Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Lätare.

Kapff, Sixtus Carl von - Am Sonntag Lätare.

Text: Gal. 4,21-31.1)
Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, habt ihr das Gesetz nicht gehört? Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte; einen von der Magd, den anderen von der Freien. Aber der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren; der aber von der Freien, ist durch die Verheißung geboren. Die Worte bedeuten Etwas. Denn das sind die zwei Testamente, eines von dem Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches ist die Agar. Denn Agar heißt in Arabien der Berg Sinai, und langt bis gen Jerusalem, das zu dieser Zeit ist, und ist dienstbar mit seinen Kindern. Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter. Denn es steht geschrieben: Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst, und brich hervor, und rufe, die du nicht schwanger bist; denn die Einsame hat viel mehr Kinder, denn die den Mann hat. Wir aber, liebe Brüder, sind Isaak nach der Verheißung Kinder; aber gleichwie zu der Zeit, der nach dem Fleisch geboren war, verfolgte den, der nach dem Geist geboren war, also geht es jetzt auch. Aber was spricht die Schrift? Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn; denn der Magd Sohn soll nicht erben mit dem Sohne der Freien. So sind wir nun, lieben Brüder, nicht der Magd Kinder, sondern der Freien.

„Freut euch mit Jerusalem und seid fröhlich über sie Alle, die ihr sie lieb habt. Freut euch mit ihr Alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet, ja, ihr sollt an Jerusalem ergötzet werden.“ Diese Worte aus Jes. 66 waren in der alten Kirche der Anfang des Gottesdienstes, von dessen erstem Wort „Lätare“ der heutige Sonntag seinen Namen hat. Lätare, freue dich, Jerusalem, und freut euch Alle, die ihr sie liebt - dazu erweckt der HErr durch die Verheißung der herrlichen Zeit, die durch den Gesalbten GOttes herbeigeführt werden sollte, da eine reiche Fülle geistlicher Segnungen ausgehen werde von dem in Christo erneuerten Jerusalem. Wie reich diese Segnungen seien, das deutete JEsus nach dem heutigen Evangelio durch den großen leiblichen Segen an, indem er mit fünf Broten 5000 Männer und ihre Weiber und Kinder sättigte.

Ebenso reichlich will der HErr auch im Geistlichen die segnen, die zu dem geistlichen Jerusalem gehören. Deswegen führt unsere Epistel den Aufruf zum Lob GOttes an, den Jesajas an das in Christo erneuerte Jerusalem ergehen lässt mit den Worten: „Sei fröhlich du Unfruchtbare, die du bisher, nämlich unter dem Verderben des gesetzlichen Wesens, nicht geboren hast, brich hervor und rufe laut deinen Lobgesang, die du bisher nicht schwanger warst, d. h. keine geistlichen Kinder, keine wiedergeborenen Menschen zeugtest unter dem Gesetz; freue dich jetzt, denn die einsame, zuerst so kleine und verachtete Gemeine JEsu bekommt viel mehr Kinder, GOtteskinder, als die den Mann hat. d. h. als das an's Gesetz wie an einen Mann gebundene alte Israel.“ Mit solchen Worten zeigt Paulus den großen Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium. Beides ist notwendig, aber es liegt Alles daran, dass wir die rechte Stellung und Bedeutung beider erkennen. Wir hatten in unseren letzten Texten auch Gesetz, und sahen, wie notwendig die Erfüllung des Gesetzes oder die Heiligung sei. Aber dabei dürfen wir nie vergessen, dass wir durch Gesetzeserfüllung, auch durch die neu-testamentliche Heiligung nicht gerecht werden vor GOtt, sondern allein durch den Glauben an JEsum Christum.

