Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 31. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 31. Psalm.

Vers 1-14.

Dieser Psalm fließt aus der Tiefe einer angefochtenen Seele, und darum kann auch nur eine angefochtene Seele denselben verstehn und von Herzen beten. Diejenigen, welchen die Anfechtungen nicht bekannt sind, verstehn den Psalm nicht und können ihn nicht verstehn, denn Anfechtungen lernt man nicht kennen durch Hörensagen, sondern nur durch eigene Erfahrung. Hüte sich also ein Jeder, der irgend etwas im Psalm übertrieben findet, dies auszusprechen. Du kennst die Anfechtung gar nicht, der du also denkst; hättest du erfahren, was Anfechtungen sind, so würdest du auch wissen, daß David die Sache nicht ein Wort zu tief und nicht ein Wort zu hoch geschildert hat. Eben so wenig wie der Blinde von der Farbe und der Taube von den Tönen versteht, eben so wenig versteht der von diesem Psalm, der die Anfechtungen nicht aus Erfahrung kennt. Verstehst du diesen Psalm nicht, weil du ihn noch nicht erfahren hast, so falle nicht gleich darüber und sag? Das ist übertrieben. Du bist doch noch nicht alle Welt, es giebt noch wohl andere Menschen, die ihn verstehn. Das ist eben der Hochmuth der Menschen, wenn sie etwas nicht verstehn, dann soll es überhaupt unverständlich sein. Statt zu sagen: Ich verstehe es nicht, so weit bin ich noch nicht gekommen im Christenthum, statt Gott zu bitten, daß Er sie mit solch schrecklichen Zuständen verschone, werfen sie sich gleich als Meister und Richter auf. - Wir wollen nun die erste Hälfte dieses Psalms heute durchnehmen. David bittet: HErr, auf Dich traue ich, laß mich nimmermehr zu Schanden werden; errette mich durch Deine Gerechtigkeit. Neige Deine Ohren zu mir, eilends hilf mir. Sei mir ein starker Fels und eine Burg, daß Du mir helfest. Denn Du bist mein Fels und meine Burg, und um Deines Namens willen wollst Du mich leiten und führen. Du wollst mich aus dem Netz ziehen, das sie mir gestellt haben, denn Du bist meine Stärke. Da sagt David zu Anfang des ersten Verses ein großes Wort, welches die Leute wohl viel, aber selten mit Wahrheit nachsprechen, er sagt: HErr, ich traue auf Dich. Auf Gott trauen, sich ganz unbedingt auf Ihn verlassen, das ist leicht gesagt, aber nur der, der vom Glauben ganz und gar durchdrungen ist, nur der vertraut auf Gott. Luther sagt einmal: Es geht den Leuten mit ihrem Vertrauen auf Gott wie jenem Manne, der fest glaubte, daß er am andern Morgen Brot haben würde. Warum glaubte er das so fest? Weil seine Speicher voll Korn waren. Ja, dann haben die Leute ein grenzenloses Vertrauen, wenn das der Fall ist. Aber wenn Boden und Keller, Küche und Schrank leer sind, dann heißt es bei den Meisten nicht mehr: HErr, ich traue auf Dich, sondern: Wo sollen wir Brot hernehmen in der Wüste? Dann geht das Weinen, Klagen, Jammern und Betteln bei den Menschen an, denn alles Vertrauen zu Gott ist nun weg. Errette mich durch Deine Gerechtigkeit, so betet der, der Vertrauen hat, der es gewiß weiß: Gott kann mich nicht verlassen. Warum kann Er das nicht? warum darf Er das nicht? Weil Er Sein Wort gegeben hat, darum kann und darf Er das nicht. Ich könnte sonst anfangen mit Gott zu rechten, und sagen: Warum hast Du es versprochen und hältst es nicht? Bist Du ein Mensch, daß Du lügest, oder ein Menschenkind, daß Dir etwas gereue? So wahrhaftig wie Gottes Wort ist, so wahrhaftig ist auch Seine Hülfe dem, der auf Ihn trauet. Ja wenn mir die Noth über den Kopf gehen will, wenn es mir zu lange währt, bis die Hülfe kommt, und ich meine, daß ich es nicht mehr aushalten kann, so kann ich getrost zu Gott sagen: Neige Deine Ohren zu mir, eilend hilf mir, es ist hohe Zeit, daß Du hilfst. So muß mein Gott nicht bloß helfen, sondern Er muß bald helfen, denn Er hat es versprochen, daß die Versuchung ein solches Ende gewinnen soll, daß ich's ertragen kann, 1 Corinth. 