Krummacher, Friedrich Wilhelm - Die Gefahren der Zeit, und die einzige Rettung

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Die Gefahren der Zeit, und die einzige Rettung

Zwei Predigten in Einer über die Epistel am Sonntage Jubilate

1. Petri 2, 11-20.
Geliebte, ich ermahne euch, als die Fremdlinge und Pilgrime: enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten; und führet einen guten Wandel unter den Heiden; auf daß, wo, sie von euch afterreden als von Uebelthätern, sie eure guten Werke sehen, und Gott preisen, wenn es nun an den Tag kommen wird. Seid unterthan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem Obersten, oder den Hauptleuten, als den Gesandten von ihm zur Rache über die Uebelthäter, und zu Lobe den Frommen. Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Wohlthun den Mund stopfet der Unwissenheit der thörichten Menschen; als die Freien, und nicht, als hättet ihr die Freiheit zum Deckel der Bosheit; sondern als die Knechte Gottes. Thut Ehre Jedermann. Habt die Brüder lieb. Fürchtet Gott. Ehret den König. Ihr Knechte, seid unterthan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen. Denn das ist Gnade, so Jemand um des Gewissens willen vor Gott Kränkungen verträgt und Unrecht leidet. Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missethat willen Streiche duldet? Aber wenn ihr um Wohlthat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott.

Ihr begreift's, Geliebte, daß an dieser Epistel zu irgend einem anderen Texte nicht wohl vorbei zu steuern war. Zu tief greifen ihre Gedanken in die Zustände unserer Gegenwart ein, und zu hell beleuchten sie deren Schäden, wie das einzige Heilmittel, das ihnen gewachsen ist. Wie hätten wir uns einer näheren Beherzigung derselben entziehen dürfen? Wir durften es um so weniger, je trefflicher die Epistel zugleich zu der Feier des allgemeinen Landes-, Buß- und Bettages hinüberleitet, der im Laufe dieser Woche mitritt. Denn, genau besehen, was enthält sie, als eine göttliche Anklageakte wider das Geschlecht dieser Zeit, und einen furchtbaren Fluchbrief für dasselbe, falls es nicht bald zu einem gründlichen Gesinnungsumschwunge mit ihm kommt, und der heillose Weg, auf dem es blindlings dahin stürzt, nicht unter Strömen von Reuethränen verlassen wird.

Drei große Gefahren bedrohen die Welt, und Eins mir rettet uns vor denselben: eine allgemeine Rückkehr zum Glauben der Väter. Es ist zuerst die Gefahr einer allgemeinen moralischen Verwilderung; es ist zweitens diejenige eines Untergangs aller staatlichen Ordnung; und endlich ist's die Gefahr einer Auflösung der ganzen menschlichen Gesellschaft.

Lasset uns nach Anleitung unseres Schriftworts hievon uns näher überzeugen. Der Herr aber salbe, schärfe und segne unsere Betrachtung!

I.

Vernehmt unseres Textes Anfang. Blitzartig zuckt er hin durch die Finsterniß unserer Tage. „Geliebte, ich ermahne euch als die Fremdlinge und Pilgrime: Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten; und führet einen guten Wandel unter den Heiden, auf daß, wo sie von euch afterreden als von Uebelthätern, sie eure guten Werke sehen, und Gott preisen am Tage der Enthüllung.“ So Petrus. Schon dieses Wort, wie widerstrebt es dem Geiste dieser Zeit! Wie tief beleuchtet's den grausigen Widerspruch, in den die Zeit mit dem Christenthum hineingerathen ist! Ich sehe Tausende wider dasselbe auffahren, wie Geschöpfe des Sumpfes, die gegen den Haken sich bäumen, mit dem man sie fangen und an das Licht des Tages ziehen will. „Was Fremdlinge, was Pilger?“ höre ich von Markt und Gasse rufen; „die Natur ist unsere Mutter, die Erde unsere Heimath! Was Enthaltung von fleischlichen Lüsten? Die Feste des Lebens wollen wir feiern! Was Gott verherrlichen? Die Gottheit wohnt im Menschen. Die Selbstverherrlichung ist unser Gottesdienst! Was Tag der Enthüllung? Unsere persönliche Zukunft reicht nicht weiter als unser Leben im Fleische! Auf den Himmel wollt ihr uns vertrösten, damit wir auf Erden um so geduldiger eure Joche tragen! Die Zeiten, da solche Köder noch Wirkung thaten, sind vorüber. Behaltet euren Himmel für euch, für euch den Tisch Abrahams, Isaaks und Jakobs. Uns soll die Erde ihre Tafeln decken! Wir wollen mit den Lebendigen banketiren und fröhlich sein!“ Seht, da haben wir's! Wem unter euch drangen solche Losungen des Tages nicht schon zu Ohren? Und das Ihr, Ihr in ihnen ist natürlich nicht an uns nur, sondern zugleich an Christum selbst und alle seine heiligen Apostel gerichtet: denn diese sind's, die auf den Himmel vertrösten und die da vermahnen, daß man um der Seelen Seligkeit willen das Fleisch sammt Lüsten und Begierden kreuzige. Es widerfährt mithin der Zeit keine Unbill, wenn wir sie als eine antichristliche bezeichnen. Sie ist es in einem Maaße, daß kaum für etwas Anderes mehr Raum bleibt, als für den Nothschrei: „Herr Gott, schaue darein! Herr Gott, erbarme Dich, oder es ist gar aus mit uns!“ -

