La Roche, Simon - Leichenrede auf Christoph Gottlieb Blumhardt

La Roche, Simon - Leichenrede auf Christoph Gottlieb Blumhardt

Text: Joh. 11, 11.
Lazarus, unser Freund, schläft.

Geliebte in dem Herrn!

In diesen heilig festlichen Tagen, in denen im Lichte der Geburt unsers Heilandes Alles uns zuruft mit dem Apostel: „Das Leben ist erschienen!“ füllt diese Stunde unsere Augen mit Thränen, und führt uns an das Grab eines Bruders, der Vielen nahe und ferne lieb und theuer war, dem der Herr als Arbeiter in seinem Weinberge eine so schöne und segensreiche Stelle angewiesen hatte.

Nachdem der Vollendete vor bald 23 Jahren zu uns gekommen war, dem Herrn zu dienen an dem großen Werke der Verbreitung des Evangeliums unter nichtchristlichen Völkern, sahen wir ihn mit unermüdeter Liebe und Treue seine Kräfte der Anstalt widmen, die unter seiner Leitung und Pflege, durch des Herrn Gnade und unter der wachsenden Theilnahme thätiger Christenliebe einen Umfang gewann, wie es bei den geringen Anfängen, aus welchen sie hervorging, kaum gedacht werden mochte.

Aber wie dieses schöne heilige Werk unter dem Segen des Herrn immer fröhlicher emporwuchs, immer größer und segensreicher sich entfaltete, so wurde es auch ernster und bedeutender, und forderte immer mehr Arbeit, Sorgen und Kämpfe.

Unter diesen Mühen und Arbeiten sahen wir die Kräfte unsers theuern Bruders immer mehr sich verzehren, bis endlich die schwache Leibeshülle dem Geiste und seinen Anstrengungen erlag. Mehr und mehr hatte sich unser Bruder in seiner körperlichen Schwachheit mit dem Gedanken befreundet, daß seine Stunde nahe sey, er hatte sich darüber von den ihn besuchenden Aerzten einen deutlichen Bescheid ausgebeten, so weit menschliches Urtheil hier etwas sagen kann; im Angesichte seines Heimgangs ordnete er noch Verschiedenes, und bezeichnete besonders auch die Worte unseres Textes mit dem Wunsche, daß an sie in der Stunde seiner Bestattung die stille Betrachtung und Andacht seiner ihn zur Ruhekammer begleitenden Freunde sich anschließen möge.

Diese Worte führen uns mitten in jene Geschichte hinein, die uns immer wieder auf's Neue mit einer stillen Gewalt an sich zieht, die eine so reiche Fülle von Belehrung, Trost und Ermahnung in sich faßt, und die auch unserm Bruder frühe besonders lieb geworden war, welcher in einer besondern Schrift geprüften Seelen, die ihnen hier dargebotenen Tröstungen und Erhebungen auf so wohlthuende Weise nahe zu legen bemüht war.

Und wenn unser Blick in einer Stunde, wie die gegenwärtige ist, nur zu leicht umherschweift und die Gedanken und Sorgen unsers Herzens da und dorthin sich wenden wollen; so finden sie hier einen stillen Ruhepunkt, wo sie verweilen, wo unser Herz in seiner Trauer sich sammeln und fassen und dem Herrn auch mit Thränen freudig danken und zu ihm sich erheben kann. So lasset uns bei diesen Worten mit unserer Andacht verweilen und mit einander betrachten:

Welche Gestalt gewinnt im Lichte unsers Textes unsere Trauer um unsern entschlafenen Freund.

Wir folgen dabei einfach den Worten unseres Textes.

Der Herr wolle uns nahe seyn mit seiner Gnade.

Lazarus, unser Freund, schläft.

Wie diese Worte uns versetzen in das stille Bethanien, und in den Kreis jener frommen, unserm Heilande so innig befreundeten Geschwister; wie sie uns im Geiste zur Leiche des frommen Lazarus führen: so vernehmen wir in denselben ein Zeugniß aus dem Munde des Herrn über Lazarus.

Und dieses Zeugniß, so einfach es lautet, so Vieles faßt es zusammen; so Vieles auch sagte es unserm entschlafnen Bruder bei dem Blick auf die nahe Stunde seines Scheidens.

Zwei Tage hatte unser Heiland noch verweilt an dem Orte, da er war, als Maria und Martha, besorgt um das theure Leben ihres Bruders, dem Herrn von seiner Krankheit Kunde gegeben hatten mit den lieblichen Worten: „Herr, den Du lieb hast, der liegt krank;“ und sie sahen nun auch das Auge des geliebten Bruders brechen und seine Kraft sinken in den Tod.

