Hofacker, Wilhelm - Am Osterfest. Zweite Predigt.

Hofacker, Wilhelm - Am Osterfest. Zweite Predigt.

Wir feiern heut ein hohes Fest
Mit Herzensfreud' und Wonne,
Zu dem der HErr uns laden lässt,
Er selber ist die Sonne,
Der mit seiner Gnaden Glanz
Erleuchtet unsere Herzen ganz;
Der Sünden Nacht ist vergangen,
Hallelujah.

Mit diesem frischen und muntern Freudenpsalm, der einst aus dem Herzen des teuren Gottesmanns Luther geflossen, dürfen wir den heutigen Festtag begrüßen. Schaurig und dunkel war die Nacht, die sich auf den müden Kämpfer auf Golgatha lagerte, als er sein Haupt im Tode neigte und verschied; die Hoffnung der Seinen schien zertrümmert, sein Name auf immer gebrandmarkt und seine ganze heilige Sache in ein lächerliches Nichts zerronnen. Ja es schien, die alte Sündennacht wolle wieder hereinbrechen, die Er doch durch den stillen Glanz seines heiligen Lebens, durch den hellen Strahl seines zündenden und leuchtenden Wortes so machtvoll zu lichten begonnen hatte. Aber es schien nur so; die Nacht sollte wieder tagen, die Finsternis zerrinnen, ein neuer Morgen sollte anbrechen, herrlicher und schöner, als der vorangegangene Tag seines reinen Lebens gewesen war, siegreicher und glänzender, als je die Herzen der Jünger und Jüngerinnen zu hoffen und zu ahnen gewagt hatten. Denn nicht mehr in der Gestalt des sündlichen Fleisches, nicht mehr in der Knechtsgestalt des erniedrigten Menschensohnes trat er heraus aus der dunklen Kammer des Grabes, sondern siegverklärt, mit Licht und Majestät umflossen, in der Kraft eines unauflöslichen Lebens, als der verherrlichte Gottes-Sohn; er selber war die Sonne, im Morgenglanze strahlend, alle feindliche Gewalten niederblitzend, Licht und Freude in die Herzen der Getreuen werfend, und am Himmel der Menschheit einen Heldengang antretend, der zu immer schöneren Siegen und Triumphen führen sollte. Sollten hierüber unsere Herzen nicht höher schlagen, unsere Pulse nicht lauter pochen? Des Irrtums Nacht, der Sünde Nacht, des Todes Nacht ist vergangen, der Tag des Heils, des Friedens und unverwelklicher Hoffnung ist angebrochen, Heil dem, der ewig lebt, und Allen Leben gibt, Jesu Christo und unserem Gott! des Todes Not ist aufgelöst in Morgenrot!

Text: 1 Korinth. 15,1-20.
Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, des Evangelii, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch steht, durch welches ihr auch selig werdet; welcher Gestalt ich es euch verkündigt habe, so ihrs behalten habt; es wäre denn, dass ihrs umsonst geglaubt hättet. Denn ich habe euch zuvörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe: dass Christus gestorben sei für unsere Sünden, nach der Schrift; und dass Er begraben sei und dass Er auferstanden sei am dritten Tage, nach der Schrift; und dass Er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist Er gesehen worden von mehr denn fünfhundert Brüdern auf einmal, deren noch viele leben, etliche aber sind entschlafen. Danach ist Er gesehen worden von Jacobo; danach von allen Aposteln. Am letzten nach allen ist Er auch von mir, als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln, als der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum, dass ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnaden bin ich, das ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene; also predigen wir, und also habt ihr geglaubt. So aber Christus gepredigt wird, dass er sei von den Toten auferstanden, wie sagen denn etliche unter euch: die Auferstehung der Toten sei nichts? Ist aber die Auferstehung der Toten nichts, so ist auch Christus nicht auferstanden; ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden aber auch erfunden falsche Zeugen Gottes, dass wir wider Gott gezeugt hätten, er hätte Christum auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, sintemal die Toten nicht auferstehen. Denn so die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in euren Sünden, so sind auch die, so in Christo entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die Elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten, und der Erstling worden unter denen, die da schlafen.

Unsere heutige Epistel ist vom Anfang bis zum Schluss eine geharnischte Beweisführung für die Wahrheit und Unumstößlichkeit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Man könnte versucht sein zu glauben, der Apostel habe diese Worte in prophetischem Geist niedergeschrieben, um allen Zweifeln an diese Grundfeste der Wahrheit schon zum Voraus zu begegnen, und alle Einwendungen, die etwa gegen dieses wichtigste unter allen Wundern des Neuen Testaments vorgebracht werden könnten, schon zum Voraus abzuschneiden. So gewaltige und unwiderlegliche Beweistümer sind es, die er hier, wie eine gut bewaffnete und wohlgeordnete Schlachtlinie in Reih' und Glied aufstellt. Nachdem er auf die Weissagungen der Schrift zurückgewiesen, die in der Auferstehung Christi ihre Erfüllung gefunden haben, erinnert er an die mancherlei Offenbarungen des Auferstandenen, deren er seine Apostel bald einzeln, bald in größeren Versammlungen gewürdigt hat. Der Offenbarungen, die den gläubigen Frauen zu Teil geworden, tut er nicht einmal Erwähnung, damit er den Einwurf nicht hören muss, es seien eben leichtgläubige, nervenschwache Weiber gewesen, die solche Erscheinungen sich eingebildet haben. Dagegen geht er in der Beweisführung über den kleinen Kreis der Apostel hinaus, und erinnert an die fünfhundert Brüder, die ihn auf einmal gesehen haben, von denen noch viele leben, die Zeugnis ablegen und die Wahrheit bestätigen können. Zulegt aber protestiert er feierlich in seinem und seiner Mitapostel Namen gegen die empörende Verdächtigung, als ob er und sie wider Gott zu zeugen sich hätten beigehen lassen können, was freilich jeder Vernünftige ihm gerne glaubt, da ja gar nicht abzusehen wäre, was die Apostel hätte bestimmen können, gegen besseres Wissen und Gewissen etwas zu bezeugen, da sie nicht nur als ehrliche und aufrichtige Menschen sich kundgegeben haben, sondern gerade durch ihr Zeugnis Verfolgung, Schmach, Gefängnis, Verbannung, ja selbst den Tod eingeerntet haben. In der Tat, meine Lieben, es ist herzerhebend, wie neben dem Zeugnis der übrigen Evangelisten und Apostel durch diese kräftige und unantastbare Rede Pauli die Tatsache der Auferstehung Christi so felsenfest begründet und gegen alle Einwendungen der falschberühmten Kunst, die sich in unsern Tagen auch an diesem Artikel vergeblich versucht hat, sicher gestellt ist. Ja wir freuen uns, es jedem sagen zu dürfen: Jesus lebt und Er, der Ewiglebende ist bei uns, nicht allein im Wort, sondern in der Kraft und im heiligen Geist und mit großer Gewissheit.

Und darum wollen wir uns auch erbauen an der wohlbegründeten und seligmachenden Wahrheit, dass Jesus lebt, und zwar dass Er lebt

  1. für die Seinen und
  2. in den Seinen

I.

1) Der Heiland ist durch Seine Auferstehung aus dem Zustande der Erniedrigung in den der Erhöhung eingetreten, und hat ein unauflösliches Leben der Kraft und der Herrlichkeit an sich genommen. Die Schwachheit des Fleisches ward abgestreift und das Gewand unvergänglicher Macht und Majestät von ihm angelegt. Den Eingang in diese. Erhöhung sah Er jedoch nicht bloß als den reichen Ehrenlohn an, den der Vater ihm im ewigen Rat verheißen, und nun nach wohlvollbrachtem Werk wirklich eingehändigt hat, so dass Er nun im ungetrübten Genuss der erlangten Herrlichkeit für Seine Person sich gefreut, und Seinen Triumph und Krönungsfest gefeiert hätte. - nein, auch in dem erhöhten Zustande konnte Er die Seinen, die in der Welt waren, nicht vergessen; Er hatte Macht und Herrlichkeit angezogen, nur um segnend sie über sie auszuströmen, und die erworbenen Lebenskräfte zum Trost und zum Frieden ihnen mitzuteilen. Er lebt, aber Er lebt für sie; das hat Er schon damit angedeutet, dass Er nicht unmittelbar nach seiner Auferstehung in das unsichtbare Reich der unvergänglichen Welt sich aufschwang, sondern vierzig Tage lang bald da, bald dort den Seinen sich offenbarte, das zersprengte Häuflein sammelte, die Traurigen tröstete, die Schwachen stärkte, die Ungläubigen überzeugte, die Gefallenen erneuerte, die Irrenden belehrte, kurz Allen Alles zu werden suchte, so dass es jedem klar werden musste, Er lebe nicht nur, sondern Er lebe für sie; die Liebe, womit Er die Seinen geliebt habe vom Anfang bis zum Ende, daure in ununterbrochener Folge fort, und es bleibe auch ferner die Freude und Wonne seines Herzens, als den Fürsten des Lebens und des Friedens an ihnen sich zu offenbaren. O was für ein süßer Trost liegt in dieser seligmachenden Wahrheit: Jesus lebt, und Er lebt für uns, Sein Herz ist auf uns gerichtet, Sein allmächtiger Arm ist über uns ausgereckt, Seine Güte ist täglich neu, und Seine Barmherzigkeit währet für und für.

2) Diese Wahrheit ist so kostbar und herzerfreuend, dass es wohl der Mühe wert ist, sie in ihren einzelnen Teilen anzuschauen, um ihren reichen Inhalt so desto besser sich aneignen zu können. Wir folgen dabei dem Apostel Paulus in unserem Texte, der mit großer Klarheit und begrifflicher Strenge alle die traurigen Folgerungen unserem Nachdenken vorhält, die sich ergeben würden, wenn Jesus nicht auferstanden wäre. Sie sollen uns ebensoviel wohltuende Fingerzeige darauf werden, was wir an Christo, dem Auferstandenen haben, von dem wir wissen, dass Er lebt, und dass Er für uns lebt.

Der Apostel beginnt seine schneidenden Schlussfolgerungen mit dem Satz: ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in euren Sünden. Und er hat vollkommen Recht. Wäre Christus nicht auferstanden, so hätte unser Glaube an sein Wort und an seine Person kein Fundament, keine Bürgschaft und keinen Halt, unsere Rechtfertigung und Versöhnung durch Sein Blut wäre eine Urkunde ohne Siegel und Unterschrift, und im Leben, Leiden und Sterben gäbe es für uns keinen sichern Trost, keinen verlässlichen Stab, keine untrügliche Hoffnung. Nun aber drehen wir mit vollem Rechte um, und sprechen: dieweil wir wissen, dass Christus auferstanden ist von den Toten, und hinfort nicht stirbt, dass Er lebt, und für uns lebt, darum ist unser Glaube nicht eitel, kein Schatten und Trugbild, sondern göttliche Kraft und göttliche Wahrheit; auch sind wir nun nicht mehr in unseren Sünden, sondern von ihrem Fluch entbunden, von ihrer Last enthoben, gereinigt, gewaschen, geheiligt und vollendet. Er ist um unserer Sünde willen dahingegeben, um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt, (Röm. 4,25.) nun stehen wir vor Gott nicht mehr in der Gestalt unseres sündlichen Fleisches, auch nicht im Flickwerk einer mühsam zusammengetragenen, und doch dabei so befleckten eigenen Gerechtigkeit, sondern in der Schönheit einer durch den Gekreuzigten und Auferstandenen entsündigten neuen Natur, die nun angenehm gemacht ist in dem Geliebten, die Sein Verdienst bedeckt, Seine Gerechtigkeit ziert und Sein neues Leben krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Versteht ihr nun wohl, warum der große Osterfürst mit Leben und Himmelsglorie umflossen aus dem Grabe hervortritt, und Sein ganzes Wesen in ungetrübter Klarheit und Herrlichkeit prangt? Das ist nicht bloß der wohlerworbene Schmerzens-Lohn Seines Gehorsams bis zum Tod am Kreuz, nein, das ist zugleich auch unser Schmuck, unsere Ehre, unsere Verherrlichung. Sein Tod ist unser Tod, Sein Leben unser Leben, Seine Herrlichkeit unsere Herrlichkeit, wir stehen nun vor Gott nicht mehr bloß als die begnadigten Sünder, damit die Schuld erlassen würde, sondern in ihm sind wir gerecht und herrlich gemacht, wir sind in die vollen Kindesrechte eingesetzt, geheiligt und geadelt, das göttliche Wohlgefallen ruht auf uns, die Sonne des ewigen Lebens bestrahlt uns, das unvergängliche und unbefleckte Erbe im Himmel wartet auf uns, dieweil wir Gottes Erben und Miterben Christi sind (Röm. 8,17.). Jesus lebt und lebt für uns, darum heraus aus euren Tränenwinkeln und Schwermutshöhlen; denn freudig dürfen wir singen:

Nichts, nichts kann mich verdammen,
Nichts macht hinfort mir Schmerz,
Die Höll' und ihre Flammen,
Die ängsten nicht mein Herz,
Kein Urteil mich erschrecket,
Kein Unheil mich betrübt,
Weil mich mit Flügeln decket
Mein Heiland, der mich liebt.

Jesus lebt und lebt für uns: - dies schließt ferner eine zweite seligmachende Wahrheit in sich. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, fährt Paulus fort, so sind wir die Elendesten unter allen Menschen, unter der Voraussetzung nämlich, Christus wäre nicht auferstanden. Und gewiss: Paulus hat abermals Recht, denn könnte es einen bedauernswürdigeren Menschen unter der ganzen weiten Sonne geben, als einen Christen, der in gutem Glauben seinem Herrn nachfolgte, den schmalen Weg erwählte, der Welt den Rücken kehrte, sein Fleisch kreuzigte, sein eigenes Ich verleugnete, der Heiligung nachjagte und am Ende würde offenbar, dass er nach einem Traumbild gehascht, nach einem Irrwisch gelaufen, und der schmerzlichsten Enttäuschung sich bloß gestellt hätte? - Wahrlich, da hätten die eitlen Kinder dieser Welt gewiss das Bessere und Sicherere erwählt; sie essen und trinken, sie pflegen des Leibes und des Lebens, sie pflücken die Blumen des Genusses, des feinen oder des groben, wo sie sie finden, sie machen sich's bequem und angenehm in dieser Welt, und suchen den Grundsatz zu vollziehen: lasst uns also tun, denn morgen sind wir tot. Wahrlich: wäre Christus nicht auferstanden, so wären diese die Weisen, die Christen aber die Toren, sie wären die Beneidenswerten, die Christen aber die Bedauernswürdigen, sie wären die Glücklichsten, die Christen aber die Elendesten unter allen Menschen. Aber so steht die Sache nun nicht; wir drehen mit vollem Rechte den Satz um, und dann lautet er also: nun aber ist Christus auferstanden, Er lebt, Er lebt für uns, darum sind wir nicht die elendesten, nicht die bedauernswürdigsten, sondern die glücklichsten, die beneidenswertesten, die seligsten Leute. Denn wer kann glücklicher sein, als derjenige, der das Haupt, in dem Sichtbares und Unsichtbares, Himmel und Erde vereinigt ist, dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, zum Freunde hat? und was haben wir an diesem Freunde? einen Lehrer, der uns zur Quelle der Weisheit und Erkenntnis leitet; einen Führer, der uns durch das irdische Pilgertal begleitet; einen Arzt, der die Wunden des Gewissens uns heilt; einen Berater, der in allen Verlegenheiten uns tröstet; einen Helden, der uns im Kampfe zur Seite bleibt; einen Schirmherrn, der in Kreuz und Trübsal seinen Schild über uns breitet; einen Freudenmeister, der uns alle Opfer der Welt- und Selbstverleugnung reichlich zu versüßen, einen milden Richter, der selbst beim Wägen auf der Waagschale des obern Heiligtums uns nicht zu verwerfen, sondern in alle Ewigkeit hinein mit der Krone der Unvergänglichkeit zu zieren verspricht. Saget an: sind wir nicht die glücklichsten und seligsten Leute? und sind nicht alle Toren, die nicht unter seinen sanften Stab sich stellen, sein gerades und richtiges Zepter küssen, und in treuer Anhänglichkeit ihm huldigen?

O wüssten es doch alle Leute,
Die Er mit Seinem Blut erkauft,
Wie Schad' es ist, dass nicht noch heute
Ihm Alles in die Arme lauft,
Und wie so gut es Jedermann,
Noch heute bei Ihm haben kann!

Drum, wer sollte sonst was lieben
Und sich nicht beständig üben,
Dieses Königs Freund zu sein!
Muss man gleich dabei was leiden
Sich von allen Dingen scheiden,
Bringts Ein Tag doch wieder ein.

Jesus lebt, und Er lebt für uns, dies schließt noch eine dritte Wahrheit in sich. Paulus setzt endlich in seiner Schlussfolgerung auch noch dazu: ist Christus nicht auferstanden, so sind auch die, die in ihm entschlafen sind, verloren. Und hat er nicht abermals Recht? Denn ist Christus nicht erstanden, so gibt es entweder gar keine Fortdauer nach dem Tode, und die, die da sterben, sterben sie nun in dem HErrn, oder in ihren Sünden, zerflattern in das ewige Nichts; oder aber gibt es dennoch eine Fortdauer nach dem Tode; dann kann sie aber keine selige sein, dieweil wir ja dann kein vom Gott der Heiligkeit angenommenes Sühnopfer für unsere Sünden haben, und mit unserer schweren Sündenschuld vor das Auge des Richters alles Fleisches uns stellen müssen. In beiden Fällen sind aber die, welche im HErrn entschlafen sind, es ist grauenhaft zu sagen, verloren; vernichtet oder verdammt. Aber wir drehen mit Freuden diesen furchtbaren Lehrsatz um, und sprechen: nun aber ist Christus auferstanden, nun aber lebt Er, und lebt für uns, darum sind alle, die in dem HErrn entschlafen sind, nicht verloren, sondern gewonnen, nicht vernichtet, sondern gerettet, nicht verdammt, sondern beseligt. Denn Seine Liebe kann nicht ruhen, als bis Er alle, die ihm der Vater gegeben hat, vor Sein Angesicht gestellt hat mit Freuden. Darum hat Er ja das Bitterste gekostet, darum den Tod selber geschmeckt, darum das Leben wieder an sich genommen, darum zur Herrlichkeit sich aufgeschwungen, um uns einen Zugang zu öffnen, zum obern Heiligtum, um die verschlossene Pforte des Paradieses aufzutun, und uns eine Stätte zu bereiten, wo wir aus der Fremdlingsschaft zur Heimat, aus dem Gewühl dieser Welt zur Ruhe des Volkes Gottes, aus dem Kampf und den Mühen des irdischen Prüfungsstandes zum Sieg und Frieden der triumphierenden Gemeinde erhoben werden sollen. Ja, darum ist auch sein irdischer und menschlicher Leib in die Unverweslichkeit aufgenommen und himmlisch verklärt worden, damit auch an uns, seinen Gliedern, seine Auferstehungskraft zur Neubelebung und Verklärung unseres Leibes offenbar werde, und unser nichtiger Leib seinem verklärten Leibe ähnlich werde nach der Wirkung, damit Er kann auch alle Dinge ihm untertänig machen (Phil. 3,21.)

Jesus lebt, und Er lebt für uns; das wird deswegen erst dann recht offenbar werden, wenn Seine Stimme auch die Gräber durchdringen, den verweslichen Staub zu unverweslichem Leben hinanführen, und was gesät wurde in Schwachheit, in Kraft, und was gesät wurde in Unehre, in Herrlichkeit auferstehen und unser ganzer Mensch nach Leib, Seele und Geist erneuert, und verklärt, vom Lichte unvergänglichen Lebens umflossen ein Denkmal Dessen sein wird, der gesprochen hat: ich lebe und ihr sollt auch leben (Joh. 14,19.).

Einst will ich auch den Leib zurück vom Staube fordern;
Denn auch kein Stäubchen des, was mein ist, soll vermodern,
Was ich als ein Gewand hab' abgelegt im Grabe,
Anzieh' ich's wieder, wenn ich ausgeschlafen habe.
Es wird das alte Kleid, und doch ein neues sein;
Durch Christi Blut und Macht wird es verklärt und rein.

II.

Jesus lebt; diese seligmachende Wahrheit hat aber auch noch eine andere Seite. Er lebt nicht nur für die Seinen, Er lebt auch in den Seinen.

1) In den Abschiedsreden des HErrn, in welchen Er die Apostel über Seinen Hingang zum Vater tröstet, und über die heiligen Absichten, die diesem Hingang zu Grunde liegen, belehrt, hebt der Heiland mehreremal, als das große Endziel seiner Auferstehung und Verherrlichung das hervor: an demselbigen Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und ich in euch (Joh. 14,20.) Und am Ende des hohepriesterlichen Gebets fügt Er die Schlussbitte hinzu: auf dass die Liebe, damit Du mich liebst, sei in ihnen und Ich in ihnen (Joh. 17,26.) Diese Bitte wurde erhört, dieser Wunsch auf die herrlichste Weise erfüllt, wie denn z. B. der Apostel mit freudigem Bekenntnis ausrufen konnte: so lebe nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir (Gal. 2,20.) Ohne die Auferstehung und Verherrlichung Christi wäre dieses Sein Leben in ihnen nicht möglich gewesen. Wäre der Heiland ohne diese Veränderung Seines Wesens auch noch so lange bei ihnen gewesen in sichtbar menschlicher Weise, so hätte dieses Eingehen seines Geistes in ihren Geist, dieses Wohnen und Wirken und Leben in ihnen nicht erfolgen können; Er wäre fort und fort ihnen äußerlich gegenübergestanden, sie hätten sein Wort vernommen, sein Vorbild angeschaut, nach seinem Sinn und Willen sich gebildet, aber es wäre zu keiner Verschmelzung seines Geistes mit dem ihrigen, zu keinem Einswerden mit ihm in der Tat und Wahrheit gekommen. So aber konnte er sie nach der Auferstehung anhauchen, und sprechen: nehmt hin den heiligen Geist. Von nun an spiegelte sich in ihnen des HErrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und sie wurden verklärt in dasselbige Bild von einer Klarheit zur andern als vom HErrn, der der Geist ist (2 Kor. 3,18. usw.) Dieses herrliche und liebliche Ziel ist auch uns vorgestellt. In Christo sollen wir nicht bloß den Vorgänger verehren, der vor uns hergeht auf der Bahn der Gottseligkeit und Heiligung, auch nicht bloß den Versöhner, der für uns eintritt, und unsere Schuld und Sünde hinwegnimmt, ja auch nicht bloß den König, der mit allmächtiger Hand über uns waltet, und durch alle feindlichen Mächte zum Licht und Siege leitet, sondern zugleich auch den Lebensfürsten, der in uns wirken und wohnen, die dunkle Gruft unseres Herzens lichten, den Moder der Sünde und Übertretung verbannen, und diese befleckte Werkstätte der Selbstsucht und Verkehrtheit in ein reines Haus seiner Gnade und Wahrheit, in einen Tempel seiner Herrlichkeit und seines Lebens verwandeln will, so dass auch unser Mund frohlocken kann: Christus lebt in mir. Ja so befleckt, so unrein, so schuldbeladen. du bist, dennoch sollst und kannst du etwas werden durch den, der das Tote lebendig machen, alle Riegel und Schlösser der Finsternis brechen, alle Bande lösen, und den Geistern im Gefängnis der Sünde zum Sieg und zur Freiheit helfen kann. Auch du sollst etwas werden zum Lob seiner herrlichen Gnade; denn auch über dir tönt der Osterruf: wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten (Eph. 5,14.); denn Er lebt, und Er will auch in dir leben.

2) Ihr werdet wohl fragen: woran denn wohl erkannt werden möge, dass Christus in uns lebe, und welches der Weg sei, sein Leben in uns zu pflanzen, zu nähren und zu fördern. Unsere heutige Abendlektion lässt uns auf diese Frage nicht ohne Antwort.

Derjenige Apostel, der so freudig bekennt: Christus lebt in mir, dieser Apostel erzählt uns in unserem Texte, wie es zugegangen, dass dieses Leben Christi in ihm gepflanzt worden sei, und Er tut es auf eine Weise, dass man wohl fühlt, wie kräftig Christus in ihm lebt, und welche Gestalt er in ihm gewonnen; denn Er erzählt es mit einer Beugung, mit einem Schamgefühl, mit einer Demut, die den echten, den unnachahmlichen Stempel des Geistes Christi an sich trägt. Am letzten nach allen ist er auch von mir, als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, als der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum, dass ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnaden bin ich, was ich bin, und Seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen; sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie Alle, nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.

Seht da, das ist die Sprache eines Herzens, in dem Christus lebt, es weiß nichts, als von Gnade zu rühmen; arm, schwach, sündig schmiegt es sich zu den Füßen seines Heilands nieder; nur Eines ist ihm groß, nur Eines anbetungswürdig, dass Er das Verlorene, das Verdammungswürdige angenommen, dass Er nicht an uns vorübergegangen und uns wie einen Brand aus dem Feuer gerissen. Und wenn dann auch ihm selbst etwas Gutes gelingt, alsobald

Kommt die heilige Scham herbei,
Und zeigt uns so Mancherlei, Dass man Gott dankt, wenn man sich selbst vergisst,
Und denkt an nichts, als dass ein Heiland ist.

Seht da, so kommt man dahin, dass Christus, der Lebendige, in uns lebt; man hält dem Zug des Vaters zu dem Sohne still, wie es Paulus gemacht hat, man lässt sich richten und züchtigen durch das Wort Seines Mundes, man lässt sich drehen und wenden an Seinen Händen, wie der Töpfer seinen Ton wendet, man ist aufmerksam auf Sein Wort und Seinen Geist, man liebäugelt nicht mit der Sünde, sondern macht keusch seine Seele im Gehorsam der Wahrheit, man arbeitet und wirkt im Dienst Seines HErrn, so lange es Tag ist, man zeugt von Christo unter einem verkehrten und unschlachtigen Geschlecht mit Wort und Tat; bei dem allem aber weiß man von eigenem Ruhme nichts, man spricht: nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist; und bleibt dabei fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, anhaltend im Gebet.

Heil uns, dass Paulus nicht als der einzige dasteht, in dem Christus also gelebt hat, sondern dass von den heiligen Aposteln an bis auf unsere Tage ein großer Bildersaal sich herabzieht, in welchem die verschiedenartigsten Gestalten uns begegnen, verschieden nach Nationen, Sprachen und Zungen, verschieden nach Geist, Gemüt und Bekenntnis, verschieden nach der äußeren Stellung und Anerkennung, aber doch einander ähnlich durch den Glauben, der sie belebt, durch die Liebe, die in ihnen wirkt, durch den Geist, der in ihnen wohnt; Christus lebt, und lebte auch in ihnen, darum waren sie treu in Seinem Bekenntnis. Ich kann jedoch heute nicht schließen, ohne unter den vielen edlen Zeugen der Wahrheit, die Christi Liebe wahrhaft und wesentlich in sich trugen, auch Einen noch ausdrücklich zu nennen, dessen Gedächtnis unter uns im Segen bleiben, und auch auf unsere Kinder sich forterben soll. An dem heutigen Tage nämlich, vor 100 Jahren, den 16. April des Jahrs 1743 ging Georg Conrad Rieger zur Ruhe ein. Dieser Mann, der so viel gearbeitet, so viel gekämpft, so viel gebetet hat, hat auf seinem Krankenbett, als er seine Personalien, seine Angaben über seinen eigenen Lebenslauf diktierte, folgenden Schluss angebracht: „Mein ganzer Lebenslauf steht in jenem Sprüchlein: „ich bin ein armer Sünder, und die letzte Zeitung von mir soll diese sein: Jesus Christus hat ihn selig gemacht.““ Wir aber wollen der apostolischen Mahnung eingedenk bleiben: Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach (Hebr. 13,7.)

Amen.

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