Kranichfeld, Friedrich Wilhelm Karl - Wozu verbindet uns die freie Gnade Gottes in Christo?

Kranichfeld, Friedrich Wilhelm Karl - Wozu verbindet uns die freie Gnade Gottes in Christo?

Predigt über 1. Pet. 1, 13 - 17.

von Friedrich Wilhelm Karl Kranichfeld, Pfarrer in Wolkenfeld im Königreich Sachsen.

Im Namen Jesu!

Siehe ich lege in Zion einen Stein des Anstoßens und einen Fels der Aergerniß, und wer an Ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden. Also spricht der Herr. Jener Stein des Anstoßens und Fels der Aergerniß ist aber kein anderer als: Jesus Christus, das Wort vom Kreuze, die freie Gnade Gottes in Christo Jesu.

An diesen Stein sind von jeher angelaufen die Gesetzlichen, welche ihre eigene Gerechtigkeit, die aus dem Gesetze kommt, auf-. zurichten trachten, und darum die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und welche in Christo Jesu durch die Gnade Gottes angeboten wird, nicht unterthan sind. Dieser Fels der Aergerniß hat von jeher zu Falle gebracht die Gesetzlosen, welche die Gnade Gottes auf Muthwillen ziehen.

Mit Kraft tritt nun zwar jenen Gesetzlichen die ganze heilige Schrift entgegen, und insbesondere der Apostel Paulus, dessen Leben, alle seine Reden und Briefe sich in dem Bekenntnisse bewegen: „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Mit großer Treue weist ebenso zurecht die Gesetzlosen das Wort Gottes, und namentlich auch der Apostel Jacobus mit der Frage: „Was hilft es, lieben Brüder, so Jemand saget, er habe den Glauben, und hat die Werke nicht?“ Aber nichts desto weniger sehen wir die Christen stets hin und her schwanken, bald zu jener vermessenen Gesetzlichkeit und stolzen Eigengerechtigkeit, bald zu dieser gesetzlosen Freiheit und fleischlichen Sicherheit; ja wenn wir einen tiefern Blick in unser eigenes Herz gethan haben, so werden wir auch da solches Schwanken finden.

Sollten wir aber nicht anders können, als daß, um dem gesetzlichen Wesen zu entrinnen, wir den Lüsten des Fleisches den Zügel lassen und uns der trägen Unthätigkeit ergeben müßten? oder daß, um dieser fleischlichen Freiheit zu entgehen, wir wieder in die Knechtschaft der Gesetzlichkeit uns zu begeben hätten? Sollte in der freien Gnade Gottes in Christo Jesu wohl selbst die Ursache dieses Schwankens liegen, so daß sie nothwendig ein Stein des Anstoßes, ein Fels der Aergerniß sein müsse? oder sollte dieselbe wenigstens zu kraftlos sein um jenen traurigen Abirrungen zu begegnen? Keineswegs, sondern in dem trotzigen und verzagten Herzen, welches immerdar nur den Irrweg will, ist vielmehr der Grund und die Ursache der bemerkten traurigen Erscheinung in der Kirche Christi zu suchen. Dagegen ist in der freien Gnade Gottes in Christo Jesu vielmehr das kräftigste Mittel gelegen, um „alle jene Höhen und diese Anschläge, welche sich erheben wider das Erkenntniß Christi, zu zerstören.“

Lasset uns dieser, der Gnade inwohnende Kraft nachdenken, damit wir durch sie vor jenen beiden Abwegen bewahret werden, und zu dem Ende unserer Betrachtung zu Grunde legen:

Text: 1. Petri 1, 13 - 17.

Darum so begürtet die Lenden eures Gemüths, seid nüchtern, und setzet eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi, als gehorsame Kinder, und stellet euch nicht gleich wie vorhin, da ihr in Unwissenheit nach den Lüsten lebtet; sondern nach dem, der euch berufen hat, und heilig ist, seid auch ihr heilig, in allem eurem Wandel. Denn es stehet geschrieben: ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig. Und sintemal ihr den zum Vater anrufet. der ohne Ansehen der Person richtet, nach eines jeglichen Werk: so führet euren Wandel, so lange ihr hier wallet, mit Furcht.

Nachdem der Apostel in dem Vorangehenden die freie Gnade Gottes in Christo nach ihrem Ursprunge, nach dem hohen Preis, den sie gekostet, und nach ihren beseligenden Wirkungen gerühmt hatte, zeigt er in dem Texte den erwählten Fremdlingen, au die er schreibt, welch' eine verbindende Kraft in dieser Gnade Gottes befindlich sei, um die Begnadigten von beiden, im Eingange bezeichneten Abwegen, von der vermessenen Gesetzlichkeit, von der fleischlichen Gesetzlosigkeit abzuhalten; ein Unterricht, welchen auch wir jetzt vor Gott erwägen wollen, indem wir betrachten:

Wozu uns die freie Gnade Gottes in Christo Jesu verbinde?

  1. Zu einem ungefärbten Glauben, welcher nicht mit Werken umgehen darf;
  2. Zu einem Stande guter Werke, darin solcher Glaube sich erweisen muß.

I.

Die freie Gnade Gottes in Christo Jesu verbindet uns zu einem ungefärbten Glauben, welcher nicht mit Werken umgehen darf; „der seine Hoffnung setzet ganz auf die Gnade, welche uns angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi,“ wie unser Text sagt, einmal: weil nur solchem Glauben diese Gnade im Evangelio angeboten wird.

Dann erwäget zuvörderst das Wesen der Gnade, welche uns das Evangelium anbietet. Sie ist eine erbarmende Liebe, welche Zutrauen erfordert, wenn sie begriffen; sie giebt Verheißung, welche Glauben verlangt, wenn sie trösten; sie verheißet ein ewiges Erbe, auf das man hoffen muß, wenn es „schon auf Erden“ beseligen soll. Durch Glauben also, welcher jenes Zutrauen und diese Hoffnung in sich einschließt, kann die Gnade Gottes ihrem Wesen nach nur allein zu uns und „wir zu ihr kommen. Und zwar durch eine n ungefärbten Glauben, welcher nicht mit Werken umgehet, sondern ganz auf Gnade sich verläßt. Denn aller Glaube, welcher auf die Gnade Gottes hofft, weil er durch Tugend, durch gute Werke sie verdient, sich ihrer würdig gemacht zu haben wähnt, ist kein Glaube, ist ein bloßes Vorgeben des Glaubens, ist ein Heuchelglaube. Man thut dabei wohl, als verließe man sich auf die Gnade Gottes, aber in Wahrheit vertraut man weder der Liebe Gottes, noch glaubt man seinen Verheißungen, noch umfaßt man mit beseligender Hoffnung das verheißene Erbe im Himmel, sondern vertraut nur seiner Gerechtigkeit, glaubt nur seinem Dünken, sucht nur in sich, und oft mit seht irdischem Sinne, seine Seligkeit.

Nur jenem so ungefärbten Glauben wird im Evangelio die Gnade Gottes angeboten, dieses bezeugt uns noch verbindender zu solchem Glauben als die Erwägung des Wesens der Gnade das ausdrückliche Wort des Evangeliums in allen seinen Aussprüchen. „Setzet euere Hoffnung ganz auf die Gnade,“ rufet uns unser Text zu; und daß ich von der reichen Fülle dieser evangelischen Zeugnisse nur noch eines anführe: „Dem aber, spricht der Apostel Paulus, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an Den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glauben gerechnet zur Gerechtigkeit.“

Zu einem solchen Glauben verbinden uns ferner die Gnadenmittel, die heiligen Sacramente, in welchen uns die Gnade Gottes nicht allein dargeboten, sondern auch zugeeignet wird. Denn nur „wer da glaubt und getauft wird,“ wer also im „wahren“ Glauben die ihm „durch seine Taufe“ dargereichte Gnade ergreift, „der wird“ durch diese Gnade „selig werden;“ „wer aber nicht glaubt,“ den wird diese Gnade nicht selig machen, sondern „der wird verdammt werden.“ Und im Sacrament des Altars ist nur der, wie unser Katechismus sagt, würdig und wohlgeschickt, der den Glauben hat an die Worte: „für euch gegeben; für euch vergossen zur Vergebung der Sünden,“ denn diese Worte erfordern eitel gläubige Herzen.

Und alle Beispiele der Begnadigten geben uns einstimmig das Zeugniß, daß nur ihrem Glauben die Gnade Gottes angeboten und nur durch ihren Glauben sie Begnadigte wurden. „Abraham, der Vater der Gläubigen, glaubte dem Herrn, und das ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit.“ Sehet den Schächer am Kreuze! Dieser, wie er sich bekehrend selber gestehet, litt, was seine Unthaten werth waren, ja hatte so eben den Herrn der Herrlichkeit nebst seinem Mitgenossen noch gelästert. Und doch wurde auf seine gläubige Bitte: „Herr, wenn du in dein Reich kommest, so gedenke meiner!“ die gnadenreiche Antwort: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Wo ist der Verdienst der Werke, Würdigkeit der Person? „Darum,“ ruft uns der Apostel Paulus zu, daß ich nur ein Beispiel der Gnade anführe, „darum ist mir, der ich zuvor ein Lästerer und ein Verfolger und ein Verschmäher war, Barmherzigkeit widerfahren, auf daß an mir vornehmlich Jesus Christus erzeigete alle Geduld, zum Exempel denen, die an ihn glauben sollen zum ewigen Leben.“

Ja, damit das Evangelium nicht gehindert würde durch das h. Gesetz Gottes, dem ungefärbten Glauben, der nicht mit Werken des Gesetzes umgehet, die Gnade Gottes anzubieten, so bietet es dieselbe an „durch die Offenbarung Jesu Christi,“ welcher, als „der eingeborne Sohn, von Gott gesandt, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan, die, welche unter dem Gesetz waren, erlösete,“ indem er für sie die Forderungen und Drohungen des Gesetzes erfüllete, und so würde „des Gesetzes Ende, daß, wer an Ihn glaubt, gerecht sei.“

So bezeugen uns der richtige Begriff von Gnade, das Wort, die Mittel, die Zeugen der Gnade, ja die Gnade selbst, welche uns angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi, daß sie nur einem Glauben angeboten werde, der nicht mit Werken umgehe, und so verbindet uns das Evangelium schon durch sein Anerbieten der Gnade zu solchem ungefärbten Glauben.

Dazu verbindet uns aber zweitens auch, weil nur ein solcher Glaube sich der Gnade Gottes zu getrösten vermag.

Deine Tugend, deine Werke, deine Würdigkeit soll dir Gnade Gottes verdienen? Wer bist du, o Mensch, der solches zu hoffen du dich unterfängst? Du bist ein Geschöpf, Gott aber ist dein Schöpfer. „Was hast du denn deinem Schöpfer gegeben, daß dir wieder vergölten werde?“ „So wir Alles gethan haben, so sollen wir ja sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nicht mehr gethan, denn wir zu thun schuldig waren.“

Und welches sind denn deine Werke, damit du Gottes Gnade dir erkaufen willst? Du bist tugendhaft, weil das Verderben, die argen Gedanken deines Herzens durch Versuchung noch nicht offenbar geworden sind. Du hast dir Verdienste erworben um Kirche, Staat, um die Menschheit, hast es dich viel Arbeitens, viel Schweißes, manche Aufopferung kosten lassen; aber warum? Weil es dir so Ehre und Vortheil brachte. Du warest fromm, hieltest an mit Beten, Lesen, Allmosengeben, warest ein fleißiger Kirchgänger, Abendmahlsgenoß; was bewog dich aber dazu? Weil du nicht mit ungefärbtem Glauben dich ganz auf Gottes Gnade verlässest, so wolltest du dir damit die Seligkeit erwerben und eine Stufe nach der andern in den Himmel dir bauen? Solche ungeprüfte Tugend aber, die höchstens nur an sich gute Angewöhnungen sind, solche Werke aus Eigennutz und Ehrsucht, sind das die Werke, von denen es im Gesetz heißt: „Denen aber, die mich lieb haben und meine Gebote halten, thue ich wohl bis in das tausendste Glied? Wo ist da die lautere Liebe zu Gott und zu dem Nächsten, welche allein unsern Werken ihren Werth giebt?

Und welche Würdigkeit kann sich finden bei denen, deren Herzen voll solcher arger Gedanken sind, wie der Herzenskündiger uns das menschliche Herz beschreibt, und wie es sich täglich zeigt in dem Dienste der Unreinigkeit von einer Ungerechtigkeit zur andern, tu welchen unsere Glieder zu begeben es uns bewegt? Ja, welche Würdigkeit ist zu suchen bei denen, welche mit Werken umgehen, ihre eigene Gerechtigkeit aufrichten wollen und nicht unterthan sind der Gerechtigkeit, die Gott in seiner Gnade darbietet? Sie machen sich dadurch selbst zum Abgott, rauben Gott seine Ehre, lüstern ihn, kreuzigen den Sohn Gottes abermals und halten ihn für Spott, treten die Gnade Gottes, die ihnen durch die Offenbarung Jesu Christi angeboten wird, mit Füßen. Durch diese Würdigkeit aber, durch diese Werke, durch diese Tugend, womit sie Gottes Zorn und Ungnade, Tod und ewige Verdammniß verdienen, wollen sie der Gnade Gottes sich getrosten! O, wie bald wird der Fels ihrer Hoffnung dahinstürzen als ein Schemen und eiteles Wahngebilde, wenn Noth und Tod hereinbrechen und sie dringen ernstlich zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen!

Nein, nur die ewige Gnade Gottes, nur Christi vollkommene Gerechtigkeit, nur das Wort der Gnade, welches nicht vergeht, ob auch Himmel und Erde vergehn, und nur der Glaube, welcher, ganz frei von Werken, einzig an der Gnade hängt, nur diese werden in den Anfechtungen, wenn das Gewissen erwacht, wenn die Schrecknisse des Todes uns umfahen, und wenn das zukünftige Gericht uns beben macht, den Trost der Gnade Gottes uns genießen lassen.

Daß aber, wie so eben gesagt wurde, bei einem Heuchelglauben für uns aufhört Gnade Gnade, Christus Christus, ja Gott Gott zu sein, das ist es drittens, wodurch uns die Gnade zu einem ungefärbten Glauben verbindet, der nicht mit Werken umgeht.

Denn wer in seinen Werken, in seiner Würdigkeit die Hoffnung auf Gottes Gnade zu begründen sucht, kann dieses nur, weil er in sich Verdienst wähnet. Wo aber Verdienst ist, da ist Pflicht und nicht Gnade, sagt der Apostel Paulus. Wer daher mit Werken umgeht, dem hört Gnade auf Gnade zu sein.

Und wozu ist ein Heiland dem nöthig, der durch feine Tugenden, durch seine guten Werke sich selbst zu helfen vermag? Ja, wäre dieses, so hätten Jene recht, (was ferne sei!) wenn sie Jesum, der sich Christus nannte, als einen Betrüger verwarfen und kreuzigten; so hätten die recht, welche den Glauben an Christum eine Lästerung des Gottes in uns nennen.

Dann hört aber auch auf der heilige, lebendige, ewige Gott Uns Gott zu sein. Denn können wir Gottes Wohlgefallen durch unsere unreinen Werke uns erwerben, so ist er nicht mehr der Heilige in Israel; können wodurch unser Verdienst ihn nöthigen, zwingen, uns gnädig sein zu müssen: so ist er heruntergestürzt von dem Throne seiner Majestät, da er spricht: „Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich;“ so hört uns Gott auf Gott zu sein, und wir sind an seine Stelle getreten.

Wie dringet und treibet uns also die Gnade Gottes, welche uns angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi, ganz auf sie unsere Hoffnung zusetzen! Wie ist es möglich, bei solcher Gnade noch mit Werken umgehen zu wollen! Wahrlich, nur der Taumelbecher, aus dem die stolze Einbildung von uns uns hat trinken lassen, nur die Verführung der losen Philosophie, welche den Menschen vergöttert, nur die Verblendung durch den Gott dieser Welt, welcher sein Wesen hat in den Kindern des Unglaubens, . und seine Beute nicht lassen will, kann uns die Verpflichtung der Gnade Gottes, mit ungefärbtem Glauben ganz auf sie unsere Hoffnung zu setzen, vergessen lassen, kann sie uns aus den Augen rücken, kann machen, auf unser eigenes Verdienst zu bauen! Deswegen ruft der Apostel auch den erwählten Fremdlingen zu: Darum so begürtet die Lenden eures Gemüthes, seid nüchtern und setzet euere Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi.

Wenn du aber, mein Christ, dieser Ermahnung des Apostels folgsam, gerüstet mit jenen Wahrheiten, den stolzen Eingebungen deines eigenen Herzens, der Welt und des Satans entgegentrittst; zum klaren Bewußtsein des Einen kommst, was dir noth thut; und dich so mit ungefärbtem Glauben der göttlichen Gnade in Christo zuwendest: dann wird, was äußerlich bisher war, innerlich werden, dann wirst du durch den Trieb deines Innern, Noth und Liebe genannt, unwiderstehlich zum alleinigen Hangen an der Gnade dich gedrungen fühlen, - so daß es endlich dahin kommt, daß du am liebsten dich selbst vergißst, und nur daran denkest, daß ein Heiland ist.

Denn wer sich der Gnade Gottes in wahrem Glauben zuwendet, in dem spiegelt sich des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Antlitze. Im Lichte dieser Klarheit erkennt man aber erst recht lebendig sein unbeschreibliches inneres Verderben, das Fluchwürdige der Sünde, die Tiefe des Elendes, in welche sie uns gestürzt hat; und wie, ohne die Gnade Gottes in Christo, wir ewig hätten verloren sein müssen. Dann wirst du, in deinem Blute liegend, auch der geringsten Gnade dich unwerth achten; um desto mehr aber wird, wie ein Strom, die Gnade sich in dein gnadenhungriges Herz ergießen. Der Herr wird vor sich her dir predigen lassen dir gewissen Gnaden Davids, versiegelt mit einem theuern Eide, erworben durch das theuere Blut Christi; und in dieser Predigt wird Er selber vor dein Herz treten mit aller seiner Liebe und Treue, welche ihn für dich in Gethsemane kämpfen, am Kreuze sterben und zur Rechten Gottes bitten läßt; Er wird um deine Seele werben, wie ein Bräutigam um die Braut. Und hörst du seine Stimme, thuest du im Glauben dein Herz ihm auf, dann wird er zu dir eingehn und das Abendmahl mit dir halten, und du mit Ihm; dann wird er mit seinem seligen Gottesfrieden, mit der süßesten Freude, mit diesen reichen Gütern seines Hauses dich tränken mit Wollust, ja mit aller Gottesfülle dich also umsahen, daß du nur auszurufen vermagst: Du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen; du bist mir zu stark geworden, und hast gewonnen. Es ist genug; so nimm nun hin meine Seele! Nun kennt das Herz nichts Seligeres als in der Gnade Gottes wie in seinem Elemente sich zu bewegen; dann rühmt man am allerliebsten seiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi in uns wohne; dann vergißt man, was dahinten ist, und spricht mit dem Apostel Paulus: Ich achte es Alles für Schaden und Unrath, auf daß ich nur Christum gewinne und in Ihm erfunden werde, und daß ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetze kommt, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. ,

Bei einem solchen Sinn aber, in dem uns die Gnade Gottes in Christo unwiderstehlich verbindet, ganz auf sie unsere Hoffnung zu setzen, mit einem ungefärbten Glauben, welcher

II.

nicht mit Werken umgeht, verbindet sie uns eben so kräftig zu einem Stande guter Werke, in welchem jener Glaube sich erweiset, einmal durch den Gnadenstand, in welchen wir durch solchen Glauben versetzt worden sind, „als die gehorsamen Kinder,“ sagt unser Text.

Denn die Gläubigen sind durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes wiedergeboren, nicht allein zu einer lebendigen Hoffnung, zu einem ewigen Erbe, das behalten wird im Himmel, sondern sie haben in ihrer Wiedergeburt auch schon hier auf Erden empfangen das Unterpfand dieses Erbes, den heil. Geist, der Verheißung. Dieser Geist aber ist eins mit dem Vater und mit dem Sohne; es ist der Geist des Sohnes, den Gott gesendet hat in unsere Herzen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Wie könnte dieser Geist des Vaters anders als uns bilden nach dem Sinn des Vaters? wie sollte dieser Geist Christi, des, der gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, zu etwas Anderm uns treiben, als zu gleichem Gehorsam? ja wie können wir anders, die wir Gott geboren sind zu Kindern wie der Thau aus der Morgenröthe, als ihm dienen willig im heil. Schmuck? Von Gottes heiligem Geiste erfüllt, ist uns die bisherige Sündenlust eine schwere Last, unter welcher wir unablässig seufzen: Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes! Willig kreuzigen wir nun in seiner Kraft unser Fleisch samt den Lüsten und Begierden; laufen mit Lust den Weg seiner Gebote; erfüllen mit Freuden den Beruf, den Gott uns gab, auch die schwersten Pflichten Desselben und mit einer Treue, die auch das Kleinste ihrer nicht zu gering achtet. Ja gern und willig nehmen wir das Kreuz auf uns das der Herr uns auflegt, und ehren darin Gott mit Geduld und kindlicher Ergebung.

Und das sind allein gute Werke, die man also nach Gottes Geboten aus inniger Liebe zu ihm thut, welche Gott selber durch seinen Geist in uns wirket; und nur das ist ein Stand guter Werke, wo solcher kindliche Gehorsam gegen Gott unser Herz erfüllt. Und weil uns unser Gnadenstand zu solchen gehorsamen Kinder macht, so verbindet er uns eben dadurch zu einem Stande guter Werke, welche der Gnadenstand, wie der gute Baum durch seine Natur und Wesen gedrungen, also auch durch seine Natur und Wesen. von selbst hervorbringt. .

Dazu verbindet uns aber auch zweitens die Gnade Gottes in Christo durch den heil. Ruf, mit welchem sie uns beruft. Wohl vermag ungestört ein Mensch nach seinen Lüsten dahinzuleben, welcher noch nichts weiß von der Gnade Gottes, welche uns in Christo angeboten wird; oder welcher sie wenigstens in ihrer Höhe und Tiefe, in ihrer Länge und Breite noch nicht recht erkannt hat. Wen aber, bisher in Finsterniß und Schatten des Todes sitzend, endlich auch besucht durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes der Aufgang aus der Höhe, dem wird es klärer als das helle Licht der Sonne ist, daß der Ruf des heil. Gottes und zu dem heil. Gotte es sei, damit er durch die Gnade berufen ist.

Denn ist es nicht der Ruf des Gottes, welcher uns durch die Offenbarung Jesu Christi zu seiner Gnade einladet, welcher nicht allein sein heiliges Gesetz uns ins Herz geschrieben und mit großem Ernst auf Sinai wiederholt hat, sondern welcher auch damit diesem, heiligen Gesetze genug gethan und er doch auch dem Sünder gnädig sein könnte, selbst seines eigenen Sohnes nicht verschonet, hat, sondern ihm, als unsern Schuldbürgen, mit dem Zornfeuer eines heiligen Elfers blutigen Schweiß ausgepreßt und, als einen Fluch am Kreuze hängend, für uns hatte zahlen lassen? Ist es nicht Jesus Christus, der von keiner Sünde wußte, den der Eifer um das Haus Gottes verzehrte, der sich für uns heiligte, auf daß auch wir heilig würden in der Wahrheit, ist es nicht dieser Heilige in Israel, welcher in dem .Gnadenruf uns zuruft: Kommet her zu mir! Es ist endlich der Geist, welcher ein heil. Geist ist und heißt, der uns durch das Evangelium einladet. Es ist, um Alles mit Einem Worte zu sagen, es ist im Evangelio uns angeboten die Gnade des Dreieinigen, dem alles Himmelsheer durch alle Ewigkeit hindurch das Dreimal heilig ertönt. Wie kann der Gnadenruf dieses heil. Gottes ein anderer sein, als ein heiliger. Ja wahrlich, wir sind nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.

Aber nicht allein von dem heil. Gott geht dieser Ruf der Gnade aus, sondern er rufet uns auch zu dem heil. Gott. Denn das Ziel der Friedensgedanken Gottes mit uns ist kein anderes, als uns mit sich wieder zu vereinigen. So will er uns alle die Seligkeiten genießen lassen, zu denen er uns erschaffen, die uns Jesus Christus erworben hat, und welche wir im heil. Geist genießen sollen. Wie können wir aber Gemeinschaft mit Ihm haben, der ein Licht ist und ist keine Finsterniß im ihm, so wir im Finstern Wandeln, unsere Sünde läugnen, mit Liebe ihr anhängen? Wohnet auch Christus und Belial zusammen in einem Herzen? Kann ein Tempel des heil. Geistes sein der, welcher seine Glieder macht zu Sündengliedern? Nein, willst du Gemeinschaft mit Gott haben, so mußt du heilig werden. Deine Seele mußt du erleuchten lassen durch Gottes Licht. Dein Herz muß erfüllen Gottes Liebe; deine Kräfte, Leibes und der Seele, müssen geweihet sein Gottes Dienste du mußt dich erfinden lassen in einem Stande guter Werke. Dazu verbindet dich die Gnade Gottes in Christo durch ihren heiligen Ruf - denn sie rufet dich zu der Gemeinschaft des heiligen Gottes.

Darum rufet uns auch der Apostel in unserm Texte zu: darum stellet euch nicht, gleich wie vorhin, da ihr nach euern Lüsten lebtet, sondern nach dem, der euch berufen hat, und heilig ist, seid auch ihr heilig in allem euerm Wandel, denn es stehet geschrieben: ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig.

Zu einem solchen Stande guter Werke verbindet die Gläubigen aber auch drittens die Gnade durch die Gefahr, ihrer wieder verlustig zu gehn, womit wir, so lange wir hier wandeln, bedrohet sind.

Denn dürfen wir wohl den zum Vater ferner anrufen, der ohne Ansehn der Person richtet nach eines jeglichen Werk, wenn wir uns nicht in einem Stande guter Werke erfinden lassen, wenn wir nicht der Heiligung nachjagen, und in kindlichem Gehorsam ausüben, nachdem uns doch Gott dazu durch seine Gnade tüchtig gemacht hat?

Wohl fordert Gott in dem göttlichen Gesetz auch: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig;“ aber dies Gesetz giebt uns keine Kraft dazu, macht uns nicht lebendig. Und wenn allein nach seinem Gesetze der Richter der Lebendigen und der Todten uns richten wollte, so könnte es scheinen, als ob nicht ohne Grund gesagt würde: Recht und heilig ist dein Gebot, o Gott, aber wer vermag es zu erfüllen? wer kann auch so heilig leben als du gebietest? Die Verurtheilten möchten rühren die Ketten des Todes und der Finsterniß, mit welchen sie gebunden sind, und ausrufen: Sollte der Richter aller Welt auch recht gerichtet haben, daß er von den Todten Werke des Lebens, von den in Finsterniß und Schatten des Todes sitzenden einen Wandel im Lichte fordert?

Nun aber wird uns angeboten die Gnade Gottes durch die Offenbarung Jesu Christi; es ist damit gekommen das gnädige Jahr des Herrn, wo gepredigt wird den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Oeffnung. Wir sind als Begnadigte und Wiedergeborne geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken. Und ein Apostel Paulus darf nun ausrufen: Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, das ist Christus.

Was wollen wir nun noch für unser Zurückbleiben, für die Unterlassung uns zu reinigen von den vorigen Sünden, für unsere Unfruchtbarkeit an guten Werken, mit einem Worte, für unsere Untreue als Entschuldigung anführen dem Richter der Lebendigen und der Todten? Sein Anblick schon würde alle Entschuldigung zunichte machen. Wolltest du dich entschuldigen mit des Teufels List und Macht, so würde der Sohn Gottes dir zurufen: „Dazu bin ich erschienen, daß ich die Werke des Teufels zerstöre!“ Wolltest du auf deine Unwissenheit dich berufen, so würde Er dir sagen: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgen will, der wird das Licht des Lebens haben und die Finsterniß wird ihn nicht ergreifen.“ Wolltest du dein Unvermögen vorschützen, so würde Er dir entgegnen: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“ Wolltest du die Kürze deiner Gnadenzeit vorwenden, so würde Er dir antworten: ich habe für dich gebeten: laß ihn noch ein Jahr stehen! Wolltest du die Schuld auf Andere wälzen, auf deine Eltern, welche dich nicht gut erzogen, und deine Lehrer, welche dich nicht recht geführt, auf deinen Nächsten, der seiner Fürsorge dich nicht Hütte befohlen sein lassen, so würde Er dir entgegenstellen seine Hirtentreue, mit welcher Er sich seiner Heerde selbst annimmt, das Verlorne sucht, das Verirrte wiederbringt, das Verwundete heilet, des Schwachen pflegt, wie es recht ist.

Also macht die Gnade Gottes in Christo verstummen, nimmt alle Entschuldigungen, wenn wir uns bei ihr nicht in einem Stande guter Werke finden lassen, und legt uns dadurch, daß sie uns zu jedem guten Werke Licht und Kraft darbietet, die schwerste Verantwortung auf: „Und wir müssen nun alle offenbar werden vor dem Richterstuhle Jesu Christi, wo ein Jeder empfangen wird, je nach dem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse. „Denn Gott hat wohl die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebietet er allen Menschen an allen Enden Buße zu thun; darum, daß er einen Tag gesetzt hat, an welchem er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch einen Mann, in welchem er es beschlossen hat und Jedermann vorhält den Glauben, nachdem er ihn auferweckt hat von den Todten.“ Und je mehr dir die Gnade gab, desto mehr wird von dir alsdann gefordert werden. Oder sollte Gott thun, was selbst den Richtern auf Erden zu thun er verboten hat, und die Person ansehn? Sollte er darum, weil du ihn zum Vater anrufest, aufhören gerecht zu sein? That nicht Eli also und ward darum von Gott verworfen? Nein, sintemal ihr den zum Vater anrufet, spricht unser Text, der ohne Ansehn der Person recht richtet nach eines Jeden Werk, so führet, so lange ihr hier wandelt, euern Wandel mit Furcht: Denn ihr könnet der euch angebotenen Gnade in Christo auch wieder verlustig gehen, wenn ihr euch nicht in einem Stande guter Werke finden lasset, weil, wer nicht hat, dem auch genommen wird das, was er hat. Diese Möglichkeit, der Gnade Gottes, welche uns angeboten ist durch die Offenbarung Jesu Christi, wieder verlustig zu gehen, wird um so mehr durch eine heilsame Furcht uns, verbinden uns in einem Stande guter Werke erfinden zu lassen, je süßer uns die Gnade geworden ist durch sie Gott zum Vater anrufen zu dürfen, und je größer, so lange wir hier wandeln, die Gefahr ist, daß jene Möglichkeit zur Wirklichkeit werde. Wer nicht geschmeckt hat diese Süßigkeit des Gnadenstandes, der gibt, wie Esau um ein Linsengericht, so um die elendeste Lust der Welt die Gnade hin. Wer aber aus seliger Erfahrung die Lieblichkeit, die hohe Würde des Gnadenstandes hat kennen lernen, dem ist nichts fürchterlicher als das Schreckenswort: „Weichet von mir, ihr Uebelthäter; ich habe euch noch nie erkannt.“

Und doch ist es grade der Begnadigte, den vornehmlich in. dem eignen Herzen der verderbte Eigenwille und die sündliche Lust unaufhörlich reizet und locket; auf den es die Welt mit ihren Aergernissen vorzugsweise abgesehn hat; den Satan mit aller List und Macht vorzugsweise bald als der Versucher, bald als ein brüllender Löwe angreift. Wie kann daher der Begnadigte anders, als, bei allem seligen Gefühl der gewissen Gnaden Davids, doch auch mit Furcht und Zittern hienieden schaffen seine Seligkeit, und so mit allem Ernst, mit aller Kraft, mit aller Treue trachten, erfunden zu werden in einem Stande guter Werke, um seine Berufung und Erwählung fest. zu machen.

„Also ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und züchtigt uns, daß wir sollen verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt; und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi, der sich selbst für uns gegeben hat, auf daß er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigenthum, das fleißig wäre zu guten Werken. Und es ist diese Gnade Gottes in Christo in Zion zwar Vielen ein Stein des Anlaufens, Andern ein Fels der Aergerniß, wer aber an Ihn glaubt, der wird durch die in der Gnade liegende Kraft bewahret werden, daß er weder in die Knechtschaft vermessener Gesetzlichkeit gerathe, noch in die fleischliche Freiheit der Gesetzlosigkeit versinke; der wird nicht zu Schanden werden. Amen.

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