Major, Charles Forsyth - Das Gesetz Gottes, erklärt in der evangelischen Kapelle zu Straßburg - Die Heimsuchungen des Heiligen.

Major, Charles Forsyth - Das Gesetz Gottes, erklärt in der evangelischen Kapelle zu Straßburg - Die Heimsuchungen des Heiligen.

2. Mos. 20,4-6.
Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an, und diene ihnen nicht. Denn ich der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern, bis in das dritte und vierte Glied, bei denen die mich hassen; und tue Barmherzigkeit in die Tausende, bei denen die mich lieb haben und meine Gebote halten.

Es haben schon viele einsichtsvolle Männer darüber geklagt, dass die Menschen unserer Zeit sich vor anderen Zeiten durch eine unbeschreibliche Leichtfertigkeit auszeichnen. Ich behaupte daher nichts Neues, wenn ich sage, dass wir in Zeiten leben, da es zum Sprichwort geworden ist: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Die meisten Menschen dieser Zeit tanzen leichtfertig in das Leben hinein, kosten einen kurzen Augenblick der Erde Freude und Leid und zittern oft, ohne zu wissen, warum, aus dem Leben hinaus einer Ewigkeit entgegen, an die sie nie mit Ernst gedacht, einem Gott entgegen, dessen Wesen und Eigenschaften sie nie gekannt. So wenig Beruhigendes dieser Zustand in sich selbst hat, so könnten wir uns immer noch trösten mit dem Gedanken: der einzelne Mensch steht und fällt für sich, wenn nicht das Wort Gottes und die Erfahrung ein Anderes lehrten. Zwar beruft sich Mancher, den man auf einen bessern Weg weisen möchte, auf den selbstgemachten Wahn: „Wenn ich in meiner Gottentfremdung dahin fahre, so tue ich mir allein Schaden, und darum hat sich Niemand in die Angelegenheiten meines Gewissens zu mischen“; aber man fühlt solchen Antworten nur zu sehr ab, dass sie nichts sind, als ein Vorwand, den der Leichtsinn des Herzens erfunden, um dem tieferen Forschen nach der Verantwortlichkeit unseres Lebens vor Gott und den Menschen zu entgehen, womit solche Elende nur Zeit gewinnen wollen, noch irgend eine kleine Lust zu büßen, weil der Honigtopf der irdischen Genüsse ihnen vielleicht einen Bodensatz gelassen, den sie nur zu gern, ehe es Abend wird, sich aneignen möchten. Es ist eine traurige Lüge, damit der Feind unserer Seligkeit Viele irre führt, dass der Mensch für seine Handlungen nur sich selbst Rechenschaft schuldig sei; es ist ein schauderhafter Wahn des gegenwärtigen Zeitgeistes, dass wir allein Schaden leiden an den Folgen unserer Handlungen. Durch diesen Wahn wird das geheimnisvolle Band, das die Menschen aneinander knüpft, nur etwas lockerer gemacht, um die Sünden der Einzelnen zu mehren und dadurch die Gesamtheit desto sicherer zu verderben; aber aufgelöst kann dieses Band nicht werden durch die Lüge. Da nun der Bilderdienst, welchem in dem dritten Gebot gewehrt wird, an sich nur eine Übergangsform zum Götzendienst ist, von dem wir früher gesprochen haben, so halten wir uns heute nicht länger bei dem eigentlichen Gebot auf, sondern fassen, mit Rücksicht auf weit um uns her ausgestreute Irrtümer, die Drohung und Verheißung im zweiten Teil unseres Textes vorzüglich ins Auge und beweisen:

  1. Dass der einzelne Mensch durch seine natürliche Gottentfremdung die Gerichte Gottes über seine eigene Familie und sein Volk herabzieht.
  2. Dass der Christ durch seinen Gehorsam gegen das Wort Gottes ein Vermittler der Barmherzigkeit Gottes für Viele wird.

I.

Das Verbot des Bilderdienstes wird mit einer merkwürdigen Drohung Gottes geschärft: Ich der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, bei denen die mich hassen. In dieser Drohung fällt uns zuerst ein Wort auf, das sonst auch oft in der Schrift vorkommt, es ist das Wort heimsuchen. Dieses Wort deutet ein genaues Nachsehen und Untersuchen an, um die Lage von Personen und Sachen genau kennen zu lernen und danach sein Verhalten zu richten. Die Bischöfe und Aufseher in der christlichen Gemeine haben ihre Namen von diesem Wort. Es zeigt eine besondere, auffallende Wirksamkeit Gottes an, entweder zu strafen und zu züchtigen, oder zu schützen, zu retten und wohlzutun. In letzterem Sinn erscheint dieses Wort 2 Mos. 4,31.

