Melanchthon, Philipp - Kurze Auslegung des Vater unsers

Melanchthon, Philipp - Kurze Auslegung des Vater unsers

Vater unser, der du bist im Himmel.

Das ist: Ewiger Vater, der du wahrhaftig nahe bei deiner Kirche und bei deinen Kindern bist, auf sie siehest, und ihr Gebet erhörest!

1. Geheiliget werde dein Name!

D.i. Gib, daß die Menschen dich, wahren, lebendigen Gott und Vater, erkennen; daß dein Wort rein geprediget werde, dadurch deine göttliche Ehre recht und wahrhaftig erkannt werde; daß die Menschen dich im Glauben lernen erkennen, dich herzlich in Nöthen anrufen, und im Geist und Wahrheit dir recht dienen.

So gehört nun die erste Bitte im Vater unser zu den höchsten und ersten Geboten des Dekalogus1); denn wir bitten, daß Gottes Ehre und reine christliche Lehre erhalten werden, und die Kirche allezeit zunehme. Denn „Name“ heißt an dem Ort: rechte Erkenntniß Gottes.

2. Zukomme dein Reich!

D.i. Erleuchte und regiere uns durch den heiligen Geist, daß wir deinem Wort wahrhaftig glauben; du wollest dein Reich in uns anfangen, daß wir auch Erben werden des ewigen Lebens und Reiches. - So redet nun die andere Bitte von Frucht des Evangelii, daß uns Gott regiere und leite.

3. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel!

D.i. Gib, daß alle Menschen auf Erden dir gehorsam seien; gib, daß die rechten Hirten und Bischöfe, Könige, Fürsten und Herrn, alle Obrigkeit, Lehrer, Prediger rc., auch die Unterthanen und Zuhörer ihr Amt fleißig und treulich ausrichten, dir Alle Gehorsam leisten, und in solchem Stande wandeln, der dir gefalle, wie die Engel im Himmel dir gefallen und gehorsam sind. - Also begreifen diese drei Bitten alle geistlichen Sachen, was zu Gottes Ehre, und der Menschen Heil dienen mag. Nun folgen die Bitten leiblicher Gaben rc.

4. Unser täglich Brod gib uns heute!

D.i. Gib uns unsere Nahrung, zeitlichen Frieden durch fleißige, gottesfürchtige Obrigkeit, Schutz und Schirm, Glück und Heil in Regimenten, zu guter Zucht der Jugend, Wolfahrt in allen Sachen dieses Lebens.

5. Vergib uns unsere Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern!

Diese Bitte zeigt an, daß in allem Gebet soll der Glaube dabei sein, der da glaubt, daß wir Vergebung der Sünden haben durch Christum; der Christum ergreife als einen Hohenpriester und unsern Mittler. Daß wir also wissen, daß wir zum Vater einen Zugang haben durch ihn, und daß wir um seinetwillen erhöret werden. - Und in dieser Bitte bekennet die ganze heilige christliche Kirche und alle Heilige, daß sie noch Sünde an sich haben; ist auch darin dieser Trost: Weil Christus selbst uns heißet Vergebung der Sünden bitten, so will er sie ohne Zweifel auch uns vergeben. - Auch ist dabei gesetzt: als wir vergeben unsern Schuldigern. Er saget nicht, daß um unsers Vergebens willen die Sünde uns vergeben werde, sonder unser Vergeben ist ein Gehorsam, der folgen soll, und hier ist gesetzt, daß solches unser Vergeben zugleich eine Erinnerung sei, daß uns Gott auch vergeben hat und vergeben will.

6. Führe uns nicht in Versuchung!

D.i. Lieber Vater, laß uns nicht in schwere Versuchung fallen, behüte und beschütze uns vor gräulichen, schrecklichen Listen des Teufels, daß wir nicht in Irrthum und Verblendung kommen, in Traurigkeit und Unglauben und dann an deiner Gnade und Güte verzagen rc.

7. Sondern erlöse uns von dem Uebel! Amen.

Dies ist ein gemeiner Beschluß aller Bitten, und bittet Erlösung von aller Schwachheit, Sünden, Jammer und Elend des ganzen Lebens. In Summa, bittet, daß wir mögen erlöset werden aus so viel Herzeleid dieses armen Lebens, und daß uns gegeben werde ewige Gerechtigkeit und ewiges Leben! Amen.

So lehret nun dieses edle und theure Gebet, das Vater Unser, welches uns der Herr Christus selbst gestellet hat, mit ganz kurzen Worten, wie wir beide, um geistliche und leibliche Güter bitten sollen; wie wir bitten sollen für die ganze Christenheit, für das Predigtamt, und die heilige gemeine Kirche; für die Regimente und gemeinen Frieden in der Welt, für gegenwärtige und zukünftige Noth rc. - Darum, wenn wir dieses edle Gebet sprechen, sollen wir die Augen aufthun und sehen die große, mächtige Gefahr, den schrecklichen Ernst, Zorn und Grimm des Teufels, durch welchen er die Kirche, Regimente, und alle Gottessachen suchet, und dagegen bedenken die unaussprechlichen, täglichen Gottes Gaben und Wohlthaten, dadurch er beides erhält; daß wir also herzlich beten lernen, und in eine jegliche Bitte des Vater Unsers die gegenwärtige, vorfallende Noth, die uns anliegt, schließen. Das sind rechte christliche Uebungen des Glaubens; das ist ein rechter hoher, heiliger, angenehmer Gottesdienst. - Also hat der Prophet Sacharja 12, 10. allen Schatz, den wir durch Christum und das Evangelium haben, und den rechten Gottesdienst kurz gefasset, da er sagt: „Ich will ausgießen über das Haus David den Geist der Gnade und des Gebets.“ Der Geist der Gnade ist der Geist der Kindschaft, welchen wir durch Christum empfangen, der uns gewiß macht, daß wir einen gnädigen Gott haben, und daß wir Gott gefallen. Also zeigt der Prophet erstlich an, wie wir gerecht werden vor Gott, und welches der rechte, höchste, edelste und heiligste Gottesdienst sei. Denn der Geist des Gebets ist: Gott herzlich in aller Noth anrufen, Gott fröhlich danken, Gottes Wort freudig bekennen rc.

Wie wir aber bis anher gesagt von Anrufen und Beten, also sollen wir wissen, daß wir auch allezeit für göttliche Wohlthaten danken sollen; denn wir empfangen täglich von Gott unzählige Wohlthaten, welche wir oft nicht wissen; denn wir sehen täglich unzählige Gefahr, und haben zu erwarten unzähliges Herzeleid und schrecklichen Schaden vom Satan, wenn uns Gott nicht mit Gewalt schützet und behütet. Also sagt S. Paulus, Phil. 4,6.: „Für Alles sollt ihr allezeit Gott Danksagung thun“. Und 2. Kor. 1,11. befiehlt er, daß viele für ihn bitten sollen, auf daß viele dafür danken, daß ihn Gott behütet und erhalten hat. Zeiget also an, daß ein solcher rechter Gottesdienst allezeit bei den Christen gehen soll.

Quelle: Klaiber, Karl Friedrich - Evangelische Volksbibliothek, Band 1

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