Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 4. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 4. Betrachtung

Paulus hat der Hoffnung gedacht als des himmlischen Bodens, worauf der Glaube und auch die Liebe der Kolosser gebaut war. Nun aber waren die Kolosser früher Heiden, die Heiden aber haben keine Hoffnung (Eph. 2,13.). Sie liegen in Finsternis und Schatten des Todes, die ganze himmlische Welt ist vor ihren Augen verborgen. Wie waren denn die Kolosser zu jener herrlichen Hoffnung gekommen? Wie wir alle dazu gekommen sind: dadurch, dass der Same des Evangeliums in ihre Herzen gepflanzt war. Deshalb nun erinnert sie der Apostel an die Pflanzung des Evangeliums in der Gemeinde zu Kolossä. Kap. 1,5-8: **Von welcher (Hoffnung) ihr zuvor gehört habt durch das Wort der Wahrheit im Evangelio, das zu euch gekommen ist, wie auch in alle Welt, und ist fruchtbar, wie auch in euch, von dem Tage an, da ihr es gehört habt und erkannt die Gnade Gottes in der Wahrheit, wie ihr denn gelernt habt von Epaphras, unserm lieben Mitdiener, welcher ist ein treuer Diener Christi für euch, der uns eröffnet hat eure Liebe im Geist.

Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Die himmlische Herrlichkeit liegt noch in der Ferne, beides, nach Raum und Zeit. Wo ist der Himmel? Wir suchen ihn über den Sternen und können ihn mit unsern leiblichen Augen nicht finden. Wann erscheint die zukünftige Herrlichkeit? Wir wissen, dass sie erscheinen wird, aber wann? Das wissen wir nicht. Ach, so ist ja unsere teuerste Hoffnung ganz in die Ferne gerückt! Doch nein! Gott hat gesorgt, dass, was ferne ist, uns dennoch nahe sein möchte; er hat uns, schon während wir auf Erden leben, in den Himmel versetzt, und hat, noch ehe wir mit Christo offenbar werden in der Herrlichkeit, uns selig gemacht in der Hoffnung. Darum spricht Paulus: Ihr habt zuvor gehört von der Hoffnung. Wo hat Gott uns denn im Voraus Kunde gegeben von der Zukunft? Im Worte der Wahrheit, im Evangelium. Das Evangelium ist ja die frohe Botschaft von der heilsamen Gnade Gottes, die in Christo Jesu erschienen ist. Derselbe hat die Scheidewand niedergebrochen, die uns von Gott und dem Himmel trennte, daher er auch spricht (Joh. 1.): Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehn.

Ist aber auch die Kunde zuverlässig, die uns im Evangelium gegeben wird? Ja, das Evangelium ist „das Wort der Wahrheit;“ es stammt von Christo, dem treuen und wahrhaftigen Zeugen, welcher spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben;“ es ist ein Licht, das von sich selber zeugt, dass es Licht, Wahrheit und Leben ist. Daher vermag auch nichts dagegen die Irrlehre aller falschen Propheten. Dies Wort sie sollen lassen stahn, und kein'n Dank dazu haben! Dies Wort ist zu euch gekommen, spricht der Apostel. Es ist dies göttliche Zu-uns-Kommen die gnädige Gegenwart und Offenbarung Gottes in unsern Herzen. Wenn uns Gott bekehren will, können wir nicht selber aufstehen und ihm entgegenwandeln, sondern er macht den Anfang zu unserer Bekehrung mit seiner zuvorkommenden Gnade, indem er mit seinem Worte zu uns kommt. „Nicht aber bloß zu uns, sondern zu allen Menschen in alle Welt.“ Der Schall des Evangeliums ist ausgegangen in alle Welt (Röm. 10.). War es nun auch zu Pauli Zeiten noch nicht allenthalben hingekommen, so war es doch auf dem Wege; Paulus sieht im Geiste schon die ganze Welt damit erfüllt. Welch ein Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums! Das Wort von einem Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (1 Kor. 1,23.); dies Wort, im Kampfe stehend mit dem sündlichen Fleisch, von dem es Selbstverleugnung fordert; verkündigt von ungelehrten Leuten, in einer Welt, die im Argen liegt, und unter mancherlei Kreuz, das es mit sich bringt: dennoch dringt dies Wort durch die ganze Welt! Diese Bestimmung und Natur des Evangeliums, dass es ein Schatz, ein Segen sein soll für die ganze Welt, hält Paulus den Irrlehrern vor, zumal den jüdischen, die das Heil bloß auf die Juden beschränken wollten. Was wäre das Evangelium, wenn es bloß für diesen und den, nicht aber für alle Menschen wäre! Was nicht wahr ist für die ganze Welt, das verdient den Namen Wahrheit nicht. -

Welcher Werkzeuge aber bedient sich Gott, um das Evangelium in alle Welt zu bringen? Zu den Kolossern war es durch Epaphras gekommen, und Paulus lobt die Person dieses Mannes und bestätigt seine Lehre, indem er sagt: Wie ihr sie denn gelernt habt von Epaphras, unserm lieben Mitdiener, welcher ist ein treuer Diener Christi für euch, der uns auch eröffnet hat eure Liebe im Geist. Von Epaphras ist schon die Rede gewesen in unserer ersten Betrachtung. Hier nun hören wir ein schönes Lob, das Paulus über ihn ausspricht. Das ist das Geringste, dass Epaphras nach Rom kam, wo er den Apostel besuchte und ihm Kunde gab, wie vom Zustande der Kolosser überhaupt, so insonderheit von ihrer Liebe, die sie gegen alle Heiligen bewiesen. Weit mehr ist dies, dass er ihn seinen geliebten Mitdiener nennt, d. h. seinen Mitgehelfen am Evangelium, weil er mit Paulo das Amt führte, das die Versöhnung predigt. Beide dienten Christo und dienten ihm in einerlei Amt und Werk. Die Liebe des Apostels aber besaß Epaphras, weil er ein treuer Diener Christi war. Hätte er zu den Mietlingen gehört, die über das Volk herrschen wollten, und nicht die Herde, sondern sich selbst weideten, so hätte er ihn nicht seinen lieben Mitdiener genannt. Aber Epaphras war treu; er bewahrte nicht nur die ihm anvertrauten Geheimnisse lauter und rein, sondern war auch unablässig tätig in der Verkündigung des Evangeliums, die er durch einen christlichen frommen Wandel versiegelte. Doch nicht bloß die an dem Epaphras gerühmte Treue sollte den Kolossern Vertrauen geben zu dem von ihm verkündigten Wort, sondern auch dieses, dass der Apostel bezeugt, er sei ein Diener Christi an seiner Statt, er habe gerade so wie er, das Evangelium ihnen verkündigt. Die Apostel waren die ersten und auch die vornehmsten Verkündiger des Evangeliums. Sie galten und wollten auch gelten für Männer, denen der Herr seinen Gnadenschatz anvertraut hatte, dass sie ihn an seiner Statt den Menschen austeilten, wie denn der Herr gesagt hatte: Wer euch hört, der hört mich, und hatte seinen heiligen Geist über sie ausgegossen. Wenn nun sie jemandem das Zeugnis gaben, dass sein Wort das lautere Evangelium sei, so war dies als ein Zeugnis von dem Herrn selbst. Da nun Paulus ein solches Siegel auf die Verkündigung des Epaphras drückte, so musste das die Kolosser in ihrem Vertrauen zu dem von ihnen vernommenen Worte mächtig stärken und zugleich sie bewahren, dass sie den Irrlehrern nicht glaubten, die den Epaphras und wohl gar den Apostel selbst ihnen verdächtig machen wollten. Taten sie es dennoch, so war ihnen das Urteil gesprochen: Ihr verwerft den Epaphras, der an meiner Statt euch das Evangelium verkündigt hat, so verwerft ihr also auch mich, der ich an Christi Statt die Wahrheit verkündige; verwerft ihr aber mich, so verwerft ihr den Herrn selbst, der mich gesandt hat. - Diese Erklärung des Apostels soll nun auch von uns in unserer Zeit beherzigt werden. Treue Diener am Worte sind noch jetzt als Stellvertreter der Apostel, die Apostel aber in dem, das sie verkündigt haben, als Stellvertreter Christi anzusehen. Sie an Pauli Statt, der sie seine lieben Mitdiener nennt; Paulus an Christi Statt - darum, wer sie und die Apostel nicht hören will, der soll wissen, dass er ein Feind der Wahrheit ist.

Das ist nun von der Verkündigung oder Pflanzung des Worts in der Gemeinde gesagt. Aber der Apostel erwähnt nun ferner auch die Wirkung, die das Wort da hervorbringt, wo es gepflanzt wird. „Es ist fruchtbar,“ sagt er, und vergleicht so das Wort Gottes mit einem Samen. Wie der natürliche Same, obgleich von geringem Ansehen, dennoch eine innere Kraft hat, hervorzukeimen und Frucht zu bringen: so auch das Wort Gottes, es werde gelesen oder gehört, hat eine göttliche Kraft in sich, die Herzen der Menschen zu erleuchten, zu bekehren und selig zu machen. Und die Frucht, die es wirkt, lässt es nicht unausgewachsen und unreif stehen, sondern „es bringt sie auch zur Reife“, spricht der Apostel; Denn es wirkt in dem Menschen einen göttlichen Trieb, der ihn nie stille stehen, sondern mit Paulo sagen lässt: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, das vornen ist. Nicht nur äußerlich schafft das Wort Wachstum, wie es heißt (Apg. 6,7.): „Und das Wort nahm zu, und die Zahl der Jünger ward sehr groß;“ sondern auch innerlich erweitert es sich, treibt eine Sünde nach der andern aus, und schafft, dass alle Tugenden des Christentums eine immer bessere Gestalt beim Menschen annehmen.

Man hat über die Kraft, die den Menschen erleuchtet, bekehrt und heiligt, von jeher verschieden geurteilt. Etliche haben sie im Menschen gesucht und gesagt: weil der Geist des Menschen aus Gott komme, so habe er auch in sich alle Mittel der Seligkeit, nur dass dies göttliche Licht im Menschen durch Leib, Sinne und Begierden gehindert werde, frei und ungehindert seine Strahlen auszubreiten. Diese Hindernisse nun schaffe das Wort Gottes hinweg, das für sich selbst ohne Leben sei; aber wenn dies Wort vernommen werde, so wecke es die Kraft, die im Menschen verborgen ruhe, und sei gleichsam der Hauch, der das glimmende Feuer der Seele anfache, dass es nun anfange den Menschen zu erleuchten und zu erwärmen. Das, sagt man, ist der Dienst, den das Wort am Menschen tut, und hat es diesen Dienst getan, dass es das Licht oder den Christus, der von Natur in uns ist, geweckt und lebendig gemacht hat, so ist es dem Menschen zu nichts weiter nütze. Andere suchen jene Kraft weder im Menschen, noch im Worte, sondern sagen, diese Kraft sei der heilige Geist selbst, der jedesmal, wenn das äußerliche Wort vernommen und angenommen werde, mit dem Worte sich verbinde und ihm das Leben und Feuer gebe, das zur Bekehrung oder Heiligung nötig sei. Gegen beide Meinungen, die die Kraft vom Worte trennen, streitet die Schrift, die uns lehret, dass der Geist des Herrn gleich Anfangs einen Teil seiner göttlichen Macht mit dem Worte verbunden habe, und also diese Kraft nicht: anders in dem Worte liege, als die Kraft, Früchte zu bringen, in dem Samen, oder die Kraft gesund zu machen. in der Arznei. Das Wort ist ein Same, wie der Herr selber lehrt in dem Gleichnisse Luk. 8., und die Apostel lehren es auch, wie Paulus in unserm Text und Petrus, 1 Petr. 1,23: „Ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da ewiglich bleibt.“ Demnach liegt im Worte die Kraft verborgen, geistliche Frucht in den Seelen der Menschen hervor- und zur Reife zu bringen. Und welches ist nun diese Frucht? Es ist Glaube, Liebe, Hoffnung, die Paulus zuvor genannt hat Vers 4 und 5. Es ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit (Gal. 5,25.).

In unserm Text wird insbesondere die Liebe im Geiste hervorgehoben, das heißt, die in den Gläubigen gewirkt wird durch den heiligen Geist, also aus einem wiedergebornen Herzen kommt, und daher aufrichtig und rein, wenn auch nicht vollkommen ist. Sie steht entgegen der natürlichen Liebe der Unwiedergeborenen, die, wie ein wilder Apfelbaum, nicht im Garten des Reiches Gottes wächst, sondern in der freien Natur, und daher herbe ist dem, der die bessere Frucht des Geistes kennt. Sie geht meistens nur mit äußerlichen Werken um, und hat nicht die Wurzel der Demut und Gottesliebe. Sie flattert umher in der Welt, und hängt sich häufig an Dinge und Personen, die der Liebe unwert sind, und versagt wiederum da ihr Opfer, wo sie es bringen sollte. Sie ist wetterwendisch, und kann, wenn sie beleidigt wird, sogar in Hass verwandelt werden. Endlich ist sie gehüllt in mancherlei Lüfte und Werke des Fleisches, und trägt nicht wie die Liebe im Geiste das Kleid der Wiedergeburt und Heiligung. - Das Evangelium bringt eine andere bessere Frucht, und die hatte sie auch in den Kolossern gewirkt, daher Paulus sagt: „wie auch in euch.“ Dies schöne Zeugnis mögen die jetzigen Gemeinden als einen Spiegel betrachten, worin sie ihr Angesicht beschauen sollen, oder in die Frage verwandeln: Auch in uns? So lange schon haben wir das Evangelium vernommen, und noch immer will sich die herrliche Frucht nicht zeigen, oder hat doch nicht das Gedeihen und Wachstum, das sie nach der Natur des Evangeliums haben sollte? Wie beschämen uns die Kolosser, bei denen das Wort der Wahrheit Frucht bringend gewesen war von dem Tage an, spricht Paulus, „da ihr vernommen und wahrhaft erkannt habt die Gnade Gottes.“ Dies zeigt teils die Kraft des Wortes an, welches, wo es auf die rechte Weise vernommen wird, sofort anfängt zu wirken, und zu wirken nicht aufhört, gleich dem Samenkorn, das, wenn es auf gutes Land fällt, und ein warmer Regen von Oben es feuchtet, alsbald keimt und einen täglich wachsenden Halm gewinnt; teils zeigt es die Willigkeit der Kolosser an, die, wiewohl das Wort auf gänzliche Verleugnung der Welt, der Eitelkeit und Sünde drang, sich nicht lange mit Fleisch und Blut besprachen, sondern taten, wie es heißt Psalm 95: „Heute, so ihr seine Stimme höret, so verstocket eure Herzen nicht.“ Denn das Evangelium kann nur da gesegnete Früchte bringen, wo es nicht nur vernommen, sondern auch sein Inhalt, nämlich die Gnade Gottes, wahrhaft erkannt, das heißt, nicht scheinbar, wie bei den Irrlehrern und Schwarmgeistern, sondern mit einem Herzen, darin kein Falsch ist, erfasst und lebendig erfahren wird.

So bestätigt nun Paulus in unserm Text die Wahrheit des den Kolossern gepredigten Evangeliums, weil es nicht nur das die ganze Welt erfüllende, sondern auch überall, wo es vernommen und erkannt wird, mächtig wirkende Wort Gottes ist. Lasst uns daraus lernen, welch eine teure Gabe Gottes das Evangelium sei, als das unsere Seelen selig machen kann, und dasselbe höher achten denn viel tausend Stück Goldes und Silbers (Psalm 119.). Aber hören wir es nun auch, wie Lydia es hörte (Apg. 16.), und wie Kornelius (Apg. 10.). Lassen wir den von Natur verwilderten Acker unsers Herzens zubereitet werden durch die Zucht der Gnade, jenen Samen zu empfangen, damit er die Frucht des Geistes bringe und diese. Frucht reise zum ewigen Leben. Der Garten der Kolosser ist wieder verwildert: gebe Gott, dass nicht auch unser Garten verwüstet werde!

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_4_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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