Luther, Martin - Von der Furcht des Herrn

Luther, Martin - Von der Furcht des Herrn

Solches tut niemand, denn der den Herrn fürchtet, und wer sich an Gottes Wort hält, der findet sie. Und sie wird ihm begegnen wie eine Mutter und wird ihn empfahen wie eine junge Braut. Und sie wird ihn speisen mit Brot des Verstandes und wird ihn tränken mit Wasser der Weisheit. Dadurch wird er stark werden, daß er feststehen kann, und wird sich an sie halten, daß er nicht zuschanden wird. Sie wird ihn erhöhen über seinen Nächsten und wird ihm seinen Mund auftun in der Gemeine. Sie wird ihn krönen mit Freuden und Wonne und mit ewigem Namen begaben. Aber die Narren finden sie nicht, und die Gottlosen können sie nicht ersehen. Denn sie ist ferne von den Hoffärtigen, und die Heuchler wissen nichts von ihr. (Sirach 15,1-8)

1. „Wer Gott fürchtet, tut Gutes“, so heißt es im Predigerbuch. Dieses ist eine kurze Lehre denjenigen, welche zu wissen verlangen, wie sie sollen Gutes tun. Denn wenn du fragst: Wie soll ich Gutes tun? so antwortet er: Fürchte Gott, und was du in dieser Furcht tun wirst, das wird gut sein. Also heißt es auch im letzten Kapitel des Predigerbuches V. 13.: Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gehöret allen Menschen zu.„ Wir sollen demnach also schließen: Gleichwie es nicht geschehen kann, daß derjenige, der Gott fürchtet, tun sollte, was böse ist; also kann es auch nicht geschehen, daß derjenige, welcher Gott verachtet, tun sollte, was recht und gut ist. Und es ist nicht zu verwundern, sintemal selbst die Verachtung das Böse ist, und die Furcht selbst ist das Rechte und Gute. Denn wenn du auch Tote auferweckst und dabei sicher lebst, so tust du alsdann nicht das Gute; im Gegenteil, wenn du auch das geringste Werk tust, und dabei in Furcht lebst, so tust du alsdann das, was gut und recht ist. Ein jedes Werk hat so viel Gutes an sich, als von der Furcht Gottes dabei anzutreffen; und wiederum führt ein jedes Werk so viel Böses mit sich, als Verachtung dabei zu finden.

2. Da nicht allein die Werke, so wider das Gesetz geschehen, sondern auch diejenigen, die nach dem Gesetz geschehen, mit Verachtung Gottes und Furcht Gottes geschehen: so erhellt daraus, daß nicht allein die bösen Werke Sünde sind, sondern daß auch die guten Werke können Sünde sein, nämlich, die da in Sicherheit, Stolz und ohne Furcht Gottes geschehen. Zum andern, gleichwie dem, der Gott fürchtet, kein Fleiß nötig ist, Werke zu erwählen : also ist dem, der Gott nicht fürchtet, kein Fleiß hinlänglich in Erwählung der Werke. Dieses ist klar, weil viele, durch den Schwindelgeist getrieben, solche Werke erwählen, von welchen sie träumen, daß sie Gott gefallen, und auf welche sie sich verlassen; da sie doch solche gar nicht sind, als, Gebet, Fasten, Wachen usw. Denn diese Werke sind alsdann gut und gefallen Gott wohl, wenn sie in der Furcht Gottes geschehen; wie auch das Werk eines Schneiders, Schusters, Bürgermeisters, Fürsten, ja, eines jeden Kunst und Amtes auf solche Art Gott wohlgefällt. Nun aber erwählen sie solche, als ob sie an und für sich gefällig wären; da es doch im angeführten Spruch heißt: „Wer Gott fürchtet, der tut recht und gut“; als ob er sagen wollte: Soll jemand recht und gut tun, so ist vor allen Dingen nötig, daß er Gott fürchte; wenn er Gott nicht fürchtet, so ist's vergeblich, daß er meint, er tue Gutes.