10,13. Es heißt weiter: Sei mir ein starker Fels, und eine Burg, daß Du mir hilfst. Denn Du bist mein Fels und meine Burg, und um Deines Namens willen wollst Du mich leiten und führen. Was im dritten und vierten Verse gesagt wird, scheint, als ob es ein und dasselbe sei; aber es scheint nur so, denn es findet doch ein Unterschied Statt. David will sagen: Du bist bis jetzt mein Fels und meine Burg gewesen, ich habe auf Dich getraut, und Du hast mir geholfen; und eben deßhalb, weil Du mein Fels und meine Burg bist, darum sei es nun auch von Neuem, zeige es mir und der ganzen Welt und erweise Dich als Helfer, daß ich nicht vergebens auf Dich warte. Er giebt sich getrost Gott hin, der wird ihn in Sicherheit bringen; nun hat es mit der Noth nichts zu sagen. Du wirst meine Füße erretten aus dem Netz. Was ist das für ein Netz? Es ist das Netz, das Satan den Menschen legt, um sie zu fangen. Er legt allenthalben Netze, um die Füße der Gläubigen zu bestricken, und wehe dem Gläubigen, wenn es ihm gelingt. Er ist ein furchtbarer Vogelsteller, darum nimm dich in Acht, hat er dich gefangen, so kommt er und dreht dir den Hals um! deshalb lehrt uns die Schrift so eindringlich, daß wir vorsichtig wandeln sollen. Laßt uns treu den HErrn bitten, daß Er uns vor dem Netze des Teufels bewahren wolle. Ich will dir z. B. ein paar solcher Fallstricke nennen, damit du dich in Acht nehmen kannst. Ein solcher Fallstrick ist der Zweifel. Wehe dem Menschen, der sich darin fangen läßt. Hast du dich damit erst berücken lassen, so bist du keinen Augenblick sicher, daß dir der Hals nicht umgedreht wird. Satan sagte einst schon zu Eva im Paradiese: Sollte Gott das wirklich gesagt haben? Und das ist noch sein bester Köder, den er auswirft, um die Menschenkinder zu fangen, denn er weiß, auf diese Weise gelingt es ihm am besten. Da heißt es denn: Sollte ich auch wohl wirklich Vergebung der Sünden haben? Die Bibel antwortet: Ja, dir hat Gott die Sünden vergeben. Nein, sagst du, das gilt mir nicht, das gilt andern Leuten, ich bin zu schlecht, meine Sünden sind zu blutroth. Aber hat denn Gott nicht zu dir gesagt: Ob deine Sünden blutroth sind, so sollen sie schneeweiß werden? Ja, sagst du wieder, meiner Sünden sind zu viel. Aber hat Gott nicht zu dir gesagt: Ob deine Sünden wären wie Haare auf dem Haupte und wie Sandes am Meere, so tilge Ich sie alle, es soll ihrer nicht gedacht werden um Meinetwillen? Doch du bleibst dabei: Meine Sünden sind zu groß und zu viel. Das ist der Hochmuth der Selbstgerechtigkeit. Die Menschen wollen einmal einen Vorzug haben, und haben sie keinen andern, so wollen sie wenigstens die Sünder sein, denen Gott nicht vergeben könne, bei denen Er nicht thun könne, was Er bei andern vermag. Wenn der Christ in solch' starken Anfechtungen steckt, dann sehnt er sich nach nichts mehr, als abzuscheiden von dieser bösen Welt, um die Last los zu werden; denn er hat eine Last zu tragen, die mit Nichts zu vergleichen ist. Man sagt oft von solchen Leuten, die damit befallen sind, sie seien verrückt, sie. hätten ihren Verstand nicht. Das kommt