Luther, Martin - Antrittsrede, da er mit der theologischen Doctorwürde bekleidet wurde

Luther, Martin - Antrittsrede, da er mit der theologischen Doctorwürde bekleidet wurde

Ein löblicher Gebrauch und unserer Aelterväter Sitte gebeut es, daß der, welcher zu den erhabenen Beruf gelanget, den man die Doctorwürde nennet, zuvor eine kurze Vorlesung über die heilige Schrift vor dieser Versammlung halte. Da nun Gott, nach seinem besten Willen, es also geordnet hat, daß auch ich, vor andern verdienstvollen Männern, zu dieser Katheder berufen, oder vielmehr wider meine Neigung gezogen werde; so ist es meine Pflicht, daß auch ich dieser Gewohnheit und den Befehlen meiner Vorgesetzten gehorche. Allein wenn ich nach der Wichtigkeit meines Amtes und nach meinen geringen Talenten, die der geheiligten Versammlung so großer Männer nicht würdig genug würdiges vortragen können; wenn ich in dieser Rücksicht Eurer Erwartung minder entspreche, so werd ich doch meinen Kräften aufbieten, auf daß Ihr sehet, ich habe denn doch anderer Seits mich folgsam bewiesen: ich werde kurz seyn, und nur Weniges sagen, da ich nichts Vortrefliches und würdiges zu sagen weis.

Fern von kühnem Selbstvertraun wag ich es also, dieses Feld zu betreten. Da ich nicht auf eigene Kräfte zählen darf, so greif ich nach jenem sichern Stab, der mich festen Schrittes leitet, jene Worte des Herrn Christus: Ich will euch die Gabe zu reden und Weisheit geben, der niemand zu widersprechen noch zu widerstehen vermag, die mir stets Muth eingeflößt haben. Denn sich über das allgemeine Lob der Gottesgelehrsamkeit zu verbreiten, oder auch nur das Vorzüglichste davon auffassen zu wollen, daß hieße ja klar an den Tag legen, man wisse nicht, wovon man rede.

Zu erst also verheißet uns Christus, er wolle uns die Gabe zu reden und Weisheit geben. Schon dadurch empfiehlt er uns dann die göttlichen Wissenschaften, damit wir sehen, daß sie Gottes Gabe sind; nicht philosophische Kenntniß, nicht die Geburt der menschlichen Vernunft, sondern eine Gabe von oben herab, gegeben und eingegoßen durch seinen heiligen Geist. So spricht er auch anderswo: Euch ist gegeben, die Geheimniße des Himmels zu verstehen. Und Paulus rufet allenthalben, es sey ein Geheimniß, verborgen vor dieser Welt, daß kein Fürst dieser Erde begreifet. Doch die Sache redet von selbst. Denn wie viele besitzen wol diese Weisheit, sollten sie sie auch immer vor sich sehen, immer davon hören. Daher auch auf sie geschrieben ist: Sie sehen mit Augen nicht, und vernehmens nicht mit Ohren.

Und doch widerspricht der größte Theil der Menschen, und schwatzet Unsinn, wie ebenfalls Esaias bezeuget: Ich streckte den ganzen Tag meinen Arm aus gegen ein ungläubig Volk, das mir stets widerspricht. Hierin wird uns jenes große, erstaunungswürdige Wunder geoffenbaret: nichts ist so allgemein, nichts so sehr in die Augen fallend, als die Kenntniß göttlicher Dinge; sie verbreitet ihr Licht, gleich der Sonne und der Gestirne, durch alle Finsterniße, und doch begreifen sie nicht die Finsterniße, sie fliehn, und hassen sie vielmehr. Dadurch erkennen wir, daß sie keine Gabe der Natur sey, kein Schatz, der durch sie könne erworben werden. Nur jene kennen dieses Geschenk, denen gegeben ist, daran Theil zu nehmen. Man bringe es den übrigen Haufen mit beiden Händen dar, er wird es vielmehr für schädlich Gift, als für Wohlthat halten.