3. Damit aber dieses mehr erläutert werde, so fragt sich's: Wie doch die Furcht Gottes könne etwas Gutes sein, da sonst dasjenige, was gefürchtet wird, verhaßt und nicht angenehm ist (wie der gemeine Spruch lautet, und der heilige Hieronymus sagt: Du kannst nicht anders, als denjenigen hassen, den du fürchtest), Gott aber das höchste Gut und höchst liebenswürdig ist. Die Natur der Furcht aber ist, daß sie wünscht, daß dasjenige nicht sein möchte, was sie fürchtet; denn auf diese Art wird gefürchtet die Hölle, der Tod, die Armut, und was nur ist, das man wünscht, es möchte nicht sein und aufhören zu sein: nun aber ist es die allergrößte Gotteslästerung, zu wünschen, daß kein Gott sei. Also heißt Gott fürchten so viel, als Gott fluchen; denn wünschen, daß Gott nicht sei, daß Gott nicht lebe, daß Gott nicht mächtig sei, daß Gott nicht weise sei, daß Gott nicht wolle, daß er nicht gerecht, wahrhaftig, gut usw. sei: was heißt es anders, als ihm das größte Unglück und Übel wünschen? Ich bringe demnach diese Frage bei aus keiner andern Ursache, als daß man sehe, wie wenig sind, die Gott segnen, loben und verherrlichen; und wie ein hohes Werk es sei, Gott recht zu segnen, zu loben, und zu verherrlichen. Denn es sind viele, die Gottes Lob mit dem Munde singen und lesen, deren Herz doch voll Gotteslästerung ist, ob sie gleich solches nicht glauben noch wissen. Von diesen sagt Gott durch Jesaiam Kap. 29,13.: „Dies Volk ehret mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne“, das ist, in dem Herzen tun sie allerdings anders durch die Gotteslästerung, als mit den Lippen. Von welchen es auch heißt Jes. 1,4.: „Sie haben gelästert den Heiligen in Israel.“ Und beim Jeremia spricht der Herr: „Sie lästern mich alle“; und Jes. 52,5.: „Mein Name wird immer täglich gelästert.“ Endlich heißt es auch von Hiob Kap 1,5., daß er besorgt habe, seine Söhne möchten den Herrn in ihrem Herzen gesegnet [d.h. den Abschied gegeben, ihm geflucht] haben (da er doch allerdings vermutete, daß sie ihn mit dem Munde gelobt haben), und für sie geopfert. Und hier lasset uns einschauen die ungeheure Furcht und schreckliche Gefahr unseres Lebens. Siehe, wie sehr ähnlich die Welt ist der Hölle; denn ein jeder Verdammte, ja, ein jeder sterbende Sünder ,fängt sofort an Gott zu lästern, und so wird er auch verbleiben ohne Ende und Aufhören. Fragt sich: Wie dieses zugeht? so antworte ich: Die Gotteslästerung des Herzens besteht darin, daß man will, wünscht und sich bestrebt, daß kein Gott sei: nun aber verabscheut und fürchtet ein Verdammter Gott auf das höchste, und alles, was er tut und will, redet er wider ihn. Aus welcher Furcht und Schreck denn auch herkommt, daß er Gott aufs höchste verabscheut, als einen Greuel achtet und haßt; und so geschieht es, daß man im Tode Gottes nicht gedenket, und in der Hölle niemand ihm dankt, Ps. 6,6. Alle nun, die außer dem Stande der Gnade sich befinden, sind diesen Verdammten gleich, ja, sie machen mit diesem Elende schon einen Anfang. Welches also bewiesen wird: Gleichwie die Auserwählten durch die Gnade befestigt werden, daß sie auch im Tode und in der Hölle Gott loben, geschweige denn in einem jeden andern zeitlichen Unglück und Schaden, indem sie alles dieses annehmen und billigen, als von Gott geschehen, der da ist gerecht , gut, wahrhaftig etc.: also sind die Verworfenen ohne die Gnade schwach und ohnmächtig, daß sie nicht allein vor dem Tode und der Hölle einen Abscheu tragen, sondern auch vor einem jeden Unglück; und wünschen also in allen Dingen das, was dem höchst guten Willen Gottes entgegen steht, widersetzen sich auch demselben aus aller Kraft, weil sie davor einen Abscheu haben, daß ihnen solches begegnet.

