Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 55. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 55. Psalm.

In diesem Psalm schüttet David sein Herz aus vor Gott dem HErrn und bittet in seiner großen Noth und Bedrängnis, daß der HErr ihm helfen möge mit Seinem allmächtigen Arm, daß Er seine Seele erretten möge von seinen Feinden, die ihm nach dem Leben stehen und die ihn Tag und Nacht ängstigen. In diesem Psalm ist das Meiste leicht verständlich, so daß es keiner besondern Auslegung bedarf, und das auslegen wollen, was keiner Auslegung bedarf, würde thöricht sein. Darum wollen wir uns auf die Punkte beschränken, die der Auslegung bedürfen. Das Erste ist, daß die frömmsten Menschen oft Stunden und Zeiten in ihrem Leben haben, wo die Anfechtungen so über ihre Seele gehen, daß sie nicht wissen, wo sie hin sollen, und daß man da leicht auf die Frage kommt: Sind das auch wohl rechte Christen? In einem solchen Zustande befindet sich David hier. Er sagt geradezu: Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe, und des Todes Furcht ist auf mich gefallen. Furcht und Zittern ist mir angekommen, und Grauen hat mich überfallen. Er ist bange, daß er leiblich und geistlich untergeht, daß seine Feinde, der Teufel und die bösen Menschen, die Oberhand gewinnen und daß also Gottes Ehre zu Schanden wird. Ist das möglich, fragt man, daß ein Gläubiger so sprechen kann, ein Gläubiger, der doch den HErrn zu seinem Gott hat, dazu ein solcher Gläubiger, der sonst spricht: Mit meinem Gott kann ich über die Mauern springen Ps. 18,30; und: Ob Tausend fallen zu meiner Seite, und Zehntausend zu meiner Rechten, so wird es doch mich nicht treffen. Wenn ein Mann so zu sprechen gelernt und so seinen Glauben bekannt hat, soll man sich da nicht wundern, daß er hier mit seinem Glauben auf dem Boden liegt, daß seine Seele vor Angst verschmachten will? Da sehet ihr recht, meine Lieben, wie wahr es ist, was der Apostel Paulus sagt, wenn er alles Christenthum der Menschen Stückwerk und Flickwerk nennt: Unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören 1. Cor. 13,9-10. Einen vollkommenen Glauben findet man auf Erden noch nicht. Wer da sagt: Ich kenne solche Stunden der Anfechtung nicht, mein Glaube hat noch nie auf dem Boden gelegen, da sage dem Menschen, daß Gott ihn grüßen läßt und daß sein Glaube nichts als Einbildung sei. Den starken Glauben, der nicht der Anfechtung zu erliegen scheint, hat noch Keiner gehabt, kein David und kein Jesaias, kein Petrus und kein Paulus. Es möchte denn sein, daß ein Christ noch in den Kinderschuhen steckt, das ist etwas anders, solchen Leuten Pflegt es der HErr noch nicht ganz schwer aufzulegen; laß sie aber einmal weiter kommen im Christenthum, und sie sollen es erfahren, daß Keiner von den Anfechtungen verschont bleibt. Was steht David vor Augen? Er sagt: Daß der Feind so schreiet, und der Gottlose dränget; denn sie wollen mir einen Tück beweisen, und sind mir heftig gram. Aber was wäre daran gelegen, wenn es seinen Feinden gelänge, daß sie ihn tödteten? Wer an Jesum glaubt, der geht ja in den Himmel. Wenn man so denkt, so kommt man leicht darauf, daß David gar keinen Glauben gehabt habe. Oder wenn er also vor Gott steht, daß er seines Gottes Hülfe gewiß ist, so braucht er sich anderseits nicht zu fürchten, denn es ist Gott eine Kleinigkeit, ihn aus der Hand seiner Feinde zu erretten, ob sie auch noch so mächtig wären, gleichwie Nebucadnezar. Da Gott mächtiger ist als alle seine Feinde, so kann Er ihn leicht von ihrer Hand erretten; oder will Er das nicht, sollen sie David tödten, dann geht er ja in den seligen Himmel und das ist noch besser; so denkt man und fragt zugleich, wie kann David dennoch zagen? Dieses Zagen kommt daher: Davids Glaube war schwach geworden. Wäre sein Glaube nicht schwach geworden, so hätte er dem Teufel und den bösen Menschen widerstehen können, da er aber schwach geworden ist, so zittert und zagt David. Darum ist das Nöthigste in den Anfechtungen, daß man täglich betet: Ich glaube, lieber HErr, hilf meinem Unglauben und stärke meinen schwachen Glauben. Habe ich Glauben, so mag es zum Leben oder zum Sterben gehen, ich bin und bleibe bei dem HErrn und kann sagen: Lebe ich, so lebe ich dem HErrn, sterbe ich, so sterbe ich dem HErrn. Darum ich lebe oder sterbe, so bin ich des HErrn, und aus Seiner Hand soll mich Niemand reißen Röm. 14,8. Weil wir aber alle arme Sünder sind, und weil wir alle den Schatz des Glaubens in irdischen Gefäßen tragen, so kann es leicht kommen, daß auch der stärkste Glaube schwach wird und in Anfechtung geräth. Wenn dann die Feindschaft der Menschen und des noch bösern Teufels kommt, da gilt es zu schreien: Ich glaube, lieber HErr, stärke meinen schwachen Glauben! Hältst du den HErrn fest im Gebet, dann wird Er dir antworten: Laß dir an Meiner Gnade genügen, denn Meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig 2. Corinth. 12,9; und: Fürchte dich nicht, Ich bin mit dir; weiche nicht, denn Ich bin dein Gott. Ich stärke dich, Ich helfe dir auch. Ich erhalte dich durch die rechte Hand Meiner Gerechtigkeit Jesaias 41,10. - Das Zweite, was wir in diesem Psalm erkennen ist, daß man auf keinen Menschen in der Welt sich verlassen kann, sondern daß das ganze Vertrauen auf den HErrn, unserm Gott, gesetzt werden muß. Das ist ein schweres Stück, aber es muß gelernt werden. Kinder dürfen sich nicht auf ihre Eltern und Eltern dürfen sich nicht auf ihre Kinder verlassen , die Frau darf sich nicht auf ihren Mann und der Mann darf sich nicht auf seine Frau verlassen, es dürfen sich nicht Brüder und Schwestern, Freunde und Freundinnen auf einander verlassen, denn sie sind alle Sünder und Lügner und Keiner hat den HErrn so lieb, daß er nicht lügen könne. Ihr Eltern habt eure Kinder lieb und ihr Kinder eure Eltern, ihr Brüder habt eure Schwestern lieb und ihr Schwestern eure Brüder, du Weib liebe deinen Mann und du Mann liebe dein Weib, aber verlasse sich Keiner aus den Andern, verlasse sich Keiner auf Menschen. David sagt: Wenn die, welche mich verfolgen, bei der Welt zu suchen wären, dann wollte ich es mir noch gefallen lassen; aber das ist das Schlimmste, mein Gesell, mein Pfleger und meine Verwandten sind meine Feinde, die wir freundlich gegen einander waren und mit einander zum Hause Gottes wandelten, das sind meine Feinde. Er will sagen: Wären die offenbar Gottlosen meine Feinde, das könnte ich nicht anders erwarten; aber daß es meine Freunde sind, mit denen ich sonst in Gottes Haus eilte, das ist mir fast unerträglich. Man kommt da leicht in die Gefahr, daß man die Treulosigkeit der Menschen auch auf Gott übertragen will. Bei Menschen findest du keine Treue mehr, wenn Gott nur nicht auch untreu geworden ist, so denkt man. Diese Klage finden wir ja in Davids Leben reichlich bestätigt, z. B. sein eigener Schwiegervater war früher ein frommer Mann und David mag oft mit ihm zur Kirche gegangen sein, Saul hatte ihm nicht bloß seine Tochter Michal zum Weibe gegeben, sondern hatte ihn auch zum Feldhauptmann gemacht. Also Saul war sein Pfleger und Verwandter und doch war er so voll Haß gegen David, daß er ihn tödten wollte. Konnte David da nicht denken: Mein eigener Schwiegervater verläßt mich, wer weiß, ob Gott mich nicht auch verlassen hat. Daß er sich da wieder zu recht findet, ist nur möglich durch anhaltendes Gebet. Darin hat David auch angehalten und Gott hat ihm zurecht geholfen. - Das Dritte, was er reichlich erfahren hat in großem Maaße, das ist die scheußliche Heuchelei der Menschen. Scheußlich ist es, den Frommen zu verfolgen und zu hassen, aber am scheußlichsten ist die Maulfrömmigkeit, die mit dem Wandel dem Teufel dient. Diese Heuchelei zeigt er an, indem er sagt: Ihr Mund ist glätter denn Butter, und haben doch Krieg im Sinne, ihre Worte sind gelinder denn Oel, und sind doch bloße Schwerter. Was soll man mit den Leuten anfangen, die wie die Katzen sind? Man nimmt ihre Pfote in die Hand, die ist noch weich vom Haar, man zieht sie durch die Hand und da strecken sie die Nägel aus und reißen die ganze Hand auf. Mit den Lippen reden solche Leute lieblich und nichts als Gift ist dahinter. Offenbare Feinde und Bösewichter sind nichts gegen diese Heuchler, die mit glatter Miene Krieg anfangen. Traue einem Menschen nicht der katzenfreundlich aussieht, hinter der Katzenfreundlichkeit stecken die Katzenkrallen. Es gibt eine aufrichtige Freundlichkeit, die von Jesu kommt, und davor will ich nicht warnen; ich warne nur vor der Katzenfreundlichkeit, wohinter die Katzenkrallen stecken. - Nun noch ein Viertes: David scheint um Rache zu beten. Denn er sagt geradezu: Der Tod übereile sie, und müssen lebendig in die Hölle fahren; denn es ist eitel Bosheit unter ihrem Haufen. Aber, Gott, Du wirst sie hinunter stoßen in die tiefe Grube. Die Blutgierigen und Falschen werden ihr Leben nicht zur Hälfte bringen. Darf ich denn beten, daß Gott die Menschen ihre Tage nicht auf die Hälfte bringen läßt, daß Gott die Menschen lebendig in die Hölle hinunterstoßen möge? und das noch dazu mit einer solchen Zuversicht, daß David vorher sagt! Ich will mein Anliegen auf den HErrn werfen! Darf man so beten? Heißt es nicht in der heiligen Schrift: Die Rache ist Mein, Ich will vergelten, spricht der HErr? Röm. 12,19 und: Du sollst deinem Bruder siebenzig Mal sieben Mal vergeben? Matth. 18,22. Dabei vergesset nicht zu bedenken wer David ist, und wer wir sind. David ist ein frommer Mensch und ein Prophet; bin ich auch ein frommer Mensch, so bin ich doch kein Prophet. Was ein Prophet thun darf, das darf darum noch nicht jeder fromme Mensch thun. Darum bete du nie um Rache für deine Feinde. Wenn David aber um Rache betet, da er ein Prophet ist, so hat Gott ihm das eingegeben, und da ist es nicht ein Gebet Davids, sondern ein Urtheil Gottes. Hat Elisa Unrecht gethan, als er die Knaben verfluchte, die seiner spotteten? 2. Kön. 2,23-24. Sein Gott hat es ihm geheißen, denn alsobald kamen die Löwen und zerrissen die Knaben. Als Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern das Wehe zurief, da hat es Ihm Gott befohlen Matth. 23. Wir sollen nicht um Rache schreien, sondern es dem überlassen, der recht richtet. Wir finden in Davids Leben mehrere Geschichten, die es uns zeigen, wie es seinen Feinden ergangen ist. Ahitophel war z. B. ein solcher, der sich an David versündigt hatte durch schändliche Heuchelei und Verrath. Und was that Ahitophel? Er nahm einen Strick und erhängte sich 2. Sam. 17. Sehet, der ist in der Hälfte seiner Tage gestorben und lebendig in die Hölle gefahren. König Saul verfolgte David, aber er hat sich in sein Schwert gestürzt und ist als ein Selbstmörder in der Hälfte seiner Tage gestorben und lebendig in die Hölle gefahren. So sehet ihr, daß ein Mensch, der auf solche Weise sein Leben abkürzt, lebendig in die Hölle fährt und deshalb dasselbe nicht bringt bis auf die Hälfte seiner Tage. David hat so beten müssen durch den heiligen Geist. Laßt euch den Psalm zu Herzen gehen und vergeßt nicht, was er euch lehrt. Amen.

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