Kapff, Sixtus Carl von - Am fünften Epiphanien-Sonntag.

Kapff, Sixtus Carl von - Am fünften Epiphanien-Sonntag.

Text: Kol. 3,12-17.
So ziehet nun an, als die Auserwählten GOttes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmut, Geduld; und vertrage einer den andern, und vergebet euch unter einander, so Jemand Klage hat wider den Andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über Alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede GOttes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in Einem Leibe, und seid dankbar. Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen, in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem HErrn in eurem Herzen. Und Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut Alles in dem Namen des HErrn JEsu, und danket GOtt und dem Vater durch Ihn.

„Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei!“ Mit diesen Worten zeigt JEsus, es sei sein Wille, dass eine vollkommene Freude uns zu Theil werden solle durch das Gebet, ebenso aber auch durch die Erfüllung seines Willens; daher sagt Er gleichfalls in seinen Abschiedsreden: „So ihr meine Gebote haltet, so bleibet ihr in meiner Liebe. Solches rede ich zu euch, auf dass meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“ In den letzten Stunden seines Lebens, da seine heilige Seele bis in den Tod betrübt war, spricht Er doch von einer Ihn erfüllenden und von Ihm ausströmenden Freude, und verspricht, dass auch den Seinigen statt traurigen Schmerzes vollkommene, ungetrübte Freude zu Theil werden soll.

Ebenso zeigt auch unser Text, dass das Christentum keineswegs etwas Trauriges und Düsteres ist, sondern voll Friede und Freude und Heiterkeit. Mit Psalmen und Lobgesängen und lieblichen Liedern sollen wir einander zusprechen, und singen und spielen dem HErrn in unsern Herzen. Demnach sind wahre Christen sehr fröhliche und vergnügte Leute, und es ist grundfalsch, was die Welt so oft sagt, dass bekehrte Menschen auf alle Freuden verzichten und ein betrübtes Leben führen müssen. Dieses allgemeine Vorurteil derer, die JEsum nicht kennen, ist eine der Lügen, mittelst deren der Satan nach dem heutigen Evangelio Unkraut zwischen den Weizen säet. Will in den Seelen ein Same GOttes aufgehen durch sein Wort und durch seinen Geist, so lügt der Feind durch den Widerspruch des Fleisches oder durch leichtsinnige Menschen sie an, das Christentum mache finstere Kopfhänger, die alle Heiterkeit und allen Lebensgenuss aufgeben müssen. Da steht vor mancher Seele die Bekehrung wie ein schroffer Berg, den man kaum ersteigen könne, und auf dessen Höhen man dann erst nur eine öde, dürre Wüste bewohne, während unten im üppigen Thal der Weltlust Freudenströme stießen und es alle Tage herrlich und in Freuden zugehe.

So sagt das Fleisch, das von seinen hochmütigen Ansprüchen und von seinen eitlen Lüsten Nichts aufgeben will. Aber ist es so? Euch Alle frage ich: ist es so? O wer die Tränen gesehen hat, die über die Wangen der Unbekehrten herabrollen, wenn die Seifenblasen der Lust und des Weltglücks zerstoben sind und der Ernst des Lebens sie ergreift; wer die Seufzer gehört hat, die sie freilich vor ihresgleichen verbergen, die aber laut aufsteigen, wenn eine ernste Stunde sie vor die Pforte der Ewigkeit oder vor den Richterstuhl GOttes hinstellt; wer es weiß, dass, so wie der äußere Lärm verrauscht ist, um so heftiger der innere anfängt mit Gewissensvorwürfen und niederdrückenden Gefühlen der inneren Leerheit und Hoffnungslosigkeit; ja, wer die schwarze Nacht der Anfechtungen über ein Leben ohne GOtt, wer die Verzweiflung selbst roher Sünder gesehen hat: der weiß, dass ohne Bekehrung keine Seele wahrhaft glücklich ist und an die Stelle des Scheinglücks früher oder später eine furchtbare Wirklichkeit tritt. Dagegen lehrt die Erfahrung aller Zeiten, dass es im Leben und im Sterben keine glücklicheren und vergnügteren Leute gibt, als wahrhaft gläubige, in GOtt selige Christen. Darüber weiter nachzudenken gibt unser Text uns Veranlassung, und wir betrachten ihm gemäß

Die beständige Heiterkeit wahrer Christen,

1) ihren Grund,
2) ihre Art.

Weicht, ihr Trauergeister,
Denn mein Freudenmeister,
JEsus, tritt herein.
Denen, die GOtt lieben,
Muss auch ihr Betrüben
Lauter Zucker sein.
Duld' ich schon
Hier Spott und Hohn,
Dennoch bleibst du auch im Leide,
JEsu, meine Freude.

JEsu, ich befehle Dir mein Leib und Seele,
JEsu, bleib' bei mir,
Dir ich mich ergebe, Ich sterb' oder lebe,
JEsu, meine Zier.
JEsu, meine Freud' und Ruh',
Meine Seel' in deine Hände
Nimm am letzten Ende. Amen.

I.

Welches ist der Grund und die Quelle, woraus wahre Christen ihre beständige Heiterkeit schöpfen? Das ist die erste Frage, worüber wir nachdenken. Wem sollte an dieser Freudenquelle nicht Alles gelegen sein! Wenn ein berühmter Arzt bekannt machen würde, er habe ein Arcanum1), durch dessen Gebrauch man zeitlebens vor jeder Krankheit bewahrt bleibe und bis in's höchste Alter einen frohen Muth behalte, so würde man sich beeilen, sich solches Arcanum zu verschaffen, selbst wenn es viel kosten würde. Nun soll aber heute von einem Mittel die Rede sein, durch das man von den Störungen der geistlichen Gesundheit bewahrt bleiben und einen ungetrübt frohen und heitern Muth allezeit bis in den Tod hinein behalten kann. Und dieses Mittel soll Nichts kosten, als dass man es regelmäßig gebraucht. Dieses Mittel ist der innere Friede, von dem unser Text so viel spricht, der Friede mit allen Menschen, der in selbstverleugnender Liebe Alle und Alles tragen kann, und dann besonders der Friede, auf den allein sich aller wahre Friede mit Menschen gründet, der Friede GOttes, von dem unser Text sagt: „er soll regieren in unseren Herzen,“ oder nach dem Grundtext: „er soll wie der Kampfrichter in den feierlichen Wettkämpfen Alles anordnen, entscheiden und die Siegespreise austeilen.“ Der Friede GOttes soll im Kampf dieser untern Welt, im Kampf von Fleisch und Geist Alles in uns beherrschen, regieren und uns lohnen.

Dieser Friede GOttes ist der Friede in JEsu Christo, die innere Ruhe eines Herzens, das durch den Glauben an JEsu Versöhnung die Vergebung aller seiner Sünden erlangt und so die Gerechtigkeit des Sohnes GOttes angezogen hat, so dass das begnadigte Kind GOttes vor seinen himmlischen Vater treten kann, als hätte es nicht gesündigt, als wäre es seines ganzen Wohlgefallens und seiner vollen Liebe würdig. In uns selbst wären wir das ewig nicht; aber wer den Sohn GOttes hat im Glauben, den sieht der Vater an im Sohne, und liebt in ihm den Sohn, in welchem wir nach Eph. 1,6. „angenehm gemacht sind, als in dem Geliebten GOttes.“ In dieser Vereinigung mit JEsu durch den wahren Glauben sind wir selbst Geliebte GOttes, wie unser Text im Anfang sagt, da die Gläubigen den außerordentlich hohen Titel erhalten: „Auserwählte GOttes, Heilige, Geliebte.“ Wie dürfte je ein Mensch so genannt werden, wenn nicht JEsu ganzes Verdienst und sogar seine Würde uns zugerechnet würde, wenn nämlich unser Glaube von der Art ist, dass wir, wie Paulus mehrmals ermahnt, Christum anziehen, so dass wir in Ihm sind, wie in einem Kleid, und Er in uns, als unseres Lebens Geist und Kraft. Solche Seelen sind Auserwählte GOttes, nach seinem ewigen Liebesvorsatz erwählt, aus der Welt heraus sein Eigentum, seine Kinder und Erben zu sein; sie sind Heilige, mit der Heiligkeit JEsu geschmückt und bestimmt in sie immer mehr verklärt zu werden, geheiligt durch seinen Geist, und so sind sie Geliebte GOttes, denen etwas von dem großen Zeugnis gilt, das der Vater über seinen Eingeborenen aussprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Solche Seelen haben Frieden mit GOtt und mit sich selbst; da ist nicht mehr der Zwiespalt von Gedanken, die bald verklagen, bald entschuldigen, nicht mehr das Verdammen des Gewissens in uns und des Gesetzes außer uns, nicht mehr die Furcht vor GOttes Heiligkeit, nicht mehr ein solches Widerstreben des Fleisches, bei dem der Geist will und doch nicht kann; das Gewirr von inneren Widersprüchen, das den natürlichen Menschen so zerrissen und unglücklich macht, ist aufgelöst in eine schöne und selige Harmonie, da alle Feinde in uns sich JEsu zu Füßen legen, allen Feinden außer uns die Thüren geschlossen sind und der Himmel täglich uns offen steht als unsere Heimat, in der wir jetzt schon im Geiste zu Hause sind, einst aber ein herrliches Erbe zu erlangen jetzt schon gewiss hoffen.

Wer so durch JEsum Friede mit GOtt und mit sich selbst gefunden hat, der hat den Grund einer beständigen Heiterkeit in sich, er kann mit dem 84ten Psalm sagen: „Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen GOtt, „ oder mit Psalm 16: „Du tust mir kund den Weg zum Leben, vor Dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu deiner Rechten ewiglich. Darum freuet sich mein Herz und meine Ehre, mein so hoch zu Ehren gekommener Geist, ist fröhlich, auch mein Fleisch wird sicher liegen, denn Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.“ Wie von Christo, so gilt das von denen, die sein Wort sich zueignen dürfen: „Wer an mich glaubet, der wird nimmermehr sterben.“ Da kann auch der ärgste Freudenstörer, der Tod, die Heiterkeit einer in Christo in das Himmlische versetzten Seele nicht trüben. Als der Bischof Ignatius (109 Jahre nach Christi Geburt) nach Rom geschleppt wurde, um dort den Märtyrertod zu sterben, schrieb er unterwegs in einem Brief: „Auf dem ganzen Weg von Syrien nach Rom kämpfte ich mit wilden Tieren, gebunden an zehn Leoparden ähnliche Soldaten, die immer wütender gegen mich werden, je mehr ich ihnen Gutes tue. Doch ich bin getrost, werfe man mich in's Feuer oder vor die wilden Tiere, nagle man mich an's Kreuz, zerreiße man mir alle meine Glieder, - was ist das Alles, wenn ich nur JEsum genießen darf.“ Und als er die Löwen brüllen hörte, die ihn darnach zerrissen, da sagte er mit heiliger Freude: „Ich bin Christi Weizenkorn, das der Zahn wilder Tiere zuerst zermalmen muss, damit es als ein reines Brod erfunden werde.“

So gibt JEsus eine selbst im Tod beständige Freude und Ruhe. Das zeigten auch schon Kinder durch einen fröhlichen Tod. So z. B. ein junger Knabe, Cyrillus, in Cäsarea, der sich weder durch Drohungen, noch durch Schläge verhindern ließ, JEsum freudig zu bekennen. Als seine Kameraden ihn verfolgten und sein Vater ihn aus dem Hause jagte, sagte er vor dem Richter, vor den man ihn schleppte: „Ich bin nicht betrübt, GOtt wird mir eine bessere Wohnung geben, auch den Tod fürchte ich nicht, er führt mich zu einem bestem Leben.“ Da ließ ihn der Richter zum Scheiterhaufen führen. Er aber sagte: „Dein Feuer und dein Schwerdt tun mir Nichts, ich gehe zu einem besseren Hause, fertige mich nur geschwind ab, dass ich bald dahin komme.“ Als die Anwesenden voll Mitleiden weinten, sagte er: „Ihr solltet euch vielmehr freuen, aber ihr wisset Nichts von der Stadt, wohin ich gehe.“ Er starb als ein Wunder von Muth und Freudigkeit.

Vielleicht aber denkt Manches, fortgehende lange Leiden, Krankheit, Armut und Feindesschläge seien doch Dinge, unter denen man nicht heiter bleiben könne. Da ruft uns Paulus zu: „Wir rühmen uns der Trübsale, denn Trübsal bringt Geduld, Erfahrung, Hoffnung, und Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden. Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängsten uns nicht; wir sind beständig als die Sterbenden und siehe wir leben, als die Traurigen, aber allezeit fröhlich, als die Armen, aber die doch Viele reich machen, als die Nichts inne haben und doch Alles haben“ (2 Kor. 6.). Petrus sagt: „Freuet euch, dass ihr mit Christo leidet; der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und GOttes ist, ruhet auf euch.“ Und Jakobus ruft: „Achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet.“

Hierin gab in neuerer Zeit ein höchst unglücklicher, krüppelhafter Mensch, der arme Jakob in Rottenstein, ein Beispiel. Er war so verwachsen, dass seine Kniee an das Kinn reichten und er in seinem Leben nie gehen und nur kriechend und rutschend sich von der Stelle bewegen konnte. Im Siechenhaus, einer elenden Hütte fern vom Dorf, war er kaum gegen Sturm und Regen geschützt, und musste da mit rohen, schlechten Menschen zusammen sein, verwahrloste Kinder bei Tag und bei Nacht pflegen, mit Nähen aufs Mühsamste sein Brod verdienen und auf einem armseligen Strohlager seine Ruhe suchen. Seine Speise war alle Tage nichts als geringer Haferbrei. Und in diesem elenden Zustande lebte er vom 12ten bis in's 62ste Jahr, und in den letzten sechs Jahren war er in Folge einer Lähmung, die ihn vollends aller Bewegung beraubte, so aufgelegen, dass er überall Wunden hatte. Und doch hörte man nie eine Klage von ihm, und allezeit war er heiter und bezeugte, er könne dem HErrn nicht genug danken für das, was Er an ihm tue. Die widrigsten Menschen brachte er durch Geduld und Sanftmut so herum, dass sie sich bekehrten; die Kinder, die er pflegte, wurden durch seinen Unterricht wahre Christen, und viele Andere, die sein Leben und seinen Tod mit ansahen, wurden bekehrt. Er starb nach einem seligen Blick in den Himmel mit hoher Freude, voll Dankes gegen den HErrn, während man ihm nach seinem Wunsche die ersten Verse des 103ten Psalm (Lobe den HErrn, meine Seele rc.) vorlas. Woher nun hatte er so beständige, auch durch das tiefste Elend ungetrübte Heiterkeit? Seine Großmutter, die bis zu seinem zwölften Jahr lebte, hatte ihn gelehrt, die Bibel zu lesen und den Heiland zu lieben. Und so war GOttes Wort sein Trost und JEsus seine Freude.

Nun, Geliebte, wenn ein bettelarmer Krüppel 62 Jahre lang immer fröhlich ist, weil er JEsum hat, wer kann noch zweifeln, dass wahre Christen einer beständigen Heiterkeit sich erfreuen? Davon zeugte auch ein anderer Armer, der ungeachtet vieler Trübsale und bitterer Erfahrungen doch sagen konnte: „Ich habe nie einen traurigen Tag gehabt. Hungert es mich, so lobe ich GOtt, friert es mich, lobe ich GOtt; bei Allem, was GOtt tut, lobe ich Ihn, Nichts, was geschieht, sehe ich als traurig an. Ich habe noch ein Unglück gehabt. GOtt tut nichts Böses. Schickt Er oder Leid, ich halte es für das Beste und nehme es mit Freuden an; denen, die Ihn lieben, muss ja Alles zum Besten dienen.“ Als ihn Jemand fragte: „Aber was würdest du tun, wenn dich GOtt in die Hölle verstoßen wollte?“ Da sagte er: „Das will GOtt nicht. Wollte Er aber je, so habe ich zwei Arme, den des Glaubens und den der Liebe, damit wollte ich Ihn festhalten, dass Er mit mir in die Hölle fahren müsste. Dann wäre mir's auch dort wohl; denn ich möchte lieber mit GOtt in der Hölle, als ohne GOtt im Himmel sein.“ Das ist der Sinn Assaph's: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich Nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, GOtt, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil.“

Wer so unter allen Umständen den Frieden GOttes in sich bewahrt, dessen Heiterkeit wird auch durch das, was am meisten verstimmt, durch widrige Behandlung von Menschen nicht dauernd gestört. Wer Friede mit GOtt hat, der kann auch Friede mit allen Menschen haben. Deswegen ermahnt unser Text: „Als die Auserwählten GOttes, Heilige und Geliebte ziehet an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmut, Geduld.“ Mit diesen Eigenschaften sollen wir wie mit Kleidern umhüllt sein, und diese Kleider soll der Friede GOttes uns bereiten. Wie GOtt sich aller Menschen erbarmt, und will, dass Allen geholfen werde, so sollen wir auch Sünder, auch Feinde und Beleidiger mit Geduld tragen, in Demuth unsere eigenen Fehler für größer halten, als die Anderer, in Sanftmut Anderen Zeit lassen, ihre Besserung abwarten und darum beten. Allen allerlei zu werden suchen und in Freundlichkeit gegen Jedermann das Licht JEsu von uns ausstrahlen lassen. Wenn wir Klagen gegen einander haben, sollen wir vergeben, wie Christus uns vergeben hat. Ach wie viel vergibt uns JEsus, und wie viel Vergebung bedürfen wir täglich! Wenn Er uns siebenzigmal siebenmal vergibt, dürfen dann wir bloß siebenmal oder gar nur Einmal, vielleicht Keinmal vergeben?

Wenn wir nicht von Herzen vergeben, so wird uns auch nicht vergeben und damit ist es aus mit dem inneren Frieden und mit der Heiterkeit des Geistes. Jeder Zom und noch mehr jeder Hass zieht eine Finsternis über das Gemüt herein, wodurch die Sonne der Freude verhüllt wird. Ja oft kann ein einziges wehtuendes Wort, das wir gegen andere fallen lassen, eine Wolke werden, die unsere Heiterkeit überschattet oder gar verdunkelt, was sich sogleich daran zeigt, dass wir nicht recht beten können. So lange wir Ärgernisse gegen Brüder und Zorn gegen Feinde im Herzen tragen, so können wir nicht recht beten.

Alles aber, was das Gebet stört, das stört auch die Freude und Heiterkeit. Denn GOtt allein ist aller wahren Freude Grund und Quelle, und nur so viel wir in GOtt sind, so viel können wir uns recht freuen, wie wir nur so viel Licht haben, als wir der Sonne uns zukehren, GOtt aber ist die Liebe, und nur wer in der Liebe bleibet, nur der bleibet in GOtt und GOtt in ihm. Deswegen ermahnt unser Text: „Über Alles, wie den Mantel über alle Kleider, wie den Gürtel, der alle Kleider zusammenhält, so ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit, „ der Inbegriff, der Grund und die Kraft aller der Eigenschaften, die einem vollkommenen Geiste nötig sind. Vollkommen ist freilich allein GOtt; aber wir sollen ja nach JEsu Gebot vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel, und solche Gottähnlichkeit zu erlangen, ist Liebe das Hauptmittel, Liebe GOttes und des Nächsten, wie sie aus dem Frieden GOttes, aus der Seligkeit der Versöhnung in Christo fließt. Ohne solche Liebe ist keine wahre Freude und Heiterkeit möglich; ein Herz ohne Liebe gleicht der düstern Nacht, aber die Liebe gleicht der Sonne, die Alles fröhlich erhellt und Allem auf der ganzen Erde ein anderes Ansehen gibt.

Je mehr wir daher Liebe haben, desto fröhlicher können wir sein, desto mehr auch alles das überwinden, was die Heiterkeit des Geistes unterdrückt. Dahin gehört alle sündliche Befleckung und alles ungöttliche Wesen. Wie unser Auge durch das Kleinste, was hineinfällt, trübe wird, und sogar das geringste Härlein uns am hellen Sehen hindert, so ist die kleinste Unlauterkeit, die geringste Befleckung durch Fleischeslust, Augenlust oder hoffärtiges Wesen eine Trübung unseres inneren Friedens, und was irgend GOttes Licht zu scheuen hat, Unredlichkeit, Lieblosigkeit, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Lüsternheit irgend einer Art, überhaupt alles irdische, selbstsüchtige Wesen, das Alles verletzt den inneren Menschen und die Herrschaft, die der Geist haben soll, und wo der Geist nicht herrscht, da ist auch kein Friede und keine Heiterkeit. Deswegen gebietet unser Text, „was wir tun mit Worten oder mit Werken, das sollen wir Alles tun im Namen des HErrn JEsu,“ im Dank gegen seine Liebe, im Gehorsam gegen seinen Willen, in seinem Sinn und Geiste, wie Er selbst es täte. Nur wenn unser Leben so ein Leben in GOtt und JEsu ist, nur dann ist eine beständige, ungetrübte Heiterkeit möglich, wie JEsus sagt, „wenn wir seine Gebote halten und in seiner Liebe bleiben, dann werde seine Freude in uns bleiben und unsere Freude und Heiterkeit vollkommen sein.“ Darauf kann uns schon die äußere Erfahrung hinweisen, dass es uns nie wohler ist, als wenn wir tüchtig gearbeitet und etwas geleistet haben. Aber die höchste Freude ruht auf der Arbeit des Geistes, der die Welt überwindet und seine Kraft GOtt heiligt. Das Leben in GOtt gleicht dem heitern blauen Himmel, da der strahlende Sonnenglanz alle Herzen zur Freude stimmt; alles ungöttliche Wesen aber gleicht düstern Wolken, die ihre schwermütigen Schatten weit ausbreiten. Alles Irdische trägt den Keim der Nichtigkeit in sich, denn die Welt vergeht mit aller ihrer Lust, nur wer den Willen GOttes tut, bleibet in Ewigkeit und hat ewige Freude und Lust in GOtt.

Freilich kommen auch da manche Verdunklungen vor, so oft das Fleisch wieder Raum gewinnt; auch der HErr selbst entzieht sich oft den Seelen, um sie fühlen zu lassen, was sie sind ohne Ihn, und durch neue Sehnsucht sie zu sich zu ziehen, und Welt und Eigenleben ihnen zu entleiden. Da gibt es auch bei Gläubigen trübe Zeiten der Dürre, Anfechtungen, Bußkämpfe, sogar ein gewisses von GOtt Verlassensein; aber das Warten der Gerechten wird Freude werden, und dem Gerechten, der JEsu Versöhnungsgnade kennt und hat, dem geht bald und immer herrlicher das Licht auf aus aller Finsternis von dem Gnädigen, Barmherzigen und Gerechten. Oft vertreibt ein einziger Blick auf das Kreuz JEsu alle Wolken, und aus jedem Kampf geht nur um so fester und feuerbeständiger der Gottesfriede, die JEsusfreude und die Geistesheiterkeit hervor. So ist also das, was wir durch JEsum und seinen Geist werden, es ist das Leben aus GOtt, in GOtt und zu GOtt, der Grund und die Quelle einer beständigen Heiterkeit. Nun wollen wir noch

II.

sehen, auf welche Art sich diese Heiterkeit wahrer Christen äußere. Dies sagt uns unser Text mit den Worten: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit; lehret und ermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern und singet dem HErrn in eurem Herzen.“ Da sehen wir eine andere Art von Freudigkeit, als wie sie in der Welt gewöhnlich ist. Der natürliche Mensch hat seine äußerliche Freude in fleischlicher Lustigkeit, in Essen und Trinken, unter leichtsinnigen Gesprächen und lärmenden Gesellschaften, in Spiel und Tanz und andern Lustbarkeiten, in eitlem Gepräng mit Kleidern, in Ehrenbezeugungen der Menschen, oder auch in stillem Genuss, vielleicht im bloßen Anblick des Mammons. Wenn man da die Jubeltöne leichtfertiger Lieder und rauschender Musik, oder das schallende Gelächter und die Lustschreie der Wirtshäuser, Tanzplätze und anderer Gesellschaften hört, so könnte man meinen, die Leute seien recht glücklich, und wenn es so wäre, so würde man's ihnen von Herzen gönnen. Aber noch Alle haben, wenn sie aus dem Freudentaumel erwachten, es bezeugt, dass ihr Herz darunter nur öder und leerer geworden sei, und dass dieses arme Herz nach jeder bloß irdischen Freude unbefriedigt ist, und entweder eine andere, größere verlangt oder einen Ekel an allen zusammen empfindet. Ein französischer Herzog, Ludwig von Orleans, bezeugte vor seinem Tod, er habe alle Herrlichkeit, Größe und Wollust dieser Welt genossen, aber sie hinterlasse allezeit eine große Leerheit im Herzen, und sei immer unendlich geringer, als die Einbildung sie sich vorgestellt habe; nur in der Gottesfurcht finde man eine Glückseligkeit, wovon man sich vorher gar keinen Begriff machen könne. Eine russische Gräfin, die am kaiserlichen Hof alle Herrlichkeit und Lust genossen hatte, bezeugte, wenn sie von den prächtigsten Hofbällen und Festen in ihr Zimmer gekommen sei, so habe sie bittere Tränen vergießen und vor großer, innerer Unruhe viele Stunden der Nacht durchwachen müssen. Wie Viele kommen so auch aus dem Wirtshaus und andern Gesellschaften!

Der berühmte Dichter Goethe schrieb nach einem in lustigem Tanz verlebten Abend: „Mein ganzes Ich war im Tanz versunken; wenn ich aber sagen könnte, ich sei glücklich, so wäre das besser, als alle diese Lust.“ Wie viele Menschen müssten so sagen, wenn sie redlich sein wollten! Eine sehr auffallende Erfahrung ist, dass die Schauspieler, über deren Possen ganze Städte lachen, sehr oft von düsterer Schwermut gepeinigt sind, und innerlich weinen, während ihr Spiel Alles zum Lachen bringt. So bezeugen tausend Erfahrungen, was Salomo über alle Lust und Herrlichkeit der Welt sagte: „Es ist Alles ganz eitel.“

Die Art also, wie der natürliche Mensch sich freut, bringt nur größeres Leid; dagegen die Art, wie die innere Freude und Heiterkeit des wahren Christen sich äußert, erhöht und befestigt die Freude. Wenn unser Text sagt: „Lehret und ermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen,“ so wissen wir, dass das hauptsächlich geschieht in der Kirche oder in den Versammlungen der Gläubigen, da sie in brüderlicher Liebe und Vertraulichkeit beisammen sind und Jeder das Seinige zur Erbauung beiträgt, Einer den Andern lehrt und ermahnt, da Herzenserfahrungen mitgeteilt, Fragen über GOttes Wort vorgelegt und beantwortet werden, da gemeinschaftliche Gebete aufsteigen und liebliche Gesänge das Herz erquicken. Solche Versammlungen sind bald mehr förmliche Erbauungsstunden, bald sind es ungebundenere Gesellschaften, in denen auch mit Freude und Dank irdische Gaben genossen werden, und in heiterer, fröhlicher Unterhaltung die Seelen sich an einander erfreuen, aber mit einer Freude in dem HErrn, so dass auch die Gespräche über äußere Dinge geheiligt sind durch die Furcht GOttes, am liebsten aber lehrreiche Unterredungen geführt werden über Wahrheiten des Wortes GOttes, über Erfahrungen im Christenlauf, über den Gang des Reiches GOttes und die schönen Hoffnungen der Zukunft. Unter solchen Gesprächen der Kinder GOttes genießt das Herz eine Freude, wie sie durch keine irdisch gesinnte Gesellschaft zu Theil wird. Gewiss bezeugen es alle, die von der Gemeinschaft der Heiligen etwas wissen, dass es keine vergnügteren Stunden gibt, als die Gemeinschaftsstunden, in denen ein Geist der Freude über Alle kommt, und etwas von dem geschieht, was die Apostelgeschichte von dem Häuflein der Apostel und anderer ersten Christen erzählt, die, nachdem Petrus und Johannes vom hohen Rath bedroht worden waren, einmütig mit einander beteten, worauf dann die Stätte, da sie versammelt waren, sich bewegte und wurden Alle des heiligen Geistes voll und redeten das Wort GOttes mit Freudigkeit, und war große Gnade bei ihnen Allen, denn die Menge der Gläubigen war Ein Herz und Eine Seele. Auch sagte Keiner von seinen Gütern, dass sie seine wären, sondern es war ihnen Alles gemein.

Auch dieses „Gernegeben“ ist eine besondere Art, worin die innere Freude und Heiterkeit sich äußert, nach dem Wort des Apostels: „Geben ist seliger als nehmen.“ Von den zeitlichen Gutem hergeben, oder geistliche Gaben, Trost, Rath, Lehre und Ermahnung mittheilen, wo man kann, Andern Gefallen tun, ihr Bestes befördern, das sind Freuden, die Niemand sieht, aber die den inneren Frieden vermehren. Darin besonders zeigt sich der Dank, zu dem unser Text uns zweimal ermahnt und in dem sich besonders die wahre Heiterkeit des Geistes zeigt. Wer recht in GOtt vergnügt ist, der kann für Alles danken, was ihm GOtt zuschickt; er weiß, dass von GOtt, als dem Vater der Lichter, nur gute und vollkommene Gaben kommen, und dass denen, die Ihn lieben, alle Dinge, auch die bittersten und schwersten, zum Besten dienen müssen. So kann ein in GOtt seliger Geist durch die Kraft seiner göttlichen Freude Alles mit Geduld überwinden und für Alles sogar danken und loben, nach dem Wort: „Wen der HErr lieb hat, den züchtiget Er; Er stäupet aber einen jeglichen Sohn, den Er aufnimmt;“ Kreuz und Noth sind Liebesstricke, Zeichen seiner großen Huld.

Überhaupt zeigt sich die rechte Heiterkeit darin, dass sie unter allen Umständen die Gemütsgegenwart behauptet, die Oetinger als eine der Säulen der Weisheit empfiehlt, woran auch das biblische Wort erinnert, dass die Freude an dem HErrn unsere Stärke sei. Ruhige Besonnenheit, weise Mäßigung in allen Dingen, ein sicherer, stiller Gang, der von schnellen Aufwallungen, heftigen Affekten, unmäßiger Freude oder Traurigkeit, Zorn und Begierde frei bleibt, ein kluges Ansichhalten, das auf Nichts hineinfällt und Nichts zu schnell wegwirft, Vermeidung ungeschickter Reden, zu starker Ausdrücke und Aufregungen, überhaupt eine Ruhe des Gemütes, die sich nicht leicht außer Fassung bringen lässt, und so in Versuchungen und in Anläufen des Feindes fest bleibt, das Alles sind Früchte der wahren Heiterkeit des Geistes, die in ihrer Freude an JEsu wirklich lernt, Alles, was sie tut mit Worten oder Werken, in dem Namen des HErrn JEsu zu tun.

Dazu gehört unaussprechlich viel; ein so durchaus von JEsu Geist und Willen beherrschtes Leben ist nur einem in seiner Liebe seligen und so ungetrübt heiteren Geiste möglich. Ein solcher Geist findet dann tausend Freuden überall; jedes Lesen in GOttes Wort oder in andern guten Büchern, jede Erhebung im Gebet, ja selbst jeder Blick in die Natur als GOttes Werk, und jeder Genuss irdischer Gaben als der Liebeszeichen des treuen Vaters, das Alles sind Gegenstände der Heiterkeit. Und wer so überall unverdiente Wohltaten GOttes sieht, dem ist es oft so, dass er, wie unser Text sagt, singt im Herzen, oder auch in fröhlichem Liede das herausgibt, wes das Herz voll ist. Auf diese Gesang- und Liedersprache der Heiterkeit hat Luther besonders viel gehalten. Oft bezeugt er, er vertreibe damit den Teufel, wie auch von Saul der böse Geist wich, wenn David die Harfe anstimmte. Schon manchmal ist durch solche Äußerungen der Heiterkeit ein düsteres Kyrie Eleison in ein freudiges Hallelujah verwandelt worden.

Möge das auch bei uns Allen immer mehr der Fall sein! Und wenn zu der beständigen Heiterkeit uns noch viel fehlt, so wollen wir den Muth nicht aufgeben, sondern auch hierin suchen zu wachsen und durch immer tieferes Eindringen in GOtt zu erreichen, was der heilige Geist als ein Geist des Friedens und der Freude Allen geben will, die nur nicht in sich und nicht in der Welt, sondern in GOtt ihre Freude suchen, daher David sagt: „Habe deine Lust an dem HErrn, der wird dir geben, was dein Herz wünschet.“ Die volle Freude wird freilich erst dann uns werden, wenn GOtt in seinem Reich abwischt alle Tränen von unsern Augen und wenn der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen mehr sein wird, weil das Alte vergangen und Alles neu geworden ist. Doch auch heute schon singen wir:

Mein Herz beginnt zu springen Und kann nicht traurig sein,
Ist lauter Freud' und Singen, Sieht lauter Sonnenschein.
Die Sonne, die mir lachet, Ist mein HErr JEsus Christ,
Das, was mich singet machet, Ist, was im Himmel ist. Amen.

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Geheimmittel
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