Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag nach dem Christfest

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag nach dem Christfest

Text: Galater 4, 1-7.

Ich sage Euch, so lange der Erbe ein Kind ist, so ist unter ihm und einem Knechte kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter; sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern, bis auf die bestimmte Zeit vom Vater. Also auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen Satzungen. Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe, und unter das Gesetz gethan, auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete, daß wir die Kindschaft empfiengen. Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet: Abba! lieber Vater! Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder. Sind es aber Kinder, so sind es auch Erben Gottes durch Christum.

Unsere heutige Epistel ist ein Nachhall des großen Gnadenfestes, das wir in voriger Woche abermals durch die Güte Gottes feierlich begehen durften. Was dort einst bei Bethlehem die Engel den Hirten auf dem Felde von der Geburt eines Erlösers verkündigten, auf daß sie sich freuen sollten des Heils, das ihnen und allem Volk widerfahren ist, dasselbe ruft heute der Apostel Paulus nur mit andern Worten seinen galatischen Christen zu, indem er spricht: da die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz gethan, auf daß er die, so unter dem Gesetze waren, erlösete, damit wir die Kindschaft empfingen. Dreierlei ist's, was er ihnen hiemit kund thut. Für's erste weist er sie hin auf die Haushaltung Gottes, kraft der alles fein ordentlich geschieht, zu seiner Zeit, wenn die Tage erfüllet sind, nicht früher und nicht später, als seine Weisheit vorher verordnet hat. Für's zweite weist er hin auf den schweren und aufgabenreichen Erniedrigungs-Lauf des Sohnes Gottes, in den er durch seine Geburt und seine Erscheinung in Knechtsgestalt eintrat, sofern er nämlich vom Vater unter das Gesetz gethan wurde, um es pünktlich und treulich zu erfüllen, und als der Heilige in Israel Gehorsam zu beweisen bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Endlich drittens weist er auf die reiche und herrliche Segensfrucht hin, die aus solcher Erniedrigung unter das Gesetz hervorgesproßt ist, auf daß er nämlich diejenigen, so unter dem Gesetz waren, erlösete, auf daß wir die Kindschaft empfingen. Hiemit hat seine Rede ihre höchste Spitze und ihren eigentlichen Zweck erreicht; denn eben das will er seinen Galatern zeigen, daß wir nicht mehr ängstliche Knechte des Gesetzes zu bleiben brauchen, sondern freie Genossen der in Christo erschienenen Gnade werden können, indem wir durch Christum berufen seien, die Kindschaft zu empfangen und Familienglieder des Hauses Gottes zu seyn, Familienglieder, die fern von gesetzlicher Furcht und Bangigkeit mit freudigem Geiste ihr Abba stammeln, nicht im Dienste des Buchstabens, sondern im Geist der Freiheit, die uns in Christo Jesu geschenkt ist. Und dieß eben gibt uns Veranlassung, in dieser heiligen Stunde Unter zu reden:

Von der Familie oder dem Hause Gottes, zu dem uns der Zutritt als Kindern offen steht in Christo Jesu.

- Wir wollen das Haus oder die Familie Gottes näher kennen lernen, zu dem uns der Zugang offen steht, - das verschiedene Verhältniß erwägen, in dem wir zu dem Hause Gottes stehen können; - den aufgabereichen und doch herrlichen Stand in's Auge fassen, der hienieden den wahren Familiengliedern angewiesen ist.

I.

Eine in jeder Hinsicht ansehnliche und preiswürdige Familie ist es, zu der uns in Christo der Zugang geöffnet ist. Ist's schon in dieser Welt ein nicht zu verachtender Vorzug, aus einer guten Familie abzustammen, oder wenigstens bei ihr Zutritt zu haben, so ist es bei der Familie noch in einem weit höheren Grade der Fall, die Gott zum Stifter, Versorger und Schirmherrn hat. Wir wollen sie deßwegen ein wenig näher kennen lernen, die Familie Gottes, in die wir durch Christum eintreten dürfen und eintreten sollen. An der Spitze dieses Hauses, dieser Familie, steht vor allen Dingen ein Vater, der, wie Paulus sagt, der rechte Vater ist über alles was Kinder heißt im Himmel und auf Erden (Eph. 3,15.), ein Vater, dessen Herz allen seinen Hausgenossen und Kindern mit unendlichem Erbarmen entgegenschlägt, ein Vater, der auch das geringste und schwächste Glied seines Hauses werth und hoch hält, ein Vater, der ihre Anliegen von ferne kennt, und alles, was sie beschwert, mit weiser und liebender Hand ihnen zuwägt, ein Vater, der für alle ihre Bedürfnisse, leibliche und geistliche, irdische und himmlische, freundliche Fürsorge trägt, und auch nicht ein Haar von ihrem Haupte fallen läßt ohne seinen heiligen Willen; ein Hausvater, dessen Treue keinen Anfang und kein Ende hat, dessen Gnade keine Zeit und keine Schranke hat und dessen Erbarmen alle Morgen neu ist. Wo ein solcher Hausvater waltet und das Regiment führt, da ist gut seyn; da gibt es täglich neuen Stoff zur Freude, zum Dank, zur Anbetung, und wer es einmal erfahren hat, was es heißt, ein Familienglied dieses Hauses, ein Kind dieses Vaters im Himmel zu seyn, der sucht nicht mehr anderswo seine Hütte aufzuschlagen; er ist froh und zufrieden, wenn er in den Wohnungen des Höchsten hienieden ein Plätzlein findet, und als ein Kind vom Hause aus- und eingehen darf, unter den Augen seiner Freundlichkeit und Liebe.

Im Hause Gottes gibt es aber auch außer dem Vater noch eine Mutter. Paulus in unserem heutigen Textkapitel preist es seinen galatischen Christen gar rühmend an, daß sie nicht von der Magd abstammen, d. h. das Gesetz zur Mutter und Erzieherin haben, sondern das Jerusalem das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter. Diese Mutter ist nichts anderes, als die freie, unverdiente Gnade des lebendigen Gottes, die uns im Evangelium des Sohnes Gottes durch den Geist von Oben suchend und erbarmungsreich entgegentritt. Dieser mütterlichen Gnade liegen die Kinder der Erwählung bereits im Schooß, noch ehe sie es selber wissen und ahnen; von dieser mütterlichen Gnade werden sie an's Licht der Welt geboren, zum bewußten Leben aus Gott gebracht, zu der von Gott seit Ewigkeit verordneten Zeit; von dieser mütterlichen Gnade werden sie gesäugt und gestillt mit der lautern Milch des Evangeliums und erstarken am inwendigen Menschen durch das Mark des Wortes Gottes; diese Gnade lehrt sie das „Abba, lieber Vater!“ stammeln im Gebet, und die Sprache des Geistes reden; diese Gnade wascht und reinigt sie von allen angeerbten und allen selbstgemachten Sündenflecken; diese Gnade weiß sie zu trösten, wie wenn einen seine Mutter tröstet; diese Gnade lehrt sie wandeln und gehen, ohne daß sie straucheln und fallen; diese Gnade weiß sie auf's schönste zu kleiden und zu schmücken in den Schmuck ihres ewigen Bürgen, aber auch zuweilen dieses Sonntagskleid ihnen wieder zu nehmen und zu verschließen, damit sie es nicht verderben. Sie sind Kinder der Freien; und sie ist ihre treue und sorgsame Mutter, und wo eine solche Mutter uns pflegt und erzieht, gängelt und führet, nähret und versorget, da ist gut seyn, da ist Freude und Waide und himmlisches Manna; da ruft schon hienieden die Seele oftmals ein seliges Hosianna.

Im Hause Gottes findet man aber auch neben Vater und Mutter noch einen erstgebornen Bruder, der Kraft seiner Menschheit uns persönlich nahe getreten und uns gleich geworden ist in allen Stücken bis auf die Sünde, darum kann er Mitleiden haben mit unserer Schwachheit, darum hat er ein offenes Ohr für unser Bitten und Flehen, darum hat er ein theilnehmendes Herz für unsere Kämpfe und Sorgen und Nöthen und Anfechtungen; und weil ihn der Vater zugleich erhöhet hat über alles und hat alles unter seine Füße gethan und hat ihn eingesetzt zum König und Priester seines Hauses und hat ihm Macht gegeben über alles Fleisch, so kann er auch rathen und helfen, kräftigen und gründen, so kann er schirmen, schützen und vertheidigen, so kann er auch segnen als der himmlische Pfleger mit allerhand himmlischem Segen in ewigen Gottesgütern. An ihn wenden sich deßwegen die Familienglieder des Hauses Gottes mit freudigem Glauben, weil durch seine Hand alles glücklich fortgeht, weil in seiner Macht alles steht; weil er die Schlüssel zu den Schatz- und Segens-Kammern Gottes hat, und einem jeglichen mittheilt, nach dem er es bedarf. Und seine Fülle wird nicht aufgezehrt, so oft wir auch aus ihr schöpfen, seine Geduld wird nicht erschöpft, so oft wir auch kommen; sein Herz wird nicht müde, so oft wir ihn auch bestürmen mit Bitten und Flehen.

Denn Barmherzig, gnädig, geduldig seyn,
Uns täglich reichlich die Schuld verzeih'n,
Heilen, stillen, trösten, erfreu'n und segnen,
Und unsrer Seele als Freund begegnen

Ist seine Lust. Im Hause Gottes findet man aber endlich auch neben Vater und Mutter und dem erstgebornen Bruder noch viele Brüder und Schwestern, mit denen uns Gin Glaube, Eine Taufe, Eine Hoffnung, Ein Herr, Ein Geist, Ein Vater zusammenbindet. Ihre Zahl ist eine große, denn sie umfaßt die Gläubigen aller Jahrhunderte und aller Zonen und Erdtheile, und ihre Zahl ist eine ehrwürdige, denn sie befaßt die edelsten und achtbarsten Menschen von Anbeginn der Welt, ihre Zahl ist eine gemischte und doch unter sich einige Zahl: denn wie sie verschieden sind nach äußerem Beruf und nach ihrer Stellung in der Welt, - Könige und Unterthanen, Reiche und Bettler, Vornehme und Geringe sind darunter, so sind sie auch verschieden nach ihrem geistlichen Alter, nach ihren geistlichen Gesichtszügen, es sind Väter, Männer und Kinder in Christo; auch sehen sie sich einander nicht gleich: doch Einen Grundzug haben sie Alle, - es ist das Gepräge der göttlichen Natur, es ist der Adel eines in Christo gerechtfertigten und geheiligten Herzens, es ist der Geburtsbrief von dem Johannes schreibt: wir sind aus dem Tod zum Leben hindurchgedrungen, denn wir lieben die Brüder (1 Joh. 3, 14.). Und wahrlich einer solchen Familie einverleibt zu werden, ist die höchste Ehre und die herrlichste Würde, und man muß mit dem sel. Hof-Prediger Hedinger sagen:

Ach, es ist ein göttlich Wesen,
Eine geisterfüllte Kraft,
Von der Welt sein auserlesen,
Tragen Christi Jüngerschaft,
Ohne Schatten, Schaum und Spreu
Zeigen, daß man himmlisch sei!
Wer aus Gott ist neu geboren,
Ist in diese Zahl erkoren.

Und was soll ich sagen von dem dienenden Personal in diesem Hause, von den heiligen Engeln die gesandt sind zum Dienste derer, die ererben sollen die Seligkeit (Hebr. 1, 14.)? was soll ich sagen von den Vorrathskammern und Gnadenschätzen, die in diesem Hause sich finden, da es vom HErrn heißt: er will uns sättigen und stärken mit den reichen Gütern seines Hauses? Was soll ich endlich sagen vom Bau dieses Hauses? es steht auf dem Boden der Erde, - und doch umschwebt seinen Giebel ein seliger Himmel, dessen Dach im Sonnenschein der himmlischen Welt flimmert und blitzt.

II.

Die Familie des Hauses Gottes haben wir näher kennen gelernt, zu dem uns als Kindern der Zutritt eröffnet ist in Christo; aber nun erwartet uns die zweite Frage: in welchem nähern oder entferntern Verhältniß wir zu diesem Hause oder dieser Familie Gottes stehen können.

1) Es gibt solche, und deren ist die größte Zahl, die in einem gar entfernten und abgerissenen Verhältniß zu dem Vaterhause Gottes stehen. Sie können zu Gott nur darum Vater sagen, weil er sie erschaffen hat; denn sie haben gar bald, vielleicht in früher Jugend, das Vaterhaus und die Familie, die sich zu ihm bekennt, verlassen und sind wie der verlorene Sohn in die Fremde hinausgezogen und haben die Welt lieb gewonnen. Darum sind und heißen sie auch Weltkinder. Sie bringen ihr Vermögen, ihre Gnadenzeit durch im Dienste der Welt und ihrer Lust, nicht als ob sie gerade in Ausschweifungen und Thorheiten der verwerflichsten Art sich hineinstürzen; o nein, sie können als Weltkinder das ehrbarste, das züchtigste, das scheinbar frömmste Leben führen, sie können recht viel Gutes an sich haben, und doch sind sie ihrem Grundcharakter nach weltlich, sündlich, fleischlich. Sie sind ferne von Gott, ferne von denen, die zu der Familie Gottes gehören. Gott läßt es zwar nicht fehlen an Ermahnungen, in's Vaterhaus zurückzukehren; sorgsam, wie ein Vater an seinen in der Welt herumirrenden Sohn manchen Mahnbrief zur Rückkehr erläßt, sendet auch Gott durch sein Wort und seinen Geist solche Mahnbriefe aus. Aber die Briefe Gottes kommen nicht an ihre Adresse; sie werden von ihnen nicht erbrochen, nicht gelesen, nicht beherzigt, sie werden oft mit Hohn wieder zurückgeschickt, - denn sie wollen sich nicht unterbrechen lassen in ihrem behaglichen, ungebundenen Leben. Gott schickt vielleicht auch einen Bruder aus, um nach ihnen zu sehen, wie Jakob seinen Joseph abordnete, er solle nach seinen Brüdern sehen. Mancher hat in seiner Familie, unter seinen Altersgenossen, in seiner Umgebung, einen solchen Bruder den Gott schickt, daß er nach ihm sehe und ihn in das Vaterhaus zurückführe. Aber wie geht's häufig solchen ausgesandten Brüdern? gerade wie es einem Joseph ging; seht da kommt der Träumer, riefen sie einander zu. Seht da kommt der Schwärmer, der Kopfhänger, der mit seiner Engherzigkeit all unsere Freude uns verderben und vergällen will, und man schickt ihn mit Aerger und Widerwillen zurück. Ist's nicht so, meine Lieben? Wie viele solche verirrte Schafe sind wohl auch noch in unserer Mitte! Ein Gnadenbrief Gottes nach dem andern läuft an sie ab; die Liebe, die nicht will daß Jemand verloren gehe, hat ihn diktirt, aber sie lassen sich nicht finden von diesen Briefen in der Fremde der Welt, und wenn der Brief Gottes auch an sie gelangt, - dennoch wollen und mögen sie sich nicht zur Rückkehr anschicken; dennoch können sie sich noch nicht losreißen vom ungebundenen Leben in der Welt, und oft reicht es nicht mehr einmal dazu, daß sie vor ihrem Tode das Vaterhaus erreichen, so daß sie als Weltkinder sterben und verderben. O ihr armen, verblendeten Brüder und Schwestern! wie lange wollt ihr noch die Träber dieser Welt essen? Kommet doch in's Vaterhaus: ich euer Mitbruder bin gesendet, um euch zu bitten und zu beschwören, in diesem Jahre noch einmal zu bitten, zu beschwören: lasset euch versöhnen mit Gott! heute, so ihr seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht! heute noch ist die angenehme Zeit, heute noch ist der Tag des Heils.

2) Eine zweite, kleinere und unansehnlichere Zahl steht zum Vaterhause Gottes, zur Familie des HErrn, in einem näheren aber doch noch nicht im nächsten Verhältnisse. Sie sind Kinder Gottes, sie sind durch Buße und Glauben dem Familienverbande des HErrn einverleibt; aber sie befinden sich noch außer dem Hause; zwar nicht mehr in der Welt, wie die Weltkinder, aber gleichsam in der Erziehungsanstalt des Gesetzes, unter den Vormündern und Pflegern, wie sich Paulus in unserem Texte ausdrückt, bis auf die vom Vater bestimmte Zeit. Da haben sie den Stab Wehe des Gesetzes über sich; da werden sie streng gehalten; da waltet nicht die Liebe, sondern der Zwang; da herrscht nicht die Gnade, sondern der kalte strenge Befehl: du sollst - du sollst nicht; sie stecken in allerhand Eigenwirken, sie wollen eine gesetzliche Strenge bei sich erzwingen, - und haben doch keine Kraft dazu; da werden sie oft gezüchtigt und in der Zucht sehen sie nicht die Liebe, die bessern will, sondern nur den Zorn, der Rache nimmt. Das sind die Gesetzeskinder. Zwar manchmal kommen sie in guter Stunde ihres Lebens in's Vaterhaus; o wie wird's ihnen so wohl, wie freuen sie sich da, das Vater-Antlitz des HErrn zu schauen; wie erquickt es sie, die zärtliche Mutterpflege der Gnade Christi zu spüren, wie hebt es ihre Brust, dem erstgebornen Bruder in's Auge zu blicken, o wie ergehen sie sich da in der Freiheit der Kinder Gottes: aber das sind nur Festzeiten ihres innern Lebens; bald heißt's wieder: die Zeit ist herum - zurück in das Erziehungshaus des Gesetzes, sie scheiden betrübt von dannen; sie wagen die Bitte nicht einmal an's Vaterherz, da bleiben zu dürfen, sie sind zu schüchtern und zu blöde dazu; sie glauben, es gehöre ihnen nicht anders. Die Unarten, die Bosheiten ihres Herzens seien so groß, daß sie noch nicht in's elterliche Haus taugen, und so kommen sie wieder unter den Zuchtmeister des Gesetzes, dessen Stecken ihnen schwer auf dem Nacken ist. Meine Lieben, ist das nicht das Bild mancher ängstlichen und geschlichen Gemüther, die sich des Namens der Gotteskinder unwerth achten und oft längere Zeit traurig und mühselig ihre Straße ziehen bis auf die vom Vater bestimmte Zeit? Bei ihnen ist viel Klage und Betrübniß über das ihnen inwohnende Verderben, aber wenig Freude und Dank für die Gnade Gottes, die in Christo uns gegeben und geschenkt ist; bei ihnen ist viel Selbstanklage und Selbstverdammung wegen der Sünde, die ihnen immerdar noch anklebt, und sie träge macht, - aber wenig Erfahrung der überschwänglichen Kraft dessen, der in den Schwachen mächtig ist; bei ihnen ist viel Verzagtheit darüber, wie es ihnen auch noch gehen werde, ob sie treu beim HErrn verharren oder aber noch abfallen werden, und wenig Bauen und Trauen auf den, der, wie Er angefangen hat das gute Werk, so es auch vollführen wird bis auf Seinen großen Tag. Geliebte Seelen, die, ihr also trauert, o haltet es nur fest: auch ihr seid Kinder des Höchsten und ihm angenehm in dem Geliebten, und wenn euch auch die Zeit oft lange werden will, harret aus bis auf die vom Vater festgesetzte Zeit, dann wird euch euer Heil aufgehen wie die Morgenröthe; der Treiberstecken des Gesetzes wird noch einmal hinweggethan, und ihr werdet unter den sanften Hirtenstab dessen gestellt werden, der das Verwundete heilen, das Schwache kräftigen, die Blöden trösten und die müden Seelen erquicken will.

3) Die dritte Gattung von Menschenkindern steht zu dem Hause und der Familie Gottes im vollen, bewußten Verhältniß der Kindschaft, wie Paulus in unserem Texte sagt: „weil ihr denn Kinder seid, so hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreiet: Abba, lieber Vater! also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder;“ die Kinder aber gehen im Vaterhause aus und ein, wie in ihrem Eigenthum; sie dürfen täglich essen am Vatertische Gottes das Brod des Lebens, auf das nicht mehr hungert; sie dürfen täglich trinken aus dem Becher der göttlichen Gnade, die den Durst ewiglich stillt; sie dürfen sich täglich lagern unter den Schatten der Gnadenflügel ihres Gottes, wo es sich friedsam und sicher ruht.

Sie singen mit David ein neu Lied und sprechen: Du bereitest vor mir einen Tisch gegenüber von allen meinen Feinden; Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Lebenlang und ich werde bleiben im Hause des HErrn immerdar (Psalm 23, 5. 6.). Wähnet jedoch nicht, meine Lieben, als ob das Leben der Kinder Gottes ein Leben ohne Zucht und Ernst, ein Leben in der Freiheit und Ungebundenheit des Fleisches, oder ein Leben in lauter Friede und Freude wäre. O nein! auch sie stehen noch unter einer Zucht; aber es ist nicht die Zucht des Gesetzes, sondern die Zucht der göttlichen Gnade; und diese ist in gewisser Hinsicht eine noch viel schärfere Zucht, als die Zucht des Gesetzes; kein böser Gedanke, kein unnützes Wort, keine ungerechte Handlung geht da ungeahndet durch; alles wird da gerügt und gestraft in der heiligen Abrechnung, zu der sie immer wieder vorgefordert werden; ja es kann kommen, daß sie sogar vom Gnadentisch Christi auf einige Zeit entfernt, bei Wasser und Brod in dem Gefängniß der inneren Trostlosigkeit eingesperrt, und vom Vater-Antlitz Gottes zurückgewiesen sind: aber es kommt auch wieder anders; Johannes sagt: so wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns unsere Sünde vergibt, und heilt alle unsere Gebrechen (1. Joh. 1, 9. Psalm 103, 3.). Oft früher, als sie hofften, oft später als, sie dachten, öffnet sich ihr Gefängniß wieder, und sie werden durch den, der der Fürsprecher bei dem Vater ist, vorgelassen; und sie sehen nun wohl ein, warum es so kommen, warum der HErr so scharfe Zuchtmittel anwenden mußte, aber wie er allein auch das Gericht ausführt zum Sieg, und wie sie nun, da er sie wieder erhöhet hat zu seiner Zeit, ihm danken dürfen auf ihrem Saitenspiel. Denn sie sind Gottes Kinder, und nichts Hohes und nichts Tiefes, nichts Gegenwärtiges und nichts Zukünftiges, kein Tod und kein Leben kann sie scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem HErrn.

III.

Nachdem wir nun so das verschiedene Verhältniß kennen gelernt haben, in welchem wir zu dem Hause und der Familie Gottes hienieden stehen können, so wollen wir nun auch noch den aufgabenreichen und doch herrlichen Stand derjenigen in's Auge fassen, die als Kinder des Hauses Gottes wandeln und einhergehen.

1) Die erste Aufgabe, die ihnen obliegt, ist die, daß sie mehr und mehr die rechte Kinderart lernen, die der Heiland als die erste und unerläßliche Bedingung zur Theilnahme am Reiche Gottes aufgestellt hat: „wer das Reich nicht empfahet als ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen“ (Mark. 10, 15.), und so ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, so könnet ihr nicht in das Reich Gottes kommen (Matth. 18, 3.). Dieses Kindeswesen aber besteht in nichts anderem als in der Einfalt, die auf das Eine was Noth thut nur schaut und damit sich begnügen läßt, in der Demuth, die sich nicht selbst erhebt und Gott was Gottes ist nicht raubt und nimmt, und in jener Weisheit, die von oben ist und sich sagen läßt. Auch die Kinder haben ja mancherlei Unarten an sich, Unarten, die sie oft sehr unliebenswürdig machen, Eigenwille und Eigenliebe, Streitsucht und Neid, Verdrießlichkeit und Albernheit; aber wenn sie nur sich sagen und sich weisen lassen, wenn sie nur der Stimme der Zucht ihr Ohr nicht verschließen, so kann noch alles gut werden. Wie viel Unarten aber haben wir große Kinder an uns; wie viel Ungezogenes, wie viel Flatterhaftes, wie viel Eigenliebiges, wie viel Eigensinniges, wie viel Thörichtes und Ungöttliches! wer im Kindesstande des Hauses Gottes bleiben will, der muß sich daher sagen lassen; er muß die Zucht des HErrn annehmen; er muß den alten Menschen mit den alten Unarten ausziehen, und den höchsten Schmuck eines Familienglieds Gottes sich aneignen, der in jenem stillen und verborgenen Menschen des Herzens besteht, mit sanftem und stillem Geist, welches ist köstlich vor Gott.

2) Die zweite Aufgab eist für ein Kind des Hauses Gottes, daß es Treue und Fleiß beweise in seinem ihm vom HErrn anvertrauten Tagewerk. Im Hause Gottes herrscht nicht Trägheit und Saumseligkeit, sondern Thätigkeit und Arbeitseifer. Einem Jeden ist hier etwas angewiesen zu seinem Tagwerk. Du magst durch ein Gemach dieses Hauses gehen durch welches du willst, überall siehst du ein anvertrautes Pfund, ein zugewiesenes Geschäft. Bei einem ist's kleiner, bei dem andern größer, bei dem einen ausgebreiteter, bei dem andern beschränkter, so wie auch die Wohnungen im Hause Gottes verschieden sind. Der eine wohnt vorne heraus und wird von den Leuten gesehen, beachtet, mitunter auch kritisirt; der andere wohnt hinten hinaus und führt ein stilles und verborgenes Leben. Der eine wohnt geräumig, - Gott hat seine Füße auf's Geraume gesetzt, und ihn der Nahrungs- und Kleidungssorgen enthoben; der andere wohnt beschränkt hoch oben, wo er gleichsam aus dem Dachkämmerlein der Sorge herabschauen muß, oder tief unten im Erdgeschoß der Anfechtung, wo er die Menschen gleichsam über sich hinweglaufen sieht. - Darin also ist große Verschiedenheit; aber von allen, sie mögen im Vaterhause Gottes wohnen und leben wie und wo sie wollen, von allen fordert ihr Stand Treue und Fleiß; denn an den Haushaltern fordert man nichts mehr, als daß sie treu erfunden werden (1 Kor. 4, 2.); und darum hat der Heiland gesagt zu seinen Jüngern: daran wird mein Vater gepriesen, daß ihr viele Frucht bringet, und eure Frucht bleibe in's ewige Leben. (Joh. 15, 8.).

3) Die dritte Aufgabe für ein Kind Gottes ist, daß es in Geduld und Hoffnung warte auf das herrliche Erbe, das unbefleckt und unverwelklich behalten wird im Himmel. So sagt ja unser Text: sind sie aber Kinder Gottes, so sind sie auch Erben Gottes und Miterben Christi. Die heil. Schrift stellt ja häufig das Loos der Kinder Gottes, das sie drüben erwartet, unter dem Bilde eines Erbes dar: sie will einmal dasselbe als etwas Unverdientes, aus freier Gnade uns Zufallendes preisen: denn ein Erbe hat noch Niemand verdient; sie will aber auch auf der andern Seite das Feste und Unverbrüchliche, Unentreißbare dieses Erbtheils uns vergewissern, dieweil es auf einem ewigen Testamentsakt Gottes beruht, der mit dem Blute Christi geschrieben und mit dem Insiegel seiner Auferstehung versehen ist, und weil der Geist selbst mit seinem untrüglichen Zeugniß Pfand dieses unseres himmlischen Erbes ist. sticht auf ungewisse Hoffnungen und Vermuthungen sind wir angewiesen, sondern auf gewisse und feste Verheißungen, denn der Mund der Wahrheit spricht: es sollen wohl Berge weichen und Hügel hineilen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen (Jes. 54, 10); und obgleich noch nicht erschienen ist, was wir seyn werden, so wissen wir doch daß, wenn es erscheinen wird, wir ihm gleich seyn werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist (1 Joh. 3, 2.). Und darum ist der Stand der Kinder Gottes hienieden ein zwar aufgabenreicher, aber doch herrlicher Stand; und Johannes hat wohl recht, wenn er die ganze Welt zur Freude und Bewunderung auffordert und ausruft: Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen (1 Joh. 3, 1). Denn wer diesen Stand erlangt hat, der ist Gottes Kind und Hausgenosse mit allen Heiligen und Auserwählten, er ist ein Pflegling der mütterlichen Gnade, die überschwenglich thut über unser Bitten und Verstehen, er ist ein Genosse der Herrlichkeit des HErrn aller Herren und des Königs aller Könige, und er ist endlich ein Erbe aller himmlischen Güter und aller unvergänglichen Gottesschätze.

Selig, selig ist, der das Brod essen darf im Reiche Gottes; selig, der wirklich unter den Angehörigen, unter den Kindern dieses Hauses wohnen und wandeln, und des sichern Erbtheils sich freuen darf mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. Amen.

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