Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 39. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 39. Psalm.

Dieser Psalm wird in der Ueberschrift genannt: Ein Gebet, zu erlernen die rechte Sterbekunst und zugleich eine Arzenei wider alles Aergerniß in diesem armen Leben. Man lernt aus diesem Psalm die rechte Sterbekunst und man lernt auch sich trösten wider alle Aergernisse des Lebens. Es ist hier auf Erden nämlich so: So lange die Menschen ungläubig sind, von Christo nichts wissen und sich nicht bekehrt haben, so lange finden sie den Aufenthalt auf Erden, bei aller Unannehmlichkeit doch erträglich und zuweilen sogar recht angenehm. Das ist ja ganz natürlich, denn da jeder Unbekehrte ein Teufelskind ist und die Welt die Herberge des Teufels, so kann man sich leicht vorstellen, wie ein Teufelskind in der Herberge des Teufels sich recht wohl befinden mag. Aber so bald sich der Mensch bekehrt hat und kein Teufelskind mehr ist, sondern ein Gotteskind geworden, ist es für ein Gotteskind unmöglich, es in der Teufelsherberge auszuhalten. Darum ein jeder Tag, den man auf Erden wandelt als Gottes Kind, ist nichts weiter als ein Weg durch Dornen und Disteln, über Schlangen und Otterngezücht, voll Kampf und Streit vom Morgen bis zum Abend. Daß man sich dann ärgert an allen Ecken, den größten Gram und Kummer hat den ganzen Tag, daß man an sich selbst, an andern Menschen und an Allem, was in der Welt ist, Aerger und Kummer findet, ist ganz natürlich, es kann ja nicht anders sein. Und was ist da Trost und Arzenei, was ist das Einzige, das macht, daß man es aushalten kann? Das Einzige, was es einem erträglich macht hier auf Erden, ist der Trost eines baldigen, seligen Abschieds. Wenn ich den Trost nicht hätte, so könnte ich es gar nicht aushalten. Wenn der Jammer in dieser bösen Welt endlich einmal aufhört, so ist es noch zu ertragen; wenn der Kampf und Streit nur einmal ein Ende hat, dann mag er in Gottes Namen noch ein paar Jahre dauern; wenn ich nur endlich einmal heraus komme aus dem Gefängniß, so soll's mir nicht zu viel werden auch noch ein paar Jahre länger darin zu bleiben, denn was sind ein paar Jahre gegen die lange Ewigkeit? So ist der einzige Trost und Arzenei wider alles Aergerniß der: Warte nur noch ein bischen, das arme Erdenleben geht bald hin, dann ist's vorbei und du gehst hinauf zu deinem Heiland in den Himmel, wo keine Welt, Sünde und Schande mehr ist. So auch der Psalm, immer wieder kommt er auf den Trost zurück: Warte nur noch ein Wenig, schweig doch still, es hat bald ein Ende. - Es heißt nun zuerst: Ich habe mir vorgesetzt, ich will mich hüten, daß ich nicht sündige mit meiner Zunge. Ich will meinen Mund zähmen, weil ich muß den Gottlosen so vor mir sehen. Das ist ein großes Aergerniß, allenthalben den Gottlosen vor sich zu sehen; und nicht nur das, sondern ich muß auch sehen, daß es ihm wohl geht, daß er eine große Rolle spielt auf Erden. Die Gottlosen sind's ja gewöhnlich, die die Welt beherrschen, welche Reichthum und den höchsten Stand haben. Und wenn ich sie nun so vor mir sehe als Herren der Welt, und die Frommen als die Unterdrückten, ist es denn zu verwundern, daß meine Zunge immer gereizt wird zu sündigen? daß ich murren will gegen Gott und verfluchen die Gottlosen? Denn es ärgert mich, es kommt mir vor, als ob Gott ungerecht sei, daß Er das duldet. Aber ich will mich hüten, daß ich nicht sündige. Vielmehr soll es so sein: Ich bin verstummt und still, und schweige der Freuden, und muß mein Leid in mich fressen. Ja. nimm dich in Acht, friß dein Leid in dich, fahre nicht heraus mit deinem Munde, murre nicht, zürne nicht, klage nicht, fluche nicht; überlaß das Gott. Du mußt nicht fluchen, nicht strafen, Gott muß fluchen und strafen, du verstummen. Ja, sagst