4. Die wenigsten sind demnach solche, die Gott loben; ja, so wenig sind derer, die Gott loben, als wenig derer sind, die ihn in Widerwärtigkeiten erheben, und das nicht allein mit dem Munde, sondern von Herzen. Denn sie haben einen Abscheu vor dem, was Gott gefällt, und wollen dasjenige nicht, was Gott will, weil alles geschieht nach Gottes Willen, von dem sie doch wünschen, daß er nicht sein möchte; und eben hierdurch fluchen und lästern sie mit dem Herzen.

5. Derhalben antworten wir auf die Frage: Daß ein anderes ist das Erschrecken, so einer hat vor Gott, ein anderes aber die Furcht Gottes. Die Furcht ist eine Frucht der Liebe; das Erschrecken aber der Grund und Ursprung des Hasses. Darum soll man vor Gott nicht erschrecken, sonder ihn fürchten, auf daß man nicht denjenigen hasse, der da soll geliebt werden. Denn wie ich gesagt habe, so ist die Natur des Erschreckens fliehen, hassen, verabscheuen, und eben hierdurch lästern, fluchen und wünschen, daß etwas nicht sei. Daher die Furcht Gottes besser verstanden wird durch die Ehrfurcht; als man sieht bei denen, die wir liebe, ehren, wert halten, und uns fürchten, sie zu beleidigen. Allein, dieses ist demjenigen unmöglich, welcher etwas anderes liebt als Gott. Denn indem er dieser Liebe nachstrebt und sich darauf verläßt, so fällt er notwendig, indem er sicher ist, in das Erschrecken, wenn ihm ein solches entzogen wird, das er liebt; gleichwie ein Haus, das auf dem Sand gebaut, wenn Regen und Wind hereinstürmen. Wer demnach Gott fürchtet, das ist, wer eine Ehrfurcht hat vor Gott, der tut Gutes, und ist nicht zu befürchten, daß er Böses tun werde.

6.Es ist demnach Gott nicht zu fürchten als ein Peiniger, oder Henker, oder Teufel, oder Hölle. Gleichwohl aber kann der Mensch von Natur, ohne die Gnade, sich nicht anders fürchten; wie wir sehen an dem Adam, welcher floh und sich im Paradies verbarg: es ist aber dieses allen Verbannten erschrecklich. Daher finden wir in der Schrift von einer doppelten heiligen Furcht, als, Psalm 19, 10.: „Die Furcht des Herrn“, das ist , die Ehrfurcht vor Gott, „rein, und bleibt ewiglich.“ Also zittern auch die Engel und die Kräfte, wie es heißt Ps. 111,9.: „Heilig und hehr ist sein Name“; und Ps. 2,11.:„Dienet dem Herrn mit Furcht, und freuet euch mit Zittern.“ Es wird aber diese Furcht heilig genannt, weil sie den Menschen heiligt und auf das reinste darstellt, also daß er gar nicht begehrt, was sein ist, sonder allein, was Gottes ist. Und wie diese Furcht bestehen könne mit der Sicherheit, wissen und erkennen wir darum nicht, weil wir nichts als knechtische Furcht erfahren haben. Es gibt doch aber der heilige Augustinus, wie der Magister Sententiarum meldet, ein Gleichnis von einem keuschen züchtigen Eheweibe. Diese Furcht nennen die Theologen eine kindliche und eine freie Furcht; jene aber, die knechtische Furcht, nennen sie eine lohnsüchtige, gezwungene und äußerliche, und eben deswegen eine unreine, davon es heißt 1. Joh. 4, 18.: Furcht ist nicht in der Liebe.“ Ist also diese von der wahren Furcht unterschieden: erstlich, weil dieselbe Pein hat; denn sie ängstet denjenigen, der sich also fürchtet. Die heilige Furcht aber hat Vergnügen, weil sie gegen den, den sie liebt, also bewegt wird, daß sie ihm nicht genugsam kann Ehrerbietung erweisen. Zum andern, so hat jene Furcht sorge und Bekümmernis; diese hat aber Sicherheit. Drittens, findet sich bei jener Haß; bei dieser aber Liebe. Viertens, findet sich bei jener Begierde nachzulassen; bei dieser aber das Verlangen, beständig anzuhangen. Fünftens, so hat jene etwas anderes als Gott; diese aber hat nichts außer Gott, wie es heißt Jes. 8,18.: „Heiliget den Herrn Zebaoth.“ Sechstens, so ist jene äußerlich ; diese innerlich. Siebentens, so ist jene zeitlich; diese aber bleibt in Ewigkeit. Sie dauert so lange, als die Pein währet; denn wenn die Pein aufhörte, so würde sie auch den verlachen, den sie jetzt fürchtet. Und also legt sie auch das Innere des Herzens dar; denn innerlich verdammt sie, äußerlich aber fürchtet sie; ist also eine gezwungene und erpreßte Furcht. Endlich so ist auch offenbar, daß sie etwas anderes fürchtet als Gott, nämlich, die Strafe, und also fürchtet sie Gott nicht.

