Harms, Ludwig - Am Abend vor Weihnachten 1864.

Harms, Ludwig - Am Abend vor Weihnachten 1864.

Die Gnade unseres HErrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Text: Ev. Matth,. 1, 18-25.

Die Geburt Christi war aber also gethan. Als Maria, Seine Mutter, dem Joseph vertraut war, ehe er sie heimholte, erfand sich's, daß sie schwanger war von dem heilige Geist. Joseph aber, ihr Mann, war fromm, und wollte sie nicht rügen; gedachte aber sie heimlich zu verlassen. Indem er aber also gedachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum, und sprach: Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen; denn das in ihr geboren ist, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, deß Namen sollst du Jesus heißen; denn Er wird Sein Volk selig machen von ihren Sünden. Das ist aber Alles geschehen, auf daß erfüllet würde, das der HErr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein, und einen Sohn gebären, und sie werden Seinen Namen Emanuel heißen, das ist verdolmetschet: Gott mit uns. Da nun Joseph vom Schlaf erwachte, that er, wie ihm des HErrn Engel befohlen hatte, und nahm sein Gemahl zu sich; und erkannte sie nicht, bis sie ihren ersten Sohn gebar; und hieß Seinen Namen Jesus.

Der heutige Tag, der Tag vor Weihnachten, führt in der Kirche den Namen „Adam und Eva“. Die Kirche hat diesen Namen gegeben; und sie hat das gethan in der wunderbaren Rechnung, die der Kirche des HErrn eigen ist. Mit Adam und Eva beginnt die Zeit der Sünde und Schande, und diese Zeit reicht bis auf Christum. Mit Christo fängt die Zeit der Gnade an, und die reicht bis zum jüngsten Tage. Dann, mit dem jüngsten Tage, beginnt die ewige Herrlichkeit. Weil nun mit dem heutigen Tage, da Christus in dieser Nacht geboren ist, das Reich der Sünde und Schande zu Ende geht, so steht am Schluß noch einmal der Name Adam und Eva. Es ist, als ob die Kirche sagen will: Adam's und Eva's Zeit hat ausregiert, heute ist der letzte Tag; mit morgen beginnt Christi Zeit, die Zeit der Gnade, wo Alles gutgemacht wird, was Adam und Eva verdorben haben; und hat Christus in der Zeit der Gnade Alles wieder gut gemacht, so folgt die Zeit der Herrlichkeit. Wahrlich, wir haben Alles, was Adam und Eva verdorben, tausendmal besser wieder gekriegt! Wir wollen nun, da diese Nacht vorhanden ist, in der Christus geboren werden soll, unsere Blicke nicht rückwärts lenken auf das Reich der Sünde und Schande, sondern auf Christi Gnadenreich; und da erzählt uns unser Text von der wunderbaren Geburt unsers HErrn Jesu Christi. Diese Geschichte ist die allerwunderbarste und herrlichste im ganzen neuen Testament; man sieht daraus, daß der HErr Christus zu Seinem Vater und zu Seiner Mutter die allerehrenwerthesten Personen ausgesucht hat, die je auf Erden gelebt haben. Denn was wir bei Joseph und Maria sehen, ist die herrlichste Geistesgröße, die höchste Glaubenserhabenheit und die seligste demüthige Liebe, so daß ich keine dritte Person weiß, in der sich dies Alles in dem Maaße vereinigt. Wodurch aber Joseph und Maria so erhaben dastehen, das ist besonders die wunderbare Selbstverleugnung, welche beiden im höchsten Grade eigen ist. Es ist dies das Allergrößeste, was man bei einem Menschen finden kann, aber auch das Allerseltenste. Bei den Menschen gilt es für groß, wenn Jemand gewaltige Kriegsthaten gethan oder ausgezeichnete Eroberungen gemacht hat. Aber, meine Lieben, das sind lauter natürliche Thaten, dazu weiter nichts gehört als natürliche Begabung. Die Thaten der Selbstverleugnung aber werden nicht durch natürliche Begabung vollbracht, dazu muß die Kraft aus Gott geschöpft werden. Sagt einmal, hat die Weltgeschichte jemals einen größeren Eroberer gesehen als vor vierzig, fünfzig Jahren den Kaiser Napoleon? War er nicht ein solcher Eroberer, der Alles zu seinen Füßen legte? herrschte er nicht über Könige und Kaiser? Aus welcher Macht that er das? Er war ein gottloser Bösewicht, der nichts von Gott und Gottes Wort wissen wollte. Er trat die Religion mit Füßen, wenn sie ihm nicht paßte, oder er gebrauchte sie als Magd, wenn sie ihm paßte. Alle seine Thaten vollbrachte er in menschlicher Kraft, nichts Göttliches ist darin zu finden. Mögen seine Thaten vor Menschen groß sein, vor Gott sind sie winzig klein. Darum die kleinste That der Selbstverleugnung ist größer als Napoleon's größeste That. Darum heißt es auch in den Sprüchen Salomo's: Ein Mann, der seines Muthes Herr ist, ist größer als einer, der Städte bezwingt. Wir wollen heute mit Gottes Hülfe betrachten:

Die Wunder der Selbstverleugnung.

Zuvor aber laßt uns beten: Lieber HErr Jesu, gieb uns Deinen heiligen Geist zu der Betrachtung Deines theuren, werthen Wortes, und laß uns aus Deinem Worte erkennen, was allein groß, herrlich und erhaben ist vor Dir, auf daß wir von Herzensgrund lernen, daß aller Welt Ehre, Kraft und Gut vor Dir nichts gilt, vor Dir nichts thut. Dagegen führe uns recht hinein in die Wunder der selbstverleugnenden Liebe, die nicht aus menschlicher Begabung, sondern durch den heiligen Geist kommen, damit wir nicht mit den Thaten eines Napoleon zum Teufel fahren, wohl aber in der That der selbstverleugnenden Liebe in den Himmel gelangen. Und da in dieser Nacht das Christkind geboren wird, so laß auch für uns vorüber sein die Zeit der Sünde und Schande und anbrechen die Zeit der Gnade, deren erster Glanz aus Deiner Krippe uns entgegenstrahlt. In dieser Gnade laß uns wandeln und treu sein bis in den Tod, auf daß wir die Herrlichkeit erlangen, die Du Deinen Kindern bereitet hast. Sünde und Schande liegt hinter uns, die Gnade ist da und die Herrlichkeit steht vor uns. HErr Jesu, wir haben nun nichts verloren, sondern mehr gewonnen, als verloren war. Wir preisen deßhalb Deinen Namen und singen mit den Engeln: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.

1. Wir betrachten die Wunder der Selbstverleugnung bei Maria. Das ganze Leben der Maria ist ein Leben der Selbstverleugnung gewesen von Anfang bis zu Ende. Denket daran, was der Maria Vorfahren gewesen sind und was sie jetzt war. Sie stammte aus dem Heldengeschlechte Davids; und was war das für ein Heldengeschlecht! David hat Löwen und Bären niedergeschlagen, er hat den Riesen Goliath getödtet, die Feinde Gottes bekämpft und dem Namen Gottes Ehre gemacht auf der ganzen Erde. Leset die Geschichte des Königs Salomo, betrachtet den Tempel, den er gebauet hat zu Gottes Ehre. Das war ein Tempel, zu dem kein anderer Stein gebraucht wurde, als heller weißer Marmor, und kein anderes Holz, als das köstlichste, feine, scharfriechende Cedernholz vom Libanon. Dazu war der Tempel ganz mit feinem Golde überzogen, so daß man weder Holz noch Steine sehen konnte. Das war das prachtvolle Tempelgebäude, die Herrlichkeit von ganz Asien, so daß die Leute von weit und breit kamen, diese Herrlichkeit zu sehen. So reich war dieser König, daß es von ihm heißt: Er macht des Goldes mehr denn des Silbers rc. Dies Geschlecht hatte Jahrhunderte lang über Israel regiert. Da wurde es um seiner Sünde willen von Gott heimgesucht, Salomo's Tempel wurde theils niedergebrannt, theils niedergebrochen, und die Nachkommen Davids wurden nach Babel geführt. Als das Volk nach siebenzig Jahren zurückkam, da kamen auch Davids Nachkommen wieder mit zurück, aber sie waren sehr niedrig und gering geworden; und das ging so fort, bis wir endlich Joseph als einen armen Zimmermann und Maria als eine arme Magd finden. Sie gehörten eigentlich nach Bethlehem, aber es wurde ihnen zu schwer, dort zu wohnen, deßhalb zogen sie nach dem zwanzig Meilen entfernten, im Norden liegenden Nazareth. Da kannte sie Niemand, da verbargen sie gleichsam ihre gefallene Größe. Was war aus Joseph geworden? Ein Zimmermann, der die Axt auf die Schulter nahm, um sein täglich Brot zu verdienen. Und was aus Maria? Eine arme Jungfrau, die wohl bei ihren Eltern wohnte, aber mit den Händen sich ihren Lebensunterhalt erwerben mußte. Doch bei aller Armuth besaßen sie einen Schatz, den größten, den es giebt: Sie warteten auf den Messias, der nach dem Worte der Propheten sollte um diese Zeit die Sünde und Schande zu Ende bringen, auf daß die Zeit der Gnade anbrechen könnte. Sie wußten und glaubten, der Messias würde kommen und Alles wieder zurechtbringen. Dieser Messias sollte der Schlangentreter sein, geboren von einem Weibe. Auch die Gaben, die Er mitbringen sollte: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, waren ihnen nicht unbekannt. Darum schaueten sie mit Sehnsucht nach dem Tage aus, wo man singen würde: Ein Kind ist uns gegeben, ein Sohn ist uns geboren, welches Herrschaft ist auf Seiner Schulter. Und Er heißt: Wunderbar, Ruth, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst. Unterdessen sitzen sie in Nazareth, arbeiten mit ihren Händen, sind froh und zufrieden bei ihrer Armuth und lassen sich genügen an dem, was da ist. So sehen wir nichts als lauter Selbstverleugnung. Denn ist das nicht Selbstverleugnung, aus königlicher Familie abstammen und doch die Zimmermannsaxt schwingen, oder den Kuhstall besorgen müssen? Sie hatten sich zusammen gefunden und verlobt, und warteten nur. noch darauf, daß Gott ihren Ehebund schließen sollte. Sie wollten also aus einem ehrenvollen Brautstande in einen ehrenvollen Ehestand treten. Sie hatten sich lieb und waren fromm, ihr beider Sinn stand nicht nach unten, sondern nach oben; das ließ eine Ehe erwarten, von der man zu sagen pflegt- Sie ist im Himmel geschlossen. Wenn ein Paar Menschen sich verloben, weil die Braut Geld hat und der Bräutigam einen schönen Hof, oder weil die Braut ein hübsches Gesicht hat und der Bräutigam ansehnlich ist, so ist das eine schändliche Verlobung. Darnach fragt jetzt beinahe Keiner, ob Braut oder Bräutigam fromm sind. Gewöhnlich ist jetzt die erste Frage: Ist auch viel Geld da? und die zweite: Ist auch ein hübsches Gesicht da? Auf Gottseligkeit wird keine Rücksicht mehr genommen. Hier finden wir ein Paar gottselige Brautleute, die sich von Herzen lieb haben, darum werden sie auch gewiß einen glückseligen Ehestand führen. Als nun die Zeit immer näher herankam, daß sie sich verheirathen wollten, da kam eines Tages der Engel Gabriel zu Maria und sagt: Du wirst schwanger werden im Leibe, und einen Sohn gebären, den sollst du Jesus heißen. Maria antwortete: Wie mag das zugehen, sintemal ich von keinem Manne weiß? Maria ist ein ehrliches Mädchen, als solches ist sie nicht auf den Gassen herumgelaufen, wie jetzt die Mädchen thun, sie ist nicht zu Tanz gegangen, wie unzüchtige Christenmädchen, sie hat nicht Alberei und Kalberei mit den Mannsleuten gehabt, wie jetzt die meisten Mädchen. Jetzt sind die meisten Mädchen keine reine Jungfrauen mehr, wenn sie zum Altar treten; Maria hatte ihre Reinheit bewahrt. Darum konnte sie dem Engel in's Angesicht sagen: Wie mag das zugehen? Der Engel antwortet: Ich weiß das wohl, Maria, denn wenn du eine Hure wärst, so wäre ich Engel Gabriel nicht zu dir gekommen. Solche Mädchen mag der Teufel wohl besuchen, aber nicht ein Engel Gottes. Du sollst ein anderes Kind gebären, als es sonst zu geschehen pflegt von Frauen, denn das Heilige, das von dir geboren wird, soll Gottes Sohn genannt werden. Da merkt Maria, daß sie gewürdigt ist, die Mutter des Heilandes zu werden, von dem Jesaias sagt: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den sollst du Immanuel heißen, das ist verdolmetschet: Gott mit uns. Als sie das einsieht, daß sie durch den heiligen Geist schwanger werden soll, um die Mutter des Messias zu sein, da spricht sie das große Wort, ich kenne kein größeres: Siehe, ich bin des HErrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast. Warum ist dies Wort so groß? Darum eben, weil sie nicht bloß im kindlichen Gehorsam sich ganz Gott hingiebt, sondern, und das ist das Größeste, weil sie damit allen irdischen Lebenshoffnungen den Abschied giebt. Das konnte sie sich nicht verbergen, daß Joseph, wenn er ihre Schwangerschaft erfuhr, sagen würde: Gehe weg, du garstiges, gottloses Geschöpf; ich bin immer dein treuer Bräutigam gewesen, nun bist du durch Hurerei schwanger geworden; soll ich ein schwangeres Mädchen zur Frau nehmen? Aber warum geht sie denn nicht hin und erzählt Joseph Alles? Was ihr der Engel gesagt hat, das hat er eben ihr gesagt im Auftrage Gottes; er hat aber nichts davon merken lassen, daß sie es Joseph wieder erzählen sollte. Daraus sollen wir lernen, daß wir das nicht ausplappern dürfen, was uns anvertrauet ist von Gott oder Menschen. Welche Strafe stand darauf, wenn ein Weib oder eine Braut von einem andern Manne schwanger war? Im göttlichen Gesetz gilt Reinigkeit noch etwas. Wenn jetzt Jemand gehurt hat, und er wird vor Gericht gestellt, so wischt sich das Hurenpack das Maul und damit gehen sie wieder weg. Warum setzt man dies Pack nicht in's Gefängniß? Warum sperrt man diese Brut nicht in's Zuchthaus? Das geht nicht, denn da müßte sich mancher Richter selbst verdammen, wenn er die Hurer und Huren strafen wollte. Das Hurenpack muß frei ausgehen, die Hurensünde muß womöglich öffentlich erlaubt sein. Darum ist auch jetzt der Hurenstand ein geehrter Stand, man findet wenig mehr von der heiligen Scham vor dieser Sünde. In Israel war es anders. War ein Hurenfall bekannt geworden, und waren die Hurer dem Gericht übergeben, so gab es eine zwiefache Strafe: Entweder die Hurer wurden auf einen Scheiterhaufen gestellt, und Vater und Mutter zündeten den Holzstoß an; oder sie wurden gesteinigt, und wiederum waren es Vater und Mutter, die den ersten Stein auf diese Brut warfen. War nun auch Maria frei von dieser Sünde, so wußte doch Joseph nichts näheres von der Geschichte. Wie, wenn er sie nun verklagte, wenn sie dann verbrannt und mit Steinen zu Tode geworfen würde? Und im besten Fall, was war da zu erwarten? Daß Joseph ihr den Laufpaß gab und sagte: Mit einer untreuen Braut kann ich mich nicht verheirathen. Und hätte er sie noch so sehr geliebt, seine Liebe hätte unter solchen Verhältnissen erlöschen müssen. Das war noch der beste Fall, dann ging es ihr doch nicht an Leib und Leben. Wurde sie aber von Joseph verstoßen, dann war es aus mit allen irdischen Hoffnungen. Und nun sagt mir, welche That der Menschen reicht an diese große That, daß Maria sagt: Ich bin des HErrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast? Sie bringt dem HErrn dies Opfer, und von dem Augenblick an ist ihr Herz still geworden. Mit demüthigem Herzen wendet sie ihren Blick nach oben und überläßt das Weitere Gott dem HErrn. Sie hat nur den einen Wunsch, daß der Heiland geboren werden möchte, auf daß die Menschen durch Ihn selig werden können. Das sind die Wunder der Selbstverleugnung an Maria.

2. Wir betrachten nun die Wunder der Selbstverleugnung bei Joseph. Bei ihm finden wir dieselben Wunder. Maria hatte ihm nichts gesagt von dem, was vorgefallen war, denn das hatte ihr der HErr nicht befohlen; sie geht still ihren Weg weiter. Da sieht Joseph zu seinem großen Schrecken, daß Maria, seine verlobte Braut, schwanger ist. O, meine Lieben, wer kann den Gram und Kummer des treuen Joseph beschreiben. Das ist die Maria, die er für seine treue Braut gehalten hat, nun ist sie ihm untreu geworden; das ist die Maria, von der er glaubte, ihr Herz sei mit Gott verbunden, und nun muß er einsehen, daß sie sich dem Hurenteufel ergeben hat. Alle Hoffnungen auf den zukünftigen Ehestand sind zu Grabe getragen, denn eine solche Person kann er nicht heirathen. Was soll er machen? Soll er sie vor Gericht führen und etwa selbst den Scheiterhaufen anzünden, oder den ersten Stein auf sie werfen? Das soll er thun gegen die Maria, die er so heiß geliebt, die er im Herzen getragen hat? In unserm Text heißt es: Joseph aber war fromm, und wollte sie nicht rügen; gedachte aber sie heimlich zu verlassen. Er steht ab von allen Gedanken der Rache. Mag sie ihm Betrübniß, Gram und Kummer gemacht haben, er will sie nicht rügen. Was will er denn thun? Er faßt in der That einen Entschluß, der ganz zu dem der Maria paßt. Er will sie heimlich verlassen. Versteht die Worte recht, es heißt nicht- Heimlich entlassen, sondern: Heimlich verlassen. Es stand dem israelitischen Bräutigam oder Ehemann frei, wenn er etwas gegen seine Braut oder Frau hatte, ihr einen Scheidebrief zu geben und sie zu entlassen. Hätte Joseph das gethan, so wäre sie, da sie hoch schwanger war, in's Elend gestoßen, und Jeder hätte gesagt: Das sind die Folgen der Hurerei. Uns will das das Leichteste scheinen, und doch ist's dem frommen Joseph noch zu schwer. Maria soll dastehen als die Unschuldige, und er will sie heimlich verlassen, um von den Leuten als der Schuldige betrachtet zu werden. Sie war schwanger, das konnte Jeder sehen. Bis dahin war sie Josephs Braut gewesen, nun verließ er sie; was mußten die Leute davon denken und sagen? Sehet den Buben von Joseph, nun Maria von ihm schwanger ist, verläßt er sie! Noch jetzt würde man von einem Buben, der zu einem Mädchen geht, um sie durch das Versprechen der Heirath zur Hurerei zu verführen, sagen: Das ist ein Scheusal! Hätte Joseph Maria wirklich verlassen, so wäre er als der Schandbube angesehen worden, und allgemein hätte man gesagt: Wer konnte das wohl von dem frommen Joseph denken? O, was für Heuchler trägt doch die Erde! Und das will Joseph übernehmen aus Liebe zu Maria. Er will der Schandbube werden und Maria soll die Bemitleidete sein. Wahrlich, mußte man mit Verwunderung hinaufschauen an Maria, so kann man sich nicht weniger verwundern über Joseph. Mit diesen Gedanken geht er um, diese edle Absicht hat der Mann. Meine Lieben, es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, Anderer Schande auf sich zu nehmen. Joseph denkt, daß er die Schande eher tragen könne als Maria. Er will in ein fremdes Land ziehen, um sich da sein Brot mit der Zimmeraxt zu verdienen. Sieht man diese Menschen, so muß man sich schämen, daß man selbst immer noch so selbstsüchtig ist. Aber das darf der liebe Gott nicht leiden, daß Joseph flieht. Als er, erfüllt mit traurigen Gedanken, auf seinem Lager liegt, da kommt der Engel Gottes und sagt zu ihm: Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, dein Gemahl, zu dir zu nehmen, denn das in ihr geboren ist, das ist von dem heiligen Geist. Sie war stets eine reine Jungfrau und ist es noch, sie war stets ein ehrliches Mädchen und ist es noch. Was in ihr geboren ist, das ist vom heiligen Geist, Damit ist aber erfüllt das Wort des Propheten Jesaias: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den sollst du Jesus heißen. Die Mutter des Messias, auf den alle Kinder Gottes gewartet haben, soll Maria werden. Als Joseph das hört, wer kann da die Wonne schildern, die sein Herz erfüllt. Maria ist nun doch seine liebe treue Braut. Mit Freuden geht er hin und nimmt sie als sein Eheweib ins Haus, auf daß er an dem Kinde Vaterstelle vertreten könne. Denn der Engel hatte gesagt: Das Kind, was Maria gebären wird, sollst du Jesus heißen. Und mit welcher seliger Freude nimmt nun Joseph die Vaterstelle ein bei dem Jesus, der durch den heiligen Geist gezeugt ist. Er nimmt Maria in sein Haus; aber ob sie sein Eheweib ist, er hält sie heilig, hat nichts mit ihr zu thun, als bis sie ihren ersten Sohn geboren hat. Sehet, wie der liebe Gott Alles wunderbar führt. Was stand bevor? Die Reise nach Bethlehem. Wer sollte Maria begleiten, ernähren und führen? Jetzt war Alles in Ordnung. Beide konnten auf die Kniee fallen und Gott danken, daß die Zeit da war, wo die Schande weggenommen werden sollte, die Adam und Eva gebracht haben, denn der Messias soll sein Volk selig machen von ihren Sünden. Darüber freuet euch, ihr Christen. Was hast du für Sünden auf deinem Herzen? Hast du gemordet? O du blutrother Sünder, gehe zu Jesu! Hast du gehurt oder die Ehe gebrochen? O du scheußlicher Mensch, gehe zu Jesu, Sein Blut wäscht auch die Hurenschande weg. Hast du gestohlen, betrogen, gelogen? Gehe zu Jesu, der wäscht alle deine Schanden ab. Jesum mußt du aufnehmen in dein Herz, der muß in deinem Herzen und Hause regieren. Auch der größte Sünder, wenn er sich nur in Jesu Schooß legt, findet Ruhe und Frieden. Nun ist Adam's und Eva's Schandenzeit zu Ende, Christi Gnadenzeit ist da, denn Er macht Sein Volk selig von allen Sünden, - auch dich. Nun laß das den Dank sein: Ich bin theuer erkauft; darum will ich Gott preisen an meinem Leibe und in meinem Geiste, welche sind Gottes. Laßt uns beten: Lieber HErr Jesu, nun wollen wir Dir noch einmal so recht herzlich dafür danken, daß Du gekommen bist in unser Fleisch und Blut, und hast die Zeit der Sünde und Schande, welche Adam und Eva auf uns gebracht haben, von uns weggenommen hast durch Deine selige Geburt. Wir danken Dir, daß Du gekommen bist als Gottes und Menschen Sohn. Als Gottes Sohn, den der heilige Geist gezeugt, als Menschen Sohn, geboren von der Jungfrau Maria, aus daß Du uns erlösen könntest von Gottes Zorn. Darum bekennen wir: Ich glaube an Jesum Christum, Gottes eingebornen Sohn, der empfangen ist von dem heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. Wir bitten Dich, Du wollest unser lieber Jesus sein, und uns gehören lassen zu Deinem Volk, das Du selig machst von allen Sünden. Alle unsere Sünden, und wir haben einen großen Packen zu tragen, wollen wir Dir aufladen, der Du der wahre Gott bist, gelobt in Ewigkeit. Nun können wir fröhlich Weihnachten feiern, denn die Sund' ist uns vergeben, durch Dich geschenkt das Leben: im Himmel soll'n wir haben, o Gott, wie große Gaben. Wir stehen nicht mehr in Adam's und Eva's Sünden- und Schandenzeit, sondern in Jesu Christi Gnadenzeit und wollen mit Dir in die Herrlichkeit eindringen. Dazu gieb uns die Kraft durch Deinen heiligen Geist. Amen.

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