Jellinghaus, Theodor - Kapitel X. Der Sieg über die Sünde

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Jellinghaus, Theodor - Kapitel X. Der Sieg über die Sünde

Wir kommen in diesem Kapitel zu der schwierigsten und streitigsten Frage in der Lehre von der Heiligung: Inwiefern kann und will Christus jetzt in diesem Leben die in Ihm bleibenden Christen von allen Sünden reinigen und in den Versuchungen erretten und bewahren?

Die Bibel sagt, wie wir oben gezeigt an einer ganzen Anzahl von Stellen deutlich, dass Jesu Blut von aller Sünde rein macht und rein bewahrt, dass wir mit dem Schilde des Glaubens auslöschen können alle feurigen Pfeile des Bösewichts, dass Jesus uns bewahren kann vor dem Fallen. Dass Christen zu einem heiligen, gerechten, unsträflichen, Gott wohlgefälligem Wandel und zum weit überwinden erlöst sind und ein reines Herz und gutes Gewissen haben sollen und können.

Dagegen - ist es seit Jahrhunderten hergebrachte Lehre, dass jeder Christ täglich sündige und täglich sein Herz und Gewissen durch erkannte Sünden beflecke und dass jeder, der dies leugne, im Selbstbetruge begriffen sei. Die Rechtfertigung und Heiligung werde uns deshalb nur auf dem Wege täglichen Bereuens der täglichen Sünden und des täglichen Abschneidens der Fleischesnatur immer von neuem zu Teil. Daher werden die Gläubigen in den evangelischen Kirchen mit Vorliebe „Sünder“ und fast nie Heilige genannt.

Der biblische Name „Heiliger“ ist fast zu einem Spottnamen geworden, so sehr ist die Kirche vom biblischem Sprachgebrauche abgefallen. In der Bibel aber ist der stete Titel aller Gläubigen „Heilige“ und „Geheiligte in Christus Jesu“.

Nirgends in der Bibel werden die Gläubigen „Sünder“ genannt. Im Gegenteil, der Gedanke, dass ein Gläubiger noch als ein Sünder erfunden werde, wird als ganz ausgeschlossen betrachtet. (Gal. 2,15-21 / Röm. 5,5-11).

Nun nennt sich Paulus offenbar in der Stelle in 1. Tim. 1,15 der vornehmste aller Sünder. Die bezieht er allerdings auf seine Vergangenheit, als er noch die Christen verfolgte.

Denn wie könnte er sonst von seinem unsträflichem Wandel und gutem Gewissen reden? Paulus preist die mächtige Gnade, die ihn den besonders grundverderbten Sünder, aus dem Sündendienst zu einem heiligen, gottwohlgefälligen Wandel von Sündenmacht und Gottlosigkeit errettet und befreit hat1).

Er will sagen: Unter den geretteten Sünder stehe er da. als der erste. Wer Paulus hier unterstellt, dass er sagen wolle: Ich bin noch jetzt der am meisten in Sünden lebende, der sagte damit auch, dass Paulus gar kein vom Sündendienst und Sündenschmutz gerettetes und gereinigtes Glied am heiligen Leibe Christi gewesen sei2).

So oft nun einzelne Lehrer sich bemühten biblischen Sprachgebrauch und zur apostolischen Lehre zurückkehren und dabei dann ernstlich die Möglichkeit eines steten, heiligen Wandels und reines Herzens betonen, hat sich ein grosser Kampf darüber entsponnen, inwiefern der Christ von allen Sünden erlöst werden könnte. Es wurden dann auch fast immer von beiden Seiten gewagte und irreleitende Behauptungen aufgestellt, welche die Sachlage noch mehr zu verdunkeln drohten. Viel unnötiger Streit kann nun hier vermieden werden, wenn man sich vom vornherein darüber klar bleibt, dass die Meinungsverschiedenheiten und der Widerspruch zum Teil nicht in der Sache, sondern in der verschiedenen Bedeutung und Definition, die man dem Worte „Sünde“ versucht beizulegen.

Das Wort „Sünde“ wird in mehreren und sehr verschiedenen Bedeutungen in den christlichen Büchern gebraucht, auf welche wir deshalb in Folgendem zur Klarstellung der Sachlage etwas näher eingehen wollen.

A. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Sünde.

1. Sünde im Sinne von bewusster, absichtlicher Übertretung des Gebotes Gottes oder bewusster Bosheitssünde.

Es bedeutet da das Wort eine Tat und einen Zustand, in welchem der Mensch ein Empörer wider Gott ist und somit einem von Gott losgerissenem Herzen der bösen Lust, der Ungerechtigkeit, der sündlichen Welt und damit dem Reiche des Teufels dient3).

Dass „Sünde“ in diesem Sinne mit dem christlichem Glauben und dem Gnadenstande gänzlich unverträglich, dass ein Mensch, der solche Sünde tut, entweder noch nicht ein gläubiger Christ gewesen ist oder wieder aus dem Gnadenstande gefallen ist, liegt für jeden aufrichtigen Bibelchristen auf der Hand. 1. Joh. 3,8: „Wer Sünde tut, der ist vom Teufel.“ Gal. 5,19: „Offenbar aber sind…etc. Offb. 21.8).

Wir sollen aber nach der Bibel nicht jede Sünde, bei welcher der Mensch ein gewisses Gefühl davon hat, dass er Unrecht tut, schon für eine im vollem Sinne bewusste Sünde erklären, so z.B. nicht die Verleugnung des Petrus. Oft geschieht es z.B., dass ein Christ welcher in einer Sache in eigene, verkehrte Wege geraten ist, in der nun folgenden, verwirrenden Versuchung eine Sünde tut mit dem Bewusstsein, dass er Unrecht tut; aber er weiss wirklich nicht, was er denn nun zu tun und zu lassen hat und wie er überhaupt bei der verwirrten Lage, in die er sich gebracht hat, einen Weg finden soll, der nicht in eine Sünde führt.

Besonders bei anderen Christen sollen wir hier in der Beurteilung sehr vorsichtig sein und nicht rasch richtend den Stab brechen4).

Menschliche Einsicht ist hier meist zu schwach und nur der allwissende Herzenskündiger weiss in jedem Falle, wie das innere des Menschen zur Sünde stand. Sehr wichtig ist, dass der Einzelne sich oft sagt: „Diese Sünde wäre für mich bei meiner Erkenntnis über ihre Abscheulichkeit ein Abfall von Gott; aber darum braucht sie es noch nicht für den Nächsten gewesen sein.“

Es bedarf in Bezug auf die Bosheitssünden grosser Weisheit und Klarheit im Lehren und Reden vor Bekehrten und Unbekehrten. Denn wer das Reden und Leben der Unbekehrten und besonders der noch zur Kirche sich Haltenden genauer betrachtet, der kann nicht leugnen, dass sie vielfach die Lehre, dass wir alle Sünder bleiben, so missverstehen, als ob man in mutwilligen, absichtlichen Bosheitssünden leben und doch dabei mir Grund auf Christi Gnade vertrauen und hoffen könnte. Dass dieser entsetzliche Irrtum viele in ihrem Sündenschlafe bestärkt und ein grosses Hindernis der Bekehrung ist, liegt auf der Hand.

Wie viele Hunderttausende gehen jährlich in dieser Verblendung, ohne mit dem bewussten Sündenleben gebrochen zu haben, zum Abendmahl und meinen dennoch, dass solch Abendmahlgehen noch vor Gott etwas Wohlgefälliges sei und dass sie doch dadurch von den Kirchenverächtern vorteilhaft unterscheiden würden. Darum ist es so wichtig, dass immer wieder ohne Ermüden und ohne sich vor Wiederholung zu scheuen, den Seelen bezeugt werde, dass wer noch eine Sache, die er klar als Sünde wider Gott erkannt hat, doch noch immer zu tun, an der Gnade Christi keinen Anteil haben kann.

Das menschliche Herz ist so verlogen und betrügerisch, dass es sich über diese einfache und klare Botschaft zu leicht täuscht, dass es immer wieder sich einbildet, Glauben und bewusster Ungehorsam, Glauben und bewusste Untreue zu Gott können zusammen gehen.

2. Sünde im Sinne von Schwachheitssünde oder Übereilungssünde.

Eine andere Bedeutung legen wir dem Worte „Sünde“ bei, wenn wir sie als Schwachheitssünde und Übereilungssünde bezeichnen. Es gibt nach Schrift und Erfahrung eine Zustand der gläubigen Christen, in dem sie den Herrn Jesus lieben, Ihm treu sein wollen und die Sünde hassen, aber doch noch sündliche Regungen und Kräfte des alten Adam in sich fühlen, die ihnen oft zu stark werden und die sie nicht immer besiegen können. Diesen Zustand finden wir in Gal. 5,17: „Dass ihr nicht tut was ihr wollt“ und Röm. 7,7-23 beschrieben; vgl. 1. Kor. 3.1-4 / 5,1-13 / 11,17-34.