7. Gleichwie wir in diesem Leben die Befehle Gottes nicht erfüllen , also werden wir auch nicht vollkommen in der heiligen Furcht, wie dieselbe so groß ist als die Liebe Gottes : die Liebe Gottes aber ist nicht vollkommen in diesem Leben.

8. Derhalben, gleichwie eine jede Tugend viele Stufen hat, also hat sich's auch mit der Furcht. Denn einige sind so gar närrisch, daß sie auch Gott nicht fürchten wegen der Hölle, des Todes, noch wegen anderer unzähliger leiblicher Plagen und Unglück. Zum Exempel: Gott schlägt ein Land mit Pestilenz, teurer Zeit, Krieg, Brandschatzung, Tyrannei, Wassersnot, Mißwachs und Unfruchtbarkeit; desgleichen, mit mancherlei abscheulichen außerordentlichen Krankheiten: so behalten diese dennoch eine verhärtete Stirn und Nacken, und fürchten Gott nicht; sie weichen auch nicht von ihren bösen Wegen, daß sie Gutes tun, sondern sie werden immer schlimmer; wie wir dieses sehen zu unsern Zeiten bei den vielfältigen und höchst elenden Plagen, davon Jesaias sagt Kap. 1,5.: Was soll man weiter an euch schlagen, so ihr nur des Abweichens desto mehr machet?„ Und Kap. 9,13. heißt es: „So kehret sich das Volk auch nicht zu dem, der es schlägt“; wie auch Amos hiervon redet Kap. 5.

