Luther, Martin - Brief "wider die Antinomer" (Gesetzesstürmer)

Luther, Martin - Brief "wider die Antinomer" (Gesetzesstürmer)

an Dr. Güttel, Prediger zu Eisleben, vom Jahr 1539

Gnade und Friede in Christo, lieber Herr Doktor! Ich halt wohl, daß euch nun längst zukommen sind die Disputationen wider die neuen Geister, so das Gesetz Gottes oder zehn Gebote aus der Kirche zu stoßen und auf's Rathaus zu weisen sich unterstanden haben; welcher Geisterei ich mich hätte nimmermehr versehen, daß einem Menschen sollte einfallen, schweig denn vorzunehmen sein; aber der Satan will mich immer mit einmengen. Billig sollten sie mich angeredt haben: Lieber Dr. Luther! Wie, daß du so heftig die zehn Gebot treibest, so doch deine Lehre ist, man solle sie verwerfen? und nicht heimlich hinter mir hergraben und auf meinen Tod warten, darnach aus mir machen, was sie wollten. Wohlan, es sei ihnen vergeben, welche davon ablassen.

Ich habe freilich gelehrt, lehre auch noch, daß man die Sünder solle zur Buße reizen durch die Predigt oder Betrachtung des Leidens christi, damit siesehen, wie groß der Zorn Gottes über die Sünde sei, daß dawider keine andere Hilfe sei, denn daß Gottes Sohn müsse dafür sterben; welche Lehre nicht mein ist, sondern der ganzen Christenheit, aller Propheten und Apostel Predigt. Wie folgt aber hieraus, daß man das Gesetz darum solle wegthun? Wenn Jesajas spricht K. 53, 8.: „Ich hab ihn geschlagen um meines Volks Sünde willen“: heißts nicht so viel als: darum, daß mein Volk gesündigt wider mein Gesetz? Oder kann auch Jemand denken, daß Sünde etwas sei, wo kein Gesetz ist? Wer das Gesetz wegthut, der muß die Sünde auch mit wegthun. Will er die Sünde lassen stehen, so muß er das Gesetz vielmehr lassen stehen. Denn wo nicht Gesetz ist, da ist keine Sünde (Röm. 5, 13.): ist keine Sünde da, so ist Christus nichts. Denn warum stirbt er, so kein Gesetz noch Sünde da ist, dafür er sterben müsse? Aus dem sieht man, daß der Teufel durch diese Geisterei nicht das Gesetz meint wegzunehmen, sondern Christus den Erfüller des Gesetzes. Denn er weiß wohl, daß Christus kann wohl bald und leichtlicih weggenommen werden; aber das Gesetz ist ins Herz geschrieben (Röm. 2, 15.), das nicht möglich ist wegzunehmen. Er gehet aber damit um, daß er die Leute sicher mache und lehre sie beide, Gesetz und sünde, nichts achten, auf daß, wenn sie einmal plötzlich mit Sterben oder bösem Gewissen übereilet, so zuvor eitel süßer Sicherheit gewohnet, müßten ohne allen Rath zur Hölle sinken, als die nichts Anders gelernet hätten in Christo, denn süße Sicherheit; darum solch Schrecken ein gewiß Zeichen wäre, daß Christus (der eitel Süßigkeit sein muß) sie hätte verstoßen und verlassen. Das suchet und wollt der Teufel gern.

Es siehet mich aber die Sache an, als stecken solche Geister in der Meinung, daß alle die, so der Predigt zuhören, eitel Christen wären, die ohne Sünde sind. Sind es doch eitel betrübte, elende Herzen, die ihre Sünde fühlen und Gott fürchten, die zu trösten sind; denn solchen kann man nimmermehr den lieben Jesum gnugsam süße machen, sie bedürfens noch vielmehr, wie ichs (will mein selbst schweigen) an Vielen wohl erfahren. Aber solche Geister sind selbst nicht solche Christen, weil sie so sicher und guts Muths sind; eben so wenig sind es ihre Zuhörer, so auch sicher sind und guter Dinge. S. Luc. 1, 50 - 53. Darum bitte ich euch, mein lieber Herr Doktor, wollet bleiben, wie ihr besher gethan, in der reinen Lehre, und predigen, daß man die Sünder solle und müsse zur Buße reizen; nicht allein durch die süße Gnade und Leiden Christi, daß er für uns gestorben ist, sondern auch durch des Gesetzes Schrecken. Denn daß sie vorgeben, man müsse allein einerlei Weise halten zu predigen die Buße, nämlich daß Christus für uns gelitten hat, sonst möchte die Christenheit irre werden, welches der rechte, einige Weg sei, das ist nichts; sondern man soll allerlei Wege predigen, als Gottes Dräuen, Verheißen, Strafe, Hülfe und was man kann, damit wir zur Buße d. i. mit allen Exempeln der Schrift zur Erkenntniß der Sünden und Gesetzes gebracht werden, wie alle Propheten, Apostel und St. POaulus Röm. 2, 4. thun. Lieber Gott, kann man denn nicht leiden, daß die heilige Kirche sich für eine Sünderin erkennt, glaubt Vergebung der Sünden, bittet dazu im Vater Unser um Vergebung der Sünden? Woher weiß man aber, was Sünde sei, wo das Gesetz und Gewissen nicht ist? Und wo will man lernen was Christus ist, was er gethan hat für uns, wo wir nicht wissen sollen, was das Gesetz sei (welches er für uns erfüllt), oder was Sünde sei, dafür er gnug gethan hat? Und wenn wir gleich des Gesetzes für uns nicht bedürften, und es aus dem Herzen reißen könnten, das doch unmöglich ist, so müßten wirs doch um Christus willen predigen, damit man wüßte, was er für uns gethan und gelitten hätte. Denn wer könnte wissen, was Christus und warum Christus für uns gelitten hätte, wenn Niemand wissen solt, was Sünde oder Gesetz wäre? Darum muß doch das Gesetz gepredigt werden, wo man Christum predigen will. Ob man gleich das Wort Gesetz nicht nennen wollt, damit wird gleichwohl das Gewissen erschreckt durchs Gesetz, wenn die Predigt sagt, daß Christus das Gesetz für uns hat so theuer erfüllen müssen: warum will man es denn wegthun, das nicht kann weggethan werden, ja durchs Wegthun desto tiefer gestärkt wird? Denn das Gesetz erschreckt wohl greulicher, wenn ich höre, daß Christus, Gottes Sohn, hat müssen dasselbe für mich tragen, weder so es mir außer Christo und ohne solche große Marter des Sohnes Gottes nur allein mit Dräuen wäre vorgepredigt. Denn an dem Sohn Gottes sehe ich, als in der That, den Zorn Gottes, den mir das Gesetz mit Worten und geringern Werken zeiget.

Sie haben ihnen erdichtet eine neue Methode, daß man solle zuerst die Gnade predigen, darnach Offenbarung des Zorns, auf daß man das Wort „Gesetz“ ja nicht hören noch reden dürfe. Sehen aber nicht, sie St. Paulus Röm. 1 - 3. gerade widersinnlisch lehret, fähet an und zeigt K. 1. erstlich den Zorn Gottes vom Himmel, und macht alle Welt zu Sündern und schuldig vor Gott; darnach, so sie zu Sündern worden sind, lehret er sie, wie man Gnade erlange und gerecht werde. Und ist auch das eine sonderliche Blindheit, daß sie meinen, Offenbarung des Zorns sei etwas anders weder das Gesetz; denn Offenbarung des Zorns ist das Gesetz, wo es erkannt und gefühlt wird, Röm. 4, 15. Sie aber kehren den Schuh um, und lehren uns das Gesetz nach dem Evangelio, und den Zorn nach der Gnade. Denn sie wollen das Gesetz wegthun, und lehren doch den Zorn; welches allein das Gesetz thun muß.

Aus diesem allen sehen wir, und wo wir wollten, könnten wir wohl verstehen die Historien von Anfang der Kirche, daß es allezeit so zugegangen ist, wenn Gottes Wort etwa ist aufgangen und sein Häuflein zusammen gelesen, so ist der Teufel des Lichts gewahr worden, und hat aus allen Winkeln dawider geblasen, geweht und gestürmt mit starken, großen Winden, solch göttlich Licht auszulöschen. Und ob man einem oder zween Winden hat gesteuert oder gewehrt, so hat er immer für und fürzum andern Loch hereingeblasen und gestürmt wider das Licht, und ist kein Aufhören noch Ende gewest, wird auch nicht werden vor dem jüngsten Tage. Ich halt, daß ich allein mehr denn zwanzig Sturmwinde und Rotten, die der Teufel geblasen hat, erlitten habe. Und wenn ich noch hundert Jahr sollt leben, und hätte nicht allein die vorigen und jetzigen Rotten und Sturmwinde (durch Gottes Gnaden) gelegt, sondern könnte auch alle künftigen also legen, so sehe ich doch wohl, daß damit unsern Nachkommen keine Ruhe geschafft wäre, weil der Teufel lebt und regiert; darum ich auch bitte um eine gnädige Stunde, und begehr des Wesens nicht mehr. Ihr, unsere Nachkommen, betet auch, und treibt das Wort Gottes fleißig, erhaltet das arme Windlicht Gottes, seid gewarnet und gerüstet, als die alle Stund gewarten müssen, wo euch der Teufel etwa eine Scheibe oder Fenster ausstoße, Thür oder Dach aufreiße, das Licht auszulöschen; denn er stirbt nicht vor dem jüngsten Tage. Ich und du müssen sterben, und wenn wir todt sind, bleibt er gleichwohl der, so er allzeit gewest, und kann sein Stürmen nicht lassen. Es heißt „Wachet“, denn der Teufel heißt ein brüllender Löwe, der umher geht und will verschlingen, nicht allein zur Apostel Zeit, da St. Petrus Solches redet, sondern bis an der Welt Ende: darnach mögen wir uns richten. Gott helfe uns, wie er unsern Vorfahren geholfen und unsern Nachkommen auch helfen wird, zu Lob und Ehren seinem göttlichen Namen in Ewigkeit. Denn wir sind es doch nicht, die da könnten die Kirche erhalten; unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen; unsere Nachkommen werdens auch nicht sein; sondern der ist's gewest, ist's noch, wirds sein, der da spricht: „Ich bin bei euch bis zur Welt Ende“, wie Ebr. 13, 8. steht: „Jesus Christus gestern und heute und in Ewigkeit“, und Offenb. 1, 4.: „Der es war, der es ist, der es sein wird“. Ja, so heißt der Mann, und so heißt kein ander Mann, und soll auch keiner so heißen.

Unser lieber Herr Christus sei und bleibe unser lieber Herr Christus, gelobet in Ewigkeit, Amen.

Quelle: Die vier Reformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin

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