du, das wollte ich wohl thun, aber es ist entsetzlich schwer, denn: Mein Herz ist entbrannt in meinem Leibe, und wenn ich daran gedenke, werde ich entzündet; ich rede mit meiner Zunge. Du hast Recht; doch das einzig richtige Mittel ist das Stillsein, aber es ist auch verzweifelt schwer, wenn es so im Herzen brennt, dann sich zu beherrschen, das Herz zu stillen und die Zunge zu zügeln. Am liebsten will man, wenn es so im Herzen wogt und brennt heraus brechen; und ist man erst aus dem Schweigen heraus, so kommt ein sündiges Wort nach dem andern, daß man sich hernach aufs Tiefste schämen muß und mit Thränen bekennen, daß man gegen Gott und Menschen gesündigt hat. Darum: Wie kommt man denn nun allein dahin, daß man Seele, Mund und das entbrannte Herz stillen kann? was ist das einzige Mittel hiergegen? Das ist es, was David sagt: Aber, HErr, lehre doch mich, daß es ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei Dir, und mein Leben ist wie nichts vor Dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Mein noch so sehr entbranntes Herz kann ich stillen mit diesem Worte, das ist der Trost, daß ich sterben muß. Was will ich mich doch ereifern über die paar Augenblicke, die ich noch zu leben habe? Es ist ja doch bald aus, dann gehe ich zu meinem Heiland und komme in die ewige Ruhe, darum halte ich noch gern die paar Jahre aus. Meine Tage sind einer Hand breit vor Dir, mein Leben ist wie ein Handumdrehen, mein Abschied steht bald bevor: Heute lebe ich noch, morgen bin ich vielleicht todt. Darum verstumme und schweige, sei still mein Herz und trage ruhig Alles, was dir dein Gott auflegt, nach ein paar Jahren ist Alles vorbei und dann hast du Trost über Trost. Das ist es, womit wir unser Herz trösten können, Satan, Welt und Sünde gegenüber. Natürlich aber kann sich nur derjenige deß getrösten, der sich seines seligen Heimganges gewiß ist, der weiß, daß sein Sterben nicht bloß ein Hingehen, sondern ein Heimgehen ist in den Himmel, ein Heimgehen in das Vaterhaus. Daß ich heimgehe, in dieses Wort fliehe ich hinein wie in einen sichern Hafen. Aber der ist übel daran, der es in der Welt nicht recht aushalten kann und doch seines seligen Heimganges nicht gewiß ist; ein solcher schwebt zwischen Himmel und Erde und hat gar keinen gewissen Trost. Was haben denn die Gottlosen für einen Trost in ihrem Weltleben? Der Fromme weiß doch, daß das Ende gut ist; die Gottlosen aber gehen dahin wie ein Schemen, und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird. Die Furcht läßt ihnen keine Ruhe noch Rast, sie können nicht einmal in der Nacht ruhn, sondern in der Nacht, die Gott doch zur Ruhe gegeben hat, gehen Einige auf die Straße, Andere hörst du bölken, noch Andere herumkutschieren. Das ist das Leben der Gottlosen: Viel Unruhe treibt sie hin und her. Und was haben sie von dieser vergeblichen Unruhe? Nichts, gar nichts, denn was sie mit dieser vergeblichen Unruhe erjagen, davon können sie nichts mit in den Himmel nehmen. Es ist Unruhe um nichts, verschwendete Zeit. Was hat der Schwierbruder von seiner durchschwierten Nacht? Was hat der Kartenspieler von seiner durchspielten Nacht? Was hat der Tänzer von seiner durchtanzten Nacht? Nichts, als höchstens ein böses Gewissen und ein paar sündige, im Kartenspiel erworbene Groschen, dafür aber desto mehr verschwendete, vergeudete Groschen, die er dem Teufel in den Hals wirft und die er seiner Frau und seinen Kindern nimmt, und dann die Rechenschaft am jüngsten Tage. Oder was hat der Kaufmann von seinem Schachern, der Bauer von seinem Pflügen und Säen, der nur daran und nicht an den Himmel denkt? Höchstens ein bischen Geld auf der Welt; hat er aber weiter nichts, so hat er sich vergebliche Unruhe gemacht. Er sammelt und weiß nicht einmal, wer es kriegen wird. Zwar