I.

Lazarus, unser Freund, schläft, sprach aber der Herr zu seinen Jüngern, als er nach zwei Tagen im Begriff stand, hinzugehen nach Judäa; denn der Tod seines Freundes sollte vor Ihm, der das Leben ist, nur ein Schlaf seyn, Dor Ihm, vor dem die Schrecknisse des Todes weichen, wohin er seinen Fuß setzt, und der Leben und selige Unsterblichkeit mittheilt jeder Seele, die an ihn glaubt, vor Ihm, der da bezeugte und sprach zu Martha, an dem Grabe seines Freundes. „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe. Und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben“ 1).

Wie der Tod, des Todes Macht und Angst mit der Sünde in die Welt gekommen, und wie die Sünde des Todes Stachel ist, so kann auch nimmer der Tod diese seine schreckenvolle Gestalt verlieren, wo noch die Sünde wohnt und herrschet; wo das Herz noch nicht Ihn, der dem Tode die Macht genommen hat, erkannt hat.

Aber ganz anders, wo eine Seele das Leben in Christo gefunden und in sich aufgenommen hat; wo der Mensch Theil genommen hat im Glauben an Christum, an seinem Tode und seiner Auferstehung und an jenen höhern Lebenskräften, wie sie durch Christum den Seinigen mitgetheilt werden.

Eine solche Seele sinkt nicht in die Arme des Todes, sie schläft in den Armen ihres Heilandes ein, der sie aus dem Tode errettet hat, der sie hienieden mit seinem Leibe und Blute gespeiset und getränket hat2), und der kein Glied läßt an dem Leibe, dessen Haupt Er ist.

Was anders also als ein Bekenntniß seines Glaubens und ein Zeugniß von dem Tröste, den auch seine Seele gefunden wider den Tod, hat unser Bruder uns hinterlassen in der Wahl der so einfachen und doch so großen und reichen Worte unsers Herrn in unserm Texte: Lazarus, unser Freund, schläft.

Wir aber, meine Freunde, lassen wir uns in unserer Trauer den unsern Schmerz so sanft mildernden Trost nicht nehmen: Er schläft, unser Bruder; es ruhet seine Seele von der Arbeit in dem Herrn; sie durfte eingehen durch ihres Heilandes Gnade zu der Ruhe, die Er seinem Volke beschieden hat3).

O, wer unter uns, der unsers Bruders Arbeit gesehen, der Zeuge war von des Tages Last und Hitze, wie er sie getragen, möchte sich nicht mit ihm freuen, wenn er so freundlich aus unserm Kreise scheidet, und uns in unsrer Trauer hinweist auf den guten Herrn, der ihn zu sich gerufen hat und in dessen Namen er entschlafen durfte.

2.

Unser Heiland spricht in unserm Texte: „Lazarus, unser Freund, schläft.“ Je tiefer wir eindringen in den Sinn des Wortes unsers Herrn: „Lazarus schläft“, wie dasselbe in dem ganzen Zusammenhang der großen und herrlichen Geschichte, der es angehört, sich uns darstellt, um so mehr auch sagt es uns.

Aber eine eigenthümliche Bedeutung erhält es, wenn wir darauf achten, wie unser Heiland sagt: „Lazarus, unser Freund, schläft.“ Noch war die große und herrliche Bedeutung dieses Wortes gleichsam verhüllt zur Stunde, da Jesus es sprach; hatte er doch noch nicht sich geoffenbart in seiner Herrlichkeit, sollten doch über ihn selbst noch die Schatten des Todes gehen, des Todes am Kreuz.

Aber wenn schon an, Grabe des Lazarus aus des Herrn Niedrigkeit hervorstrahlte seine göttliche Hoheit, Macht und Würde in der Auferweckung desselben; in welchem Glänze offenbart sie sich uns in seiner eigenen Auferstehung und Himmelfahrt und in der Sendung seines Geistes!

In diesem Lichte enthüllt sich uns, meine Freunde, der hohe Sinn und die Bedeutung des Wortes, wenn in unserm Texte unser Heiland den Lazarus seinen Freund nennt; im vollen Lichte des Evangeliums, der Erkenntnis von Jesu Person und Werk und seinen Verheißungen sollen wir es verstehen lernen, was das heiße, von Jesu ein Freund genannt werden, und als ein Freund Jesu von ihm hingeleitet werden vom Glauben zum Schauen, wo im Lichte himmlischer Seligkeit und Herrlichkeit wir seinen ganzen Friedensrath erkennen sollen, gleichwie wir erkannt sind4).

Es ist noch nicht erschienen, sagt daher dort Johannes, was wir seyn werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir Ihm gleich seyn werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist 5).