9. Ferner, so sind andere, die nur erschreckt werden durch die Plage; als durch Geißeln , so von Gott geschickt werden, und abweichen vom Bösen: diese aber sind noch im untersten Grad der Furcht; denn sie weichen nur so lange vom Bösen , als die Strafe und Plage währet; wenn sie aber wiederum Ruhe kommen, fallen sie zurück auf ihre vorigen Wege, dazu sie sich einmal gewöhnet haben; an diesen arbeitet nun Gott, als an verdrießlichen Knechten, mit Schlagen, Treiben, Dräuen. Und diese sind im Stande der Anfänger und die um der Strafe willen sich fürchten; von welchen es heißt Ps. 32, 9.: „Welchen man Zaum und Gebiß muß ins Maul legen, wenn sie nicht zu dir wollen.“ Von den Sündern aber, die durch keine Strafe und Plage bewegt werden, spricht er: „Der Sünder“ (nach dem Hebräischen, der Gottlose) „hat viel Plagen.“ Es gibt aber zwei Arten derer, die da ohne alle Furcht Gottes leben. Die ersten , welche, gleich dem dummen und stummen Vieh, auch nicht einmal daran gedenken oder glauben, daß dasjenige Übel, damit sie geplagt werden, von Gott herkomme; sondern sie schreiben solches zu entweder dem Teufel oder bösen Menschen, oder den himmlischen Planeten, oder andern Ursachen. Dieser Menschen Blindheit ist eine handgreifliche Finsternis; denn daher kommt es, daß sie mehr verhärtet werden als Pharao; sie fluchen und werden schlimmer, bis sie endlich in Gotteslästerung verfallen. Die andern sind subtiler, die da zwar wissen, daß das Übel von Gott komme, aber sie sind sicher, darum, weil sie nicht extrem böse sind und ihre Gerechtigkeit überlegen, daß sie alsbald den Ausspruch tun oder zum wenigsten es also bei sich fühlen, daß das Übel komme um anderer böser Leute willen; um ihrer aber, als frommer Leute willen käme es nicht. Ist demnach unmöglich, daß beide Arten durch Plagen sollten gebessert werden. Die erste Art wird darum nicht gebessert, weil sie nicht glaubt, daß es von Gott komme; die andere Art darum, weil sie nicht glaubt, daß es ihretwegen komme; ja, sie halten dafür, es geschehe ihnen unrecht, wenn sie von jemand darüber erinnert werden; und wenn sie etwas von Plagen leiden, sehen sie sich an als Leute von großem Verdienst, die nicht geschlagen werden aus Verdienst der Schuld, sonder zum Verdienst der Herrlichkeit. dieser Leute Geduld ist die allerstolzeste Einbildung, da doch der sehr heilige Daniel mit seinen Gesellen, wie auch viele heilige Märtyrer alle ihre Verfolgung ihren Sünden zuschrieben; daher sie allezeit sich beflissen, in der Furcht Gottes besser zu werden, und sind durch die Strafen erinnert worden, in Demut weise zu sein; da jene im Gegenteil sicher sind und danken beinahe Gott, nicht weil sie durch die Plage bewegt werden, denn dieses ist gut, sondern weil sie sich die Märtyrerehre beilegen.

10. Drittens, sind andere, die aber doch sehr rar sind, welche, nach überwundener Furcht vor dem zeitlichen Übel, sich gleichgültig verhalten, wenn dasselbe entweder herbei naht oder wieder weg weicht, sie mögen nun damit getroffen werden oder nicht, und haben eine Furcht vor dem Zukünftigen und Ewigen, in welcher Furcht sie das Gute tun und das Böse lassen, welches sie sonst weder tun noch lassen würden. Dergleichen sind gewesen die meisten unter den Heiligen; daher auch David spricht Ps.6,2.: „Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn“ usw., und an vielen andern Orten. Weil er spricht: „Im Tode gedenkt man deiner nicht, wer will dir in der Hölle danken?“: so schließen wir daher, daß derjenige, so dieses gesagt hat, sich allerdings hat vor der Hölle gefürchtet. Es sind aber auch diese doppelter Art: einige sorgen entweder gar nicht, oder doch nicht viel, ob eine Hölle sei, und glauben solches entweder gar nicht oder doch sehr wenig; deren heutzutage gar zu viel sind, zum wenigsten dem herzen nach. Die andern sind gleichfalls gar zu gerecht, die da wissen und glauben, daß eine Hölle sei, sich aber davor nicht fürchten, als ob sie ihnen bereitet wäre, indem die allezeit von sich selbst die beste Meinung haben. von diesen heißt es Jes.28,15.: „Wir haben mit dem Tode einen Bund und mit der Hölle einen Verstand gemacht: wenn eine Flut daher gehet, wird sie uns nicht treffen“ usw.; und Ps. 10,6.: „Er spricht in seinem Herzen: Ich werde nimmermehr danieder liegen, es wird für und für keine Not haben“; und wiederum V.5.: „Er fährt fort mit seinem Tun immerdar.“ Die wahrhaften Gerechten aber fürchten sich gar sehr vor der Hölle und dem Tode. Ihre Stimme ist, jes.38,10.: „Ich sprach: Nun muß ich zur Hölle fahren in der Hälfte meiner Tage“; und wiederum Ps. 88,4.: „Meine Seele ist voll Jammers, und mein Leben ist nahe bei der Hölle“; und wiederum Ps 141,7.: „Unsere Gebeine sind zerstreuet bis zur Hölle“; daher haben wir das genaue Sprichwort: Welche bei ihrem Leben in die Hölle steigen, die steigen nicht hinein, wenn sie sterben. Denn dieses wünscht ihnen der 9. Psalm V.18.: „Ach daß die Gottlosen müßten zur Hölle gekehret werden, alle Heiden, die Gottes Wort vergessen“; und anderswo (Ps. 55,16.): „Der Tod übereile sie, und müssen lebendig zur Hölle fahren.“ Daher auch ein wahrhafter Gerechter glaubt, daß alle selig werden, und fürchtet sich, daß er allein verdammt gehe. Und diese ist ein guter Gedanke, es haben ihn auch viele, sie wissen aber desselben Nutzen nicht. Denn also ist jener Gerber zu Alexandrien über den heiligen Antonium gewesen, weil er hat sagen können: Er allein sei verdammlich, alle anderen aber der Seligkeit wert. Die hoffärtigen im Gegenteil, die da meinen, daß alle anderen verdammlich, sie aber allein der Seligkeit wert sind, die fürchten sich nicht. Daher redet sie der Apostel Röm. 2,5. gar heftig an, da er spricht: „Du aber, nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen, häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns.“