Hehr und herrlich tritt uns das Bild entgegen, das unser apostolisches Wort von dem Stande, dem Wesen und dem Berufe eines wahren gläubigen Christen uns vor Augen malt. Ein solcher Mensch ist ein „Fremdling“, ein „Ansasse“ in dieser Welt des Stückwerks und des Todes. Nicht ein träumender Mönch. Er weiß, daß er in der Welt sich rühren und ihrem Wohle in aller Weise dienen soll. Aber so wenig die Welt mit ihren Gütern seine Seele ausfüllt, so wenig verwächst er mit dem Wesen dieser Welt. In seinem auf die Welt bezogenen Streben, Trachten, Hoffen erscheint nur das untere Laubwerk an seines Lebens grünem Baume; die Krone wiegt sich in anderem höherer Sphäre. Das Sein in dieser Welt ist ihm nur eine untergeordnete Durchgangsstufe; darum hat er, als hätte er nicht, und weint, als weinte er nicht, und freut sich, als freute er sich nicht, und kauft, als besäße er nicht. Er hält stets seinen Anker los, sein Segel aufgezogen. Er ist seiner ganzen Denk-, Anschauungs- und Urtheilsweise nach ein wesentlich Anderer, als die große an die Scholle gebundene und dem Erdgeist verfallene Menge, die ihn umgiebt, und auch in dieser Beziehung ist er ein Fremdling, ein Sonderling sagt die Welt. Wie natürlich und begreiflich, daß sie ihn so betitelt. Ein Pilger ist er laut unserem apostolischen Worte Pilgergefühl ist der innerste Grundton seines Bewußtseins, der Resonanzboden, der alle Töne seines Lebens trägt und färbt, die himmlische Harfensaite, die durch Alles, was er erlebt, denkt, sinnt und vornimmt, durchklingt. Diese Welt ist seinem Begehren zu arm, seinem Hoffen zu eng. Kühn spricht er mit David: „Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Antlitz schaue;“ sehnsuchtsvoll mit Paulus: „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein.“ Droben ist seine Heimath, seine Vaterhütte. Er hebt die Flügel, wie ein gefangener Adler. Nicht aber, als umgäbe hier unten ihn nur die Hölle. Er traut ja auch hier schon unter den Gnadenfittigen seines Gottes, und geht in des Herrn Gängelbanden und an Seiner Hand, und freut sich alles wahrhaft Guten, Schönen, Edeln in Natur, in Kunst und Menschenleben doppelt, als eines gebrochenen Strahls der himmlischen Herrlichkeit, als eines dämmernden Abglanzes der idealen Welt, der er entgegenreift. Was Wunder, wenn er bei solchem Sinne den „Lüsten des Fleisches“ schon als Mächten der Gemeinheit widerstrebt. Sein ganzes göttliches Reichsbürgerbewußtsein streubt sich auf das Entschiedenste gegen jede erneuerte Erniedrigung unter ihre Herrschaft. Außerdem aber weiß er, es habe sein Herr Christus sein Blut daran gesetzt, ihn der Sclaverei der fleischlichen Begierden zu entreißen, und das Scepter über sie ihm in die Hand zu geben; und daß er eine Brut in ihnen bekämpfe, die „wider seine Seele streite,“ um dieselbe ihres Friedens, wie ihrer Seligkeit zu berauben, das weiß er gleichfalls. Darum liegt er ohne Unterlaß wachend und betend wider sie zu Felde, um, in welcher Gestalt sie sich ihm nahe: sei es als Geiz, sei es als thierische Lust, sei es als Hochmut, oder als was es sei, sie eilends in der Kraft des Herrn unter seinen Füßen zu zertreten. Er achtet's für seines Lebens höchsten Beruf, durch das Ganze seines Seins und Verhaltens Gott seinen Herrn zu verherrlichen, und also dem apostolischen Ruf nachzukommen: „Führet einen guten Wandel unter den Heiden, auf daß, wo sie von euch afterreden, als von Uebelthätern, sie eure guten Werke sehen und Gott preisen“ (nemlich darum, daß er so wohlgeartete Kinder habe) „am Tage des Einsehens“ oder der „Enthüllung“, d. i. zu der Zeit, da der Schleier von den Verborgenheiten eures Lebens weichen wird. Diese Zeit tritt für die Gläubigen meist erst nach ihrem seligen Heimgänge ein. Nachdem die bekannte Tabitha (Apostelgesch. 8.) gestorben war, kamen aus allen Winkeln die alten Mütterlein hervor, die Wittwen und die Waisen, und zeigten die Röcke und die Mäntel, die jene ihnen gefertigt, und erzählten um die Reihe, was sie alles Edles in der Stille ausgeübt habe; und Gott wurde hoch gepriesen über dem Sarge dieser lieben Tochter. Ebenso möchte auch ein jeder lebendig gläubige Christ, daß sein ganzes Leben ein Harfenklang zur Ehre Gottes und Seiner Sache würde. Des Herrn Verherrlichung, nicht die eigene sucht er. Er weiß sich „theuer erkauft“; darum „preiset er Gott an seinem Leibe und an seinem Geist, welche sind Gottes“. „Seht, welch' eine hehre Erscheinung gewährt ein wahrer Christ! Tritt gleich diese Erscheinung so voll ausgeboren nicht in allen Gläubigen sofort zu Tage, so tragen sie doch alle, wofern sie sich von Herzen Christo übergaben, den treibenden und sprießenden Keim jenes holdseligen Bildes in sich: denn bei allen findet sich das Fremdlings- und Pilgerbewußtsein, der Bruch mit den fleischlichen Lüsten, und das Absehen auf Gottes Ehre als innerste, wenn auch noch im Kampfe mit dem verderbten Fleische begriffene Grundrichtung ihres Wesens. Seht euch dagegen das Geschlecht dieser Tage an, wie es einem großen Theile nach schon in der Wirklichkeit sich darstellt. Welch' ein schreiender Gegensatz! Hier sind die Lichter des Himmels ausgelöscht; jede höhere Weihe ist dem Leben genommen, und der letzte Sphärenklang vom Jenseits verstummt. Hier kennt man keinen Gott mehr, als den Bauch, kein Vaterland, als die arme Erde, kein Ideal, als den Fleischtopf Egyptenlandes, oder den Ehrenkranz, wie ihn sterbliche Finger flechten. Das einzige Motiv, das hier regiert, ist der Egoismus; das einzige Strebeziel, dem man nachjagt, die gröbere oder verfeinertere Stallfütterung für die fünf Sinne. An eine Bestimmung des Menschen, die über diejenige zu irdischem Behagen hinausgehe, wird hier nicht mehr geglaubt. Von sittlichem Beruf, von einem Reifen für eine höhere Lebensstufe ist hier nicht die Rede mehr. Der Sinn selbst für rein geistig und sittlich Wahres, Edles und Schönes, geschweige für Himmlisches, ist im Dienste der Welt verschlammt und die Gemeinheit sitzt im Regimente. Seht, solche Verwilderung trat bei Unzähligen wirklich schon ein und droht in einem furchtbaren, nie erhörten Umfange sich zu verallgemeinern. Das Heidenthum Griechenlands und Roms war golden gegen diese Zustände, sofern es doch noch von der Ahnung einer höheren Menschenbestimmung und von dem Bewußtsein einer jenseitigen idealen Welt durchblitzt ward, und den offenen Himmel, wenn auch mit Gestalten des Wahns bevölkert, über sich, das Elysium für die Guten vor sich, den Orcus für die Bösen unter sich hatte. Den Verirrten hingegen, welche gegenwärtig um die Herrschaft auf Erden kämpfen, bleibt nichts als das platte Land, wo sie wie die mit dem Bann geschlagene Schlange des Paradieses auf dem Bauche kriechen und Erde, essen, und zwischen deren Schollen sie, ihrer Lehre nach, nachdem sie sich an den zeitlichen Träbertrögen satt gegessen und getrunken, auf ewig vermodern werden.

II.

