Jacoby, Carl Johann Hermann - Der erste Brief des Apostels Johannes in Predigten ausgelegt - IV. Der Dienst der Liebe.

Jacoby, Carl Johann Hermann - Der erste Brief des Apostels Johannes in Predigten ausgelegt - IV. Der Dienst der Liebe.

In der ersten Hälfte des Januar 1889 gehalten.

1. Joh. 2,7-11.
Brüder, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte Gebot, das ihr habt von Anfang gehabt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr von Anfang gehört habt. Wiederum ein neues Gebot schreibe ich euch, das da wahrhaftig ist bei ihm und bei euch; denn die Finsternis ist vergangen, und das wahre Licht scheint jetzt. Wer da sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht und ist kein Ärgernis bei ihm. Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in Finsternis und wandelt in Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet.

Zum ersten Male im neuen Jahre an dieser geweihten Stätte vereinigt, blicken wir auf das geschiedene Jahr zurück, das so schwere Opfer von unserm Volke gefordert hat und vielleicht auch manchem unter uns Wunden geschlagen, die nicht vernarben wollen, und Lasten aufgelegt, die nur mit Mühe getragen werden, aber wir lassen unser Auge nicht auf der Vergangenheit weilen, sondern richten es auf die Gegenwart, dankbar dem Herrn, der uns über die Schwelle des neuen Jahres geführt hat, dass wir von neuem seine Wunder schauen, seine Gnaden erfahren, am Bau seines Reiches arbeiten, in seinem Dienst und für seinen Dienst uns heiligen.

Wir sind in das neue Jahr eingetreten, von Grüßen der Liebe und Freundschaft empfangen und sie erwidernd. Wie viele Worte der Liebe haben wir in diesen Tagen ausgetauscht, wie viele Wünsche für das Wohl unserer Lieben ausgesprochen, wie viele Wünsche für unser eignes Wohl vernommen! Werden sie in Erfüllung gehen? Meine Teuren, das Geschick unsers Lebens ist ein Gewebe, dessen Fäden unser Gott zu einem wunderbaren Kunstwerk zusammenfügt, und deshalb dürfen wir sorglos, mit kindlichem Vertrauen, in die Zukunft hineinblicken und ihr entgegen gehen. Unser Vater weiß, wessen wir bedürfen, und er gibt es uns nach seiner Weisheit zu seiner Zeit. Aber das Geschick unsers Lebens, sein Wohl und Wehe, ist auch ein Gewebe, dessen Fäden wir zusammenflechten, und, wenn es nicht als ein Kunstwerk der göttlichen Güte, als ein Denkmal, in dem sich seine Weisheit offenbart erscheint, sondern vielmehr als ein verworrenes und missfarbenes Zerrbild, dann legt es Zeugnis wider uns ab und klagt uns an, dass wir eigne, nicht Gottes Wege gegangen sind, Wege des Irrtums, der Sünde, des Verderbens. Denn der Mensch besitzt die Freiheit, Gottes Werk an und in seinem Leben zu stören und zu zerstören.

Aber so soll es nicht sein, so soll es nicht sein in diesem neuen Jahre. Wir geloben es heute, wir wollen Gottes Wege gehen, wir wollen seine Gebote halten, wir wollen in seinem Lichte wandeln. Und wohin weisen uns seine Wege? Auf ein Wirken in der Liebe. Was ist der Inhalt seiner Gebote? Sie fordern Liebe. Wann wandeln wir im Lichte Gottes? Wenn unser Wandel ein Wandel in der Liebe ist. So wollen wir uns denn heute von neuem in den Dienst der heiligen Liebe stellen und uns von neuem zu demselben verpflichten.

Der Dienst der Liebe

sei der Gegenstand unserer andächtigen Betrachtung. Wir erwägen, wie leicht derselbe ist, und doch wie schwer.

1.