Als Moses mit dem Volk Israel in Ägypten redete, und ihnen sagte, die Zeit ihrer Erlösung sei gekommen, so heißt es: „Da sie hörten, dass der Herr sein Volk heimgesucht und ihr Elend angesehen hätte, neigten sie sich, und beteten an,“ denn das Volk glaubte. So wünschenswert und erfreulich solche Gnadenheimsuchungen Gottes sind, so ernst und fürchterlich sind seine Heimsuchungen zum Gericht; und in diesem Sinn ist das Wort in unserer Stelle gebraucht, die uns sagt, dass Gottes Gerichte sich nicht allein über den einzelnen Sünder erstrecken, sondern von Vater auf Kind, ja auf Kindes Kind ausgedehnt werden. Fragen wir nun: wer sind die Unglücklichen, denen ein so fürchterlicher Fluch gedroht wird? so antwortet uns der Heilige: „bei denen, die mich hassen.“ Diese Antwort aber richtet unsere Aufmerksamkeit auf ein zweites Wort unseres Textes, dessen Verständnis uns den Schlüssel zu dieser ernsten Drohung Gottes und ihrer Anwendbarkeit gibt: es ist das Wort hassen, das offenbar einen feindseligen Gemütszustand des Menschen, und zwar hier in Beziehung auf Gott selbst anzeigt. Dass ein Mensch den anderen hassen kann, finden wir begreiflich und natürlich, ja nur zu natürlich; dass aber ein so feindseliger Gemütszustand sich auch gegen Gott im Menschen vorfinden könne, fällt uns auf. Es würde uns weniger auffallen, wenn wir uns gewöhnen wollten, unsere Gemütszustände nicht nach dem Gefühl, sondern aus den Früchten zu beurteilen, die sie in Worten und Werken tragen. Beurteilen wir unser natürliches Verhältnis zu Gott nur nach dem Gefühl, so werden wir sagen müssen: ich fühle weder Liebe noch Hass, sondern mein gewöhnlicher Zustand ist eine Gedankenlosigkeit, eine vollkommene Gleichgültigkeit gegen Gott, weil meine Gedanken und Empfindungen mit anderen Dingen beschäftigt sind.

Diese anderen Dinge sind aber zu erkennen aus meinen Worten, mit denen ich sie bezeichne, aus meinen Handlungen, durch die ich mein Verhältnis zu ihnen ankündige; und diese gewöhnliche Beschäftigung mit den Dingen dieser Erde nimmt alle meine Zeit ein. Beurteilen wir aber unser Verhältnis zu Gott nach unseren Worten und Werken, so werden wir zu einem anderen, ernsteren Resultat kommen. Wir werden sagen: meine Worte und Werke sind einen Tag wie den anderen, Jahr aus, Jahr ein irdisch und zeitlich; darum ist es unmöglich, dass mein Herz irgend einen innigen Anteil an himmlischen, ewigen Dingen haben kann. Ich weiß, dass Gott die Liebe ist, von dem ich Leben und Odem und Alles habe. Eine Gleichgültigkeit gegen ihn muss mehr sein, als eine Gleichgültigkeit gegen Menschen und andere Geschöpfe; eine Gleichgültigkeit gegen ihn ist etwas Strafwürdiges, ist eine Sünde, wenigstens der Undankbarkeit. Sind wir ein mal so weit gekommen, dieses zuzugeben, so suchen wir schon in der Schrift und erstaunen oft nicht wenig, wenn wir entdecken, dass das Wort Gottes diesen undankbaren Zustand der Gleichgültigkeit geradezu für eine Feindschaft wider Gott erklärt.

Zunächst in unsrer Stelle, wie aus der Vergleichung mit dem nächstfolgenden Verse deutlich wird. Hier wird die Barmherzigkeit in die Tausende verheißen denen, die Gott lieb haben, welche als solche bezeichnet werden, die seine Gebote halten. Es ist daher erlaubt, zu schließen, dass diejenigen, die Gott hassen, solche sind, die seine Gebote nicht halten. Erkennen wir aber aus der Schwachheit und Sündhaftigkeit der menschlichen Natur die Unfähigkeit, seine Gebote zu halten oder seinen Willen zu tun, so müssen wir notwendig zu dem Schluss geführt werden: also hassen wir Alle Gott von Natur, und folgern weiter: darum gilt diese gedrohte Heimsuchung Gottes über Kind und Kindes Kind jedem natürlichen Menschen. Dir und mir also, in sofern wir Gottes Feinde sind von Natur. Und was wir hier aus einer sorgfältigen Erwägung unserer Stelle gefunden haben, das bestätigen uns viele andere Stellen des Neuen Testamentes mit unzweideutigen Worten. Hier nur ein Paar:

Röm. 7,14-15: Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß nicht, was ich tue: denn ich tue nicht, das ich will, sondern das ich hasse, das tue ich. Röm. 8,6-8: Aber fleischlich gesinnt sein, ist der Tod. Denn die fleischliche Gesinnung ist eine Feindschaft wider Gott, sintemal sie dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn sie vermag es auch nicht. Die aber fleischlich sind, mögen Gott nicht gefallen. Jak. 4, 4: Wisset ihr nicht, dass der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist? Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein.

Den Freunden der Welt also droht der heilige Gott eine Heimsuchung ihrer Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Sehen wir uns nach einigen Beispielen um, da eine solche Drohung auf Erden in Erfüllung gegangen ist. 1 Mos. 6. lesen wir: Da sich die Menschen begannen zu mehren auf Erden, sprach der Herr: Die Menschen wollen sich meinen Geist nicht mehr strafen lassen, denn sie sind Fleisch. Und wiederum: Aber die Erde war verdorben vor Gottes Augen, und voll Frevels. Da sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verdorben; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verdorben auf Erden. Da sprach Gott zu Noah: Alles Fleisches Ende ist vor mich kommen, denn die Erde ist voll Frevels von ihnen; und siehe da, ich will sie verderben mit der Erde. Diese Drohung ging in Erfüllung durch die Sintflut, in der uns die erste allgemeine Heimsuchung Gottes zum Gericht über die gottlosen Menschen gezeigt wird. Eine weniger empfindliche, aber in ihren Folgen für die ganze Menschheit doch sehr bedeutende Heimsuchung lesen wir 1 Mos. 11,7. Da heißt es von Gott: Wohlauf, lasst uns hernieder fahren und ihre Sprachen daselbst verwirren, dass Keiner des Andern Sprache vernehme. Und eine dritte Heimsuchung Gottes mit Feuer, wie jene über die alte Welt mit Wasser war, lesen wir 1 Mos. 18., da es heißt: Und der Herr sprach: Es ist ein Geschrei von Sodom und Gomorra, das ist groß, und ihre Sünden sind sehr schwer. Darum will ich hinab fahren und sehen, ob sie Alles getan haben, nach dem Geschrei, das vor mich kommen ist, oder obs nicht also sei, dass ichs wisse. In allen diesen Stellen finden wir eine besondere, auffallende Wirksamkeit Gottes angezeigt, die Menschen zu strafen und zu züchtigen für ihre Sünden. Dass solches Gericht aber nicht nur erging über die Missetat der Väter, sondern auch die Kinder und Kindes Kinder traf, die nicht gesündigt hatten mit gleicher Übertretung, geht schon daraus hervor, dass in den bezeichneten großen Heimsuchungen Gottes Jung und Alt untergingen, sowohl die Greise von nahe an 1000 Jahren als auch die Säuglinge an der Mutter Brust. Noch auffallender aber tritt diese Weise Gottes, die Menschen zu richten, hervor in jener Austilgung durch das Schwert, die der Herr über die Einwohner des Landes Kanaan verordnete, von denen er 550 Jahre vorher zu Abraham sagte: Dein Same soll im vierten Geschlecht wieder hierher (ins Land Kanaan) kommen, denn die Missetat der Amoriter ist noch nicht voll (1 Mos. 15,16.). Auf die Einwendung des Leichtsinns unserer Zeit, dass diese Stellen aus dem Alten Testament entlehnt sind und darum für die Zeiten des Neuen Testamentes keine beweisende Kraft haben, antworten wir nur mit den Worten Jesu selbst, der in einer merkwürdigen Stelle gelehrt hat, dass die Gerichte Gottes im Alten wie im Neuen Testamente durch gleiche Sünden hervorgerufen und darum nach gleichen Grundsätzen über die Menschheit ergehen werden, da er spricht: Gleich aber wie es zu der Zeit Noah war, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohns. Denn gleichwie sie waren in den Tagen vor der Sintflut, sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging. Und sie achtetens nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin: also wird auch sein die Zukunft des Menschensohns (Matth. 24.37-38.).