daher, man weiß nicht, was sie aushalten müssen. Nichts ist da erwünschter, als das Sterben. Darum heißt es weiter: In Deine Hände befehle ich meinen Geist; Du hast mich erlöset, HErr, Du getreuer Gott. Das ist ein berühmtes und tröstliches Wort. Mit dem ersten Theil desselben ist der HErr Jesus am Kreuze gestorben; den zweiten Theil konnte Er nicht beten, denn Er war selbst der Erlöser, brauchte also nicht erlöst zu werden. Ich will euch aber Einen anführen, der diesen ganzen Spruch dreimal vor seinem Ende gebetet hat und dann selig eingeschlafen ist in dem HErrn, seinem Gott. Das ist unser lieber Vater Luther gewesen in seiner letzten Krankheit zu Eisleben, wo er auch geboren war. Da litt er außer seiner leiblichen Krankheit an großer Angst, und diese Angst machte den Riesengeist so schwach, daß er es im Bette nicht aushalten konnte, sondern in die Stube gehen mußte. Zu drei Malen geschah dieses, und jedesmal, wenn er wieder in die Kammer trat, um sich aufs Bett zu legen, betete er: In Deine Hände befehle ich meinen Geist u.s.w. Als er zum dritten Mal so gebetet hatte, da wurde er still wie ein Kind. Man betete ihm die drei Glaubensartikel vor und fragte ihn, ob er auf diesen Glauben, den er gepredigt habe, einschlafen wolle? Da sagte er: „Ja“! legte sich auf die Seite und schlief sanft und selig ein. Man kann auch sanft und selig darauf einschlafen, denn man ist ja erlöst und hat Vergebung der Sünden, und wer Vergebung der Sünden hat, der muß selig werden. In solchen Anfechtungen ist es nun von besonderer Wichtigkeit, daß man unerschütterlich fest hält an Gottes Wort, ich möchte sagen, krampfhaft muß man es fest halten und sich durch Niemand davon abbringen lassen. Darum sagt David weiter: Ich hasse, die da halten auf lose Lehre, ich hoffe aber auf den HErrn. Um Gottes willen bleibe weg wo falsche Lehre ist, laß sie dir nicht ins Herz blasen, weder vom Teufel noch von falschen Predigern. Sag' zu dem Teufel, wenn er kommt: Hebe dich weg von mir, Satan! Sag' zu den falschen Predigern: Unser HErr Jesus hat gesagt, die falschen Lehrer sind auswendig in Schafskleidern gekleidet, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. Und wenn Du so hassest die falsche Lehre und bleibst bei der reinen, dann wird es dir durch Gottes Gnade gelingen und du wirst sagen können: Ich freue mich und bin fröhlich über Deiner Güte, daß Du mein Elend ansiehst und erkennst meine Seele in der Noth. Wer bei Gottes Wort bleibt, soll das Wort erfahren: Es muß das Licht immer wieder aufgehen dem Gerechten und Freude dem frommen Herzen. Der HErr wird dir durch Sein Wort helfen, so gewiß und wahrhaftig Er Gott ist, und du mußt in allen Anfechtungen den Sieg gewinnen. Diese selige Freude, daß der HErr hilft, führt dahin, daß man sagen kann: Du stellst meinen Fuß auf weiten Raum. Ja, man kann jubiliren: Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns Röm. 8, 33-34. Auf weitem Raume werden meine Füße gestellt, daß ich sagen kann: Der Feind hat das Schlachtfeld geräumt, der Sieg gehört mir! Das ist freilich nicht zuzuschreiben unserm Muth und unserm Kämpfen, sondern wir haben ja gebetet: HErr, sei mir gnädig. Unsere Arbeit hat nur darin bestanden, daß wir uns angeklammert haben an die Gnade des HErrn. Wer sich mit beiden Händen anklammert an die Gnade des HErrn, und die eigene Gerechtigkeit wegwirft, dem wird es gelingen, und von solchen sagt der HErr: Wer will Meine Auserwählten, wer will Meinen Augapfel antasten? Aber, meine