Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 48. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 48. Psalm.

Dieser Psalm, ähnlich wie der sechsundvierzigste, handelt von der heiligen, christlichen Kirche, welche dargestellt wird unter dem Vorbilde des irdischen Zion. Das ist nämlich im Alten Testamente ein stehender Gebrauch, daß die christliche Kirche Zion genannt wird. Wenn man zunächst auf das Wort sieht, so muß man denken, es wäre vom irdischen Zion oder Jerusalem die Rede; es ist aber in der That nicht das irdische, sondern das geistliche Zion, die christliche Kirche gemeint. Wenn es z. B. heißt, daß Zion erhalten werden soll ewiglich, wie wir das auch im 48. Psalm finden, so sehet ihr schon daraus, daß das nicht auf das alttestamentliche Zion gehen kann, das ist nicht erhalten, sondern schon vor 1800 Jahren zerstört und nicht wieder aufgebaut worden. Die christliche Kirche besteht nicht bloß, nachdem sie gepflanzt ist vom HErrn, sondern sie soll auch nie aufhören, sie soll bestehen bis in alle Ewigkeit, nur daß aus der streitenden die triumphirende Kirche wird. Zwischen dem alttestamentlichen Zion und der christlichen Kirche ist ein Unterschied, als zwischen Schatten und Körper; der Körper oder das Urbild ist die christliche Kirche, der Schatten oder das Vorbild ist das alttestamentliche Zion. Von dieser Kirche heißt es nun: Groß ist der HErr und hoch berühmt in der Stadt unsers Gottes, auf Seinem heiligen Berge. Der Berg Zion ist wie ein schön Zweiglein, deß sich das ganze Land tröstet; an der Seite gegen Mitternacht liegt die Stadt des großen Königs. Gott ist in ihren Palästen bekannt, daß Er der Schutz sei; und daß deßhalb diese Stadt ewiglich bleiben soll. Was hier also von der Stadt Gottes, von dem heiligen Berge, von Zion gesagt wird, das gilt von der christlichen Kirche; und der Name dessen, der hoch berühmt ist, der darin Seine Wohnung hat und ihr Schutz ist, das ist Jesus Christus, der König der Kirche, die Seine Residenz ist. Daher kommt die Herrlichkeit dieser Kirche, deß getröstet sich das ganze Land, denn der HErr ist in der Kirche, Er hat da Sein Feuer und Heerd und lasset Sein Antlitz leuchten. Du kannst deinen Gott und Heiland nicht außerhalb der Kirche, sondern nur in der Kirche finden. Darum tröstet sich Seiner das ganze Land, denn Alles was trösten kann, haben wir in der Kirche. Was mußt du haben, daß du dich trösten kannst? Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, die brauchst du, alles andere in der Welt kannst du entbehren. Ob du das leibliche Brot nicht hast, das schadet nicht, es ist nicht so schlimm, wenn man Hungers sterben muß; aber das geistliche Brot kannst du nicht entbehren. Daß du krank bist, schadet nicht, kannst Gott mit Krankheit oft mehr dienen, als ohne Schmerzen, ob du täglich mit Schmerzen geplagt wirst, das schadet nicht, denn sie nehmen ein Ende; aber ohne Vergebung der Sünden zu leben, das ist dem Christen unmöglich. Darum tröstet sich das ganze Christenvolk der Kirche; denn was sonst nirgends zu finden ist, das findest du in der Kirche. Willst du Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit bei den Heiden, bei den Juden, bei den Türken suchen, - die haben diese Güter selbst nicht. So kannst du sie nur allein in der Kirche finden und sonst nirgends, denn da werden sie dir mitgetheilt durch Wort und Sakrament. Und weil du da die gewisse Vergebung der Sünden erhältst, so ist sie das schöne Zweiglein des HErrn, der uns in Seine Hände gezeichnet hat. O, wenn das ein Christ recht bedenkt, was er in seiner Kirche hat, dann wird er so fröhlich in seinem Herzen, wie sonst Niemand in der Welt. Er lacht über den Stolz der Reichen, über die Schätze der Könige, über den Staat der Vornehmen; denn alles, worauf sich die Leute was einbilden, wird wie Staub und Asche in die Erde gegraben und vergeht. Der wahre Christ, der ein Kind Gottes ist, hat den rechten Segen und den wahren Reichthum und tauscht mit keinem andern Menschen. Wenn die Weltkinder sich über Schatten und Rauch freuen, das kann dem Christen nur ein mitleidiges Lächeln abgewinnen. Da nun der HErr in der Stadt Gottes, in der Kirche wohnt und Vergebung der Sünden schenkt und mittheilt durch Wort und Sakrament, so ist es gewiß, daß diese Kirche nicht untergehen kann. Alle menschlichen Reiche zerfallen, so groß und mächtig sie auch sein mögen, bloß das Reich Gottes, die Kirche, zerfällt nicht. Wo ist das griechische und römische Kaiserthum? Wo ist das persische und chaldäische und macedonische Königthum? Sie sind alle untergegangen; aber die Kirche Gottes steht noch eben so fest, als vor 1800 Jahren, und ob sie von Stürmen angetastet ist, vernichtet konnte sie nicht werden. Unser Psalm sagt, daß davon selbst die feindlichen Könige Erfahrung gemacht haben. Denn siehe, Könige sind versammelt, und mit einander vorübergezogen. Sie haben sich verwundert, da sie solches sahen, sie haben sich entsetzet und sind gestürzt. Zittern ist sie daselbst angekommen, Angst wie eine Gebärerin. Du zerbrichst Schiffe im Meere durch den Ostwind. Und alle diese Feinde, ob auch noch so mächtig, - die Kirche ist nicht gefallen, sie sind gefallen, die Kirche hat nicht zu ihren Füßen gelegen, sie haben zu den Füßen der Kirche gelegen. Wollte ich euch das aus der Geschichte nachweisen, so müßte ich Wochenlang predigen, um dieses einen Punktes willen; denn in der Regel sind die Könige und Fürsten Feinde der Kirche, theils bewußt, theils unbewußt, nur selten ist einer ihr Freund. Ob sich auch manche als Freunde der Kirche ausgeben, es ist doch nur Schein, sie thun es deßhalb, weil sie einsehen, daß sie ohne die Kirche nicht fertig werden können. Aber, um nur Eins anzuführen, so bedenkt, daß die römischen Kaiser zehn blutige Christenverfolgungen angestellt haben, und sie haben es dabei recht satanisch angefangen, um der Kirche das Garaus zu machen. Sie haben die Kirchen niedergerissen, die Bibeln verbrannt, die Christen verfolgt und besonders die treuen Prediger getödtet, damit das Wort Gottes nicht gepredigt und die Kirche nicht weiter ausgebreitet würde. Und was ist davon die Folge gewesen? Die Kirche blühete unter den Christenverfolgungen immer schöner auf, und die römischen Kaiser wurden von einem Barbarenvolk, unsern deutschen Vorfahren zu Schanden gemacht. Die Kirche blühete, und - das römische Reich ging unter. Ich will euch noch ein Beispiel anführen. Einer der römischen Kaiser war in seiner Jugend getauft und hatte den Namen Julianus bekommen. Nachher gewann er das Heidenthum wieder lieb; denn als Christ mußte er der Heiligung nachjagen, und er mochte doch gar zu gern huren und ehebrechen, saufen und fressen. Darum wurde er nicht nur wieder ein Heide, sondern er ließ auch die Christen nicht in Ruhe, er verfolgte sie und wollte die Kirche ausrotten, aber es half nichts; er gab Verordnungen, daß diejenigen, welche die Götzen anbeteten, geehrt und beschenkt werden sollten, aber es half nichts; er spottete und höhnte über das Christenthum, aber es half nichts; er versammelte eine ganze Menge Schriftsteller, die mußten Spottschriften und Spottgedichte und die gräßlichsten Lügen über die Christen ausbreiten, aber es half nichts. Da dachte er, ich will Christi Wort zu einem Lügenworte machen; denn er hatte gelesen, daß Jerusalem zerstört und nicht wieder aufgebaut werden sollte. Darum gab er Befehl, daß alle Juden in seinem Lande wieder nach Jerusalem ziehen sollten, um die Stadt und den Tempel wieder auszubauen. O das war ein Jubel unter den Juden, denn sie meinten, daß nun die Zeit der Schmach vorüber wäre. Aber als sie sich daran machten, den Schutt weg zu räumen, da fuhren Feuerflammen aus der Erde und verzehrten die Arbeiter. Und ob sie es zehn Mal versuchten, immer geschah ein Gleiches, und konnte auch nicht anders sein, da Jesus gesagt hat: Die Verwüstung soll über Jerusalem bis ans Ende triefen. Julian knirschte mit den Zähnen darüber, daß Jesus doch Recht habe, und als er bald darauf im Kriege, von einem persischen Pfeile getroffen, auf dem Sterbebette lag, da hob er seine Hand auf gen Himmel und sagte: So hast Du dennoch gesiegt, Du Mann von Nazareth! Ja, der Mann von Nazareth wird auch der Sieger bleiben! Und wie Jesus den Sieg behält, so muß auch die Kirche siegen, denn die Wohnungen des Höchsten sind darinnen. Nun fährt der Psalm fort: Wie wir gehört haben, so sehen wir es an der Stadt des HErrn Zebaoth, an der Stadt unsers Gottes; Gott erhält dieselbe ewiglich. Das haben wir gesehen, sagt er, wie es ein Jeglicher sieht, der aufmerksam seine Augen aufthut. Ist nicht die Feindschaft gegen die Kirche allenthalben groß? Und doch muß sie den Sieg behalten, denn wann und wo ist sie schon überwunden? Wenn wir mit unsern Augen sehen wollen, wie Gott durch Seine Gnade die Kirche erhält, so können wir es nur daran sehen, woran die Kirche überhaupt sichtbar ist, nämlich an dem Vorhandensein des reinen Worts und Sakraments. Als Gemeinde der Gläubigen ist sie nicht sichtbar. Sehen wir am reinen Wort und Sakrament, daß die Kirche bleibt, so können wir jubiliren, daß sie noch bei uns ist, denn wir haben noch das reine Wort und Sakrament. Aber damit ist der HErr noch nicht zufrieden, daß die Kirche noch besteht, dann müßte unser HErr Jesus ein schlechter Feldherr und General sein, nein, sondern: Gott, wie Dein Name, so ist auch Dein Ruhm, bis an der Welt Ende, Deine Rechte ist voller Gerechtigkeit.

Die Kirche verharrt nicht bloß in dem Vertheidigungszustande, sondern sie begiebt sich in einen Eroberungskrieg. Warum schicken wir Missionare nach Afrika, Asien, Australien und Amerika? Weil wir nicht damit zufrieden sind, daß die Kirche besteht, sondern sie über die ganze Erde ausbreiten wollen. Wir denken nicht an Uebergabe der Kirche, sondern an Eroberung der ganzen Welt für die Kirche. Sollte einer fragen: Aber habt ihr auch Alles, was ihr dazu gebraucht, daß ihr so muthig seid? so antwortet der Psalm: Macht euch um Zion und umfanget sie, zählet ihre Thürme; leget Fleiß an ihre Mauern und erhöhet ihre Paläste, auf daß man davon verkündige bei den Nachkommen, daß dieser Gott sei unser Gott immer und ewiglich. Er führet uns wie die Jugend. Da ist der erste hohe Thurm das reine Wort Gottes; haben wir das nicht noch? Gewiß, rein können wir es hören in der Predigt, rein können wir es lesen in der Bibel. Der zweite hohe Thurm in unserer Kirche ist die heilige Taufe. Fehlt die etwa? Nein, wir haben sie noch. In der heiligen Taufe zeugt uns der heilige Geist, die Kirche gebiert uns als Kinder Gottes und wir empfangen Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Wir haben noch die reine Taufe mit Teufelsentsagung und Niemand soll sie uns nehmen. Oder da ist der dritte hohe Thurm, das heilige Abendmahl, wo wir Jesu wahren Leib im gesegneten Brote essen und Jesu wahres Blut im gesegneten Wein trinken. Da ist der vierte hohe Thurm, die heilige Absolution, wo Gott den Sünder von seinen Sünden frei, los und ledig spricht. Wir haben Gottes Wort, die heilige Taufe, die heilige Absolution und das heilige Abendmahl, was fehlt uns? Wir zählen unsere Mauern, Paläste und Thürme, sie stehen noch sicher und sollen sicher erhalten werden, so lange der HErr Jesus bei uns bleibt. Wir werden die Kirche nicht der Welt übergeben, sondern sie vertheidigen und ausbreiten, bis Alles zu Jesu Füßen liegt. Amen.

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