Nachdem wir so die Erfüllung unserer fürchterlichen Drohung aus mehreren Beispielen bewiesen und ihre Anwendbarkeit auf die ganze natürliche Menschheit erhärtet haben, machen wir zunächst, wegen des inneren notwendigen Zusammenhangs der Sünde mit dem Gericht, auf die Natürlichkeit und Gerechtigkeit solcher Heimsuchung Gottes aufmerksam.

Natürlich ist die Heimsuchung der Missetat der Väter an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. darum, weil jede Sünde, die der Mensch begeht, eine Tat ist, welche ihn seinem innersten Wesen, seinem Geiste nach von Gott entfernt und ihn in einen Zustand versetzt, der sich durch Wort und Tat auf seine ganze Umgebung und durch die natürliche Beugung auch auf seine Kinder überträgt. Dieser Zustand der Feindschaft wider Gott pflanzt sich fort und erzeugt immer neue Sünden, die das Maß einer Familie, eines Volkes endlich voll und das eben vorhandene Geschlecht für die Gerichte Gottes reif machen. Wie der Leib. des einzelnen Menschen, nachdem alle seine Kräfte abgenutzt worden, nicht mehr bestehen kann, sondern in Staub zerfällt, von dem er genommen ist, so verhält es sich auch mit einzelnen Familien, ganzen Geschlechtern, ganzen Völkern. Sie hängen vermittelst geistiger Kräfte innig zusammen, und es gibt keinen Menschen auf Erden, der allein dastünde. Wenn nun durch anhaltendes Sündigen und durch gehäufte Missetaten diese Kräfte verzehrt sind, so kann das Geschlecht nicht mehr bestehen, sondern muss, dem natürlichen Lauf der Dinge nach, vergehen, es sei denn, dass Gott aus besonderen Absichten ein Geschlecht auf außerordentliche Weise erhält, wie solches bei dem Volke der Juden sichtbar wird, aber dann ist diese Erhaltung an und für sich schon ein Gericht.

Die Menschheit hat ihr Dasein nur in so fern wir in Gott leben, weben und sind (Apstlg. 17,28.). Entzieht sich eine Familie, ein Geschlecht, ein Volk allmählig dem willigen Bewegen in Gott vollkommen, so leben, weben und sind seine Glieder alle im Argen: in Fleischeslust, Augenlust und hoffärtigem Leben. Alle ihre geistigen Kräfte werden allmählig durch den Kampf der Leidenschaften aufgerieben und reichen nicht mehr hin, dieses Geschlecht im Leibe zu erhalten. Ein Glied nach dem anderen welkt ab vom Baum des irdischen Daseins; das Geschlecht stirbt aus, wie man sagt. Hört es aber deshalb auf, zu sein? Für die Erde wohl, denn die Erde ist ein Schauplatz, auf dem Menschengeister im Leibe bewahret werden, damit ihnen eine Erlösung verkündigt werden könne. Aber die in Sünde und durch Sünde ausgestorbenen Geschlechter der Erde leben ewig fort, in einem Zustande, der ihren nackten, entblößten Seelen angemessener ist, als der leibliche, den sie nur immerdar missbraucht hatten, um ihre innere Verkehrtheit zu verdecken und Sünde auf Sünde zu häufen. Sie leben ewig fort in jenem Zustande, von dem Christus sagt: Da wird sein Heulen und Zähneklappen!

Doch nicht allein natürlich, sondern gerecht ist auch die: Heimsuchung der Missetat der Väter an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Gott hat sich vorbehalten, als oberster Bischof und Aufseher über die Menschheit, unsere Angelegenheiten auf Erden so zu ordnen, dass aus seiner Regierung endlich der vollkommene Sieg des Guten über das Böse. hervorgehen soll, darum muss er da, wo das Böse überhand zu nehmen droht, mit Gerichten ins Mittel schreiten.

