Kapff, Sixtus Carl von - Am dritten Sonntag des Advents.

Kapff, Sixtus Carl von - Am dritten Sonntag des Advents.

Text: 1 Kor. 4, 1-5.

Dafür halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden. Mir aber ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde, oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt; der HErr ist es aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HErr komme, welcher auch wird an's Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbaren; alsdann wird einem Jeglichen von Gott Lob widerfahren.

Der HErr kommt! ist ein wichtig Wort
Für Christi Untertanen;
Es soll die Seinen immerfort
An seine Zukunft mahnen.
So werden sie in Angst erfreut,
So werden sie vor Sicherheit
Durch ihren HErrn bewahret.

Von diesem Kommen des HErrn haben wir vor acht Tagen gesprochen, und zwar von seiner andern Zukunft oder von seinem zweiten Advent, zum Gericht über den Antichristen und zur Stiftung seines herrlichen Friedensreiches auf Erden. Auf den zweiten Adventssonntag folgt heute der dritte und veranlasst uns, über den dritten Advent des HErrn, auf den unsere Epistel hinweist, nachzudenken. Dass wir einen zweiten und dritten Advent des HErrn unterscheiden, hat vielleicht für Manche etwas Auffallendes, aber es treibt uns dazu eine genauere Betrachtung der Bibelstellen, die von der Zukunft des HErrn handeln. Matth. 24 und 25 hat JEsus selbst als die drei Hauptereignisse der Zukunft folgende unterschieden: 1) die Zerstörung Jerusalems oder das Ende des Judentums; 2) das Kommen Christi in den Wolken zum Gericht über alles Antichristentum, das Ende der beständigen Bekämpfung Christi durch die Welt; 3) das Kommen Christi mit allen Engeln zum allgemeinen Weltgericht, das Ende der Welt.

In der Offenbarung Johannis werden die Zeiten zwischen diesen drei Hauptzeiten näher geschildert, und zwar so, dass zwischen der Zerstörung Jerusalems und dem zweiten Advent Christi die wichtigsten Ereignisse der 1800 Jahre, die jetzt verflossen sind, angedeutet werden, zwischen das zweite und dritte Kommen Christi aber das herrliche Friedenskönigreich gestellt wird, in welchem der Satan gebunden ist und die Heiligen mit Christo als dem einzigen König der Erde leben und regieren werden tausend Jahre, nach deren Verfluss dann erst der dritte Advent Christi zum allgemeinen Weltgericht erfolgen wird. Diese Unterscheidung ist so schriftmäßig, dass alle einsichtsvolleren Schriftforscher, die sich mit den zukünftigen Dingen beschäftigten, sie als Grundanschauung festhalten. Die Apostel nahmen in ihren Ermahnungen gewöhnlich Beides zusammen in dem Ruf: der HErr ist nahe, das Ende kommt, die letzte Zeit ist da. Und allerdings ist schon die andere Zukunft Christi ernstlich genug, um uns, wie wir letzten Sonntag sahen, zu festem Glauben und heiliger Liebe zu treiben! Aber doch liegen wieder ganz besondere Gedanken und Antriebe in der Lehre vom dritten Advent Christi zum allgemeinen Weltgericht, wo Er nach unserem Texte auch die geheimsten Gedanken an's Licht bringen und Alles richten wird. Darüber wollen wir jetzt weiter nachdenken, indem wir unter dem Segen des HErrn nach unserem Texte betrachten,

Was der dritte Advent Christi uns predige:

  1. seid getreu bis in den Tod und wandelt im Licht,
  2. richtet nicht vor der Zeit und achtet nicht das Ansehen der Menschen.

Hilf, Gott, dass ich in Zeiten
Auf meinen letzten Tag
Mit Buße mich bereiten
Und täglich sterben mag.
Im Tod und vor Gerichte
Steh' mir, o JEsu, bei,
Dass ich im Himmelslichte
Zu wohnen würdig sei. Amen.

I.

Im Anfang unserer Epistel sagt Paulus, das, worauf es in jeder menschlichen Rechenschaft und im göttlichen Gericht vor Allem ankomme, sei Treue. „Nun sucht man nichts mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden.“ Haushalter über Gottes Geheimnisse und Christi Diener, wie er sich nennt, sind allerdings zunächst die Lehrer, aber auch alle Gläubigen, deren höchster Beruf der ist, dass sie Christo dienen in allem ihrem Wandel, und deren höchste Ehre die ist, dass ihnen die Geheimnisse Gottes anvertraut sind, die tiefen Wahrheiten unseres allerheiligsten Glaubens und alle Rechte Gottes, der ewige Liebesvorsatz Gottes mit Welt und Menschheit in Christo JEsu, und Alles, was zu dem großen Werk der Beseligung der Menschheit gehört. Das Alles haben Gläubige für sich, aber auch zur Mittheilung an Andere empfangen, und es kommt nun darauf an, wie wir damit haushalten, wie wir die Gnadenmittel, das Wort Gottes, die heiligen Sakramente, das Gebet, die Gemeinschaft der Heiligen benützen, im Glauben lebendig, in der Liebe hingebend, in der Hoffnung unbeweglich sind, kurz, wie wir den Heilsweg auf eine für uns und für Andere förderliche Weise wandeln. Darnach wird im Gericht gefragt.

Paulus spricht in unserer Epistel zunächst von einem menschlichen Gericht, dergleichen die Korinther eines über ihn ausübten, aber über das blickt er hinweg als über etwas Unbedeutendes in Vergleichung mit dem Gericht des HErrn, auf das es allein ankomme. Bei diesem Gericht wird der Weltrichter Christus, dem der Vater alles Gericht übergeben hat, den innersten Rath der Herzen nach unserem Texte offenbaren. Seine feuerflammenden Augen blicken hinab bis auf den tiefsten Herzensgrund, und so majestätisch wird sein Gericht sein, dass, wenn er erscheinen wird auf dem großen, weißen Thron seiner Herrlichkeit, da wird vor seinem Angesicht die Erde und der Himmel fliehen und wird ihnen keine Stätte erfunden (Offenb. 20, 11.), und wenn dann alle Völker, die Lebendigen und die Toten, die Großen und die Kleinen, vor seinem Richterstuhl offenbar werden, und wenn die Bücher aufgetan werden und sie werden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken, da wird ein Jeglicher empfangen, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse (2 Kor. 5, 10.). Da wird der HErr nach Matth. 25 nicht bloß nach dem Glauben, sondern auch nach den Früchten des Glaubens fragen, ob wir Hungrige gespeist, Nackte bekleidet, Kranke erquickt haben, er wird fragen, ob wir nicht gelebt haben wie der ungerechte Haushalter, oder wie der reiche Mann, oder wie der Knecht, der seinen Zentner vergrub in die Erde, oder wie der, der sagt: mein HErr kommt noch lange nicht, und fängt an zu schlagen seine Mitknechte, isst und trinket mit den Trunkenen, oder wie der, dem der HErr seine unermessliche Schuld erlassen, und der seinen Mitknecht um der geringsten Schuld willen würgte und in's Gefängnis warf, oder wie der, der ohne hochzeitliches Kleid sich eingedrungen hat unter die Gäste des Hochzeitmahles. Von solchen Allen lesen wir, dass der HErr sie in die äußerste Finsternis hinauswerfen ließ, wo sie heulen und zähnklappen, oder gar in das ewige Feuer, da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht.

Dieses schreckliche Gericht gebietet uns, im Geringsten treu zu sein und der künftigen Rechenschaft so zu gedenken, wie ein Haushalter oder Verwalter stets gerüstet sein soll, Rechnung zu tun von seinem Haushalt. Wie da alle Posten der Rechnung durchgegangen und Einnahmen und Ausgaben genau mit einander verglichen werden, so wird der HErr von dem, der viel empfangen hat, auch viel fordern. Dem Knecht, der mit seinem Pfund zehn Pfund erworben, dem wird Er Macht geben über zehn Städte, dem, der mit seinem Pfund fünf Pfund erworben, dem wird Er Macht geben über fünf Städte. Von dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, das er hat. Das treibt uns zu fleißigem Eifer, dem HErrn wohlzugefallen, rechtschaffene Früchte der Buße zu tun und dem Gebot des Apostels zu folgen (1 Petr. 1, 16.): „Nach dem, der euch berufen hat und heilig ist, seid auch ihr heilig in allem eurem Wandel, und führet euren Wandel, so lange ihr hier wallet, mit Furcht, als die vom eitlen Wandel des alten Wesens erlöst sind mit dem teuren Blute Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“

Diese Erlösung dürfen wir nie so uns zueignen, als ob wir es ihretwegen mit der Sünde leicht nehmen dürften und denken, weil wir im Glauben an JEsu Verdienst stehen, so können wir dem Gericht ruhig entgegengehen, auch wenn wir es mit dem Bekämpfen des Fleisches nicht so genau nehmen, Gott nehme es bei den Gläubigen auch nicht so genau. Wer so die Gnade Gottes auf Mutwillen zieht, der bedenke den tiefen Ernst, mit dem Paulus in unserem Texte sagt: „ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt.“ Wer von uns Allen kann sagen: ich bin mir nichts bewusst! Aber wenn es auch Eines sagen könnte, so wäre es damit doch noch nicht gerechtfertigt, denn es kommt rein auf das Urteil des HErrn an, und vor Ihm muss auch ein David beten (Ps. 19, 13.): „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Fehler.“ Christi Gnade deckt freilich die Sünden eines ganzen Menschenlebens zu und schenkt uns vollkommene Rechtfertigung, aber doch nur den Seelen, die an der Sünde keine Lust mehr haben und die Gottes Rechte vollkommen anerkennen.

Die ganze Heilsanstalt Gottes in Christo bezweckt ja nur unsere Zurückführung zu dem verlorenen Ebenbild Gottes, zur Heiligkeit und Seligkeit in Ihm. Durch jede Sünde wird der Lauf zu diesem erhabenen Ziele aufgehalten, auch bei Gläubigen. Nach jeder Sünde ist daher neue Buße nötig. Aber Alle, die dem Fleisch wieder bleibende Herrschaft über den Geist einräumen, die fallen aus der Gnade und verlieren ihr Erbe. Durch den Glauben und schon durch die Taufe sind wir mit Christo begraben in den Tod, auf dass, gleichwie Christus ist auferwecket von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln (Röm. 6, 4.). Je mehr das bei uns der Fall ist, desto mehr gilt uns das Wort: „Wer mein Wort höret (darnach lebt), der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5, 24.). Die wahren Glieder des Leibes JEsu empfangen ihr Urteil gleich nach dem Tode und kommen beim Weltgericht gar nicht in das Gericht, sondern werden als Heilige die Welt, sogar die Engel, mit Christo richten (1 Kor. 6, 2.3.), gleichsam als Gerichtsbeisitzer. Aber wer unter diese auserwählte Zahl gehöre, wird erst die Ewigkeit enthüllen. Paulus gehörte sicher dazu, und doch sagt er in unserem Text: der HErr ist's, der mich richtet. Deswegen gebietet er auch den Philippern (2, 12.): schaffet, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern. Und Johannes findet (l. Joh. 2, 28.) bei Christen, die vom Geist in alle Wahrheit geleitet waren, doch noch die Warnung nötig: bleibet bei Ihm, d. h. lasst euch doch durch nichts von Ihm abwendig machen, auf dass, wenn Er geoffenbart wird, dass wir Freudigkeit haben und nicht zu Schanden werden vor Ihm in seiner Zukunft. Und JEsus selbst sagt Matth. 24, 12.: Die Liebe werde in Vielen erkalten, aber nur wer bis an's Ende beharre, der werde selig. Daher sagt Er Offenb. 2, 4. zu dem Gemeinengel in Ephesus: „Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlassest. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke. Wo nicht, so werde Ich deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte.“ Dem von Smyrna aber, gegen den Er gar nichts zu klagen hat, gibt Er doch die Ermahnung: sei getreu bis in den Tod, so will Ich dir die Krone des Lebens geben.

Zu solcher Treue bis in den Tod gehört ein Überwinden alles dessen, was Welt und Fleisch und Satan in uns erhebt gegen Christum, ein Kreuzigen unseres Fleisches samt seinen Lüsten und Begierden, und ein himmlischer Sinn, dem JEsus mehr ist, als die ganze Welt, und seine Liebe höher, als aller Menschen und aller Kreaturen Liebe. Das ist der Wandel im Licht, den Paulus Eph. 5, 9. gebietet, und ohne den wir auf den Tag des Gerichtes nur Furcht und Schrecken haben können. Im Gericht wird der HErr nach unserem Text „an's Licht bringen, was im Finstern verborgen ist.“ Welch' entsetzliche Schmach muss es sein, vor dem ganzen Geisterreiche bloß und enthüllt dastehen zu müssen, so dass alle geheimen Sünden, bösen und unreinen Gedanken, Unredlichkeiten, Lügen und Verstellungen offenbar sind vor Aller Augen. Ach, schon diese Enthüllung wäre Hölle genug. O wie ernstlich sollten wir Alle uns bestreben, dass der HErr nichts im Finstern Verborgenes bei uns finde, dass Er heute schon in alle unsere Gänge und Arbeiten und in das Innerste unserer Haus- und Herzenskammern hereinsehen dürfe, ohne dass wir erzittern müssen. Es kann eine Seele durch den Glauben an JEsum gerecht und selig werden, aber wenn sie noch allerlei Werke des Fleisches im Verborgenen bei sich beherbergt, und in der Treue und im Wandel des Lichts es bedeutend fehlen lässt, so kann sie zwischen dem Tod und Gericht noch lange, lange Zeit beleidigt werden von dem andern Tod (Offenb. 2, 11.) und kann Schaden leiden, durch den ihre Seligkeit in alle Ewigkeit zurückbleibt hinter dem, was sie hätte werden können. Eine Krone auf ewig zu verlieren, ist auch ein Gericht, wenn gleich kein höllisches. Wandeln wir aber ernstlich im Licht und in der Liebe, so dürfen wir über die vielen, uns doch immer noch anklebenden Befleckungen der großen Wahrheit uns getrösten, dass Christi Blut uns rein macht von aller Sünde. Und das gibt Freudigkeit auf den Tag des Gerichtes. Können wir so dem göttlichen Gericht ruhig entgegengehen, so werden wir auch durch das menschliche Gericht keinen Schaden leiden, weder selbst auf eine für uns verderbliche Weise richten, noch durch das Gericht Anderer uns zu viel bestimmen lassen, Beides im Blick auf das Gericht des HErrn, um dessen willen Paulus in unserem Texte gebietet:

II.

Richtet nicht vor der Zeit und achtet nicht das Ansehen der Menschen. Dieser Punkt könnte in Vergleichung mit dem ersten als sehr unbedeutend erscheinen, aber schon daraus, dass der Apostel um seinetwillen so ernstlich auf das Gericht hinweist, sehen wir, wie viel daran liegt, dass wir vom menschlichen Richten die rechte Ansicht haben, sowohl von unserem Gericht über Andere, als von dem Gericht Anderer über uns. Wie viele Seelen haben schon ihr geistliches Leben verloren, weil sie durch das Urteil der Leute sich zu viel einschüchtern und zu viel leiten ließen, oder weil sie zu viel über Andere richteten. Bei den Korinthern ging das Richten über Paulum Hand in Hand mit ihrem immer tieferen geistlichen Verfall. Deswegen ruft er ihnen in unserem Texte so ernstlich zu: richtet nicht vor der Zeit, bis der HErr komme, auf dessen Urteil es allein ankommt. Nur Er kann den Rath der Herzen offenbaren; wir sehen Niemand in's Herz, und sollten daher da, wo nicht offenbare Tatsachen sprechen, unser Urteil über Andere zurückhalten, weil JEsus gebietet: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welcherlei Maaß ihr messet, wird euch gemessen werden.“ So ernstlich weist uns JEsus auf das Gericht hin, um dessen willen wir uns des Richtens enthalten sollen. Ein innerliches Gericht zeigt sich oft schon darin, dass die, welche so schnell über Andere aburteilen, vielleicht bald selbst die nämlichen Fehler an sich zeigen müssen, worüber sie Andere richten, so dass ihnen das Wort gilt: „Worinnen du einen Andern richtest, verdammest du dich selbst.“ Und im Gericht des HErrn wird es dann vielen Seelen gehen, wie dem Haman, der einen Galgen für Mardochai errichten ließ, an dem er selbst gehenkt wurde, während Mardochai zu den höchsten Ehren, die Haman sich zugedacht hatte, erhoben wurde.

O Geliebte, hierin muss es auch bei uns noch ganz anders werden. Es ist viel zu viel Richten unter uns, viel zu viel Neigung, Andere zu verkleinern und in Schatten zu stellen, um dadurch unser eigen Ich mehr in's Licht zu setzen und zu erheben. Wir sollten viel mehr uns in Andere hineindenken, Alles zum Besten kehren, gute Absichten, nicht schlechte, voraussetzen, so lange es möglich ist; sollten vielmehr an einander tragen, mehr mit Liebe zudecken, oder wo es gilt zu strafen, es in aufrichtiger Offenheit und mit Liebe in's Angesicht tun, statt hinter dem Rücken. Gewiss, wir können den Schaden nicht ermessen, den bei Vielen von uns das geistliche Leben durch voreiliges, liebloses Richten erleidet. Der Gedanke an das Gericht des HErrn sollte in hundert Fallen uns bewegen, das Gericht Dem heimzustellen, der da recht richtet. Wenn aus seinem Munde einem Jeglichen, der des Lobes weich ist, Lob widerfahren wird nach unserem Texte, dann werden wir uns wundern, wie hoch Mancher vom Ihm gestellt wird, den wir hier geringgeschätzt, vielleicht viel gerichtet haben, und dagegen wie Mancher, der in unsern Augen eine hohe Stufe des geistlichen Lebens einnahm, von dem HErrn nieder gestellt oder gar verworfen wird. Dieser Gedanke, dem ihr eure Zustimmung nicht versagen könnet, sollte uns doch recht vorsichtig im Urteil machen, recht langsam zu reden und unermüdlich in der Liebe. Solcher schonenden und verzeihenden Liebe gilt dann das Wort: die Barmherzigkeit rühmet sich wider das Gericht (Jak. 2, 13.).

Stellen wir so Alles Dem heim, der da recht richtet, so werden wir auch das andere Gebot unseres Textes über das menschliche Gericht befolgen können, nämlich: achtet nicht das Ansehen der Menschen. Die Pharisäer mussten das als eine große Tugend JEsu rühmen, und Paulus wurde besonders durch diese Eigenschaft so groß und so reich gesegnet. Er sagt in unserem Text: „Mir ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage.“ Die Korinther richteten Vieles an ihm, den Einen war er zu stark, den Andern zu schwach, den Einen seine Rede zu gewaltig, den Andern zu nieder und ungeschmückt, die Einen stießen sich an seiner äußerlich geringen Erscheinung, Armut und vielen Trübsal, Andere hatten Gedanken, er suche eigenen Nutzen oder Ehre. Wie er, so haben alle Kinder Gottes in allen Zeiten es erfahren, dass man es nie allen Leuten recht machen kann. Entgegengesetzte, in sich ganz widersprechende Beschuldigungen werden oft zu gleicher Zeit über die gleichen Menschen ausgesprochen. Auch der Frommste und Redlichste bleibt nicht frei von üblen Nachreden, Verdächtigungen seiner Absichten und Missverständnissen.

Wie sollen wir uns nun gegen solche Urteile verhalten? Wir können uns darum bekümmern, sofern ein guter Name viel wert ist und an einem Christen Christo selbst zur Ehre gereicht; ferner, sofern wir aus allem Tadel mehr lernen, als aus dem Lob, und durch Menschen uns Fehler aufgedeckt werden können, die wir selbst nicht an uns sehen; überhaupt ist Alles, was uns demütigt, uns heilsam. Aber so weit dürfen wir um Urteile Anderer uns nicht bekümmern, dass wir ihretwegen irgend etwas aufgäben, was Gott von uns verlangt, oder irgend etwas täten, was Gott nicht gefällt. Gegenüber von der Welt, die über christlichen Ernst spottet, dürfen wir alles Menschengerede durchaus nicht anschlagen, um nicht durch Menschenfurcht in's Verläugnen der Wahrheit getrieben zu werden. Da muss Christi Schmach uns lieber sein, als aller Menschen Ehre, und wer da nicht den Muth hat, sich spotten und auslachen zu lassen, aus dem wird nie Etwas.

In feineren Verhältnissen aber - auch mit Gleichgesinnten - dürfen wir Menschenurteil gleichfalls nicht zu hoch anschlagen, sondern vor Allem auf das sehen, was der HErr über uns urteilt und wie wir im Licht seines zukünftigen Gerichts vor Ihm stehen. Hat der Geist nichts an uns zu strafen, so darf Menschengericht uns nicht erschrecken, so dürfen wir uns dadurch nicht bestimmen lassen, von der betretenen Bahn abzugehen. Solche Abhängigkeit von Menschen ist uns notwendig. Ohne sie wären wir ein schwankendes Rohr, das von jeglichem Winde umhergedreht wird. Wir müssen wissen, was wir wollen, und dann auch wollen, was wir wissen, was wir vor dem HErrn als recht erkannt haben. Wenn nur das Licht seines großen Tages in alle Beziehungen, Verhältnisse und Wege unseres Lebens hereinleuchtet, dann können wir ruhig sein und dem Ziel, das Er uns vorgesteckt, auch in einzelnen Sachen dem Ziel, das wir uns vorgenommen, ungestört entgegenwandeln. Was Paulus in der Leitung der korinthischen Gemeinde als nötig erkannte, davon konnte keine Einrede ihn abbringen, und was er in seinem ganzen Benehmen, in seiner Lebensart wie in seiner Amtsführung als recht vor dem HErrn ansah, darin blieb er fest und unerschütterlich, die Leute mochten sagen, was sie wollten. Die Leute - ist denn das eine so große Macht? Ein Paar geschwätzige Mäuler, die überall zu tadeln wissen, ein Paar leichtsinnige Mägde, denen Ohrenbläsern eine Freude ist - das ist oft die ganze Macht der Leute, nach deren Urteil so viel gefragt wird. Stehen wir lauter vor Gott als Kinder des Lichts, so darf es auch uns, wie dem Apostel, etwas Geringes sein, ob wir gerichtet werden von menschlichen Zungen. Es kann sich damit auch schnell wieder ändern. Wenn Jemandes Wege dem HErrn Wohlgefallen, so macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden (Sprichw. 16, 7.).

Darum sei unser höchstes Bestreben nur das, dass wir dem HErrn Wohlgefallen. Dann haben wir das menschliche und selbst das göttliche Gericht nicht zu scheuen. Freilich geht es auch so ohne Fehler, Versäumnisse und Übertretungen nicht ab, und selbst unsere besten Werke sind nicht ganz rein vor dem HErrn. Deswegen kann nur der Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts, der durch das Blut JEsu gewaschen ist von aller seiner Sünde, und im Vertrauen auf seine ewig gültige Versöhnung sagen kann: „Nun wir dann sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott durch unsern HErrn JEsum Christum, durch welchen wir auch einen Zugang haben, nicht mehr den schreckensvollen Hintritt zum Richterstuhl, sondern den kindlich frohen Zugang zum Gnadenthron, so dass wir heute schon bei aller Unwürdigkeit doch um JEsu willen uns rühmen können der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll.“ In dieser Glaubenszuversicht sind schon viele Tausende fröhlich in die Ewigkeit hinübergetreten, so sehr dieser ernste Schritt für unsere Natur etwas Grauenvolles hat, in dessen Gefühl wir nicht zu sterben wünschen. Aber frei von allem Grauen des Todes und Grabes und frei von allen Schrecken der Zukunft nach dem Tode sind die Seelen, denen das Wort gilt: „selig sind die Toten, die in dem HErrn sterben, sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ So sind von den Aposteln an viele hundert Märtyrer gestorben und haben die schrecklichsten Qualen nicht gefürchtet, haben Alles in der Welt, Gut und Blut, gern geopfert, ja mit Jauchzen begrüßten Viele die Glut der Flammen, die sie verbrannten, als das Morgenroth des Freudentags der Ewigkeit. So sind auch schon Viele gestorben, die lange von schweren Anfechtungen über ihre Sünden gepeinigt, ja wie von Höllenangst umgetrieben waren. Wenn sie dann JEsu zu Füßen fielen und in herzlicher Buße sein Verdienst ergriffen, so konnten sie alle Angst vor dem Gericht aufgeben und sterben mit einer gewissen Hoffnung des ewigen Lebens.

So ging es z. B. einem jungen Mann, Namens Christoph, der durch ein leichtsinniges Leben seine Gesundheit verderbt und eine tödliche Auszehrung sich zugezogen hatte. Ein für das Heil seiner Seele besorgter Verwandter besuchte ihn und redete mit ihm über seinen inneren Zustand, und stellte ihm die Ewigkeit so ernstlich vor, dass er über sein Sündenleben erschrak. Nach längeren Kämpfen gegen den Hochmuth, der Recht haben wollte, wurde es ihm doch immer deutlicher, dass er vor dem Richterstuhl Gottes nicht erscheinen könne. Oft ergriff ihn eine unaussprechliche Angst, und er glaubte auf ewig verloren zu sein. Als ihm der Trost des Evangeliums verkündigt wurde, konnte er lange nicht glauben, dass auch ihm noch vergeben werden könne. Da las und erklärte ihm sein Geistlicher das dritte Kapitel des Briefs an die Römer, wonach Alle ohne Unterschied Sünder sind und ohne alles eigene Verdienst allein durch JEsu Gnade gerecht und selig werden. Der Geist Gottes machte ihm die Worte lebendig, und er konnte es glauben, dass JEsus auch für ihn gestorben sei und dass seine Gerechtigkeit seine Sünden hinwegnehme. Von da an hatte er vor dem Gericht keine Angst mehr, konnte freudig beten und Lebenskräfte im Gebet anziehen, und sein ganzes Leben wurde ein neues Leben. Jetzt war ihm der Besuch bekehrter Leute, die er vorher nicht geliebt hatte, das Allerliebste, von irdischen Sachen wollte er nichts mehr hören, seine Leiden, über die er vorher sehr ungeduldig gewesen war, trug er mit stiller Geduld und sagte, er hätte ja viel größere Schmerzen verdient. Vor dem Tod hatte er gar kein Grauen mehr und sehnte sich nach baldigem Heimgang, wobei er seiner Sache so gewiss war, dass er öfters sagte: o wie freu' ich mich, bis ich zu Ihm komme. So wurde sein Krankenbett Vielen zu großem Segen, und auch von seinen früheren Kameraden wurden Manche dadurch erweckt, ein neues Leben anzufangen. Am Christfest wurde er von seinen langen Leiden erlöst, und Jedermann hatte den Eindruck, dass sein Tod eine Geburt zum Leben sei. Sein letztes Wort war:

Mein JEsus ist mein Trost allein,
Auf JEsum schlaf ich selig ein.

So entschlafen Seelen, die durch JEsu Versöhnung Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts, dagegen die Unbekehrten ohne Hoffnung und so ohne Trost dahinfahren. So erzählt der Arzt, der den berüchtigten Religionsspötter Voltaire zuletzt behandelte, dass „dieser Mensch, der so oft über Hölle und Gericht gespottet hatte, in seinem 84sten Jahre vor dem nahen Tod, als vor dem furchtbarsten Schrecken, sich entsetzte. Wie im Sturm starb er als ein verzweifelnder Wütender, der sich in Verzückungen an die Erde ankrallt, die er durchaus nicht verlassen will.“ Solch ein Tod ist schon ein Gericht, ja eine Hölle. Aber was wird es erst sein in der Ewigkeit! O liebe Seelen, was ist alle Lust und Herrlichkeit der Erde, wenn sie mit solchem Gericht endet; dagegen was ist alles Leiden und alle Entbehrung und Schmach der Erde, wenn die Krone des ewigen Lebens am Ziele blinkt. Darum:

Nicht nach Welt, nach Himmel nicht
Meine Seele wünscht und sehnet,
JEsum wünscht sie und sein Licht,
Der mich hat mit Gott versöhnet,
Der mich freiet vom Gericht.
Meinen JEsum lass ich nicht. Amen.

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