Zu welcher unaussprechlichen und herrlichen Freude will doch der Herr die Seinigen erheben 6)! Und wie viel faßt eben damit unser entschlafene Freund zusammen, welch ein Bekenntniß seines Glaubens, seiner Glaubensfreude und seiner Hoffnung legt er ab in unsrer Mitte, wenn er mit der demüthigen, aber gläubigen und freudigen Anwendung jenes Wortes des Herrn auf sich: „Lazarus, unser Freund, schläft“, aus unserm Kreise scheidet!

Wie aber, meine Freunde, will nicht eben damit der Entschlafene in unsrer Trauer um ihn, auch unsere Blicke hinlenken auf Den, der ihm so viel geworden war, sein Friede und seine Freude, sein Trost und seine Hoffnung, seine Kraft und sein Sieg im Leben und im Sterben.

O, welch ein himmlisches Licht verbreitet sich für unsere trauernden Herzen über die Leiche des Vollendeten, indem wir in unsern Herzen vernehmen das Wort unsers Textes, wie es der theure Vollendete uns zuruft; und wie fühlen wir dabei uns zu Ihm selbst erhoben, auf den er unsere Blicke hinweist!

Und wenn wir Hinsehen auf das Werk, dem unser Freund seine Zeit und seine Kraft widmete; und wir sehen die lieben Brüder verwaist, unter denen er als ein Vater wandelte; sehen das Auge geschlossen, dessen Blick sonst so milde und ernst unter ihnen leuchten, den Mund verstummt, der zu ihnen sprach, und die Hand erstarrt, die sie leitete; wohin weiset uns da unser Text? Ach, zu wem, als zu Ihm, der unserm Bruder alle diese Kräfte verliehen hatte, dem wir jeden Segen verdanken, womit die Arbeit des Vollendeten unter uns begleitet war; zu Ihm sehen wir uns hingewiesen, der nicht schläft, noch schlummert, dessen Auge stets offen steht über seinen Kindern, dessen Mund für sie nicht verstummt, dessen Hand ausgestreckt ist in großer Kraft, seine Sache hinauszuführen zum Sieg; der unsere Roth zu Herzen nahm, noch ehe wir sie selbst fühlten, und der, wo wir rathlos vor ihm stehen, sich an uns verherrlichen will, als der, dessen Name heißt Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewig Vater, Friedefürst 7).

Ja, auf den Herrn wollet ihr sehen, liebe Brüder, die ihr euch Seinem Dienste unter den Heiden gewidmet habt: Er wird euch nicht Waisen lassen, und will eure Herzen in eurer Trauer nur um so fester mit sich verbinden. Auf den Herrn wollet ihr sehen, geliebte Lehrer und Führer dieser Brüder, wenn ihr den großen Riß, den die Hand des Herrn in eurem Kreist gemacht hat, so schmerzlich fühlt: Er wird euch nicht lassen ohne Rath und Hülfe. Auf den Herrn wollet Ihr sehen, theure Vorsteher und Leiter dieser Anstalt und des damit verbundenen Werkes; auf Ihn wollet Ihr sehen, der Euch schon so oft erfahren ließ, wie er Denen, die glauben, auch wo sie nicht sehen, zeigen will seine Herrlichkeit. Auf den Herrn wollen sie sehen, die theure, tief trauernde Wittwe, die früh verwaiste Tochter und der Freund und Bruder, den der Vollendete liebte, wie einen Sohn; auf den Herrn, der sich ein Vater der Wittwen und Waisen nennt; der keines läßt zu Schanden werden, das auf Ihn vertraut, und der Denen, die Ihn lieben, alle Dinge läßt zum Besten dienen. Auf den Herrn wollen alle Herzen blicken, die sich für die heilige Missionssache auf seinen Namen mit einander verbunden fühlen, und wollen zu Ihm flehen, daß er selbst seiner Sache sich annehmen wolle. Ja, Herr, auf Dich sehen wir Alle; o sieh Du auch auf uns, und mach uns getrost und freudig in Dir, der Du in Deinem Worte sprichst: Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden 8). Der Du uns zurufest: Ich bin der Erste und der Letzte. Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott; ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit9). Herr, auf dich vertrauen wir. Amen.

1)
Joh. 11,25.26
2)
Joh. 6,54
3)
Offenbarung Joh. 14,13; Ebr. 4,9.10
4)
1. Kor. 13,12; vergl. 2. Kor. 5,7
5)
1. Joh. 3,2
6)
1. Petri 1,8
7)
Jes. 9,6
8)
Jes. 40,31
9)
Jes. 41,4.10
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