Diese Heimsuchungen geschehen auf natürliche und übernatürliche oder außerordentliche Weise. Natürliche Heimsuchungen Gottes pflegen wir Krankheiten und Unglücksfälle aller Art zu nennen, für welche wir irgend einen in die Augen fallenden Grund anzugeben, wissen. Todesfälle, von denen die Ärzte sagen: „sie sind eine Folge dieser oder jener in unseren Büchern verzeichneten Krankheit,“ rechnet man gewöhnlich zu den natürlichen Heimsuchungen Gottes; wenn aber, der erste Keim, die erste Veranlassung solcher Krankheiten eben so aufgedeckt läge vor unseren Augen, wie ihre letzte Folge, der leibliche Tod, so würden wir in den meisten Fällen anders urteilen. Ich erwähne hier nur zum Beleg meiner Behauptung des einen Umstandes, dass das neueste System der Heilkunde1) alle langwierigen (chronischen) Krankheiten, mit welchen die Menschheit in unseren Tagen geplagt wird, in drei ekelhafte Klassen zerfallen lässt, die nach ihrem ersten Ursprung benannt werden, mit Namen, die der Anstand verbietet, an heiliger Stätte auszusprechen: und alle drei erben sich durch Ansteckung fort von Geschlecht zu Geschlecht. Ist hier nicht ein geheimnisvolles und doch offenbares Walten der Gerechtigkeit Gottes unverkennbar, wenn er die Missetat der Väter heimsucht an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied? Ich sage der Gerechtigkeit Gottes, denn diese Eigenschaft besteht eben darin, dass er die Sünde durch die Sünde auf Erden straft, damit seine Wahrheit Raum gewinne für solche, die sich durch dieselbe wollen heilen lassen. Von außerordentlichen Heimsuchungen Gottes über die Menschen haben wir schon im Allgemeinen gesprochen. ~ Lasst uns die angeführten Beispiele nochmals betrachten und fragen, wie aus ihnen Gottes Gerechtigkeit hervorleuchtet?

War es nicht ein gerechtes Urteil, da Gott die Sünder, welche sich nicht mehr durch seinen Geist strafen lassen wollten, durch das Wasser seines Zorns aufräumen ließ, damit ein neues Geschlecht, das er in Noah gerecht ersehen hatte, Raum gewinnen konnte, um auf Erden den Ernst und die Liebe Gottes zu verkündigen?

War es nicht die in der Gerechtigkeit waltende Liebe des Vaters, welche bei jenem stolzen Turmbau zu Babel herabfuhr und die Sprachen verwirrte, damit das neue Geschlecht durch seine himmelanstrebenden Pläne nicht verleitet würde zu alten Sünden, die es jenem eben untergegangenen Riesengeschlecht nur zu bald gleich gestellt haben würden?

Was anders waltete, als Gottes Gerechtigkeit und Liebe, da er Sodom und Gomorra umkehrte und mit Feuer verzehrte, damit die Hauptgräuel aufgeräumt würden zum voraus in einem Lande, das er sich ausersehen hatte, um einst mit dem Feuer der ewigen Liebe an seinem eingebornen Sohn die Sünde im Fleisch zu verzehren? (Röm. 8, 3.)

Und als er die Einwohner dieses Landes alle mit dem. Schwert aufzuräumen befahl, wollte er etwas anders, als Raum machen unter denen, die ihre Missetat vor seinem allwissenden Angesicht voll gemacht hatten, um ein neues Geschlecht zu pflanzen, aus dem das Schwert des Geistes, das Wort Gottes, hervorgehen sollte, zu erobern den ganzen Erdkreis für das Reich der Barmherzigkeit?

Das sind drei oder vier auffallende Beispiele außerordentlicher Heimsuchungen Gottes; jeder aufmerksame Bibelleser wird sich noch eine unzählige Menge solcher Beispiele selbst sammeln können, und aus allen wird zweierlei hervorgehen. Zuerst, dass die in unserem Text enthaltene Drohung auf eine fürchterliche Weise in Erfüllung geht an allen Menschen, die Gottes Gebote nicht halten; dann aber auch, dass solche Heimsuchungen die natürliche und notwendige Folge der Sünde sind, in der Gottes Gerechtigkeit gegen das ganze Geschlecht auf eine ausgezeichnete Weise sich ankündigt, wie denn geschrieben steht: Auf dass du gerecht seist in deinen Worten und überwindest, wenn du gerichtet wirst (Ps. 51,6. Röm. 3,4.).