Deswegen hat Paulus in seinem Brief an die Galater so ernstlich gewarnt vor dem gesetzlichen Wesen, in das sie sich durch falsche Judenapostel hineinziehen ließen. Er sagt in unserem Textkapitel zu ihnen „Nun ihr GOtt erkannt habt in Christo, wie wendet ihr euch denn um zu den schwachen und dürftigen Satzungen des Judentums!“ Ich fürchte, ich habe umsonst an euch gearbeitet. Um ihnen dann noch deutlicher zu zeigen, dass nicht aus dem Gesetz die Gerechtigkeit komme, sondern allein aus JEsu Christo, so nimmt er die Geschichte des alten Bundes selbst, mit ihrem tieferen Sinn, als Beweis zu Hilfe, und zeigt an Ismael und Isaak, an Sinai und Jerusalem den großen Unterschied des gesetzlichen und des evangelischen Zustandes. Dieser Gegenstand ist auch für uns von der größten Wichtigkeit, da ohne richtige Grundbegriffe von Gesetz und Evangelium keine Erkenntnis der Heilswahrheiten, die unsere gegenwärtige Passionszeit uns vorhält, möglich ist. Daher betrachten wir nach unserem Text:

Den Unterschied zwischen dem gesetzlichen und evangelischen Zustand.

  1. Der gesetzliche ist ein Stand der Knechtschaft,
  2. Der evangelische ein Stand der Freiheit.

O, süßer Freund! wie wohl ist dem Gemüte,
Das im Gesetze sich ermüdet hat
Und nun zu Dir dem Seelenleben naht,
Und schmeckt in Dir die wundersüße Güte,
Die alle Angst und alle Not verschlingt
Und unsern Geist zu sanfter Ruhe bringt. Amen.

I.

Paulus hat in unserer Epistel die Absicht, den Galatern zu zeigen, dass sie durch ihre Unterwerfung unter das Gesetz sich in einen Zustand der Knechtschaft begeben. Um ihre törichte Überschätzung des Gesetzes noch mehr zu widerlegen, beweist er ihnen aus dem Gesetz selbst, d. h. aus den Büchern Mose, dass nur die, welche durch den Glauben zu dem Samen der Verheißung gehören, frei und selig seien, dagegen die unter dem Gesetz stehenden in einem Stand der Knechtschaft und Hoffnungslosigkeit sich befinden. „Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz seid, durch Beschneidung und äußerliche Zeremonien und allerlei Werke des Gesetzes gerecht werden wollt, sagt mir, habt ihr das Gesetz nicht gehört? Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, den anderen von der Freien, Ismael von der Hagar, Isaak von Sarah. Aber der von der Magd ist nach dem Fleisch geboren, d. h. gegen den eigentlichen Willen GOttes, da Abraham dem ungeduldigen Unglauben der Sarah nachgab und so GOtt vorgriff. Der aber von der Freien oder Herrin, von Sarah, ist durch Verheißung geboren, als Wunderkind auf die außerordentliche Verheißung GOttes durch Wunderkraft geboren.“

Von dieser Geschichte sagt Paulus: „Die Worte bedeuten Etwas, „ d. h. es liegt ein tieferer Sinn darin, als es nach dem Buchstaben scheint. Ismael und Isaak bedeuten als Vorbilder die zwei Testamente, das alte vom Sinai, den Gesetzesbund, und das neue von Jerusalem, von der in Christo zur Kindschaft GOttes berufenen Gemeine. Das erste Testament nennt unser Text das „vom Berge Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches ist die Agar. Denn Agar heißt in Arabia der Berg Sinai, und langt bis gen Jerusalem, das zu dieser Zeit ist, und ist dienstbar mit seinen Kindern.“ Ismaels Nachkommen wohnten in Arabien, im Land des Sinai, den die Araber wahrscheinlich Agar, d. h. Felsberg nannten; und Hagar als Abrahams Sklavin, Ismael als Sohn der Sklavin, Sinai als der Ort, wo das äußerliche Gesetz des Buchstabens gegeben wurde, das Alles deutet nur auf einen Zustand der Knechtschaft; und wenn Paulus sagt: „der Sinai langt bis gen Jerusalem, „ d. h. nach dem Griechischen: er entspricht, ist zu vergleichen dem irdischen Jerusalem, d. i. der Stadt des unter dem Gesetz stehenden Volkes, so will er sagen, wie Hagar, so steht das am Sinai dem Gesetz unterworfene Volk Jerusalems, das Volk Israel unter der Knechtschaft, sei dienstbar mit seinen Kindern, mit allen unbekehrten Israeliten.

Diese Dienstbarkeit oder Knechtschaft wird Ebr. 2,15. geschildert mit den Worten: „dass sie durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten.“ Israel stand unter dem Gesetz, wie unter einem Zuchtmeister, der auf jedem Schritt ihnen den Weg verzäunte, und gebot, wie sie wandeln sollten. Aber sagte das Gesetz: „Du sollst,“ so sagte ihr Fleisch: „ich mag nicht,“ und so war nach Röm. 8,3. „das Gesetz geschwächt durch's Fleisch, so dass sie um ihrer Übertretungen willen vom Gesetz verdammt wurden.“ Dieses Verdammtwerden durch das Gesetz, seine beständigen Drohungen und alle die Gebräuche, die ihnen von der Heiligkeit GOttes einen so erschütternden Eindruck gaben, das Alles erhielt sie in Furcht, und Furcht ist ein Zustand der Knechtschaft. Wie Knechte standen sie vor dem Sinai und bebten vor dem HErrn, wie Knechte vor der Stiftshütte und vor dem Tempel, in den sie nicht hinein durften, und wie Knechte, die kein Erbe haben, gingen sie dem Tod entgegen, hinter dessen düsterer Dunkelheit sie kein Licht sahen. Aus Furcht vor der Strafe suchten sie das Gesetz zu erfüllen und konnten es doch nicht. So waren sie im Leben und im Tod in knechtischer Furcht, und die Furcht hat Pein, wie Johannes sagt. Wo Furcht ist, da ist keine Liebe, und wo keine Liebe ist, da ist kein Leben.

In diesen Zustand der Knechtschaft ließen die Galater sich durch Irrlehrer wieder zurückwerfen, indem sie glaubten, neben dem Glauben an Christum sei auch die Erfüllung des alt-testamentlichen Gesetzes notwendig. So kehrt auch im neuen Bund noch bis auf diesen Tag ein gesetzlicher Zustand wieder bei allen den Seelen, die durch die Erfüllung des Gesetzes selig werden wollen. Wir können unterscheiden die Gesetzlichkeit vor, unter und nach der Bekehrung.

Vor der Bekehrung sind in gesetzlichem Zustand alle die, die durch Tugend, Pflicht- und Berufserfüllung GOtt wohlgefällig werden und auf gute Werke die Hoffnung der Seligkeit gründen wollen. So sind sogar viele leichtsinnige Weltmenschen, die ohne GOtt leben und den Lüsten und Begierden des Fleisches freien Raum lassen: aber doch auch nicht in die Hölle möchten, und daher mit etlichen guten Werken, Almosen, Berufserfüllung, mit Regungen der Gutmütigkeit, vielleicht auch mit einer gewissen äußerlichen Religiosität den Himmel verdienen zu können glauben. Besonders aber gehören hierher alle die ehrbaren, sich selbst rechtschaffen dünkenden Weltmenschen, die auf Tugend und Sittlichkeit halten, aber alles Glück sich selbst verdanken wollen, und daher um ihrer Pflichterfüllung willen ein Recht auf GOttes Lohn zu haben meinen. Solche Seelen können nur so lange ruhig sein, als es ihnen möglich ist, die Täuschungen, mit denen sie sich selbst anlügen, festzuhalten. Aber so wie sie ernstlich vor GOttes Richterstuhl und vor die Tore der Ewigkeit hingestellt werden, so bricht das schöne Tugendgebäude zusammen und die Seele ist durch Furcht und Schrecken in finsterer Knechtschaft. Das haben schon Manche unter euch erfahren. Ihr wolltet als ehrliche, brave Leute ohne Bekehrung durchkommen und euch selbst den Himmel verdanken. Das schien möglich, so lange von außen Alles gut und nach Wunsch ging; aber wie arm musstet ihr euch fühlen, wenn GOttes Ernst zentnerschwer über euch hereinbrach, wenn Krankheit oder Todesnot, oder wenn starke innerliche Züchtigungen des Geistes euch zu Boden schlugen. Wie ein Schiffbruch auf dem Meer, da kein Grund und Boden mehr ist, daran man sich halten könnte, so ist die Not der Seelen, die sprachen: ich bin reich und habe gar satt und darf Nichts, wenn sie erfahren müssen, dass sie elend und jämmerlich sind, arm, blind und bloß. Alle Pflanze, die der himmlische Vater nicht gepflanzt hat, die wird ausgereutet. Denn fleischlich gesinnt sein, ist eine Feindschaft wider GOtt, sintemal es dem Gesetz GOttes nicht untertan ist, denn es vermag es auch nicht. Wo so die Kraft zum Guten fehlt und der Wille GOttes, nach dem auch das innerste Sehnen unseres Geistes strebt, nicht erfüllt werden kann, da ist knechtische Furcht, innerer Unfriede und Unruhe. Denn wohl ist es uns nur, wenn wir mit GOtt vereinigt sind. Das werden wir aber nicht durch gute Werke, sondern allein durch JEsum.

In anderer Art zeigt sich der gesetzliche Zustand unter der Bekehrung. Wenn eine Seele durch den Geist GOttes aufgeweckt ist und einsieht, dass sie ein neues Leben anfangen muss, so versucht sie es vielleicht zuerst mit ernstlichem Streben nach Besserung, fasst gute Vorsätze, nach denen Alles ganz anders werden soll, als bisher, legt sich zur Ablegung der Sünde vielleicht schwere Zuchtmittel auf, z. B. Kasteiungen, harte Arbeit, Geldbezahlung und dergleichen, was unter manchen Umständen gut sein mag, aber nur nicht so, dass damit irgend etwas gut gemacht werden soll. Damit sucht der versteckte Hochmut, der unverdiente Gnade nicht annehmen will, sich ein gewisses Recht auf Gnade zu erwerben. Die Seele will nicht so schlecht, wie sie ist, erscheinen, und wähnt wohl auch, so unrein und unwürdig könne sie der Versöhnung nicht teilhaftig werden, sie wolle also vorher ihr bisheriges Leben gut machen und Bedingungen erfüllen, unter denen allein sie der Gnade GOttes würdig sei. Aber bald muss die Seele erfahren, dass es unmöglich ist, eine vor GOtt gültige Gerechtigkeit aufzurichten. Da kann dann der Gesetzeseifer durch die Erfahrung der Fleischesschwäche oft in eine Art Verzweiflung führen, als ob Alles Nichts wäre. Da ist kein kindlicher Zutritt zu GOtt, weil man wähnt, nur als fromm und heilig dürfen wir vor Ihn treten; da ist keine Kraft, das Fleisch, das allezeit gelüstet wider den Geist, zu überwinden, keine Kraft GOtt zu lieben, und beim Blick auf Tod und Ewigkeit keine Hoffnung, sondern Verzagtheit und Angst. Da ist ein unseliges Schwanken zwischen Vorsätzen und Furcht, Gesetzeseifer und Fleischesschwäche, Selbsterhebung und Selbstverdammung.

Etwas Ähnliches kann auch noch nach der Bekehrung vorkommen. Begnadigte und nach innigster Überzeugung nur durch JEsu Verdienst versöhnte Seelen streben nach immer größerer Verähnlichung mit JEsu durch ernstliche Heiligung. Das ist ganz gut und notwendig, aber leicht mischt sich etwas Gesetzliches mit ein, die Seele sucht in eigener Gerechtigkeit etwas Verdienstliches, und gründet ihre Hoffnung nicht mehr allein auf die Gerechtigkeit, die uns JEsus am Kreuz erworben, sondern auf die von ihm in uns fließende Gerechtigkeit der Heiligung. Dabei wird oft auch auf unbedeutende Dinge ein allzu großes Gewicht gelegt, z. B. auf äußere Formen, Hebungen, Enthaltungen, als ob sie zur Seligkeit notwendig wären. Da ist oft große Ängstlichkeit und Strenge, besonders auch im Urteil über Andere. Wie das Gesetz Vieles verbot, was JEsus freigab, und Vieles gebot, was JEsus nicht verlangt, so hält eine gesetzliche Seele Vieles für Sünde, und macht sich über Vielem ein Gewissen, worüber die wahre evangelische Freiheit keine Anfechtung hat. Auch bei dieser Art von Gesetzlichkeit ist Furcht und Knechtschaft, sobald die auch im Wiedergeborenen noch fortdauernde Schwachheit des Fleisches der Seele zeigt, wie weit sie noch zurück ist. So lange wir unsere Hoffnung nicht ganz aus Christo schöpfen, sondern den Grad der Hoffnung nach dem Grad der Heiligung abmessen, so lange sind die Gefahren, die das geistliche Leben bedrohen, entweder Hochmut oder Mutlosigkeit, Selbstgerechtigkeit oder Leichtsinn, Trotz oder Verzagtheit. Nur wenn unser Ich mit aller Tugend und Gerechtigkeit, mit aller Weisheit, Geschicklichkeit und Kraft uns Nichts mehr ist, JEsus dagegen Alles, und Seine Gerechtigkeit allein der Grund unserer Hoffnung, nur dann können wir getrost sagen: „Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit GOtt durch unseren HErrn JEsum Christum, und Zugang zum Vater, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die GOtt geben soll. Deswegen ist das, wonach wir trachten müssen:

II.

der evangelische Zustand als Stand der Freiheit, der Liebe und des Lebens.

Als Vorbild dieses herrlichen Gnadenstandes stellt unser Text den Isaak hin als den Sohn der Verheißung. Dem Glauben Abrahams wurde dieser Sohn als Gnadengeschenk zu Teil, sein Glaube an die unmöglich scheinende Verheißung wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und darum knüpften sich an diesen Sohn, als den Erben, die großen, weit aussehenden Verheißungen GOttes, dass in Abrahams Samen gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde. Isaaks Same oder Nachkomme war JEsus. Wie Isaak der freie Sohn der freien Mutter war, so sind alle „Kinder der Verheißung, „ d. h. alle durch den Glauben an JEsum wiedergeborenen Kinder GOttes frei als Kinder der oberen Mutter, von der Paulus spricht in den Worten: „Das Jerusalem, das droben ist, das ist die freie, die ist unser Aller Mutter.“ Das Jerusalem, das droben ist, ist nach Ebr. 12,23. die Gemeine der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, die Geister der vollkommenen Gerechten. Dieses himmlischen Jerusalems Haupt und Mittelpunkt ist die göttliche Weisheit, der ewige Logos, Christus; und die Weisheit spricht im alten Bund ganz als unsere Mutter, aus der zwar Alles, was ist, seinen Ursprung hat, aus der aber besonders alles geistliche Leben entspringt als Ausfluss aus dem Vater durch die Weisheit. Daher spricht die Weisheit Sprichw. 8, nachdem sie gesagt, wie sie von Ewigkeit als Werkmeister beim Vater gewesen sei: „meine Lust ist bei den Menschenkindern;“ „so gehorcht mir nun, meine Kinder, wer mich findet, der findet das Leben; wer aber an mir sündiget, der verletzt seine Seele.“ Das spricht die Weisheit als die obere Mutter. Diese Weisheit ist Christus nach seiner ewigen Gottheit. Mit Christo aber Eins ist sein Leib, das himmlische Jerusalem, die heilige Gemeine derer, die Glieder sind an Christo dem Haupt. Deswegen gibt der HErr Jerem. 33,16. seinem heiligen Jerusalem den gleichen Namen, den er Jerem. 23,6. Christo gibt, nämlich: „Jehova, unsere Gerechtigkeit,“ und Offenb. 3,12. sagt JEsus: „Wer überwindet, auf den will ich schreiben den Namen meines GOttes und den Namen der Stadt meines GOttes, der neuen Jerusalem, die vom Himmel herniederkommt.“ Dieses himmlische Jerusalem ist als Leib Christi zunächst geistlich, wird aber einst nach Offenb. 21. auch seinen Leib offenbaren in der wundervollen Stadt, die Johannes von GOtt aus dem Himmel herabfahren sah, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann, eine Hütte GOttes bei den Menschen, deren Tempel der allmächtige GOtt selbst ist, und das Lamm, deren Herrlichkeit kein Mensch begreifen kann.

Zu diesem Jerusalem, als der oberen Mutter, zu dem Leib und Reich Christi gehören die, die durch den Glauben Eins geworden sind mit JEsu. Und diese wahre Gemeine oder Kirche des HErrn nennt unser Text die Freie, und sagt: „So sind wir nun, liebe Brüder, nicht der Magd Kinder, sondern der Freien,“ gehören nicht mehr der sinaitischen Gesetzesanstalt mit ihrer Furcht und Knechtschaft an, sondern haben in Christo Freiheit. JEsus selbst sagt zu den Juden: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Und da die Juden meinten, als Abrahams Same seien sie nie Jemandes Knechte gewesen, so sagte Er: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht; nur so euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“ Der Sohn macht frei zuerst von der Furcht vor den Strafen der Sünde. Im Gesetz war keine Vergebung, die die Gewissen hätte vollenden können. Aber das Blut JEsu Christi, der sich selbst ohne allen Wandel durch den heiligen Geist geopfert hat, reinigt unser Gewissen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen GOtt.

Durch den Tod Christi erlangen wir das verheißene ewige Erbe, als ein Erbe, nicht als etwas Verdientes, von uns selbst Erworbenes, sondern als ein Erbe, das uns frei geschenkt wird durch die lautere Barmherzigkeit GOttes. Dieses Erbe ist zuerst das hohe Gut der Vergebung aller Sünden, kraft welcher GOtt uns in seinem heiligen Sohn ansieht, als hätten wir nicht gesündigt, und nimmt uns an als seine lieben Kinder und als Erben aller seiner himmlischen Güter. So darf eine in Christo versöhnte und durch sein Blut gewaschene Seele sich vor Nichts mehr fürchten. Sie ist frei und losgesprochen von den Verdammungen des Gesetzes; ihr Verkläger, der Satan, ist verworfen, und sie kann ihn überwinden durch den, der ihm am Kreuz den Kopf zertreten hat. Das erfuhren schon viele tausend Seelen, die, vielleicht lange, in sich selbst einen Anspruch auf Seligkeit gesucht, aber nicht gefunden hatten, sondern allein durch den Glauben an den für uns Gekreuzigten zur Ruhe kamen. So z. B. eine selbstgerechte Frau in Elberfeld, die zum großen Kummer ihres demütiggläubigen Mannes immer auf ihre Gutmütigkeit und Rechtschaffenheit sich viel einbildete und durch eigenes Verdienst selig zu werden glaubte. Sie hielt sich für eine ganz gläubige Christin: aber sie hatte das Verdienst JEsu nicht als unser einziges Heilmittel erkannt, und ein Freund, den ihr sterbender Gatte um Sorge für ihr Seelenheil gebeten hatte, bemühte sich umsonst, sie aus GOttes Wort und aus der Erfahrung zu überzeugen, dass sie als Sünderin nur in JEsu Gerechtigkeit finde. Dabei hatte aber die arme Frau nie wahren Frieden, sondern viel innere Angst und Traurigkeit. Aber der HErr selbst kam ihr zu Hilfe, und zwar durch einen Traum. Sie träumte, sie habe sich zu einer Hochzeit ankleiden und ein Kleid aus ihrem Schrank wählen wollen. Aber sie konnte keines brauchen. Das eine zerfiel in Staub, das andere war zerrissen, das dritte befleckt. Da sei sie dann in großer Angst gestanden; denn zur Hochzeit musste sie kommen. Plötzlich rauscht es durch die Luft, und vor ihr hing ein Kleid von der reinsten, schönsten weißen Seide, und die Worte ertönten: „Das ist gereinigt mit dem Blut und durch das Verdienst Christi.“ In ihrer Herzensfreude über das schöne Kleid wachte sie auf: aber eine viel größere Freude wurde ihr nun zu Teil, da sie erkannte, worauf es ankomme, um selig zu werden. Von da an blieb sie im lebendigen Glauben an JEsum, als ihr einziges Heil, und dieser Glaube erfüllte sie mit himmlischem Frieden und mit heiliger Liebe, und bald starb sie mit freudiger Heiterkeit. Denn versöhnte und gerechtfertigte Seelen haben auch den Tod und die Hölle nicht mehr zu fürchten; wer durch JEsum ein Kind GOttes geworden ist, dem gilt die Verheißung des HErrn: „Wer mein Wort hört, und glaubet Dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5,24.). Ja, nach Joh. 11,26. „soll er nimmermehr sterben,“ wie wir auch gestern Abend gehört haben: „Ich bin das Brot des Lebens, das vom Himmel kommt, auf dass wer davon isst, nicht sterbe; wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Geist, Seele und Leib wird durch die Gemeinschaft mit JEsu durchdrungen von neuer Lebens- und Auferstehungskraft, und selbst der Tod ist für die erlöste Seele verschlungen in dem Sieg, dass sie sagen kann: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle wo ist dein Sieg?“

Solche Freiheit von den Anklagen des Gesetzes und von der Gewalt des Teufels, des Todes und der Hölle hat uns JEsus erworben. Dadurch hat er uns auch verholfen zu der Freiheit von der Macht der Sünde selbst. Wem so viel vergeben und so viel gegeben ist, der liebt viel. Wer auf Golgatha es lebendig gefühlt hat, was JEsus für ihn getan hat, wem die Martergestalt seines liebsten Freundes, über die selbst ein Pilatus rief: „Seht, welch' ein Mensch!“ wem seine bitteren Todesqualen zu Herzen gegangen sind, der wird mit einer tiefen Liebe zu Ihm erfüllt, und diese Liebe zu JEsu wird zu einer Kraft freier Gesetzeserfüllung. Wer den Gekreuzigten liebt, in dem spricht nicht mehr ein ihm lästiges Gesetz: „Du sollst,“ sondern ein inneres Gesetz des Geistes, nämlich das der Liebe, spricht in ihm: „Ich will,“ ja, ich will heilig sein, wie mein JEsus heilig ist; ich will die Sünde, die Ihm die größten Leiden, ja, den bittersten Tod verursacht hat, hassen und lassen; ich will Ihm Freude machen durch einen Wandel nach seinem Wohlgefallen.

Solche Liebe ist die höchste Freiheit neben der tiefsten Gebundenheit des Gemütes. Daher Johannes sagt: „Wer aus GOtt geboren ist, nämlich durch den wahren Glauben an JEsum, der tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt bei ihm und kann nicht sündigen, denn er ist von GOtt geboren.“ Er kann nicht sündigen, - er hat keine Ruhe mehr dabei, sein Herz ist in Liebe an JEsum wie gebunden, und nur in diesem Element der Liebe zu JEsu ist es ihm wohl. Diese Liebe macht frei von Allem, was den Geist in ein knechtisches Wesen versetzt, wie Paulus sagt Röm. 8: „Das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo JEsu, hat mich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes. Denn durch das Sündopfer Christi hat GOtt die Sünde in unserem Fleisch verdammt und ihre Kraft zu nichte gemacht, auf dass die Gerechtigkeit, von dem Gesetz gefordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist.“

Demnach wird die Forderung des Gesetzes nicht abgewiesen, daher Paulus Röm. 3. sagt: „Heben wir das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! sondern wir richten das Gesetz auf.“ An Christi Kreuz offenbart sich der ganze Fluch und die Abscheulichkeit der Sünde und die ganze Strenge des göttlichen Zornes. Diesem Zorn verfallen alle Gesetzesübertreter, die nicht in Christo versöhnt, gerechtfertigt und zu neuem Leben erweckt werden. So wird durch JEsu Tod die ganze Forderung des Gesetzes bestätigt, und an alle Menschen ergeht vom Kreuz JEsu herab, unendlich eindringlicher, als vom Sinai herab, der Ruf GOttes: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig.“ Aber die Kraft dazu finden wir nur in Christo, in der Liebe zu Ihm. Und ans Liebe zu Ihm, der uns zuerst geliebt, wandeln seine Nachfolger ohne Zwang, in höchster Freiheit seine Wege. Daher sagt Paulus gleich nach unserem Text: „So besteht nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat.“ Diese Freiheit ist so groß, dass man sagen kann: „Es wird einem Kind GOttes wie zur anderen Natur, JEsu sich nachzubilden und Ihm nachzufolgen.“

Dabei zeigt sich die in Christo erlangte Freiheit besonders auch als Freiheit von Menschen und ihrem Lob oder Tadel. Unser Text sagt: „Aber gleichwie zu der Zeit, der nach dem Fleisch geboren war, Ismael verfolgte den, der nach dem Geist geboren war, Isaak, also geht es jetzt auch.“ GOtteskinder werden verfolgt oder doch verspottet von den Weltkindern; die in Christo von der Welt und Sünde Befreiten werden verspottet von denen, die Sklaven der Welt und Sünde sind. „Aber was spricht die Schrift? Stoße die Magd hinaus mit ihrem Sohne, denn der Magd Sohn soll nicht erben mit dem Sohn der Freien.“ Wer ein himmlisches Erbe zu hoffen hat, der kann sich wohl ausspotten lassen von dem, der ohne Erbe, ohne Hoffnung einer trostlosen Zukunft entgegengeht. Die Hoffnung auf das unvergängliche und unbefleckte und unverwelkliche Erbe macht es leicht, alles Irdische, Menschen und Sachen, für Schaden zu achten, um ganz nur in Christo erfunden zu werden. So macht der evangelische Stand, die Glaubens- und Lebensgemeinschaft mit JEsu, frei von Sünde, Tod, Teufel und Hölle, frei vom Gericht und frei von der Macht des Fleisches, das allezeit gelüstet wider den Geist, frei von allen den Einflüssen der Welt und der Menschen, die unseren Geist niederhalten in irdischer Knechtschaft.

O Geliebte, wer sehnt sich nicht nach dieser Freiheit! Wird die natürliche Freiheit von natürlichen Menschen als das höchste Gut gepriesen, da doch die äußerlich Freiesten meist innerlich die Gebundensten sind; wie viel höher und köstlicher muss uns die Geistesfreiheit sein, die uns losmacht von Allem, was innerlich unglücklich macht, und uns erhebt in einen seligen Himmel der Vereinigung mit GOtt. Nach dieser Freiheit wollen wir Alle trachten, und daher alle Selbstgerechtigkeit und Werkheiligkeit fahren lassen, in eigenem Verdienst oder Vorzug Nichts suchen, sondern Alles in Christo, alle Gerechtigkeit, alle Weisheit, allen Grund unserer Hoffnung in Zeit und Ewigkeit, wie unser Lied sagt:

Der Grund, auf den ich gründe,
Ist Christus und sein Blut,
Das machet, dass ich finde,
Das ewig wahre Gut;
An mir und meinem Leben
Ist Nichts auf dieser Erd',
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe wert.

Nicht dass wir faul oder leichtsinnig die Gnade auf Mutwillen ziehen; das ist nur Sache derer, die noch Knechte der Sünde sind. Wer durch wahre Bekehrung frei geworden ist, bei dem ist die Rechtfertigung durch den Glauben der Grund eines neuen Lebens, wie der Bach aus der Quelle frisch und hell hervorquillt. Die Liebe zu JEsu treibt uns, dass wir uns das höchste Ziel der Heiligung setzen, Ihn selbst und das Leben in Ihm: aber dieselbe Liebe treibt auch, dass wir Nichts uns selbst beilegen, sondern Alles nur aus Ihm und in Ihm und für Ihn sein wollen. So ist das ernstliche Streben der Heiligung mit der tiefsten Glaubenseinfalt verbunden, und wenn auch der vollendetste Christ heute sterben muss, so ist der einzige Grund seiner Hoffnung nur Christus und sein Blut. Den Gnadenlohn aber, den der HErr unserer Treue verheißen hat, den überlassen wir gänzlich Ihm, denn der höchste Lohn ist Er selbst und seine Liebe. In dieser Liebe zu leben, ist die höchste Freiheit und Seligkeit, und JEsum haben, heißt Alles haben, daher eine Seele, die Ihn hat, mit unserem Lied sagen kann:

Mein Herz beginnt zu springen
Und kann nicht traurig sein,
Ist lauter Freud' und Singen,
Sieht lauter Sonnenschein,
Die Sonne, die mir lachet,
Ist mein HErr JEsus Christ,
Das, was mich singen machet,
Ist, was im Himmel ist. Amen.

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Die alte Epistel dieses Sonntags
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