Wie ist nun solcher Entmenschung unseres Geschlechts vorzubeugen? Nicht durch Moralpredigten, mit welchen die Welt seit einem halben Jahrhundert überschwemmt worden ist, und wohin sind wir dabei gerathen?!“ Nicht vermittelst der sogenannten Vernunft-Religion, die jeder Gewißheit entbehrt, und nicht vermögend ist, Herzen umzuwandeln. Nicht durch den Deismus der Rationalisten, der den Ewigen in so weite Ferne rückt, und so wenig ihn für die Welt gethan haben, so müßig ihn darein schauen lasset, daß es kaum Jemandem einfallen kann, sich groß um ihn zu kümmern. Die einzige Hülfe liegt im biblischen Christenthum, welches den lebendigen Gott uns nahe bringt, wie „einen Mann seinen Freunden“, welches in Seine Liebe uns taucht, wie in ein bodenloses Meer; welches den Himmel vor uns aufthut, wie eine traute Kammer, in seinen Eröffnungen und Verheißungen Zuverlässiges, und auf dem Felsengrunde unbestreitbarer Thatsachen Beruhendes uns darbeut, und alle Bedürfnisse des zu sich selbst gekommenen Menschenherzens überschwenglich befriedigt. Erfolgt nicht eine allgemeine Rückkehr der Herzen zu diesem ewigen Worte, dann sehe sich nach einer Arche um, wem seine Seele lieb ist. Dann steht nichts Anderes mehr in Aussicht, als eine Sündfluth, ärger denn die noachitische: eine moralische; und fürwahr! „selig sind dann die Todten, die in dem Herrn sterben, von nun an;“ sie sind doppelt selig.

Die Zeit mahnt, daß wir unsern Apostel weiter hören. „Seid unterthan“, spricht er, „aller menschlichen (d. i. für die Menschen bestellten) Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige als dem obersten (dem Souverain, nach unserem Sprachgebrauche) oder den Hauptleuten (den Befehlshabern oder Stellvertretern), als den Gesandten (den Beauftragten), von ihm zur Rache über die Uebelthäter und zu Lobe den Frommen. Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Rechtthun verstopfet die Unwissenheit der thörichten Menschen. Als die Freien, und nicht, als hättet ihr die Freiheit zum Deckel (zur Beschönigung) der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes.“

So Petrus. Aber hört nun das Gemurre und Geschnaufe, das, gleich dem Rauschen vieler Wasser, wider diesen Ausspruch sich erhebt. Vernehmt die durchgellenden grimmathmenden Schlagwörter: „Servilismus!“ „Reaction!“ Hört das Feldgeschrei: „Weg mit den Pfaffen, den volksfeindlichen!“ als hätten wir dem Herrn und seinen Aposteln jenes Wort, oder die Vorschrift: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist; seid unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott“, in den Mund gelegt. Achtet auf das Geschrei: „Wir brauchen keine Vormünder mehr!“ die Welt ist mündig und sich selbst Gesetz genug!„ und sehet Hunderttausende bereits, wie wuthgeschwollene Nattern in die Schranken verbissen, die in jenem petrinischen Worte göttlich aufgerichtet stehen, und grundsätzlich gerüstet wider Alles, was Obrigkeit heißt und bürgerliche Ordnung. Da habt ihr das Geschlecht dieser Zeit, soweit es in den Strick seiner neuesten Lügenpropheten eingegangen ist, wie vorhin auf dem sittlichen, so jetzt auch auf dem politischen Gebiete als ein antichristisches; und als zweite Gefahr, die der Welt droht, erscheint diejenige eines allgemeinen Umsturzes aller staatlichen Ordnung oder der Anarchie.

Die letztere wäre mit aller ihrer Zuchtlosigkeit und allen ihren Schrecken schon da, hätte Gott ihr nicht einstweilen in wunderbarer Dazwischenkunft einen ehernen Wall in den Weg geschoben.

