Jellinghaus, Theodor - Kapitel III. Beschreibt Römer 7 den normalen Zustand des gläubigen Christen?

Jellinghaus, Theodor - Kapitel III. Beschreibt Römer 7 den normalen Zustand des gläubigen Christen?

Wenn die Christen zu einem völligerem Leben in Christus auf Grund der Schrift ermuntert werden, so ist einer der Haupteinwände dieser, dass ja auch Paulus nach Röm. 7 bekenne „was ich nicht will, dass tue ich und dass wir deshalb einen stetigen Sieg über das Fleisch auf dieser Erde nicht erwarten können. Darum ist es nötig, dass wir uns darüber klar werden, ob die Bibel uns besonders Röm. 7 ein bleibendes, wenn auch teilweises Gebundensein unter das Fleisch und die Sünde lehrt. Die Auslegung dieses Kapitels, ist eine sehr umstrittene gewesen.

In den ersten 4 Jahrhunderten bis Augustin nahm man allgemein an, dass Paulus hier nicht von bekehrten Christen redete. Auch Augustin war dieser Meinung, bis er später zur Sicht kam, dass Paulus hier von seiner Gegenwart rede und der Zustand der Wiedergeborenen beschreibe. Diese Ansicht wurde auch von fast allen Reformatoren übernommen.

Auch eine Anzahl von Gottesmänner von Amerika und England waren dieser Ansicht unter ihnen waren Boardman, R. P. Smith und Hopkins. Sie sagten: Es kann in Röm. 7 nicht der Zustand eines noch nicht Wiedergeborenen gemeint sein; denn es ist klar, dass viele Gotteskinder, so besonders unsere Reformatoren sich in solchem Zustand befanden. Paulus redet von dem Zustande eines wiedergeborenen Christen, der wieder unter das Gesetz geraten ist und nun in seinem gesetzlichem streben nach Heiligung fühlen muss, dass er noch immer das Fleisch an sich hat und das Fleisch wohl hassen, aber nicht besiegen kann. Aus diesem Zustande ist Jesus Christus durch seine Todes- und Auferstehungskraft der Erlöser der Seele, wenn sie ihm und seiner Gnadenmacht völlig vertraut und sich dem Gehorsam hingibt, wie dies Kapitel 6 und 8 und die ganze Bibel bezeugt.

Wäre Röm. 7,7-23 der Zustand der Zustand aller Gläubigen, über den sie in diesem Leben nicht hinaus könnten, dann müsste man den Ungläubigen aus den Juden, Muslime, Heiden und Namenschristen zugestehen, dass in innerer Heiligung es der Christ auch nicht viel weiter bringe, als der Nichtchrist. Wäre dieser Zustand des Fleischlichseins und des Verkauftseins unter die Sünde unüberwindlich, so wäre für das eben bekehrte Gotteskind kein wirklicher Fortschritt in der Heiligung möglich, so wäre ein Verklärtwerden in Christi Bild und ein Näherkommen an die im Neuen Testament so klar verlangte Vollkommenheit für den Gläubigen auf dieser Erde eine Unmöglichkeit, so wäre es das Beste, man stürbe am Tage der Bekehrung.

Dann liesse sich auch in keiner Weise angeben, in wiefern auch die wahren Christen durch den Heiligen Geist grössere Heiligungskräfte erlangen als die Frommen des alten Bundes, ja man wäre versucht anzunehmen, dass die alttestamentlichen Frommen eher weiter gewesen seien. Denn die Beter und Zeugen des alten Bundes bekennen immerdar, dass der gnädige Bundesgott, ihre Stärke und Zuversicht ist, dass sie in seinen Geboten mit Glück wandeln, dass sie im Herrn Gerechtigkeit und Stärke haben.

Diese Auslegung, als wäre in Röm.7 der bleibende Zustand der wahren Christen beschrieben, ist aber auch eine höchst gefährliche und irreführende für das geistliche Leben und den Wandel in der Heiligung. Es ist zwar wahr, dass sehr oft die treusten, nach der Heiligung am eifrigsten strebenden, Jesus innig liebenden Christen zu dieser Auffassung gekommen sind, sodass sie aus ihrer Erfahrung heraus sagten: Dies ist unsere innere Erfahrung und wird die Erfahrung jedes Christen sein, der sich ohne Heuchelei in das helle Licht des geistlichen Gesetzes Gottes stellt.

Weil sie, nachdem sie Gnade und Vergebung in Christus erlangt hatten, ernstlich nach der inneren Heiligung strebten, so erkannten sie andererseits und wie sie das Gesetz wohl äusserlich, aber nicht in seiner Geistlichkeit erfüllen konnten. Dabei kämpfen solche Leute ritterlich bis aufs Blut gegen die Sünde und würden sich eher den Kopf abschlagen lassen, als mit Wissen uns Willen eine Sünde tun. Solche Christen meinen und meinten, dass sie nicht wirklich stetig über das Fleisch siegen können; aber sie setzen alles daran, dass sie im Kampfe bleiben und da sie sterbend siegen. Sie trösten sich damit, dass der Feind nicht eher gesiegt hat, als bis das Heer den Widerstand aufgegeben und sich unterworfen hat und sie haben das Zutrauen, dass der Herr Jesus seine oft unterliegenden, aber treu weiter kämpfenden Christen einst doch als treu anerkennen werde. Oft sind sie auch der Meinung, dass dieses Beklagen des täglichen Unterliegens die rechte, tägliche Reue und Busse sei, durch die man geheiligt werde, obwohl sie oft mit Schrecken sehen, dass trotz bitterster, täglicher Reue und Busse der alte Mensch nicht schwächer sondern stärker wird.

Viele unserer Gottesmänner und Helden im Glauben haben nach ihren Selbsterkenntnissen fast ihr Leben lang so gekämpft. Gewiss sieht Gott auch mit wohlwollender Liebe und Erbarmen auf solche Kämpfer, die nach ihrer besten Einsicht treu bis aufs Blut gegen Teufel und Sünde gegen sein Reich streiten.

Mit Recht nennt R. P. Smith diese Erfahrung eines Gotteskindes, dass es immer wieder sich in eine innere Sünde verkauft findet unter das Fleisch und immer wieder den geliebten Heiland betrübt und nicht aus dieser Knechtschaft in die Freiheit der Kinder Gottes durchdringen kann, des Lebens grösster Schmerz.