Lieben, leicht ist's nicht, in diesem Kampfe den Sieg zu gewinnen und sich fest zu halten an des HErrn Hand. Ich sage euch, es gehen dabei so die Kräfte weg, daß man sagen muß mit dem Psalm: HErr, sei mir gnädig, denn mir ist angst, meine Gestalt ist verfallen vor Trauern, dazu meine Seele und mein Bauch. Da kann es so weit kommen, daß der Mensch nur noch aussieht als ein wandelndes Gerippe. Man pflegt zu sagen: Des Menschen Noth kann nicht groß sein, denn er hat noch Fleisch. Ist aber das Fleisch verschwunden, scheinen allenthalben die Knochen durch, dann heißt es: Der muß große Noch haben. Im Geistlichen ist es ebenso, der Leib leidet mit unter der Both der Seele. Paulus sagt, daß der äußerliche Mensch dabei verweset. Aber das schadet nicht, wenn nur der innere Mensch wächst. Man braucht die meisten Leute nur anzusehn, dann kann man schon merken, daß sie von Anfechtungen noch nicht viel erfahren haben, denn sie haben das dicke Fleisch noch nicht verloren. Nun heißt es weiter: Mein Leben hat abgenommen vor Betrübniß, und meine Zeit vor Seufzen; meine Kraft ist verfallen vor meiner Missethat, und meine Gebeine sind verschmachtet. Das ist schlimme Zeit, man hat zu keiner Arbeit Lust. Ein regelmäßiges Zeichen bei den Angefochtenen ist, daß sie weder zu einer leiblichen, noch zu einer geistlichen Beschäftigung Lust haben. Was thun sie denn den ganzen Tag? Sie grübeln; und des Nachts machen sie es ebenso. Mit diesem Grübeln wird es immer schlimmer, so daß sie zuletzt einen Strick nehmen möchten, um sich aufzuhängen. Darum muß man nächst Gottes Wort solchen Leuten die Arbeit anempfehlen, damit sie beschäftigt werden. In allen Stücken ist Müßiggang des Teufels Ruhebank, aber am meisten tritt das in den Zeiten der Anfechtung hervor. Man muß solche Leute, wenn auch mit Gewalt, zur Arbeit zwingen. O dieses scheußliche Nichtsthun, die Hände nicht gebrauchen mögen! Das hat Vielen schon den ewigen Tod gebracht. Wenn Jemand in der Anfechtung steckt, was ist davon weiter die Folge? David sagt es uns, und merkt euch, dies zehrt gleichsam die letzte Kraft auf: Es geht mir so übel, daß ich bin eine große Schmach geworden meinen Nachbarn, und eine Scheu meinen Verwandten; die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir. Meiner ist vergessen im Herzen, wie eines Todten; ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß. Denn Viele schelten mich übel, daß Jedermann sich vor mir scheut; sie rathschlagen mit einander über mich und denken, mir das Leben zu nehmen. Da ist der verrückte Mensch, mit seinen geistlichen Anfechtungen, so wird über den Angefochtenen gespottet. Die Bekannten ziehen sich zurück, die Verwandten lachen, die Kinder auf der Straße zeigen mit Fingern darnach. So muß ein solcher Mensch bei seinen Anfechtungen noch oben drein das Fegopfer aller Leute sein. Seht, meine Lieben, das ist die schwerste und schrecklichste Noth, die noch zu den Anfechtungen hinzu kommt. Und da bitte ich euch, seht ihr eine angefochtene Seele, spottet, lacht, höhnt nicht über sie, ihr wißt nicht, wie groß die Noth ist, es möchte euch einst schwer auf die Seele fallen und vielleicht noch viel schlimmer gehn. Es ist dieses die größte Noth, keine Krankheit, keine Armuth ist so schwer als diese Noth. Bittet darum, daß Gott einer solchen Seele den Sieg gebe und sie nicht in des Satans Hände umkomme. Gott wird's euch in eurer letzten Stunde vergelten, daß ihr nicht über sie gespottet, sondern für sie gebetet habt. Amen.

Vers 15-25.