11. Du möchtest aber sagen: Ich habe öfters von dir sagen gehört, daß man sich vor der Hölle nicht fürchten solle, daß man auch Gott nicht um der Hölle willen fürchten solle, und daß wer die Hölle fürchtet , in dieselbe komme. Darauf antworte ich: Ich habe auch gesagt, daß Gott über alles müsse geliebt werden, und daß man Keuschheit, Demut, Liebe gegen den Nächsten und dergleichen haben müsse, und ohne diese Stücke niemand könne selig werden; daß aber gleichwohl niemand sei, der dieses habe in dem Maße, so zur Seligkeit hinreichend ist, sondern, daß es erst erwartet wird im Zukünftigen, da es durch Christum soll geschenkt werden. Also ist niemand, soll auch niemand sein ohne Furcht vor der Hölle, er sei denn der allervollkommenste. Daher ist auch der Gerechten Furcht allezeit gemischt aus einer heiligen und knechtischen Furcht; aber sie gelangen immer mehr und mehr von der knechtischen zur heiligen, bis sie endlich nichts als Gott fürchten. Und auch an diesem Ort verstehen viele diesen Unterschied fälschlich. Es wird recht unterschieden die knechtische und kindliche Furcht: aber es wird fälschlich verstanden, daß die knechtische nicht stattfinde bei einem Menschen, der mit Liebe und Gnade geschmückt ist, und daß sie nicht bestehen könne zugleich mit der Liebe und mit der Gnade. Denn deswegen wird niemand verdammt werden, weil er sich vor der Hölle fürchtet. Dieses soll niemand lehren oder also verstehen. Denn 1. Joh. 4,18. spricht der Apostel nicht: Die Liebe treibt die Furcht aus, sondern er sagt: „die völlige Liebe“; und wiederum sagt er: „wer sich fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe“; er spricht aber nicht: Er ist nicht in der Liebe.

12. Denn die anfangende Liebe und die große knechtische Furcht stehen zugleich beisammen, es nimmt aber die Furcht so viel ab, als die Liebe zunimmt. Denn gleichwie es ist bei anderen Tugenden, daß sie sich zugleich befinden mit den ihnen entgegen stehenden Lastern, so lange bis die Laster bestritten sind, da sie denn allein regieren: also ist die reine und nicht reine Furcht Gottes zugleich bei demjenigen, der noch nicht vollkommen ist. Denn also findet sich bei der Hoffnung die Furcht; bei dem Glauben das Wanken, vornehmlich in der Versuchung; bei dem Gehorsam das Murren; bei der Freigebigkeit der Geiz; bei der Weisheit die Torheit; bei dem Mut und Stärke die Furchtsamkeit usw.; bei der heiligen Furcht die knechtische, und beider Gnade die Sünde. Denn es geschieht dieses auch in natürlichen Veränderungen, daß das Warme mit dem Kalten, das Weiße mit dem Schwarzen, der Reichtum mit der Armut, das Gesunde mit dem Kranken streitet, und wird allein daher das eine also genannt, weil es unvollkommen gegen das andere; und wird daher ein solches genannt, weil es von dem einen abgekehrt ist und zu dem andern gekehrt. Es wird also gerecht genannt nicht derjenige, der es ist, sondern der es wird, nach dem Spruch (Offenb.22,11.): „Der Gerechte werde immer mehr und mehr gerechtfertigt.“ Denn alle Bewegung geht zum Teil auf den terminus a quo (Ausgangspunkt) und zum Teil auf den terminus ad quem (Zielpunkt); gleichwie ein Kranker, der, indem er geheilt wird, sich befindet in der Krankheit, die da von ihm weicht, und in der Gesundheit, die da zu ihm naht: also ist der Gerechte allezeit mit dem linken Fuß und nach dem alten Menschen in der Sünde, und mit dem rechten, das ist, mit dem neuen Menschen, befindet er sich in der Gnade, du also auch zugleich in der knechtischen Furcht vor der Hölle und in der heiligen Furcht vor Gott.