Allein eben dadurch wird es auch uns eingebunden, die wir in der That Gottesgelehrte sind, oder doch scheinen wollen, daß wir, nach jenem schreckenden Ausspruch des Herrn Christ unter einander mit Demuth weise seyn, daß sich einer nicht über den andern erhebe, weil er es umsonst erhielt. Wir erfahren täglich, daß nur allzuviele sich diese Gabe in vollem Maaße zuschreiben, und ich weis nicht, mit was für Schätzen der Weisheit und Kenntniß brüsten, da sie doch im Grunde nichts anders besitzen, als jener stolzen Funken des Verstandes dieser ärmlichen Natur. Mit zuversichtlicher Dreistigkeit bereden sie sich, sie könnten Machtsprüche thun in einer Wissenschaft, die nicht ihre ist, würdigen sie tief herab, und sehen auf sie herunter; da doch dieser Gabe Kraft und Macht zukömmt, das Tribunal aller Verstandeskräfte zu seyn, und alle die Weisheit der gesammten Vernunft zu beurtheilen und darüber abzusprechen. Daher kömmt es, daß dergleichen Söhne des Stolzes alles untereinander werfen, und zwischen ihr und den Naturgaben keinen Unterschied machen. Da sie sich einmal beredet haben, sie besäßen die Gottesgelehrtheit, so sind sie albern genung, alles dieses für göttliche Gabe zu halten, was ihnen die Natur eingiebt. Wahrlich es waren Menschen, denen Christus sagte: Ich will euch geben. Sie besaßen, besitzen noch, und werden stets besitzen, was sie zu Menschen machet, nemlich eine vernünftige Seele. Und wie groß ist nicht der bloß menschliche Verstand? Und doch spricht die Gottesgelehrsamkeit von allzu engen Schranken, da sie noch von einem Zusatze redet. Daher quollen jene einheimischen Kriege, Ketzereyen, Hader und Aergerniß in der Kirche Gottes, weil jedermann entscheiden will, und wirklich entscheidet, als hätt' er die Gabe, so recht nach der Vernunft, und doch dem Geiste Gottes - vorbey. So ward auch der Antichrist gebohren, der sich in den theologischen Wissenschaften so viel heraus nimmt. Die aber, die die Gottesgelehrtheit für ein Geschenk des Himmels, nicht der Natur halten, lassen sich gerne zu recht weisen, ja wünschen es mit Demuth, wie David spricht: Der Gerechte schlage mich freundlich, das wird mir so wohl thun, als ein Balsam auf meinem Haupte.

Doch dieses gehört nicht hierher; halten wir uns an die Worte Christi; Ich will euch, spricht er, die Gabe zu reden und Weisheit geben. Er verheißet uns also zwey Dinge durch die göttlichen Wissenschaften: Worte und Weisheit darin. So lobet man auch die Schriften der Alten und lehret, daß beide, die Worte und die Sachen einen guten Redner ausmachten. Worte ohne Sache halten wir für Wasserblasen, und was immer sie an Leerheit übertrefen kann; hingegen Sachen ohne zierliche Worte lassen frostig, und verdienen unser Mitleid. Eben so schaden, nach dem Ausspruche des heiligen Augustins, Vertheidiger der gerechten Sache, wenn es ihnen an Vortrag gebricht, wenn sie ihre Sache so frostig führen, daß weder Verstand darin ist, noch man es glauben mag; zumal wenn der Widersacher, in der Hitze des Vortrags, seine Lüge und Thorheit mit Worten zu verkleistern weis, daß er den Zuhörer überredet, ergötzet, beweget, dahinreißt.

Zwar redet Christus an diesem orte nicht von jenen Rednern, noch von dieser blos menschlichen Beredsamkeit, sondern von der Macht des Wortes, von jener Macht sag ich, die mehr dann ein zweyschneidendes Schwerdt durchdringet, in die Tiefe des Herzens gräbt, Seel' und Geist zerschneidet, davon die menschliche Beredsamkeit nichts weis, nichts fasset mit allem ihrem Prunk und Rühmen. Denn sonst würde diese verheißene Rede keine neue, übernatürliche Gabe, sondern die Sprache der Natur seyn.

Wir haben gesehen, und sehen sie noch, es sey mir erlaubt die beredtesten Männer, einen Erasmus, Sadolet, Longolius zu nennen, die wo es ihnen an der Gabe der Worte und Weisheit Christi gebricht, sich so über theologische Gegenstände ausdrücken, wie Kinder stammeln, und nichts den fades, frostiges Zeug schwatzen. So sehr sind beide, zu was immer für einer Wissenschaft wir uns bekennen, mit einander verbunden, daß man auch hier jenen Spruch des Dichters anwenden kann: beide müssen sich wechselseitige Hilfe leisten. Dem Nichtwisser wandelt kein Verlangen an; noch vielweniger besitzet er die Gabe zu reden. Denn es würde weder einem Virgilius oder Cicero gelingen einen Brief Pauli, oder Johannis Evangelium nieder zu schreiben; weder einem Paulus die Hirtenbücher Virgils oder Ciceros Reden. Es sind verschiedene Gaben der Rede und der Weisheit.