Das Gebot der Bruderliebe ist ein leichtes Gebot, denn es ist ein altes Gebot, das wir von Anfang gehabt, von Anfang gehört haben. Als wir lebendige Christen wurden, als wir die frohe Botschaft in unser Herz aufnahmen, dass Gott in Christo unser Vater sei und uns zu seinen Kindern erwählt habe, dass er alle Menschen einlade, Kindesrechte in seinem Hause zu gewinnen, und dass alle, die im Glauben Christo ihr Herz erschließen, mit uns Kinder Gottes geworden sind, unsere Brüder und Schwestern, da erkannten wir es auch, dass der Dienst der Bruderliebe Gottes Gebot an uns sei. Und als wir in unseren Herzen die Vaterliebe Gottes erfuhren, welche unsere Schuld vergibt und uns von der Sünde befreit, als unser ganzes Leben, die Stunden der Freude und des Schmerzes, uns als ein Gewebe der Liebe des himmlischen Vaters erschien, der uns zum Sohne zieht, da spürten wir den Drang der Gegenliebe, die sich in der Bruderliebe erweist. Mit dem Evangelium zugleich ist das Gebot und die Kraft der Bruderliebe in die Welt eingetreten, und wir haben dies Gebot vernommen, und diese Kraft hat sich uns mitgeteilt, seitdem wir der Einladung in das Reich Gottes, in dem er seine Vaterliebe offenbart, gefolgt sind. Das Gebot der Liebe ist ein altes Gebot und deshalb auch ein leichtes Gebot. Denn, meine Lieben, es ist eine Erfahrung aller Erziehung, dass Forderungen, welche der Erzieher von Anfang ausgesprochen, die er immer wiederholt, die er an jedem Tage eingeprägt hat, gleichsam in Fleisch und Blut des Zöglings eingehen; er gewöhnt sich daran, ihnen zu gehorchen, und, je mehr er sich übt, sie zu erfüllen, desto leichter werden sie erfüllt. Freilich ist der Gehorsam, der hier geleistet wird, zuerst ein äußerer, gesetzlicher; Gebotenes wird getan, Verbotenes wird unterlassen, die Furcht vor Strafe, die Hoffnung auf Lohn bestimmen das Gemüt, aber je länger, desto mehr fangen wir an, die Gebote zu lieben, weil wir ihre Wahrheit, ihr Recht erkennen, und unser Gehorsam streift die Knechtsgestalt ab und wird ein freier, williger. So hat auch das Gebot der Bruderliebe die Herzen gewonnen; es ist ihnen nichts Fremdes geblieben, sie wissen, dass dasselbe eine unerlässliche Forderung des Evangeliums ist, und es findet sich wohl kein Christ, der nicht bezeugte, dass das Gebot der Bruderliebe ein schönes und herrliches, ja das schönste und herrlichste Gebot sei. Und darum ist die Christenheit auch so reich an Werken der Bruderliebe geworden. Wie umfassend und mannigfaltig erscheint das Arbeitsfeld der christlichen Liebestätigkeit in der Gegenwart! Wer vermöchte alle Fäden in dem großen Liebesnetz zu zählen, das sich in Vereinen aller Art über die leibliche und geistige Not ausbreitet, zu lindern, zu helfen, zu retten! Die barmherzige Liebe tritt in die Hütte des Armen, sie bricht den Hungernden das Brot und kleidet die Nackten; sie sucht die Verlorenen, die Verirrten, sie sucht, bis sie gefunden und in das Vaterhaus zurückgeführt hat. Sie wandert auch in die Ferne, überschreitet die Meere und verkündet der Heidenwelt, dass der Gott Himmels und der Erde ihr Vater geworden, dass er seinen eingebornen Sohn gesandt hat, sie zu versöhnen und zu erlösen, dass sie vertrauensvoll wie die lieben Kinder zu ihm beten dürfen, und dass uns im himmlischen Dasein eine Stadt des Friedens und der Seligkeit erbaut ist. Diese Liebe hat die Christenheit gelernt, weil das Gebot der Bruderliebe ein altes) Gebot ist, das ihr immer leichter geworden ist.

Freilich, wer dies Gebot im Sinne Gottes erfüllen will, darf sich nicht darauf beschränken, seiner Wahrheit zuzustimmen, und den Gehorsam gegen dasselbe sich abzuzwingen; nur da, wo ein freudiges Herz die Liebe beweist, wo des Bruders Leid als eignes Leid gefühlt wird, wo wir mitleidend auch des Bruders Last mittragen, da ist die Liebe vollkommen geworden, da spiegelt sich in ihr die Liebe Gottes selbst, da wirkt seine Kraft der Liebe in uns fort, da hat sie sich uns mitgeteilt. Denn das ist ja aller Heilswege Gottes Ziel, dass wir lernen, in seiner Liebe zu lieben. Deshalb hat er seinen eingebornen Sohn, Jesum Christum, zu uns gesandt, in dem seine Liebe Fleisch geworden ist. So hat seine Liebe unter uns gewohnt, damit sie in uns wohnen, unsere Kraft werden könne. Ist aber die Liebe Gottes unsere Liebe geworden, lebt sie in uns, dann ist das Gebot der Liebe für uns ein leichtes Gebot, denn in seiner Erfüllung gehorchen wir dem Gesetz des eignen Lebens.

An der Liebe Gottes zu uns ist unsere Liebe zu ihm und zu den Brüdern erwacht. Diese Liebe Gottes ist uns nahe gekommen, wirkend und pflegend, in der Liebe der Seinen. In ihr erkennen wir ihren Ausfluss, ihre Offenbarung. Und sie ist eine Macht geworden in der Welt. „Die Finsternis ist vergangen, oder, wie es genauer zu übersetzen ist, vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt,“ das ist das Zeugnis des Apostels Johannes. Das Licht der Liebe scheint, und die Finsternis des Hasses, der Zwietracht, der Selbstsucht vergeht. Es ist in Christus und durch Christus in der Welt licht geworden, es wird hier immer lichter. Die dunkeln Schatten weichen, und viele sind schon gewichen. Es ist wohl keiner unter uns, dessen Kindheit nicht das Licht der Liebe in seinen Strahlenglanz gehüllt hätte. Wir gedenken an Vater und Mutter, deren Liebe uns die Hände zum Gebet falten lehrte, deren erziehende Weisheit uns auf den Weg des Heils führte, die in unserm Glück ihr Glück suchte und oft genug schwere Opfer brachte, um des Kindes Herz mit Freude zu erfüllen. Wir gedenken aber auch der treuen Lehrer, welche über unsere Jugend wachten, die uns nicht bloß in hingebendem Eifer mit den Kenntnissen auszustatten suchten, welche den Geist bilden und zu erfolgreicher, gesegneter Wirksamkeit in irdischem Beruf vorbereiten, die sich zugleich die höhere, wichtigste Aufgabe stellten, uns zum Gehorsam, zur Wahrhaftigkeit, zur Gewissenhaftigkeit zu erziehen. Wir gedenken an fromme und edle Freunde, deren Liebe wie ein Gruß der Liebe Gottes uns erquickte und zu ihr leitete. Wir gedenken der Boten der Liebe Gottes, durch deren Wort Gott uns so oft zugerufen hat: „Ich habe dich je und je geliebt; darum habe ich dich zu mir zugezogen aus lauter Güte“ (Jer. 31,3).

Ja, wir müssen es bekennen, das Licht der Gottesliebe hat uns geschienen, seine Strahlen haben erhellend und erwärmend unser Leben durchleuchtet, in lauterer, frommer Menschenliebe, die sich uns nahte, hat sich uns die Liebe Gottes offenbart. So ist in uns die Liebe erwacht und erstarkt, zuerst sich leise regend ist sie gewachsen, je länger je mehr ist das Gebot der Bruderliebe uns ein leichtes Gebot geworden.

2.

Und dennoch ist es ein schweres Gebot geblieben. Daran erinnert uns der Apostel, wenn er dasselbe ein neues Gebot nennt. Wie schwer muss die Erfüllung der Bruderliebe sein, wenn sie uns neu erscheint, sobald die Aufforderung an uns ergeht, sie unter neuen Verhältnissen zu bewähren, wenn wir dann schmerzlich den Widerspruch fühlen, in dem Gottes Gebot zu unseren natürlichen Neigungen steht, die Fremdheit zwischen Gottes und unserm Willen! Aber ist das Urteil des Apostels wohlbegründet, wurzelt nicht der Zug der Liebe in den Tiefen unsers Gemüts? Gewiss, unser Gott hat das Samenkorn der Liebe in unser Herz gelegt, und wir vermöchten nicht, Liebe zu üben, wenn nicht die Fähigkeit, der Drang, die Kraft der Liebe in uns ruhte. Ein Wirken, an dem die Seele voll und ganz teilnimmt, setzt immer voraus, dass ein tiefes, inneres Bedürfnis derselben darin Befriedigung findet, dass wir einem lebhaft gefühlten Zuge des Gemüts folgen; wir können Gottes Gebote nur dann frei und freudig erfüllen, wenn ein Verlangen unsers Herzens ihnen entgegenkommt.

Aber ist das Samenkorn der Liebe, das Gott in die menschliche Natur hineingelegt hat, als er sie nach seinem Bilde schuf, aufgegangen, hat sie liebliche Blüten, reiche, erquickende Früchte getragen? Wenn wir in die christliche Welt hineinschauen, so antworten wir freudig: Ja. Aber, meine Teuren, ist die christliche Liebestätigkeit, ist der duftende Kranz von Liebeswerken, mit dem sie geschmückt ist, das Erzeugnis einer Entwicklung, welche die Menschheit aus ihrer eignen Kraft, frei aus sich erzeugt hat? Auf diese Frage antwortet die Geschichte der vorchristlichen Welt: Nein. Wohin wir auch hier den Blick lenken mögen, den Spuren einer allgemeinen Liebe, die in jedem Menschen den Bruder erkennt, begegnen wir nicht. Wir bewundern die hohe und reiche Bildung der Griechen und Römer, die Werke der Dichtung und Kunst, die jene erzeugten, die vorbildliche Rechtsordnung, welche diese schufen, aber vergeblich suchen wir hier und dort nach den Werken der Bruderliebe. Das Samenkorn der Liebe entfaltet sich nur im engen Kreise des Hauses, der Freundschaft, des Volks. Die Grenzen des Volks sind die Grenzen der Liebe. Zwischen Hohen und Niederen breitet sich eine tiefe Kluft. Dort die Freien, hier die Sklaven. Und der Sklave ist nach dem Urteil des größten Philosophen Griechenlands nur ein beseeltes Werkzeug. Ein trauriges Los ist ihm beschieden. Aber auch Israel, dem Volk der Offenbarung, blieb die Liebe fremd, die dem Menschen als Menschen gilt, sie umfasst nur die Genossen des Volks. Auch hier eine scharfe Trennung zwischen Hohen und Niederen. Die Gesetzgebung atmet den Geist der Milde, aber die Wirklichkeit ist oft Spiegel harten Sinnes. „Dem Esel gehört sein Futter, Geißel und Last, also dem Sklaven sein Brot, Strafe und Arbeit“, lautet es im Buche Jesus Sirach (23,25). Um der Bedrückung der Armen willen straft der Prophet Amos Israel. Im Namen des Herrn ruft er aus: „So spricht der Herr: Um drei und vier Laster willen. Israels will ich ihrer nicht schonen; darum, dass sie die Gerechten um Geld und die Armen um ein paar Schuhe verkaufen. Sie treten den Kopf der Armen in Kot und hindern den Weg der Elenden“ (2,6.7). Und aus dem Munde der Pharisäer hören wir das harte Wort hochmütiger Verachtung: „Das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht“ (Joh. 7,49).

Die Menschheit ohne Christus ist die Menschheit ohne Bruderliebe. Die Dornen der Selbstsucht haben die Entwicklung des Samenkorns der Liebe, das Gott in das Menschenherz gelegt hat, niedergehalten und hätten es erstickt, wenn uns nicht in Christus die Liebe Gottes erschienen wäre und im Menschengeist den Geist der Liebe geweckt und ihm den Sieg über die Selbstsucht verliehen hätte. Das Gebot der Bruderliebe war ein neues Gebot, und die Kraft der Bruderliebe eine neue Kraft.

Aber neu und schwer bleibt das Gebot der Bruderliebe auch für die christliche Welt. Blicken wir hinein in ihre Geschichte, ach, ihre Blätter enthalten so viele, Entsetzen erregende Zeugnisse von der Macht der Lieblosigkeit, des Hasses, der Grausamkeit, der Unduldsamkeit und der Verfolgung um des Glaubens willen, dass wir beschämt fragen: War es möglich, dass eine christliche Gesellschaft diese Sünden beging und duldete? Aber zeigen sich nicht auch in der Gegenwart, in unserer Mitte, dunkle Bilder, die schwere Anklagen erheben! Es vergeht kein Tag, an dem uns nicht Tatsachen berichtet werden, die uns bezeugen, wie weit wir davon entfernt sind, das Reich der Bruderliebe gegründet zu haben. Ach, und wir erfahren fast nur die Sünden, welche die bürgerliche Obrigkeit straft. Aber wie groß ist ihre Zahl! Fast in jeder Stadt erhebt sich ein Gefängnis, in dem schwere Sünden gegen die Bruderliebe gesühnt werden. Und, wenn die Gefängnisse zu uns reden, die Lebensläufe der Gefangenen, ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart, auch ihre Zukunft sich uns offenbaren würden, dann müssten wir unser Haupt verhüllen und uns trauernd fragen: Leben wir wirklich in einer Gemeinschaft, die sich zu Christus bekennt?

Und nun blicken wir in das eigne Herz, um uns selbst zu n richten. Ist doch auch noch hier die Finsternis eine so große Macht! Wie oft sündigen wir wider die Liebe in Neid und Missgunst, in Bitterkeit und Zorn, in hartherzigem und engherzigem Richten! Wie oft verschließen wir unser Herz, gehen gleichgültig vor dem Lazarus vorüber, der vor unserer Tür liegt, bleiben träge zurück, wo wir in hingebender Liebe dienen sollten. Wie schwer wird es uns, Opfer zu bringen, die niemand sieht und belohnt, wie schwer, uns selbst zu verleugnen! Wieviel zerrüttete Ehen, wieviel Kälte und Gleichgültigkeit in den Ehen, wieviel gestörte und zerstörte Freundschaften! Weshalb? Weil das Opfer der Selbstverleugnung so schwer ist, weil wir unser eignes Ich, das wir über alles lieben, nicht einschränken wollen. Das Gebot der Bruderliebe ist ein schweres, aber auch ein unerlässliches Gebot. Der Apostel Paulus, der Herold des Glaubens wie kein andrer Apostel, bezeugt: Wenn ich mit Menschen- und mit Engel-Zungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte, und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben also, dass ich Berge versetzte und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts“ (1. Kor. 13,12).

Betrügen wir uns nicht! Kein Christentum ohne Liebe! Kein rettender Glaube, der nicht die Liebe in seinem Schoße trägt. Was im Glauben beginnt, muss in der Liebe fortgesetzt und vollendet werden. Im Glauben werden wir, in der Liebe bleiben wir Christen. Wenn die Liebe nicht dem Glauben folgt, so schwindet auch der Glaube. Ein Glaube ohne Liebe gibt Ärgernis. Die Kinder der Welt sehen Glaube ohne Liebe, nehmen Anstoß und bleiben ferne. Ein Glaube ohne Bruderliebe ist verderbliche Selbsttäuschung. Wir wähnen, im Licht zu sein, und wandeln in Finsternis. Die Finsternis hat die Augen verblendet; wir wissen nicht, wohin wir gehen. Die Lieblosigkeit, der Hass hat uns vom Weg des Heils entfernt, wir spüren es nicht, dass wir den rechten Pfad verlassen haben und in Gefahr uns befinden, unsere Seele zu verlieren. Wir wissen nicht, wohin wir gehen.

Das Gebot der Liebe ist ein schweres und doch ein unerlässliches Gebot. Pflegen wir deshalb in uns die Kraft der Liebe, welche der heilige Geist uns geschenkt hat! Werden wir nicht müde, uns in den Dienst der Liebe zu stellen und ihre Werke zu tun! In der Übung der Liebe wächst die Kraft der Liebe. Aus der Finsternis der Gleichgültigkeit und des Hasses in das Licht der Liebe, sei unsere Losung! Ein langer und beschwerlicher Weg, denn von Natur sind wir Kinder der Finsternis, und nur die befreiende Gnade macht uns zu Kindern des Lichts. Ein langer Weg und ein hohes Ziel! Deshalb ist kein träges Ausruhen, kein müßiger Stillstand gestattet. Immer neue Aufgaben werden der Bruderliebe gestellt, zumal in der Gegenwart. Die Liebesarbeit entfaltet sich zu einer Vielseitigkeit und gewinnt einen Umfang, dass wir fürchten, die Kräfte möchten versagen. Die Bruderliebe ist ein schweres Gebot. Und doch ein leichtes Gebot! Denn das Verlangen des Herzens kommt ihm entgegen, und die Kraft Christi wohnt bei uns. Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig (2 Kor. 12,9). Und mit jedem Sieg in seiner Kraft wächst unsere Freudigkeit, wächst unsere Stärke.

Wir haben ein neues Jahr begonnen. Die Liebe unsers Gottes hat uns aus dem alten in das neue Jahr geführt. Wie sollen wir ihm danken? Der Apostel Johannes gibt uns die Antwort. Er ruft uns zu: „Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns erst geliebt!“ (1. Joh. 4, 19). Ihr Lieben, hat uns Gott also geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben“ (1. Joh. 4,4). Amen.

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autoren/j/jacobi/1_johannesbrief/jacoby-1_johannesbrief-4.txt · Zuletzt geändert: von aj
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