„Wir haben“, ruft ein einsichtsvoller Spanier aus, „die unerhörte Thatsache erlebt, daß die Waffen die Civilisation, die Ideen die Barbarei im Gefolge hatten.“ Doch aufgehalten ist noch nicht zertreten, gebunden noch nicht vernichtet. Das Krebsgeschwür des Revolutionsgelüstes ist so weit entfernt, geheilt zu sein, daß es vielmehr nur immer weiter um sich frißt. Wie ein kalter Brand hängt den Seelen der Menschen sich der kräftige Irrwahn an, daß Gehorchen Schmach sei. Jede obrigkeitliche Gegenwirkung gegen Gottlosigkeit und Frevel heißt unerträgliche Beschränkung, jede gesetzliche Zucht eine den Menschen entehrende Tyrannei. Die Völker sind theilweise „unlenkbar“ geworden; und was ihr über der Zukunft leuchten seht, ach! es sind nicht Sterne, die Gutes bedeuten. Was rettet uns vor der Gefahr eines politischen Chaos? Zugeständnisse wider Gottes Wort an die Feinde der Ordnung? Sie sind Oel in das Feuer ihrer maßlosen Forderungen, und bestrafen auf das Empfindlichste sich selbst.“ Hinweisungen auf das geschichtliche Recht der Fürsten? Der Leviathan des empörerischen Zeitgeistes frißt sie wie Stroh. Weise Verordnungen und Gesetze? Man erlasse sie, aber hoffe nicht, daß man mit ihnen das Ungeheuer binden werde. Waffengewalt? Ihr legt damit zeitweilig der Hydra einen ehernen Ring in die Nase; aber das Haupt zertretet ihr derselben damit nicht. Freilich ist es für unser engeres Vaterland von glücklichster Vorbedeutung, daß unseren Herrscherthron ein Fürst schmücket, der von Herzen gewillt ist, im Namen des lebendigen Gottes zu des Volkes wahrem Heil sein Regiment zu führen. Schwer fällt es ins Gewicht, daß wir nach Ausweis der Geschichte, was wir als Großstaat, und mehr noch als Staat der Intelligenz, der Bildung, der Künste und Wissenschaften sind, größtentheils durch das Haus unserer Regenten wurden. Reicheren Trost noch gewährt der Umstand, daß wir zum Preise Gottes rühmen dürfen, es umschließe unser Volk noch einen herrlichen, gesunden Kern, wie dessen schon die allgemein bewunderte Haltung unseres treuen und siegreichen Heeres Zeuge ist; und dieser Trost wird durch die Thatsache verstärkt, daß Tausenden unserer schwach und haltlos gewordenen Mitbürger das durch die fremdländische Delila ihnen abgeschnittene Haupthaar des wahren Patriotismus doch mälig wieder zu wachsen anhebt. Aber zu retten vermag auch uns vor den Umsturzgefahren der Zukunft einzig nur das Christenthum; und die Staatsmänner, die dies verkennen, sind die Steuerleute nicht, die die Zeit an das Ruder fordert. Das Christenthum knüpft, wie schon aus unserem Text erhellt, die Fürstenstühle an den Himmel, lehrt in dem weltlichen Regiment den Widerschein eines höheren uns erschauen, stellt die Könige uns dar als die Statthalter Gottes auf Erden, fügt an ihren Thronen dem Stempel der Geschichte das Insiegel des Allerhöchsten Kabinettes bei, bezeichnet uns ihre Diener als die Vertreter der ewigen Gerechtigkeit, göttlich bestellt „zur Rache über die Uebelthäter, zu Lobe den Frommen;“ und legt den Gewalthabern in ihrer erhabenen Stellung allerdings als Geschäftsträgern Jehovas die größte Verantwortung auf, indem es von ihnen fordert, daß sie in aller Weise Hirten der Völker seien; das Gericht aber über sie behält es allein dem Allerhöchsten vor, und stellt sie gegen jede Unbilde ihrer Unterthanen unter das Protektorat des lebendigen Gottes, indem es Alles, was Auflehnung, oder auch nur Ehrerbietungslosigkeit gegen sie heißt, als Ehrerbietungslosigkeit und Auflehnung gegen den Herrn aller Herren selber brandmarkt, und denjenigen, die sich derselben schuldig machen, die Rache und den Fluch von Oben androht.„ Das Christenthum schließt nicht aus, daß wir uns mit Anträgen, Klagen und Bitten den Thronen nahen; aber jede Verweigerung des Gehorsams, es sei denn, daß derselbe wider Gottes Wort streite, und vollends jede gewaltsame Empörung, und wäre auch der Fürst, wie er es zur Zeit des Apostels war, ein Nero, und nicht ein Josua, oder Josaphat, schließt das Christenthum unbedingt und entschieden aus als einen Frevel, wider die allerhöchste Majestät begangen. Dieser Frevel lastet noch auf uns. Er lastet, bis wir ihn als einen Frevel wider Gott beweinten. Politische Buße haben Viele unter uns gethan, aber eben nur politische. Sie haben ihren thätlichen oder blos zunickenden, mittelbaren oder unmittelbaren Antheil an den Ereignissen entsetzlichsten Angedenkens bereut, weil sie vor dem Verderbensabgrunde zurückgeschaudert sind, bis zu dessen Rande sie durch jene gefühlt wurden. Manche selbst, die gegenwärtig in hohen Aemtern sitzen, schlugen nur politisch in sich; aber die Beugung vor Gott blieb ihnen fremd. Auf Leute dieses Schlages ist nicht zu rechnen. Wer weiß, wo bei einem etwaigen Umschlag der jetzigen Dinge wir sie wiederfänden. Wer nur sich sucht und das Seine, und nicht, was des Herrn ist, ist eine Wetterfahne auf dem Dache, mit der die Winde des jeweiligen Vortheils spielen. Die blos politische Buße und Sinnesänderung gilt auch nichts vor dem Herrn, und bildet keine Wetterscheide für seine Zorngerichte. Denkt nicht, wir seien sicher, und berechtigt, auf eine glückliche Zukunft zu hoffen, so lange zu der politischen nicht die „Buße zu Gott“ hinzutritt. Nur die reumüthige Rückkehr zu den Grundsätzen des Christenthums rettet die Welt vor einer Katastrophe, wie sie so furchtbar die Geschichte noch nicht kennt. Das wissen diejenigen sehr wohl, die diese Katastrophe eben wollen; darum schäumen sie wider das Evangelium Gottes, wie wider nichts Anderes, und läuten Sturm vor Allem gegen die Kirche und ihre Diener; und triumphiren, so oft eine Kammerabtheilung höhnisch lacht, wenn sich aus einer andern einmal ein christlich Wort hervorwagt, und verdächtigen die Gläubigen allerwärts als „Reactionäre“, was diese insoweit allerdings auch sind, als sie zu einer Richtung, die schnurstracks dem geoffenbarten Worte zuwiderläuft, nur gegenwirkend sich verhalten können, und diesem Worte gemäß in der Obrigkeit eine Ordnung Gottes ehren und heilig halten. Als die „Freien“ von der Herrschaft der Sünde, als die „Gerechten“, denen „kein Gesetz gegeben ist“, freuen sie sich jeder staatlichen Einrichtung, die dem ungöttlichen Wesen den Riegel vorschiebt, und die Gerechtigkeit auf Erden fördert. Als die wahrhaft Freien von Menschenfurcht, weil sie sich unter Gottes Flügeln wissen; von Knechtsinn, weil das Bewußtsein göttlicher Kindschaft ihren Busen schwellt; vom Zwang des Gesetzes, weil die Liebe sie dringt und treibt; und vom Dienste der Weh, weil ihr Bürgerrecht im Himmel ist, überheben sie sich nicht des ihnen gewordenen hohen Standes, noch gebrauchen sie die Freiheit zur „Beschönigung der Bosheit“, sondern wissen sich überall „als die Knechte Gottes“, und finden den Ausdruck ihres innersten Dichtens und Trachtens in dem Gebete des heiligen Sängers: „Erhalte meinen Gang auf Deinen Fußsteigen, und laß ihn gewiß sein in Deinem Wort!“ -

Es wird euch einleuchten, Geliebte, daß der Abgrund der Revolution erst geschlossen sein wird, wenn Christus wieder herrscht und Gestalt gewann in den Herzen der Menschen. Wenn je ein Wort der Wahrheit aus Frankreich zu uns herübertönte, so war es dasjenige, mit welchem vor Kurzem ein Edler jenes Landes das Irdische segnete: „Der einzige Retter der Welt vor dem drohenden Chaos heißt Jesus Christus!“

III.

Als die dritte der uns bedrohenden Gefahren nannten wir diejenige einer Auflösung der ganzen menschlichen Gesellschaft. Daß alle gesellschaftlichen Bande in einer sehr bedenklichen Lockerung begriffen sind, giebt sich in tausendfältigen Erscheinungen kund. Es geht darum ein Gefühl der Unsicherheit durch alle Gemüther, wie man es nie zuvor gekannt. Keiner rechnet mehr fest auf die Zukunft. Kaum hat Jemand mehr den Muth, sich ein Haus zu bauen, oder einen Gatten anzulegen. Ja es ist selbst schon zur Seltenheit geworden, daß man sich Erbbegräbnisse bestellt auf unsern Gottesäckern. „Wer weiß“, denkt man, „wohin die brandende Woge der Zeit uns noch einmal verspäten mag?“ Ja, gefühlt wird es von Allen, wenn auch nicht von Allen zugestanden, daß die Zeiten höchst bedenklich seien. Es giebt Menschen, und ihre Zahl ist nicht geringe, die, um nur in ihrem sinnlichen Behagen sich nicht gestört zu sehen, überhaupt von Gefahr nichts wissen mögen, und wo sie eine solche zu gewahren meinen, geflissentlich dem Beispiele des bekannten Vogels der Wüste folgen. Diesen Leuten gegenüber theilen wir das tragische Loos der mythischen Kassandra, die weissagend keinen Glauben fand, und erst zu Ehren kam, als jenes hölzerne Roß, vor welchem sie das Volk gewarnt, seine geharnischte Ladung ausgespien hatte, und Troja, dessen Untergang sie vorausgesagt, in eine Brandstatt und einen Trümmerhausen verwandelt war. Ich erinnere mich noch wohl, wie man, - drei Jahre sind es noch nicht hin - in angesehenen Gesellschaftskreisen dieser Stadt vornehm zu lächeln pflegte, wenn Einer behauptete, daß von den communistischen Ideen und Umtrieben her Gefahr uns drohe. Den Lächelnden wog die geäußerte Besorgniß nicht viel schwerer, als die etwaige Behauptung, daß eine Handvoll aus dem Irrenhause entsprungener Verrückter in der Welt das Unterste zu Oben kehren werde. Und heute schon schreit ganz Frankreich in seinen besseren Elementen: „Wer rettet uns vor dem Socialismus und dem Umsturz, mit dem er uns bedroht?“ Und auch bei uns, wäre nicht noch zur guten Stunde Gott der Herr wie mit einem Wunder dazwischen getreten, würde von den drei bekannten Farben längst wohl nur die eine, das Roth, zurückgeblieben sein. - Doch man glaube, oder lasse es; unser Beruf ist uns Ezechiel 33. vorgezeichnet. „Du Menschenkind“, spricht der Herr, „Ich habe dich zu einem Wächter gesetzt über das Haus Israels, daß du sie von meinetwegen warnen sollst. Wenn du das Schwert siehst kommen, so blase die Trommele. Wo du nicht bläsest, daß das Volk nicht gewarnt wird, und das Schwert kommt, und nimmt Etliche weg: dieselben werden wohl um ihrer Sünden willen weggenommen, aber ihr Blut will ich von des Wächters Händen fordern“! Ein dreifaches Wehe schwebt drohend den Predigern über dem Haupte, die da „Friede, Friede!“ rufen, wo doch nicht Friede ist; die „den Leuten Kissen unter die Arme machen, und Pfühle zu den Häuptern“ zum Todesschlaf; die „die Wand mit losem Kalk tünchen“, und „den Schaden des Volks auf's Leichte hin heilen“. Ihr werdet es begreifen, daß die Entscheidung uns nicht gar zu schwer fällt, wenn uns nur zwischen dem Verzicht auf eure Gunst und jenem „Wehe!“ die Wahl gelassen bleibt.