Wir haben in der ersten Hälfte dieses Psalms von demjenigen gehört, was der Fromme auf dieser Erde zu dulden hat, wenn er in rechten Glauben wandelt und diesen Glauben durch die That beweiset. Es ist uns gesagt worden, daß ein solcher wenig gute Tage habe auf Erden, daß seine Freunde, Verwandte und Bekannte ihm den Rücken kehren und die Kinder auf der Straße mit dem Finger auf ihn zeigen; ja, daß die Leute mit solchem Haß gegen ihn erfüllt sind, daß sie es auf nichts Geringeres abgesehen haben, als ihn zu tödten. Alle Gottlosen hassen den Frommen; und sagt er auch kein Wort vom Christenthum, sein bloßes Dasein ist ihnen ein Stein des Anstoßes und ein Fels der Aergerniß. Betet er, geht er zur Kirche, handelt er redlich, dient er dem HErrn, so verdammt er damit die nicht beten, die nicht zur Kirche gehn, die nicht redlich handeln und dem HErrn nicht dienen. Man weiß es ja auch aus der täglichen Erfahrung, man sieht es im täglichen Leben, da kann eine ganze Bande gottloser Menschen an einem Tisch sitzen, die gerade mit Essen und Trinken beschäftigt sind; nun kommt ein Frommer ins Zimmer, gleich fangen sie an zu fluchen, gemeine Reden zu führen, zu sticheln und zu stacheln. Das ist der tödtliche Haß gegen die Frommen. Wie ist es denn nun bei diesem Haß der Welt, bei dieser Feindschaft von den eigenen Verwandten, wie verhält sich da der Fromme? Das ist es, was wir im zweiten Theil des Psalms zu betrachten haben. Da heißt es: Ich aber hoffe auf Dich und spreche: Du bist mein Gott. Das kümmert den Frommen ganz und gar nicht, ob er allein dasteht, ob seine Hausgenossen ihn verlassen, ob Vater und Mutter sich von ihm wenden, er spricht: Ich aber hoffe auf Dich, der Du mein Gott bist. Er geht ganz einfältig als ein Kind zu seinem Gott und sagt: Du, HErr, weißt, daß mir das Alles um Deinetwillen widerfährt, daß ich nicht lieblos gewesen bin gegen sie; es ist nur der Haß gegen Dich und Dein Wort. Die Gottlosen sind Kinder des Teufels, die Frommen sind Kinder Gottes; und wie der Teufel Gott haßt, so hassen die Teufelskinder die Kinder Gottes. Kann man recht im vollen Vertrauen sprechen: Ich aber, HErr, hoffe auf Dich, der Du mein Gott bist, so ist jede Angst und Furcht vorbei, und unter dem Gebrüll der Feinde kann man so ruhig sein, daß einem nichts betrübt. Leset in der Bibel nach Apostelgesch. 7, was da von den Juden gesagt wird, als sie Stephanus steinigen wollten: Sie knirschten mit den Zähnen, und - Stephani Angesicht leuchtete als eines Engels Angesicht. Warum denn so ruhig und still, wenn man sagen kann: Du bist mein Gott? Darum: Meine Zeit steht in Deiner Hand. Meint ihr denn, daß die Gottlosen über meine Zeit zu verfügen haben und über meinen Tod zu bestimmen? Dazu gehört noch ein Anderer. Meine Tage stehen in Seiner Hand, und über meine Jahre hat Er zu verfügen. Die Gottlosen können nichts thun, als was Gott zuläßt, und was Er nicht zuläßt, sollen sie wohl bleiben lassen. Und ob ihrer Hunderttausend wären, ich schreie: Errette mich von der Hand meiner Feinde, und verdamme, die mich verfolgen. So lange mein Gott nicht Ja sagt, kann kein Gottloser mich tödten. Darum, so lange ich leben soll auf Erden, und des HErrn Werk treiben, wird Er mich erretten von allen meinen Feinden. Darum können die Drohungen und Wuthausbrüche der Gottlosen den Frommen nur ein Lächeln abgewinnen. David betet weiter: Laß leuchten Dein Antlitz über Deinen Knecht; hilf mir durch Deine Güte. Das ist es, was David begehrt, das muß aber auch geschehn, sonst kann er den Sieg nicht gewinnen. Was heißt das? Das heißt: Laß mir Dein Wort leuchten. Denn Gottes Angesicht kann ich auf Erden nicht anders sehen, als in Seinem Worte, Mit meinen leiblichen Augen sehe ich Gott nicht, die sind viel zu blöde dazu; aber mit meinen Glaubensaugen kann ich