Bleiben wir aber ja nicht bei einer Beispielsammlung stehen, sondern wenden mit Ernst und Beugung folgende Sätze auf uns selbst an:

Jeder natürliche Mensch ist ein Feind Gottes und hat als solcher sich selbst, seine Familie, sein Geschlecht, sein Volk von Gott durch seine Sünde zu entfernen mit beigetragen. Darum gilt der Fluch, der in dieser gedrohten Heimsuchung Gottes über die Menschengeschlechter ausgesprochen wird, uns und unseren Kindern. Ja er geht an uns und um uns täglich in Erfüllung, wie wir bald erkennen werden, wenn wir die in der Schrift gegebenen Beispiele gewissenhaft mit den Erfahrungen unseres Lebens vergleichen.

Aus allen diesen Gründen ist der heilige und gerechte Gott, der im dritten Gebot zu uns spricht, zu fürchten, und wir haben Ursache, aus unserem natürlichen Zustande der Gottentfremdung und Gleichgültigkeit uns zu einem übernatürlichen der Gotteskindschaft zu erheben, denn anders können wir nicht entfliehen dem zukünftigen. Zorn des gerechten und heiligen Gottes.

II.

Wie das Verbot des Bilderdienstes mit einer Drohung geschärft wird, so finden wir es auch mit einer Verheißung versehen, um es desto annehmbarer zu machen, sie lautet: „Ich, der Herr dein Gott, bin ein eifriger Gott und tue Barmherzigkeit in die Tausende bei denen, die mich lieb haben und meine Gebote halten“. Wir haben diese Worte schon benutzt, um aus ihnen die Worte der Drohung richtig verstehen zu lernen. Sie schließen aber noch manches in sich, das uns zu betrachten übrig bleibt.

Als Drohung und Verheißung musste uns dieses Doppelwort erscheinen, womit Gott das dritte Gebot versehen hat, so lange wir uns mit unseren Gedanken auf dem Standpunkt des natürlichen Menschen bewegten. Bedenken wir aber, dass wir es hier mit einer Offenbarung zu tun haben, d. h. mit einem in menschlicher Rede gefassten Gotteswort, dazu gegeben, um uns einen Durchblick zu gestatten in seines Wesens geheimnisvollen Grund, so werden wir mehr darin finden als bloße Drohung und Verheißung. Teilweise haben wir dieses schon erkannt aus der Betrachtung der Drohung, da sie uns als natürlich und gerecht erschien, noch mehr wird aus einer sorgfältigen Erwägung der Verheißung hervorgehen; denn bei näherer Beleuchtung dieser Stelle findet es sich, dass hier, wie an vielen anderen Stellen der Schrift, das Wort, welches dem natürlichen Menschen als Drohung und Verheißung erscheint, dem mit der Schrift Vertrauten eine einfache Darlegung der Eigenschaften Gottes ist, die sich so, und nicht anders dem Menschen gegenüber gestalten können. In diesem Sinn nennen wir die Drohung eine Offenbarung der Gerechtigkeit, die Verheißung eine Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes; um dieses aber recht zu verstehen, müssen wir das Wort Barmherzigkeit in seiner schriftmäßigen Bedeutung auffassen, da es eine Eigenschaft Gottes anzeigt, vermöge welcher er aus der ihm eigentümlichen Milde und Güte sich in Huld und Gnade zu dem schwachen Menschen neiget und ihm, unverdienter Weise, die Fülle seiner Liebe zuströmen lässt2).

Beide, die Gerechtigkeit wie die Barmherzigkeit, erscheinen in unserem Texte als Folgen des Eifers des Heiligen, der in der Gerechtigkeit den Eifer um die Ehre seines Namens, in der Barmherzigkeit den Eifer um das Heil unserer Seelen ausübt welches von seines heiligen Namens Ehre durchaus abhängig ist, darum steht nicht umsonst die Bitte: geheiligt werde dein Name, oben an im Unser Vater. Diejenigen nun, welchen die Barmherzigkeit verheißen wird, sind deutlich bezeichnet als solche, die Gott lieb haben und seine Gebote halten.

