Hofacker, Wilhelm - Am dritten Sonntag nach dem Erscheinungsfeste.

Hofacker, Wilhelm - Am dritten Sonntag nach dem Erscheinungsfeste.

Text: Römer 12, 17-21.

Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet Niemand Böses mit Bösem. Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann. Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn, denn es stehet geschrieben: Die Rache ist mein, Ich will vergelten, spricht der HErr. So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das thust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Auch unsere heutige Abendlektion, wie die vor acht Tagen, deren Fortsetzung sie ist, besteht aus lauter einzelnen Verordnungen und Geboten, durch deren Beobachtung die Gesinnung der Gläubigen geadelt und ihr Wandel unter einem verkehrten und unschlachtigen Geschlecht geziert werden soll. So lose diese einzelnen Gesetze unter sich zusammenhängen, so leuchtet dennoch durch sie alle Ein gemeinschaftliches Grundgesetz durch, das die übrigen unter sich begreift und das Paulus mit eindringlichem Ernste seinen Christen zu Rom anempfiehlt, es ist das Grundgesetz friedfertiger und versöhnlicher Liebe. Ein wie großer Nachdruck im Evangelium auf die Erfüllung dieses Grundgesetzes gelegt wird, geht schon daraus hervor, daß der Heiland selbst in seiner Bergpredigt unter die acht Seligpreisungen, mit welchen er dieselbe eröffnet, das schöne und große Wort aufnimmt: „Selig sind die Friedfertigen, denn, sie werden Gottes Kinder heißen.“ Der Heiland will dort in der Bergpredigt das lebendige Geistes- und Charakterbild seiner wahrhaftigen Jünger und Nachfolger entwerfen, gleichsam die himmlische Signatur, die inneren geistlichen Gesichtszüge, die an ihnen geschaut werden sollen, und an dieser inneren Signatur will er nun keinenfalls den Zug der Friedfertigkeit, durch welchen sie sich als Kinder Gottes ausweisen, vermissen. Gott ist ja ein Gott des Friedens, wie er so oft in der heiligen Schrift genannt wird, ein Gott des Friedens, der nicht nur in ewiger Harmonie mit sich selber lebt und im heitern Aether ungetrübter Seligkeit schwebt, sondern auch die Strahlen seines gnadenreichen Friedens in die Welt erlösend und versöhnend ausgehen läßt, um die Verirrten zu suchen und die mit Ihm und mit sich selber Entzweiten zum innern Frieden zu bringen. Darum sollen auch diejenigen, die aus Gott geboren und seine Kinder geworden sind, nicht nur innerlich den Frieden bewahren, der höher ist als alle Vernunft, sondern in allen ihren Lebensverhältnissen den Frieden walten und regieren und sich bethätigen lassen gerade dann, wenn er entweder bereits gestört oder gestört zu werden in Gefahr ist. Es ist dieß aber keine so leichte und unbedeutende Aufgabe, und zwar aus einem zweifachen Grunde. Erstens schon darum, weil sie gerade oft da, wo sie Frieden halten möchten, ihn nicht halten dürfen um der Wahrheit und des Gewissens willen. Müßte der Friede mit dem Aufgeben des Zeugnisses der Wahrheit, mit dem Opfer der eigenen Gewissensbisse mit einem doppelherzigen Hinken auf beiden Seiten, mit elender Lauigkeit im Christenthum, mit pflichtvergessenem Schweigen, Bemänteln und Wohlreden erkauft werden, wahrlich da wäre er zu theuer erkauft; und auf einem solchen Allerweltsfrieden, einer solchen Allerweltsfreundschaft könnte kein Segen ruhen; in dieser Beziehung gilt das Wort: „Der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft“ (Jak. 4, 4.), und das Wort Christi findet seine Anwendung: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern Zertrennung“ (Luk. 12, 51.).

Auf der andern Seite aber wird es auch zuweilen schwer, Frieden zu halten, wo er auf allen Seiten bedroht ist und wo er dennoch nach dem Wort der Wahrheit gehalten und bewahrt werden soll: im Wechselspiel des häuslichen, des bürgerlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Verkehrs, wo so viele Veranlassung zur Ungeduld, zum Aerger, zu Missverständnissen ist, wo man seine Seele mit doppelter Geduld und Gelassenheit fassen und mit Friedfertigkeit gürten muß, damit man am bösen Tage dem Geiste der Zertrennung und des Streites Widerstand thun und wider alle Angriffe der Verstimmung und Gereiztheit das Feld behaupten könne. Von diesem so wichtigen Gegenstand wollen wir in dieser heiligen Stunde weiter reden.

Wir sprechen von dem heiligen Band des Friedens und der Liebe; und zwar sehen wir
1) wie es, so viel an uns ist, gegenüber von allen Menschen unversehrt bewahrt, 2) wie es, wenn es bereits reißen will, dennoch in Weisheit zusammengehalten, 3) wie es, wenn es zerrissen ist, in Demuth und Versöhnlichkeit wieder angeknüpft werden soll.

I.

1) Ist's möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden: das ist das oberste Gesetz, das uns der Apostel für den Umgang und Verkehr mit Menschen aufstellt. Er gibt zwar zu verstehen, daß es nicht immer möglich, und wenn auch wir für unsre Person es nicht an uns fehlen lassen, doch nicht immer thunlich seyn werde; dennoch aber befiehlt er uns, es unser erstes und ernstliches Anliegen seyn zu lassen, Frieden zu halten mit Jedermann. Wahrlich eine viel umfassende und schwierige Forderung. Ja wenn etwa nur fromme Christen gemeint und genannt wären, die unter der Zucht der Gnade stehen und von selber alles vermeiden, was die Einigkeit im Geiste stören und trüben könnte, oder wenn wenigstens nur die friedliebenden Naturen uns gegenüber gestellt wären, die mit Bescheidenheit und Freundlichkeit uns zuvorkommen und mit denen es eine eigentliche Kunst wäre, einen Streit und Zank anzufangen, oder wenn nur etwa eine oder ein paar Menschenklassen gemeint wären, etwa unsere Vorgesetzten, Gönner und Wohlthäter, von denen man sich schon aus Eigennutz zuweilen etwas gefallen läßt, - ja dann wäre es keine so gar große Sache, auch diese Pflicht zu üben und in ihrer Erfüllung es auf einen gewissen Grad der Vollkommenheit zu bringen. Aber der Apostel sagt: mit allen Menschen, also auch mit unwiedergeborenen Weltleuten, die auf die Stimme des Geistes nicht achten und den zarten und feinen Maßstab des Evangeliums an ihr Betragen nicht anlegen, und zwar auch mit den untergeordneten und geringen Personen, gegen die man sich so leicht mehr herausnimmt, als recht ist, und aus deren Unzufriedenheit mit uns man sich so viel nicht macht, endlich auch mit wunderlichen, hochherfahrenden, reizbaren, empfindlichen Naturen, die schon durch ihr natürliches Temperament schwerer zu behandeln sind und durch ihr grämliches oder vorschnelles, durch ihr mürrisches oder aufbrausendes Wesen gar leicht auch unfern schlummernden Ingrimm und Aerger wecken und uns zu unvorsichtigen Aeußerungen und Schritten herausreizen, - auch mit solchen Menschen sollen wir, so viel an uns ist, Friede haben: das ist Gottes Wille an uns. Ihr sehet, meine Lieben, dieser Pflicht ist nicht so leicht Genüge gethan. Wenn man z. B. manchen Weltmenschen, der überdieß darauf sich noch viel zu gut thut, sagen hört: Ich bin kein Freund von Zank und Unfrieden, ich thue Niemand nichts, aber wenn man mir zu nahe kommt, so lasse ich mich auch nicht ungestraft auf die Fersen treten; oder wenn man einen andern im Streit Begriffenen sagen hört: Ich bin nicht Schuld daran, ich habe ja nicht angefangen, mein Nächster mag mir grollen so lange er will, bis an den jüngsten Tag, ich wasche meine Hände in Unschuld; oder wenn ein Dritter sagt: man hat es mir zu grob gemacht, das konnte ich nicht vor Ohren gehen lassen, - wenn der Wurm getreten wird, so krümmt er sich; und wenn sie Alle damit meinen, sie haben das Aeußerste gethan und alle Schuld sei damit von ihrem Gewissen weggewälzt: so ist das weit gefehlt. Solche Entschuldigungen können höchstens bei denen gelten, die die gangbaren Weltgrundsätze billigen und in ihnen das Höchste, das zu leisten ist, erkennen, nicht aber bei dem, der gesagt hat: „So ziehet nun an als die Auserwählten, Heiligen und Geliebten Gottes herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth, Geduld, und vertrage Einer den Andern, so Jemand Klage hat wider den Andern, und vergebet euch unter einander, gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr.“ (Kol. 3, 12.13.)

Das ist Gottes Gesetz, und so viel höher Gottes Gedanken sind als der Menschen Gedanken, so viel höher sind auch Gottes Gesetze als der Menschen Gesetze.

2) Aber, werden nun Manche denken, wer vermag dieses Gebot zu erfüllen, wer vermag sich so zu beherrschen, daß ihn der Undank nicht unwillig, die Bosheit nicht zornig, der Hochmuth nicht aufgebracht, die Verdrießlichkeit Anderer nicht mürrisch, die Wunderlichkeit Anderer nicht ungeduldig macht, so daß er ohne Zank und Streit durch die Welt käme? In allen Fällen wird das nun freilich nicht möglich sein, aber in manchen, wo du es nicht glaubst, ist es doch möglich; denn durch die Gnade ist manches möglich, was der Natur nicht möglich ist; durch die Kraft Christi kann manches überwunden werden, wo Menschenkraft erliegen muß, und eben deßwegen gibt auch der Apostel für diejenigen, die das Rechte treffen wollen, einige Fingerzeige an die Hand, bei deren Beobachtung das Band des Friedens am sichersten unversehrt bewahrt wird.

Ein Fingerzeig dieser Art ist: Haltet euch nicht selbst für klug. Wie bei der Uebung jeder andern Tugend, so sind wir auch bei der Uebung der Friedfertigkeit nicht an unsre eigene Klugheit und Weisheit, nicht an unsre eigene Berechnungsgabe, sondern an die Zucht und Leitung der Weisheit, die von oben stammt, gewiesen. Es gibt zwar eine Weltklugheit, die mit Jedermann gut auszukommen weiß, die Jedermann wohlredet, fünf gerade seyn läßt, sich kurz oder lang zu machen weiß, wie man gerade Leute vor sich hat; jeder Anstoß, den es geben sollte, wird klug vermieden, jeder Streit schon in seinem Keime erstickt, sie hören und hören nicht, sie wissen den Aerger zu verbeißen, und wenn es innen kocht und brandet, dennoch eine heitere Stirne und glattes Aeußere zu zeigen, und thun sich vielleicht nun viel darauf zu gut, daß sie ohne Streit und Zank durch die Welt kommen und mit ihrer Klugheit sich durchwinden können. Das aber ist die Friedfertigkeit nicht, die der HErr selig preist, das ist die Weisheit nicht, von der Christus sagt: seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben; das ist nichts als eine künstliche Lüge und geübte Berechnungsgabe, die vor den Menschen kaum etwas gilt, vor Dem aber gar nicht bestehen kann, der Augen hat wie Feuerflammen. Nein die Friedfertigkeit, die dem HErrn wohlgefällt, lernt man in einer andern Schule. Jakobus sagt (Jak. 3, 17.): „Die Weisheit von oben her ist auf's erste keusch, darnach friedsam und gelinde.“ Diese Friedfertigkeit lernt man nur in der Nachfolge dessen, der arm wurde, um uns reich zu machen, der gekommen ist, nicht sich dienen zu lassen, sondern zu dienen, der nicht schalt, da er gescholten wurde, der der demüthigste und sanftmüthigste unter allen Menschenkindern war, und der seinen Jungem die schöne Regel hinterließ: „Habt Salz bei euch und Friede unter einander.“ (Mark. 9, 50.) Bei Ihm wirst du die Kunst lernen, Geduld zu tragen mit andern, wie Er Geduld mit dir trägt, warten zu können bei andern, wie Er auf deine Umkehr gewartet hat, Sanftmuth, Nachsicht und Langmuth zu beweisen mit andern, wie Er täglich mit dir sanftmüthig und langmüthig verfährt, und nicht sogleich zu brechen mit andern, wie Er, so viel Er Ursache hat zu brechen mit dir, doch nicht bricht.

Haltet euch nicht selbst für klug, sagt der Apostel, und damit gibt er uns eine Regel an die Hand, die im Umgang mit den Menschen außerordentlich viel zur Friedfertigkeit beiträgt. Wo liegt der Keim zu außerordentlich viel Streitigkeiten und Zerwürfnissen? wo der erste Feuerfunke, der oft einen ganzen Wald anzündet? Nirgends anders, als in dem mehr oder minder hervortretenden sich klug Dünken, das man dem Andern zu fühlen gibt. Du hast etwa die Gabe eines scharfen Verstandes und des schlagenden Witzes, - eine gefährliche Gabe, namentlich wenn sie soll mit einem guten, friedfertigen Herzen gepaart bleiben; da vermagst du nun vielleicht ein stachelndes Scherzwort, einen spitzigen Witz nicht zu unterdrücken, er gefällt deiner Selbstklugheit gar zu wohl, und wie oft ist schon ein einziges derartiges Wort der Zunder zu heftigen und langwierigen Streitigkeiten, zu einer tiefern Verstimmung und Bitterkeit deines Nebenmenschen geworden! Oder du hast in irgend einer Sache eine tiefere Einsicht und besseres Verständniß, aber du kannst die Eitelkeit nicht unterdrücken, damit vor Andern u prangen, du hörst dich dann selber gern davon reden und gibst nicht undeutlich zu verstehen, daß du weißt wie klug du bist; wie schnell ist der Andere dadurch verkältet und zurückgescheucht, und der Schade kommt nur von deiner Selbstklugheit; denn es gibt wohl kein kräftigeres Hilfsmittel, den Frieden mit Jedermann unversehrt zu bewahren, als in Demuth und Anspruchslosigkeit seinen Wandel zu führen und sich täglich zu gürten mit Bescheidenheit und Dienstbeflissenheit.

Dazu muß freilich noch etwas kommen, was Paulus in dem Wort zusammenfaßt: Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann. Wo liegt die Veranlassung zu so mancher Mißhelligkeit und Verstimmung? Nirgends anders als darin, daß man es an der Ehrbarkeit fehlen läßt gegen Jedermann, an der Pflichttreue gegen die, die wir versorgen und berathen sollen, an der Redlichkeit gegen die, mit denen wir im Händel und Wandel zu thun haben, an der Ehrerbietung gegen die, mit denen wir im amtlichen oder beruflichen Verkehre stehen, an der Bescheidenheit gegen die, denen wir untergeordnet sind, und an der Lindigkeit, welche wir im Urtheil und Handeln allen Menschen kund werden lassen sollen, an der Schonung und Billigkeit gegen die, die wir regieren und denen wir gebieten sollen. Wie vieles Mißliebige, was den Frieden stört, die Eintracht trübt, könnte abgeschnitten werden, wenn die Regel im Umgang mit andern uns vorschwebte: Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann, und was recht und billig ist, erweiset Jedermann. Welch' ein lehrreiches liebliches Vorbild gibt uns da, um nur Ein Beispiel anzuführen, der friedliebende Abraham in seinem Verhältnis zu seinem Anverwandten Loth!

Darum seien uns die drei Worte Pauli, mit denen er uns ermahnt, das Band des Friedens zu bewahren, drei Wegweiser auf dem Wege der Gottseligkeit: Ist's möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede, das andre: Haltet euch nicht selbst für klug, und das dritte: Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen Jedermann.

I.

Jedoch wir gehen einen Schritt weiter. Es können Fälle eintreten, wo das Band des Friedens bereits einen Riß bekommen hat durch unsere oder fremde Schuld. Gibt es ja doch Fälle, wo auch ein sonst mit Friedfertigkeit umgürtetes Herz ein unbesonnenes Wort oder eine stachlichte Rede fallen läßt, oder wo man in der Sache gegen den Nebenmenschen Recht hat, aber in der Art und Weise, wie man sie vertheidigt, es verfehlt, zu streng, zu derb, zu rasch, zu rücksichtslos verfährt; oder liegt die Schuld der Friedensstörung an Andern, wie ja ein Wolf auch Ursache zur Feindschaft sucht, ohne daß das Schaaf ihn reizt, und der Dornenstrauch uns verwundet, ohne daß wir ihn gerade rauh angefaßt haben: was ist denn dann zu thun, wenn das Friedensband auf diese Weise bereits einen Riß bekommen hat?

1) Die erste Regel ist: wende Alles an, daß doch der Riß nicht größer, die Entzweiung nicht dauernd, die Feindschaft nicht etwas Stehendes wird. Gewöhnlich kann man zwar in der Welt den Grundsatz geltend machen hören: man muß über eine Sache auch Gras wachsen lassen können; die Zeit wird da Manches in's Gleichgewicht bringen und dergleichen. Es ist aber dieß Hinausschieben der Versöhnung nicht immer ein Gewinn, o nein! oft verhalten sich die Herzen gegen einander so, daß es schwer wird, sie je wieder zur Eintracht zurückzuführen; deßwegen sagt auch Paulus: jaget nach dem Frieden (Hebr. 12, 14.); auch wenn er euch entwischen und entfliehen will, auch wenn er bereits das Weite sucht, so laßt ihn nicht entwischen in der Hoffnung, er werde von selber wieder umkehren und euch ohne euer Zuthun in die Arme laufen. Jaget ihm nach und ruhet nicht, bis ihr ihn wieder in die Umzäunung eures Herzens und in die Einfriedung eurer Gemüther gebracht habt; denn der Friede ist ja etwas Edles, das einer solchen Jagd wohl werth ist, - er, ohne den man nicht getrost leben, nicht ruhig schlafen, nicht selig sterben, ohne den man ja kein Kind Gottes hienieden und kein Bürger der obern Friedensstadt sein kann, wo nur Hütten des Friedens stehen und die Zank- und Streitsüchtigen keine Stätte finden. - Und wenn es dann nicht möglich ist, Alles wieder auf einmal in's Gleichgewicht zu bringen, so laß wenigstens du dein Inneres bald in die rechte Fassung und in das rechte Gleichgewicht kommen dem Worte Pauli gemäß: Lasset die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn (Ephes. 4, 26.). Je länger du eine Widrigkeit gegen deinen Nebenmenschen in deinem Innern birgst, desto tiefer frißt es ein; denn die Feindschaft, der Aerger, die Widrigkeit hat etwas Netzendes: sie theilen dem ganzen Gemüthe etwas Herbes und Bitteres mit, was, wie das kleine Stück Sauerteig den Teig durchsäuert, so dein ganzes Gemüth verunreinigt, befleckt, den Frieden deines Innern, den Zugang zu Gott im Gebet und die Freudigkeit auf den Tag des Gerichts dir raubt. O ruhe nicht, bis du wenigstens für deine Person diesen Samen der Zertrennung aus deinem Herzen hinausgeschafft, das Feuer, das in dir brennt, mit dem Blute der Versöhnung, das für dich und deine Gegner geflossen ist, gelöscht, die Schuld bei dir vor allen Dingen gesucht und gerichtet und dich in den Tag der Offenbarung hineingestellt hast, an welchem die Scheingründe der Eigenliebe und Rechthaberei zerstäuben und zerflattern und du und dein Nächster gewogen wirst auf der Wagschaale des obern Heiligthums. Dann wirst du dich gewiß entschließen, bald umzukehren und die Hand zum Frieden zu bieten.

2) Eine zweite Regel, wie das Band des Friedens, wenn es zu reißen begonnen hat, dennoch in Weisheit zusammengehalten wird, so daß, wenn eine bittere Wurzel da ist, sie doch nicht aufwachsen und stark werden kann, um Unfriede anzurichten, ist die der Verschwiegenheit, der Zurückhaltung gegen Andere. Es gibt Manche, die, sobald in irgend ein Verhältniß eine Verstimmung und Mißhelligkeit eingetreten ist, die Sache weiter tragen, bald diesen, bald jenen zum Vertrauten ihrer Geheimnisse machen, bald da, bald dort sich Raths erholen wollen, statt in der Stille, durch Gebet und vertragsame Geduld zu warten, bis der HErr Mittel und Wege zur Ausgleichung schafft und das Verkehrte wieder zurechtbringt. Wo liegt meistens der Grund zu solcher Schwatzhaftigkeit? entweder man will Recht behalten und wenigstens bei andern nur seine Rechthaberei an den Mann bringen, oder man will bei andern sich rechtfertigen und seine Fehler beschönigen, oder ist es Mangel an Kraft, etwas auch für sich zu tragen im Stillen, einen Kampf durchzukämpfen und der Hülfe des HErrn zu harren. Und was ist dann die Folge davon, wenn so nicht verschwiegener Mund gehalten wird? meistens keine andere, als daß der Riß größer wird statt kleiner, die Kluft, die die Gemüther hemmt, breiter statt schmäler, die Wunde klaffender, statt geheilt: meistens nichts anderes, als daß der Feind oft noch größeren Raum gewinnt und die Saat der Zwietracht noch reichlicher, säet, ja daß vielmehr noch von Andern am Feuer der Uneinigkeit geschürt statt gelöscht wird, bald dieß bald jenes hin und bergetragen, die Worte dabei in die Galle der Bitterkeit getunkt, die Feindseligkeit gesteift statt gebrochen und so aus übel ärger gemacht wird; gibt es doch, wie Luther sagt, unter Verwandten und Bekannten oft solche Teufelsbräute, die Oel in's Feuer gießen. Darum sagt Petrus: wer leben will und gute Tage sehen, der schweige seine Zunge, daß sie nicht Böses rede und seine Lippen, daß sie nicht trügen; er wende sich vom Bösen und thue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach (1 Petr. 3, 10. 11.).

3) Die dritte Regel, die Paulus in unserer Epistel gibt, ist die unumgänglichste und nothwendigste, wenn der Riß nicht größer, der Schaden nicht verderblicher werden soll. Er sagt: Vergeltet nicht Böses mit Bösem; rächet euch selbst nicht, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es stehet geschrieben: die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HErr. Es ist freilich oft keine Kleinigkeit, wenn man bald bei dieser bald jener Gelegenheit herausgefordert, zum Aerger, zur Ungeduld, zum Zorn gereizt wird, das Schwert in der Scheide zu behalten, auf dem Grund und Boden des innern Friedens unverrückt zu bleiben und es wie Hiskias zu machen, der, als die Feinde die gröbsten und schrecklichsten Lästerungen in die Festung hereinriefen, seinen Leuten befahl: antwortet ihnen nichts. Es ist keine Kleinigkeit, nicht Rede um Rede zu geben, einem erzürnten Nebenmenschen aus dem Wege, zu gehen, eine bessere Gelegenheit für sich selber abzuwarten und, wie Paulus sagt, Gott Raum zu geben, der ja doch die Herzen aller Menschen in seiner Gewalt hält, sie leiten und zügeln, sie beugen und niederschlagen und den Stolz und Hochmuth brechen und ihren hochfahrenden Nacken krümmen kann. Und darum gilt es gerade dann, wenn das Friedensband irgendwo reißen will, um so mehr auf der Hut zu stehen, im Innern auf den HErrn zu merken, seine Zucht nicht zu überhören, und das Regiment des Friedens nicht abzusetzen, das wenigstens im Innern, wenn auch von Außen die Festung unsres Herzens brennt und angegriffen wird, die Wache und Aufsicht bewahren soll nach dem Wort Pauli: Der Friede Gottes regiere in euren Herzen (Kol. 3, 15.).

Das sind so etliche Winke für diejenigen, die das Friedensband in Weisheit zusammenhalten wollen, auch wenn es bereits zu reißen begonnen hat.

III.

1) Jedoch kommt es zuweilen auch dahin, daß es gänzlich reißt, daß keine so leichte Verstimmung die Gemüther beschleicht, die auch leichter wieder gehoben wird, sondern daß unser Liebes- und Freundschaftsverhältniß einen merklichen Stoß erhält, daß die Gemüther wirklich und tief hinein entzweit und auf ihrer Bahn durch Eigennutz, durch Hochmuth, durch Schadenfreude auseinander geschleudert werden. Soll man nun nach der Welt Brauch die Sache so hängen lassen, weil sie einmal eine verdorbene und verkehrte ist? soll man einander meiden und einander aus dem Wege gehen? soll man sich da vom Genuß des heiligen Abendmahls zurückziehen, weil man mit keinem bereinigten und ausgeglichenen Gewissen dazu gehen kann? soll man mit einem unversöhnten Gewissen der Ewigkeit entgegengehen, und endlich noch auf dem Todtenbette eine Versöhnungs-Scene aufführen, wo der Schaden doch nicht mehr gründlich geheilt, die Gemüther doch nicht mehr recht einander nahe gebracht werden? oder soll man, wie Manche sagen, ohne es auch nur noch zu diesem geringsten aller Zölle der Friedfertigkeit gebracht zu haben, in die Ewigkeit hinübergehen und den HErrn Richter sein lassen zwischen unsrer und des Nächsten Seele? Diese Fragen ziemen sich wohl, da es ja auch in unsrer Gemeinde solche verbitterte Gemüther, solche verschlungene Feindschaftsknoten gibt, die kein Freund und kein Seelsorger mehr lösen kann, bei denen es beide Parteien darauf ankommen lassen, bis der HErr mit dem zweischneidigen Schwert seiner Gerechtigkeit sie zerhaut. Was ist da zu thun? O daß doch in alle tauben Ohren der Feindseligen und Streitsüchtigen das Wort hineinschalle: sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch mit ihm auf dem Wege bist, auf daß dich nicht dein Widersacher dermaleins überantworte dem Richter und der Richter überantworte dich dem Diener und werdest in den Kerker geworfen. Wahrlich ich sage dir, du wirst nicht von dannen herauskommen bis daß du auch den letzten Heller bezahlest (Matth. 5, 25. 26,).

2) Was ist nun aber zu thun, wenn einmal der Riß geschehen? wie kann wieder angeknüpft werden? Das Erste, was hier Paulus uns zuruft, ist: Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem! Es ist freilich manchmal eine Ueberwindung nöthig, - man muß sich selber überwinden, wenn man die Hand zum Frieden bieten und den Anfang der Annäherung machen soll. Der alte Mensch bäumt sich hoch auf, wenn er von seinem vermeinten Recht lassen und sich dazu hergeben soll, und es geht nicht anders als durch einen Todesstoß, den man sich selber gibt, man muß seine Consequenz, seine Rechthaberei, seinen Hochmuth, den eigenen Vortheil daran geben, um die edle Friedensperle einzuhandeln, und es dünkt uns manchmal zu viel, was wir Drangeben. Manchmal kostet es auch Mühe, das Herz des Gegners zu überwinden; auch wenn wir uns ihm annähern wollen, ist er spröde, zurückhaltend, thut fremde, oder läßt wenigstens eine Zeitlang warten, bis er die dargebotene Rechte ergreift: kurz es geht oft durch einen äußern und innern Kampf, wo es schwer hält, über sich und den Andern einen Sieg davonzutragen. Aber ist denn dieser Sieg nicht werth, daß man alles dransetzt? Betrachte das Herz deines Nächsten als eine Festung, die du erobern sollest: koste es auch, was es wolle, müßtest du auch Stunden und Wochen davor liegen; wenn du sie gewinnst, ist's nicht der Mühe werth, sich Allem unterzogen zu haben und nicht müde geworden zu sein?

Für's Andere suche das in Ausübung zu bringen, was Paulus hinzusetzt in unserem Texte: so nun deinen Feind hungert, so speise ihn, dürstet ihn, so tränke ihn, wenn du das thust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Es gibt eine Art, feurige Kohlen auf's Haupt des Andern zu sammeln, die für denselben viel schmerzlicher ist: da wollen wir ihn unsre Großmuth, unser Höherdenken fühlen lassen und zugleich ihm zu fühlen geben, wie tief er unter uns stehe. Das meint der Apostel Paulus nicht, sondern jene demüthige Liebe, welche, weil sie eben von der Demuth getragen ist, auch trotzige Herzen endlich beugt, jene entgegenkommende Liebe, welche dem Feinde so Gutes thut, daß er es nicht einmal ahnt von wannen es kommt, und endlich gestehen muß, du bist besser als ich: wie es endlich das trotzige Herz eines Sauls that, als er weinte und seine Stimme aufhub und David nachrief: du bist gerechter, denn ich! Ist das nicht der schönste Sieg gewesen, den David je erfochten, schöner als der Sieg über Goliath, als der Sieg über die Philister? Es war der Sieg der Liebe, der endlich auch Saul nicht widerstehen, der er Gerechtigkeit widerfahren lassen mußte. Meine Lieben, wie viele zerrissene Bande könnten wieder angeknüpft werden, wenn es Ernst wäre, und das Wort seinen hellen Strahl in unser Inneres sendete: selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen!

Meine Lieben, wollen wir auseinandergehen, wie wir hereingekommen sind? Nein! wir wollen uns besinnen, ob nicht unser Bruder etwas wider uns habe, prüfen, ob er nicht mit Recht etwas wider uns habe; wir wollen ihm die Hand zum Frieden bieten. Stoßt er sie zurück, so thue er es auf seine Rechenschaft; uns aber soll man den Ruhm nicht streitig machen können, daß wir als Kinder des Friedens gehandelt haben und der Gott des Friedens und der Liebe wird mit uns sein.

Amen.

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