13. Wenn derhalben gesagt wird, daß wer sich vor der Hölle fürchtet, in dieselbe komme; so wird dieses verstanden von demjenigen, der nicht anders als auf eine pur knechtische Art sich fürchtet. Ein solcher aber ist ein jeder, welcher außer der Gnade ist, welche Gnade allein anhebt die heilige Furcht und die knechtische ausläßt. Gleichwie wenn es heißt: “ Wer nicht glaubt, der wird verdammt„(Mark. 16,16.),solches verstanden wird von demjenigen, der gar nicht glaubt. Denn sonst spricht auch Christus zu den Aposteln (Joh.14,11).: „Ihr glaubet nicht, daß ich im Vater, und der Vater in mir ist“,; und wiederum : „Glaubet ihr an Gott, so glaubt ihr auch an mich“; ja, endlich haben sie auch selbst gesagt (Luk. 17,5.): „Herr, mehre uns den Glauben“,; da bitten sie nämlich um die Vermehrung des angefangenen Glaubens.

14. Es sind demnach, zum vierten, andere, die sich auch selbst nicht ganz und gar fürchten vor dem Ewigen, weil sie in der Liebe gar sehr gestärket sind; und deren Furcht, damit sie sich allein vor Gott fürchten, ist heilig. Und wie ich gesagt habe, so gelangen die wenigsten in den Stand, darin die Apostel gewesen, welcher uns vielmehr gezeigt ist als ein Ziel, danach wir uns bestreben sollen, daß wir es erlangen, nicht aber meinen, daß es schon erlangt sei. Ja, auch selbst die Apostel und Propheten sind nicht immerdar auf diesem Gipfel gewesen, weil Paulus sagt (2. Kor. 7,5.): „Auswendig Streit, inwendig Furcht.“ Auch Elias flieht vor dem Zorn der Isebel aus einer zeitlichen Furcht, nämlich aus Furcht des Todes, indem er spricht: „Sie trachten mir nach meinem Leben.“ Es sind demnach nach diesen unterschiedenen Graden der Furcht auch die Gaben daß es nicht heißt: Wer Gott fürchtet, der tut große, gewaltige und weise Dinge, sondern es heißt: Er tut „Gutes“.

15. Es fürchtet demnach der erste Grad Gott um etwas anderen willen; der andere Grad fürchtet Gott vermischt, um Gottes und um etwas anderen willen; der dritte Grad fürchtet Gott lauter um Gottes willen. Der erste Grad teilt demnach die Liebe und Furcht, indem er etwas liebt, das er nicht fürchtet, und indem er Gott fürchtet, den er nicht liebt. Der dritte Grad faßt beides zusammen, nämlich, die Liebe und Furcht. Der andere und mittlere vermischt beides. Also teilt die knechtische Furcht allezeit die Seele, daß sie auf zwei Teile und auf das , was sie fürchtet; die kindliche Furcht aber richtet sich nur auf eins, welches sie fürchtet und liebt.

Dr. Martin Luther, gehalten 1515 in der Pfarrkirche zu Wittenberg (W2 XII, 1696)

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