Und sagt doch, wollt ihr es in Abrede stellen, daß die Gesellschaft in Gefahr sei? Seid ihr's doch selbst, die wir täglich und immer lauter über die Auflösung klagen hören, in die das häusliche Leben, wie der bürgerliche Verkehr mehr und mehr hineingerathen. „Beginnt ihr doch selbst über die in furchtbarer Steigerung wachsende Zahl zerrütteter Ehen und ärgerlichster Scheidungsprozesse unter uns wahrhaft zu erschrecken. Schlagt ihr selbst doch schon die Hände zusammen über die zunehmende Schaamlosigkeit und Frivolität, womit das sechste Gebot unter die Füße getreten wird. Seid ihr selbst es doch, die über die Abnahme der Pietät bei den Kindern, und des Gehorsams, wie der Bescheidenheit und Treue bei den Dienstboten immer bitterere Klage führen. Hören wir euch doch selbst erzählen, wie ihr in den trotzigen Angesichtern eurer Arbeiter kaum etwas Anderes mehr läset, als die Drohung: „Wartet nur, bald kehren die Verhältnisse sich um“. Gesteht ihr es doch selbst, wie ihr unausgesetzt die Erfahrung machtet, daß Tausende schon eine Ehre darin setzen. Niemanden mehr zu ehren und kein Verhältnis des Ranges, des Standes und der Ueberordnung mehr zu respectiren; und stimmt ihr selbst doch immer entschiedener in die bereits zur Tagesphrase gewordene Behauptung mit ein, „daß man im Handel, Wandel und Verkehr Niemandem mehr trauen dürfe, und daß Gerechtigkeit, Wahrheit und Treue immer seltenere Perlen würden im Lande!“ Wie wollt ihr denn mit dem Kopfe schütteln, wenn wir sagen, die Gesellschaft sei bedroht? Und wisset, was an häuslicher, bürgerlicher und gemeindlicher Zerrüttung bis jetzt schon zur Erscheinung kam, es ist nur erst der anfängliche und erste Frühlingstrieb des giftigen Wurzelwerks, das, die Keime einer ganzen Höllenüberwucherung umschließend, in der Tiefe steckt. Man hört wohl sagen: Zustände des Verderbens, wie die heutigen, seien schon öfter da gewesen. Der äußeren Erscheinung nach, ja; dem inneren Kern, Geist und Prinzipe nach, nein. Ich behaupte dies kühn, und nur die Gedankenlosigkeit kann dem widersprechen. Entsetzlich ging es zur Zeit der Reformation in den Gegenden her, wo der Bauernkrieg wüthete; aber dieser Krieg mit seinen Gräueln erwuchs noch nicht aus absoluter Gottlosigkeit und Gottesleugnung, sondern hatte noch den Wahn zu seinem Grunde, als kämpfe man für das reine biblische Christenthum und die Freiheit, die dasselbe seinen Bekennern gewähre. Mit unerhörten Verwüstungen tobte durch unsere vaterländischen Gauen der dreißigjährige Krieg; aber auch hier meinte man immer noch, freilich in rasendem Unverstand, um Gott zu eifern und für Seine alleinseligmachende Kirche das Schwert zu führen, was freilich die begangenen Scheußlichkeiten nicht im allerentferntesten zu entschuldigen vermochte. In der ersten französischen Umwälzung gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts stieg ein neues Unthier aus dem Abgrunde auf: das antichristliche, und dieses, Jahrzehnte hindurch aufgehalten und gebunden, steht tausendköpfig in drohender Haltung noch heute auf dem Plan. Man redet viel von einer „neuen geistigen Entwicklungsstufe“, in welche die Menschheit' seit Kurzem eingetreten sey. An jedem Irrthum haftet ein Quentlein Wahrheit. Auch an jener oft wiederholten Behauptung. Daß wir auf dem Gebiete mancher Wissenschaften, und namentlich auf dem der Industrie und Mechanik weiter gekommen sind, wird Niemand läugnen wollen. Doch davon handelt es sich hier nicht. Auch im Bereiche der geistigen, sittlichen und religiösen Anschauungen, Gesinnungen und Grundsätze ist ein Fortschritt geschehen; aber ein Fortschritt, demjenigen unserer ersten Eltern ähnlich, als ihnen in Folge des Genusses vom Baume der Erkenntniß die Augen aufgegangen waren, und sie nun selbst zu wissen glaubten, „was gut und böse sei“, und Gott nicht mehr unterthänig sein zu müssen, sondern selbst wie Gott zu sein vermeinten. Das Menschengeschlecht ist in Millionen seiner Glieder aus der Einfalt des mit der Muttermilch eingesogenen, angewohnten und leidentlich hingenommenen Glaubens an die christliche Weltordnung herausgetreten und allerdings zu einem gewissen Mündigkeitsalter, aber entsetzlichster Gattung, vorgeschritten. Unter Vorgang und Anleitung einzelner hervorragender, gottentfremdeter Geister ist's mit allen seinen Verhältnissen in einen von Gott und seinem Worte abgelösten, ja dämonischen Denkprozeß eingegangen, und in Verfolgung desselben zu jenen furchtbaren Ergebnissen gelangt, wie wir sie jetzt in Tausenden von Flug- und Tagesblättern ausgesprochen finden. Da vernehmen wir unter anderen Sätze wie diese: der Mensch sei vermöge einer Naturnothwendigkeit ins Dasein getreten, und die Idee einer auf ihm ruhenden Verpflichtung zur Dankbarkeit und Unterthänigkeit gegen Vater und Mutter sei ein Vorurtheil, das aller vernünftigen Begründung entbehre. Die Ehe sei ein widernatürlicher Zwang; die Natur erheische die Wegräumung derartiger Schranken. Familienpflichten gebe es nicht; vielmehr habe der Staat jede Sorge um die Pflege und Erziehung der Kinder auf sich zu nehmen. Jeder Mensch sei geboren, nach den Grundsätzen seiner Vernunft sich selbst zu regieren. Daß er von Anderen regiert werde, er müßte sich dieselben denn selbst zu Regierern erkohren haben, greife verletzend in seine Menschenrechte ein. Die Menschen seien an Rechten und Ansprüchen einander vollkommen gleich, und alle Verhältnisse des Standes, des Ranges, der Ueber- und Unterordnung seien widervernünftig. Es habe der eine Mensch dasselbe Anrecht an die Erde und ihre Güter, wie der andere. Daß Arme und Reiche neben einander beständen, sei ein himmelschreiend Unrecht. Was der Eine zu viel besitze, habe er einem Andern geraubt. Es sei in der Ordnung, daß es ihm, wofern er es nicht aus freier Bewegung herausgebe, gewaltsam entzogen werde. Eingriffe in fremdes Eigenthum, so wie überhaupt Auflehnungen gegen hergebrachte gesetzliche Ordnungen, seien, falls das allgemeine Wohlsein sie erheische, eine von der Vernunft gebotene Selbsthülfe. Der Mensch sei lediglich da, um sein kurzes, im Tode für immer erlöschendes Leben so sinnlich behaglich und vergnügt wie möglich hinzubringen. Diesem Zweck müsse Alles nachstehen, und Mitleid, Dankbarkeit, Treue, geschworne Eide u. s. w. dürften hier keine Schranken ziehen. Seht, dies sind einige der Grundsätze, wie sie uns heut zu Tage nach Unten hin begegnen. Nach Oben zu, soweit auch da der antichristische Zeitgeist Platz gegriffen, begegnen uns dieselben Maximen des fleischlichen und gottesleugnerischen Egoismus, nur in anderen Formen, und statt der Blüthen des Aufruhrs sehen wir sie hier die nicht minder scheußlichen der Herzensverhärtung, des Geizes, des Hochmuths und der Brüderverachtung treiben. Jene Ideen, die selbstredend das ganze gesellschaftliche Zusammenleben aus allen Fugen und Angeln zu heben drohen, treten in unseren Tagen nicht mehr als ein bloß vorübergehender Tollhäuslerraptus einiger wider ihr besseres Wissen und Gewissen anstürmender rasender Thoren auf, sondern sie machen sich als förmliche Lehrsätze geltend, die im Wege folgerechten vernünftigen Denkens gefunden worden seien. Diejenigen, welche denselben huldigen, huldigen ihnen nicht in einem Rausch und Taumel, sondern mit klarem, nüchternem Bewußtsein. Und freilich, wenn vorausgesetzt wird, daß ein persönlicher Gott nicht existire, und was wir Gottesordnung in der Welt, Gotteswort und positives Gottesgesetz nennen, ins Reich der Träume zu verweisen sei, so erscheint selbst an jenen furchtbaren Grundsätzen Manches nicht so ganz verwerflich. Dann hat die bekannte sadducäische Loosung: „Lasset uns essen, trinken und fröhlich sein, denn morgen sind wir todt!“ ihren guten Grund. „Ist es mit dem Christenthum nichts'“ sagte in diesen Tagen ein einsichtsvoller hochgestellter Katholik, „so ist der Socialismus die vernünftigste Religion.“ Es ist Wahres an diesem Ausspruch; aber es folgt auch daraus, daß allein das Christenthum im Stande ist, jenen am Leben der Gesellschaft nagenden Todtenwurm zu überwinden.

Hören wir nun, wie einzig das Christenthum die Gesellschaft rettet, sichert und verklärt; denn Eisen hält sie im glücklichsten Falle nur äußerlich zusammen, aber nicht innerlich, und mit Vernunftgründen ist hier nichts mehr auszurichten, indem eben auf Consequenzen der Vernunft, als auf ihr mächtigstes Bollwerk, auch diejenigen sich stützen und berufen, die den Umsturz wollen.

„Thut Ehre Jedermann!“ spricht der Geist durch Petrus in unserm Text. „Achtung jeder einzelnen Persönlichkeit!“ Diesen Ruf stellt das Evangelium, aller Entfremdung und Zerklüftung zwischen Menschen und Menschen feind, an die Spitze seiner Verordnungen für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Aber das Evangelium gebeut nicht bloß, sondern pflanzt zugleich die Anschauungen und Gesinnungen ins Herz, aus denen die Blüthe der Erfüllung des Gebots von selbst hervorsproßt. So zeigt es uns die Menschen, unsere Brüder, in dem hehren Lichte erkorner Gegenstände der liebenden Fürsorge Gottes, Erlöseter und Erkaufter mit Christi Blut, und Verordneter und Mitberufener nicht bloß zur Fortdauer nach dem Tode, sondern auch zur himmlischen Herrlichkeit und Freude; und auf Grund dieser uns gewährten Anschauungen ruft's: „Thut Ehre Jedermann!“ Hört es, ihr Vornehmen vorab, ihr Bevorzugteren der Gesellschaft! In einem unserer Tagesblätter wurde in diesen Tagen mit besonderster Beziehung auf uns der Kirche vorgeworfen, sie pflege, wenn sie die bedenklichen Zustände der Zeit erkläre, den Quell derselben immer, nur in den niederen Schichten der Gesellschaft zu suchen, die Schuld der höheren dagegen mit Stillschweigen zu übergehen, und sende nur nach Unten hin, wo sie, die Kirche, nicht zu Hause sei, die Pfeile ihrer Strafpredigten und Ermahnungen, aber nie nach Oben. Ein ungerechterer Vorwurf hätte uns nicht gemacht werden können, als dieser. Ihr Höhergestellten und Begüterteren unter uns seid selber Zeugen, wie wir hundertmal sogar die Hauptschuld des uns gegenwärtig umwuchernden Verderbens grade euch zugemessen haben, die ihr durch euern Vorgang im Unglauben und in der Frivolität zuerst das Volk entsittlichen halft, und dann durch euern Hochmuth und eure kalte Entfremdung den „kleinen Leuten“ gegenüber jenen Sturm der Erbitterung heraufbeschwurt, um dessen Bedräuung ihr jetzt so verlegen seid. Ihr selbst seid Zeugen, wie wir ohne Unterlaß euch einschärfen, es müsse im Allgemeinen - denn an ehrenwerthen Ausnahmen fehlt es auch hier nicht - euer Verhältniß zu den Geringeren und Aermeren im Volk ein wesentlich anderes werden, wenn es den Namen eines christlichen verdienen wolle. Ihr seid Zeugen, wie wir immer aufs neue die Aufforderung an euch ergehen lassen: „Thut auch ihr den geringsten Tagelöhnern Ehre, sintemal ihr vor Gott nichts höher geltet denn sie“; wie wir nicht müde werden, euch vorzuhalten, daß es nicht etwa die Klugheit nur, sondern vielmehr das Gebot des Evangeliums von euch fordere, den geringeren eurer Brüder euch herzlicher zu nähern und die Kluft der Stände zart mit der Liebe zu überbrücken; wie wir fast keinen Sonntag vorübergehen lassen, ohne es euch als dringendste Pflicht ans Herz zu legen, Tag und Nacht auf Mittel und Wege zu sinnen, wie den gedrückteren und bedrängteren Schichten des Volkes aufzuhelfen und ihr schweres Loos zu erleichtern sei; und wie wir es unablässig im Namen des Herrn als eure heiligste Obliegenheit euch schildern, dem allgemeinen Wohle noch viel größere Opfer zu bringen, als wozu ihr bisher euch willig finden ließet; und wie wir es auch dem Staate nicht verhehlen, daß er die Lösung der socialen Fragen für seine erste und wesentlichste Aufgabe zu erachten habe. Ich sage: ihr seid des Alles selber Zeugen, und man will uns so hart beschuldigen! Träfe uns der besagte Vorwurf, wahrlich! wir wären schlechte Nachfolger der Apostel und treulose Knechte Dessen, der uns mit unserer Liebessorge vorzugsweise „auf die Gassen“ und „hinter die Zäune“ gewiesen hat.“

Wohlan denn, ihr Vornehmen zuerst, herunter von der Höhe hochmüthiger Entfremdung, heraus aus der eisigen Atmosphäre des Egoismus und der Herzenshärtigkeit, und hinein in die Hütten der ärmeren Miterlösten, hinein mit dem warmen Herzen und der hülfbereiten, Thränen trocknenden Bruderhand!“ Ihr Aermeren aber, seid ihr wirklich Christen, nun, so wisset ihr auch, es falle nach Gottes Ordnung das irdische Loos nicht Allen gleich. Wer hoch stehe, stehe da nicht ohne Gott; wer mehr besitze, besitze es nach Gottes Zuerkennung. Ihr thut den Bevorzugten die gebührende Ehre, wie sie euch, und freut euch in der Stille, daß der Schatz aller Schätze, der Friede Gottes, nicht nach Stand und Vermögen zugemessen werde, und Niemand höher gestellt sein könne, als es ein Kind Gottes sei; und diese Stellung, seid ihr Christen, ist die eure. Ueberdies wißt ihr, daß, wenn jeder das Verborgenste seines Lebens entschleiert zu Tage gäbe, ungleich weniger Neid und mehr Dank in der Welt sein würde, als gegenwärtig. Ihr murret nicht, ihr mißgönnet nicht, ihr trotzet nicht, geschweige daß ihr nach fremdem Eigenthum die Hand ausstrecken und Gott dem Herrn in seine Haushaltung solltet greifen wollen. Ihr thut euer Werk und seid stille in der Zuversicht, es werde der Herr es schon versehen. Und Er versieht's. „Ich habe noch nie gesehen“, bezeugt der Sänger des 37. Psalms, „den Gerechten verlassen, und seinen Saamen nach Brod gehn“, und wir sahen's auch noch nicht.

