Jacoby, Carl Johann Hermann - Der erste Brief des Apostels Johannes in Predigten ausgelegt - II. Der Wandel im Licht.

Jacoby, Carl Johann Hermann - Der erste Brief des Apostels Johannes in Predigten ausgelegt - II. Der Wandel im Licht.

1. Joh. 1,6-10.

So wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. So wir aber im Lichte wandeln, wie Er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. So wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reiniget uns von aller Untugend. So wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.

Noch bevor das alte bürgerliche Jahr sein Ende erreicht hat, feiern wir den Beginn eines neuen Kirchenjahres. So sollen wir uns allezeit vor Augen halten, dass wir nicht bloß einer sichtbaren, irdischen, vergänglichen Welt angehören, sondern zugleich einer unsichtbaren, himmlischen, ewigen Heimat Bürger sind. Wohl sind wir allen traurigen Geschicken unterworfen, welche von diesem zeitlichen Leben unablöslich sind; Sorge und Not, Kummer und Trübsal, die uns aus dem Zusammenhang mit diesem irdischen Dasein entspringen, ziehen in unsre Seele ein und legen sich auf sie wie eine schwere Last, und ebenso erfüllen freudige Ereignisse, die im Wechsel dieser sichtbaren Dinge eintreten, unser Herz mit Lust und Wonne; wohl schwankt so die Stimmung unsers Gemüts, bald in nächtliche Tiefen hinabsteigend, bald zu hellen, lichten Höhen sich erhebend, aber in der verborgenen Tiefe unsers Herzens erfahren wir es, dass wir in eine höhere Ordnung des Lebens aufgenommen sind, in der die Sonne nicht untergeht, in der keine Nacht anbricht, in der wir immer auf der Höhe stehen, in der Freude und Friede walten. Das ist die Botschaft, welche der Anfang des Kirchenjahres noch vor dem Scheiden des bürgerlichen Jahres uns verkündigt.

In die Adventszeit führt uns das Kirchenjahr zuerst hinein, in die Adventszeit, welche das nahe Weihnachtsfest mit seinem hellen Glanz beleuchtet. In der Zeit des Herbstes und Winters, da die Sonne sich verhüllt, die Tageshelle nur wenige Stunden währt, da sich Dunkel über die Erde lagert, wendet sich die Christenheit der Feier eines Festes zu und rüstet sich auf dieselbe, welche der Anbetung des ewigen Lichts geweiht ist, das in der Menschheit erschienen. Schon in den Tagen des Advents begrüßen wir den nahenden Heiland mit frohem Hosianna, in unsern Herzen klingt es wie helles Jauchzen: „Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn' ich dir“, und wir vernehmen den Ruf der prophetischen Stimme: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir gehet auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheinet über dir“ (Jes. 60,1.2).

Das Licht kommt, siehe da die Adventsverheißung. Werde auch du Licht, siehe da die Adventsmahnung! Alles verkündet uns jetzt, unser Wandel sei ein Wandel im Licht. So sei

Der Wandel im Licht

der Gegenstand unsrer andächtigen Betrachtung. Wir vergegenwärtigen ihn uns als einen Wandel im Licht des Glaubens, im Licht der Liebe, im Licht der Hoffnung.

1.

Unser Wandel ist ein Wandel im Licht des Glaubens. Wenn unser Glaube nicht ein Licht ist, das unseren inneren Menschen erleuchtet, so hat er keinen Wert. Wenn unser Glaube nur eine Verstandesgewissheit ist, dass Gott vor nun fast neunzehn Jahrhunderten seinen eingebornen Sohn gesandt hat zur Sühnung unsrer Schuld, zur Erlösung von unsrer Sünde, zur Offenbarung der beseligenden Wahrheit; wenn er nur die Zustimmung unsers erkennenden Geistes zum Inhalt des Evangeliums bedeutet, dann hat der Glaube nur geringen Wert. Aber der Glaube, den das Wort Gottes von uns fordert, und zu dem es uns führen will, ist etwas anderes. Er schließt, wie der Apostel Johannes es bezeugt, Gemeinschaft mit Gott, Leben mit Gott, Leben in Gott in sich. Deshalb ist der Glaube mit dem Wandel in der Finsternis unvereinbar. Nur die Lüge, die bewusste schuldvolle Verleugnung der Wahrheit, kann beides miteinander verbinden wollen.

Unser Gott ist ein Licht, das Licht selbst, alles Lichts Quell. Er ist der Heilige. So hat er sich uns in Christus offenbart. Er, der sprechen durfte: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen“ (Ev. Joh. 8,46), er, der gehorsam war bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz (Phil. 2,8), er hat uns in seinem Wandel, in seinem Leiden und Sterben offenbart, dass sein himmlischer Vater, unser Gott, ein heiliger Gott ist, das ewige Licht. Und wir schauen deshalb zu ihm auf mit verhülltem Angesicht, mit gebeugten Knien, denn wir sind Sünder und unrein; der Gedanke an die Heiligkeit unsers Gottes weckt in unsern Herzen das Wort des Gerichts, welches unser Gewissen spricht. Unser Gott ist Licht und verzehrendes Feuer. Er will, dass wir uns vor ihm als Sünder und Schuldige erkennen und bekennen. In der Glaubensgemeinschaft mit ihm, in die uns Jesus Christus, sein eingeborner Sohn, versetzt, sollen wir unsre Sünde richten. Denn Gott ist Licht, Recht und Gerechtigkeit ist sein heiliger Wille. Aber unser Gott richtet, um zu retten; er tötet, um lebendig zu machen, er ist ein Feuer, welches die Sünde verzehrt, aber er ist auch, weil er Licht ist, eine helle, erleuchtende und erwärmende Flamme. Denn sein innerstes Wesen ist die Liebe, er ist das Licht der Liebe. Er will uns retten und deshalb die Sünde in uns richten. Er rettet uns deshalb, indem er uns in das Selbstgericht führt. Wir müssen selbst zu uns und über uns sprechen: Gerichtet, damit er in unser Herz hinein sprechen kann: Gerettet. Wir müssen es in uns durch den Glauben erfahren, dass die Sünde uns von unserm Gott trennt, dass die Sünde Feindschaft gegen Gott ist, dass, weil Gott das heilige Licht ist, die Sünde dem Reiche der Finsternis angehört, dass, weil Gott das Licht der Liebe ist, die Selbstsucht der Sünde uns von ihm entfernt; dass die Unseligkeit, welche die Sünde in sich schließt, uns von der Seligkeit ausschließt, die dem Leben unsers Gottes einwohnt. Aber wir vermöchten es nicht, in dieses Selbstgericht einzutreten, wenn wir es nicht wüssten, dass es die Liebe Gottes ist, welche es von uns fordert, die Liebe des Vaters zu seinen Kindern. Deshalb ist unser Gott in Jesu Christo zu uns gekommen mit der Botschaft der vergebenden Gnade und mit der Verheißung der heiligenden Gnade. Und nun richten wir uns willig, denn wir erblicken die Vaterhand, die sich dem Reuigen barmherzig entgegenstreckt; und nun gewinnen wir Freudigkeit und Mut, ein neues Leben zu beginnen, denn wir schauen die heilende und heilige Vaterliebe Gottes, die sich zu uns herablässt. Im Glauben empfangen wir die Kraft, auf dem Weg des Heils zu wandeln. Unser Gott fordert, dass wir seinen Willen tun, aber er verleiht uns auch die Kraft dazu. Er gibt, was er gebietet. Er schenkt uns die größte Gabe und dann stellt er uns die höchste Aufgabe. Er wandelt unsre Schwäche in Kraft, unsre Ohnmacht in Stärke. Er teilt sein eignes Leben, wie er es in Jesu Christo geoffenbart hat, uns mit. In Christus wohnt er in uns, wir leben in Christus und so in Gott. Aus der Fülle Jesu Christi schöpfen wir Gnade um Gnade.

So wird unser Glaube ein Licht, unser Wandel im Glauben ein Wandel im Licht. Wir schauen auf zu unserm Gott, und der Anblick seiner Heiligkeit ruft uns zurück von der Finsternis der Sünde und erfüllt uns mit Sehnsucht nach Licht, nach heiligem, vollkommenem Leben. Wir sehen im Glauben das Vaterangesicht unsers Gottes, der uns unsre Schuld vergibt, deren Bann uns lähmte, und uns von der Macht der Sünde befreit, deren Ketten uns fesselten. Im Glauben an diese väterliche Gnade richten wir uns selbst und öffnen unser Herz der umschaffenden und heiligenden Kraft unsers Gottes. So wird unser Wandel im Glauben an das Licht Gottes ein Wandel im Licht, so dass wir im neutestamentlichen Geiste dankbar und freudig mit dem Psalmisten beten können: „Du hast meine Seele vom Tode errettet, meine Füße vom Gleiten, dass ich wandeln mag vor Gott im Licht der Lebendigen“ (Ps. 56,14).

2.

Unser Wandel im Licht soll aber auch ein Wandel im Licht der Liebe sein. Denn unsre Liebe ist dazu berufen, gleich der Liebe Gottes, ein Licht zu sein. Darauf weist uns der Apostel mit den Worten hin: „So wir aber im Lichte wandeln, wie er im Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander.“ Alle wahre christliche Gemeinschaft ist im Wandel im Licht begründet - Leben im Licht und reine Liebe sind unauflöslich miteinander verschmolzen. Wenn die Liebe in unser Herz zieht, bräutliche Liebe, Freundesliebe, Liebe zum Vaterlande, zu Fürst und Volk, dann fühlen wir, wie eine edle Begeisterung uns erfüllt, die uns von allem Niederen ablenkt und zu dem, was gut, wahr und schön ist, erhebt. Und deshalb ist die Liebe auch von den Dichtern aller Nationen als ein hohes und heiliges Gut gepriesen worden. Es liegt in der Liebe eine läuternde, emporziehende Kraft. Wir spüren in der Erfahrung reiner Liebe den Odem Gottes, die Strahlen seines Lichts. Aber, wenn die entstehende Liebe alle Lichtkeime in uns weckt, so dürfen wir sie doch nicht ihnen selbst, ihrer eigentümlichen Kraft der Entwicklung und des Wachstums, überlassen, sondern wir müssen sie pflegen und behüten. Ohne Pflege werden sie leicht zerstört, und die Liebe, welche sie hervorgerufen hatte, schwindet mit ihnen zugleich. Wir müssen im Lichte wandeln, wenn die Liebe bleiben, wenn die Liebesgemeinschaften, in denen wir stehen, erhalten werden sollen. Das Leben im Licht ist das Salz, welches sie vor Fäulnis bewahrt. Unsre Liebe muss eine Liebe im Licht, eine heilige Liebe, unser Leben im Licht, unser Wandel vor Gottes Angesicht, ein Leben in der Liebe sein. Dann können wir, im Lichte wandelnd, einander Führer zum Licht, Führer zu Gott werden, den Geist der Finsternis besiegen, uns auf der Höhe erhalten, welche heller Sonnenglanz umfließt. Aber die Kinder des Lichts sollen nicht bloß einander im Licht erhalten, sondern auch ihr Licht in die Finsternis hinein scheinen lassen, um die Kinder der Finsternis für das Leben im Licht zu gewinnen, dass auch sie Kinder des Lichts werden. Aber sie seien in diesem heiligen Werben wachsam, dass sie nicht selbst in die Finsternis hinabgezogen werden.

Meine Teuren, wenn wir nun im Lichte dieser Wahrheit in die Christenheit der Gegenwart hineinschauen, so erscheint sie uns im Bilde einer Gemeinschaft, in welcher die Kinder des Lichts und die Kinder der Finsternis zusammen leben und durch die mannigfaltigsten Beziehungen miteinander verbunden sind. Eine solche Vereinigung schließt große Gefahren in sich; die stehen, können fallen, Verführung droht, aber sie kann auch die Quelle unendlicher Segnungen sein. Ohne die Kinder des Lichts, die in der Liebe stehen und Liebe ausstrahlen, verwandelt sich unsre Gesellschaft in eine Verbindung, in der jeder das Seine sucht, jeder den andern fürchtet und bekämpft, weil er ein Mitbewerber um die Güter ist, nach denen er begehrt, jeder nur den andern insoweit schätzt, als er seiner bedarf. Die kluge, berechnende Selbstsucht wird das verknüpfende Band, und dies Band löst sich bald, weil der selbstsüchtige Sinn, hier doch nicht voll und ganz befriedigt, oft genug enttäuscht wird. Ein heimlicher Krieg aller gegen alle spielt sich unter der friedlichen Oberfläche ab, und er sprengt sie, wenn der offene Krieg größeren Gewinn verheißt. So stellt uns die Gegenwart höchste Aufgaben, welche nur der Wandel im Licht der Liebe lösen kann. Dann erschallt nicht der Ruf: Einer wider den andern, sondern die Botschaft: Einer für alle, einer für den andern. Davon hängt die Zukunft unsrer christlichen Gesellschaft ab, ob diese, ob jene Losung die Christenheit fesselt.

Aber wir dürfen nur hoffen, dass wir diese hohen Ziele erreichen, wenn wir uns eng und innig an unsern Heiland Jesum Christum anschließen. Darauf weist uns der Apostel in den Worten hin: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.“ Das Licht der heiligen Liebe, meine Teuren, kann nur von uns ausstrahlen, wenn wir die Strahlen der Liebe Gottes, die uns in Christus erschienen, in uns aufgenommen haben. Diese Liebe Gottes im Spiegel der Liebe seines eingebornen Sohnes ist in ihrer vollkommenen Herrlichkeit auf Golgatha offenbar geworden. Das Blut Jesu Christi ist das Todesopfer, welches die heilige Liebe bringt und deshalb der Reinigungsquell für die sündige Menschheit. Wer an das Blut Jesu Christi glaubt, glaubt an die rettende Macht der heiligenden, selbstverleugnenden Liebe, die opfert, was sie hat, selbst das eigene Leben. Wer an das Blut Jesu Christi glaubt, folgt der Losung: „Opfer“; nicht die Selbstsucht, die das Eigene sucht, sondern die Liebe, die das Eigene gibt, wird der Wegweiser, dem wir folgen. Und wenn wir hineinblicken in die Geschichte der Christenheit, gewiss, sie zeigt uns viele dunkle Blätter, die vom Hass, dem Geist der Finsternis, zeugen, aber sie zeigt uns auch eine große herrliche Reihe von Werken der Liebe. Wir werden überwältigt und ergriffen, wenn wir den Wegen der christlichen Liebestätigkeit folgen, mag sich ihr Bild in einzelnen Gemeinden darstellen, die von ihrem Geist erfüllt sind, mag es uns in den Zügen von Helden und Heldinnen entgegenleuchten, deren Leben darin aufgeht, die unendliche Macht der Liebe zu erweisen. Auch die alte Welt kennt die Liebe, aber eng sind die Grenzen, in denen sie geübt wird; sie gilt der Familie, dem Freunde, dem Vaterlande. Auch die alte Welt hat die Flamme bewundernder Liebe gepflegt, aber sie wendet sich denen zu, die auf den Höhen irdischer Herrlichkeit wandeln. Die Liebe, die sich der ganzen Menschheit weiht, welche die Verlorenen, Elenden, Verachteten sucht, für die der Unterschied von Freund und Feind schwindet, die Liebe, die auch im Zerrbild menschlicher Verworfenheit nach den Zügen des göttlichen Ebenbildes sucht, die Liebe, die suchend die Höhen verlässt und in die Tiefen hinabsteigt, die Liebe, die opfert, die im Opfer sich selbst verzehrt, diese Liebe, die sich reinigen lässt von aller Selbstsucht, der Sünde in der Sünde, um selbst reinigende Kraft zu gewinnen, diese Liebe ist der alten Welt verborgen geblieben, für ihre Herrlichkeit waren ihre Augen verschlossen. Diese Liebe ist das Kind der neuen Welt, die Gott durch Jesum Christum geschaffen, und das Todesopfer auf Golgatha ist ihre Geburtsstunde. Seitdem gibt es in der Geschichte der Menschheit eine Geschichte der opfernden, selbstverleugnenden Liebe. Und will ihre Flamme erlöschen, so wird sie immer von neuem angefacht durch das Liebesopfer auf Golgatha. Denn das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde und wandelt unser Leben zu einem Leben im Licht der Liebe.

Der Wandel im Licht des Glaubens und der Liebe ist eine hohe und herrliche, aber auch eine schwere und mühsame Aufgabe. Werden wir sie erfüllen, das Ziel erreichen, zu dem wir berufen sind? Oft will uns der Mut sinken. Denn tägliche Schwachheitssünden beflecken unser Leben, täglich müssen wir Vergehungen gegen Gottes heiligen Willen vor seinem Angesicht bekennen und mit gebeugtem Herzen rufen: Vergib uns unsre Schuld. Blicken wir auf das Bild christlicher Vollkommenheit, so ergreift uns zwar ihre Schönheit und erscheint uns innig nah, aber, suchen wir sie uns anzueignen in unserm Dichten und Trachten, in unserm Wollen und Wirken, so entzieht sie sich uns, und wir schauen sie nur in der Ferne. Wir stehen in Gefahr, zu verzagen, zu ermatten, und wir würden ihr erliegen, wenn nicht unser Wandel auch ein Wandel im Licht der Hoffnung sein könnte. Wir dürfen hoffen, das ist unser Trost; das Evangelium ist das Wort Gottes, das unsrer Hoffnung einen festen Grund verleiht, mit dem Trost der Zuversicht und des Vertrauens uns erquickt. Es erhebt unser Auge zu Gott, der treu und gerecht ist, dass er uns die Sünden vergibt und reiniget uns von aller Untugend. Gott ist treu, was er zusagt, das hält er gewiss (Ps. 33,4). Er hat uns verheißen, dass er unsre Schuld vergeben wolle, sie schneeweiß waschen, und wäre sie blutrot (Jes. 1,18). Er ist der Gnädige und Barmherzige, der dir alle deine Sünde vergibt und heilt alle deine Gebrechen (Ps. 103,3). Er hat sich in Jesu Christo als unsern Vater offenbart, nicht als den Vater von Heiligen, sondern als den Vater von Sündern. Trotz unsrer Sünde und Schuld bleiben wir seine Kinder, die zu ihm rufen: Abba, lieber Vater! Deshalb können wir im Lichte der Hoffnung wandeln, einer Hoffnung, die nicht zwischen banger Sorge und freudigem Vertrauen unsicher schwankt, die bald zu lichten Höhen sich erhebt, und bald in nächtlichem Dunkel schwindet, einer Hoffnung vielmehr, die ihre Wurzeln tief in das Innerste des Herzens gesenkt hat und deshalb von den Kämpfen des Lebens nicht zerstört wird.

An eine unerlässliche Bedingung ist freilich die Hoffnung auf Vergebung unsrer Schuld gebunden, an ihr Bekenntnis in bußfertigem Geist vor Gottes Angesicht. Eine leichte Aufgabe; denn wer ist so verblendet, dass er sich für sündlos, unschuldig, vollkommen erachtete! Und doch eine schwere Aufgabe, denn es gilt nicht nur, uns in die Zahl der sündigen Menschenkinder einzurechnen; es gilt, unsre besondere, uns eigentümliche Schuld zu bekennen. Scheint es uns kaum erträglich, zu schweigen, wenn eine gerechte, brüderliche Bestrafung uns demütigt, die doch soviel nicht sieht, was uns belastet; wie ernst ist der Augenblick, wie große Selbstverleugnung fordert er, da wir uns selbst richten vor dem heiligen Gott, der Herzen und Nieren prüft (Ps. 7,10), vor dem kein Gedanke verborgen ist (Hiob 42,2), vor dessen durchdringendem Blick aller Selbstbetrug, alle unwahre Selbstrechtfertigung zuschanden wird! Eine schwere Aufgabe, vor Gott unsre Sünde bekennen. Sie fordert die Selbstverleugnung, die sich vor der Wahrheit des göttlichen Worts und Willens beugt, ihm allein Recht gibt, von ihm sich richten lässt und Fleisch und Blut, welche den heiligen Gott zum Lügner machen möchten, Schweigen gebietet.

Nur dann, wenn wir diese Selbstverleugnung im Lichte der Wahrheit üben, vergibt uns der gerechte Gott unsre Schuld. Darin erweist sich die Gerechtigkeit Gottes, dass er den hochmütigen, oberflächlichen, trotzigen, unwahrhaftigen Sünder verurteilt, aber den demütigen, bußfertigen Sünder annimmt. Unser himmlischer Vater ist gnädig, aber in seiner Gnade gerecht. Die Selbstgerechtigkeit, die Selbstüberhebung, der Selbstbetrug können nicht vor ihm bestehen, aber dem geistlich Armen gehört das Himmelreich. Er will das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen und das glimmende Docht nicht auslöschen (Jes. 42,3); die da Leid tragen, sollen getröstet werden. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. „Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer“ (Ev. Luk. 1, 51-53). Wo Buße, da ist auch Vergebung der Sünden, unser Gott ist treu und gerecht. Siehe da den festen Grund unsrer Hoffnung. In ihrem Lichte sehen wir den Bann der Schuld weichen, der uns lähmt, aber in ihrem Lichte glauben wir auch, dass die Macht der Sünde in uns und über uns gebrochen ist. Es bleibt unsern Augen verborgen, dass wir auf dem Wege der Heiligung fortschreiten. Aber dennoch sind wir „in guter Zuversicht, dass, der in uns angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi“ (Phil. 1,6). Die erziehende Weisheit Gottes verbirgt uns die zurückgelegte Strecke des Weges, damit wir nicht träge werden auf unsrer Wanderschaft, und zeigt uns die lange Straße, die vor uns liegt, und in weiter Ferne das Ziel, damit wir nicht im Eifer nachlassen. Auch von der eignen Entwicklung gilt das Wort: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben (Ev. Joh. 20,29).

So treten wir in das neue Kirchenjahr mit der Bitte zu unserm Gott und Vater, er wolle uns durch dasselbe hindurchführen als Kinder des Lichts, die vor ihm im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung wandeln. So begrüßen wir in den frohen Tagen des Advents unsern Heiland, der von sich selbst gezeugt hat: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Ev. Joh. 8,12). Er ist das Licht, in ihm sollen, in ihm können auch wir ein Licht werden. Wir bekennen es freudig:

Das ewig Licht geht da herein,
Gibt der Welt ein neuen Schein;
Es leucht wohl mitten in der Nacht
Und uns des Lichtes Kinder macht.

und jauchzen dem Heiland entgegen: Hosianna dem Sohne Davids; Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Amen.

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