Ihn sehen und das geschieht in Seinem Worte. Dasselbe sagt David in einer andern Stelle: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Wegen Ps. 119,105. Ein jeder Christ kann das erfahren. Will ich Gott kennen lernen, es muß aus Seinem Worte geschehen, und zwar aus dem gelesenen und gepredigten. Gott offenbart sich auf dieser sündigen Erde nur durch Wort und Sakrament; willst du Ihn anderswo sehen, du siehst Ihn nimmer. Siehe, das ist der Grund, warum David z. B. bei allen seinen Verfolgungen, wenn er in der Wüste umhergejagt wurde als ein Reh, immer nur die eine Klage im Munde hatte: HErr, HErr, wann werde ich dahin kommen, Dein Antlitz zu sehen. Das ist sein Jammer, er kann nicht in die Kirche, er kann nicht in den Tempel kommen. HErr, wann werde ich wieder wallen mit dem Haufen derer, die da feiern, und Deine schönen Gottesdienste sehen? so fragt er. Das bittet er auch in unserm Psalm, mehr verlangt er nicht, als daß Gott ihm Sein Antlitz leuchten lasse. Ferner: Laß mich nicht zu Schanden werden, wenn ich rufe zu Dir. Die Gottlosen müssen zu Schanden und geschweiget werden in der Hölle. Verstummen müssen falsche Mäuler, die da reden wider den Gerechten steif, stolz und höhnisch. Hier zeigt David, wer in diesem Kampfe, der den Frommen bereitet ist, den Sieg erhält. Es kann der Fromme nicht zweifeln an dem Siege, den ihm Gott geben wird. Muß ich nicht siegen, wenn Gott bei mir ist? muß nicht der Gottlose unterliegen, weil der Teufel bei ihm ist? Was ist des Teufels Macht gegen Gottes Allmacht? Was ist des Teufels List gegen Gottes Weisheit? David weis't hin auf den endlichen Sieg, der den Frommen werden muß. Hier scheint es oft, als ob der Fromme unterliegt und nicht siegt, hier scheint es oft, als ob der Gottlose siegt und nicht unterliegt; aber es scheint nur so. Wenn man Stephani Steinigung betrachtet, sieht es da nicht aus, als ob die Gottlosen siegen und Stephanus unterliegt? Wenn du siehst, wie Jesus stirbt am Kreuze, hat es da nicht den Anschein, als ob der Teufel siegt und Jesus unterliegt? So sieht es oft aus, aber der HErr läßt die Seinen nicht zu Schanden werden. Als Stephanus stirbt, sieht er den Himmel offen und Jesum stehen zur Rechten des Vaters, der beide Arme ausbreitet, um ihn zu empfangen. Da ist doch Stephanus der Sieger. Jesus hängt am Kreuze, Er stirbt, wird in's Grab gelegt; haben da die Juden gesiegt? Ja, so sieht es aus. Aber am dritten Tage steht Er auf aus dem Grabe und schwingt Seine Siegesfahne, dann, vierzig Tage später, setzt Er sich auf den Thron der Herrlichkeit und alle Seine Feinde werden zum Schemel Seiner Füße gelegt. Laß den jüngsten Tag einmal kommen, wo die Frommen auferstehen mit herrlichen Leibern und die Gottlosen mit gräulichen Leibern, dann wird es vollkommen erfüllt: Die Gottlosen müssen zu Schanden werden, sie müssen zum Schweigen gebracht und in die Hölle geworfen werden. Dann ist es vorbei mit den stolzen Reden der Gottlosen, wenn sie hinab gestürzt werden in den Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel ewiglich brennt; da ist kein Spott mehr über die Frommen, kein Hohn über den HErrn Jesum, sondern Anklage ihrer selbst und ihrer gottlosen Mitmenschen. Da sollen sie geschweiget, d. h. zum Schweigen gebracht werden, sie können nichts mehr gegen die Frommen hervorbringen, denn die gehen ein in die ewige Seligkeit, in die Wohnungen, die der HErr Jesus ihnen bereitet hat. Nachdem David das gezeigt hat, sagt er weiter: HErr, zeige mir Deine Güte, die Du verborgen hast denen, die Dich fürchten, und erzeigest denen, die vor den Leuten auf Dich trauen. Ein merkwürdiger Spruch, man weiß zuerst nicht, was man dazu sagen soll. Der HErr soll die Güte zeigen, die Er verborgen hat, und die Er doch erzeigt denen, die vor den Menschen auf Ihn trauen.

Das ist einerlei und leichtverständlich: Die Gottesfürchtigen und die vor den Leuten auf Ihn trauen. Aber das ist es, was uns wunderlich vorkommen muß, daß es zuerst heißt: Gott hat Seine Güte verborgen, und dann: Gott erzeigt sie denen, die auf Ihn trauen. Da merkt euch nun, wenn wir in der Noth und Trübsal sind, und Keinen haben, auf den wir uns verlassen können, und darum unser Herz im Gebet vor Gott ausschütten, dann verbirgt Gott oft Seine Hülfe. Wir schreien Tag und Nacht, und Gott hilft nicht, wir sehen nur, daß Gott sich hart gegen uns hält und unser Rufen nicht zu hören scheint. So verbirgt Gott oft Tage-, Wochen-, Monate-, ja Jahrelang Sein Angesicht und wir merken nichts von Seiner Hülfe. Vater Luther erzählt in seinen Schriften, daß er einmal, nachdem er die Gnade des HErrn, die Freude der Kinder Gottes lange geschmeckt habe, eine Zeit der Dürre habe erfahren müssen, und die hätte lange Zeit angehalten. Nichts habe er geschmeckt und gefühlt von der Liebe Gottes, aber im Glauben habe er sich halten können an das Wort Gottes. Das ist sein Trost gewesen: Ob ich's schmecken und fühlen kann, daß Gott gnädig ist oder nicht, das ist mir einerlei und es genügt mir, daß Gottes Wort es sagt. Wollte ihm Gottes Wort schwankend werden, dann eilte er zur Beichte und zum Abendmahl, und oft ist er Sonnabend für Sonnabend in den Beichtstuhl und Sonntag für Sonntag an den Abendmahlstisch geeilt, um sich durch die Kraft der Absolution und des Sakraments am Worte und an der Gnade halten zu können. Andere Menschen würden das nicht ertragen können, und ich wüßte auch nicht, wie ich lange Zeit leben sollte, ohne Gottes Gnade zu schmecken. Aber solch einen großen Mann, wie Vater Luther, dem Alles gelang, dem Gottes Engel zur Seite standen und halfen, mußten auch Satans Engel mit Fäusten schlagen. Er hat fest gehalten am Worte Gottes, und als er das treu that, da ging die Zeit der Versuchung bald vorüber, und der HErr ließ ihm wieder Sein Antlitz leuchten. Wenn David zu Gott schreiet in seiner Noch, und Gott läßt ihn auch eine Zeitlang zappeln, das schadet ihm nicht, er wird fester dadurch im Glauben; und sieht das Gott, dann läßt Er ihm auch hernach um so heller Sein Antlitz leuchten. So ist dieser Vers zu verstehn. Was der HErr dem David eine Zeitlang verborgen hat, das zeigt Er ihm hernach um so herrlicher. Darum haltet an am Gebet. Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber ist euch noch, auf daß ihr den Willen Gottes thut, und die Verheißung empfanget Ebr. 10,35-36. Wenn es eben hieß: Du verbirgst wohl Deine Güte, aber Du zeigst sie auch den Gottesfürchtigen wieder, so zeigt David nun, wie das der liebe Gott macht, und da hat Er Seine eigene Weise: Du verbirgst sie heimlich bei Dir vor Jedermanns Trotz; Du verdeckst sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen. Wie macht Er denn das? Ja, ihr denkt euch da wohl allerlei Wunderdinge, ihr denkt vielleicht, daß Gott allerlei besondere Anstalten treffe indem Er sie z. B. entrückt in den Himmel, oder daß Er sie in der Wüste verbirgt. Nein, so macht es der liebe Gott nicht. Du verbirgst sie heimlich, Du verdeckst sie in der Hütte, das heißt weiter nichts als, Er sagt zu dem Frommen: Gehe in die Kirche, oder bete. Wenn Er sie beten und in die Kirche gehen heißt, so verbirgt Er sie in Seiner Hütte. Daher hat es mit den Frommen keine Noth, so lange sie diese beiden Stücke thun: Beten und in die Kirche gehn. Kann der Fromme beten, so