Es werden hier in vielen Stellen die Sünden der gläubigen Christen getadelt; aber den Seelen wird deshalb das Stehen im Glauben nicht abgesprochen. Die Selbstbekenntnisse vieler sehr treuer Christen aus allen Zeiten lassen darüber keinen Zweifel, dass solche Sünden oft eine sehr quälende Macht über die Gläubigen haben. Manche Seelen werden immer wieder vom Zorn übereilt und tun dann in demselben nicht, was vor Gott recht ist. Andere müssen klagen, dass während sie äusserlich meist ohne Übertretung wandeln und auch die Gedankensünden hassen, dennoch herrschend Regungen und Gedanken des Neides, der Rache, des Hochmuts, des Murrens, der Habsucht und der Unkeuschheit sich immer wieder regen, sie innerlich verunreinigen, Ihre Gefühle, Worte und Handlungen beeinflussen und den heiligen Geist betrügen.

Diese Gedanken an bestimmte Sünden gehen nicht nur durch die Seele als eine Erinnerung und Vorstellung wie dies ja bei jedem Hören und Lesen von einer bestimmten Sünde auch bei den geheiligten Christen ohne Verunreinigung der Fall ist. Solch ein Christ muss sich viel mehr sagen, dass obwohl er diese Sünden nach seinem neuen Menschen verabscheut und hasst, doch noch bestimmte, wirkliche Liebe zu denselben sich regt und dass er, wenn er sie auch nicht tun will doch gerne mit denselben sich gedanklich einlässt und mit ihnen in der Phantasie spielt. Solch ein Zustand teilweisen Gebundenseins in innere Lüste gibt aber einer bestimmten herantretenden Versuchung eine grosse Macht über die Seele, ohnmächtig ihr zur Beute fällt. „Denn wer noch Lust zur Sünde hat, der fürchte sich nicht in der Tat, d.h. in der Versuchung zur bösen Tat.

Dies Gebundensein in Schwachheitssünden geht oft auch aus Mangel an Erkenntnis und Unterscheidungsgabe für das, was gut und böse ist hervor. Ein unklares und verwirrtes Gewissen hält oft Dinge und Handlungen für sündig, die es gar nicht sind. Wer z.B. die mönchisch-asketische Meinung hat, dass aller Genuss der geschaffenen Dinge sündig sei und dass die Heiligkeit in der Apathie gegen alle irdischen Dinge und Genüsse bestehe, der weiss nicht, wie er ohne Sünde leben soll. Die Unterscheidungsgrenze zwischen Gut und Böse ist ihm verwirrt. Daher kommt er aus dem bösen Gewissen und aus wirklichen Sünden nie heraus. Mancher legt sich auch Pflichten und vermeintliche Schuldigkeiten in solcher Menge auf sein Gewissen, dass weder seine Körperkraft, noch Zeit, noch Geisteskraft dazu ausreicht. Da er nun nicht weiss, was er tun und lassen soll, so kann es kaum anders kommen, als dass er in sündliche Verkehrtheiten und wirkliche Unterlassungssünden hineingerät. Hier fehlt es der Seele daran, dass sie noch nicht in grossen und kleinen Dingen Jesu, als ihrem guten Hirten, zu folgen versteht und so vor dem verdammenden und Sünden mehrende Gesetze und den Selbstanklagen über Unterlassungssünden bewahrt bleibt.

Aus all dem Gesagten geht hervor, dass unbewusste und auch mehr oder weniger bewusste und erkannte Schwachheitssünden und Übereilungssünden auch bei Gotteskindern vorkommen können aber den Gnadenstand nicht aufheben (1. Joh. 2.1-2).

Aber das öftere Erscheinen und Herrschen dieser Sünde ist nicht der richtige, normale Zustand des Gläubigen, es ist ein Zeichen der inneren Unruhe und Kraftlosigkeit in Lehre und Leben.

Der Christ ist wie Christus und die Apostel bezeugen, dazu erlöst und erwählt, heilig, rein und unsträflich zu sein, so dass er keine bösen Regungen mehr in sich herrschen hat und so den Versuchungen gegenüber auch innerlich in den Gedanken der Stimme seines guten Hirten mit gutem Gewissen folgt. Wenn Gott dem gläubigen Christen geboten hat, ein reines Herzens zu sein, nicht zu zürnen, nicht zu sündigen, in Demut. Liebe, Keuschheit und Sanftmut zu wandeln, so muss es auch für den gläubigen Christen möglich sein.

Man darf auch durchaus nicht meinen, dass man beim Stehen und ruhig Stehenbleiben in einem strauchelnden Christentum der ewigen Seligkeit recht sicher sein könne. Nach der ganzen Bergpredigt ist dieser zustand nicht haltbar.

(Matth. 16,25 / Röm. 6,1-23 / 8,13).

Nach Matth. 5,20 sind solche Seelen, die keine bessere Gerechtigkeit haben als die Pharisäer und sich in Zucht nehmende Weltleute, noch keine rechten Mitglieder des Reiches Gottes.

3. Sünde im Sinne von Sündennatur oder Fleisch.

An einer Anzahl von Stellen der Schrift bezeichnet das Wort „Sünde“ nicht eine einzelne Handlung in der Sündlichkeit oder eine bestimmte sündliche Neigung, sondern die Sündennatur des Menschen oder das Fleisch. Röm. 5,12: „Gleich wie durch einen Menschen die Sünde gekommen ist in die Welt… Wir erben von Adam eine Sündennatur. Die Sünde in diesem Sinne soll im Christen gekreuzigt und durch Christi Blut in den Todeszustand gebracht und in demselben gehalten werden, so dass sie nicht herrschen und das Herz nicht verunreinigen kann und so der Christ in diesem Sinne von der Sünde frei ist und nicht sündigt (Röm. 6).

Aber sie ist bis ins Grab bei den Geheiligten noch da. Sonst könnte kein in diesem Masse Geheiligter wieder in Sünde fallen, sonst müssen die Kinder solch geheiligter Eltern sündlos geboren werden. Ein sehr passendes Gleichnis ist hier der veredelte, wilde Obstbaum. Er ist wirklich veredelt, das zeigt sich an den guten Früchten. Aber dennoch ist in ihm noch die wilde Natur, denn aus seinen Kernen wachsen nur wilde Bäume, die erst auch wieder veredelt werden müssen.

Das richtige Verhältnis und Verhalten des Christen zur Sünde in diesem Sinne, ist nun nicht allmähliches Ertöten durch immer tiefere Busse, sondern ein bestimmtes Abgestorbensein durch die Kraft des Todes Christi.

Die Ermahnung: „Kreuziget euer Fleisch“ kommt in der Schrift nicht vor, sondern es heisst: „Haltet such dafür, dass ihr der Sünde abstarbet.“ “ Die aber Christus angehören, deren Fleisch ist gekreuzigt.“ (Gal. 5,24). Der ganze Christ führt nicht den hoffnungslosen Kampf, dass er täglich eine Sündenwurzel nach der anderen ausrotten und doch sehen muss, dass sie täglich wieder wachsen und neue, böse Früchte bringen.

4. Sünde im Sinne von unbewusster Sünde und irriger Handlung, die man mit gutem Gewissen und guter Absicht tut.

Das Wort „Sünde“ wird in Erbauungsbüchern aber auch gebraucht für Handlungen, die der Christ mit guter Absicht und reinem Gewissen tut, ohne zu wissen, dass sie doch sündig und verkehrt sind. Es lässt sich nun keine Stelle im neuen Testament finden, in welcher Sünde in diesem Sinne gebraucht wird.

In Röm. 14, wo über das Fleischessen und Nichtessen geschrieben ist, entscheidet Paulus nicht, dies Verhalten sei Sünde und das sei nicht Sünde, sondern er sagt: „Ein Jeder sei seiner Meinung gewiss … was aber nicht aus dem Glauben geht, das ist Sünde.“

Wir müssen von einem unbiblischen Sinn des Wortes Sünde uns um so mehr hüten, weil wir sonst auf den Sündenbegriff der mystischen Religionen kommen, der bei den Mönchen und Büssern in der christlichen Kirche in Lehre soviel Unheil angerichtet hat.

Nach dieser Religionsanschauung besteht das Ertöten der Sünde in dem Ertöten der natürlichen Triebe und dem Aufgeben der Persönlichkeit zum Aufgehen in der einen Gottheit.

Als die bekehrten Judenchristen im zweiten Jahrhundert in der christlichen Gemeinde ausstarben, da richtete diese falsche, heidnische Grundanschauung zuerst im Gnostizismus viel Unheil an. Die Anschauung gewann in der Kirche immer mehr die Herrschaft und gab der Frömmigkeit im Mönchstum und so dem römisch katholischen Heiligungsziel eine ganz falsche Richtung. In den Werken der Selbstertötung suchte man nun die Heiligkeit und kam dadurch notwendig von der Rechtfertigung. Lebendigmachung und Heiligung durch den Glauben an Christus und seine heiligende Gnade immer mehr ab.

Es wäre aber doch sehr gefährlich den Begriff „Sünde“ zu eng zu fassen und das christliche Bewusstsein und Gewissen und alleinigen Richter über die Sündhaftigkeit oder Richtigkeit des Wandels zu machen; es wäre entschieden gegen die echte Demut und Selbsterkenntnis, wollten wir leugnen, dass Gott Böses und Unheiliges in uns und unseren Handlungen sieht, was wir nicht sehen

Die meisten unbewussten Sünden kann man auf die Erbsündhaftigkeit zurückführen, insofern durch dieselbe das menschliche Unterscheidungsvermögen in Bezug auf Gottes Willen und auf gut und böse, sehr geschwächt ist und der Mensch sich in einer Geneigtheit zum Sündigen befindet, so dass manches Sündige im selbstverständlich. ja als normal erscheint. Andere unbewusste Sünden kommen aus dem Kleinglauben. Wir müssen uns auch wegen dieser verborgenen Fehlern und Verschuldungen beugen und demütigen.

Oft ist auch frühere Gleichgültigkeit, Lauheit, Mangel an Liebe schuld, dass ein Christ etwas sündiges tut.

Es ist ein wichtiger und richtiger evangelischer Grundsatz, dass wir die Sünde nicht bloss in der einzelnen bösen Handlung, sondern vor allem in dem bösen Zustand des Herzens suchen sollen. Wer die Sünde nur in den einzelnen Handlungen sieht, der gerät leicht in Werksgerechtigkeit und Selbstbetrug, so dass er seine Grundverdorbenheit nicht erkennt.

In diesem Sinne des Wortes Sünde als Bezeichnung von unbewussten Fehlern und unbewussten Unterlassungen des guten könnte der Christ hier auf Erden nie ohne Sünde sein. Denn solange der Christ nicht vollkommen rein und gut in seiner Natur und nicht allwissend ist, wird er auch irren und im Irrtum bei bester Absicht verkehrt handeln. Versteht man aber noch weitgehend unter Sünde „Nichtübereinstimmung mit der vollkommenen Heiligkeit und Reinheit Gottes, so ist es klar, dass der Christ auf dieser Erde nie ohne Sünde sein könnte, ja dass alles, was er tut, auch wenn er es mit reinem Herzen und aus herzlicher Liebe zu Gott und den Menschen tut, Sünde, oder mit Sünde behaftet wäre5).

In diesem Sinne von heilig, rein und vollkommen wie Gott war Adam auch vor dem Sündenfall nicht sündlos; denn Paulus sagt: „Der erste Mensch Adam, ward zu einer lebendigen Seele, der letzte Adam zu einem lebendig machenden Geist.

Der erste Adam ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist vom Himmel, woraus hervorgeht, dass Adam noch nicht die geistliche Natur und das geistliche Denken der vollendeten Gerechten hatte und so wohl unschuldig, aber noch mangelhaft war.

Die Bibel aber gebraucht das Wort Sünde in diesem letzteren Sinne nie. Dies geht klar daraus hervor, dass sie sagt, dass der Christ gerecht, heilig, rein, vollkommen und unsträflich leben könne und nicht zu sündigen braucht.

Wenn Paulus von sich sagt, dass er so wandle (Phil. 3,15-17), so meint er damit, dass nach seinem Gewissen keine Sünde in Begierden, Worten und Taten von ihm geschehe, dass er vielmehr alles vor Jesu Augen mit guter Absicht und reinen Herzen tue. Vgl. Hebr. 13,18: “ Denn wir sind der Überzeugung, dass wir ein gutes Gewissen haben, indem wir in allen Stücken gut zu wandeln bestrebt sind.“

Aussagen des 1. Johannesbriefs über Sünde haben, Sünde tun und nichtsündigen.

Bei diesen in unseren Tagen viel besprochenen Fragen: „Welche Art des Sündigens schliesst vom Gnadenstande aus? Müssen Christen täglich viele Schwachheitssünden tun und bereuen? Kann bei Kindern Gottes die Sündennatur ausgerottet sein? Können die Christen beim Haben und Behalten der Sündennatur ein Siegesleben führen?

Durch Missverstand einiger Stellen in den letzten Jahrzehnten wieder viel Unheil gestiftet worden. Da nur eine gründliche Auslegung die umstrittenen Punkte unanfechtbar klarstellen kann, so bitte ich den Leser, diesen Brief gründlich durchzulesen. Die Epistel ist geschrieben, um die Gotteskinder ihres Gnadenstandes gewiss und froh zu machen und sie vor schmutzigen in Sünden lebenden Irrlehrer zu warnen. In Kap. 1,7 bedeutet „das Blut Jesu macht rein von aller Sünde“ nicht nur, es reinigt von der Sündenschuld, sondern es macht und bewahrt fortwährend rein von der Sünde Schuld und Macht und Unreinigkeit (3,3). In 1,8 bedeutet „Sünde haben“ Sündennatur haben und nicht fortwährend Sünde tun.

B. Die Möglichkeit eines reinen Herzens und des Sieges über der Sünde gegenüber der tiefen, natürlichen Sündhaftigkeit und den Versuchungen.

Eine Hauptfrage in Bezug auf die Heiligung ist diese: Ob der Christ von den Sünden und den Verunreinigungen durch herrschende, böse Lust, von den Regungen und Gemütsbewegungen des Zorns, des Hochmuts, der Menschenfurcht, des Murrens, der Unkeuschheit, des Neides, des Geizes stetig durch Christus erlöst und bewahrt werden kann und wie man sich diese Bewahrung zu denken hat? Diese Frage bietet viele Schwierigkeiten. Einmal ist es immer gefährlich und bedenklich, hier etwas genauer bestimmen zu wollen, wie es die Bibel tut.

Dann kennen wir sehr wenig die inneren Vorgänge und Zustände des menschlichen Herzens, den Zusammenhang zwischen Seele und Leib, Willen und Verstand, Willen und Gefühl, Fleisch und Geist, alter und neuer Mensch, innerer Mensch und Sünde, Phantasie und Willensfreiheit etc. Wir sind uns oft selbst ein Rätsel. Wer kann das menschliche Herz ergründen?

Weiter, dass es nicht geraten ist, zu scharfe Begriffsbestimmungen über das Sündigen und Nichtsündigen der geheiligten Gläubigen aufzustellen, dass selbst im hohen Grade geheiligte Seelen wie die, an die Johannes schreibt, oft in Dinge verwickelt werden, von denen sie nicht recht wissen, ob sie dadurch unter Schuld und Entfernung von Gott gebracht sind, darüber haben wir sehr tröstliche Verse in 1. Joh. 3,19-21: „Daran erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind und können unser Herz vor Ihm stillen, dass so uns unser Herz verdammet, dass Gott grösser ist als unser Herz und erkennet alle Dinge. Ihr Lieben so uns unser Herz nicht verdammet, so haben wir Freudigkeit zu Gott.“ Es werden also oft geheiligte Christen von einem mehr oder minder klaren Schuldgefühl wegen einer einzelnen Sache oder wegen ihres ganzen Zustandes bedrückt.

In dieser Welt ist ja das Gute und Böse, das Pflichtmässige und die Sünde oft so in einander verwoben und verstrickt, dass ohne ein klar scheinendes Licht des Heiligen Geistes im Herzen und stete Führung durch Jesu wir gar oft nicht wissen was wir tun oder lassen sollen. In solcher Lage ist es nun das Kennzeichen und der Trost der Christen, die aus der Wahrheit sind und im Lichte und im Glaubensgebrauche des Blutes Christi wandeln, dass dann der Heilige Geist ihnen das in Christus so besonders väterliche Erbarmen, die erlösende Geduld und die Treue Gottes helle scheinen lässt, d.h. die Wahrheit, dass Gott grösseres Erbarmen und grössere Reinigungsgnade in Christus hat, als unser kleines, liebearmes Herz erfassen kann. „Erkennt alle Dinge“, d.h. unsere ganze, äussere und innere Lage und die uns in Christus zu Teil gewordene siegende Gerechtigkeit und Reinigkeit Christi und weiss, wie wir es doch treu und aufrichtig mit Ihm meinen, Ihn über alles fürchten und lieben und die Sünde hassen und darum keine Sündendiener sind. Deshalb wollen wir bei all dem folgendem im Gedächtnis behalten, dass sich keine mathematisch genauen Begriffe über Heiligsein und Unheilig sein, Sündigen und Nichtsündigen aufstellen lassen.

Nur so viel ist nach der Schrift ganz klar, dass der wahre Christ nach solchem inneren bestimmten Gefühl der Unreinheit immer wieder mit Bestimmtheit zum Bewusstsein eines reinen Herzens und der Freudigkeit vor Gott durchdringen soll. Denn die Bibel sagt deutlich, dass der Gläubige ein reines Herz haben, heilig und unsträflich vor Gott wandeln und als ein Christi Blut Gereinigter nun auch im Glauben die Macht haben könne, Sünde, Welt und Teufel stets zu überwinden und in der Liebe und Gerechtigkeit zu leben. (Röm. 6.11).

Wie ist es nun möglich, dass ein Christ, der Fleisches und Sündennatur an sich hat, der noch dazu fortwährend von dem Sündenwesen der Welt und seinen eigenen, bösen Erinnerungen umgeben ist und von ihnen versucht wird, reines Herzens sein kann? Allein durch die Kraft des in ihm wirkenden Christus, allein durch die völlige Glaubenshingabe an die Kraft des Todes- und Auferstehung Jesu Christi und durch die Einwohnung des Heiligen Geistes.

Der nach einem reinen Herzen und Bewahrtbleiben der Sünde hungernde Christ muss zuerst in der Kraft des Heiligen Geistes mit festem Willen jeder erkannten Sünde, auch jeder Gedankensünde und besonders von seelenbetrügerischen Spielen mit sündlichen Gedanken und Phantasiebildern entschieden entsagen und ihr unbedingten, ewigen Krieg erklären.

Nachdem er sich nun Christus als gehorsames Eigentum zur Heiligung übergeben hat, kommt durch den vom Heiligen Geist gewirkten und erhaltenen Glauben die Kraft des Blutes, d.h. des Todes und des Lebens Christi, in ihm zur Wirklichkeit. Sein alter Mensch wird und bleibt durch Christi Todeskraft mit Christus gekreuzigt und Christi Wort, Geist und Blut reinigt und belebt sein Herz und bewahrt es rein von Sündenschuld und Sündenschmutz, solange er im Lichte, d.h. in völliger Hingabe und völligen Vertrauen an dem im Worte und in den Zusagen des Evangeliums offenbaren und gegenwärtigen Erlöser, treu und aufrichtig wandelt.

Indem so Christi Wort, Geist und Blut in seinem Herzen wohnt, bleibt er durch Vertrauen und Treusein, auch bei wechselnden Gefühlen und Neigungen und nicht ausbleibenden Versuchungen und inneren Ermattungen, in Christus und Christus in ihm.

Einen Christen, bei dem es so steht, erklärt die Bibel für heilig und unsträflich.

Manchem Christe wird nach seiner hergebrachten Meinung und nach seinen eigenen schmerzlichen Erfahrungen ein solcher Zustand unerreichbar scheinen.

Jedenfalls meint er, dass diese Herzensstellung erst nach jahrelangem ,innerem Abarbeiten in den eigenen in den eigenen Heiligungsbestrebungen vielleicht einmal werde erlangt werden können. Aber es ist klar und offenbar, dass dies nach der Bibel der allein normale und richtige Zustand für jeden Gläubigen ist und in den einzugehen nichts als Mangel an Gerechtigkeitshunger, Heilserkenntnis, Sündenentsagung und Hingabe und Kleinglaube hindern kann.

Aber es stände ja traurig um den Erfahrungsbeweis des Geistes und der Kraft des Evangeliums von Christus, wenn dies nicht möglich wäre.

In dem inneren Lossein von früher geliebten bösen Lüsten und in der Lust zum Wandel in der Demut und Liebe Christi besteht ja gerade, zusammen mit der Freiheit von Sündenschuld, die herrliche Freiheit des Christenmenschen, zu der uns Christus befreit hat.

Wem dies auch durch die Kraft des Todes Christi in Bezug auf Sünden wie Ehrgeiz, Zorn, Geiz etc. unerreichbar scheint, der bedenke doch, dass einzelne, starke böse Lüste in unbekehrten Menschen durch eine edle oder unedle Leidenschaft für eine Zeit lang fast ganz ausgelöscht werden können.

Sollte nun der Heilige Geist und Christi Blut und die Freude und Liebe und die himmlischen Lebenskräfte in Christus und die in die Herzen ausgegossene Liebe nicht mehr tun können?

Sollte Christus nicht von der erbärmlichen Torheit dieser Sünde heilen und stetig rein erhalten können?

Alle Art von Unkeuschheit in Gedanken und Begierden hindert und betrübt auch wenn es nicht zu Worten und Taten kommt den Heiligen Geist in seiner Wirksamkeit. Deshalb gilt es alle unkeuschen Reden und Taten entschieden zu hassen und wie Joseph lieber sterben und wollen als ein solch Übel wider Gott tun.

Wo Christus und der Heilige Geist im Herzen sind und das Herz beseligen kann mit wahrer Gottesliebe und Eifer für Gottes Reich, da müssen die sündlichen Lüste weichen.

Weil so das Gemütsleben der Seele in heiligen, reinen Dingen volle Befriedigung und Freude findet, darum dürstet es nicht mehr nach diesem ungesunden Sumpfwasser, das desto durstiger macht, je mehr man davon trinkt.

Denn die Macht der unkeuschen Lust liegt nicht vor allem, wie viele meinen, in den Trieben des Leibes, sondern wie eine gründliche Erkenntnis unserer Seelentätigkeit und die Erfahrung lehrt darin, dass der unausrottbare Glückseligkeitstrieb des Menschen in Gott und seiner Liebe und in edlen, heiligen Bestrebungen und Gefühlen noch nicht volles Genüge gefunden hat und darum immer wieder auf diese Lust, die ihm allein Leib und Seele befriedigen können scheint, verfällt.

Deshalb reicht die Vernunftüberzeugung und die Torheit und Verderblichkeit dieser Lüste und die Furcht vor der Hölle nicht aus, um den Christen frei und siegreich zu machen. Denn solange die Seele nicht Freiheit, Ruhe, Friede, Befriedigung, Seligkeit und einen beglückenden Lebenszweck in der Aufopferung für Christus und die Mitmenschen gefunden hat und in göttlichem Lebenswasser getränkt wird, ist ihr Durst nach fleischlicher Glückseligkeit so unvertilgbar, dass sie immer wieder, nach dem als schädlichem Sumpfwasser, erkannten Lust von neuem durstig und begierig wird.

Wie es sich mit dem sündlichen Begehren nach unkeuschen Dingen verhält, so steht es auch mit den Gedankensünden des Neides, des Hasses, des Geizes, der ungläubigen Sorge usw. Auch diese Lüste können und müssen in der Glaubenshingabe an Christus so gekreuzigt gehalten werden, dass sie das Herz nicht mehr beherrschen und verunreinigen dürfen. Auch von all diesen Sünden hat uns Christus erlöst und ist unser steter, mächtiger Erlöser, so dass wir von ihnen innerlich freigemacht und ihre Versuchungen fortwährend besiegend die entsprechenden Tugenden des lebendigen, auferstandenen Christus in uns wohnend haben sollen und können. es soll nicht beim Christen so sein und bleiben, dass er sich bei der Selbstprüfung sahen muss: Ich hasse und fliehe diese Sünden wohl, aber ich habe doch noch geheime Liebe und Gefallen an ihnen und sie haben noch Macht über mich und fällen mich ohne Aufhören und ich habe keine Auferstehungskraft, das Gute, Wahre, Edle und Reine zu lieben und in Ihm glücklich zu leben.

Der Christ soll und kann vielmehr rein werden und rein bleiben von allen Sünden und allen Unreinigkeiten, welche seine innere Gemeinschaft mit Gott und seinen Frieden in Jesus wirklich zu unterbrechen geneigt sind.

Jede Versuchung verursacht nicht immer eine innere Verunreinigung.

Aber der gläubige und geheiligte Christ hat doch auch mancherlei Versuchungen zum Bösen zu bestehen! Ist den nicht eine Versuchung ein Beweis, dass wir sündig und unrein sind, und bringt nicht jede Versuchung Befleckung und Schuld auf unser Gewissen?

Es gibt viele treue Christen, welche so denken und welche zwischen Versuchung und Sünde nicht unterscheiden können.

Jesus ist versucht worden gleich wie wir, doch ohne Sünden. Wäre jede Versuchung mit einer Sünde verbunden, so hätte Jesus demzufolge nicht rein bleiben können. Dann könnte Jakobus nicht sagen: „Meine lieben Brüder achtet es für Freude, wenn ihr in mancherlei Versuchung fallet.“

Wer jede Versuchung für eine Versündigung hält, der kann nie ein gutes, fröhliches Gewissen haben, der wird immer in einem geängstigten Wesen stehen.

Gedanken an bestimmte Sünden und an unsere Wahlfreiheit, eine bestimmte Sünde zu tun, sind noch keine Gedankensünden, solange unser Begehrungsvermögen, unser Wille und Gefühl nicht in sündlicher Weise freiwillig und wohlgefällig darauf eingeht und so sich verunreinigt.

Für das Hervortreten solcher Gedanken sind wir nicht verantwortlich, dies liegt nicht in unserer Wahlfreiheit. Hierher gehört das alt bekannte Gleichnis: „Du kannst nicht verhindern, dass über deinem Kopf Vögel fliegen; aber du kannst wohl verhindern, dass sie sich darauf setzen und ein Netz machen.“

Wenn so der alte Mensch und das Fleisch mit Christus durch den Glauben im Heiligen Geist wirklich gekreuzigt und begraben ist, wie das Evangelium es klar bezeugt (Röm. 6,6), so hat der Christ das Recht, den alten Menschen und das Fleisch als etwas Aussenstehendes zu betrachten, von dem er durch das Kreuz Christi tatsächlich getrennt und geschieden ist, solange er in Jesus bleibt.

Er darf getrost glauben, dass Jesu Blut ihm näher ist als sein Fleisch, ja, dass Jesu Blut und Kreuz zwischen ihm und dem Fleisch als ein zwar durchsichtiger, aber fester Schild steht.

Demütigend sind dem Christen diese aufsteigenden versuchlichen Gedanken; sie zeigen ihm immer wieder, wie er Christi Blut, Wort und Geist täglich zur bleibenden Vergebung und Reinigung bedarf, aber sie bringen ihm kein böses Gewissen.

Von diesen Versuchungen singt Woltersdorf: „Und was von Sünden übrig bleibt ist Not, die uns zum Helfer treibt.“

Jak. 1,2 – 5

Eine sehr wichtige und schwierige Stelle in Bezug auf die Versuchungen ist dieser Text. Vers 12: „12 Glückselig der Mann, der die Versuchung erduldet! Denn nachdem er bewährt ist, wird er den Siegeskranz des Lebens empfangen, den der Herr denen verheißen hat, die ihn lieben.

13 Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand.

14 Ein jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird.

15 Danach, wenn die Begierde empfangen hat, bringt sie Sünde hervor; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.

Es scheint hier ein Widerspruch vorzuliegen; denn einmal wird die Versuchung (V 2+12) für etwas Gutes erklärt, wie auch in diesem Sinne die Schrift ganz bestimmt sagt: „Gott versuchte Abraham.“ Dann wieder wird erklärt, dass die Versuchung aus der eigenen bösen Lust komme und die Sünde gebäre.

Es gleicht sich dieser Widerspruch so aus, dass Jakobus hier die Versuchung nach zwei Seiten hin unterscheidet. Einerseits ist die Versuchung eine von Gott gebotene Gelegenheit, unsere Treue zu beweisen und in geistlicher Kraft und Erkenntnis zu wachsen; andererseits ist die Versuchung oder der Umstand, welcher uns versucht, eine Gelegenheit, welcher die Lust zur bestimmten Sünde

in uns wachrufen will und nach welcher dann die wachgerufene Lust greift, um uns in Sünde zu bringen.

Jakobus verwahrt sich nun dagegen, dass jemand, der zum Bösen erregt, angelockt und verführt wird, sage, dass diese Verführung von Gott komme. Gott kann nicht zum Bösen versuchen, er ist immer für Heiligkeit.

Von unwissentlichen Übertretungen der Gebote Gottes und von Schwachheiten wird der geheiligte und gereinigte Christ nie frei.

Wenn wir nach der Schrift lehren müssen, dass der Christ ein reines Herz haben kann und nicht zu sündigen braucht, so müssen wir aber dabei auf das klarste hervorheben und betonen, dass der Christ durch völligen Glauben und völlige Hingabe an Christi Heiligungskraft nicht von allen unwissentlichen Sünden und nachher ins Bewusstsein tretenden Unterlassungen des Guten und nicht von den Fehlern und ungerechten Handlungen, die aus mangelhafter Erkenntnis hervorgehen, befreit wird6).

Joh. 15,2 Hebr. 12, 1-2 Reines Herz und Züchtigungen

Ein Christ, dem Gottes Wort ein reines Herz und Heiligkeit zuspricht, ist darum nicht darüber hinaus, dass er tieferer Reinigung und Heiligung bedarf. Gerade der geheiligte Christ soll der Heiligung nachjagen. Wichtig ist hierfür Vers 15,2

„Eine jeglichen Reben, die da Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes Willen, dass ich zu euch geredet habe.“ Die in Jesu bleibende Rebe bringt Frucht, sündigt nicht und ist rein. Aber obwohl er rein ist, muss er doch gereinigt werden. Natürlich nicht von absichtlichen Sünden, sondern von den unnützen Schösslingen, d.h. von unerkannten Fehlern und unnützen Dingen.

Diese Art von Reinigung ist beim Weinstock und beim Christen eine fortwährende und allmähliche; sie kann nicht auf einmal geschehen. Es ist ja ein gutes Zeichen für die Kraft und die Gesundheit einer Rebe, wenn sie so viele Schösslinge hat, dass viele derselben abgeschnitten werden müssen. Es wäre unmöglich den Weinstock ein für allemal zu reinigen. Darum bedürfen auch die geheiligten Gotteskinder noch des Winzers Messer, des Leidens zu ihrer Reinigung und zu ihrer Vollendung in der Heiligung (Hebr. 12,1-2). Die Leidensschule ist ihnen nötig, um in der Demut erhalten zu werden, um von der Überschätzung irdischer Güter freier zu werden, um eine himmlische Richtung zu bekommen, um in der Gemeinschaft des Leidens und des Todes Christi tiefer einzudringen (Phil. 3,10 / 2. Kor. 4,10-11 / 6,9). Denn es geht stets nur durch Sterben mit Christus zum Leben mit Christus. Der alte Mensch ist bei solchen Christen wie Paulus wirklich gekreuzigt und Gott sieht sie las der Sünde gestorbene Heilige an und doch vertieft sich das Sterben des alten Menschen noch täglich. Der geheiligte Christ muss bei den Übungen der Geduld, der Entsagung, der Ergebung, des Verzichtens auf irdisch Herrlichkeit immer besser das Sterben und das Gestorbensein lernen und selig erfahren.

Marcarius Ɨ 391 schreibt dazu:

Was ist den dieser vollkommene Wille Gottes zu welchem der Apostel jeden von uns ermahnt? Es ist vollkommene Reinheit von der Sünde, Freiheit von allen Schmachvollen Leidenschaften und Erlangung vollkommenen Tugend, das ist die Reinigung des Herzens durch die vollkommene, erfahrungsmässige Gemeinschaft mit dem vollkommenen, göttlichen Geiste. Diejenigen welche sagen es sei unmöglich, zur Vollkommenheit und zur endlichen, gänzlichen Unterjochung der Leidenschaften und Innewohnung des guten Heiligen Geistes zu gelangen, müssen wir das Zeugnis der heiligen Schrift entgegen stellen und denselben beweisen, dass sie unwissend sind und fälschlich und anmassend reden. Der vollkommene Gotteswille, von dem Paulus redet und wozu er uns ermahnt, ist vollkommene Freiheit von der Sünde, von allen bösen Lüsten und die Ausübung vollkommener Tugend.

Wahres Streben nach reinem Herzen hat nur Gottes Ehre im Auge.

Sehr wichtig ist auch beim Gebet um Wachstum in der Heiligung und um Erlangung und Bewahrung eines reinen Herzens, dass der Beweggrund zu solchem Streben nicht der sei, dass wir an uns gern viel Heiligkeit sehen möchten, um uns über unseren Fortschritt zu freuen, sondern dass wir rein und heilig sein wollen, um als Jesu verlobte Braut Jesus zu gefallen, Seinem Namen und seiner mächtigen Erlösung aus der tiefen, sündlichen Verderbtheit Ehre zu machen und um dem Herrn brauchbarer zu seinem Dienst zu werden. Der wahre Christ ist bedacht, in den weissen Kleidern der Gerechtigkeit zu wandeln, nicht um sich selbstgefällig zu betrachten zu können oder von anderen Christen gelobt zu werden, sondern nur um Jesu zu gefallen und seinen Ruhm zu vermehren, wie dies der Inhalt der ersten drei Bitten des Vaterunsers ist.

An sich selbst soll der geheiligte Christ nie suchen Gefallen zu haben, sondern immer im Herzen zu behalten, wie elend und sündig er ohne Jesus ist und wie er nur in Jesus rein sein kann und alle Ehre ganz allein dem Lamme geben, das seine sündenkranke, grundverderbte Seele von den Sünden gewaschen und gereinigt hat in seinem Blute.

Gotteslamm, das Herz ist deine,
Mein Herz ist dein Eigentum,
Mein Beflecktsein oder Reine,
Macht dir Schande oder Ruhm.

Die Vernunft sagt: Werde heilig, damit du es bist! Der Glaube spricht: Du bist heilig, also werde es auch. Du bist es in Christus, werde es nun in dir selbst.

Man wird die Sünde nicht schrittweise los, man bricht mit ihr.

Die Bibel ermahnt uns in der gegenwärtigen Heiligungskraft Jesu jetzt zu leben und zu wandeln.

Solange der Christ nicht im Glauben Christus mit seinen Siegeskräften jetzt, so schwach er auch in sich selbst ist, sich aneignet - hat die Sünde in ihm noch Lebenskraft und Lebensberechtigung und das Fleisch behauptet sein Recht.

Er mag gegen in inneren Sünden beten und kämpfen so viel er will; wenn er diesen Glauben nicht hat, so betet er sich in diese Sündenmächte hinein und wird mehr in sich verstrickt, als das er herauskommt.

Fasten, Bibellesen und gute Werke bringen auch keine wirkliche Hilfe. Die arme Seele hofft für morgen auf Sieg, aber das siegreiche Morgen kommt nie; im Gegenteil, sie fühlt sich immer sündiger und schwächer zu diesem fruchtlosen Kampfe. Die Gefahr ist da gross, dass sie mit den inneren Sünden einen faulen Frieden schliesst.

Denn wer durch Glauben und Werke in eigener Anstrengung und Führung die Reinigung und Heiligung ersterbt, wird immer wieder unter das Gesetz und die Sünde geraten.

Wer die Heiligung so missverstehen würde, als könnte er durch einen einmaligen Akt der Herzensübergabe und des Glaubens von der Macht der inneren Sünden auf einmal frei sein, so dass es damit abgetan wäre und er sich auf jene vergangene innere Erfahrung stützen könnte, der würde sich stark betrügen.

Er verliesse sich ja dann nicht auf den gegenwärtigen, lebendigen Christus, sondern auf ein vergangenes eigenes Werk und auf eine innere Stufe der Heiligkeit, die er in sich erlangt zu haben meinte.

Der nach Gerechtigkeit hungrige Gläubige empfängt durch völlige Herzensübergabe nicht einen eigenen, selbstständigen Schatz von Heiligungskräften.

Die Gläubigen haben nicht einen besonderen Grad eigener Heiligkeit erreicht, sondern nur, dass sie schlussendlich, vom Heiligen Geist getrieben, eine Glaubensstellung einnehmen, in der sie auf Grund der klaren Verheissungen und Aussagen des Evangeliums sich in Lebensverbindung mit Christus für der Sünde und der Unreinheit Gestorbene und der Gerechtigkeit Lebende halten, so dass sie wissen: In jeder Versuchung haben wir in Jesus gewissen Sieg und brauchen nicht mehr zu sündigen.

Der Christ soll nie versuchen, einen Vorrat von Heiligung und Kraft in sich zu haben, sondern jeden Morgen arm aufstehen, um sich der gegenwärtigen Gnadenkräfte seines reichen Erlöser sich zu getrösten und sie anzueignen.

Der geheiligte Christ bleibt in sich arm, gänzlich arm an Kraft und Weisheit, aber er hat das Zutrauen, dass Jesus in seiner Weisheit ihn führt und ihn zu jeden nötigen Werke und Kampfe die nötigen Gnadenkräfte schenkt.

Gott gefällt, was Christus in uns wirkt, aber nicht was wir in unserer eigenen Kraft, Güte und Weisheit tun.

Das herzliche, feste Vertrauen auf die gegenwärtige Heiligungsmacht und bewahrende Führung Jesu ist kein Hochmut und keine Anmassung.

Weil der Christ so nichts in sich haben und sich nicht selbst in seiner Weisheit führen will, darum ist es auch für das aufrichtig nach Heiligung hungrige Gotteskind keine kühne Anmassung und kein Hochmut, dies Vertrauen zu Jesus zu fassen.

Röm. 10, 2-4 “…Denn das Endziel des Gesetzes ist: Christus zur Gerechtigkeit für jeden, der da glaubt.“

Der Glaube an eine gegenwärtige Rechtfertigungsgnade und der Glaube an eine gegenwärtige Heiligungsgnade hängen zusammen und stärken einander.

Wenn einer um Vergebung und Frieden mit Gott bekümmerten Seele aus Gottes Wort bezeugt wird: „Glaube dass Christus von all deiner Sündenangst und von Gewissensdruck dein Versöhner und Erlöser ist und wirf dich jetzt deinem Erlöser in die Arme und höre auf, dich zu quälen mit eigener Reue und eigenem Büssen,“ da kann sie es nicht fassen. Sie denkt oder fragt: „Heute kann ich diese grosse Gnade, die völlige Vergebung noch nicht annehmen, das muss nach und nach kommen, wenn meine Reue noch tiefer geworden ist, wenn ich mehr mit Andacht gebetet habe und frömmer geworden bin. Es wäre Anmassung und Verwegenheit, das jetzt schon zu glauben.“ So bleibt die Seele stehen in ihrer Not und kommt in Gefahr zu verzweifeln, oder wenn das Feuer des Heilsverlangens matter wird, wieder in die alte, fleischliche Sicherheit, Selbstgerechtigkeit und Weltverliebtheit zurücksinken.

So lange sie, die Seele, Christus mit seiner gegenwärtigen Gnade nicht schon jetzt, so elend und sündig wie sie ist, annehmen will, kann sie nicht glauben und im Glauben ihres Heilands froh werden.

Ebenso machen es viele nach Erlösung von inneren Sündenbanden hungrige Gotteskinder. Jetzt gleich im Glauben der Erlösungsmacht Christi zu vertrauen, erscheint ihnen als Anmassung. Sie wollen erst nach und nach heiliger werden, ein Schwächerwerden ihres alten Adam und ein Stärkerwerden ihres neuen Menschen spürbar erfahren und dann auf Grund solcher Selbstheiligungsarbeit an Christi Gnadenmacht glauben.

Auf diese Weise werden ihnen die vielen, dem Christen schon auf Erden zum gegenwärtigen Besitz geschenkten Besitz geschenkten Gnadengüter und Siegeskräfte zu lauter unerreichbarer Zukunftsdingen.

Es ist traurig, dass so viele Christen, die gerne bekennen, dass Rechtfertigung und Heiligung alles Gnade und Gabe ist und dass sie ohne Jesus nichts tun können - doch das was sie als Gnade und Gabe erklären, nicht zum gegenwärtigen Besitz und zur allezeit gegenwärtigen Hilfe sich aneignen wagen.

Jesus selbst bietet sich allen nach heiligen Wandel hungrigen Gläubigen zur Erlösung, zur Heiligung, zum Siege, zum Schild, zum Weinstock, zum Licht, zu Leben, zum sicheren vor Sündenwegen bewahrenden Führer und Hirten, als das heiligende Haupt. Ja, Er sagt ihnen: „Ich bin dies alles schon längst für euch, braucht mich doch so im hingegebenen Vertrauen!“

Dennoch wagen die Seelen durch Irrtümer eigener Gesetzesgerechtigkeit, die ihnen noch über dem Evangelium von der völligen, gegenwärtigen Erlösung liegen, (oft auch durch eine heimliche Sündenliebe verhindert) nicht, Jesus dankbar und fröhlich zu ihrem Ein und Alles auch in der Heiligung durch die gnädige Erleuchtung des Heiligen Geistes anzunehmen.

Im heiligen Abendmahl bietet sich uns Jesus zur gegenwärtigen Heiligung dar.

Besonders klar tritt die Verkehrtheit in die Augen, wenn wir uns in die Bedeutung und Gabe des heiligen Abendmahls vertiefen. Jeder gläubige Christ, welcher im heiligen Abendmahl den wahrhaftigen Sohn Gottes zu sich sagen hört: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben ist,“ sollte doch anerkennen, dass er hier das Gnadenrecht und die heilige Pflicht hat, den ganzen Christus für sich und in sich als sein volles, gegenwärtiges Heil, Lebensbrot, Erlösung und Sieg jetzt im Glauben anzunehmen und zu behalten. Denn wozu sonst macht Christus Wohnung im Herzen, als um darin durchs Wort im Heiligen Geistes als eine stets gegenwärtige Lebensquelle und siegreiche Hilfe zu bleiben, damit der Gläubige jeden Augenblick bei allen Versuchungen den Siegesruf sprechen könne: „Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt! Jesus erlöst mich jetzt und immerdar!“ Das Passahmahl war die Feier nicht nur der Schuldvergebung, sondern auch der Erlösung aus Ägyptens Knechtschaft und Unreinigkeit. Das Mahl des neuen Bundes ist deshalb auch nicht bloss die Feier der Schuldvergebung durch Jesu Blut, sondern Jesus bietet uns hier seinen Leib und sein Blut, oder seine für uns geopferte und verklärte Menschheit, zur Erlösung von aller Sündenschuld, Sündenbande und Sündenunreinheit und zugleich zur innerlichen Heiligung und Belebung dar, um unser gegenwärtiges, stetiges Leben zu sein und zu bleiben.

Einwendungen gegen die Gegenwärtigkeit der Heiligungsmacht Christi aus missverstandenen Schriftstellen.

Aber werden nicht in einer Anzahl von Stellen alle Gläubigen ermahnt, fortwährend die Sündenglieder zu töten, den alten Menschen abzulegen, das Fleisch zu kreuzigen, die Sünde abzulegen? Hieraus scheint doch zu folgen, dass es für das nach Sieg und Gerechtigkeit tief hungrige Gotteskind nicht möglich ist, in einem stetigen Sieg über die Sünde jetzt einzutreten und die sündlichen Triebe in den Tod Christi zu begraben und begraben zu halten. Es scheint doch dadurch gelehrt zu sein, dass es für die Gläubigen ein langsames Ertöten des immer wieder täglich in sündlichen, unreinen Werken sich offenbarenden Fleisches gibt.

Dieser Einwand widerlegt sich aber nicht nur durch andere Bibelstellen, welche klar das Gegenteil aussagen, sondern auch durch den genauen Wortlaut und Zusammenhang dieser Stellen im Grundtext. In allen diesen Stellen steht der Befehl oder die Ermahnung im Aorist (eine griechische Zeitform der Vergangenheit) und nicht in der Gegenwart.

Darum ist es hier wohl für den des Griechisch Kundigen nötig, noch einmal auf die schon öfters erwähnte Bedeutung des Aoristus zurück zu kommen. Unsere Behauptung, dass der Konjunktiv, Optativ, Infinitiv und Imperativ des Aoristen nicht eine fortwährend in gleicher Weise sich wiederholende und zu keinem abschliessenden Resultat kommende Handlung bezeichnen will, hat alle griechischen Grammatiker für sich7).

Die neuen Schulgrammatiken betonen diese Bedeutung von Anfang an, so steht z.B. in dem Griechischen Schulgrammatik von Dr. Ernst Koch, dass der Aoristus eine abgeschlossene Handlung ist.

Der Konjunktiv, Optativ und Infinitiv bezeichnen die Handlungen als abgeschlossen. Mit dem Imperativ, befiehlt man, dass eine Handlung nicht nur begonnen, sondern auch abgeschlossen werde.

In Luthers Übersetzungen findet dieser wichtige Unterschied keinen Ausdruck; so ist sogar der Indikativ und das Partizip mit der Gegenwart übersetzt z.B.: Hebr. 12, 1-2 / Eph. 4,21-25 / Gal. 5,24 und dadurch wird das Dringen des Grundtextes auf entschiedene Ablegung der Sünde und des alten Menschen (welche schon geschehen ist) verwischt.

So besonders auch in Kol. 3.9-10: „Ziehet den alten Menschen mit seinen Werken aus und ziehet den neuen an…

Während es nach dem Grundtext heisst: „Ausgezogen habend den alten Menschen mit seinen Werken und angezogen habend den neuen Menschen….

Dass diese Bedeutung des Aoristus auch im neutestamentlichen Griechisch gilt, bezeugt Winer: Der Unterschied zwischen Aorist Imperativ und Präsenz wird leicht erkennbar festgehalten:

a) Der Aorist Imperativ und Präsenz Imperativ steht vor einer, entweder schnell vorübergehenden und unverzüglich eintreten sollenden oder doch nur einmal vorzunehmenden Handlung. Mark. 1,44: „Zeige dich dem Priester, siehe auch Kol. 3,5 und Eph. 6,13.

b) Der Präsenz Imperativ von einer bereits begonnenen und fortzusetzenden oder andauerden und öfters sich wiederholenden Handlung.

Aus diesen Stellen ergibt sich, dass man bisher bei der Auslegung des neuen Testament diesen wichtigen Unterschied nicht genug beobachtet und dadurch den ursprünglichen Sinn verdunkelt hat.

„Wirf das Kleid um…(sofortige und abgeschlossene Handlung)…und folge mir (jetzt beginnende und fortgesetzte Handlung).

Die Stelle in 1. Kor. 9,21-17 wird oft angeführt, um zu beweisen, dass auch Paulus stets in sich Verunreinigungen durch die Sünde gespürt habe.

Aber diese Auslegung spricht nicht nur gegen die vielen Stellen, wo er einen heiligen und unsträflichen Wandel geführt, sondern auch gegen den Zusammenhang, wo er gerade von seiner ganz selbstlose Hingabe an die Sache Christi redet und sagt, dass er nicht Luftstreiche mache im Kampfe, sondern siegreich zu ringen verstehe.

Vers 27: „Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, auf dass ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde.“ Dieser Vers hat für alle Ausleger seine Schwierigkeiten. Es scheint, dass Paulus seinen Leib gequält habe. Aus diesem Verse leitet die röm. katholische Kirche die Selbstgeisselung und Abmarterung und übt sie noch heute in den Klöstern.

Man könnte ein dickes Buch schreiben, wie viel Unheil und fanatische Torheit der Missverstand dieser Stelle hervorgerufen und genährt hat.

Weil die Grundbedeutung des griech. Wortes „schlagen“ ist, so hat man den hier doch so naheliegenden biblischen Sinn nicht einsehen wollen. Dass hier nicht vom Zerschlagen des Leibes die Rede sein kann, sagt der Zusammenhang und die ganze Lehre des Paulus. Man kann nach dem Zusammenhange am ersten an die Rücksichtslosigkeit sich denken mit dem Paulus seinem Leibe Strapazen, Leiden und Entbehrungen aller Art zumutete.

Das feste Vertrauen und die völlige Hingabe an die Erlösungsmacht Christi, die ein rechter Christ hat, steht auch, wie oben schon gezeigt, mit dem Nüchternsein, dem Wachen, Ringen, Kämpfen und Fürchten, durchaus nicht im Widerspruch.

Was zuerst das Nüchternsein betrifft, so wird mit dem Wort „nüchtern“ jetzt im deutschen religiösen Sprachgebrauche ein grosser Missbrauch getrieben. Man versteht unter religiöser Nüchternheit eine Geistesrichtung, die alle geistlichen Dinge rein mit dem Verstande und sogenannter wissenschaftlicher Kritik von einem kühlen, erhaben sein wollenden Standpunkte auffasst, Man nennt den Christen und Theologen „nüchtern“, der bei allen geistlichen Vorgängen (wie religiöse Erweckungen, Bekehrungen und Gebetserhörungen) das meiste auf rein natürliche Ursachen und Wirkungen zurückführt und sich gegen alles, was sich als Erweisung des Heiligen Geistes und der unsichtbaren Welt kund tut, sehr misstrauisch verhält, der deshalb auch selbst in seinen Gesprächen, Gebeten, Reden und Handlungen wenig von begeisterter Liebe zu Jesus und zu den Brüdern, von mutigem Vertrauen auf Christi Erlösungsmacht und von Hingabe an die Leitung des Heiligen Geistes offenbart.

Die Bibel versteht unter Nüchternheit das Freisein von Berauschung durch weltliche und fleischliche Dinge.

Also Berauschung durch weltliche Wissenschaft, Kunst, durch Nationalstolz und Parteistolz, durch Ehrfurcht, Menschengefälligkeit, durch feinere und gröbere Wollust, durch Geldgier, durch Üppigkeit, Luxus, Weichlichkeit und Unmässigkeit in Essen und Trinken, in Kleidung und Wohnung, durch Überschätzung der Güter dieser Welt und Vergessen der unsichtbaren Welt und Kräfte, aber auch durch Schwärmerischen Mystizismus ist unnüchtern.

1. Kor. 15,34: „Werdet recht nüchtern und sündigt nicht.“

1. Petr. 4,8: „Seid mässig und nüchtern zum Gebet.“

Also alles, was uns am Gebet hindert, das macht uns unnüchtern. Aber alles, was zum Gebet wach erhält und uns die Augen offenhält für die ewigen Dinge, für die Gefahr der Dämonenwelt und der Hölle, für die Seligkeit des Himmels und für die unsichtbare aber wirkliche Gegenwart Christi und der himmlischen Welt, das macht uns nüchtern und bewahrt uns vor der ungläubigen Welttrunkenheit. 1.Petr. 5,8: „Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel…“ Also, wer ein so geöffnetes Auge hat, dass er in vielen Dingen des Teufels und der Dämonen Nähe und Versuchung bald erkennt, der ist nüchtern.

Was die Ermahnung zum Wachen betrifft, so steht es so: Gerade nachdem der Christ ein festes Zutrauen zu der stets gegenwärtigen Hilfe Jesu gefasst hat, soll der Christ „wachen“. Die Wachsamkeit geschieht in dem Bewusstsein, dass man von den Gefahren von innen und aussen umgeben ist.

Aber das wäre keine rechte Wachsamkeit für den Streiter Christi, wenn er nur auf seine Feinde sähe und wenig oder gar nicht auf seinen stets helfenden, mächtigen Erlöser und dadurch zuletzt so ängstlich würde, dass er sich auf die Flucht begäbe. Wenn wir wissen, dass uns die Feinde zu mächtig sind, so müssen wir unsere Wachsamkeit darauf richten, dass wir in der Nähe unseres mächtigen Erlösers und Hirten bleiben. Das Schaf hat nicht zu wachen darüber, ob ein Wolf kommt; dazu ist es zu unwissend und kurzsichtig. Das tut der Hirte.

Es hat aber zu wachen, dass es, wenn der Wolf plötzlich kommt, beim Hirten ist und ihn im Auge hat. Überhaupt meine niemand, dass er durch Wachsamkeit in den Gnadenstand und in den Besitz der Gnadenkräfte Christi nach und nach eintreten müsste. Das geschieht allein durch den Glauben.

Das Wachen ist für den geheiligten Christen besonders auch deshalb nötig, weil, wie schon oben erwähnt, die Erfahrung lehrt, dass Satan, ihn dadurch oft zu fällen sucht, dass er ihn auf bestimmten Gebieten gar nicht mehr abgreift. Dadurch kann dann der Christ ein solches Bewusstsein von seiner Reinheit und inneren Freiheit in Bezug auf bestimmte Sünden bekommen und vergisst, dass in seiner Natur noch sündlicher Zunder vorhanden ist, wenn er ihn auch nicht bemerkt und fühlt.

Der rechte Weg zum wahren christlichen Werden und Wachsen in der Gnade ist das dankbare gläubige Annehmen der uns im Worte der Wahrheit dargebotenen gegenwärtigen Gnadenmacht Christi.

Wenn uns die Bibel die Heiligungskräfte Jesu als gegenwärtig hinstellt und uns zur Annahme ermahnt, so will sie nichts weiter, als dies verhüten, dass wir immer auf ein Werden hoffen, ohne je etwas zu sein und zu werden8).

1)
Wenn ein vor drei Jahren geretteter Trinker in einer Versammlung sagt: Jesus kann die schlimmsten Trinker retten, unter welchen ich der Vornehmste (Grösste) bin, so meint er damit nicht, dass er jetzt noch ein Trinker wäre, so wäre er nicht befreit davon.
2)
Die Behauptung, dass alle Christen, also auch Johannes, Petrus, Paulus und alle apostolischen Christen täglich viel Sünde getan und kein reines Herz gehabt hätten, nimmt auch dem Glauben an die Richtigkeit und Wahrheit ihrer apostolischen Verkündigung und ihrer Aussagen über das rechte Leben in Christus und damit der Glaubwürdigkeit und der Autorität des neuen Testaments die Grundlage. Richtige Erkenntnis und reines Herz, Irrtum und sündige Selbstsucht hängen innig zusammen, Nur so weit wie ein den Christ den reinigenden Tod und das heiligende Leben Christi in sich hat, kann er tiefere Wahrheiten verstehen und über Christus und das christliche Leben rechte Erkenntnis haben. Müssten wir also zugestehen, dass Johannes, Petrus und Paulus noch in einigen Bereichen „unter die Sünde verkauft“ und unreines Herzens gewesen seien, so könnte auch das, was sie über das Glaubensleben und die Heiligung in Christus sagen, uns nicht als unbedingt zuverlässig und richtig gelten.
Die Apostel hätten dann ja auch in Selbstverblendung von sich ausgesagt, dass Christus in ihnen und sie in Christus lebten und dass sie reines Herzens, unsträflich und gottwohlgefällig den anderen Christen zum Vorbild lebten. Was nütze uns dann die Überzeugung, dass eine Schrift von Paulus oder Johannes oder Petrus geschrieben ist, wenn diese auch in sündiges Wesen gebunden waren und darum in ihren Aussagen über das Heil in Christus und den echten christlichen Wandel irren konnten.
3)
Für alle die mutwilligen, bewussten Übertretungen des Gesetzes Moses gab es im alten Testament kein Opfer. Der Sünder musste sterben ohne Barmherzigkeit (5. Mo. 13, 7-12 / Hebr. 10,28
4)
Dass Jesus nicht jede Sünde für Bosheitssünde erklärt, geht klar aus Joh. 9,41 hervor, wo er sagt: „Wenn ihr blind wäret, so hättet ihr keine Sünde. Nun ihr aber sagt: wir sehen, so bleibt eure Sünde.“
5)
Das Wort in Matth. 5,48: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist, kann nicht von der absolut vollkommenen Heiligkeit Gottes, der wir gleich sein sollten gemeint sein. Denn sonst wäre es ein unvernünftiger Befehl, dem nachzustreben und dessen Ausführung zu versuchen und zu erwarten, eine Verkehrtheit, ja eine Hochmutssünde in sich schlösse. Es wird nach dem Zusammenhange bedeuten: Ihr dürft nicht so selbstsüchtig-menschlich lieben und wohl tun, dass ihr nur euren Freunden etc. von denen ihr hofft, wieder Wohltat zu erlangen, Gutes tut. Ihr müsst von der Liebe Gottes in Christus getrieben, in der vollkommenen, d.h. richtigen, völligen, selbstlosen Weise Liebe üben, wie Gott, der auch den Bösen Gutes tut und Wohltat erweist den Verkehrten.
6)
Eine merkwürdige Stelle ist nach dem Grundtext Ps. 19.13-14: „Verirrungen - wer merkt sie? Vom Verborgenen spricht mich los! Auch vor Überhebung bewahre deinen Knecht! Möge sie nicht über mich herrschen! Dann werde ich vollkommen sein und los gesprochen von grosser Missetat.“ Es wird hier vom alttestamentlichen Gläubigen gesagt, dass er verborgene Verirrungen oder Fehler habe und doch vollkommen sein könne.
7)
Als ich 1880 in der ersten Auflage dieses Buches auf die Wichtigkeit der richtigen Bedeutung des Griechischen Aoristen und Griechischen Perfektum für eine richtige Heiligungslehre als der erste aufmerksam machte, wurde dies von vielen ignoriert. Aber jetzt, nachdem 22 Jahren hindurch mich niemand widerlegt hat und mir viele gute Kenner des Griechischen zugestimmt haben, kann ich meine Feststellungen wohl als erwiesen behaupten.
8)
Wie im natürlichen Leben, geht es im Christentum nicht vom Werden zum Sein in Christus, sondern vom Sein in Christus durch die Glaubenshingabe zum Werden und Wachsen in Christus, durch den Glauben. Nicht erst in Christus hineinwachsen und dann in Ihm sein, sondern umgekehrt.
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