Hofacker, Wilhelm - Am zweiten Weihnachts-Feiertage, dem Gedächtnißtage des Märtyrers Stephanus.

Hofacker, Wilhelm - Am zweiten Weihnachts-Feiertage, dem Gedächtnißtage des Märtyrers Stephanus.

Text: Apostelgesch. 6, 8-15. 7, 55-59.

Stephanus aber, voll Glaubens und Kräfte, that Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Da standen Etliche auf von der Schule, die da heißet der Libertiner, und der Cyrener, und der Alexanderer, und derer, die aus Cilicien und Asien waren, und befragten sich mit Stephane. Und sie vermochten nicht zu widerstehen der Weisheit, und dem Geist, aus welchem er redete. Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn gehöret Lästerworte reden wider Mosen und wider Gott. Und bewegeten das Volk und die Aeltesten, und die Schriftgelehrten; und traten herzu, und rissen ihn hin. Und führeten ihn vor den Rath; und stelleten falsche Zeugen dar, die sprachen: Dieser Mensch höret nicht auf zu reden Lästerworte wider diese heilige Stätte, und das Gesetz. Denn wir haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören, und ändern die Sitten, die uns Moses gegeben hat. Und sie sahen auf ihn alle, die im Rath saßen, und sahen sein Angesicht, wie eines Engels Angesicht.

Als er aber voll Heiligen Geistes war, sahe er auf gen Himmel, und sahe die Herrlichkeit Gottes, und Jesum stehen zur Rechten Gottes, und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen, und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Sie schrieen aber laut, und hielten ihre Ohren zu, und stürmeten einmüthiglich zu ihm ein, stießen ihn zur Stadt hinaus, und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ab ihre Kleider zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus. Und steinigten Stephanum, der anrief und sprach: Herr Jesu, nimm meinen Geist auf! Er knieete aber nieder, und schrie laut: HErr, behalte ihnen diese Sünde nicht! Und als er das gesagt hatte, entschlief er.

Durch das großartige Wunder der Menschwerdung Gottes in Christo Jesu unserem HErrn, dem wir gestern unsre Andacht zugewendet haben, ist unsre gefallene Menschennatur auf das Preiswürdigste geehrt und hoch geadelt worden. Mit Freuden, Dank und Anbetung haben wir dieß gestern an der Krippe zu Bethlehem betrachtet und beherzigt. Ach es thut so wohl, bei dem Hinblick auf den tiefen Fall des Menschen und auf das vielgestaltige Verderben, das dadurch in die Welt gekommen ist, und das uns an uns selber und an Anderen so offenkundig und so augenscheinlich überall entgegentritt, solche Lichtblicke thun zu dürfen in den Reichthum der göttlichen Gnade, die das Verlorene zu erstatten, das Verirrte wiederzubringen, das Gefallene aufzurichten, das Todte wiederzubeleben, das Kranke zu heilen, das Gealterte zu verjüngen, das Fluchwürdige zum göttlichen Wohlgefallen zurückzuführen vermag. Und deßwegen ist es eine so große und herrliche Botschaft, die uns das Christfest gebracht hat, daß wir in Christo der göttlichen Natur theilhaftig werden, und in ihm die Würde eines durch ihn erneuerten, in ihm geheiligten, von ihm geadelten Wesens erlangen können.

Gewöhnlich nun tritt von dem Adelsstern, den Christus der Menschennatur erneuert und wiedergebracht hat, wenig zu Tage. Nicht nur hat ihn die Welt nicht aufzuweisen, der er, so lange sie im Unglauben beharrt, auch nicht eingehändigt wird; sondern häufig ist er auch bei den Kindern Gottes verdeckt und versteckt durch den groben und rauhen Rock des äußerlichen Menschen und durch mehr oder minder verschuldete Gebrechen und Unarten. Ja die Gläubigen selbst will es manchmal bedünken, er sei ihnen entwendet worden oder abhanden gekommen, wenn sie das Siegel ihrer eigenen Erwählung nicht an sich finden und in der Verdunklung ihres Gnadenstandes keine rechte Freudigkeit zu Gott gewinnen können. Zuweilen tritt aber doch auch etwas von dem Adelsstern der erneuerten und geheiligten Menschennatur, mit dem der HErr seine gläubigen Nachfolger zu schmücken weiß, ans Licht hervor, und er blitzt dann auch der blinden und verdüsterten Welt in etwas in die Augen. Einen solchen Mann haben wir heute vor uns, meine Lieben. Im Engels-Angesicht Stephani, das er seinen erbitterten Gegnern zeigte, spiegelte sich etwas von der Klarheit Gottes und von einem Leben, das nicht von dieser Welt war. Stephanus gehörte zu denjenigen Erscheinungen, welche ein Lobpsalm sind auf die Macht und Herrlichkeit der erneuernden und verklärenden Gottesgnade; ein Gottessiegel war an seine Stirne gedrückt, das aller Welt bekräftigte und verkündigte: Dieser Mann ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Lasset uns daher länger bei diesem treuen und kühnen Streiter Jesu Christi verweilen und die schönen Wahrzeichen kennen lernen, wodurch der HErr den hohen Seelenadel dieses seines Jüngers bekräftigt und besiegelt hat.

I.

1) Schon der Anfang unsres heutigen Evangeliums zeigt uns in Stephanus den Mann, dem der HErr das Siegel eines hohen Seelenadels an die Stirne gedrückt hat. Er war voll Glaubens und Kräfte und that Wunder und große Zeichen unter dem Volk, - mit diesen Worten wird dieser Held in der Geschichte der ersten christlichen Kirche aufgeführt. Der HErr hatte sich in ihm ein besondres Gefäß der Ehren erlesen, in welches er eigenthümliche Lichtsund Lebenskräfte ausströmte, und diese strömten nun auch von ihm auf Andere wieder über, wie der Herr Joh. 7, 38 sagt: wer an mich glaubt, von deß Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Er besaß nicht bloß eine ausnehmende und entschiedene Gebetskraft, sondern er hatte auch die Gabe, Wunder zu thun. Deßwegen konnte auch seine Person und sein Wirken nicht verborgen bleiben; es gab Lärmen und machte Rumor, wie es häufig bei denen der Fall ist, die furchtlos und kräftig der Welt gegenüberzutreten wagen und von ihren Lockungen sich nicht kirre machen, aber von ihren Drohungen auch nicht einschüchtern lassen. Solche Naturen sind der Welt ein Dorn im Auge und sie bietet Alles auf, ihnen den Mund zu stopfen und ihre Zunge zum Schweigen zu bringen. So war's auch .bei Stephanus. Die gelehrten Schulen der Libertiner, der Cyrener, der Alexanderer verschworen sich gegen ihn und verabredeten mit einander, in einem gelehrten Streit bei einer zu haltenden Disputation, wie man sich auszudrücken pflegt, ihn in die Mitte zu nehmen, ihn da mit den verrosteten Waffen der alten oder mit den blanken Waffen ihrer funkelneuen Gelehrsamkeit und Wissenschaft aus dem Felde zu schlagen und durch die Spitzfindigkeit ihrer Einwürfe und Fragen, die sie ihm vorlegen würden, und die er natürlich nicht zu beantworten im Stande sein werde, im Angesicht des Volks geistig mundtodt zu machen. Sie scheinen mit einander verabredet zu haben, einander in diesem Kampf abzulösen und ihm durch die drei Sektenheere, die sie gegen ihn ins Feld rücken lassen wollen, eine gänzliche Niederlage beizubringen. Aber was geschah! Die gelehrten Herren sahen sich bitter getäuscht; statt ihn aus dem Felde zu schlagen, sahen sie sich selbst besiegt; statt ihn zum Rückzug zu nöthigen, mußten sie mit Schimpf und Schande abziehen. Denn sie konnten, wie der Text sagt, nicht widerstehen der Weisheit und dem Geist aus dem er redete. Es war freilich eine andre Weisheit, als die ihrige, die auf seinen Lippen schwebte, keine mühsam zusammengestoppelte und auswendig gelernte Buchstabenweisheit, keine Fündlein menschlicher Vernunft und Wissenschaft, sondern hervorgequollen aus dem Urborn aller Weisheit, aus dem Glauben, in dem verborgen liegen alle Schätze, der Erkenntniß und Weisheit. - Es war freilich ein andrer Geist, aus dem er redete, nicht der armselige Geist der Afterwissenschaft dieser Welt, die heute ihre Ergebnisse zu Markte bringt, und morgen werden sie vergessen, abgeschätzt und wieder heimgeschlagen; nein, es war der Geist des HErrn, der Geist der Kraft, der Geist der Salbung, und diesem konnten sie nicht widerstehen. Aber sehet, wie der HErr schon in diesem ersten Gang, den der kühne Kämpfer für Gottes Sache zu machen hatte, ihm das Gottessiegel einer durch ihn geadelten und erleuchteten Seele an die Stirne drückte.

2) Wem fallen nicht beim Vernehmen dieses Vorgangs ähnliche Ereignisse aus der Geschichte Luthers ein? Wie oft wollten nicht die päpstlichen Legaten, Doctoren und andere gelehrte Herren, denen er ein Dorn im Auge war, ihn durch Disputationen zum Schweigen bringen; wie boten sie allen ihren Witz und Verstand und Scharfsinn auf, um ihn aus dem Felde zu schlagen. Was war die Folge davon? Daß sie als Besiegte mit Schimpf und Schande abziehen mußten, während er als Sieger auf dem Plane stand; daß seine Lehre wuchs und immer neue Freunde gewann, während ihre Reihen immer lichter wurden. Denn sie konnten nicht widerstehen der Weisheit und dem Gottesgeist, aus dem er redete. Aber man braucht nicht gerade ein Gelehrter von Profession zu sein, man braucht nicht gerade mit den Waffen der Gelehrsamkeit und Wissenschaft ausgerüstet zu sein, um einen guten Kampf zu kämpfen gegen den Unglauben dieser Welt und gegen die freche Sprache, die er führt. Ein David war nicht geübt in den Waffen, auch konnte er den königlichen Panzer nicht tragen, - und doch war er vom HErrn zum Sieger erkoren über den Riesen, der Israels Zeug gelästert hatte. Seine einzige Waffe war eine unscheinbare Schleuder, und sein einziges Geschoß ein Paar glatte Steine aus dem zunächst fließenden Bach. O es ist wunderbar, wie oft Gott in ein ganz unscheinbares Wörtlein, das mit Kraft und Salbung ausgesprochen wird, eine Gottesmacht hineinlegt, also daß man vor ihr die Waffen streckt. Wissen Sie das gewiß? fragte vor zehn Jahren ein Mann unsrer Stadt einen frivolen Ungläubigen, der den Giftschaum seiner Gottes- und seiner Ewigkeits-Läugnung ausgoß, - wissen Sie das gewiß? war die feste, die kräftige Frage, - und der Unglaube mußte verstummen, und der Feuerfunke, der damit in seine Seele fiel, konnte nicht mehr gelöscht werden.

Ja, meine Lieben, ein jeder von uns ist berufen, zu zeugen für den HErrn und vor einem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht seinen Namen zu bekennen. Wer in Christo lebt, wer vor seinem Angesicht wandelt, wer seine innere Gemüthskraft durch Wahrheit, durch Gebet, durch Nüchternheit zusammenhält, der ist geschickt, auch durch unscheinbare Worte, ja oft auch nur durch Schweigen die Ehre seines HErrn zu vertheidigen und zu vertreten. Der HErr wird auch an seine Stirne ein Gottessiegel schreiben, daß er geadelt ist und geheiligt vom Geist der Weisheit und der Kraft.

II.

1) Das zweite Wahrzeichen, womit der HErr den hohen Seelenadel seines Jüngers Stephanus bekräftigt und besiegelt hat, war der heitere freudige Muth, mit dem er ihn umgürtete auch unter den Unbilden und Ungerechtigkeiten der Welt. Als seine Feinde auf dem offenen geraden Weg nicht zum Ziel gekommen waren, so schlugen sie den verkappten und versteckten ein. Sie richteten zu etliche Männer, die ihn der Gotteslästerung anklagen mußten; sie brachten das Volk in eine künstliche Aufregung und Bewegung; sie veranlaßten eine Versammlung des hohen Raths, in welcher jene Anklagen vorgebracht wurden. Ungegründete, aus der Luft gegriffene Beschuldigungen sollten nun ersehen, was ihre Weisheit nicht hatte auszurichten vermocht: wie ja häufig den Kindern dieser Welt kein Mittel zu schlecht ist, wenn es nur zum Zwecke führt. So war es nun hier mit dem Vorwurf der Gotteslästerung. Stephanus wußte wohl, daß, wenn er dessen angeklagt werde, sein Leben in Gefahr stehe, und er konnte sich auch, wie er seine Leute kannte, gar wohl voraus die Rechnung machen, daß es hier auf nichts Anderes abgesehen sei, als ihn mit schicklicher Gelegenheit aus dem Wege zu räumen. Da stand er nun, umgeben von einer ergrimmten Feindesrotte, angegeifert vom Schaum ihrer Lüge und falschen Beschuldigung, durchbohrt von ihren stechenden Blicken, angedonnert von ihren Flüchen und Drohworten, - aber als auf ihn sahen alle, die im Rathe saßen, so sahen sie sein Angesicht wie eines Engels Angesicht. Denn über das Gewirre und Gewühl, das ihn umgab, hinweg, über die Wetterwolken, die sich zusammenzogen, hinweg, sah er aufwärts; die Decke des Rathssaals war für ihn nicht mehr da; er sah den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Ueber diesem Anblick verschwand ihm die Welt mit ihren Leiden und mit ihren Freuden, mit ihren Versuchungen und ihren Gefahren; den Himmel hatte er im Auge, den Himmel im Herzen, den Himmel auf dem Angesicht. Saget nun selber, war das nicht ein Wahrzeichen der ausdrucksvollsten Art, womit der HErr vor aller Welt den hohen Seelenadel versiegelte, der in seinem Innern lebte?

2) Es ist eine vielbestätigte Erfahrung im Reiche Gottes, daß gerade die edelsten Naturen, daß gerade die heiligsten Gefässe der göttlichen Barmherzigkeit am meisten in den Kampf und Streit des Lebens hineinmüssen. Die brennendsten Lichter stehen in der dicksten Finsterniß. Es gehört gleichsam zur Ehrensache des HErrn, vor aller Welt zu beweisen, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist, und daß, wie er die Welt überwunden hat im schaurigsten Kampf, so auch die Seinen von ihm die Macht bekommen haben, gerade im heißesten Streit ihn und seinen Namen zu preisen und zu verherrlichen. Daher sehen wir nun auch die größesten Zierden der Kirche Christi durch schwere und Hube Verfolgung die Vollendungsbahn wallen, und auch die, die in ruhigeren Zeiten lebten, sie hatten oft gerade den schwersten Kreuzesbalken dem HErrn nachzutragen. Aber eben damit besiegelt es der HErr, daß seine Kraft in den Schwachen mächtig ist. Seine Adler steigen im Sturmgewitter am kühnsten, seine Sterne glänzen in der schwärzesten Nacht am hellsten. Und wo wir einen heiteren Muth sehen auch in Gefahr und Trübsal, wo wir Freudigkeit und Kraft sehen in Kümmernissen, wo wir Geduld und Ausdauer erblicken unter schweren Bürden, wo wir Unerschrockenheit wahrnehmen unter Drohungen und Anfechtungen, wo wir ein Engels-Angesicht wahrnehmen unter Schmerz und Pein, - da, meine Lieben, ist wahrhaftig Gottes Siegel, da ist ein Adel, der nicht von unten stammt, sondern von oben, da ist Gotteskraft in schwacher Menschheitshülle. Wie wir aus dem Munde eines so hoch geadelten Paulus vernehmen konnten: wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll; nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale. (Röm. 5, 2. 3).

O heiliger Dulderssinn! Du Spiegel der Natur Christi, Kehre auch ein in unsere Seelen und verkläre uns in das Bild dessen, der durch Leiden vollendet und verklärt worden ist.

III.

1) Das dritte Wahrzeichen, womit der HErr den hohen Seelenadel seines Jüngers Stephanus bekräftigt und besiegelt hat, ist der getroste Sterbensmuth, den wir an ihm wahrnehmen können. Der Ausruf Stephani: siehe, ich sehe den Himmel offen, hatte die giftigen Nattern der Bosheit in der Brust seiner Feinde auf das Furchtbarste aufgereizt. Sie wurden wüthend, und weil ein ganzer Himmel voll Gnade in all seiner Herrlichkeit ihnen im Angesicht Stephani entgegentrat, eben darum empörte sich die Hölle in ihnen. Die Zornesader schwoll ihnen, und sie stürmten einmüthiglich auf ihn ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Stephanus war darüber nicht bestürzt und betroffen; auch bat er sich nicht Vorbereitungszeit aus zum wichtigen Schritt in die Ewigkeit; auch bettelte er nicht um sein Leben; er war bereit, die Akten waren bei ihm geschlossen, das Schiff des Glaubens lag segelfertig. Seine Seele befahl er in die Hände seines treuen HErrn und Heilandes, und als die Steine dichter flogen, und als bereits die Füße ihn nicht mehr trugen, da kniete er noch nieder und rief: HErr, behalte ihnen diese Sünde nicht, - und als er das gesagt, entschlief er. O heiliger Zeugentod, wie hast du mit so hellen und kräftigen Zügen es beurkundet daß Christi Leben in ihm war, daß Christus sein Leben und Sterben, sein Gewinn sei. O heiliger Glaube, wie hast du es so kräftig bewiesen, daß, was aus Gott geboren ist, die Welt überwindet, und daß du der Sieg bist, der die Welt überwindet! Wahrlich, wo man so ohne Zittern und Zagen die Todesstraße wandelt, wahrlich wo man so unter den Todesschauern Fassung, Ruhe und Frieden behält, wahrlich wo man so mit versöhntem Herzen die Gnade des HErrn über seine Dränger und Mörder und Verfolger herabfleht, da ist Gottes Siegel von einem hohen Seelenadel, den nur Gott verleihen kann. -

2) Meine Lieben, die Künstler unserer Tage reisen nach Städten und Ländern, wo die Kunstschätze sich befinden, wo Gemälde und Bildhauerarbeiten von altberühmten Meistern zu sehen sind, Tage, Wochen lang kann man da vor Einem Bilde stehen, um den Reichthum der Gedanken, der darin niedergelegt ist, zu bewundern und anzustaunen. Eines der schönsten Werke, meine Lieben, haben wir hier vor uns, wie kein Pinsel und kein Meisel es schöner zeichnen und bilden, herrlicher ausstatten könnte. Stunden und Wochen könnten wir es im Geiste anschauen und seine bedeutsamen Züge tiefer und tiefer erforschen und unserer Seele einprägen. Aber wisset, solche Kunstwerke hat die Gemeinde des HErrn noch viele aufzuweisen. O wer an den Sterbelagern derjenigen Christen, die aus dem Tode zum Leben hindurch gedrungen sind, herumwandeln könnte, wer ihre Heiterkeit im Tod, wer ihre Standhaftigkeit unter den Kämpfen der brechenden Hütte, wer den Frieden auf ihrem Angesicht schauen könnte, der würde wie durch eine Galerie der schönsten, der herrlichsten Kunstwerke hindurchwandeln, wo immer eines das andere übertrifft an Klarheit, an Erhabenheit und Würde. Freilich der große Vater der Geister hat hier gemalt und gemeisselt; Er hat sein Siegel ihnen aufgedrückt, und auf ihre erblassende Stirne hat Er mit lesbaren Zügen die Ewigkeitsschrift hingeschrieben: sie haben Glauben gehalten, sie haben einen guten Kampf gekämpfet, ihnen ist hinfort beigelegt die Krone der Gerechtigkeit (2 Tim. 4, 7.8.), und die andere: Selig sind die Todten, die in dem HErrn sterben von nun an (Offenb. 14, 13.); und die dritte: meine Schafe hören meine Stimme, und Ich kenne sie und sie folgen Mir, und Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen (Joh. 10, 27.28.).

IV.

1) Doch wir sind noch nicht zu Ende. Ein viertes Wahrzeichen hat der HErr dem Stephanus noch aufgedrückt, und zwar auf das Angesicht des bereits Entschlafenen, auf die Stirne des Zerschmetterten. Unser heutiges Evangelium gibt uns einen Wink, daß Stephanus auch noch nach seinem Tode gewirkt, daß sein sterbender Mund, auch nachdem er sich für uns geschlossen, noch geredet. Die Zeilen aber, welche die ersten Steine zu werfen hatten, legten ihre. Oberkleider ab zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus. Sinnvolle Zeichensprache der heiligen Schrift! Also ein Saulus war bei dieser Hinrichtung, ein Saulus noch in Jünglingsjahren, ein Saulus noch auf der Gegenpartei stehend, ein Saulus, der, wie er selber nachmals mit Reue und Scham bekannte, sich freute des blutigen Todes; aber auch zugleich ein Saulus, der nicht unzugänglich war für die Stimme bei Wahrheit, ein Saulus, der noch nicht verknöchert war wie die alten Sünder, in deren Dienst er stand, ein Saulus, der um das Gesetz nur eiferte aus guter Absicht, aus Unverstand und Unwissenheit, ein Saulus, auf dem damals schon das Auge der ewigen Liebe ruhte. Und was glaubt ihr wohl? was für einen Eindruck werde ein solcher Tod auf ihn damals gemacht haben? Ein Dolchstich wird er für ihn gewesen seyn, gegen dessen Stachel er zwar löckte, aber dessen er nicht mehr los werden konnte; ein Pfeil, tief in's Herz geflogen, welchen herauszuziehen ihm nicht mehr gelang. Mochte er auch gegen das herrliche Heldenbild ankämpfen, das seiner Seele hier sich eingeprägt hatte, es blieb doch haften; mochte er sich auch bereden: er ist ein Ketzer, er ist ein Märtyrer seines Eigensinns, er ist ein Schwärmer gewesen, - eine andere Stimme sagte doch: er ist ein Held, er ist ein Kind Gottes, er ist ein Erkorener des Heiligen in Israel. Wir gehen gewiß nicht über die Schrift hinaus, wenn wir, auch ohne eine weitere Spur zu haben, annehmen, Stephanus Tod habe in der Seele eines Saulus einen Widerhaken zurückgelassen, an dem er nachher, als seine Stunde gekommen war, um so leichter in die Gemeinschaft des von ihm verfolgten Jesus von Nazareth hinübergezogen wurde.

Und in wie herrlichem Lichte erscheint diese Wirkung in ihrem Zusammenhange mit der nachfolgenden Geschichte des Apostels Paulus. Wie Simson in seinem Tode noch tausend Philister begrub, so riß in seinem Tode Stephanus einen einzigen Philister mit sich fort, der aber für ein ganzes Heer zu rechnen war. Denn dieser Apostel hat mehr gearbeitet als alle Uebrigen, und war die Krone von Allen. Geliebte! sehet, welch ein herrliches Gottessiegel der HErr auch noch auf die erblaßte Stirne seines Jüngers und Helden gedrückt hat.

2) Des Gerechten Gedächtniß bleibt im Segen, dieses alte Wort bestätigt sich noch bis auf den heutigen Tag, und diejenigen, die für Christum lebten und für Christum zeugten, die für Christum lebten und in Christo starben, sie reden auch nach ihrem Tode.

Die Todten, die in dem HErrn sterben, sie leben, sie leben nicht bloß droben in der Herrlichkeit, nein sie leben auch hienieden im irdischen Prüfungsthal, und auf ihren Gräbern grünt oft noch eine Saat auf, an die sie selber nicht gedacht, die sie nicht geahnt, zum Zeugniß, daß der HErr sie geadelt, und seinen Namen ihnen auf die Stirne gedrückt. -

Denn Abrahams Geschlecht kann zwar sterben,
Doch nicht in Todesnoth verderben,
Das Sterben ist ihm nur Gewinn;
Kreuzgestalt für äußere Sinnen,
Doch lichte Herrlichkeit von innen,
So fährt der Geist zu Christo hin.
Nach bangem Pilgerlauf
Thut sich die Heimath auf
Himmlisch helle;
Der Leib zerstäubt,
Das Leben bleibt
Dem Lebensfürsten einverleibt.

Amen.

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