Wenn es aber wahr ist, was wir gefunden haben, dass kein natürlicher, irdisch gesinnter Mensch Gottes Willen tun kann, weil er nicht Liebe zu Gott, sondern Gleichgültigkeit oder Feindschaft wider ihn in seinem Herzen hat, so ist es auch wahr, dass keinem solchen hier die Barmherzigkeit verheißen ist.

Mit dieser Annahme stoßen wir aber auf eine Einwendung, welche die Welt gern gegen unsere Lehre macht. Sie lautet also: Wenn Gott die Missetat der Väter an den Kindern heimsucht, so geschieht diesen Unrecht, denn was können sie dafür, dass ihre Eltern gesündigt haben? Darauf erwidert die Schrift: „Siehe, wie der Ton ist in des Töpfers Hand, also seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand. Plötzlich rede ich wider ein Volk und Königreich, dass ich es ausrotten, zerbrechen und verderben wolle. Wo sich aber das Volk bekehrt von seiner Bosheit, dawider ich rede; so soll mich auch reuen das Unglück, das ich ihm gedachte zu tun. Und plötzlich rede ich von einem Volk und Königreich, dass ich es bauen und pflanzen wolle. So es aber Böses tut vor meinen Augen, dass es meiner Stimme nicht gehorcht, so soll mich auch reuen das Gute, das ich ihm verheißen hatte zu tun“ (Jer. 18,6-10.). Und ferner: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich das Haus Israel und das Haus Juda besamen will, beides mit Menschen und Vieh. Und gleichwie ich über sie gewacht habe, auszureuten, zu zerreißen, abzubrechen, zu verderben und zu plagen: also will ich über sie wachen, zu bauen und zu pflanzen, spricht der Herr. Zur selbigen Zeit wird man nicht mehr sagen: Die Väter haben Herlinge gegessen, und der Kinder Zähne sind stumpf worden. Sondern ein Jeglicher wird um seiner Missetat willen sterben, und welcher Mensch Herlinge isst, dem sollen seine Zähne stumpf werden“ (Jer. 31,27-30).

Wie nun, ist Gott veränderlich, oder ist ein Widerspruch in seinem Worte? Mitnichten, sondern die Zeiten und Menschen sind veränderlich, und Gottes Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit wird ihnen zu Teil, je nachdem sie sich durch die eine strafen und durch die andere zur Buße leiten lassen. Wir drücken unsere Gedanken in den Worten eines ehrwürdigen alten Schriftforschers aus.

Bei jener Stelle, (Luk. 19,41-44) die uns die rührenden Tränen Christi über Jerusalem schildert, stellt er folgende Betrachtung an: „Die ganze Menschwerdung des Sohnes Gottes, und alle darin vorkommenden Umstände muss man immer als ein sichtbares Bild des unsichtbaren Gottes ansehen (Hebr. 1,3.) und also immer dazu nehmen, wie dadurch die beweglichen Erklärungen Gottes im Alten Testamente in der Person Christi sichtbarlich hingestellt werden, wie z. B.: Ich will hinabfahren, ich will sehen, ob sie getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder: mein Herz bricht mir gegen dir, was soll ich aus dir machen? soll ich dich wie Zeboim zurichten? Meine Barmherzigkeit ist zu brünstig; es reut mich des Unglücks; ich will nicht meinen ganzen Zorn gehen lassen; ich plage die Menschen nicht von Herzen usw. Wer den weinenden Sohn Gottes sieht, der sieht dem Vater ins Herz, aus dem alle obigen Erklärungen geflossen sind. Man muss es also nicht als etwas Vorübergehendes ansehen. Es war vorher so und es ist noch so, dem innersten Grunde nach. In der Menschwerdung des Sohnes Gottes unter seinen Tränen ist es uns nur einmal so nahe gebracht worden, damit wir es mit unserem Glauben desto leichter erreichen könnten. Jesu dabei geführte Reden erklären seine Tränen am besten. Er weint und will doch Niemand zwingen, sondern lässt es auf des Menschen Erkenntnis ankommen. Die Trägheit, die Falschheit, die sich nicht in die angebotene Gnade schicken will, frisst uns ein gnadenreiches Heute nach dem anderen weg, und so kommt man um seine ganze Gnadenzeit. Nicht über dem Bösen an seiner Zeit kommt man eigentlich ins Verderben, sondern mehr über dem versäumten Guten“. So weit der ehrwürdige Rieger.