„Liebet die Brüder“, oder „die Brüderschaft“, fährt Petrus fort. Dies klingt ausschließend, wenn man unter den „Brüdern“ lediglich die gläubigen Christen verstehen muß. Aber es besteht nun einmal allerdings in der „allgemeinen Liebe“ die „besondere“; doch schließt die letztere, mit der der Christ die ihm gleich Gesinnten umfaßt, die Nebligen so wenig aus, daß sie vielmehr erst recht einen mitleidigen Eifer in ihnen erzeugt, auch diese dem engeren Bunde zuzuführen. „Ueberdies steht nichts im Wege, den Begriff der „Brüderschaft“ in unserem Texte auch weiter, und wenigstens bis auf alle diejenigen auszudehnen, die mit uns auf einen Glauben getauft, einer Kirche mit uns einverleibt, und zu einer Herrlichkeit mit uns berufen wurden. Wie sollte es doch möglich sein, daß wir als Christen an diesen gleichgültig vorübergehen, oder uns gar wider sie zu Felde legen könnten? Genug, das Evangelium, und das allein, bringt die Liebe in unser Herz, die da „langmüthig ist und freundlich, die nicht eifert, nicht Muthwillen treibt, sich nicht aufbläht, sich nicht ungebährdig stellt, nicht das Ihre sucht, sich nicht erbittern läßt, nicht nach Schaden trachtet, sich nicht der Ungerechtigkeit freut, sondern der Redlichkeit, und Alles verträgt, und Alles glaubt, Alles hofft und Alles duldet!“ „O, zu welch einem Paradiesesvorhof würde bald die Erde sich verklären, wenn alle Menschen wahre Christen würden!“ „Fürchtet Gott!“ fährt Petrus fort. Diese Aufforderung fährt seltsam zwischen inne. Aber ist es nicht, als ob der Apostel sagen wollte: „Noch anderweitige Regeln gedachte ich für euer gesellschaftliches Zusammenleben auf Erden euch zu geben; doch fürchtet nur Gott: die Furcht des Herrn lehrt euch überall das Rechte. Fürchtet ihr Gott, so erblickt ihr in euern Eltern und Vorgesetzten Seine Stellvertreter, und es bilden sich die Verhältnisse der Pietät. Fürchtet ihr Gott, so breitet sich über eure Ehen eine höhere Weihe, und ein Jeglicher hält sein Gemahl schon darum lieb und werth, weil er sich's von Gott gegeben weiß. Fürchtet ihr Gott, so habt ihr eure Kinder als Pflegebefohlene von dem Herrn euch anvertraut, und wie möchtet ihr dann die Sorge der Liebe um sie aus Andere wälzen wollen? Fürchtet ihr Gott, so ehrt ihr in der Obrigkeit, unter deren Schutz und Schirm ihr lebt, Gottes Ordnung, und wisset, wer gegen sie sich setze, setze sich wider die allerhöchste Majestät Gottes.“ Dies will Petrus sagen, und verknüpft sehr passend und folgerecht mit dem „Fürchtet Gott“ das „Ehret den König“. Eines Verhältnisses aber muß er noch ausdrücklich erwähnen, weil hier die Versuchung, selbst mit einem Schein der Berechtigung die Ordnung Gottes zu durchbrechen, oft so nahe liegt. Es ist das Verhältniß der Dienenden durch alle Rangstufen hindurch zu ihren Vorgesetzten und Herrschaften. Der Christ, der des Geistes aus der Höh' theilhaftig ward, bleibt sich bewußt, daß nicht Alle zum Herrschen und Befehlen berufen fein können, sondern daß es auch eine göttliche Berufung zum Dienen gebe; und ward ihm eine solche, um des Herrn willen, der ihn an diesen ob auch noch so untergeordneten Posten wies, unterzieht er sich freudig seiner Pflicht. Er ist unterthan „nicht bloß dem gütigen und gelinden“, sondern auch dem „wunderlichen“ und strengen Herrn, so lange er in dessen Diensten steht.' Er gehorcht nicht mit Knechtsinn, nicht „mit Dienst vor Augen“, sondern frei und von Herzensgrund „um des Gewissens willen vor Gott“, zu welchem er die Zuversicht hegt, daß Er's ihm heilsam ersehen habe, dieser Schule ihn zu überweisen; und er erquickt sich an Petri Wort: „Was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missethat willen Unrecht und Streiche erleidet? Wo ihr aber um Wohlthat, d. h. eure Pflicht erfüllend, leidet und erduldet, das ist Gnade, d. h. das ist angenehm vor Gott, das wird euch freundlich von Ihm angerechnet, das bringt euch Segen.“ Dieses Ausspruchs erinnert er sich zu seinem Trost, und dient in seinem Dienst heitern Muths nicht Menschen, sondern dem Herrn, und stellt im Uebrigen Alles Seinem Gott anheim, dem freilich die harten Herren ein Greuel sind, ein Greuel die Herren, die ihre Untergebenen wie Sklaven behandeln; ein Greuel die Herren, die denselben nicht einmal Raum vergönnen, Gottes Wort zu hören und die Segnungen des Sabbathtages zu erndten, und die zu seiner Zeit den Strafgerichten Dessen nicht entgehen werden, der auch zu den Knechten und Mägden gesprochen hat: Ich bin euer Gott! Wehe euch, ihr ungerechten Herrschaften, die ihr eure Diener wider euch seufzen macht! Gott sammelt ihre Seufzer und Thränen in einen Sack und bewahrt sie als Schuldbelege wider euch zum jüngsten Tage. Euch christlichen Herren dagegen braucht nicht erst ein Gebot gegeben zu werden. Ihr werdet eure Untergebenen mit den Banden der Pietät an euch zu fesseln wissen; und ihr Segen wird auf euch ruhen bleiben, wie der Segen Eliesers auf seiner Herren Hause. Ihr ahnt, Geliebte, welch' eine herrliche Welt sich um uns her entfalten würde, wenn alle Menschen wahre Christen wären. Ja, Christus ist der einige Retter wie der Seelen von der Sünde Gewalt und Fluch, so der menschlichen Gesellschaft von den Gefahren, die sie bedrohen. Christus muß in die Herzen zurück; aber wie wird er dahin zurückgebracht? Ost schlägt in dieser Zeit der wilde Ruf an unser Ohr: „Wir lassen uns nicht mehr verdummen!“ So ruft ein wüster Wahn; aber etwas Wahres darf auch hier nicht übersehen werden. Die Freunde der guten Sache, die da meinen, daß die vergangenen Zeiten der unbewußten Gewohnheitspietät und des gleichsam mit der Atmosphäre eingesogenen Gewohnheitsglaubens jemals wiederkehren könnten, täuschen sich. Es irren, die da wähnen, als seien die Leute wieder dahin zu bringen, sich blindlings, wie weiland, einer in mystischen Priesternimbus gekleideten Kirchengewalt zu beugen. Sie kommen zu dieser Art von Kirchlichst so wenig mehr zurück, wie der Schwabe je seine ehemalige volksthümliche Einfalt wieder findet, nachdem nun einmal das Aetzwasser des neuesten Zeitgeistes zerstörend darüber hingegangen, und wie dem Schweizer nach der Radikalisirung, die er erfahren, seine ursprüngliche sinnige Harmlosigkeit und liebenswürdige Alpennaivität jemals wiederkehrt. Die „Unschuld“ ist dahin; und nicht römisch wollen die Leute mehr behandelt sein - diese Methode hält nicht mehr vor, wie Frankreich und Italien des Zeugen sind, wo es am ärgsten aussieht, sondern protestantisch. Mit Bewußtsein, im Wege eines falschen Denkprozesses, sind die Verirrten unsrer Tage dahin gekommen, wo sie stehen. Mit Bewußtsein wollen sie sich in die Bahn des rechten, des göttlichen Denkens zurückgelenkt sehen. Nicht hierarchische Machtsprüche, nicht magische Formeln und Weihen; das Wort, das reine, helle Wort muß es thun. Das muß die Welt wieder mit dem ungefälschten Christenthume bekannt machen, und ihr dasselbe unter Bezeugung des Geistes als eine Sache zum Bewußtsein bringen, die so wahrhaftig Gottes sei, als sie alle Merkmale und Siegel einer solchen Sache an der Stirne trage. Und das Wort des Glaubens hat die Verheißung, und findet der Anknüpfungspunkte in der Gemüthswelt eines großen Theiles unsrer Zeitgenossen noch viele. Der religiöse Urgrund unsres Volkes ist, mit was für Schierlingssaaten er auch überwuchert sei, noch lange nicht überall gar verwüstet und verderbt. Und was das Wort allein hier nicht vermag, das vermag Der, der dem Worte Sein allmächtiges Geleite zugesagt hat. Auf Ihn vertraue ich, der da spricht: „Die ganze Erde ist mein!“ und trotzend aus Ihn rufe ich auch Angesichts der heillosesten Zustände der Gegenwart getrost mit dem Propheten: „Der Herr wird ein Neues schaffen im Lande!“ „Käme es aber, dieweil wir leben, dennoch anders, als wir hoffen und erflehen, nun, dann wehe in meinem Fähnlein die Loosung der seligen Herzogin Sophie von Liegnitz:

Hie Kampf, dort Kron!
Hie Leid, dort Lohn! Amen.

Quelle: Einzeldruck, Berlin 1850, Justus Albert Wohlgemuth

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