Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 62. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 62. Psalm.

In diesem Psalm wird uns gelehrt eine über alle Maßen wichtige Kunst, welche aber sehr schwer zu lernen ist, das ist die Kunst, stille zu sein zu seinem Gott. Der Psalm hebt an mit den Worten: Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Wer diese Kunst gelernt hat, stille zu sein zu seinem Gott, der hat, wie gesagt, die größte und schwerste Kunst gelernt, die ein Christ lernen kann; und hat sie wirklich einer gelernt, so kann er sich selig preisen. Wer stille ist zu seinem Gott, der hat Alles überwunden und kann Alles überwinden, während derjenige, der nicht stille ist, nichts überwunden hat und nichts überwinden kann. Gottes Werk fängt immer da an, wo mein Werk aufhört; und das ist die Kunst, das eigene Werk aufzugeben und Gott wirken zu lassen. Darum sagt Gott schon im Altentestament durch den Propheten Jesaias: O daß ihr stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein Jes. 30, 15. Aber bis man das lernt, stille zu sein, was für Kämpfe gehören dazu; und viele Menschen, das scheint beinah so, lernen es nie, so gern sie auch wollen, immer geht die Ungeduld, die Leidenschaft und das eigene Werk wieder mit ihnen durch, es ist, als ob in ihnen eine Unruhe ist, die sie nicht zu diesem Stillsein kommen läßt. Darum heißen die wahren Christen in einem andern Psalm die Stillen im Lande, eben weil sie die Kunst, stille zu sein zu Gott gelernt haben. Laßt uns nun den Psalm mit kurzen Worten durchgehen. Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Warum? Denn Er ist mein Hort, meine Hülfe, mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist. Sehet, wer das erkannt hat, der kann stille sein zu Gott; wer das aber nicht erfahren hat, das Gott wahrhaftig sein Hort, Hülfe und Schutz sei, daß Gott ihm wahrhaftig so nahe sei, daß ihn kein Fall stürzen wird, wie groß er auch sei, wo soll der das Stillesein herkriegen? Alles Stillesein kommt aus der Erfahrung, daß Gott unser Hort, Hülfe und Schutz ist; hast du das nicht , erfahren, so kann man dir zehn Mal sagen: Sei stille zu Gott, es hilft doch nichts. Ganz besonders schwer ist das Stillesein, wenn man die Hülfe Gottes angerufen hat, und Gott läßt uns auf Seine Hülfe warten, da fangen wir an zu zappeln, wie ein Fisch an der Angel des Fischers. Ja, wenn Gott gleich den Augenblick gebe um was wir beten, denn wollten wir wohl stille sein. Da Gott uns aber auf das Warten legt, so meinen wir. Er habe aufgehört Gott zu sein, Er habe die rechte Stunde verpaßt. Was doch Gott für Geduld mit der Ungeduld der Menschen haben muß, das ist nicht auszusprechen; sie sterben vor Ungeduld, bis sie für zwei Pfennig Geduld lernen. David hat es erfahren, daß Gott sein Hort, Hülfe und Schutz ist, daß ihn kein Fall stürzen kann, wie groß er auch sei. Ich will nur an zwei Begebenheiten aus Davids Leben erinnern, woran ihr das besonders sehen könnt. Im Irdischen kann es doch keinen größeren Sturz geben, als vom Königsthron gestoßen zu werden und dann, als ein Flüchtling davon müssen in die Verbannung. Sehet das an David. Sein ungerathener Sohn Absalon hat ihn vom Throne gestoßen, hat David das geschadet? Nein, er lernte vielmehr daraus stille zu sein und seines Gottes zu harren. Die zweite Begebenheit ist ein geistlicher Sturz; denn der Mann, der ein Mann nach dem Herzen Gottes genannt wird, steht auf einmal da als ein bluttriefender Mörder und als ein schmutziger Ehebrecher. Und doch ist es wahr, was er sagt: Es wird mir kein Fall schaden; denn er hat sich rasch wieder aufrichten lassen von der Hand seines treuen Gottes, seine Buße ist ernster, sein Glaube ist stärker und seine Liebe ist inniger geworden. Seine Sünde war eine Schwachheitssünde, nicht aber eine muthwillige. Daher konnte er stille bleiben in der Zeit, als Alles sich von ihm abwandte und er allein stand. Davon sagt er hier: Wie lange stellet ihr Alle Einem nach, daß ihr ihn erwürget, als eine hangende Wand und zerrissene Mauer? Sie denken nur wie sie ihn dämpfen, fleißigen sich der Lügen, geben gute Worte, aber im Herzen fluchen sie. So haben sie es gemacht, als Alle, mit König Saul an der Spitze, ihn verfolgten; er war wie eine hangende Wand, die einzustürzen drohte, er war wie eine zerrissene Mauer, die man nur mit dem Fuße anzustoßen brauchte und sie fiel ein; gegen ihn kehrten sich Alle, daß sie ihn erwürgten. Bei alledem muß David allein stehen, er hat Keinen, auf den er sich verlassen kann, er muß in die Wüste fliehen und als ein Rebhuhn auf den Bergen sein, und da sammeln sich zu ihm allerlei lose Leute, sonst Niemand. In dieser Noth und Trübsal, wo ihn Alle verlassen, ist das sein Trost: Gott hat mich noch nicht verlassen, meine Seele harret auf Gott, denn Er ist meine Hoffnung. Nun ist er fröhlich und getrost, denn was macht es, daß er keinen Menschen hat, auf den er sich verlassen kann? Gott ist seine Hoffnung. Darum kann er zum zweiten Mal sagen: Der HErr ist mein Hort, meine Hülfe und mein Schutz, daß ich nicht fallen werde. Und nun kommt er in das Rühmen und kann nicht genug rühmen, daß Gott, obwohl ihn die Menschen verlassen haben, doch bei ihm geblieben ist. Bei Gott ist mein Heil, meine Ehre, der Fels meiner Stärke, meine Zuversicht ist auf Gott. Und Gott bleibt treu, wenn auch Alle untreu werden. Wie muß er es denn machen, daß Gott ihm hilft? Ja, das ist es gerade, was zur Kunst des Stilleseins gehört: Er muß beten. Hoffet auf Ihn allezeit, lieben Leute, schüttet euer Herz vor Ihm aus; Gott ist unsere Zuversicht. Da haben Kinder das größte Herzeleid, doch es ist nur kindisch Herzeleid, aber was thun sie? Sie gehen zu Vater und Mutter, legen sich an deren Brust und schlafen ein. So sollen wir Christen es auch machen, sollen zu unserm Gott gehen, unser Herz an Sein Herz legen, unser Herz vor Ihm ausschütten und dann einschlafen, Er wird schon helfen. Daraus siehst du aber auch, daß du allein auf den HErrn trauen mußt. Darum zählt David noch zum Schluß des Psalms einiges auf, worauf du nicht vertrauen darfst. Um Gottes willen vertraue nicht auf Menschen, auch nicht auf einen Einzigen, denn sie sind alle Lügner, die einen wie die andern, Verlaß ist auf keinen, so wahr als sie Menschen sind. Sie sind alle Lügner, in der Zeit, wo Hülfe noth ist, treten sie alle zurück. David sagt deßhalb: Aber Menschen sind doch ja nichts, große Leute fehlen auch; sie wägen weniger denn nichts, so viel ihrer sind. Darum sollst du dich auf keinen Einzigen verlassen; denn wenn du meinst, du hast die Freunde bei Dutzenden, das ist nur Einbildung, kommt die Zeit, wo sie helfen sollen, da zerstäuben sie, wie Spreu vor dem Winde. Weiter, verlaß dich nicht aus Unrecht und Betrug. Viele Menschen denken: Bunt geht es doch einmal auf Erden zu und will ich ordentlich durchkommen, so darf ich nicht ganz ehrlich sein, darum will ich ein bisschen betrügen, wenn es nur Vortheil bringt. Diese Kunst wird viel geübt, z. B. bei den Kaufleuten, mit falschem Maaß und Gewicht; bei den Holzhändlern, indem sie Holz nehmen, was ihnen nicht gehört; bei den Korn-Händlern, mit zu großem Maaß beim Einkaufen und mit zu kleinem Maaß beim Verkaufen. Die Leute meinen, daß das Vortheil bringt, aber David warnt: Verlaßt euch nicht auf Unrecht und Frevel, haltet euch nicht zu Solchen, das nichts ist; ihr kommt dadurch nicht heraus aus der Noth, sondern immer tiefer hinein und endlich in die Verdammniß. Endlich warnt er noch vor dem Verlassen auf Reichthum mit den Worten: Fällt euch Reichthum zu, so hängt das Herz nicht daran. Trachtet nicht nach Reichthum; und wenn er euch zufällt, so hängt euer Herz nicht daran. Reichthum ist kein Glück, obgleich es die Menschen glauben, denn die meisten hängen ihr Herz daran; und hast du den Reichthum erst zu deinem Gott gemacht, so lang der lebendige Gott keinen Raum darin gewinnen. Wo der Gott Mammon wohnt, da kann der lebendige Gott nicht wohnen. So kommt David zu dem Schluß: Harre auf Gott, den laß dein Ein und Alles sein, denn der hilft dir und du wirst erfahren, daß Er dich nicht in der Noth umkommen läßt, daß Er dich errettet aus der Hand aller deiner Feinde. Denn Er ist nicht bloß dein Helfer, sondern auch dein Richter. - Das ist der köstliche Psalm, den wir von David gelernt haben, den aber sonst Keiner versteht, als der ihn erfahren hat. Ich wiederhole es, wer die Kunst gelernt hat stille zu sein und zu beten, der hat die größte Kunst auf Erden gelernt. O wer da sein Herz aufthun und erzählen wollte von seinen Erfahrungen, die Menschen würden sich darüber wundern, was man für einen Gott hat. Hat man erst die Hülfe Gottes erfahren, so gibt es nichts, was das Herz so fest macht, als das Stillesein. Ich habe es erfahren, nicht ein Mal, sondern hundert Mal in den verschiedensten Beziehungen, die nur zu denken sind, in Anfechtungen von Menschen und vom Teufel: Der HErr ist mein Hort, meine Hülfe und mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist; das ist immer das Ende vom Liede gewesen. Ich erinnere mich z. B. daß ich, als ich mich eben bekehrt hatte, einen kranken Mann besuchte, ich betete mit ihm, gab ihm eine Bibel und schöne biblische Bilder. Als ich einst wieder bei ihm war, da kam der Pastor des Orts und fragte mich, was ich da machte? Antwort: Ich bete mit dem Kranken. Da sagte er, das sollte ich denn jetzt einmal thun. Ja, wenn sie weg sind, antworte ich. Denn so weit geht keine Pastorenmacht, den Krankenbesuch zu verbieten. Da ging der Pastor hin und verklagte mich, daß ich, ein Kandidat, ihm in sein Amt gefallen sei; und nun ging es von einem Gericht zu dem andern. Da fand ich bald, daß alle Freunde bis auf Einen, weg waren, und als die höchste Behörde in Anspruch genommen wurde, da kam nur noch dieser Eine Freund, als ein Nikodemus bei der Nacht, mich zu trösten. Vor Gericht kam es denn so weit, daß ich entweder versprechen sollte, keine Krankenbesuche mehr zu machen, oder in das Gefängniß zu wandern; und siehe, da verließ mich auch der letzte Freund. Ich bin nicht in's Gefängniß gekommen, habe auch nicht versprochen, die Kranken nicht mehr zu besuchen, sondern habe gesagt: Steckt ihr mich in's Gefängniß, so will ich, wenn ich wieder heraus komme, die Kranken desto eifriger besuchen. Als die Geschichte vorbei war, da kamen die Freunde zu Dutzenden wieder. Es ist wahr, auf Menschen ist kein Verlaß, aber auch nicht auf Reichthum und nicht auf Frevel und Betrug, sondern nur allein auf den lebendigen Gott. Amen.

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