Hofacker, Wilhelm - Am vierten Sonntage des Advents.

Hofacker, Wilhelm - Am vierten Sonntage des Advents.

Text: Joh. 3, 22-36.

Darnach kam Jesus und seine Jünger in das jüdische Land, und hatte daselbst sein Wesen mit ihnen, und taufete. Johannes aber taufete auch noch zu Enon, nahe bei Salim, denn es war viel Wasser daselbst: und sie kamen dahin, und ließen sich taufen. Denn Johannes war noch nicht in das Gefängnis, gelegt. Da erhub sich eine Frage unter den Jüngern Johannis sammt den Juden über der Reinigung, und kamen zu Johanne, und sprachen zu ihm: Meister, der bei dir war jenseits des Jordans, von dem du zeugetest, stehe, der taufet, und Jedermann kommt zu ihm. Johannes antwortete, und sprach: Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Ihr selbst seid meine Zeugen, daß ich gesagt habe: Ich sei nicht Christus, sondern vor Ihm her gesandt. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund aber des Bräutigams siebet und höret ihm zu, und freuet sich hoch über des Bräutigams Stimme. Dieselbige meine Freude ist nun erfüllet. Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen, der von oben her kommt, ist über Alle. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde, und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über Alle, und zeuget, was er gesehen und gehöret bat; und sein Zeugniß nimmt Niemand an. Wer es aber annimmt, der versiegelt es, daß Gott wahrhaftig sei. Denn welchen Gott gesandt hat, der redet Gottes Wort; denn Gott gibt den Geist nicht nach dem Maaß. Der Vater hat den Sohn lieb, und hat Ihm Alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubet, der bat das ewige Leben. Wer dem Sohne nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm.

Unser heutiges Evangelium stellt uns wieder den großen Vorläufer unseres HErrn vor Augen, der als Herold des anbrechenden Himmelreichs dem Sohne der Liebe Bahn brechen und seine Steige richtig machen sollte. Bei einer vergleichenden Betrachtung beider Evangelien, sowohl des heutigen als des vorachttägigen, ergibt sich uns, daß sich diese beiden Evangelien auf eine sehr ansprechende und liebliche Weise ergänzen und vervollständigen. Vor acht Tagen nämlich trat die äußere Erscheinung jenes edeln, wunderbaren Sonderlings vor unsere Seele. Seine kräftige, männliche Gestalt stand da vor uns, wie sie, erhaben über die niedrigen Gelüste des Fleisches, der Genußsucht, der Bequemlichkeit, dem Wohlleben entfremdet, eine Bedürfnißlosigkeit an den Tag legte, die bis auf den heutigen Tag unter die größten Seltenheiten gehört. Seine einfache und einförmige Kost, mit der er sich begnügte, sein rauhes, härenes Gewand mit dem ledernen Gürtel um seine Lenden zeigten uns den Mann, der groß gewachsen in der Schule der Verläugnung und Entsagung es verlernt hatte, der Welt sogar in erlaubten Dingen sich gleichzustellen, und wir konnten nicht umhin, dem Manne im Stillen unsere Bewunderung und unsere tiefe Ehrerbietung zu zollen. Wenn uns nun das Evangelium vor acht Tagen Johannis äußere Gestalt vor die Seele führte, so zeigt uns dagegen das heutige seine innere Herzensgestalt. Und da gewahren wir ihn ebenfalls in einem Gewande, wodurch er sich vor Tausenden und aber Tausenden auszeichnete, es ist das Gewand der Demuth, der Anspruchslosigkeit, der Niedrigkeit; da sehen wir ihn auch mit einer geistigen Kost sich begnügen, die Viele anwidert und aneckelt, es ist das verborgene Manna des innern verborgenen Lebens mit Gott, in dem er stark und getrost war; da sehen wir auch einen Gürtel um die Lenden seines Geistes geschlungen, nämlich den Gurt der Wahrheit und edler Aufrichtigkeit, die die edelste Zierde vor Gott und vor Menschen ist. Und wenn wir uns schon darüber wundem mußten, daß dieser Mann den gewöhnlichen Fallstricken der Welt unzugänglich war, und in der Kraft des Geistes auf eine sittliche Höhe hinanstieg, auf welcher er auf das niedere Getreibe herabzusehen vermochte, so müssen wir uns heute doppelt wundem, daß er auch die feineren Lockmittel der inneren Welt nicht übersah und auf einem Felde ein Sieger wurde, auf welchem die Wenigsten überwinden und den Sieg davontragen. Dieser innere Kampf gegen die Fallstricke einer thörichten Eitelkeit und Eigenliebe war offenbar für ihn der heißeste und gefährlichste, aber eben darum auch der Sieg in der Kraft seines Gottes der herrlichste.

Und darum ist wohl auch ein Blick auf die innere Herzensgestalt des Täufers belebend, beschämend, ermunternd für uns Alle, weßwegen wir unter dem göttlichen Gnadenbeistand thun wollen einige beschämende und ermunternde Blicke in das innere Leben des Zeugen der Wahrheit, des Täufers Johannes.

HErr, unser Gott, Du bist im Kleinen groß und im Verborgenen offenbar, und in der innern Stätte des Geistes nach Deiner Weisheit und Liebe vollendest Du die größten Wunder der Gnade und Wahrheit. Wir bitten Dich, laß auch unsern Blicken etwas von der göttlichen Herrlichkeit offenbar werden, welche Du den Seelen offenbarest, die Dich lieben und Dir folgen. Ja, laß uns nicht ungesegnet durch den Blick, den wir thun wollen in das Herz Deines Knechtes Johannes, und pflanze die Demuth, die Geduld, den Gehorsam, den Du in sein Herz pflanztest, auch in unsere Herzen um Deiner Liebe willen. Amen.

I.

l) Wir finden den Täufer Johannes in unserem heutigen Evangelium von einer Schaar seiner Jünger umgeben, die mit Begeisterung ihm anhingen. Eine Streitfrage, die sich zwischen ihnen und zwischen den Juden über die Taufe Johannis erhob, hatte sie hergetrieben, um beim geliebten Meister Auskunft und Entscheidung über ihren Streitpunkt zu erlangen. Sie waren nämlich, wie es scheint, darüber geärgert, daß der Zudrang des Volkes, das so begeistert dem Johannes anfangs sich zugewendet hatte, nach und nach sich verlor, und sich dem großen Meister aus Nazareth zuwandte. Dieser Aerger und diese Unzufriedenheit gibt sich denn auch unzweideutig in der Sprache kund, welche die Jünger führten, als sie zu Johannes kamen. Meister, der bei dir war jenseits des Jordans, von dem du zeugtest, siehe, der tauft und Jedermann kommt zu ihm! Es war dieß offenbar die Sprache des Neides, der Scheelsucht, Geringachtung und einer stürmischen Vorschnelligkeit; es lag darin eine gewisse Anklage gegen den, der auch taufe und Jedermann an sich ziehe. Aber wie ruhig und gelassen antwortet ihnen Johannes. Weit entfernt, sich in das nämliche stürmische Wesen seiner Jünger hineinziehen zu lassen, setzte er vielmehr ihren Worten einen Damm entgegen, den Damm des Gottesglaubens, der in seiner Seele wohnte. Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn von Oben gegeben, antwortete er in kindlichem Glauben, in ruhiger, klarer Fassung des Gemüths. Er will ihnen sagen: wo ist denn euer Vertrauen auf den allein mächtigen und weisen Arm des HErrn, der Alles weise und väterlich leitet, und wo eure kindliche Willenlosigkeit und Ergebung in den Willen Dessen, der Alles wohl macht? Glaubt ihr denn, in Sachen des Reiches Gottes herrsche und spiele der Zufall? Habt ihr denn schon vergessen das ABC in der Erkenntniß des Gottes, der da spricht: meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege? Habt ihr denn vergessen, daß der HErr niemals in seinem Regimente etwas versieht, daß seine Pfade, wenn auch krumm, doch gerade sind, und Er Alles herrlich hinausführt? Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel! Aus dieser einfachen Antwort leuchtet der herrschende Grundzug seines Gemüths hervor, Alles aus der guten und treuen Hand seines Gottes dahinzunehmen, und das in guten und bösen Tagen festzuhalten, daß ohne des HErrn Willen kein Haar von seinem Haupte falle, und er mit Leib und Seele, mit Amt und Beruf nicht sein, sondern seines getreuen Gottes und Vaters sei. Und o wie wohl mag ihm dieser einfache, lautere Glaubenssinn gekommen seyn in seinem wahrscheinlich frühen Waisenstande; wie gut mag er ihm gekommen seyn in den düstern Tagen seiner Gefangenschaft und in der nach innen und außen verdüsterten Kerkernacht! wie gut mag er ihm gekommen seyn, als die Gefängnißthüre zum letztenmal für ihn sich aufthat, und der Henker hereintrat und das Schwert entblößte, um ihn zu enthaupten. Da mag es ein fester Halt, ein unerschütterlicher Fels für ihn gewesen seyn, was er hier uns ausspricht: ein Mensch, auch dieser Henker, kann nichts, auch mein Haupt nicht nehmen, es sei ihm denn von Oben gegeben. So ruhte er in allen Verhältnissen friedlich und getrost in dem Willen seines Gottes.

2) Wollen wir hierin dem theuren Gottesmann Johannes nicht auch etwas ablernen? wollen wir diesen festen, sichern Glaubensgrund nicht auch in unsere Herzen pflanzen lassen, damit wir sicher stehen bei Allem, was uns begegnet? Wie oft geschieht es, daß sogar Kleinigkeiten, die uns begegnen, Geringfügigkeiten, die gegen unsern Sinn sind, unser Gemüth in unnöthige Unruhe, in eine Wallung und Brandung versetzen, und einen Sturm in uns erregen, der sich nicht mehr legen und zurückdämmen lassen will! Wenn uns etwa ein Verlust betrifft, der einen Strich durch unsere Rechnung macht, wenn uns ein Vortheil entgeht, auf den wir unsere Hoffnung so zuversichtlich gebaut haben, wenn uns eine Unannehmlichkeit zustößt, eine kleine Zurücksetzung, eine unfreundliche Begegnung, oder etwas, das unsere Eitelkeit kränkt und unsere Eigenliebe schmerzt, - ach! wie kann es da in dem verletzten und verwundeten Herzen kochen und graben und nagen, wie wenn das größte Unglück uns begegnet wäre! Oder wenn es Tage gibt, an welchen verschiedene Umstände unglücklicherweise eigentlich gegen uns sich zu verschwören scheinen, an welchen Eines nach dem Andern über uns hereinstürmt, und Alles wie darauf berechnet ist, unsere Geduld zu erschöpfen und zu ermüden, und uns aus der rechten Fassung und dem Gleichgewicht der Seele zu werfen, o wie bald reißt da der Faden, wie bald kommen wir in ein Gewirre des Innern, in ein unstetes, stürmisches, vielleicht sogar polterndes Wesen hinein, in welchem die rechte Besonnenheit und die rechte Ruhe des Geistes gänzlich von uns gewichen ist! Oder wenn wir in die weiteren Kreise des Lebens hinausblicken und da bemerken müssen, wie verkehrt, wie widersinnig, wie bunt es auf dem großen Schauplatz der Welt zugeht, wenn wir sehen, wie das Laster triumphirt und die Ungerechtigkeit den Sieg davonträgt, wenn wir sehen, wie das Reich des HErrn und seine Sache gebrandmarkt und unter die Füße getreten wird; wie man für Alles Sinn und Geschmack hat, nur nicht für das Eine, was noth thut; für Alles Herz und Muth, nur nicht für den Einen, der uns erkauft hat mit seinem Blut: o wie leicht ist es da der Fall, daß eine geheime Bitterkeit uns erfüllt, ein geheimer Unwille sich regt, und wie schnell ist da die Zunge bereit, in unnöthiges Richten auszubrechen, das nichts frommt und nichts fruchtet. Und woher alle diese Erfahrungen, all dieß unruhige, leidenschaftliche, stürmische Wesen? Hauptsächlich daher, daß wir nicht mit Johannes, dem Täufer, gelernt haben, in allen Stücken zu ruhen in dem allein guten, vollkommenen Willen unseres himmlischen Vaters. Lasset sie doch so ferner machen; es muß also gehen! so sprach der HErr selbst, als sie Ihn banden im Garten Gethsemane; und während Alles Ihn umtobte und umstürmte, ruhte seine Seele im Frieden und in dem Willen seines Vaters. Lasset ihn lästern, der HErr hat's ihn geheißen! sprach jener Mann Gottes, David, als Simei ihm fluchte und mit Steinwürfen ihn beschimpfte; obgleich seine königliche Würde dadurch litt und in den Staub getreten war. Dennoch ließ es David geschehen, und dabei ruhte er sicher und still in der Hand seines Gottes. Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel! sprach Johannes, und das war dann der Stecken und Stab, an welchem er vorwärts schritt auf der Straße der Demüthigung durch alle Finsternisse und Kerkernächte zu der seligen Höhe des ewigen Friedens. - Auch uns sei dieses Wort der Wahrheit Stecken und Stab, damit wir unter allen Verkommenheiten, in heitern und in trüben Tagen den Felsengrund haben, auf dem wir stehen; damit wir in allen Begegnissen sprechen können: ich fürchte kein Unglück, denn Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich!

II.

1.) Jedoch für unsern Johannes war jene Ergebung in den Willen Gottes kein schweres Joch der Nothwendigkeit, diese Hingabe in die Führung des HErrn war ihm kein schweres Müssen, sondern ein seliges Dürfen; es war ihm Freude und Lust und Wonne des Herzens, wie er es unzweideutig in unsern Textesworten kund gibt. Zwar seine Jünger sind nicht ganz freizusprechen von einer gewissen Scheelsucht und Eifersucht. Meister, sprachen sie eigentlich klagweise, der bei dir war jenseits des Jordans, von dem du zeugtest, der tauft und Jedermann kommt zu Ihm! Es lag in diesen Worten nicht nur ein stiller Vorwurf gegen das wetterwendische Volk, das sich so schnell von Johannes abgewendet und der neuen Geistessonne sich zugekehrt habe, sondern auch ein scheelsüchtiger Blick auf die Aufsehen erregende Wirksamkeit des großen Meisters aus Israel. Johannes aber war so weit entfernt, von diesem Gedanken seiner Jünger angesteckt zu werden, und den klaren Spiegel seines Geistes durch ihren Anhauch trüben zu lassen, daß er vielmehr das für seine rechte Stellung und für den natürlichen und gesetzmäßigen Gang des Reiches Christi erklärte: Christus sei der Bräutigam, das Volk die Braut, er selber aber nichts weiter, als der Brautwerber, der seine Schuldigkeit' gethan habe, wenn der Bräutigam sich aufmache und die Braut heimführe und sie einsetze zur Herrin aller seiner Güter. Dieß sei nun erfüllt; die Pforte der Gnade und Wahrheit habe sich aufgeschlossen, das Volk ströme hinein. Diese seine Freude sei nun erfüllt. Ja noch mehr; in kurzen, aber kräftigen Worten sprach er das Grundgesetz seines innern und äußern Lebens aus, und vereinigte darin auf die herrlichste und preiswürdigste Weise seine edle Einfalt, seine heilige Demuth, das Grundgesetz nämlich: Er muh wachsen, ich aber muß abnehmen; und dadurch wuchs er heran zu ewiger, göttlicher Größe.

2) Aber auch für uns gibt es keinen andern Weg zu wahrer Größe und unverwelklicher Herrlichkeit, als den unser geliebter Johannes erwählt und den er uns vorgezeichnet hat: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.“ Hier nur ist der Schlüssel zur wahren Weisheit, hier nur die Pforte zum rechten Verstand. Der Anfang im wahren Christenthum - was ist er anders, als ein Ausgehen aus sich selbst, ein Abnehmen seiner selbst, und ein Eingehen in Christum, um Ihn zu gewinnen und in Ihm erfunden zu werden. Und die Fortsetzung im Laufe eines Christen, was ist sie anders, als ein mehr und mehr sich selber Fliehen, sich selber Hassen, sich selber Verläugnen, und mehr und mehr Hineindrängen in Christum, der unsere Gerechtigkeit, unser Friede und unser Leben ist. Und die Vollendung eines Christen, was ist sie anders, als sich selber ausgezogen, sich selber verloren zu haben, sich selber nicht mehr zu lieben nach dem Fleisch, eine Null, ein Nichts geworden zu seyn vor Gottes Augen, und nur Einen zu kennen, nur an Einem zu hangen, nur Einen zu lieben, nur Einem zu leben, nur Einem zu sterben, Dem, der uns zuerst geliebt und sich für uns dargegeben hat. Das ist der Weg, der zur Vollkommenheit führt.

Ich muß abnehmen, Christus muß wachsen! Ehe die Weisen dieser Welt diesem Grundgesetze sich unterwerfen, bleiben sie fort und fort der Quelle wahrer Weisheit entfremdet. Der erste Schritt zur Weisheit und Wahrheit Gottes ist der, daß wir einsehen, unsere Weisheit sei Thorheit, der erste Schritt dazu ist der, daß uns das Zwielicht unserer Weisheit nicht mehr behagt und wir nach einem andern Lichte uns sehnen. Warum sollte man sich auch mit Lampen begnügen, wenn die Sonne am Himmelszelte steht? warum sich mit dem düstern Lampenschein der eigenen Weisheit begnügen, wenn einmal die Sonne der Gnade und Wahrheit so helle leuchtet? Je mehr wir unserer eigenen Erkenntniß und Weisheit entsagen, desto mehr geht uns das Licht Dessen auf, in dem verborgen liegen alle Schätze der Erkenntniß und Weisheit; desto siegreicher werden die Zweifel, die in den beschränkten Thälern unserer menschlichen Wissenschaft hin und herziehen, niedergeschlagen vom Gnadenstrahl des Aufgangs aus der Höhe. Denn Christus nur muß wachsen, ich aber muß abnehmen.

Christus muß wachsen, ich aber muß abnehmen - dieß ist denn auch das Grundgesetz, mit welchem ein Sünder vor Gott gerecht und selig wird. So lange er noch in dem Modegewand seiner Eigenliebe dahingeht, und so lange er noch mit dem reichen Jüngling fragt: was fehlt mir noch? und so lange er noch seine Sünde entschuldigt, beschönigt und verkleinert, so lange muß er auch den Stachel der Sünde im Innern spüren, und kommt zu keiner Ruhe; denn er kann den innern Dämon nicht zum Schweigen bringen, der an seiner Seele nagt. Aber wenn er einmal stille steht und einsieht, daß seine Gerechtigkeit ein unflätiges und beflecktes Gewand ist, wenn die Ausflüchte zerstäuben und er wahr und klar dem HErrn zu Füßen fällt, der allein groß und herrlich und heilig und gerecht und rein ist, wenn er so abnimmt und Christus in ihm wächst, ja dann ist er auf dem Wege zur ächten Größe, da erfährt er die Ruhe, die aus dem Verdienste Christi quillt, dann schmeckt er den Frieden, der von Golgatha ausgeht, und so genießt er auch das Leben, das aus Gott ist.

Christus muß wachsen, ich aber muß abnehmen. Das ist denn auch das Grundgesetz, durch welches uns auch unsere täglichen Begegnisse klar und deutlich werden. Alle diese unsere Begegnisse haben kein anderes Ziel, als unsere Demüthigung. Durch den Hochmuth sind wir aus Gottes Gnade gefallen, so können wir auf keinem andern Wege zu Ihm gelangen, als auf dem Wege der Demüthigung, und weil wir uns selber nicht demüthigen mögen, weil wir uns dagegen sträuben, so kommt uns her große Gott zu Hülfe. Denn wir sollen abnehmen, Christus soll wachsen.

Herab, herab von deinen Höhen! das ist das beständige Losungswort, womit der HErr von Oben die Seinen zur Herrlichkeit führt; und wie viele Mittel weiß Er da aus dem großen Zeughaus seiner Weisheit hervorzuholen, wie viele Demüthigungen von innen und von außen, wie viele Demüthigungen im Berufe und in der Familie, wie viele Demüthigungen im Großen und im Kleinen weiß Er uns zuzuschicken, deren einfacher Wiederhall fort und fort der ist: du sollst abnehmen, Christus muß wachsen!

O wohl der Seele, die solche Demüthigung annimmt, die es weiß, wie es gemeint ist, die, statt Luft und Hoffnungsschlösser in die Zukunft zu bauen, zu sich selber spricht: vergiß es nicht, du mußt abnehmen, - die, wenn es im Leben nach außen und innen mancherlei Anstände und Schwierigkeiten gibt, sich zu fassen weiß und denkt: das ist aufs Abnehmen abgesehen! Wohl der Seele, die selbst unter den Schmerzen des äußeren Lebens weiß und es nicht vergißt: daß, wenn auch der äußerliche Mensch verwest, doch der innere von Tag zu Tag erneuert wird. Wohl der Seele, die selbst dann, wenn im Todessturme Alles zu Trümmern geht, wenn sie ihr Nichts und Verderben nur sieht, darum nicht verzagt, sondern nur um so froher das Haupt emporhebt, weil ihre Erlösungsstunde naht, und dann spricht: ich nehme ab, Christus nimmt zu; ich sterbe, Christus lebt; ich zerstiebe, aber Christus bleibt und lebt, - und ich lebe auch. Das, meine Lieben, ist der Weg zur Johannis-Größe, das ist der Weg zur ewigen, unvergänglichen Herrlichkeit.

III.

Jedoch nicht blos willige Ergebung in den Willen des HErrn, nicht blos demuthsvolle Hingabe an den HErrn sehen wir als einen Grundzug des Innern bei Johannes, sondern auch ein demuthsvolles, unermüdetes Wirken für den HErrn. Nicht gereizt von innerer Empfindlichkeit zog er seine Hand zurück vom Pflug, an den ihn der HErr gesetzt hatte. Wohl mochten ihm seine Jünger Einrede gethan haben, aber so war Johannes nicht; er wußte wohl, daß die Nacht komme, wo Niemand wirken kann, und darum arbeitete er, so lange es Tag war. Und so sehen wir denn auch in unserem Evangelio ihn die Zeit auskaufen und benützen: gerade diese Gelegenheit ergriff er mit beiden Händen, um ein noch schöneres Zeugniß von Christo abzulegen; es war das Zeugniß von Christo, das wir in unserem Evangelium hören. Wo eine Seele sich dem großen Herzog der Seligkeit zuführen lassen wollte, da war er bereit, ihr ein Wegweiser zu werden, und ehe die Kerkermauern ihn aufnahmen, ehe sein Mund durch Henkershand geschlossen wurde, hören wir ihn heute noch einen herrlichen Schwanengesang anstimmen, der ihm eine der ersten Stellen unter den Zeugen der Wahrheit sichern wird. Und wer ist denn der Gegenstand desselben? Kein anderer, als Der, der das A und O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte ist: der von oben her kommt, ist über Alle. So kräftig, so mächtig sprach dieser Johannes auch noch am Schlüsse seiner Laufbahn von Jesu Christo, dem er voranging.

Und so war denn sein öffentliches Leben Ein Stück, gleichsam ein Leibrock, ungenähet, gewirkt durch und durch, und hineingewoben war nur das Eine Wort von Jesu Christo, dem HErrn.

Und nun, meine Lieben, soll nicht auch unser Leben ein Preis und ein Lob unseres großen Gottes und Jesu Christi, unseres HErrn und Heilandes seyn? Zwar wir können nicht mehr auf Ihn hinweisen und sprechen, wie Johannes sprach: siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt; aber wir können doch auch ein Zeugniß von Hm ablegen öffentlich und im Geheimen, durch Wort und durch That, im Hause und außer dem Hause, und überall uns offenbaren als solche, die das Zeugniß Gottes in sich tragen; wir können bekennen mit Wort und That, daß Er es ist, in dem unsere Seele Friede, unser Gewissen Ruhe, unser Leben einen Halt, unsere Hoffnung einen Fels gefunden hat. O was ist es doch für ein herrliches Leben, wenn uns. das Zeugniß gegeben wird: im Leben, Leiden und Sterben haben sie seinen Namen verkündigt. Ja, wie Johannes verkündigt hat die Herrlichkeit des HErrn unter seinem Volke, so können auch wir unter einem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht, das Christo seine Ehre raubt, seine Ehre vertheidigen und seinen Namen preisen. Und wie Johannes auf Ihn hinwies als auf das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, so können auch wir auf Ihn hinweisen, daß Er auch an uns sich bezeugt als die erbarmungsreiche Liebe. Und wie Johannes auf Ihn hinwies und sprach: wer Ihn hat, der hat das ewige Leben! so können auch wir von Christo zeugen: in Ihm haben wir das Leben gefunden, nun leben wir in einem neuen Leben, wir dienen unserem HErrn, wir lieben Den, der uns zuerst geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat; leben wir, so leben wir dem HErrn, und sterben wir, so sterben wir dem HErrn. So kann denn auch unsere erstarrte Hand ein Fingerzeig auf Christum werden, und unsere erblaßte Lippe zeugen von Jesu Christo, dem HErrn, und auf unserem erblaßten Angesicht muß geschrieben stehen: der HErr ist groß und sehr löblich, und seine Größe ist unaussprechlich (Psalm 145, 3.). Denn Christum soll Alles preisen, unser Geist, Seele und Leib, denn von Ihm und zu Ihm und in Ihm sind alle Dinge, Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

Quelle: Hofacker, Wilhelm - Predigten für alle Sonn- und Festtage

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