Hofacker, Wilhelm - Predigt am Sonntag Estomihi,

Hofacker, Wilhelm - Predigt am Sonntag Estomihi,

von Diaconus Hofacker in Stuttgart.

Text 2 Cor. 11, 23-30.
Sie sind Diener Christi (ich rede thörlich); ich bin wohl mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten; ich bin öfters gefangen, oft in Todesnöthen gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal empfangen vierzig Streiche weniger eins. Ich bin dreimal gestäupet, einmal gesteiniget, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht habe ich zugebracht in der Tiefe (des Meers.) Ich habe oft gereiset: ich bin in Gefahr gewesen zu Wasser, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr unter den Juden, in Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern, in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel fasten, in Frost und Blöße, ohne was sich sonst zuträgt, nämlich, das, ich täglich werde angelaufen und trage Sorge für alle Gemeinen. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? wer wird geärgert, und ich brenne nicht? So ich mich je rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.

Es ist schon oft bedauert und beklagt worden, daß wir vom Leben der edelsten Gottesmänner, deren Namen die Bibel uns aufbehalten hat, so gar sparsame und kärgliche Nachrichten haben. Wir mögen im Alten und Neuen Testamente uns umsehen, wo wir wollen, so finden wir statt vollständiger und zusammenhängender Lebensbeschreibungen meistens nur abgerissene, unzusammenhängende Bruchstücke. Das Leben eines Abraham, eines Jacob, eines Moses, eines Jesaja, eines Elias, eines Daniel, oder das Leben eines Petrus, Johannes, Jacobus ist uns nicht zum dritten und vierten Theil erzählt. Ja das Leben des Sohnes Gottes selbst im Stande Seiner Erniedrigung ist bis auf die drei letzten Jahre Seines Wandels hienieden für uns beinahe ein ganz verschlossenes Buch. Auch hier müssen wir uns unter die Weisheit Gottes demüthigen und an dem, was da ist, uns begnügen lernen. Aber um so getroster dürfen wir uns der Hoffnung überlassen, die Paulus uns eröffnet, wenn er ausruft: „Unser Leben ist verborgen mit Christo in Gott; wenn aber Christus, unser Leben, sich offenbaren wird, so werden auch wir mit ihm offenbar werden in der Herrlichkeit.“ Dann werden auch die Schleier, die uns den Einblick in die äussern und innern Lebensführungen anderer Kinder Gottes entzogen, sich lüften; Christus wird herrlich erscheinen in Seinen Heiligen und wunderbar in allen Gläubigen.

Aber auch schon das Wenige, was der Herr vom Leben Seiner Kinder aufzubehalten und uns zu offenbaren für gut gefunden hat, bietet dem sinnigen Beschauer Stoff genug dar, um die Weisheit der Wege Gottes zu bewundern, und seinen eigenen Glauben, seine Geduld, seine Hoffnung daran zu stärken. Er freut sich der Aufschlüsse, die ihm dadurch zu Theil werden, und kehrt reichlich beladen von einer jeden solchen Umschau in seinen eigenen, vom Herrn ihm angewiesenen Lebenskreis zurück. So dürfen wir es als eine besonders gnadenreiche Fügung Gottes erkennen, daß uns vom Schicksal Seines Paulus, dieses für die Kirche Christi so ausgezeichneten Rüstzeuges, wenn auch keine vollständige Erzählung, doch mancherlei einzelne Züge und Andeutungen aufbehalten sind. Nicht bloß die Apostelgeschichte, auch er selbst in seinen Briefen theilt Manches aus seiner innern und äussern Lebensgeschichte mit, was unser Nachdenken in hohem Grade in Anspruch zu nehmen und unser Herz mit Freude, Bewunderung und Anbetung, aber auch mit Scham und ernster Selbstanklage zu erfüllen geeignet ist. Unsere heutige Epistel enthält eine solche Mittheilung. Wie etwa ein ergrauter Soldat, der die Strapazen und Entbehrungen eines im Kriegssturm zugebrachten Lebens reichlich erfahren hat, von den Feldzügen erzählt, die er mitgemacht, von den Schlachten, darin er mitgefochten, von den Wunden, die er davon getragen, von dem Hunger und von der Blöße, mit denen er zu kämpfen hatte: so haben wir in Paulus einen ergrauten Streiter Christi vor uns, der mit wenigen Worten einen gedrängten Ueberblick über seine Leiden unter der Fahne des Herzogs seiner Seligkeit gibt. Und in der That - nach seinem nur flüchtig und bruchstückartig hingeworfenen Berichte können wir uns ein sprechendes und ergreifendes Bild entwerfen von den Mühseligkeiten, die er in seinem Zeugen-Amte übernommen, von den Drangsalen, deren Last und Bürde er empfunden hat, bis er endlich selig überwunden hatte und in das Triumphlied einstimmen konnte, das wir im Brief an den Timotheus lesen: „ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe meinen Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit.“ Es ist wohl der Mühe werth, vor dem flüchtigen Abriß, den er von seinem Leben entwirft, ein wenig länger zu verweilen und einige wichtige Ergebnisse für unser eigenes Herz daraus zu entnehmen. Wir betrachten daher das Lebensgemälde des Apostels Paulus reich an fruchtbaren Betrachtungen und Ergebnissen für unser eigenes Herz und Leben.

I.

Ruhig und friedsam sind die Zeiten, die der Kirche Christi in unsern Tagen angebrochen sind. So verwegen und keck auch die Gegner sind, die in unserer eigenen Mitte gegen den Herrn und Seinen Gesalbten sich erheben, so feindselig und zerstörend auch die Angriffe sind, die dem Evangelium von Seite der fleischlichen Weisheit und der falschberühmten Kunst dieser Welt drohen, so ist doch beinahe nirgends der äußerliche Bestand der Kirche bedroht, nirgends das Schwert der Verfolgung gegen sie gezückt. Sie kann sich meist überall im Frieden erbauen und sogar ungehindert weiter sich ausbreiten. Hat sie ja doch gerade in unsern Tagen, ihrer heiligen Verpflichtung eingedenk, eine längst ererbte Schuld abzutragen angefangen und kräftiger, als es seit Jahrhunderten geschah, Hand aus Werk der Verkündigung des Reiches Gottes auf Erden gelegt, - Bemühungen, die bald da bald dort vom Herrn der Gemeinde mit einem gesegneten Erfolge gekrönt worden sind. Dieser Friedenszustand der Kirche aber hat manchem Christen unserer Tage jene Gefahren und Kämpfe sehr in die Ferne gerückt, welche das Evangelium zu bestehen hatte, bis es sich in dieser finstern und gottlosen Welt Bahn gebrochen und auf dem bescheidenen Boden, den es sich erst mühsam erstreiten mußte, festen Fuß gefaßt hat. Darum unterliegen Viele namentlich unter denjenigen, die die Geschichte des Reiches Gottes nicht näher kennen, der so nahe liegenden Versuchung, die Vergangenheit nach der Gegenwart zu beurtheilen und sich dem behaglichen Gedanken zu überlassen: Wie es jetzt ist, so ist es von Anfang gewesen; die Tage, die dahin sind, werden von denen, in denen wir leben, so verschieden und abstechend nicht gewesen seyn. Wie verkehrt und grundlos eine solche Meinung ist, zeigt ein flüchtiger Blick in unsere heutige Abendlection. Hier sehen wir, wie gleichsam alle Mächte der sichtbaren und unsichtbaren Welt sich verschworen hatten, um das Evangelium des Friedens, das in Christo Jesu der Welt gepredigt werden sollte, zu dämpfen und zu unterdrücken. Fasset nur einmal das Leben des einzigen Mannes in die Augen, der heute zu uns redet! Welche Widerstände gab es für ihn zu überwinden, welche Bollwerke zu übersteigen, welche Gefahren zu besiegen, welche Leidensbürden zu tragen! Zu Wasser und zu Land, in Städten und in der Wüste, im Frost und in der Hitze mußte er als guter Streiter auf dem Plane stehen. Fürsten und Pöbelhaufen, Juden und Heiden, Pharisäer und Sadducäer, Mörder und falsche Brüder machten ihn zur Zielscheibe feinberechneter und blutiger Verfolgungsplane; an Spott, an Hohn, an Streichen, an Peitschenhieben, an Steinwürfen, an gezückten Schwertern war kein Mangel. So viel Angst und Noth, so viel Sorge und Arbeit, so viel Schweiß und Blut hat es bloß diesen Einen Kämpfer gekostet, bis der holdselige Name Christi den Heiden geprediget und das Panier des Evangeliums vor den Augen der Welt entfaltet war. Und wer zählt die Ströme des edelsten Zeugenblutes, das zu Schutz und Trutz des Evangeliums geflossen ist? wer zählt die Seufzer, die aus der beklommenen Brust der Verfolgten, der Geächteten, der Gemarterten emporgestiegen sind? wer zählt die Reihen der schmerzlichsten Entbehrungen und Opfer, denen auch unsere Väter in den Zeiten der Anfechtung sich unterzogen haben, nur damit das Kleinod der evangelischen Wahrheit uns unversehrt überliefert würde und die Wohnung des Höchsten bei Kind und Kindeskind unverrückt bestände für und für? Auch von den Neutestamentlichen Zeugen läßt sich sagen: „Etliche haben Spott und Geißeln erlitten, dazu Bande und Gefängniß; sie sind gesteiniget, zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getödtet; sie sind umhergegangen in Pelzen und Ziegenfellen, mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach; sie sind im Elend gegangen in den Wüsten, aus den Bergen und in Klüften und Löchern der Erde.“ (Ebr. 11, 6ff.) Ja es läßt sich wohl sagen, die Säulen der Kirche, auch der evangelischen, stehen im Blute mancher Gerechten, deren die Welt nicht werth war; wir wandeln auf einem Saatfeld, das mit viel edlen Thränen begossen, mit viel heißen Gebeten eingeweiht worden ist.

Aber eben dieß sollte uns dankbarer machen für den kostbaren Besitz dessen, was jene so sauer errungen, so blutig erkämpft und so treu behauptet haben. Nur Schmach und Schande kann diejenigen treffen, die in der Sattheit und im Ueberdruß ihres Herzens dasjenige gering achten und leichten Kaufs dahingeben, was unsere gläubigen Alten mit Daransetzung ihres Guts und ihres Bluts so tapfer vertheidigt haben. Wahrlich, wenn sie sehen würden, wie viele ihrer Nachkommen von dem mit Ekel sich abwenden, was ihnen die kräftigste Speise für ihren unsterblichen Geist war; wenn sie sehen könnten, wie wenig Dank in der Welt zu finden ist für den ruhigen Besitz der edeln Perle, um derentwillen sie alles verkauften und das Liebste sogar für Schaden achteten, ja daß dieselbe von Manchen leichtsinnig weggeworfen und in den Koth getreten wird, - in der That, sie würden sich noch im Grabe umwenden und den Enkeln zurufen, die den Bund des Friedens nicht besser zu bewahren wissen, und als ein ehebrecherisches Geschlecht am Heiligthum der Menschheit sich zu vergreifen wagen. Die siegreiche Ehrenfahne des Evangeliums, um die sich unsere Väter im Glauben so treu und wacker geschart haben, hat es nicht verdient, daß wir nun treulos sie verlassen und den Händen der Feinde des Reiches Gottes sie preisgeben; mit um so freudigerem Danke sollten auch wir unter sie uns stellen, weil, wie unsere Väter nur unter ihr zum Sieg über Welt und Tod hindurchgedrungen sind, so auch wir nur unter ihrem Wehen die steilen Höhen des ewigen Lebens erglimmen können.

Schönen Sieg hat einst gefunden
Vieler Heil'gen Glaubensmuth,
Da sie haben überwunden
Fröhlich durch des Lammes Blut.
Sollten wir
Denn nicht hier
Streiten unter dem Panier?

II.

Sehen wir jedoch von der Stellung des Apostels zur Kirche, deren Begründer und Leiter einer er war, ein wenig ab und fassen ihn als eine einzelne Person ins Auge, so eröffnet sich ein neuer Gesichtspunkt, aus dem wir sein anziehendes Leidens- und Lebensgemälde betrachten können.

