uns nicht von bannen hinauf - ohne wenn Du mit uns gehest!“

Unter dem Engel verstehe ich aber den Sohn Gottes selbst, den Beschützer Seiner Kirche, wie Jakob spricht: „Gott, vor Dem meine Vater Abraham und Isaak gewandelt haben - der “„Engel,““ Der mich erlöset hat von allem Uebel, der segne die Knaben!„ (1. B. Mose 48, 15. 16.) Es wird aber in diesen Worten abermals die Verheißung der hilfreichen Nahe Gottes eingewebt, wie sie auch anderwärts öfter ausgesprochen sich findet; so Jes. 46, 4: „Ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet; ich will heben und tragen und retten!“ und Matth. 28, 20: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Und Matth. 10,30: „Alle Haare auf eurem Haupte sind gezahlet.“ Ja der ganze 91. Psalm: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, und unter dem Schatten des Allmächtigen wohn-et,“ gehört hierher; eben so Psalm 54, 23: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen.“

„Schmecket und sehet!“ Der Sänger belehrt uns in diesen Worten über die Aneignung der göttlichen Verheißungen, indem er gleichsam sagen will: Vorher hab' ich das Beispiel meiner eignen Errettung aufgestellt, daran schließ' ich nun die Verheißungen des Herrn, und betheure, daß dieselben auch für euch bestimmt sind, nur müßt ihr euch zu Gott bekehren, und im Glauben die Verheißung ergreifen. Nun wird die Aneignung dieser Wohlthat ausdrücklich gesetzt: „Der Herr ist freundlich,“ heißt es weiter, „wohl dem, der auf Ihn trauet.“ Hieran schließen sich tröstliche Worte, die Bekehrung und die Früchte der Bekehrung betreffend, und zugleich wird die Verheißung wiederholt: „Fürchtet den Herrn, ihr, Seine Heiligen!“ d. h., beharret in wahrer Buße, in der Furcht und im Glauben, denn „Furcht“ drückt im Allgemeinen oft die ganze Gottesverehrung aus; in diesem Sinne heißt es: z. B. „Wohl dem, der den Herrn fürchtet, und auf Seinen Wegen gehet.“ (Ps. 128, 1.) „Die Löwen hungern,“ - eine treffliche Metapher; er nennet Löwen, reiche, mächtige Feinde, und versichert, auch diese würden von ihrer Höhe herabgestürzt, in Mangel und Dürftigkeit niedergedrückt, aller Stützen ihres Uebermuthes beraubt werden, uns ins ewige Verderben stürzen, wie Pharao, Saul, Apries, Polykrates, Nero u. A. von ihrem Fall erreicht worden sind; während Gott Seine schwache Kirche beschirmte.

„Kommet her, Kinder, höret mir zu! Ich will euch die Furcht des Herrn lehren.“ Weil er die Furcht Gottes genannt hat, so fügt er auch eine Belehrung über die Uebungen wahrer Gottesfurcht und bußfertiger Gesinnung hinzu. Zuerst ertheilt er eine Vorschrift in Ansehung der Zunge, die in der doppelten Beziehung aufzufassen ist, daß wir, wie in Religionssachen, so auch vor Gericht und in Verhandlungen mit Menschen überhaupt die Wahrheit reden sollen.

„Laß vom Bösen!“ Er redet vom Gebot der allgemeinen Gerechtigkeit: „Thue Gutes!“ Denn es umfaßt dieses alle Gebote Gottes, wie der Herr spricht: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote!“ (Matth 19,17.) Und Paulus spricht: „Uebe eine gute Ritterschaft; habe Glauben und gutes Gewissen!“ (1. Tim. 1, 18.) Ferner: „Lasset euch nicht verführen! Weder die Hurer, noch die Ehebrecher - noch die Todtschläger werden das Reich Gottes besitzen.“ (1. Kor. 6. 9.) Desgleichen 1. Joh. 3, 8: „Wer Sünde thut, der ist vom Teufel.“

In den vier folgenden Versen werden Verheißungen und Drohungen wiederholt. „Der Gerechte muß Viel leidend Er begegnet hier dem Einwurf der meisten Menschen, welche sagen: Da die Kirche mit so vielen Anfechtungen zu kämpfen hat, wie magst du sagen, daß Gottes Heere und Gottes Augen sie beschützen? Wahr ist's, antwortet er, daß groß und vielfach die Kampfe und Anfechtungen der Kirche sind. Die Ursachen davon werden an einem andern Orte angegeben. Es wird jedoch nach diesem Leben eine allgemeine Erlösung, Leben, Gerechtigkeit und ewige Freude Statt finden; und auch in diesem Leben schon wird Erleichterung kommen, und mitten unter den Trümmern zusammenstürzender Weltreiche wird die Kirche wohlbewahret bleiben.

„Der Tod ist der Sünder größtes Unglück“1). Er redet von der allgemeinen Strafe der Bösen, und es heißt hier ausdrücklich: Der Tod ist für die Gottlosen ein trauriges Uebel; darum wenn es ihnen auch in diesem Leben wohlgehet, so werden sie doch bei ihrem Tode einem traurigen Verderben entgegen gehen, so daß endlos ihre Strafen, das Gefühl des Zornes und Gerichtes Gottes in alle Ewigkeit dauernd sein wird.

Es ist sonach auch in dieser Stelle vom Leben und Gerichte nach diesem Leben die Rede; denn sie lehrt, es müsse in diesem Leben vor dem Tode Bekehrung zu Gott eintreten; übereinstimmend mit den Worten: „Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben.“ (Ostend. Joh. 14, 13.) Ferner: „Sei getreu bis in den Tod“ (Kap. 2, 10.); und: „daß wir überkleidet werden; so doch, wo wir - nicht bloß erfunden werden.“ (2. Kor. 5, 3.) „Die den Gerechten hassen, werden Schuld haben,“ d. h., sie werden für schuldig erklärt werden; es drückt das Wort „Schuld,“ den hohen Grad der Strafe, die Vertilgung“ aus, wie in andern Stellen öfters. - Der letzte Vers wiederholt die Verheißung und die Folgen in Rücksicht des Glaubens: „Alle, die auf Ihn trauen, werden keine Schuld haben.“

1)
Richtiger, dem Texte gemäßer, übersetzt Luther: „den Gottlosen wird das Unglück tödten.“
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/melanchthon/melanchthon-psalm_34.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain