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Heliand - 47 - Die Ehebrecherin.

Heliand - 47 - Die Ehebrecherin.

Noch ließ man ihn nicht ledig: sie ließen ein Weib
Vor dem Volk herbeibringen, die ein Verbrechen begangen,
Gar frechen Frevel: die Frau war
Im Ehbruch ertappt und des Todes schuldig:
Das Leben sollte sie verlieren darum,
Ihr Alter enden: so verordnete das Gesetz.
Da legten die Falschen ihm die Frage vor
Mit boshaften Worten, was sie dem Weibe thun sollten,
Sie am Leben laßen oder am Leibe strafen,
Oder was er für die That ihr ertheilen wolle:
„Du weist, wie unserm Volke Moses befohlen hat
Mit weisen Worten, die Weiber sollten
Durch Eheverletzung das Leben verwirken:
Zu Tode geworfen werden sie von dem Volk
Mit starken Steinen. Hier steht nun eine
Auf der That ertappt: was ertheilst du ihr?“
Die Widersacher wollten ihn mit Worten fangen,
Denn wenn er lehrte, sie sollt am Leben bleiben,
Ihre Seele schützend, sollten die Juden sagen,
Er widersetze sich dem Gesetz ihrer Väter,
Dem Landrecht der Leute; und ließ' er sie am Leben strafen,
Das Weib vor der Menge, so wollten sie sagen, die Milde
Berg er nicht in der Brust, die Gottes Gebornem zieme.
So sollte, was er auch sagte, der Sohn des Herrn
Seiner Worte wegen gescholten werden,
Wenn er sein Urtheil ertheilte. Aber der theure Herr
Wuste der Männer Muthgedanken wohl,
Ihren widrigen Willen und erwiederte so
Vor den anwesenden all: „Wer von Euch sich aller
Frevel frei weiß, der trete vor sie
Und schleudre der erste aus seinen Händen
Den Stein auf sie.“

Da standen die Juden,
Dachten und sannen: der Degen Keiner wuste
Auf seinen Ausspruch die Antwort zu finden.
Die Männer gedachten ihrer Meingedanken,
Ihrer Sündenschuld: so sicher wuste sich Keiner,
Daß er nach den Worten zu werfen getraute
Den Stein auf die Frau. Sie ließen sie stehen
Allein an dem Ort und abseits alsobald
Giengen die gramharten Judenleute,
Einer nach dem Andern bis ihrer Keiner aushielt
Des feindlichen Volkes, der fürder gedachte
Der Ehebrecherin das Alter zu kürzen.

Da fragte die Frau das Friedenskind Gottes,
Aller Gebornen Bester: „Wo blieben die Juden,
Deine Widersacher, die dich verklagen wollten?
Haben sie dir heute keinen Harm gethan,
Kein Leid die Leute, die dir ans Leben wollten,
Dich schwer versehren?“ Da sagte das Weib,
Nein, Niemand hab ihr durch des Nothhelfers
Heilige Hülfe irgend Harm gethan
Ihrem Laster zu Lohne. Da sprach der Leute Herr,
der allwaltende Christ: „So will ich auch dir nichts thun
Geh heil von hinnen. Im Herzen nur sorge,
Daß du hinfort nicht wieder in Sünde verfällst.“
So hatt ihr geholfen das heilige Gotteskind,
Ihr Leben gefriedet.

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