Schlicht und einfach ist die Erzählung, die der Apostel in unsern Textesworten gibt; nur hingeworfen sind die Umrisse, die uns das Schwere und Würdevolle seines Zeugenamtes vergegenwärtigen sollen. Und dennoch welch' eine Summe der schmerzlichsten Entbehrungen, der wehthuendsten Erfahrungen häuft sich an, so daß man sich nur darüber wundern muß, wie ein solch' volles und gerütteltes Leidensmaß in das enge und schwache Behältniß eines einzigen Menschenlebens zusammengedrängt seyn konnte. Die paar Verse, die ein Bild von seinem mühseligen Amtslaufe geben, wie leicht und flink lassen sie sich vom Blatte weglesen; aber die einzelnen Züge für sich betrachtet, wie viel gab es da zu dulden, zu tragen, zu seufzen, zu überwinden! Und doch führt der Apostel all' diese Unbilden nicht deßwegen an, um zu klagen und darüber sich zu beschweren, ebensowenig, um das Mitgefühl und die Theilnahme seiner Leser rege zu machen, noch auch um dadurch irgend eine Gerechtigkeit aufzurichten, wie dieß bei so manchen leidensstolzen Naturen leider oft der Fall ist. Nein! er nahm all' das, was ihm widerfuhr, als etwas hin, was sich von selbst so verstehe, als den Sold, den er von der Welt, wie sie nun einmal sey, für all' seine Liebe und seinen Eifer nicht anders erwarten könne. Er gebärdete sich nicht, als widerfahre ihm hiedurch etwas Sonderliches, sondern er hatte es schon vom Anfang seiner Berufung an mit in Rechnung genommen und nie etwas anderes als Diener Christi sich in Aussicht gestellt. Darum kam auch, als nun die Stürme sich erhoben und die Fluchen der Anfechtung über sein Haupt gingen, kein Murren in seine Seele, keine Klage auf seine Lippen, sondern vielmehr Preis und Dank und Lob, Gottes. Er rühmte sich seiner Trübsale (Röm. 5,3.), und als er und Silas in Philippi nach grober Mißhandlung im Gefängniß lagen, konnte er noch mit lauter Stimme Psalmen anstimmen, also daß sein Glaube auch unter den übrigen Mitgefangenen ein guter Geruch Christi wurde.

Wie klein und verächtlich stehen wir da, meine Lieben, wenn wir uns mit diesem wackern und muthigen Glaubenshelden vergleichen! Schamroth müssen wir an unsere Brust schlagen und uns der weichlichsten Leidensscheue und Kreuzflüchtigkeit anklagen vor Gott und vor Menschen einem solchen Manne gegenüber! Ist wohl auch nur Einer unter uns, der sich wegen der Unbilden, die er erfahren, wegen der Trübsale, die er erduldet, einigermaßen mit diesem treuen und bewährten Knechte Christi messen könnte? Wer hat denn unter uns schon ebensoviele Schläge erlitten? wer ist eben so oft in Gefahr und Todesnoth gewesen? sind wir auch schon mit Ruthenhieben gezüchtigt worden? hat man uns auch schon gesteinigt? sind wir auch schon in solcher Gefahr gewesen zu Wasser, in solcher Gefahr zu Land, in solcher Gefahr unter den Mördern, in Hunger und Durst, in Frost und Blöße? Es fehlt auch unter uns nicht an Leidensgenossen und an Kreuzträgern, die die schwere Hand Gottes in tief einschneidenden Prüfungen empfunden haben, die, wenn sie ihren Lebensgang zu erzählen begännen und namentlich den Schleier hinwegzuheben vermöchten über so manche geheime Noth und Anfechtung, die sie im Stillen bestanden und nur Gott klagen konnten, - wir würden staunen darüber, wie viel Mühseligkeit und Jammer oft nur einem einzigen Menschenleben, ohne daß Menschen etwas davon ahnen, aufgebürdet ist. Aber neben den vielbewährten Dulder Paulus gestellt, würden sie sich selbst doch nur als unerfahrene Anfänger erscheinen und bekennen müssen, daß sie, alles zusammengenommen, kaum den dritten und vierten Theil davon haben erfahren dürfen, was er mit so schlichten und kurzen Worten von sich zu erzählen weiß. Und doch hat er All' das erduldet, nicht als einer, der empfängt, was seine Thaten werth sind, ebensowenig in eigener Sache und Angelegenheit, um welcher willen sich die Menschen auch sonst noch zur Noth etwas Herbes und Unangenehmes gefallen lassen, sondern um der Sache und des Namens Christi willen, für den er leben und wirken, für den er arbeiten und kämpfen, für den er dulden und sterben wollte, weil seine Liebe ihn drang und er sich's nicht wehren lassen konnte, als Botschafter an Seiner statt zu rufen und zu zeugen: Lasset euch versöhnen mit Gott!

Wie zufrieden und dankbar sollten wir seyn, meine Zuhörer, wenn wir die Leidensaufgabe eines Paulus mit der unsrigen vergleichen. Er sah ganze Centnerlasten sich aufgebürdet, uns sind vielleicht nur etliche Pfundsteine auferlegt; er hat des Tages Last und Hitze in heißer Anstrengung tragen müssen, und wir dürfen vielleicht nur zuweilen im Weinberg der Leiden Christi stehen und dabei bald diese bald jene Erleichterung und Aufrichtung genießen. An seinem Beispiel können wir lernen, was es heißt, sich selbst verläugnen, das Kreuz Christi auf sich nehmen und durch Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben. Darum, dieweil wir eine solche Wolke Zeugen vor uns haben, so lasset uns ablegen die Sünde, die uns immerdar anklebt und träge macht, und laufen in dem Kampf, der uns verordnet ist.

Unser Weg geht zu den Sternen,
Der mit Kreuzen ist besetzt;
Hier darf man sich nicht entfernen,
Ob er gleich mit Blut benetzt;
In den Schoß der Ewigkeit
Kommt kein Mensch hin ohne Streit;
Die in Salems Mauern wohnen
Zeigen ihre Dornenkronen.

III.

Großes und Herrliches vermag der Jünger Christi zu leisten, wenn er seine Gnadenzeit treulich anwendet und das, was er ist, ganz ist - dieß ist ein weiterer Eindruck, der sich uns aufdrängt, wenn wir mit sinnender Betrachtung in das Lebensgemälde des Apostels uns vertiefen.

Es ist in der That rührend zu lesen, wie der Apostel die Beschreibung seiner Amtsleiden mit Hinweisung auf seine vielgestaltige Amtsthätigkeit schließt, die seine volle Kraft und seine ganze Zeit in Anspruch nahm. „Ohne was sich sonst zuträgt,“ setzt er hinzu, „daß ich täglich werde angelaufen und trage Sorge für alle Gemeinden.“ Mit diesem einigen Wink eröffnet sich uns ein umfassender Blick in ein reiches und weites Arbeitsfeld, das der Apostel im Schweiß seines Angesichtes zu bebauen und zu bestellen hatte. Alle Gemeinden, die durch seine und seiner Mitapostel Predigt ins Leben gerufen worden waren, lagen ihm auf dem priesterlichen Herzen; bald von dieser, bald von jener Seite liefen Berichte ein, theils erfreulichen, theils betrübenden Inhalts. Da gab es nun gar viel zu beten und zu ordnen, schriftlich und mündlich zu trösten, zu warnen, dem Feind und Seelenverderber zu wehren, die Irrlehrer zu schrecken, die Verführten wieder zurückbringen, die hochfahrenden Geister zu demüthigen, die Schwachen mit Sanftmuth zu tragen und freundlich zu ermuthigen, die Anfänger zu stärken, die Zanksüchtigen auf den Weg des Friedens zu leiten, und die da Aergerniß gaben, mit Strafe und Bann zu bedrohen und nötigenfalls auch zu belegen. Außerdem wurde er täglich noch angelaufen; Streitigkeiten unter den Brüdern mußten geschlichtet, Mißverständnisse in den Ehen zurechtgelegt, Auswüchse im Wandel der einzelnen Christen abgeschnitten, Ordnung und Zucht gehandhabt werden, damit die Gemeinden das, wozu sie bestimmt waren, wirklich seyn und unter einem verkehrten und unschlachtigen Geschlechte als ein priesterliches und heiliges Volk verkündigen möchten die Tugenden deß, der sie berufen hatte aus der Finsterniß zu seinem wunderbaren Lichte. Das Alles that und trieb Paulus nicht in todtem und kaltem Gewohnheitssinn, wie etwa ein Miethling, der seiner nun einmal eingerichteten Amtsmaschine von Zeit zu Zeit einen Stoß gibt, damit sie in ihrem alten, herkömmlichen Geleise herzlos fortrollt; nein, er führte das Amt des Geistes und nicht des Buchstabens; sein Herz glühte für die Sache, die er nun einmal ergriffen hatte, sein Geist wandte sich mit stets frischer Theilnahme und Begeisterung den heiligen Angelegenheiten der Gemeinden sowohl, als der einzelnen Glieder derselben zu, weßwegen er auch sagen konnte: „Wer ist schwach und ich werde nicht schwach? wer wird geärgert und ich brenne nicht?“ Die Liebe Christi war mächtig in ihm, also daß er Allen alles zu werden trachtete in herzlicher Hingabe und sich selbst aufopfernder Demuth. Ja, was er selbst als die höchste Aufgabe eines Jüngers Christi hervorhebt, daß Einer des Andern Last tragen soll, das hat er selber nicht bloß mit den Worten, sondern in der That und Wahrheit mitten in den Kreis der Brüder hineingestellt, mitbetend, mitduldend, mithoffend, mitkämpfend geübt und als Vater in Christo sich wohlbewiesen gegen aller Menschen Gewissen. Sein Werk im Glauben, seine Arbeit in der Liebe, seine Geduld in der Hoffnung glänzt deßwegen auch noch heute in einem wunderbar herrlichen und unvergänglichen Lichte;

Ganz war der Mann, da er begann,
Ganz bis sein Lebenshauch zerrann.

Hiermit aber eben kann Paulus einen beschämenden Spiegel uns vor das Angesicht halten. Unsere Stellung in der Welt und zum Reiche Gottes ist freilich mit der seinigen verglichen eine gar beschränkte und unbedeutende zu nennen; die meisten unter uns sind aus einen eng gezogenen Lebens- und Berufskreis angewiesen; und das, was sie am unruhvollsten bewegt und beinahe ausschließlich in Anspruch nimmt, sind gewöhnlich nur Dinge, die zum niedern Gebiet des irdischen Daseyns gehören. Aber das Irdische soll ja von uns Allen himmlisch, das Leibliche geistlich behandelt werden, damit unser zeitliches Tagewerk zu einem ewigen Gehalt sich verkläre und einen unvergänglichen Gewinn uns biete. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet hat auch die niedrigste Berufsart ihre unveräußerliche Würde, und wenn es erlaubt ist, das Kleine mit dem Großen zu vergleichen, so dürfte es auch unter uns an solchen nicht fehlen, die dem Apostel nachsprechen können: täglich werde ich angelaufen und muß Sorge tragen für die mir befohlene Gemeinde meines Hauses. Kinder und Gewerbe, Gesinde und Arbeiter, Käufer und Verkäufer, Amt und Sorgen stürmen von allen Seiten auf die Vielbeschäftigten ein; es gibt bei ihnen stets viel zu überlegen und zu beschließen, zu ordnen und zu überwachen, zu richten und zu schlichten, zu ermahnen und zu warnen, zu sehen und zu übersehen. Wie bald aber ist's geschehen, daß in solch' äußerem Gedränge und Gewirre die Seele aus der innern Friedensburg des Glaubens herausgelockt und von der Einfalt auf Christum verrückt wird! Wie bald ist's geschehen, daß entweder Heftigkeit, Unwillen, ein gereiztes, leidenschaftliches Wesen sich einstellt, oder aber Verdruß und Mißmuth die Thätigkeit lähmt, so daß entweder zur Linken oder zur Rechten verderbliche Mißtritte gethan werden! Die größeste Gefahr aber droht, wenn die irdischen Sorgen zu einem störenden Uebergewicht und zur alleinigen Herrschaft gelangen, oder gar der Welt- und Mammonsdienst den Geist in seine eisernen Fesseln schlägt, so daß dessen freie Bewegung gehemmt und sein Trachten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit zurückgedrängt wird. Die stillen Stunden andächtiger Sammlung werden dann immer seltener gesucht, immer verkümmerter genossen; das Geräusch und der Markt des Lebens wirkt immer betäubender; die Pulsschläge des Gebets beginnen zu stocken und leicht tritt mehr und mehr eine Erstarrung des inwendigen Menschen ein, während der äußere mit allen seinen Gliedern und Gelenken in unausgesetzter, gesteigerter Bewegung ist. Die Ruhe und der Friede des Gewissens ist dahin und nur wie mit dumpfen und fernen Schlägen an der innersten Herzenspforte thut sich das Rufen und Sehnen des Geistes nach dem lebendigen Gott und seiner Gemeinschaft kund. Das sind die Gefahren, die ein äusserlich vielfach bewegtes Leben meistens in seinem Gefolge hat, - Klippen, an denen schon manches Glaubensschifflein, das anfangs eine gute Ladung in sich barg, zerschellt ist und im brandenden Meer äusserer Betriebsamkeit und irdischer Geschäftigkeit seinen traurigen Untergang gesunden hat.

Wie ganz anders hat wohl Paulus auch den ermüdenden und zerstreuenden Theil seiner apostolischen Thätigkeit auf seine Schultern genommen! In der Schule Christi hat er die der Welt verborgene Weisheit gelernt, die Hand zwar am Pfluge der irdischen Arbeit, zugleich aber das Herz im Himmel zu haben. Im befohlenen Tagewerke treu, in der dienenden Liebe unermüdet und aufopferungsvoll, unter den Beschwerden und Unannehmlichkeiten des Berufs ausdauernd und unverdrossen zu seyn und doch dabei von der Unruhe der Welt sich nicht verwirren, von dem Verkehr mit den verschiedenartigsten Menschen sich nicht aus der Fassung bringen, durch das bunte Treiben des Lebens, in dessen Brandung er mitten hineingeworfen war, sich nicht verrücken zu lassen vom nüchternen Blick nach dem himmlischen Kleinod, - das war die edle Kunst, die ihm nicht Fleisch und Blut, sondern der Vater im Himmel geoffenbaret hatte und die ihn zu einem so gesegneten Rüstzeug machte in einem so aufgabenreichen und schwierigen Beruf. Auch unser Wahlspruch soll es bleiben:

Wir verlangen keine Ruhe
Für das Fleisch in Ewigkeit.

Dann werden auch wir einst mit Frohlocken es erfahren dürfen:

Wie gut ist's nach solcher Arbeit ruh'n
Wie wohl wird's thun!

IV.

Schwach und. gebrechlich erschien der Apostel seinem äußern Menschen nach, wenn man ihn oberflächlich und nach weltlichem Maßstab beurtheilte. Nicht nur, daß er seinen Schatz in einem irdenen Gefässe trug und auch sein Leib einer zerbrechlichen Hütte glich, die durch die Stürme, welche schon über sie ergangen waren, auf gar schwachen Füßen stand; nein auch an und für sich betrachtet, war er, obgleich ein Apostel, dennoch nichts anderes als ein armes, schwaches Adamskind, der Gnade und Kraft Jesu Christi in hohem Grade bedürftig. Ohne falsche Scham und ziererischen Rückhalt hat er dieß auch stets aufrichtig und offen bekannt, und sich als den größten unter allen Sündern betrachtet wissen wollen, wie er denn auch in unserer heutigen Epistel bezeugt: „wem, ich mich je rühmen soll, so will ich mich am liebsten meiner Schwachheit rühmen.“ Und siehe da! gerade in dieser seiner Schwachheit hat sich die verborgene Kraft Christi auf die wunderbarste Weise verherrlicht und ihn zu einem laut redenden Denkmal davon auf den Leuchter der Kirche gesetzt, welches da sey die überschwängliche Größe Seiner Gnade an denen die da glauben, nach der Wirkung Seiner allmächtigen Stärke. Wer hat ihn dreimal aus der Tiefe des Meeres gezogen und ihn auch da nicht versinken lassen, als nach menschlichem Dafürhalten alle Hoffnung zerronnen war (Apostel-Gesch. 27.)? Wer hat ihn von der Pforte des Todes hinweg dem Leben wieder zurückgegeben, als er mit zerschmetterten Gliedern auf rauhem Boden unter steinharter Decke begraben lag und die, die ihn liebten, mit Thränen im Auge in der Absicht ihn umringten, um ihm den letzten Dienst der Liebe zu erweisen? Wer hat ihn getrost und unverzagt erhalten in den Kämpfen von Außen, in der Anfechtung von Innen und auch aus den schwersten Nöthen ihn immer wieder in die Höhe geführt mit neuer Kraft, wie einen jugendlichen Helden gegürtet und gewappnet zu neuem Streit? Wer hat ihn endlich jenes Triumphlied gelehrt, mit dem er wie eine überirdische Erscheinung die Welt durchschritten und alle feindseligen Gewalten in den Staub getreten hat: - „als die Sterbenden und siehe wir leben, als die Gezüchtigten und doch nicht ertödtet, als die Traurigen, aber allezeit fröhlich, als die Armen, aber die doch viele reich machen, als die nichts inne haben und doch Alles haben?“ - Das war der Eine, der seiner Seele Licht und Leben, Kraft und Friede geworden war, von dem er rühmen konnte: „ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus; daß nur Er an mir hochgepriesen werde, es sey durch Leben oder durch Tod!“

Und hierin eben liegt auch für uns ein großer Trost. Wie oft drückt den Nachfolger Christi das Gefühl seiner Unwürdigkeit, seiner Schwachheit und seines sündlichen Verderbens tief zu Boden! Von Außen die Leiden dieser Zeit, von Innen das Gelüsten des Fleisches wider den Geist, Trägheit, peinliche Dürre, und unser eigenes schwaches Herz Alles rückt wie ein wohlgewaffnetes Kriegsheer bald in dichten Geschwadern, bald in vereinzelten Hinterhalten gegen uns an und in Wahrheit müssen wir bekennen:

Mit unserer Macht ist Nichts gethan;
Wir sind gar bald verloren.

Ja mit Wehmuth und Trauer müssen auch noch weit geförderte Seelen, wenn sie das Züngeln der alten Schlange in ihrem eigenen Innern empfinden, ausrufen: ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Todesleibe? Aber Heil uns, wir dürfen auch hinzusetzen: in dem Allem überwinden wir weit durch den, der uns geliebet hat.

Es streitet für uns der rechte Mann,
Den Gott selbst hat erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ;
Der Herr Zebaoth;
Und ist kein andrer Gott,
Das Feld muß Er behalten.

Er, der schon viele tausend Sünder zum Frieden und zur Gerechtigkeit, und viel tausend Kinder Gottes zur Herrlichkeit geleitet hat; Er ist wohl bei uns auf dem Plan mit Seinem Geist und Gaben und will Seine Ehre keinem andern lassen, gerade die Schwachen stark, die Zaghaften getrost, die Blöden unerschrocken, die Elenden herrlich und aus dem, was nichts ist, etwas zu machen, zum Lobe Seiner herrlichen Gnade. Denn das gute Werk, das Er in den Seinigen angefangen hat, soll vollendet, ihre Seele von aller inneren und äusseren Befleckung erlöst und unsträflich behalten werden aus Seinen großen Tag. Getreu ist der, der uns hiezu berufen hat, welcher wird es auch thun.

Die Gnade, die den Alten
Half zwei Weh' übersteh'n,
Die wird auch Die erhalten,
Die in dem dritten fleh'n.
Auf dem so schmalen Pfade
Gelingt uns ja kein Tritt,
Es gehe Seine Gnade
Denn bis zum Ende mit.
Herr, laß es dir gefallen,
Noch immer rufen wir:
Die Gnade sei mit Allen,
Die Gnade sei mit mir!

Amen.

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