Jene Weisheit also die uns Christus versprach und schenkte, ist eine Kenntniß solcher Dinge, die die Welt, und unser Verstand nicht ergründet; nemlich himmlischer und geistlicher Dinge. Aber was all unsere Bewunderung verdienet, so lieget dennoch diese Kenntniß in den Herzen der Menschen, die von dieser Welt sind, und verstanden haben. Gleichwie auch die verheißene Gabe zu reden eine neue Sprache, neue Mundarten sind, und doch ist es die Muttersprache aller Nationen, wie geschrieben stehet: Es ist keine Sprache noch Rede, wo ihre Stimme nicht hörbar wäre. Denn Jedermann höret die Apostel in andern Sprachen reden; Sprachen, die uns auch Begriffe von andern, neuen Dingen zuführen, für die die Sprache der Natur keinen Nahmen hatte, die zu keines Menschen Ohr je kamen. Daher kömmt es, daß sich der Pöbel in verschiedene Meinungen trennet; sie kennen die Laute zwar, aber die übermenschliche Worte fassen sie nicht, durchdenken den Gedanken nicht. Denn jene Weisheit schaffet alle Worte in neue um; denn sie kömmt nicht aus uns, sie wurde vom Himmel herabgesandt, sie die alles umbildet, alles verneuet.

Allein seine letzte Verheißung ist die größeste aus allen: Dieser Weisheit, dieser neuen Beredsamkeit vermögen keine Widersacher zu widersprechen; wie die alten so die neuen. So spricht auch Esaias: Aller Zeug, der wider dich bereitet wird, dem wird es nicht gelingen; (und alle Zunge, die sich wider dich setzet, sollst du im Gerichte verdammen). Und Ps. 1 heißt es: Alles was er macht, das geräth wohl. Zwar widersetzen sich einige, und tragen den Sieg davon; allein ihr Triumph ist eine Wasserblase, die in einer Minute zerplatzet, ja eine ewige Niderlage, ein unersetzlicher Verlust. Aber wider dem Geiste der Weisheit, der zu uns redet, vermögen sie nicht zu bestehen. Denn wer wollte sonst, um dieser Weisheit willen, den Haß des Teufels und dieser Welt auf sich laden`? wer wider die Sünde, diesen ärgsten Feind, der uns in diesem Fleische zusetzet und unser Gewissen beänstiget, wer selbst wider den Tod kämpfen, wenn uns nicht jene Weisheit versicherte, mit allmächtiger Stimme uns rief, wir seyn die Ueberwinder aller unserer Feinde? So haben wir denn, wie Esaias bezeuget, eine beredte Zunge, womit wir den, der fiel, durch das Wort aufrichten können; wir haben das Zeugniß der heiligen Schrift in unser Herz gegraben, Kraft welches wir mit Vertrauen rufen: Abba, lieber Vater! Wenn dieser Geist uns zuruft, dieses Wort uns aufrichtet, dann redet der Schwache, wie der Prophet bezeuget. Der Schwache spricht: Ich bin stark! - und mit Paulus: Ich vermag alles in dem, der mich stärket.

Allein nicht nur darin ist unsere Sprache mächtig, unsere Weisheit Siegerinn, daß sie uns innerlich des Sieges versichert; sondern sie schlägt auch unsere Widersacher nieder, und bringt sie so weit, daß sie mit innerer Ueberzeugung zu bekennen genöthiget werden: Dieses ist der Finger Gottes! - und abermal: So hat nie ein Mensch gesprochen! Obgleich viele von denen, die so überzeugt sind, von pharisäischem Eigendünkel und teuflischer Bosheit besessen, der siegreichen Weisheit ihren Triumph nicht zugestehen; dennoch, sträubten sie sich auch noch so sehr, sie fühlen sich überwunden. So äussert sich an Beiden die Macht der Rede und Weisheit Christi. Denn die, die sie zu Boden schlägt, die sich gefangen geben, lassen ihr die ehre des Sieges, und danken derselben mit Freude ihre nicht unrühmliche Gefangennehmung. Die es aber nicht zugestehen wollen, so sehr sie es auch fühlen, mögen immer fortfahren zu zürnen, zu toben, zu lästern. Eben dieses beweiset, daß sie ihre Niederlage fühlen, und sich derselben schämen. Machen wir uns also vertraulich mit dieser starken, allgewaltigen, sanftfortreissenden Weisheit, dadurch uns der Sieg zu Theil wird durch Gott dem Vater alles Sieges; Ihm sey Preis in Ewigkeit!

Amen.

Quelle: Schütze, Gottfried - D. Martin Luthers bisher grossentheils ungedruckte Briefe.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/l/luther/a/antrittsrede.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain