Kohlbrügge, Hermann Friedrich - VII. Predigt über Evangelium Johannis Cap. 3, 18.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - VII. Predigt über Evangelium Johannis Cap. 3, 18.

Ein jeder Mensch weiß, daß ein Gericht bevorsteht; ein Gericht, wobei es an den Tag kommen wird, was der Mensch innerlich gewesen ist, und was die Treibfeder aller seiner Handlungen war. Seit dem Falle der ersten Menschen gibt es aber ein dreifaches Gericht. Das erste ist, daß wir alle als Kinder des Zornes geboren werden und von unserer Geburt her durch die Sünde ohne das Leben Gottes sind; das zweite, daß wir in diesem Leben die zeitliche Strafe unserer Sünden zu tragen haben, wie denn Adam und Eva nicht allein es vernommen haben: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen, bis du wieder zur Erde wirst, wovon du genommen bist“, und: „mit Schmerzen wirst du Kinder gebären“, - sondern es auch haben erleben müssen, daß der Sohn, worauf sie so viele Hoffnungen gebaut, seinen gerechten Bruder todtschlug; und wie es auch zu David geheißen: „Das Schwert wird von deinem Hause nicht weichen“. Das dritte Gericht ist das endliche, vollkommene, ewige Verstoßenwerden von dem Angesichte Gottes, ein ewiges Heulen und Zähneknirschen in Gesellschaft aller Teufel und aller Verdammten in der Hölle. Dieses letzte Gericht wird über alle Unbekehrten, über alle Ungerechten, über alle Heuchler ergehen. Christus hat uns gelehrt, daß er kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm; vor ihm werden alle Völker versammelt werden, und er wird zu denen zu seiner Linken sagen: „Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“. Es ist in aller Gewissen eingeprägt, daß dieses Gericht einem jeglichen bevorsteht. Darum hat man von jeher sich in allerlei Weise einen Grund und Boden gesucht, auf welchem man meinte vor diesem Gerichte bestehen zu können. Die Pharisäer haben auch ihre Dinge gehabt, worauf sie sich verließen, und auch unter den Christen gibt es der Beruhigungsgründe genug, bei welchen man meint, so werde es angehen. Die Pharisäer haben es in den Werken gesucht, und die Christen, die den Namen haben daß sie leben, aber todt sind, suchen es auch in den Werken, wenn sie auch ihren Glauben oder mit den Pharisäern ihre Erwählung vorschützen. Was todt ist oder den Glauben nur für eine Zeit hat, steht äußerlich unerschütterlich fest auf seinem vermeinten Grund, wiewohl es inwendig die Bestrafung in sich trägt, daß die Gerechtigkeit, worauf man sich so sicher hält, nicht halten wird. Was lebendig gemacht ist, steht innerlich fest in dem Herzen Gottes, denn darin ist es gewurzelt; von außen aber wird es manchmal hart angefochten eben darüber, ob es vor Gottes Gericht wohl bestehen wird. Derjenige nur, der lebendig gemacht ist vom Geiste Gottes, glaubt in Wahrheit, daß es ein Gericht geben wird; bei allen Uebrigen ist das Wort: „wir müssen alle geoffenbaret werden vor dem Richterstuhl Christi“ nur ein Wort der Lippen. Weil aber derjenige, der Leben hat, es in Wahrheit glaubt, daß es ein Gericht geben wird am Ende der Tage, - hält es bei ihm mit allem, was er denkt, thut und spricht, genau; kommen ihm nun dann und wann große und schreckliche Sünden, die er begangen hat, und allerlei Greuel vor die Augen, die er in seinem Herzen findet; ergreift und überwältigt ihn das Gefühl der Heiligkeit Gottes und, wie werth Gott es ist, daß man ihm in Heiligkeit diene, dagegen in welchem Leibe des Todes er steckt: - so wird es ihm oftmals sehr bange bei den Gedanken an Tod und Gericht. Da muß er denn einen guten Grund haben, um mit David sagen zu können: „Ich aber will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich, erwache nach deinem Bilde“. Ein jeder, der lebendig gemacht ist, kann diesen Grund nicht finden in seinen Werken der Liebe, denn obschon sie bei ihm vorhanden sind, weiß er doch nicht, daß er sie ausübt; er kann ihn auch nicht finden in dem Bewahren der Gebote Gottes, denn ob dieses wohl bei ihm da ist, klagt er sich doch an, daß er das Gute, was er will, nicht thut; es kann für ihn auch nicht darin liegen, daß er Gottes Wort und das Zeugniß Christi annimmt und für Wahrheit hält, denn das können die Teufel auch für Wahrheit halten. Was ist also der Grund, auf welchem er steht, daß er, obschon er manchmal bebt vor dem Gericht, dennoch im heiligen Geiste gewiß ist, daß er in solches Gericht nicht kommen wird? Die Aussage, worauf dieser Grund beruht, haben wir aus dem Munde unseres Herrn, - sie macht unsere heutigen Textworte aus.

Text. Evangelium Johannis, Cap. 3, V. 18.
Wer an ihn glaubet, der wird nicht gerichtet.

Beantworten wir folgende Fragen:

  1. Was heißt es, an den Sohn Gottes glauben.
  2. Welche Gnade ist daran verbunden.
  3. Wie geht es zu, daß man dazu kommt, um an den Sohn Gottes zu glauben, und demnach den guten Grund hat, daß man nicht wird gerichtet werden.
  4. Welche Anwendung sollen wir daraus für uns selbst machen.

I.

Glauben heißt nach unserer Sprache: etwas für wahr und unbezweifelt halten, was ein andrer gesagt hat. Man kann nun aber einen für wahrhaftig und zuverlässig halten in dem Sinne, daß man glaubt, daß er es redlich meint, ohne daß man darum den Willen hat, seinen Rath zu befolgen oder seine Worte als zuverlässig für sich selbst zu beachten, sobald Stolz, Eisersucht, Eigensinn und die Begierde einen irgend anderswohin treiben. So hielten die Juden, die von dem Babylonischen Schwert errettet und in ihrem Lande zurückgeblieben waren, Jeremiam für zuverlässig, ja für einen Propheten, der ihnen den Willen Gottes anzusagen habe, bis daß sie mal nach Egypten wollten, da sagten sie verführt von Geiz und Weltsinn: „Nach dem Wort, das du im Namen des Herrn uns sagest, wollen wir dir nicht gehorchen. So kann man auch alles für gewiß und wahrhaftig halten, was Gott uns in seinem Wort geoffenbaret hat, ohne den Willen zu haben, der Gerechtigkeit nachzujagen in allen Stücken: - wo man es denn wie ein gewisser Jude macht, welcher behauptete er schände den Sabbath nicht, obgleich er ihn schänden ließ durch seine Untergebenen.

In den Grundsprachen bedeuten nun näher die Worte, welche wir vielmal durch „glauben“ übersetzt finden: sich von einem tragen lassen, sich auf einen stützen, demnach sich einem anvertrauen, sich auf einen verlassen, auch zu einem die Zuflucht nehmen.

In unserm Textworte bedeutet demnach das Wert „glauben“ in gleicher Weise: sich auf den Sohn Gottes stützen, sich auf ihn verlassen, sich ihm anvertrauen. Und ist also dieses des Glaubens Art, daß er erstens des Herrn Worte annimmt und für wahrhaftig und zuverlässig hält, sodann daß das Herz zu ihm hinausgeht, so daß man sich ihm ergibt, ihn bei sich aufnimmt, mit Leib und Seele sich ihm anvertraut, um durch ihn gerecht, heilig und selig zu werden.

Aber warum steht hier nicht geschrieben: wer an Gott glaubt, sondern, wer an ihn, das ist, an den Sohn Gottes glaubt?

Eben darum, weil man durch Christi Wort zu Christo und durch Christum zu Gott kommt, steht hier geschrieben: Wer an den Sohn Gottes glaubt. Nur alsdann ist einer Gotte wohlgefällig, nur alsdann wird er an Gott glauben und zu Gott kommen, wenn er sich mit Leib und Seele für seine Gerechtigkeit, Heiligkeit und Seligkeit dem Sohne Gottes anvertraut. -

Denn das ist an den Sohn Gottes glauben, daß man ihn erstens für den Sohn Gottes in der Weise hält, daß er der einige ist, um deßwillen und in dem wir an Kindesstatt angenommen werden, so daß er der alleingeborne ist, wir aber von ihm die Macht bekommen Kinder Gottes zu heißen, wenn wir an diesen Namen glauben; daß er das einzige Herzens- und Schooßkind Gottes ist ewig und immerdar, wir aber von Hause aus Kinder des Zorns; er ist es werth, Sohn zu heißen, wir aber sind es nicht Werth.

Nicodemus hielt sich für berechtigt ein Kind Gottes zu heißen, weil er ein Kind Abrahams war. Das sollte er aber dran geben und halten Jesum von Nazareth für das einzige Kind Gottes, und von sich selbst aussagen lernen, was Johannes der Täufer von sich aussagte: „Ich bin ihm nicht genugsam, daß ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe auflöse“.

Zweitens ist das an den Sohn Gottes glauben, daß man ihn für den halte, welcher er ist, das ist: für den von dem Vater Gegebenen, - zu unserm Propheten, dem wir zu gehorchen haben, als der es allein weiß, welches der rechte Weg zur Seligkeit ist, ja der selbst der Weg und die Wahrheit ist, so daß, wenn er sagt, daß wir mit Leib und Seele uns ihm anvertrauen sollen zu unserm Heile, wir das Heil nicht irgendwo sonst zu suchen haben; - sodann zu unserm einzigen Hohepriester, der uns den Zutritt zu Gott frei eröffnet hat, dadurch daß er für uns in's innerste Heiligthum des Himmels gegangen ist mit seinem Blute, und uns eine ewige Gerechtigkeit, Abwaschung von allen unsern Sünden und den Geist zu unserer Heiligung und zum Unterpfand unserer ewigen Seligkeit erworben hat; - endlich zu unserm Könige, um uns zu regieren als unser Herr und Gesetzgeber, uns bei der erworbenen Seligkeit zu schützen und zu erhalten in ewiger Beharrung und unser Blut zu rächen an seinen und unsern Feinden, bis er uns aufnehme in seine Freude und uns kröne mit der Krone der Gerechtigkeit.

Wer ihn für einen solchen hält, ergibt sich ihm mit Leib und Seele zu seiner Rechtfertigung, Heiligung und Seligkeit, als dem von dem Vater ihm dazu Gegebenen und weiß, daß solches Gott genehm ist.

Nicodemus hielt sich bis dahin an Moses, d. i. an das Gesetz, wie Fleisch es deutet, er suchte seine Gerechtigkeit in dem öden Tempeldienst, seine Heiligung in der Reinigung nach Vorschrift der Alten und das Königreich der Himmel in der Ausbreitung seines eignen Reiches nach Vorschrift der Satzungen von dem päpstlichen Stuhl eines Annas und Kajaphas. Das sollte er aber drangeben und halten Jesum von Nazareth für den rechten Ausleger und Erfüllen des Gesetzes, für den einzigen Sündentilger und für den einzigen großen König der Stadt Jerusalem wie auch der ganzen Welt. Darum sagt ihm der Herr: „Wer an den Sohn Gottes glaubt“.

Drittens, wer an den Sohn Gottes glaubt, glaubt an ihn als an einen wahrhaftigen Menschen, den er dennoch als seinen Herrn und Gott anbetet; er glaubt an ihn als an den in Fleische Gekommenen, der seinen Brüdern in allem gleich hat sein wollen und hat sich für sie unter das Gesetz thun lassen, - hat für sie ein Fluch werden wollen, sich von Gott zu Sünde machen lassen und ist dennoch das heilige und makellose Lamm Gottes, das ohne Sünde die Sünde der Welt trägt, wegnimmt und überwindet.

Nicodemus konnte bis dahin in einem Menschen, der doch ganz aussah, wie jeder andere Mensch, eine solche Heiligkeit und Herrlichkeit der Liebe nicht erblicken; - er sollte aber das wunderbare Geheimniß der Stellvertretung kennen lernen, darum hörte er Jesum sich den eingebornen Sohn Gottes nennen, darum vernahm er es: „Wer an ihn glaubt“.

Viertens, wer an den Sohn Gottes glaubt, glaubt an seine Liebe und Gnade, nach welcher er sich ganz freiwillig für alles was verloren ist in den Tod gibt und die Person des Sünders derartig auf sich nimmt, daß er das alles leidet, was der Sünder hätte leiden müssen, und in seinem bittern Leiden und Sterben alle Schuld, Sünde und Strafe des Sünders in sich aus dem Mittel thut und durch seine ewige Gerechtigkeit es erwirkt, daß der Sünder gerechtfertiget, geheiliget und vollkommen erlöst wird.

Endlich heißt das - glauben an den Sohn Gottes, daß ein armer Sünder sich ihm ergibt und anvertraut mit Leib und Seele, daß er es auch für ihn machen wolle, daß solche Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung ihm zu gut komme, und er ihm durchhelfe durch dieses Thränen- und Sündenthal und endlich aushelfe zu seinem himmlischen Reiche.

Das sind so etliche Stücke davon, was es heißt, an den Sohn Gottes glauben, nämlich daß wir für wahrhaftig und einzig und allein zuverlässig halten, was er uns von seinem Vater und von dem Wege der Seligkeit sagt, und daß wir uns ihm anvertrauen mit Leib und Seele, um durch ihn zu Gott zu kommen und durch ihn von Gott zu erlangen den Segen und das Erbe.

Wer so an den Sohn glaubt, der glaubt an Gott, indem Gott gesagt hat: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören“. -

II.

Nachdem wir vernommen haben, was es heißt „an den Sohn Gottes glauben“, wollen wir die Gnade betrachten, welche daran verbunden ist. Der Herr sagt: „Der wird nicht gerichtet“. In demselben Sinne sprach auch unser Herr zu den Juden (Cap. 5, V. 24.): „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort höret und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ - und wiederum: „Der Vater richtet niemand, sondern alles Gericht hat er dem Sohn gegeben“. Ans diesen letzten Worten ist es offenbar, warum derjenige nicht gerichtet wird, der an den Sohn Gottes glaubt. Denn der Sohn Gottes ist unbeschreiblich treu. Bei ihm ist es nicht ja und nein, sondern es ist alles Ja an ihm, denn so viele Verheißungen Gottes es gibt, die sind Ja in ihm und sind Amen in ihm. Wie er nun die Seinen, die ihm der Vater gegeben, geliebet hat, so liebet er sie auch bis an's Ende, und er vertritt sie. Darum kann er auch das Werk seiner Hände nicht fahren lassen. Er wird wohl für alle sorgen, die mit Leib und Seele sich ihm anvertraut haben und anvertrauen, daß er sie gerecht, heilig und selig gemacht habe. Selbst in allen Dingen versucht, kennt er durch und durch jede Noth der Seele und des Leibes der Seinen und weiß königlich zu helfen denen, die versucht werden. Auch ist er wundervoll gerecht, wie der Apostel bezeugt: „Ob jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, der gerecht ist“ Wer sich ihm anvertraut, hat keine Gerechtigkeit, keine Heiligkeit und keine Seligkeit, er erwartet sie aber von ihm. Vor dem Gericht nun muß ein jeder verdammt werden, der keine Gerechtigkeit und Heiligkeit hat; da sorgt aber Christus für alle, die sich ihm anvertrauen, daß sie dennoch Gerechtigkeit und Heiligkeit haben, obschon sie gar keine haben, und daß sie dennoch selig werden, obschon sie in sich selbst verdammungswürdige Kreaturen sind, und sich selbst verdammen müssen. Er bekleidet sie nämlich mit seiner Gerechtigkeit und Unschuld; so sorgt er für sie, die sich ihm anvertrauen, auf daß sie in dem Gericht nicht verdammet werden. Das ist es daß er gerecht ist, daß es bei ihm heißt: diese Seele hat sich mir anvertraut, so soll sie denn auch alles haben, was ich für sie erworben, und auf ewig sein da wo ich bin. Wer zu mir hinaufgeschrieen hat: Erbarme du dich meiner und trage du mich, ich kann nicht gehen, trage du mich durch alle Zornesfluthen, durch die Hölle hindurch in dein Reich hinein, - den wird er auch wohl auf seine Arme genommen haben, den sott die tiefe Hölle nicht haben, den läßt er nicht los, den läßt er nicht fallen, den trögt er bis in den Schooß des Vaters, und alle Anklage und Forderung des Gerichts ist abgewiesen und befriediget durch sein Wort: Er hat sich von mir tragen lassen. Wer sich ans ihn verläßt in seinem Versinken, sich mit beiden Händen obschon zitternd und zagend auf ihn als auf das einzige Schlachtopfer für seine Sünden stützt, dem wird er sich untrüglich erzeigen, einen Felsen, der nie wankt, warum es auch heißt: „Die sich auf den Herrn verlassen, werden sein wie der Berg Sion, der in Ewigkeit nicht wankt“.

Vor dem Gericht ist alles Fleisch verdammt, denn alles Fleisch hat seinen Weg verdorben; vor dem Gericht Gottes hat alle menschliche Tugend, Gerechtigkeit und Frömmigkeit, alles Werk von Menschenhänden, alle Heiligkeit des Fleisches, alles Gehaltenhaben der Gebote Gottes gar keinen Werth, welchen schönen Schein es auch haben möge. Denn der Mensch taugt nicht mehr, es ist mit ihm eine vergriffene Sache, er ist eine Beute des Todes und des Teufels geworden, der Mensch ist gänzlich von seinem Gott abgekommen; darum wenn er auch mit dem reichen Jüngling sagen kann: das alles habe ich gehalten von meiner Jugend ans, so ist er doch vor dem Gericht nicht vollkommen, sondern muß verdammt werden, eben deßhalb, weil er, der nicht taugt, sich mit Dingen, die an und für sich gut und löblich sein möchten, aufzieren will. Denn ob auch ein Todter mit allen Brillanten der Welt umhangen wäre, so hat der Todte darum doch keinen Werth mehr, sondern er ist und bleibt ein Todter, und der Mensch wird nicht gerichtet nach dem was er hat, sondern nach dem was er ist; und hat ein Mensch auch alles gethan, was ihm zu thun befohlen ist, so ist er doch ein unnützer Knecht vor Gott, - denn Gott ist nicht schuldig ihm dafür das ewige Leben zu geben, nachdem er Gott, sein Leben, dran gegeben hat. Denn sobald der Bund durch uns gebrochen wurde, war Gott nicht mehr verpflichtet seinerseits zu thun was er auf sich genommen. Aber wo Gott gesagt: „Thue das, und du wirst leben“, - wo ist der Mensch, der vor seinem Gott sich würde rühmen können, daß er geblieben in allen Worten des Gesetzes? Es ist aus mit allem Ruhm des Fleisches, und es ruht auf allen der Fluch. - Vor Gott muß ein anderer Mensch da sein, der gerecht ist und alle Gerechtigkeit erfüllt hat, und als solcher in's Mittel tritt; dieser Mensch ist der Mensch Christus Jesus, der Herr aus dem Himmel, - dieser hilft allen durch, die sich ihm anvertrauen, daß sie nicht verdammt werden. Und daß sie nicht verdammt werden, das geschieht nicht darum, weil sie sich ihm anvertrauen, sondern weil nur solche Gotte genehm sind und er ihnen gnädig sein will um seines lieben Sohnes willen. Darum heiße ich es eine Gnade, daß diejenigen, die sich dem Sohne Gottes anvertrauen, nicht gerichtet werden. Diese Gnade ist aber nach Gottes Rath und Witten daran verbunden, daß einer sich mit Leib und Seele seinem Sohne anvertraut. So daß es vor dem Gerichte heißt: Wir richten und verdammen diesen nicht; weil er sich uns anvertraut, soll er auch sehen und erfahren was wir für ihn weggelegt und bereitet haben.

III.

Nachdem wir die Gnade betrachtet haben, welche daran verbunden ist, daß man sich mit Leib und Seele dem Sohne Gottes anvertraut zu seiner Gerechtigkeit, Heiligung und Seligkeit, wollen wir die Frage beantworten, wie man dazu kommt, daß man sich mit Leib und Seele Christo anvertraut, und demnach einen guten Grund hat, daß man nicht wird gerichtet werden.

Bevor jemand glaubt, wird er durch die Predigt des Wortes davon überzeugt, daß er verloren ist; es ist leer und öde in seinem Herzen, er kann in nichts mehr Ruhe finden, er ist verlegen über seinen Zustand, sowohl seiner Sünde, als der Strafe wegen, welche ihm bevorsteht. Er fühlt sich von seinem Gott geschieden, .er sieht, daß er nur selig werden kann dadurch, daß er Gnade bei Gott gefunden habe und wieder mit ihm vereiniget seie, - keine Kreatur kann ihm aber dazu verhelfen, er sich selbst am allerwenigsten. - „Wie kann Gottes Gerechtigkeit genug geschehen, wie komme ich zur Gerechtigkeit?“ Da hört er Christum predigen, wer Christus ist, was er gethan, was er gelitten hat und wie er eines besseren Bundes Ausrichter geworden. Es verlangt ihn nach diesem Bundes-Ausrichter für seine eigene Seele.

Wer nun in solcher Verlegenheit und in Verlangen seiner Seele nach Christo einhergeht, vernimmt es aus dem Evangelio, wie Christus allen Armen und Elenden, allen Verlornen wird vorgehalten, wie ein jeglicher, der will, nur kommen soll, und wie ein jeglicher der kommt, nicht wird ausgestoßen werden. Das hält er für zuverlässige Wahrheit und ist froh, daß Gott selbst einen solchen Weg zur Seligkeit gelegt hat und predigen läßt. Mit seinem ganzen Herzen heißt er diesen Weg allein gut und will keinen anderen Heiland als Christum und auch keinen andern Weg zur Seligkeit. Alle seine Begierde streckt sich dahin aus, daß er Antheil habe an dem Herrn und an allem was er für Sünder erworben hat. Durch ihn muß er zu Gott gebracht und mit Gott versöhnt sein. Er muß durch ihn Frieden bei Gott gefunden haben. Er hat viele Schmerzen und vergießt viele Thränen, auf daß er den gefunden habe, den er lieb gewonnen. Und des Herrn Wort macht ihm Muth: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

Er macht sich auf, wiewohl von ferne, wie der verlorne Sohn und wie der Zöllner; Gott sei mir Sünder gnädig, schreit er. Er klopft an die Thüre der Gnade, wiewohl mit bebendem Herzen, bald hat er Muth, bald wieder nicht, bald wird ihm alles wieder finster, bald wagt er es wieder auf des Herrn Wort: Wendet euch zu mir und werdet selig. Er harret des Herrn von der einen Morgenwache bis zu der andern.

Da beginnt ein Mann mit ihm zu ringen, und er ringt mit diesem Mann, zu dessen Füßen, in finstrer Nacht, in tiefster Seelennoth. Diesen Mann kann er nicht lassen, er muß von ihm einen neuen Namen haben, er muß durch ihn vollkommen errettet sein, er ist entblößt, elend, verloren, er liegt in der klaffenden Tiefe. Ueberrascht durch den Mann seines Heiles, umfaßt er ihn mit den beiden Armen seines Herzens, nimmt ihn mit Freuden an, gibt ihm Hand und Herz, ergibt sich ihm ganz in aller seiner Armuth.

Von nun an vertraut er Leib und Seele, seine ganze Seligkeit diesem Manne an, läßt sich von ihm tragen, läßt es auf ihn ankommen, stützt sich auf ihn, und ob er noch wohl der Sache seiner Seligkeit nicht ganz gewiß ist und allerlei Anfechtung erleidet, so wendet er sich doch stets von neuem wieder zu Dem, dem er sich einst ergeben, und hat gute Hoffnung, daß der es wohl mit ihm machen wird.

Daraus kommt am Eure die Gewißheit im heiligen Geiste: Mein Freund ist mein und ich bin sein; unter Beten und Ringen bekommt die Seele das Bewußtsein, daß sie sich auf den Herrn verläßt, sieht mehr und mehr in ihm die Fülle und erfahrt Tag für Tag die Wahrheit aller seiner Verheißungen.

So wird denn das Herz gereiniget durch den Glauben, ist der Glaube thätig durch die Liebe, und wird das Herz gestärkt durch Gnade. -

So etwas und dem Gleiches, wenn auch nicht alles so ganz nach dem Buchstaben, begegnet einem Menschen auf dem Wege, auf welchem er zum Glauben kommt an den Sehn Gottes.

Es geht am Ende noch wohl tiefer, so daß ein Mensch nichts mehr von Weg und Steg weiß, - aber das Vertrauen des Herzens auf Christum bleibt da, wo es einmal angefangen hat; denn es ist eine Gabe und ein Werk Gottes, dieses Vertrauen, und ist darin von allem falschen Glauben unterschieden, daß der falsche Glaube Gottes und Christi Wort wohl hat und es auch für Wahrheit hält, auch viel Wesens davon machen kann, aber das Vertrauen des Herzens ist nicht lediglich auf Christum, sondern auf eigenes Werk, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Des Aufrichtigen Gemüth kann nur dadurch Frieden haben, daß es den Herrn hat und verläßt sich auf ihn, nicht auf seine Gaben.

Wo nun ein solches Vertrauen des Herzens auf Christum ist, wodurch man am Ende durch den heiligen Geist deß vergewissert und versiegelt wird: Auch mir ist Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt, aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen, - da hat man auch einen guten Grund, daß man nicht wird verdammt werden, wenn's vor's Gericht geht. Denn da wird's wohl Wahrheit bleiben was geschrieben steht: Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns. Freilich ist es einem bei solchem Vertrauen des Herzens auf Christum wohl mal bang, wenn er an das Gericht und an den Tod denkt, aber eben deßwegen sagt es auch der Herr: „der wird nicht gerichtet, der an den Sohn Gottes glaubt“, auf daß, wenn es einer armen Seele davor bangt, sie darum den Muth nicht fahren lasse, daß sie Gnade gefunden hat vor dem Herrn, und sich nicht unnöthige Angst oder Furcht einjagen lasse von dem Teufel und ihrem schwachen Herzen; denn das ist unserer Todfeinde Absicht immerdar, uns durch Vorrückung der Sünden und sodann durch Vorhaltung des Gerichts vom Glauben abzubringen, auf daß wir uns nicht mit allem Vertrauen des Herzens auf Christum verlassen. Der Teufel möchte uns so gerne auf Werk und Selbstheiligung führen. Aber Christus spricht zu uns: Verlaß dich auf mich, so wirst du nicht verdammt. Das Verdammen steht allein bei Christus, und da er gesagt hat: „Wer an den Sohn Gottes glaubt, wird nicht gerichtet“, - so wird's auch nicht geschehen, daß wir verdammt werden, wenn wir uns mit Vertrauen des Herzens für Leib und Seele ans Christum verlassen; denn die auf den Herrn hoffen, werden in Ewigkeit nicht zu Schanden.

IV.

Ich frage nun noch: Welche Anwendung sollen wir aus den Worten des Herrn ans uns selbst machen? Ich bemerke, daß nicht alle an den Sohn Gottes glauben, die sagen, daß sie an ihn glauben. Es glauben auch viele für eine Zeit, die haben das Wort des Herrn wohl, hören es wohl, halten es auch wohl für wahrhaftig, - aber sie haben sich noch nie von ganzem Herzen dem Herrn ergeben. Es geht ihnen bis dahin nicht um Gerechtigkeit, sie haben sich noch nie von Herzen zu dem Herrn aufgemacht, tragen auch kein Verlangen nach ihm, die Sünden sind ihnen keine Last, worunter sie seufzen. Sie lieben die Welt und dienen halb Gott, halb dem Teufel und ihren Gelüsten, und sitzen wie Todte mitten unter den Lebendigen. Ich warne solche, sie mögen, ehe es zu spät ist, in sich schlagen, daß es ihnen damit Ernst werde, daß sie an den Sohn Gottes glauben; denn sonst werden sie gewiß gerichtet, das ist, verdammt werden, wenn der Herr auf den Wolken kommen wird mit den Engeln seiner Kraft. Denn die Kenntniß der Wahrheiten des Heils hilft einem nicht, sondern der Herr allein kann erretten, aber dann soll man auch solche Errettung von Herzen wollen.

Niemand denke, daß er der ewigen Verdammung dadurch entfliehen wird, daß er mal einen guten Vorsatz faßt sich zu bekehren und läßt es dabei bewenden. Was der Welt Freund ist, hat Gott zum Feind und wird sich getäuscht finden mit seinem vermeinten Glauben. Denn was nutzt einem ein Glaube, wobei man hingeht unter den Sorgen, Reichthum und Wollust dieses Lebens, so daß der Same erstickt wird, und wird keine Frucht gebracht. Der wahre Glaube hat tiefe Erde, umgepflügt durch viele Bekümmerniß und Betrübniß der Seele, durch Kampf und Streit, derselbe bleibt nicht in der Predigt hangen, sondern geht auch wahrlich durch das Wort zu dem Herrn, trägt Verlangen nach ihm und vereiniget sich mit ihm.

Wer nun aber ein armer Sünder sein will und ist gewillt den Herrn anzunehmen, da er es in seinen Sünden nicht länger aushalten kann, er heiße wie er heiße, Mörder, Dieb, Ehebrecher, Unzüchtiger, Gottloser, Ungerechter, der größte Sünder, er fühlt sich verloren, und es geht ihm darum, daß er den Heiland der Sünder finden möchte, - der mache sich zu dem Herrn auf; der Herr ist willig ihn anzunehmen. Der Herr verlangt von ihm kein einziges Werk. Der Herr verlangt von ihm, daß er sich ihm ergebe, so wie er ist; er darf es mit dem Herrn wagen, sich auf ihn mit aller Zuversicht werfen als auf die einzige Gerechtigkeit, welche vor Gott gilt, und indem er sich mit seinem ganzen Herzen auf den Herrn für Leib und Seele verläßt zu seiner Rechtfertigung, Reinigung und Erlösung, wird er es erfahren, daß der Herr Wort und Treue hält, daß er ihn nicht verdammen, sondern in seine Seligkeit und Freude aufnehmen wird.

Mancher von euch, meine Geliebten! kennt den heißen Streit und Kampf, in welchem es ihm bestritten wird, daß er sich mit Vertrauen des Herzens auf den Herrn geworfen hat und sich auf ihn verläßt; er soll sich aber durch seine Sünde den Muth nicht nehmen lassen, nicht dem Teufel glauben, der ihm zuraunt: Du wirst doch am Ende die Verdammung finden, sondern nur stracks fortfahren, was ihm auch im Wege sei, und sich dem Herrn ergeben; der will, und das ist auch Gottes Wille, daß ein Verlorner sich in seiner Verlorenheit auf ihn stütze, als das einzige Opfer, kraft dessen der Sünder gerechtfertiget heimgeht. -

Meine Geliebten! Welch ein theures und aller Annehmung werthes Wort ist dieses Wort des Herrn: „Wer an den Sohn Gottes glaubt, wird nicht gerichtet.“ Stehe auch manchmal einer von uns verlegen aus dem Wege, daß er nicht weiß, wo es mit seiner Seele hinaus gehen wird, - mit diesem Reisepfennig kommt man wohl durch nach dem Lande der Ruhe. Amen.

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