Zuletzt angesehen: Keller, Samuel - Matthäus

Keller, Samuel - Matthäus

Keller, Samuel - Matthäus

Kapitel 3

„Der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“
Mat. 3, 11

Johannes hat's versprochen - Jesus hat's erfüllt. Die für solche Gabe innerlich Zugerüsteten empfingen sie damals zu Pfingsten als eine erschütternde, belebende, sie erfüllende Kraft. Merkwürdig, daß heute so viel Christen verlegen schweigen, wenn man sie fragt, ob sie den Heiligen Geist haben. Brennt denn in ihren Seelen nicht das Feuer, das sie scheiden will von der Sünde? Wirkt denn in ihnen nicht der Geist den Glauben an Jesus, den Sohn Gottes und ihren Heiland? Aber es mag daran liegen, daß man irgendwas für außerordentliche Erscheinungen und Kräfte vermißt und meint, so müsse der Geist sein Kommen bekunden, wie beim ersten Pfingsten. Das ist falsch. Man kann ihm, wie Gott, nur nachsehen: an seinen Wirkungen offenbart es sich, ob er da ist. Aber diese Wirkungen müssen heute sittlicher und religiöser Art sein - nicht in sinnfälligen Zeichen. Niemand kann Jesus einen Herrn heißen ohne durch den Heiligen Geist. Das ist die Hauptsache, daß der Geist unsere Stellung zu Jesus neu und lebendig und wirksam macht. Mehr will er nicht, als daß Jesus recht erkannt und geliebt und angesehen werde. Und das kannst du doch freudig bejahen, der du Jesum liebst und keinen Tag mehr leben kannst ohne ihn.

Wir danken dir, Herr Jesu, daß dein Feuer brennt, daß dein Geist wirkt, daß wir an dich glauben dürfen und dich lieben können. Werde du uns immer mehr und erfülle uns mit deiner Art zu deiner Ehre. Amen.

Kapitel 4

„Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen.“
Mat. 4, 16

Die kleinen Lichter verlöschen alle! Menschen, für die wir schwärmten; Freuden der Erde, die wir genossen; Lehren und Gedanken, die uns geblendet; alle Schönheit und Herrlichkeit des Fleisches, die uns gefangen nahm - alle diese verlöschen früher oder später und lassen uns im Dunkel allein. Jesus allein löscht nie mehr aus! Das ist das große Licht, das ewige Licht, dessen süßer Schein in unsere Finsternis fällt, wie in den Hochalpen plötzlich die schon hochstehende Sonne über den scharfen Felsengrat kommt und das schmale tiefe Tal mit ihrer starken Helligkeit erfüllt. Jesus ist sittliches Licht; er kann unerbittlich wahr und herbe unsere Flecken aus der Zeit der Finsternis beleuchten, daß man darüber aufschreien möchte. Jesus vertreibt die Finsternis und hilft uns erst recht selbst ans Licht zu kommen. Er nimmt die dunklen Geschichten ab und hüllt uns in das warme, wonnige Licht der Gemeinschaft mit ihm. Jetzt brauchen wir uns vor keiner Entdeckung zu fürchten; denn er, der Arzt, heilt die Schäden, die er aufgedeckt hat. Alles halten wir ihm hin und sehen zu, wie er uns durch den Glauben reinigt. Er ist das große Licht, in dem wir Gott sehen und das goldene Tor der Ewigkeit.

Herr Jesu, nimm alle Scheu von uns und alle Liebe zur Finsternis, daß wir nichts festhalten, was zu deinem Lichte nicht stimmt. Erleuchte Leib und Seele ganz, du starker Himmelsglanz. Wir wollen hell sein und sonnig wie du. Amen.

Kapitel 5

„Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Mat. 5, 16

Wenn der Heiland nach „sehen“ einen Punkt gemacht hätte oder fortgefahren wäre: „und euer Christentum und euren Eifer preisen“ - dann hätten alle Pharisäer ihm Beifall gezollt. Und du, mein Herz, auch! Dann hätte er sich die Mahnung vom Licht-leuchten-lassen ganz sparen können. Denn darauf sind wir prahlerischen, eitlen Leute sowieso, ganz von Natur, schon sehr erpicht, uns im hellsten Lichte zu zeigen, damit man uns preise. Ist aber des Vaters Lob das Ziel, dann wird das stärkste, sündige Motiv für viele Edeltaten urplötzlich ausgeschaltet. Wie wohl tut eine Anerkennung unserer Person! Haben wir unser Teil an Lob eingestrichen, dann lassen wir gern auch ein Stückchen Kleingeld für Gottes Ehre nach. Aber, wenn man uns und unserer Anstrengung kein Wort sagt, dann ärgern wir uns sogar über das Lob, das unserer Begabung gezollt wird. Ist des Vaters Ehre allein das Ziel, allein der Punkt, auf den es herauskommen wird, dann fühlen wir uns zu solcher Arbeit nicht berufen. Und dann wollen wir uns noch brüsten, daß wir Gottes liebe Kinder und Jesu Nachfolger sind!

Herr Jesus, und du schämst dich nicht, uns deine Brüder zu heißen? Erbarme dich über uns und mache uns von unserer Eitelkeit, in christlichen Werken zu glänzen, los. Gib uns von deinen reinen demütigen Gedanken, die nur des Vaters Ehre suchen, und heile uns von dem geheimen Schaden unserer Seele. Amen.

„wende dich nicht von dem, der dir abborgen will.“
Mat. 5, 42

Im Morgenland und zur Zeit Jesu spielte das Geld noch nicht die Rolle wie heute bei uns, und darum kann ich mir wohl denken, daß hier das bedingungslose Borgen von Gegenständen gemeint sein mag, deren Versagen mehr eine engherzige Unfreundlichkeit war. Ein Pfarrer schrieb mir vor vielen Jahren, als ihm sein Haus mit allem Zubehör durch Blitzschlag verbrannt war, so daß keine Stecknadel gerettet wurde: „Mir taten am meisten die mancherlei Nebensachen leid, die wir nicht zum täglichen Bedarf brauchen. Wieviel Freude hätte man damit machen können, wenn man sie sich vorher vom Herzen gerissen hätte! Manches davon hätten wir armen, notleidenden Gemeindegliedern nicht borgen wollen, obschon die der Sachen bedurften. Jetzt hielt uns der Herr eine Predigt über das großherzige Weggeben und Leihen von Sachen, die wir nicht nötig hatten!“ Das wäre mal ein gewaltiger „Hausputz“, wenn man nur die zurückgestellten, etwas schadhaft gewordenen Gegenstände kurzerhand an arme Familien verteilen wollte. Dabei brauchten wir auf unsere Bequemlichkeit noch gar nicht zu verzichten, sondern würden nur Dinge los, die außer dem wirklichen Gebrauch ständen! Los von Sachen, gebunden an Jesus!

Du bist unseres Herzens geheime Lust, Herr Jesu! Dann mache du uns los von Dingen, die andern noch eine Freude machen oder einen wichtigen Dienst tun können. Erziehe uns von der Enge zur Weite! Amen.

Kapitel 6

„Führe uns nicht in Versuchung!“
Mat. 6, 13

Gemeint sind hier nicht jene Erprobungen unseres Glaubens, die notwendig zur christlichen Charakterbildung gehören, sondern die aus besonders ernsten Gründen zugelassene satanische Versuchung. Hier zielt alles auf Fallen und Verzweiflung ab. Das setzt voraus eine Vorgeschichte der Untreue von seiten des Menschen, in der er auf Gottes Wort und Führung schon nicht mehr geachtet hatte, so daß kein anderes Mittel blieb als solche Operation auf Leben und Tod. Dann bedeutet diese Bitte: wir fürchten uns vor solchen gefährlichen Stunden und versprechen, treuer zu achten auf dein Wort. Wir wollen uns durch kleinere Mittel schon ziehen lassen und nicht ungehorsam sein gegen das Wirken des Heiligen Geistes. - Wenn aber doch jene dunklen Stunden kommen, dann bitten wir: Herr, laß unsern Glauben nicht aufhören! Erhalte du die Lebensader unserer Beziehungen mit dir unversehrt, wie uns sonst auch geschehen mag! Daß wir nur dann nicht irre werden an der Treue und Liebe Gottes, der uns auch in solchen Augenblicken nicht verworfen hat, sondern nur auf den Sieg des Glaubens über den Augenschein wartet, um der Versuchung ein Ende zu machen!

Vater im Himmel, wir bitten dich, erbarme dich über unsere Schwachheit und halte du uns fest in deinen treuen Händen, daß wir in dir geborgen seien und der Arge uns nicht antasten kann um deiner Liebe willen! Amen.

„erlöse uns von dem Übel.“
Mat. 6, 13

Sprachlich hat die Fassung: erlöse uns von dem Bösen! - bekanntlich mehr für sich. Sieht man im Übel ein Erziehungsmittel Gottes, wird man in vielen Fällen gar nicht so ohne weiteres den Mut haben, es wegbeten zu dürfen. Von dem Bösen, dem Teufel, erlöst zu werden, ist immer richtig; denn sein Eingreifen wird ja nur im äußersten Falle zugelassen, wenn wir sonst auf Gott hören wollen. Das Übel kann aber oft eine unerläßliche Stufe unserer Erdenschule sein. Was würde auf vielen Irrwegen aus uns werden, wenn es kein natürliches Übel gäbe, das uns zur Vernunft brächte! Oder sollen wir den Gedankenumweg einschlagen, daß wir durch Gottes Hilfe Meister des widrigen Schicksals werden sollen? Oder ist es ein Rechnen mit unserer Schwachheit, daß wir im Übel uns der schließlichen Abnahme des Schmerzes trösten sollen? Merkwürdig: Jesus stellt das Übel, das die meisten Menschen am ehesten zum Notschrei zwingt, an die letzte Stelle der Bitten!

Herr Jesu, hier irren wir und fehlen; selbst im Gebet! Bring uns nach Hause, wo wir keine Briefe mehr ins Vaterhaus schreiben, sondern dich sehen von Angesicht zu Angesicht. Amen.

„Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht.“
Mat. 6, 17

Was eine Wirkung auf Gott oder deinen eigenen inneren Menschen haben soll, ist dein Geheimnis; das gehört nicht ins Schaufenster der Seele, oder vor ein großes Publikum. Wer seine erschütterndste Beichte vor vielen Zeugen auskramt, wer seine zartesten religiösen Geheimnisse sofort in der nächsten Versammlung zum besten gibt, will mit seinen Gefühlen oder Erfahrungen prahlen; dann ist der Schmelz fort; als hätten schmutzige Hände einen weißen Lilienkelch angefaßt; als wären viele harte Fußtritte über dein blühendes Blumenbeet gegangen. Der bitterste Schmerz, das schwerste Opfer, die schmerzlichste Selbstverleugnung, der einschneidendste Verzicht auf Erdenglück - das sind Dinge für die Sakristei deines Lebens - nicht für die Öffentlichkeit. Zwei Wirkungen solcher Sachen soll es nur geben: entweder segnen sie dich in der Stille vor Gott, oder sie schmücken dich in der Zeitung und dem Gerede der Menschen. Die eine Wirkung kann anhaltend sein, wie die Ewigkeit, die andere ist kurzlebig wie eine Eintagsfliege. Deshalb schließe solche Erlebnisse in dein Herz hinein, damit sie dich segnen können.

Du sollst mein Beichtvater sein, Herr Jesus! Vor dir darf ich all mein geheimes Entbehren und Selbstverleugnen aussprechen. Laß an deinem Herzen mich ausweinen, daß du mich tröstest, wie einen seine Mutter tröstet. Die draußen brauchen nichts von dem zu wissen. Da mach mich stark! Amen.

Kapitel 7

„Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führet; und wenige sind ihrer, die ihn finden.“
Mat. 7, 14

Darum versuche es gar nicht, es wäre vergebliche Mühe, Heiligung jetzt eben zum Allgemeingut der Menschheit zu machen. Das könnte nur auf Kosten der Wahrheit geschehen, und eine solche Heiligung wäre ihres Namens nicht wert. Es taugen wirklich nicht alle Menschen zum Militär, und noch weniger zum Bergsteigen, und noch viel weniger zur Freundschaft. Zur Heiligung aber kann keiner gelangen, der nicht schmerzlich an sich selbst irre wurde und sein ganzes Vertrauen auf Jesu Gnade setzen lernte. Der Eingang ist eng; und der Fußpfad ist wenig begangen. Außerdem ist der Anfang für jeden einzelnen verschieden, und es kann sich keiner gedankenlos nach dem andern richten. Bei einem fing die Heiligung mit der Abkehr von einer Weltlust an; beim andern mit der Erneuerung seines Gebetslebens; beim dritten in einem besonderen Erlebnis Christi. Unter den vielen, die bei einer Erweckung schwärmen wie ein aufgelöster Bienenstock, sind wenige, die ihren Anfang des Lebensweges wirklich gefunden haben und auch ehrlich weitergehen. Prüf' dich mal heute abend, wie es mit den gewissen Schritten auf diesem Lebenswege bei dir steht und ob dein Weg schmal geblieben ist.

Herr Jesus! Oft habe ich über meine Einsamkeit mitten im Gedränge der frommen Menge geweint. Heut will es mir scheinen, als müßte ich dir dafür danken, daß ich dich dadurch besser kennen lernte, weil ich bei dir allein geblieben bin. Amen.

Kapitel 8

„Herr, hilf uns, wir verderben!“
Mat. 8, 25

Nicht wahr, das klingt so fromm, dieses Hilfsgeschrei der Jünger in dem von Wellen schier bedeckten Boot - und es war doch ein schlechtes, böses Gebet. Jesus hatte ja den Plan gehabt, seine Herrlichkeit schlafend zu offenbaren, schlafend seine Jünger ans Land zu bringen. Hätten sie sich nur im Glauben daran gehalten, daß Gott seinen Sohn nicht auf die Erde gesandt hatte, damit er da im Sturm von den Wellen des Sees Genezareth verschlungen wird. Unsere Lage heute in der Welt ist ähnlich. Der Teufel macht einen Sturm gegen den Christenglauben; die Wellen der Feindschaft bei hoch und niedrig reißen ihr Maul auf, als wollten sie die Gemeinde Jesu schier verschlingen. Und Jesus scheint zu schlafen. Er vernichtet die Professoren und Pastoren und Zeitungsschreiber nicht, die ihn ganz öffentlich verhöhnen. Aber hat Jesus seine Kirche dazu gegründet, daß sie jetzt in solchen Zeitstürmen zugrunde geht? Nein, die Pforten Belials sollen sie nicht überwältigen! Wenn Jesus schläft, zeigt er damit, daß er den Feind verachtet und seines endgültigen Sieges über des Teufels Reich gewiß ist. Sollte uns diese Geschichte nicht stille machen und stark zum Glauben an Jesu Sieg?

Ja, ich glaube, daß du, Herr Jesus, deinen Sieg schon in Händen hast und daß kein Toben der Feinde deinem Reich Abbruch tun kann. Stärke mein Herz, daß ich nicht mehr erschrecke, ob die Berge mitten ins Meer sänken! Du bist größer in der Höhe und ich bin dein! Amen.

Kapitel 9

„Bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.“
Mat. 9, 38

Aber, wenn der Herr der Ernte Arbeiter hat, warum sendet er sie nicht ohne unser Gebet? Lies die Stelle nach von V. 35 an. Jesus predigt und heilt und seufzt doch über das Ungenügen seines Tuns: dabei bleiben die Leute wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da hat er sich als ihr Hirte in den Tod gegeben. Seither keine Furche, kein Wachstum, keine Ernte ohne sein Blut. Aber dann sieht er die Jünger an und gibt ihnen den Auftrag: bittet um Arbeiter! Was heißt das anders, als daß sie über solchem Gebet etwas Geheimnisvolles erleben sollen Wer ernstlich um eine Sache betet, wird innerlich mit ihr verwachsen und merkt eines Tages, daß er selbst darin eine Verpflichtung habe: du betest so viel dafür - was tust du denn selbst dafür? Dann kann es kommen wie bei den Jüngern; sie selbst wurden die Erhörung ihrer Bitte: aus Fürbittern wurden sie Arbeiter! - Wir alle, die wir fremden Jammer mit Augen der Liebe sehen, mit Schmerzen der Liebe als unsere Not spüren - wir können nicht bloß um Linderung und Hilfe beten, sondern wir werden uns selbst als Arbeiter zur Umgestaltung jener Verhältnisse anbieten müssen. Was würde das in der Welt bedeuten, wenn alle gläubigen Fürbitter diese Verwandlung in bewußte Erntearbeiter schon erlebt hätten!

Vater, wir bitten dich, mache uns so klein, so rein, so warm, so treu, daß du uns als deine Erntearbeiter senden kannst, wohin du willst. Amen.

Kapitel 14

„Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf einen Berg allein, daß er betete.“
Mat. 14, 23

Das hohepriesterliche Gebet, wie es uns Johannes berichtet, ist von unvergleichlicher Hoheit und Schönheit. Aber ich meine, es trägt seinen durchleuchteten Charakter von der Stunde, in der es gesprochen wurde. Da ist kein Satz, den man anders sich wünschen möchte. Vor der Finsternis seines Leidens konnte und mußte Jesus nur so beten. Aber alle die früheren Gebetsstunden, die er mit seinem Vater zugebracht - was mögen sie enthalten haben? Es werden uns von den Evangelisten außer jenem großen Gebet nur einzelne, kurze Gebetsworte Jesu berichtet. Was mag er im Verborgenen mit dem Vater geredet haben? Wenn wir uns manches darüber denken, dürfen wir es doch nicht als sicher behaupten. Wollen wir uns daran genügen lassen, daß solche Erwähnung seines einsamen Ringens und Redens mit dem Vater ein ausgestreckter Finger ist, der uns erst recht in die Einsamkeit weist. Wir gehen sonst an dem lauten Treiben, auch dem frommen Andachtsbetriebe zugrunde, wenn unsere Seele es nicht lernt, in der Stille mit Jesus allein zu reden. Wenn wir das auf Erden weder kennen, noch können, noch mögen - was wollen wir mit der Ewigkeit anfangen, da wir beim Herrn sein werden allezeit?

Darum suche ich, Herr, dein Antlitz im Verborgenen. Laß dich finden, wenn mein Auge tränt zu dir. Mit Menschen habe ich zu viel geredet, mich dabei oft versündigt. Mit dir immer noch zu wenig! Ich will alle anderen Türen schließen und an deiner wachen, bis du auftust. Amen.

Kapitel 15

„Aus dem Herzen kommen arge Gedanken“
Mat. 15, 19

Heute habe ich darüber nachgedacht: Ist jene häßliche, faule Stelle in meiner Beziehung zu einem Bruder durch seine Schuld entstanden oder durch meine? Ein fauler Apfel kann doch an dem Punkt, wo er an einen gesunden gepreßt ist, diesen auch bald anstecken. Wochenlang, wenn mir blitzartig das Andenken an jene Geschichte kam, tröstete ich mich damit: Jener Bruder hat mich durch seine Lieblosigkeit angesteckt. Er ist schuld. Ich bin nur ganz äußerlich an der Schale meines Wesens durch ihn so verletzt worden. Heute beim Bibellesen wurde ich unruhig. Kam alles Böse wirklich nur von außen an mich heran, so daß ich mit meinem inneren Herzenszustand zufrieden sein kann, oder kam der Zorn von innen heraus und die lieblosen Worte auch? Als ich aber an den Spruch kam: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken“ war der schöne Traum von meiner Bravheit und Unschuld jäh verscheucht, und ich fühlte die Qual: selbst häßlich zu sein! Das drückt einen alten Christen tief zu Boden. Damit fiel aber auch der letzte Schein des Rechts dahin, sich über des andern Fehler zu entrüsten. Ich muß dem Bruder die Hand zur Versöhnung bieten und mit ihm dem Seelenbade zueilen, wo Jesus uns beide reinigt.

Herr Jesus, du bist uns zur Reinigung gesetzt, und weil du mir das Gewissen geweckt hast, bitte ich dich, reinigt mein Herz von den argen Gedanken in betreff meines Widersachers, und gib mir die Liebe zu ihm, die du zu ihm hast. Herr, hilf mir! Amen.

„Und warfen sie Jesu vor die Füße, und er heilte sie.“
Mat. 15, 30

Es klingt so brutal: sie warfen sie Jesu vor die Füße! Aber so ähnlich hab ich's im Kidrontal erlebt, daß nackte, verkrüppelte oder blinde Kinder uns von den bettelnden Eltern vor die Füße geworfen wurden, um uns zu einem Almosen zu zwingen. Ja, wenn man dabei die Heilung erlebte, wenn die Geworfenen gesund aufstehen und jauchzend weggehen könnten, wie damals, dann läßt man sich dieses Werfen noch gefallen. Im Geistlichen geht es uns heute noch ähnlich: unsere Nöte sind Ungeheuer, die werfen uns Jesu vor die Füße! Wir sind auf ihn geworfen und wir bleiben mit nassen Augen und stummem Jammer der Seele so bei ihm liegen, bis er uns aufhebt und heilt und tröstet. Mancher hat nur Hilfe gegen eine Augenblicksnot bei Jesus gesucht und hat eine Heilung für die Ewigkeit gefunden. Darum wollen wir die Nöte nicht schelten, die so rau mit uns verfuhren und uns zu ihm trieben. Zum Bösen laufen wir selbst; zum Heiland muß man uns oft erst mit Schmerzen und Schlägen hintreiben. Wenn wir uns nur der Sachlage ganz deutlich bewußt werden, daß wir die Geworfenen sind und nicht die Verworfenen - daß wir dazu das äußere Elend erlebten, damit wir die innere Herrlichkeit erlangten!

Ja, Herr Jesu, hier sind wir und unsere Schmerzen! Aber du treuer Hirte hast doch deine kranken Schäflein lieb und hebst uns auf und tröstest uns. Wir wollen einen Hauch deiner Liebe spüren und all unser Vertrauen auf dich setzen. Amen.

Kapitel 20

„nicht, daß er sich dienen lasse“
Mat. 20, 28

Das war damals so, daß Jesus nicht gekommen war, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe seine Seele zum Lösegeld für viele. Heutzutage sitzt er zur Rechten des Vaters und sieht uns aufmerksam an, ob wir dienen und wie wir dienen. Ist unser ganzes Leben, die äußere irdische Berufsarbeit, wie die freiwilligste Reichsgottesarbeit, ein Dienen? Und wenn ja, zergliedere deine Antriebe und Empfindungen dabei. Ein Teil kommt auf Rechnung einer gewissen Eitelkeit - weg damit! Ein Teil tun wir aus Berechnung, damit andere uns wieder dienen - weg damit! Dort jene Opfer brachten wir ärgerlich und verstimmt, bloß weil es unsere Stellung im Christentum mit sich brachte - weg damit! Was in aller Welt tue ich denn ganz allein aus Liebe zu Jesus? Es ist neben alle meine andern Verpflichtungen und Anstrengungen gehalten, schrecklich wenig. Ganze Tage können angefüllt mit Tätigkeiten sein, und es war kein Hauch der selbstlosen Liebe dabei, die nur Jesus gefallen will und sonst nichts, aber auch gar nichts an Anerkennung oder Lohn auf Erden oder im Himmel haben will.

Herr Jesus, ich schäme mich meiner und müßte verzagen, wenn du nicht so barmherzig wärst. Vergib mir die selbstsüchtige Arbeit und den ehrsüchtigen Eifer und fülle mir die Seele mit klarer Liebe zu dir. Amen.

Kapitel 22

„Gott aber ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen.“
Mat. 22, 32

Wie viele möchten es anders haben: Gott soll sich um ihr Leben auf Erden nicht kümmern, wie sie sich nicht um ihn kümmern; im Sterben soll er ihnen durch den Pfarrer etwas Trost schicken und in der Ewigkeit soll er sie irgendwie selig machen. Als die Toten wollen sie schließlich irgendwie in seiner Hand sein, weil sie nichts dagegen machen können, aber ihr Leben wollen sie für sich haben. Das geht nicht. Gott läßt sich sein Eigentumsrecht nicht halbieren: wir sind sein, hier im Leben und im Sterben und nach dem Tod. Das verschärft unsere Sünde, daß wir sie taten als Gottes Eigentum, und dieses Leben in der Sünde wirft seine Wirkungen hinüber in jenes Leben. Umgekehrt geht's auch den Gläubigen der Tod kann sie von Gott nicht scheiden. Weil sie auf Erden als sein Eigentum sich wußten, ist es ihr Trost, daß sie es auch nach dem Sterben bleiben. Gott ist ein Gott der Lebendigen. Die Seinen leben ihm dort alle und haben Lebensbeziehungen mit ihm. Denn in des Vaters Hause sind viele Wohnungen. Der Ort der Toten ist nicht verriegelt für Gottes Einfluß. Wir sind sein und bleiben lebendig in Ewigkeit.

Wir danken dir, Herr Jesus, daß wir durch dich den großen Trost gegen das Sterben wissen und haben: daß wir in des Vaters Hand bleiben. Gut wird's auf alle Fälle sein. Mach uns treu und hilf uns zur Ruhe des Volkes Gottes hindurch. Amen.

Kapitel 24

„Wer aber beharret bis ans Ende, der wird errettet werden.“
Mat. 24, 13

In brausender Begeisterung sich unter Jesu Fahnen stellen, das kann eine vorübergehende Gefühlsbewegung sein. Unter dem Eindruck der Sündenvergebung sich ihm dankbar anzugeloben, kann tiefer gehen. Jahre in der Arbeit für Jesus können dahingehen, während er an uns arbeitet, und kein Gedanke der Trennung taucht auf. Wie sollen wir uns da denken, daß wir gegen das Ende nicht aushalten und bis zuletzt in ihm bleiben werden? Es gibt eine müde machende Enttäuschung; Erfolglosigkeit unserer Arbeit, langes Siechtum, eine Luft der Lauheit, da die Liebe in vielen erkaltet, eine geheime Untreue, die einem nicht ganz klar war, unvergebene Sünden, die einen lähmenden Bann auf uns legen, ein Ausbiegenwollen, wenn er ein besonders peinliches Kreuz auf uns legen will Alles das kann zusammenwirken, bis die Kraft weicht und das Gebet bloß eine leere, seufzende Form geworden ist. Beispiele zeigen es, das Wort weist darauf hin, und wer steht, soll wohl zusehen, daß er nicht falle!

Herr Jesu, ich kann dir kein Gelübde ablegen, daß das alles bei mir so eintreten werde. Aber ich bitte dich, nimm du mir diese Sorge ab! Du sollst Unterpfand meines Glaubens und Ankergrund meiner Hoffnung sein. Halte mich um deinetwillen fest. Amen.

Kapitel 26

„Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“
Mat. 26, 41

Wäre unser Fleisch nicht der Sitz der Reizungen, Empfindungen und Begierden, die Stelle, wo Lust und Schmerz das große Wort führen, hätte die Anfechtung keinen Sinn und keine Gefahr. Engel, die kein Fleisch und Blut haben, sondern nur Geist sind, haben seit dem Augenblick, wo sie in der ersten Versuchung sich für Gott entschieden haben, keine Versuchung mehr zu bestehen. Wir aber stehen so lange in der Versuchung, als uns noch ein Nerv weh tut, ein Gefühl uns Lust bereiten kann. Wachen und Beten soll uns aufmerksam erhalten und gegen eine Überrumpelung schützen. Wo wir uns ganz gemütlich gehen lassen, sind wir in größerer Gefahr, als wenn eine Stunde der Angst da ist oder Schrecken der Hölle uns überfallen. Im dunklen Tal der Not sind weniger Gotteshelden entgleist als im lustigen Sonnenschein des Leichtsinns. Fleisch und Blut sind wie starke, übermütige Pferde; der Geist ist ihr Lenker, die Zügel sind Wachen und Beten. Dein Blick muß stets vorwärts auf den Weg und die Pferde gerichtet sein. Die meisten Unglücksfälle kamen daher, daß man diese Aufmerksamkeit vernachlässigte. Wer beizeiten vorbeugt, beruhigt, zurückhält, wird siegen!

Und wenn ich achtlos würde, Herr Jesu, erinnere, warne mich beizeiten. Du weißt, wie es in unserem Fleisch und Blut einem zu Sinn ist. Du bist versucht wie wir und hast stets gesiegt. Jetzt hilf mir Unbeständigem zur Stille und zur Kraft durch deinen Geist. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/keller/keller-matthaeus.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain