Lavater, Johann Caspar - An die Correspondenten.

Lavater, Johann Caspar - An die Correspondenten.

Zürich, d. 13. Jan. 1781.

Dankt um Alles! Alles ist Wohlthat. Dem Gottesfreunde ist Alles Segen. Wo ich hinblickte, erblickte ich in diesem Büchlein Wohlthaten für Lesende. Besonders war die auffallende Freimüthigkeit und Aufrichtigkeit schätzbar. Wir müssen auch zum Voraus das immer einprägen: in gewissen Stücken müssen wir gleich denken, In gewissen können wir nicht gleich denken. Wir schöpfen alle aus Einer Quelle, sonnen uns alle an Einer Sonne, aber in ungleichen Himmelsstrichen. Nur daß wir immer Einen Zweck haben - Verherrlichung des Allein herrlichen. So viel möglich stehe jeder auf sich selber, sei jeder doch, was er sein soll; jeder nehme nur so viel, und gebe nur so viel, als er ohne Zwang und Anstrengung, ohne Auf- oder Abspannung nehmen und geben kann. Ich fürchte, bald hätte ich gesagt: hasse alles Gespannte, Nachgeformte, Tonangebende - Alles, was Schnitt, Form, Manier heißen mag, im Natürlichen, wie viel mehr im Religiösen. Brüder! bleibt doch so nahe wie möglich an der Quelle: zieht doch kein Buch der Schrift, keine Lehre der Schrift der andern vor, und zwar so, daß dadurch irgend einem andern Buch, einer andern Lehre zu kurz geschehe. Daher sind alle Secten entstanden. Sectengeist ist Anhänglichkeit an ein Buch, Vorliebe für eine besondere, allenfalls wahre Schriftlehre. Brüder! der ganze Christus, das ganze Evangelium, der ganze herrschende, auffallende, unläugbar herrschende Ton der Schrift sei doch immer unser herrschender Ton! Hüten wir uns doch vor Allem, was auch nur den Schein von Affectation und Neigung zur Einseitigkeit haben könnte. Werden wir doch nie, auch nicht auf die feinste Weise, Knechte der Menschen, auch der weisesten, auch der frömmsten nicht! Hüten wir uns doch vor nichts mehr, als vor Vermischung willkührlicher Erklärungsarten mit dem, was reine, unwandelbare Wahrheit ist! Bescheidenheit, Demuth, Liebe seien immer Seele und Leib des Geistes, der Wahrheit heißt. Rechtschaffen sein in der Liebe (Eph. 4, 15) sei unser Wahlspruch. Gott mit Euch, Brüder! Durch ihn, dessen Namen einmal würdig aussprechen zu können ich für das höchste Glück meiner Seele hielte.

Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren

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