Es sind gewiss die bittersten Tränen und die verzweifeltsten Stunden, wenn man als Christ im Staube liegt, zum hundertsten Mal überwunden von einer inneren oder äusseren Sünde, der man in Reue abgesagt hat und mit dem Bewusstsein, dass, obwohl man nach seinem innerem Menschen die Sünde hasst, man doch offenbar noch Lust und Liebe zu dieser oder jener Lieblingssünde hat und innerlich von ihr verunreinigt, nicht reines Herzens ist und darum auch so leicht überwunden wird.

Die Aussage: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes?“ klingt als einer der bittersten Klagerufe aus den Lebenserfahrungen so vieler Christen.

Dennoch bleibt es dabei, dass Röm. 7 den normalen Zustand des Wiedergeborenen beschreibe, weil scheinbar das Fleisch und die Sünde nie ganz besiegt werden können und auch der beste Christ bekennen müsse, ich bin fleischlich unter die Sünde verkauft, auf fleischliche Christen höchst verderblich und im Sündenleben einschläfernd wirken kann und erfahrungsgemäss gewirkt hat. Es haben viele Seelen gesagt: Da Gott bis in den Tod die Sündenmacht in den Gläubigen wohnen lässt, so können wir nicht dafür verantwortlich sein, sondern man muss sich damit beruhigen, dass man das Böse nicht tue, sondern die in mir wohnende Sünde (7,17+20). Sie meinen, sie dürfen für die Gotteskindschaft zueignen, obwohl sie in bestimmten Sünden leben; denn durch den Glauben an Christus sei ihre Schuld getilgt und würden ihnen die Sünden, nicht angerechnet.

So leben sie in Sünden des Geizes, der Unversöhnlichkeit, der verleumderischen, harten Urteile der Eitelkeit, der unreinen Begierden, des häufigen Unterlassens der privaten und öffentlichen Erbauung (stille Zeit und Hauskreisbesuch), dem Zurückhaltens der Weitergabe des Evangeliums und meinem wohl, obwohl sie gar nicht aus allen ihren Sünden ganz heraus wollen, sie ständen durch Christus bei Gott in Gnaden.

II. Die Stelle Röm. 7,7-25 kann aber auch nicht den Zustand eines unwiedergeborenen Menschen beschreiben, der nach dem Gesetz des Gewissen oder dem geschriebenen Gesetze sich heiligen will. Dagegen spricht schon, dass hier nach dem Zusammenhang des Römerbriefes gar nicht von der Bekehrung, Wiedergeburt und Rechtfertigung die Rede ist; Paulus hat ja diese Lehre in Röm. Kapitel 3-4 schon klar gelegt und hier handelt er von der Wirksamkeit des Gesetzes bei der Heiligung. Dann fragt es sich: wann sollte der unbegnadigte Paulus diesen Zustand unter dem Gesetze durchgemacht haben?

Er sagt V. 9 „Ich lebte einst ohne Gesetz; da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig.“ Das kann Paulus nicht von seinem Zustand vor der Reise nach Damaskus sagen, da er von Jugend auf nach dem Gesetz erzogen und nach dem Eifer im Gesetz untadelig gewesen war. Hätte Paulus diesen Zustand des Jammers unter des Gesetzes Herrschaft und des Hilfeschreiens nach einem Erlöser von Sündenmacht schon vor der Reise nach Damaskus durchgemacht, so wäre solch ein Eifer für das Gesetz und solch ein Hass gegen die Christen, die Christus als den Retter von der Sünde und von des Gesetzes Fluch priesen, nicht zu erklären. Paulus kam aber hier noch weniger die inneren Vorgänge beschreiben, die er durchgemacht hat, als er nach der Erscheinung Jesu vor Damaskus, in Blindheit sitzend, bis zur Taufe nichts ass und trank. Da kann er nicht erfahren haben „Die Sünde nahm Ursache an dem Gebot und betrog mich und erregte in mir allerlei Lust.“

Nach allem ,was uns die Bibel und die Erfahrung von dem Zustand des Unbekehrten sagt. ist es unmöglich, dass ein unbekehrter Mensch einen so tiefen Einblick in die Verderbtheit seiner angeborenen Natur haben und zugleich die Wahrheit sagen könne „Ich habe Lust an dem Gesetz Gottes.“ Der unbekehrte Mensch, dem das Gesetz Gottes in seiner Geistlichkeit offenbar wird, hat gewiss keine Lust mehr daran. Einem unbekehrten Menschen wird die Bibel es nicht in den Mund legen, dass er in irgend einer Weise Recht und Grund habe zu sagen: „So tue ich nun nicht mehr das Böse, sondern die in mir wohnende Sünde;“ denn vom unbekehrten Menschen, sagt die Bibel, dass er, „tot in den Übertretungen und Sünden ein Kind des Zorns, tut den Willen des Fleisches und der Gedanken als ein Knecht der Sünden,“ sei des der gröberen oder den feineren.

Wen Heiden gesagt haben „Ich billige das Gute; aber ich tue noch das Schlechte“, so zeigt dies wohl, dass auch in dem Heiden das Gewissen und die Vernunft mancher Sünde ankämpft; aber darum bleibt es doch durchaus unmöglich, dass der unbegnadete Mensch Lust habe an dem Heiligen Gesetz Gottes, an dem Gesetze, dass ihm gebietet, Gott stets zu gehorchen und die liebste Lust zu hassen, wenn sie mit Gottes Willen streitet und das von ihm Demut, Selbstlosigkeit, Herzensreinheit, Feindesliebe und himmlische Gesinnung verlangt, müssen doch die meisten Gotteskinder, so lange sie noch nicht völliger in die Kraft Christi zur Heiligung eingedrungen sind, zu Zeiten noch klagen, dass sie in sich Abneigung gegen manche heiligen Gesetze Gottes fühlen.

Dies ist allerdings wahr und auch Vers 5 lehrt, dass Unwiedergeborene noch im Fleisch, d.h. im alten Selbst lebende Menschen durch das Gesetz zu Sünden erregt werden und das überall das Gesetz eine Macht hat, die Lust zur Sünde wachzurufen. Sehr strenge, drohende Gesetze schrecken nicht bloss ab, sondern reizen auch zu Sünden. Das fühlt auch der Unbekehrte. Darum ist auch die in Röm. 7 beschriebene Erfahrung eines unter das Gesetz geratenen Gotteskindes sehr ähnlich den Erfahrungen, welche edlere Unbekehrte mit ihren gesetzlichen Verbesserungsbestrebungen machen. So fasst auch O. Stockmayer die Sache in seinem Büchlein „Gnade und Sünde“. Doch bleibt zwischen diesen Erfahrungen der Bekehrten einerseits und der Unbekehrten andererseits ein grosser Unterschied, so dass man gewiss nicht sagen kann, dass ein unerleuchteter Mensch Röm. 7 im vollen Sinne erfahren könne.

Gewiss haben viele Christen, ehe sie zum vollen Frieden der Sündenvergebung und der Gotteskindschaft gelangten, Monate und Jahre in diesem inneren Zustand des geistlichen Wollens, aber des schmerzlichen Gebundenseins zu gebracht. Aber man findet auch meistens bei solchen Seelen, dass sie schon durch das Wort von Christi Kreuz erweckt waren und schon etwas von Glauben an Christi Gnade und von Hoffnung des ewigen Lebens und von Liebe zu Christo erlangt hatten, wenn sie auch die freie, völlige Gnade und den Sieg in Christus sich noch nicht an zu eigenen wagten. Sie standen als durch die Gnade erweckte und an Christus schon im herzlichem Gebet hangenden Seelen schon in der Liebe zum Worte Gottes und zu den Gliedern Christi. Aber die irrige Meinung, dass sie erst eine innere Reinigung nach dem Gesetz sich in einer längeren Busszeit erringen und erbitten müssten, ehe sie wagen dürften, sich die Gnade völlig anzueignen, hielt sie in der Ungewissheit.

Ein besonders lehrreiches Beispiel ist John Wesley. Er war von frühster Jugend auf fromm und treu im Glauben an Christus, ja man möchte sagen, ein Heiliger in seinem Wandel. Aber die völlige Freiheit von des Gesetzes Fluch und die Rechtfertigung und Wiedergeburt in Christus und die Kraft der Gnade Christi über den alten Menschen konnte er sich noch nicht aneignen. Er fand sie durch die Vorrede Luthers zum Römerbrief und er nennt nun diese Stunde, in der er sich ganz und für immer seine Rechtfertigung gewiss wurde und zugleich eine neue Lebenskraft in Christus fand. Den Zeitpunkt seiner Rechtfertigung und Wiedergeburt. Weil er nun wohl irrtümlich meinte, dass dies erst von diesem Zeitpunkt seines Lebens datierte, erklärt er Röm. 7 aus seiner Erfahrung heraus für den Zustand des vom Gesetz erweckten, aber noch nicht durch die Gnade eines wiedergeborenen Sünders.

Damit hängt es dann weiter zusammen, dass Wesley die Rechtfertigung so eng mit der Heiligung verbindet, dass er bei den Gerechtfertigten und Wiedergeborenen nicht nur ein neues Herz und Hass wider jede Sünde, sondern auch die Siegeskraft über jede äussere und innere Sünde erlangt.

Wer meint Röm. 7, spricht von Unwiedergeborenen, der muss eine ziemlich hohe Stufe in der Heiligung als notwendiges Zeichen der Gotteskindschaft und der Wiedergeburt festsetzen. Dies tat und tut vielfach auch der Pietismus, (Leider existiert dieses Denken auch heute noch in den freikirchlichen Kreisen, welches verantwortlich dafür ist, dass viele Gläubige nicht durchdringen zu einem geistlichem Leben) der zwischen von der Gnade erfassten und auch teilweise gereinigten Erweckten und den wirklich Bekehrten, Gerechtfertigten und Wiedergeborenen unterscheidet. Er (der Pietismus) lehrt dann und weist die Seelen an, dass sie in einer längeren Busszeit durch schmerzliche Reue, tiefes Seufzen unter der Sündenmacht des Fleisches und viel Gebet um Gnade und neues Leben ringen sollen, bis sie es im „Gnadendurchbruch“ erlangen.

1) Daher ist es gekommen, dass der deutsche Pietismus vielfach vom gesetzlichen Dringen auf Busskämpfe und von einer schwermütigen Auffassung des Christentums nicht freizusprechen gewesen ist. Vielleicht ist auch dies der Grund gewesen, dass der Pietismus, im Unterschiede zu dem Methodismus, nur kleinere Kreise mit seinen Kräften hat beleben können.

Sehen wir in die apostolische Zeit, so finden wir auch von einer solchen Auffassung der Busse als eines langwierigen inneren Kämpfens keine Spur. Bei keiner der Bekehrungsgeschichten, welche das neue Testament uns aufgezeichnet hat, ist eine Andeutung davon, dass die Seele erst diesen Zustand von Röm. 7 hätte durchmachen müssen, ehe sie zum Frieden in Christus gekommen sei, ja die meisten Bekehrungsgeschichten, wie die der Lydia, des Kämmerers und des Kerkermeisters schliessen eine solche Annahme aus.

Doch versuchen wir nun den wahren Sinn von Röm. 7 im Zusammenhang zu erfassen.

Der Apostel hat in Kap. 1,2 und 3,1-20 nachgewiesen, dass Heiden und Jude beide unter der Sünde Schuld und Macht sind und kein Fleisch durch das Gesetz gerecht und wohlgefällig werden kann. Dann zeigt er in Kap. 3,20 und Kap. 4, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch die Glaubenshingabe an Christus, den grossen Erlöser und Sündentilger. In Kapitel 5 preist er dann die seligen Früchte dieser Rechtfertigung, nämlich den Frieden mit Gott, die Kraft zum fröhlichen Leiden, die Ausgiessung der Liebe Gottes durch den Heiligen Geist in unsere Herzen. Er schliesst dann mit einer Gegenüberstellung von Adam und Christus. Er sagt damit nochmals, dass das Gesetz nicht erlösen konnte. Ja, dass das Gesetz nur neben eingekommen ist, auf dass die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig geworden, da ist die Gnade noch viel mächtiger (Kap. 5,20). Dies war besonders für das Gesetz ehrenden Juden ein hartes Wort, hinter den sie leicht gesetzlose Unsittlichkeit vermuten konnten. Darum beginnt Paulus Kap. 6.1-2:

„Was sollen wir denn hierzu sagen? Sollen wir in der Sünde beharren, auf dass die Gnade desto mächtiger werde? Das sei ferne! wir sollten wir in der Sünde wollen leben, der wir abstarben?

Er zeigt nun, wie der Christ durch den Glauben in die heiligende Gemeinschaft des Todes und der Auferstehung Jesu, wie er mit Christus und Christi Todeskraft dem Fleische stirbt und mit Christus, dem Auferstandenen, als ein Diener Gottes in der Gerechtigkeit und Heiligkeit zu leben.

Als von des Gesetzes Fluch und Treiberei befreit, hat sich der Christ Christus zum völligen Eigentum und Dienst ergeben und erwirkt nun seine Gerechtigkeit und Heiligung nicht mehr selbst nach dem Gesetz, sondern durch das Leben in Christus als ein Leibeigener und Glied Christi. Darum heisst es in 6,14 „Die Sünde wir nicht herrschen können über euch, weil ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.“ Paulus hat nun im folgenden immer die Absicht, zu beweisen, dass man unter dem Gesetz von der Sünde Macht nicht frei werde, wohl aber unter der Herrschaft der Gnade. Darum wählt er in Röm. 7,1-6 das Gleichnis einer Ehe, um daran zu zeigen, wie unter dem Gesetz keine Freiheit möglich ist, wie die Freiheit in Christus und dieser selige Ehebund mit Christus nur erlangt werden kann durch den Tod des Fleisches. Er sagt in wörtlicher Übersetzung 7,1-6:

„Wisset ihr nicht, liebe Brüder, (den ich rede mit denen, die das Gesetz kennen), dass das Gesetz herrschet über den Menschen, solange er lebt? Denn ein Weib, dass unter dem Manne ist, während der Mann lebt, ist sie verbunden an das Gesetz; so aber der Mann gestorben ist, so ist sie los geworden vom Gesetz des Mannes. Demnach wird sie, solange der Mann noch lebt, Ehebrecherin geheissen werden, wenn sie einem anderen Manne zu Teil wird; wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei vom Gesetz, sodass sei nicht eine Ehebrecherin ist, wenn sie einem anderen Manne zu Teil wird. Also auch ihr meine Brüder seid getötet (Grundtext: totgelegt) durch den Leib Christi (d.h. in dem Getötetwerden des Leibes Christi), damit ihr würdet einem anderen zu Teil, dem vom Tod Erweckten, damit wir Frucht bringen möchten für Gott. Denn als wir im Fleische waren wirkten der Sünde Leidenschaften, die durch das Gesetz erregt waren, in unseren Gliedern, dem Tode Frucht zu bringen. Nun aber sind wir los geworden vom Gesetz, indem wir abstarben dem, in welchem wir festgehalten wurden (d.h. dem Fleische), sodass wir nun im neuen Wesen des Geistes dienen und nicht im alten Wesen des Buchstabens.“

Der Sinn ist: eine Frau kann von ihrem Ehemann nur frei werden durch den Tod; erst nach dem Tod des Mannes kann sie einen anderen Mann heiraten.

Vergleiche auch Gal. 2,17-21:

„Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt, ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir.“

Tausende Christen haben das was in Röm. 7,7-23 beschrieben ist, genau als ihren Zustand erkannt.

Es beruht wohl auch aus der persönlichen Erfahrung des Paulus, wenn er im Römer- und Galaterbrief und in allen Briefen immer die Wiedergeborenen vor einem Suchen der Gerechtigkeit und Heiligung durch das Gesetz warnt.

Sehen wir nun, wie unser Text als ein solches Bekenntnis über die Wirkung des Geistes in den Gläubigen sich erweist.

Wenn ein Christ wiedergeboren und nun die Liebe Gottes in sein Herz ausgegossen ist, da ist er oft innerlich so los von der Sünde, dass er die volle Macht der Sünde nicht kennt. Wenn der junge Christ aber nun die kindliche Glaubensstellung in Christus verlassend, nach dem Gesetz innerlich und äusserlich in eigener Kraft und Führung heilig zu wandeln und besonders dem Verbote der bösen Lust, dass innerste Reinheit fordert, nachzukommen versucht, da wacht die Lust und mit ihr die Sünde durchs Gebot auf. Er erfährt das jetzt gerade, wo er so recht nach dem heiligen Gesetze leben und sich heiligen möchte, die bisher in Christus gekreuzigte Sünde durch das Gebot alle Arten von böser Lust in ihm erregt.

Sobald nämlich der Christ irgend eine verbotene Lust ins Auge fasst, um sich in Bezug auf sie in eigener Kraft nach dem Gesetze zu heiligen, da wacht die böse Lust, die man schon für tot hielt, in ungeahnter Stärke auf.

Christen haben die Erfahrung gemacht, dass wenn sie von irgend einer bösen Lust, die sie im unbekehrten Zustand nur wenig gespürt hatten, dieselbe in einer Kraft und Heftigkeit sich offenbarte, wie nie im unbekehrtem Zustande.

So kann auch Paulus hier von sich sagen wollen: „ich erkannte nach einer Bekehrung in Christus die Sünde und das Fleisch nicht in ihrer furchtbarer Macht, bis ich in ein gesetzliches Heiligungsstreben hineinkam und das Gesetz in mir allerlei böse Lust wieder erregte. Denn wenn das Gesetz nicht wieder dazwischen kommt und Verwirrung anrichtet, ist bei einem im Christus gekreuzigten Christen die Sünde tot.“ (Gal. 2,19-20).

Da Paulus die Bekehrung und Rechtfertigung und das Versetztwerden in Christus durch den Glauben immer als ein Geheiligtwerden, als ein seliges Befreitsein von der Sünde beschreibt. (1.Kor. 6,11 / Eph. 2,3-9 / Röm. 6,1-11), so ist es ganz seiner Ausdrucksweise entsprechend, wenn er von diesem Zustand gleich nach seiner Bekehrung sagt: „Die Sünde war tot und ich wusste nichts von der Lust.“

Dieser Sinn im Zusammenhange: V9 „Ich lebte (selig im Glauben an Christus, meinem Erlöser) ohne Gesetz. Da aber (durch mein gesetzliches Heiligungsstreben) das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig.“ Es kann dies nicht so verstanden werden, als wollte Paulus, von sich sagen: Ich lebte ohne Gesetz und die Sünde war tot. Dies passt weder auf Paulus vor der Bekehrung, noch überhaupt auf Unbekehrte, denn die Sünde ist bei der leichtsinnigen Gesetzlosigkeit und Gewissenlosigkeit nicht tot, sondern der Unbekehrte ist tot in den Sünden und die Sünde in ihm recht „lebendig (Eph. 2,1 und 5 / Kol. 2,13). Dagegen als Paulus wiedergeboren wurde, da konnte er von sich sagen: „Christus lebt in mir und die Sünde ist mit Christus gekreuzigt, ist tot.“ Als er aber das Leben der Heiligung, das er im Geist und Glauben angefangen hatte, durch eigenen Anstrengung nach dem Gesetz in eigener Führung und Fleischeskraft zu vollenden suchte (Gal. 3,3), da ward die Sünde wieder lebendig.

V. 10-11 „Ich aber starb und es fand sich, dass das Gebot, das zum Leben, dasselbe sich mir erwies zum Tode. Denn die Sünde nahm Anlass (Luther: Ursache) am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot,“

Das „Sterben“ muss als ein Sterben der geistlichen Verzagtheit und des Todesgefühls im Leibe des Todes (7,24) verstanden werden. Die Sündennatur in dem Christen nimmt am Gebot und an dem Heiligungsstreben nach dem Gesetz eine Gelegenheit, ihre Macht zu erweisen. Sie betrügt den Christen durchs Gebot, indem sie ihn verführt, den Kampf gegen die Sünde mit Hilfe des Gebotes anstatt in Christo aufzunehmen, um so den in eigener Kraft kämpfenden Christen in Todesmattigkeit und Tod zu bringen.

Tausende Gotteskinder haben es erfahren, dass durch gesetzliches Heiligungsstreben und durch die Meinung, als müssten und könnten sie selbst eine Sündenwurzel des alten Adams nach der anderen dem Gesetz gemäss töten, in innerer Verzweiflung und geistlichem Tod gekommen sind, weil sie sehen mussten, das die Sündenmacht in ihnen immer grösser wurde durchs Gebot. Es ist also nach Paulus ein schlauer Betrug der Sünde, wenn sie den Christen aus seiner Festung in den Todes- und Auferstehungskräften Christi und unter dem Kreuz Christi, wo er in dem von Christus errungenen Siege alle Sünde besiegen kann und besiegt durchs Gebot - in ein Kämpfen mit der Sünde in eigener Kraft herauslockt.

Gerade diese Erfahrung, dass die Sünde nur durch die göttliche Gnadenmacht Christi zu besiegen ist, dagegen unter dem Gesetz immer ihre Macht behauptet, erweist die Bosheitskraft der Sündennatur, aber auch die Heiligkeit des Gesetzes.

V. 12-14

Dies kann nicht auf den Verzweiflungstod des erweckten Unbekehrten durch das Gesetz gehen, denn dieser innere Verzweiflungstod durch das gute Gesetz ist nichts Böses, sondern etwas Gutes; weil er ja eine Wahrheitserkenntnis und eine Vorbereitung auf den Glauben an den Erlöser ist.

Dagegen passen die Worte sehr gut auf den inneren Verzweiflungstod, in den der Wiedergeborene, Gerechtfertigte in Christus Jesus gerät, wenn er von neuem unter Gesetz und Sünde kommt. Denn gerade wenn der Christ unter das Gesetz gerät, da offenbart sich bei seinem geschärften, geistlichem Auge das Gesetz Gottes in seiner hohem Geistlichkeit und Heiligkeit. Dagegen die im Fleisch wohnende Sünde in ihrer gänzlich unbesiegbarer Macht, so dass der Wiedergeborene im Blick auf diese vom geistlichem Gesetz, sagen muss: „Ich bin fleischlich, verkauft unter die Sünde.“ Diesen traurigen Zustand eines Christen unter dem Gesetz, der sich als eine innere Gebundenheit und Zerrissenheit kund tut, beschreibt Paulus weiter in V 15-23.

Gesetz in diesem Text kann zweierlei Bedeutungen haben:

Zum Verständnis dieser und mancher anderer Stellen über das Gesetz ist es wichtig, dass wir uns klar werden, dass das Wort Gesetz im natürlichen Leben und in der Bibel vor allem zweierlei Bedeutungen haben kann:

1. Gesetz im Sinne von forderndes Gebot und Verbot oder fordernder Buchstabe. Solch forderndes Gesetz ist das Gesetz des Mose und das Gewissensgesetz und das Strafgesetzbuch (Röm. 7,7-14 und 8,3-4).

2. Gesetz im Sinne von regelmässig wirkender Trieb oder Zustand. Die Naturgesetze sind solche regelmässig wirkende Triebe, z.B das Gesetz der Schwere, des Wachstums etc. - ein böser Trieb, z.B das Gesetz der Sünde, Gesetz in den Gliedern (Röm. 7,23) oder ein guter Trieb, das Gesetz Christi (1.Kor. 9,21), das Gesetz der Vernunft (nous) (Röm. 7,23) sein. Oft bedeutet im neuen Testament Gesetz die fünf Bücher Mose und Josua (Röm. 3,21) Oft auch das ganze alte Testament (Luk. 16,29).

Aber was soll nun der Schlusssatz: „So diene ich nun mit der Vernunft (nous) dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleische dem Gesetz der Sünde“?

Viele haben aus diesem Satze gefolgert, dass es also doch dabei bleibe bis ans Ende, dass der Christ mit der Vernunft dem Gesetz Gottes diene aber trotzdem mit dem Fleische dem Gesetz der Sünde dienen müsse und das dieser innere Widerspruch bis in den Tod dauere. Beide Kräfte, die Vernunft und das Fleisch, oder in ihnen der neue Mensch, oder die neue Natur und die alte Natur seine täglich in Wirksamkeit und daher das Christenleben halb Gerechtigkeit, halb Sünde. Aber das ist ganz wider den Zusammenhang. In Röm. 6,6 heisst es: „Dass wir der Sünde nicht dienen.“ Röm. 8,1-4 / 1.Joh. 3,6 / Gal. 5,16: „Wandelt aber im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches durchaus nicht vollbringen.“

Aus dem eben Gesagten geht klar hervor, dass Paulus mit dem Worte 7,25 nicht hat sagen wollen, dass Sündendienst und Gottesdienst im Christen zugleich in Herrschaft wären und dass der gläubige Christ immer in dem ohnmächtigen Jammerzustande von Röm. 7,14-23 bliebe. Er beschreibt vielmehr die Richtung und das Werk des im Fleische wohnenden alten Menschen. Er will nicht sagen, dass der Jammerzustand unter dem Gesetze in eigener Kraft ein richtiger sei und dass er bleiben dürfe.

Durch Christi Tod und Auferstehung ist die Sündenmacht des Fleisches gebrochen. Der Gläubige hat siegreiche Lebenskräfte im Heiligen Geist. Er braucht nicht im Fleische zu leben, sondern er kann in der Vernunft des Glaubens an Christi Sieg im Gesetze des Geistes des Lebens in Christus stehen und vom Gesetze (Triebe) der Sünde und des Todes frei zu sein 8,2-4 / Joh. 5,4.

So fasst V. 25 auch der selige Prof. Lange im Bibelwerk auf, indem er erklärt: „Diene ich im Gemüte, so diene ich dem Gesetze Gottes, diene ich aber im Fleische, so diene ich dem Gesetz der Sünde. Entweder - oder.“ Man könnte V25 frei etwa so übersetzen oder umschreiben: Diene ich mit meiner vom Heiligen Geist erleuchteten Glaubensvernunft im Vertrauen und Hingabe an meinen völligen Erlöser, so diene ich siegreich dem Gesetze, d.h. dem Triebe Gottes und bin frei von Sündenmacht und Sorgenangst, diene ich aber mit dem Fleische d.h. in Fleischeskraft nach dem Gesetze, so stehe ich im Gesetze (d.h. im Triebe) der Sünde.

Wenn ein Vogel reden könnte, so könnte er sagen: „Ich bin beim Fortbewegen mit den Flügeln in der reinen Luft, aber beim Fortbewegen mit den Füssen auf der schmutzigen Erde.“ Aber nicht beides zugleich!

Röm. 7,7-25 enthält also eine wichtige Belehrung über das Wesen und die Kräfte des Fleisches und des alten Menschen unter dem fordernden Gesetze und des neuen Menschen unter der Gnade, Röm. 6,14. Es ist das Wesen des Fleisches und des im Fleische lebenden alten Menschen bis in den Tod, dass es nichts Gutes tut, nur sündigen und Gott widerstreben kann.

Dagegen das in Christus neu gewordene Ebenbild, der durch den heiligen Geist belebte innere Mensch hat eine innerliche Liebe zum Gesetze Gottes und wirkliches Wollen des Guten. Aber im Kampf mit der Sünde kann er, wenn er wieder unter das Gesetz und dadurch ins Fleisch kommt die Gerechtigkeit Gottes nicht vollbringen. Wenn Christus nicht stets im neuen Menschen lebt und wenn der neue Mensch nicht ganz an Christus hingegeben bleibt und allein auf ihn sich verlässt, so kann er ohne Christus aus sich selbst nichts Gutes tun (Joh. 15,5 / 4. Mo. 14,34).

Also weder das Fleisch und unsere natürliche Gutherzigkeit, noch auf unseren neuen Menschen und sein allmähliches Wachsen sollen wir uns verlassen, sondern allein auf Christi Wort, Geist und Blut. Wer auf das Schwächerwerden seines alten Menschen den Grund seiner Hoffnung für Heiligungsfortschritt setzt, der wird sich betrügen und in ziemliche Verzagtheit geraten.

Es ist ein falsches Trachten nach einer von Christus unabhängigen, selbständigen Heiligkeit, wenn man einen so starken neuen Menschen allmählich zu erlangen hofft, der es mit der Sünde ziemlich allein aufnehmen könne.

Das Ziel unserer Heiligung besteht nicht darin, dass wir immer unabhängiger, sondern dass wir immer abhängiger von Christus werden. Da dies Begehren nach einer solchen Unabhängigkeit von Christus und seinem Blute ist schon ein Abfall von der ursprünglichen und wahren Bestimmung des Menschen. Denn von Anfang an waren die Menschen geschaffen, dass sie in freier, aber völligen Abhängigkeit, wie ein Glied am Leibe, in Gott leben und gedeihen sollten.

Das völlige Abhängigkeit von Gott das ursprüngliche Ziel unseres Daseins ist und nicht bloss wegen der Macht der Sünde nötig ist. Dies sehen wir an Christus dem sündlosen, vorbildlichen Menschen. Er lebte nach seinen Selbstaussagen nicht für sich, er lebte auch nicht aus sich, aus seiner eigener Weisheit und Kraft. Seine Worte und Werke wurden Ihm vom Vater gegeben (Joh.17,7-8). Er sagt in Joh. 5,19 „Der Sohn kann nichts von sich selbst tun.“

Darum ist es auch so unfromm und verderblich, wenn der Mensch versucht, nach dem Gesetz in eigener Kraft und eigener Führung seine Gerechtigkeit zu erlangen. Das führt in das Suchen von sich selber und in die Sünde hinein; darum hängt das mit des Gesetzes Werke umgehen und im Fleisch sein so eng zusammen.

Sobald deshalb eine bekehrte Seele dies Geheimnis ihrer Kraft in Jesus vergisst und von der Güte und Stärke ihres neuen Menschen den Sieg erhofft, mag sie noch so eifrig kämpfen, sie wird es erfahren, dass die innewohnende Sünde ihr zu stark ist. Denn der neue Mensch kann nicht selbständig nach den Gesetz aus sich Früchte der Heiligung bringen, sondern er existiert nur in der Lebensgemeinschaft und der Innewohnung und Leitung Jesu.

Der stärkste Beweis dafür, dass in Röm. 7 nicht gelehrt sein kann, dass alle Christen bis in den Tod in teilweiser Gebundenheit an das Fleisch stehen müssen und dass alter Mensch und neuer Mensch bis in den Tod in den Gläubigen wirksam bleiben, so dass stets die Sündenmacht den gläubigen Christen in Sünden treibt und bindet - liegt in den gleich folgenden Versen Röm. 8,1-10:

„So ist nun gar kein Verdammungsurteil für die, welche in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz (Trieb) des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich frei gemacht von dem Gesetz (Trieb) der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geist wandeln. Denn die welche nach dem Geiste sind, sinnen auf das, was des Geistes ist. Denn die Gesinnung des Fleisches ist Tod (Verderben), die Gesinnung des Geistes aber Leben und Frieden, weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetze Gottes nicht untertan; denn sie vermag es auch nicht. Die aber, die im Fleische sind, mögen Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geist, wenn wirklich Gottes Geist in euch wohnet. Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot der Sünde wegen, der Geist aber Leben der Gerechtigkeit wegen.“

Der Apostel knüpft bei 8,1 an 7,1-6 wieder an und sagt klar, dass was unter dem Fleische unmöglich ist, nämlich die Sünde im Fleisch zu besiegen, das geschieht wirklich durch des Erlösers und seiner Geistesinnewohnung oder durch den Trieb des Geistes (Geistestrieb) des Lebens in Christus, dass die Gerechtigkeit vom Gesetz gefordert in den Gläubigen erfüllt wird durch den Wandel im Geiste, der Christus im Herzen verklärt und zur Herrschaft und zum Sieg bringt. Es gibt uns aber diese Stelle zugleich die in diesem Zusammenhange besonders wichtige Belehrung, dass, so gewiss man nach der Schrift nicht eine Heiligung nach dem Geiste ausserhalb oder neben Christus erstreben soll, so will doch dieselbe heilige Schrift, dass die vom Gesetze geforderte Liebe und Gerechtigkeit in Christus wirklich durch den Glauben im Christen herrsche uns zwar dadurch, dass der Geistestrieb des neuen Lebens in Christus in uns ist (2.Kor. 5,14-15). Es bleibt also das Gesetz Gottes, obwohl es in keiner Weise der Heils- Gerechtigkeits- und Heiligungsgrund, auch nicht der selbständige, unmittelbare Führer mehr ist, für den Gläubigen die Regel des Lebens und der Massstab, wonach er Sünde und Gerechtigkeit zu erkennen und zu unterscheiden hat und sobald der Christ wieder in einer Sünde ist, da ist er auch wieder unter dem Gesetz.

Die Parallelstellen Hebr. 12,1 und Gal. 5,16-25

Es sind hier noch einige Stellen des neuen Testament zu behandeln, die häufig angeführt werden, um das bleibende Gebundensein der Gläubigen an das Fleisch und die Sünde beweisen sollen: Hebr. 12,1/Gal. 5,16-17 und 1.Joh. 1,8-10 / Jak. 1, 1-2. Die beiden letzteren Stellen sollen später erklärt werden.

Aus der Stelle Hebr. 12,1 könnte man nach Luthers Übersetzung allerdings etwas derartiges glauben beweisen zu können; denn sie lautet „Lasset uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht;“ obgleich auch dieser Wortlaut immer doch ein Ablegen der Sünde verlangt, was dann doch auch möglich sein muss. Dieser Vers ist aber doch sehr frei und falsch übersetzt. Er lautet, wie allgemein anerkannt, in wörtlicher Übersetzung: „abgelegt habend jegliche Behinderung und die leicht umstellende Sünde, lasst uns mit Beharrlichkeit die leicht umstellende Sünde, lasst uns mit Beharrlichkeit den vor uns liegenden Wettkampf laufen, fortwährend (Präsenz) wegsehend auf Christus, den Führer (Begründer) und Vollender des Glaubens. Es steht hier also nur, dass die Sünde uns leicht umstellt und immer bereit ist uns gefangen zu nehmen; aber nichts davon, dass die Sünde jeden Gläubigen immer anklebt und ihn immer in Sündenunreinheit, Sündenfälle und unüberwindbare Trägheit zum Guten bringt.

Vielmehr wird im Gegenteil der gläubige Christ ermahnt, dass er nach Ablegung jeglicher Behinderung…im steten Glaubensblick auf seinen mächtigen Erlöser wandeln soll. Der Ausdruck: „immer anklebende Sünde“, der infolge von Luther falscher Übersetzung wie ein feststehender Lehrsatz und wie ein biblische Wahrheit von unseren Erbauungsbüchern und Lehrbüchern stets gebraucht wird, ist also kein biblischer.

Nahe verwandt mit Röm. 7 ist besonders Gal. 5,16-25 „Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste im Fleisch nicht vollbringen…“ Diese Stelle bestätigt gerade sehr unsere Auffassung und Auslegung von Röm. 7. Sie lehrt, dass Geist und Fleisch wider einander sind, aber dass der Geist in Christus das Fleisch gekreuzigt halten soll und kann.

Der Apostel hatte die bekehrten Galater (die aber, als unerfahrene, fleischliche Christen anfingen nach dem Gesetz ihre Heiligung zu suchen gewarnt vor dem Rückgang auf den gesetzlichen Standpunkt, der sie von Christus abbringe und ermahnt zum Bestehen in der Freiheit in Christus. Aber er warnt sie, diese Freiheit nicht als Fleischesfreiheit zu verstehen und in Zank und Lieblosigkeit zu geraten, sondern durch den Glauben in Christus in der Liebe zu wandeln; dann sei das Gesetz erfüllt und sie seinen nicht unter dem Gesetz. Gal. 5,18.

So sagt er in Gal. 5,26-25:

„Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lust des Fleisches durchaus nicht vollbringen.“ V17 „Denn das Fleisch gelüstet (strebt an) wider den Geist und der Geist wider das Fleisch; dieselben sind widereinander, dass ihr nicht tut, was ihr wollt.“ V18 „Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz.“

V. .19 „Offenbar sind aber die Werke des Fleisches, als da sind: Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht.“ V20 „Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Wut, Ränke, Zwietracht, Rotten, Hass, Mord.“ V21 „Saufen, Fressen und dergleichen, von welchen ich euch zuvor gesagt und sage euch zuvor, dass die solches tun (Präsenz, also fortwährend), werden das Reich Gottes nicht ererben.“ V. 22 „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit. Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Leidenschaftslosigkeit.“ V. 23 „Wider solche ist das Gesetz nicht.“ V. 24 „Welche aber Christus angehören, die kreuzigten ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden.“ V. 25 „So wir im Geist leben (Sinn nach dem Grundtext: wenn wir lebendig sind durch den Geist), so lasst uns auch im Geiste wandeln.“

Die in der Heiligung noch schwachen und unerfahrenen Galater werden hier ermahnt zum Wandel im Geiste. Wandel im Geist oder durch den Geist bedeutet, dass durch den Heiligen Geist Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, mit seiner reinigenden und heiligende Gnade in ihnen wirksam werden soll (Röm. 6,11 und 1. Joh. 1,7). Wenn sie so durch den Heiligen Geist in der Kraft des Blutes Christi wandeln, dann verheisst er ihnen, dass sie die Lust des Fleisches (nämlich des Hasses, der Habsucht, der Abgötterei, der Unkeuschheit etc.) durchaus nicht vollbringen werden. Fleisch und Geist sind Gegensätze und stehen im Kampfe miteinander; weil beide leider in euch gesetzlichen Galatern wirksam sind und ihr das Fleisch noch nicht entschieden für gekreuzigt hält (V. 24), auch nicht voll und allein auf die Todes- und Auferstehungskräfte Christi vertraut; darum tut ihr nicht, was ihr wollt und es ist noch nicht die rechte Stetigkeit in eurem Christenwandel, so dass ihr leider bald dem Geiste, bald dem Fleische folget.

Mit dieser Stelle ist also durchaus nicht gesagt, dass bei allen Christen bis ins Grab bald das Fleisch und bald der Geist regiere, sondern nur, dass die Schwachen und im Bezug auf den Heilsweg und die Heiligung in Unklarheit geratenen Galater noch oft die Macht des Fleisches bei allem guten Willen fühlten und vom Fleische hier und da überwunden wurden. So legt denn diese Stelle auch Schmoller in Langes Bibelwerk aus: „Der Widerspruch ist übrigens durchaus nicht als ein unlösbarer gedacht nach dem Zusammenhang, nach dem ein entschiedenes Sichbestimmenlassen von dem einen Prinzip, dem Geiste und ein Nichtvollbringen der allerdings nicht zu vermeidenden Lust des Fleisches erwartet wird.“

Dass bei einem bewussten Leben in den Werken des Fleisches und offenbaren Sünden keine Teilnahme am Reiche Christi möglich sei, schärft der Apostel mit durchdringenden Worten ein (V. 19-21). Er tut dies aber in solchen Worten, dass daraus nicht folgt, dass von des Fleisches Macht noch hier und da wider Willen geschädigte und gefällte Seelen keine Gnadenkinder sein können.

Wer da sagen will: Ich bin frei vom Gesetz der muss auch mit Wahrheit sagen können: Ich bin mit Christus der Sünde abgestorben und wandle gehorsam und vertrauensvoll in der Führung und in der Liebe des Auferstandenen durch den Heiligen Geist. Darum fügt er hinzu: Die aber Christus angehören, die kreuzigten ihr Fleisch samt ihren Lüsten und Begierden. Er will damit sagen: Die Kreuzigung des Fleisches, d.h. die Verdammung und Hinrichtung des Fleisches in Christi Kreuzeskraft, ist bei den wahren Christen geschehen. Das Fleisch ist gekreuzigt und bleibt gekreuzigt. So erklärt auch Schmoller im Bibelwerk: Sie haben gekreuzigt, es ist als etwas vollendetes gedacht.

Hieran schliesst sich dann noch die Ermahnung: „So wir durch den Geist lebendig sind, so lasst uns auch im Geiste wandeln.“

Dies will sagen, dass der Christ, welcher durch Christi Geist, Wort und Blut lebendig geworden und bei dem das Fleisch gekreuzigt ist, nun doch nicht meinen darf, der Wandel im Heiligen Geiste mache sich ganz von selbst, ohne das man um ihn bemüht sei. Im Gegenteil, nur im Wandel und in der Übung wird das Leben in Christus bewahrt; denn sonst würde der Christ (da das Fleisch zwar gekreuzigt, aber nicht ausgerottet ist), wieder in Sünde sinken.

Die Stelle Gal. 5,16-25 ergibt also die beste Bestätigung der oben gegebenen Auslegung von Röm. 7 und 8, nämlich, dass das Fleisch wohl noch vorhanden ist in den Gläubigen und auch bei mangelhaften Glaubensleben und falscher Stellung zum Gesetz noch wirksam sein kann, dass es aber doch gekreuzigt und ertötet sein kann und bleiben soll durch den Wandel im Heiligen Geiste, der die reinigende und heiligende Macht des Blutes Christi in den Herzen zur Herrschaft bringt.

1)
Pers. Anmerkung: Jellinghaus schreibt im ersten Teil seines Buches „Das völlige, gegenwärtige Heil durch Jesum Christum“ aus welchem diese Zusammenfassung stammt auf S. 353-354 folgendes:
„In den folgenden Jahrhunderten ging der christlichen Kirche das Licht der Rechtfertigung und des Sieges allein durch Christus und der Gnade, der man sich gewiss ist und des vollen Friedens in Christus immer mehr verloren. Man machte die Gnadenbotschaft des Evangeliums immer mehr zu einem neuen Gesetz von heiligen Übungen und Werken der Selbstabtötung und Selbstheiligung, durch dessen Befolgung man der Gnade allmählich teilhaftig und gewisser werde. Diese echt heidnische, widerbiblische Lehre der Askese, dass die Sünde und die Wurzel der Sünde im Leibe und seinen Trieben und nicht vor allem im Seelenabfall von Gott zu suchen sei, fand immer mehr Eingang. Man meinte deshalb durch Ertötung nicht nur der sündlichen, sondern auch der natürlichen Triebe sich heiligen und sich Gott wohlgefälliger machen zu müssen.
Daher das viele Fasten (nicht im biblischen Sinne, um die Andacht der Seele zu vermehren, sondern als ein gutes Werk an sich), das Einsiedlerleben, die Selbstgeisselungen, der Forderung der Ehelosigkeit, weil man das Leben in der Ehe für etwas Unheiliges ansah und meinte, dass Ehelosigkeit (die man fälschlich Keuschheit nannte und dadurch die Ehe für unkeusch erklärte) an sich schon ein gutes Werk sei.
Bei solcher unbiblischen, im letzten Grunde heidnischen Askese, die Christus nicht als den einzigen Grund und die alleinige Quelle der Rechtfertigung und Heiligung erkannte, war ein frohes, kindliches Leben in der gewissen Gnade in Christus fast unmöglich gemacht. So verschwand der frohe Glaube an die freie, volle Gnade immer mehr aus der Kirche (und den Freikirchen). Vor der Reformation wurde, wie jetzt bei den römischen Katholiken, fast allgemein die Gewissheit des Gandenstandes als ein gar nicht, oder schwer und dann nur nach tiefsten Heiligungsanstrengungen zu erreichender Zustand anzusehen.
Bei solcher verkehrten Lehre unter der alle litten, ist es nicht zu verwundern, dass auch meist die innigsten und gefördertsten Christen in diesen Zeiten zu keiner frohen Gewissheit der Sündenvergebung gelangten. Ihr Glaube war in Christus gegründet und so waren sie Gotteskinder; aber durch den Irrtum falscher Lehre kamen sie nicht zu einem frohen Bewusstsein ihrer Gotteskindschaft und der Gnadenrechte.
Ende Zitat aus dem ersten Teil.
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