Körber, Emil - Ölblatt - Ein Tag im Hause Jesu.
(28. Juli 1872.)
Text: Mark. 2, 1-12.
Und über etliche Tage ging er wiederum gen Kapernaum; und es ward ruchbar, dass er im Hause war. Und alsobald versammelten sich Viele, also, dass sie nicht Raum hatten auch draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen etliche zu ihm, die brachten einen Gichtbrüchigen, von Vieren getragen. Und da sie nicht konnten bei ihn kommen vor dem Volk, deckten sie das Dach auf, da er war, und gruben es auf, und ließen das Bette hernieder, da der Gichtbrüchige innen lag. Da aber Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Es waren aber etliche Schriftgelehrte, die saßen allda, und gedachten in ihren Herzen: Wie redet dieser solche Gotteslästerung? Wer kann Sünden vergeben, denn allein Gott? Und Jesus erkannte alsobald in seinem Geist, dass sie so dachten bei sich selbst; und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Welches ist leichter, zu dem Gichtbrüchigen zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben; oder: Stehe auf, nimm dein Bett, und wandle? Auf dass ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht habe, zu vergeben die Sünden auf Erden, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim. Und alsobald stand er auf, nahm sein Bette, und ging hinaus vor Allen; also, dass sie sich Alle entsetzten, und priesen Gott, und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.
Über das heutige, wunderschöne Evangelium könnte man die Überschrift setzen: Ein Tag im Hause Jesu! Es findet nämlich die Geschichte, die uns erzählt wird, in Kapernaum statt, und zwar in dem Hause, da Jesus längere Zeit zu wohnen pflegte und immer wieder einkehrte, wenn er von seinen Reisen nach Kapernaum zurückkam. Dieses gastliche Haus, das unsern Herrn und Meister so oft willkommen hieß und freundlich aufnahm, wollen wir uns heute ein wenig ansehen und mit unserm Herrn Jesus einen Tag in demselben zubringen. Freilich denken wir hierbei nicht an die äußere Gestalt und Einrichtung der Wohnung; da hätten wir wohl nicht viel zu sagen und zu reden, jedenfalls nicht von Pracht und Herrlichkeit zu erzählen; denn des Menschen Sohn liebte die Einfachheit und begnügte sich mit Wenigem. Wir denken vielmehr nach Anleitung unsers Textes an die Leute, die in diesem Hause sind, und besonders an die Hauptperson, unsern Herrn und Heiland. Da gibt es nun Manches zu sehen und zu hören im Hause Jesu. Wir sehen vor Allem den Glauben des Gichtbrüchigen und der vier Männer, die ihn trugen und nicht ruhten, bis sie durch alle Hindernisse hindurch zu Jesu gelangten. Das ist ein gar schönes, herzerquickendes und freundliches Bild, das sich unserer Seele unvergesslich einprägen sollte. Daneben aber entrollt sich vor unsern Augen ein düsteres, dunkles, abstoßendes Bild: denn es waren etliche Schriftgelehrte, die saßen allda und gedachten Arges in ihrem Herzen und hielten Jesum für einen Gotteslästerer. Aber nicht bloß zu sehen, sondern auch zu hören gibt es etwas im Hause Jesu, und zwar zwei herrliche Worte, die in Gold einzufassen, d. h. in einem feinen und guten Herzen zu bewahren sind. Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben! So lautet das erste Wort. Und das zweite: Ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett, und gehe heim! So wollen wir denn heute im Geiste zubringen Einen Tag im Hause Jesu;
wir sehen
I. zwei Bilder: ein liebliches und ein trauriges Bild;
und hören
II. zwei Worte: ein süßes Trostwort, und ein heiliges Machtwort.
Und du, Herr Jesus, du freundlicher Menschensohn und ewiger Gottessohn, du König der Herzen, bekenne dich heute zur Predigt deines Wortes. Lass es wahr werden, was geschrieben steht: Ihr seid es nicht, die da reden, sondern meines Vaters Geist ist es, der durch euch redet. Amen.
I.
Kaum war Jesus aus dem Lande der Gergesener, wo er zwei Besessene geheilt hatte, nach Kapernaum zurückgekehrt, so durchlief die Kunde von seiner Ankunft die ganze Stadt wie ein Lauffeuer. Aus allen Gassen und Häusern sah man die Leute strömen, Alt und Jung, Vornehm und Gering, Reich und Arm, Alles wollte den großen Wundertäter und Propheten sehen und hören, und eilte dem Hause zu, da Jesus gewöhnlich zur Herberge war. Bald war das ganze Haus in allen Räumen und Gängen angefüllt, und auch der Vorplatz des Hauses stand gedrängt voll; und Jesus redete zu der versammelten Menschenmenge das Wort. Da nahten vier Männer mit einer schweren, kostbaren Last; sie trugen ein Krankenbett, darauf lag ein Gichtbrüchiger, krank an Leib und Seele; der wollte gerne heil und gesund werden, der hungerte und dürstete nach der Gerechtigkeit Gottes, nach himmlischem Troste. Aber wie beikommen? wie zu Jesus kommen bei der großen Masse des Volks? Doch der Glaube weiß Rat und schafft Hilfe, auch wenn es nicht immer nach Regel und Ordnung geht. Der Glaube bricht durch Alles hindurch, scheut und kennt kein Hindernis, bei Jesus muss er sein. Von diesem Glauben getrieben tragen die Leute ihren Kranken in das nächste Haus und kommen von oben herüber auf das Dach des Hauses, da Jesus war. Was nun tun? Da unten ist der Herr Jesus, lehrt und predigt, heilt und segnet. Da bleibt nichts Anderes übrig, als sie decken das Dach auf, machen eine Öffnung und lassen an Seilen den Kranken hinunter vor die Füße Jesu. Nun ist der Glaube durchgedrungen bis zum Herrn, nun ist Alles gewonnen, nun ist der Sieg errungen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben!
Ist das nicht ein liebliches Bild des Glaubens? Ja freilich das ist schön und herrlich, und muss uns das Herz abgewinnen. Aber wie steht es bei uns, im Herrn Geliebte? Wie lau und träge, wie matt und schläfrig ist meistens unser Glaube! Ach Viele rühren keine Hand und keinen Fuß, um in die Nähe des Heilands zu kommen, geschweige, dass sie irgend welche Hindernisse übersteigen, Mühe und Arbeit auf sich nehmen würden. Sie begnügen sich vielmehr mit ihrem angelernten kopf- und gedächtnismäßigen Christentum ohne Geist und Kraft aus der Höhe, ohne dass sie je einmal fragten: was muss ich tun, dass ich selig werde? So legen sie einfach die Hände in den Schoß und meinen, der Himmel und die Seligkeit, die Vergebung der Sünden müsse ihnen im Schlaf und Traum zu Teil werden. O lasst uns doch recht munter und wacker, frisch und fröhlich im Glauben werden und nicht ruhen, bis wir mit dem Gichtbrüchigen zu den Füßen Jesu ruhen, an Jesu Herzen, im Troste der Sündenvergebung. Das ist dann ein fröhliches, glückliches, seliges Leben. Es gilt freilich auch heute noch durchs Volk, durchs Haus, durchs Dach hindurch zu dringen; denn es sind gar manche Hindernisse da, die uns den freien, freudigen Zugang zum Herrn wehren. Du musst vor allem durch deine eigene Trägheit und Lässigkeit, durch deine Faulheit im Beten und Lesen des göttlichen Wortes hindurchdringen; diese dicke Mauer der Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit des Fleisches muss niedergerissen werden, sonst gelangen wir nie in die Gemeinschaft unseres Gottes und Heilandes, sonst genießen wir nie seine selige und heilige Nähe. Du musst auch überwinden die Rücksicht auf Andere und nicht lange fragen: was werden die oder die sagen, wenn sie hören, dass ich mit meinem Glauben Ernst mache, dass ich mich bekehre und um meine Seligkeit kümmere? Ach der Welt- und Zeitgeist, der nichts nach Gott und Christo, nichts nach Himmel und Ewigkeit fragt, sondern auf dieser Erde sich einbürgert, sichs angenehm und wohnlich macht, ist allmählig in unsern Tagen eine furchtbare Macht geworden; er hält die Menschen im Bann und bezaubert sie mit seinen Lustbarkeiten und Vergnügungen, mit seinen Gütern und Genüssen, mit Ehre, Geld, Fortschritt, Kunst, Wissenschaft, Bildung, so dass die Lente die Ewigkeit vergessen. Aber Geliebte, da gilt es, durchzudringen durch alle Hindernisse, zu kämpfen, zu ringen und zu beten:
Herr erheb die matten Kräfte,
Dass sie sich doch reißen los
Und durch alle Weltgeschäfte.
Durchgebrochen stehen bloß!
Weg mit Menschenfurcht und Zagen,
Weich, Vernunftbedenklichkeit!
Fort mit Scheu vor Schmach und Plagen,
Weg des Fleisches Zärtlichkeit!
Das Bild des Gichtbrüchigen und seiner Träger ist gar Lieblich und freundlich. Aber daneben sehen wir in unserem Texte ein düsteres und trauriges Bild, das uns den tiefen Abgrund des menschlichen Herzens aufdeckt. „Es waren etliche Schriftgelehrte unter den versammelten Volksmassen, die saßen allda und gedachten in ihrem Herzen: Wie redet dieser solche Gotteslästerung? Wer kann Sünde vergeben, denn allein Gott?“ Auf diese Hirten und Lehrer des Volks, welche am ehesten Jesum als den gottgesandten Messias und Heiland der Welt hätten erkennen sollen, macht Jesus Christus keinen Eindruck. Sie fühlen sich nicht gebeugt und angezogen von der Hoheit und Majestät, die in seinem ganzen Wesen und Wirken sich ausprägt; die Huld und Gnade, die aus Jesu Auge strahlt, seine Worte erwärmt und verklärt, und seine Werke zu Wundern der Liebe und Barmherzigkeit macht, diese Huld und Gnade des Herrn, die sich wieder an dem Gichtbrüchigen so herrlich erzeigt, lässt diese Schriftgelehrten tot, kalt und leer. Ihre Herzen sind verfinstert, hart und unempfänglich geworden, weil sie bei allem Studium der heiligen Schrift von Gott und dem göttlichen Leben entfernt blieben, die Ehre bei Menschen höher achteten als die Ehre bei Gott, und Menschenwort und Menschensatzung über Gottes Gebot und Wort stellten. So halten sie Jesum einfach für einen Menschen, der nicht einmal im Namen Gottes auftrete, sondern im eigenen Namen; darum denken und sagen sie dieser lästert Gott! Und wahrlich, sie hätten Recht, wenn Jesus nur ein Mensch wäre; denn Niemand kann Sünde vergeben, denn allein Gott; das ist wahr und eine treffliche Theologie. Aber Jesus Christus ist eben Gottes Sohn, Gott über Alles, gelobt in Ewigkeit! und darum hat er Macht, auf Erden Sünden zu vergeben. Mit göttlichem Rechte hat er dem Gichtbrüchigen seine Sünden vergeben; mit göttlichem Rechte haben seitdem Hunderte und Tausende im Namen Jesu, in seinem Blut und seinen Wunden Vergebung gesucht und gefunden, und sind selig eingeschlafen im Glauben an Ihn. Mit göttlichem Rechte vergibt heute noch Jesus Christus die Sünden. Halleluja! Darum sind wir fröhlich, wir beugen unsere Knie und beten an.
Aber, meine Lieben, erinnert das düstere und traurige Bild der Schriftgelehrten nicht lebhaft an unsere Tage? Wie viele Hirten und Lehrer des Volkes, welche die Herde Christi weiden sollten, haben es, obwohl achtzehn hundert Jahre verflossen sind, in der Erkenntnis nicht weiter gebracht, sondern wandeln in den Fußstapfen dieser verhärteten Schriftgelehrten und haben im Grunde keine höheren Gedanken von Christo. Sie halten Jesum für einen bloßen Menschen und scheuen sich nicht, diese Gotteslästerung an heiliger Stätte, auf der Kanzel, die nicht ihnen, sondern dem Herrn und seiner Gemeinde gehört, mit frecher Stirne auszusprechen. Und weil Jesus nur ein Mensch sei, darum leugnen sie auch, dass in seinem Blut Vergebung der Sünden und Versöhnung zu finden ist. Das Lamm Gottes ist ihnen ein Gräuel und ein Ärgernis. Ach die Kirche Christi ist von solchen Menschen, die fälschlich seine Diener heißen, entsetzlich verwüstet! Aber der Herr der Kirche wird sie zur Rechenschaft ziehen zu seiner Zeit. Er wird Sieger bleiben. gegen alle seine Feinde. Der Herr sprach zu meinem Herrn: Sete dich zu meiner Rechten, bis dass ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege.
Christus ist der Siegesheld,
Der all seine Feind besieget;
Christus ist, dem alle Welt
Bald zu seinen Füßen liegt; .
Er vertreibt durch seine Macht
Unsre Nacht!
II.
Wir haben bis jetzt im Hause Jesu zwei Bilder gesehen, ein liebliches und ein trauriges Bild; nun dürfen wir noch zwei Worte hören: ein süßes Trostwort und ein heiliges Machtwort. Vor allem ein süßes Trostwort! Das war ein feierlicher Augenblick, als das Krankenbett langsam an Seilen herabgelassen wurde, und nun der arme, unglückliche Gichtbrüchige zu den Füßen Jesu lag. Verwunderung und gespannte Erwartung war auf allen Gesichtern zu lesen, heilige Stille durchzog Aller Herzen, bittend und flehend schaute der arme Kranke auf zu Jesu mit seufzendem Herzen und wehmütig sehnendem Blick, der beredter war, als das heißeste, inbrünstigste, lauteste Gebet. Da öffnet sich der Mund Jesu und fließt über von Barmherzigkeit: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben! O süßes, seliges, trostreiches Wort! wie es nie gehört wurde, seit die Welt stand, seit Sünder auf Erden wandelten. Und dies Wort träufelt auf das kranke, matte Herz des Gichtbrüchigen wie Balsam und Honig. Der Sturm des Herzens legte sich, die Angst und Bangigkeit des Gemütes schwand, die schwere Zentnerlast wurde von der Seele genommen, und Stille, heilige Stille, süßer Friede, himmlische Ruhe durchströmte Leib und Seele. Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, der dir alle deine Sünden vergibt und heilt alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. So hieß es gewiss in der Seele des vorher bekümmerten und nun reichlich getrösteten Kranken.
Geliebte! wisst ihr auch etwas von der Vergebung der Sünden? Merket wohl, was ich frage. Ich frage nicht, ob ihr einmal auswendig gelernt und noch im Gedächtnis habet, dass in unserm Glaubensbekenntnis steht: Ich glaube eine Vergebung der Sünden. Auch frage ich nicht, ob ihr fein und säuberlich, in schönen Worten und Sätzen erklären könnt, was die Vergebung der Sünden sei. Ach was hilft alles äußere Wissen und Verstehen ohne den wahren Besitz der Sache, wenn die Sündenvergebung nicht Eigentum des Herzens geworden ist. Darum, lieber Freund und Bruder, frage ich: hast du Vergebung deiner Sünden? Hast du am eigenen Herzen erfahren: mir sind meine Sünden vergeben? Hast du schon erkannt vor dem Angesicht des heiligen Gottes, dass du ein Sünder bist, dass deine Sünden dich und den heiligen Gott scheiden, dass du mit deinen Sünden nichts Anderes verdient hast, als Gottes Zorn und Ungnade, Verderben und Verdammnis? Hast du dann auch Leid getragen über deine Sünden, in demütiger Buße dich selbst gerichtet, und in kindlichem Glauben deine Zuflucht genommen zu dem, der die Gottlosen gerecht macht; zu dem großen Sünderfreund und Sünderheiland, bei welchem viel Vergebung ist, der keinen Sünder von sich stößt, wenn er bekümmert und leidtragend zum Thron der Gnade eilt?
wir wollen es doch nicht so leicht nehmen mit der Sünde. und Sündenvergebung! Ohne Buße und Glauben, ohne Leidtragen über die Sünde gibt es keine Sündenvergebung. Da Jesus ihren Glauben sah, heißt es in unserm Texte, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! Und in der Bergpredigt spricht der Herr: Selig sind die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Wer dagegen es mit der Sünde leicht nimmt, die doch unsern Herrn und Heiland ans Kreuz geschlagen hat, wer mit der Sünde spielt, lacht und scherzt, wer in der Bequemlichkeit und Gemütlichkeit der Welt auf der breiten Straße wandelt, oder wer denkt: ich bin ehrbar und gerecht und Niemand kann mir etwas nachsagen; ein solcher Mensch darf nie und nimmer der Vergebung der Sünden sich getrösten. Aber bedenkt wohl: ohne Vergebung der Sünden gibt es auch keinen Himmel und keine Seligkeit! Ach durch wie vieler Christen Rechnung wird ein schwarzer Strich von Gott gemacht werden! In den Himmel, in die Wohnungen des ewigen Glücks und Friedens darf Niemand eingehen, als wer im Blute des Lammes abgewaschen und gereinigt ist; Niemand, als wer im Glauben des Sohnes Gottes Vergebung gefunden hat. Alle die hochmütigen, leichtsinnigen, selbstgerechten Sünder, die Pharisäer, die sich in ihr jämmerliches Tugendkleid einhüllen, und die Sadduzäer, die meinen, keine Sündenvergebung nötig zu haben, oder sich die Sünden selbst vergeben, sie Alle bleiben auf ewig ausgeschlossen. O wir wollen nicht ruhen, bis wir aus Erfahrung sprechen können:
Die Sünden sind vergeben!
Das ist ein Wort zum Leben
Für den gequälten Geist;
Sie sinds in Jesu Namen,
In dem ist Ja und Amen,
Was Gott uns Sündern je verheißt.
Ja lasst uns die Sündenvergebung suchen, so lange es Zeit ist, so lange es heute heißt. Sie ist das allerschönste, edelste und beste Gut, das einem Menschenherzen hienieden zu Teil werden kann; sie ist wie ein kühler Schatten in drückender Hitze, wie ein hellsprudelnder Quell für den müden, durstigen Wandersmann, ein wahrer Gesund- und Heilbrunnen für uns arme, durch die Sünde kranke Menschen. O dass ihrs doch bedächtet, ihr unruhigen, unzufriedenen, trotz aller Weltlust oft so traurig und melancholisch gestimmten Herzen: Eins fehlt euch, die Vergebung der Sünden! Durch sie allein wird das Leben hienieden lieblich, angenehm und schön, ein Garten Gottes, in dem zu lustwandeln eine Freude ist. Ja wohl dem Menschen, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist; wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet, in des Geist kein Falsch ist; wohl dem Menschen, der im Leben, Leiden und Sterben sich getrösten kann des süßen Trostworts: Mein Sohn, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben!
Wir reden noch in Kürze von dem zweiten Wort des Herrn an den Gichtbrüchigen, dem heiligen Machtwort: Stehe auf, nimm dein Bett, und gehe heim! Als Jesus dem Kranken das süße Trostwort von der Vergebung der Sünden zurief, da hatten die Schriftgelehrten arge Gedanken und sprachen bei sich selbst: Wie redet dieser solche Gotteslästerung? Aber Jesus erkannte, dass sie so dachten und sprach zu ihnen: Was gedenkt ihr solches in euren Herzen? Welches ist leichter zu sagen: dir sind deine Sünden vergeben; oder: stehe auf, nimm dein Bett und wandle? Auf dass ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht hat, zu vergeben die Sünden auf Erden, sprach er zum Gichtbrüchigen: Ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim! Und alsbald stand er auf, nahm sein Bett, und ging hinaus vor Allen. Wahrlich, das war ein heiliges Machtwort unsres Herrn! Göttliche Hoheit und Majestät leuchtet aus Wort und Tat. Welcher Sieg Jesu über seine Feinde! Keine Feder kann das schildern. Aber auch welche Beschämung für den Unglauben! Wie erbärmlich und jämmerlich saßen die Schriftgelehrten da, als der Gichtbrüchige plötzlich aufstand, sein Bett nahm und hinausging vor Allen. Das war ein Triumphzug des Herrn durch die Massen des Volkes in der Person des geheilten Gichtbrüchigen.
Aber noch heute ergeht an jeden Sünder, der sich bekehrt und Vergebung der Sünden empfängt, an jeden von uns das heilige Machtwort Jesu: Stehe auf! Du darfst nicht in der Sünde liegen bleiben und dich immer und immer nur der Gnade des Heilands getrösten; nein, sind die Sünden erst vergeben, dann kannst du auch heilig leben. Darum stehe auf, stehe auf und wandle in einem neuen Leben, im Leben des Geistes, der Liebe, der Sanftmut, der Demut, der Reinheit und Keuschheit! Stehe auf und wandle frisch und frei, fromm und fröhlich in den Wegen Gottes auf dem schmalen Pfade, der zum Leben führt. Zerbrich all die Fesseln und Bande, die dich an dein Sündenbett fesseln; reiß dich los von allen bösen und argen Gewohnheiten; gib deine Lieblings- und Schoßsünden in den Tod. O stehe auf, du darfst nicht mehr tot, kraftlos und untüchtig zum Guten bleiben, nicht mehr sprechen: ich bin schwach; vielmehr: im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke, ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus;. ich vermag die Sünde, die Welt und das Fleisch zu überwinden. Und dann nimm dein Bett! spricht der Herr. In eines jeden Christen Lauf gibt es Dinge zu tragen, Leiden, Trübsal und Not aller Art. Lass dichs nicht wundern, lieber Christ, nimm dein Bett, trage die Last fein still, getrost und geduldig. Gott legt nie zu schwer auf; er lässt uns nie versuchen über Vermögen. Was uns zu schwer wird, hilft er tragen, und endlich stillt er alle Klagen, Gott ist getreu. Stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim! Heim, nach der ewigen Heimat! O süße, wonnige Klänge! Des Christen Lauf auf Erden ist. ein Gang durch die Unruhe der Zeit zu den stillen Hütten des Friedens, zu den Wohnungen der Ewigkeit. Darum gehe heim! Lass das Kinderspiel am Wege, den eitlen Tand der Welt, hinauf mit dem Herzen! Hebet eure Häupter auf zum Himmel; tut Fleiß, einzukommen zur Ruhe Gottes, dass unser Keines dahinten bleibe; sucht, was droben ist, da Christus ist. Droben ist unsre Heimat, droben ist unser Bürgerrecht, droben ist die Stadt des lebendigen Gottes, da man zusammenkommt und ewig bleibt.
Himmelsheimat, stille Friedenswohnung,
Wo kein Leid mehr ist und kein Geschrei,
Wo des Heilands Nähe die Belohnung
Für die Seinen ist und Alles neu!
O mein Heiland, bringe mich dahin,
Wo ich nach der Arbeit selig bin!
Amen.