Die Barmherzigkeit kann dem Menschen erst zu Teil werden, nachdem er seine und seiner Väter Missetat im Lichte der Gerechtigkeit, und Heiligkeit Gottes erkannt und bereut hat; dann aber strömet durch sie die Liebe Gottes in sein Herz, deren erste, natürlichste Frucht die Liebe des Menschen zu Gott ist, und diese ist eben der neue Same, mit dem die müden Seelen erquickt und die bekümmerten Seelen gesättigt werden, nachdem Gott der Herr in ihnen vom Tode erwacht. (Jer. 31,25.26.) Einen solchen Menschen aber, der aus Erkenntnis der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes zur Liebe zu Gott gelangt ist, nennen wir einen Christen und behaupten, dass er die Gebote Gottes hält. Namentlich wird er sich in der eitlen Einbildung seines Herzens keinen - falschen Begriff, kein unrichtiges Bild von Gott machen; denn er hat gelernt, den lebendigen Gott anbeten und ihm dienen, der uns seinen eingebornen Sohn als Abglanz seines Wesens in die Welt gesendet hat, durch den wir seine Eigenschaften, seinen Willen an uns und den gläubigen Gehorsam gegen sein Wort kennen lernen. In diesem Gehorsam aber finden wir die Bedingung der wachsenden Teilnahme an seiner Barmherzigkeit.

So wie der natürliche Mensch in seiner Gottentfremdung durch Wort und Werk der Sünde seinen unheiligen und unseligen Zustand auf seine Familie überträgt, so pflanzt der Christ durch Wort und Werk des Glaubens seinen seligen Zustand der erfahrenen Barmherzigkeit auf sein ganzes Geschlecht über, also dass des Gerechten Same ein Segen bleibt, Wenn auch nicht durch natürliche. Zeugung die neue Natur sich erben lässt, wie die alte Natur der Sünde, so liegt doch auf dem Geschlecht der Gerechten ein größerer Segen, als der Fluch ist, der auf dem Geschlecht der Gottlosen ruht; denn die Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht (Jak. 2,13,), was auch in unserer Stelle dadurch ausgesprochen wird, dass, während die Heimsuchung zum Gericht sich nicht weiter als bis in das vierte Glied erstreckt, die Heimsuchung zur Barmherzigkeit bis in die Tausende geht. Das ist auch ganz natürlich und gerecht, weil der unvergängliche Same des lebendigen Gotteswortes, das da ewiglich bleibt (1 Petr. 1,23.), mehr Lebenskeime in sich trägt, als der vergängliche Same der Sünde Todeskeime aufzuweisen hat.

Hat uns daher die Betrachtung des gerechten Gerichts Gottes dazu aufgefordert, dem zukünftigen Zorne zu entfliehen, so muntert uns die Erwägung seiner Barmherzigkeit noch viel mächtiger auf, uns entgegenzustrecken dem Vater, der sein ewiges Erbarmen uns als freies Gnadengeschenk zuwendet; und wir schließen mit der fröhlichen Überzeugung, dass, wenn Gottes Barmherzigkeit sich an unseren eigenen Herzen kräftig bewiesen hat, wir eben dadurch die Vermittler dieser seligen Erfahrung werden für unsere Familien, für unser Geschlecht, für das Volk, dem wir angehören, bis in die Tausende, sowohl ausbreitend in der uns gegebenen Gnadenzeit, als absteigend in die zukünftigen Zeiten. Ja, lobe den Herrn, meine Seele, und Alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, der dir alle deine Sünde vergibt und heilt alle deine Gebrechen; der dein Leben vom Verderben erlöst und dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Der deinen Mund mit Gutem sättigt, dass du wieder jung wirst, wie ein Adler. Er hat seine Wege Mosen wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht immerdar hadern, noch ewiglich Zorn halten. Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, waltet seine Gnade über die, so ihn fürchten. So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretungen von uns sein. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten. Denn er kennt, was für ein Gemächte wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind. Die Gnade des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun. Lobt den Herrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft. Lobe, meine Seele, den Herrn! Amen!

1)
Anm. Das Hahnemannsche System ist hier gemeint.
2)
„Die Barmherzigkeit ist eine Offenbarung der Liebe Gottes zu dem Menschen, in sofern dieser unglücklich ist, die Gnade, in sofern er schuldig ist durch die Sünde“. Evangel. Kirchenzeitung
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