steht da der stolze Erbe, der es haben soll, aber morgen streckt der HErr ihn nieder; da steht ihr stolzes Haus, morgen ist es zu Asche verbrannt. Die Gottlosen haben wahrhaftig keinen Frieden, sie gehen dahin wie ein Schatten. Da will ich doch lieber fröhlich Alles dulden und mich getrösten des seligen Abschieds, was die Gottlosen nicht können. Woher kommt es aber, daß der Christ sich deß getrösten kann? Daher, daß er Vergebung der Sünden hat. Darum heißt es weiter: Nun, HErr, weß soll ich mich trösten? Ich hoffe auf Dich. Errette mich von aller meiner Sünde, und laß mich nicht den Narren ein Spott werden. Wenn ich mit der sehnlichen Bitte zu meinem Gott komme: Vergieb mir meine Sünde, so muß Er sie mir vergeben, denn Er hat's versprochen und noch nie Sein Wort gebrochen. Habe ich aber auf Seine gewisse Zusage durch Wort und Sakrament Vergebung der Sünden, so bin ich deß gewiß und froh, daß ich einen seligen Heimgang habe. Damit wendet Er denn auch ab alle meine Plage. Denn wenn meine Sünde vergeben ist, so ist mir Alles abgenommen, was mich drückt und quält, es giebt gar kein Uebel mehr für mich, weil mir damit der ganze Himmel geschenkt ist. Nun heißt es: Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Alle Plage nimmt Er von mir und ich brauche mich nicht mehr zu plagen. Die Plagen dieser Erde sind furchtbar, sie sind sonst unerträglich schwere Lasten, die einen drücken, wenn man nicht an die Ewigkeit denkt, die ihnen ein Ende macht; sie werden aber zu Flaumfedern und Stäublein, die man abbläst, sobald man sich des seligen Heimganges gewiß ist. Darum: Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, Du wirst es wohl machen. Dann wird mir auch das Schweigen nicht mehr schwer; wenn Er alle Last abgenommen hat, was soll denn noch das Sprechen darüber? Wenn man sich ganz dem HErrn hingiebt, so ist es ein besonders großer Trost, sich den Gegensatz klar zu machen, den David im 13. Verse ausspricht: Höre mein Gebet, HErr, und vernimm mein Schreien, und schweige nicht über meine Thränen; denn ich bin beides, Dein Pilgrimm und Dein Bürger, wie alle meine Väter. Ich bin beides, Dein Pilgrimm und Dein Bürger, das scheint doch nicht mit einander zu stimmen; ein Pilger ist doch etwas anders als ein Bürger? Aber dennoch ist es wahr: Hier bin ich ein Pilger, dort ein Bürger. So wie ich mir das fest in s Herz präge, habe ich nichts zu klagen und keine Ursache zu murren. Was bin ich hier? Ein Pilger; der hat aber gar kein Recht und muß zufrieden sein damit, wie die Leute ihn behandeln. Kommt er in ein Haus und die Leute nehmen ihn auf, so ist's gut; nehmen sie ihn nicht auf, so geht er weiter. Er muß still schweigen und sich's gefallen lassen; die Leute sind die Herren, ihnen gehören die Häuser, er hat gar kein Recht mehr zu verlangen. Aber dort bin ich ein Bürger, was frage ich dann noch nach der Pilgerschaft? Es dauert noch ein viertel, ein halbes Jahr, vielleicht auch noch ein paar Jahre, dann ziehe ich die Pilgrimmsschuhe aus und bin Gottes Bürger und Hausgenosse und werde ewiglich getröstet bei meinem Gott. So wundert mich hier keine Plage und Unbill mehr, hier ist alles recht, was mir geschieht. Ob ich Hunger habe oder schlaflose Nächte, ob sie die Hunde hinter mich hetzen, oder ob der Satan hinter mich kommt, ich bin ja ein Pilger. Aber warte, bald sollst du die Pilgrimmsschuhe ausziehen und dein Wanderkleid ablegen, dann ist deine Wallfahrt beendet und du ziehst ein als Bürger der Stadt Jerusalem in die neue Heimath. Da ist denn der selige Ort, wo mich kein Leid und kein Geschrei, keine Trübsal und keine Qual mehr treffen soll. Und warum? Weil da keine Sünde mehr ist. Da bleibe ich denn ewig und werde ewiglich getröstet. Amen.

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