legt er sich an die Brust des HErrn Jesu, geht er zur Kirche, so verbirgt ihn Gott in Seiner Hütte vor dem zänkischen Volk, und er wird über Alles getröstet. Die Noth geht erst an, wenn du nicht mehr beten, nicht mehr zur Kirche gehen kannst, dann ist Alles verloren. Warum heißt es denn: Du verdeckest sie in Deiner Hütte vor dem zänkischen Volk? Seht, wenn man in die Kirche kommt, da verläßt man das Getreibe dieser Welt, Alles ist still und friedlich, das Zanken hat aufgehört, man sieht höchstens nur noch zänkische, neidische und boshafte Gesichter; aber die braucht man ja nicht anzusehn. Ich weiß kein Haus aus der ganzen, weiten Welt, wo mir so der Friede Gottes entgegenströmt, als in meiner lieben Kirche. Doch das ist nur erst der Eintritt in die Kirche, bald ertönt der tausendstimmige, gemeinsame Gesang, und kannst du singen, so singst du alles Leid und alle Traurigkeit weg; dann beugen alle ihre Kniee im Gebet vor Gott, kannst du noch verzagt sein, Gott erhört Gebet? Darauf nimmt die Predigt ihren Anfang, und eine Frage nach der andern wird dir aus Gottes Wort beantwortet; ja es geht noch weiter, der HErr Jesus giebt dir, als Seinen Freund, Sein Fleisch zu essen, Sein Blut zu trinken im heiligen Abendmahl und damit Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Da wird dir's zu Muthe, daß du mit jenem Gesang singen mußt: Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Lust und Singen, sieht lauter Sonnenschein. Die Sonne, die mir lachet, ist mein HErr Jesus Christ, das was mich singend machet, ist was im Himmel ist. Darum heißt es aber auch: Gelobt sei der HErr, daß Er hat eine wunderliche Güte mir bewiesen, in einer festen Stadt. Was vorhin die Hütte genannt wurde, das wird hier eine feste Stadt genannt. Und daß uns Gott da hineinführt, wird als die wunderlichste Güte gepriesen. Seht, meine Lieben, so gnädig und freundlich ist der HErr mit den Seinen. Müssen wir nicht ausrufen: Wir haben einen Gott, der da hilft, und einen HErrn, HErrn, der vom Tode errettet? Haben wir das erkannt und erfahren, dann sprechen wir: HErr, mache mit uns, was Du willst, laß uns nur in Deiner Hütte bleiben. Bin ich in dieser Hütte, wohne ich in dieser festen Stadt, da ist Gott der Hausherr, und Jesus Christus der oberste Befehlshaber, wer kann mir nun schaden? Es ist ordentlich lächerlich, einen solchen HErrn haben und doch zu jammern. Darum spricht David gleichsam mit einem Lächeln: Denn ich sprach in meinem Zagen: Ich bin von Deinen Augen verstoßen; dennoch hörtest Du meines Flehens Stimme, da ich zu Dir schrie. Was für ein Narr bin ich gewesen, will er sagen, ich dachte, der HErr hätte mich verlassen; was war ich dumm und thöricht, was habe ich mir für unnütze Sorgen gemacht! Nun habe ich es erfahren: Ich betete, und der HErr half mir aus aller Noth. Seht, meine Lieben, so muß man erst erfahren die Hülfe Gottes, dann erkennt man, wie thöricht das ängstliche Sorgen ist, ja man lächelt wohl über seine eigene Dummheit. Nachdem David diese Erfahrung gemacht hat, wendet er sich zu allen Frommen und sagt: Hört ihr Frommen, liebet den HErrn, alle Seine Heiligen. Die Gläubigen behütet der HErr, und vergilt reichlich dem, der Hochmuth übet. Seid getrost und unverzagt. Alle, die ihr des HErrn harret. Ja, liebet den HErrn! Warum? Er behütet Seine Gläubigen, und die Hochmuth lieben, wird Er zerschmettern. Das habe ich erfahren, sagt David, und das erfahren alle Heiligen. Darum liebet Ihn und setzt euer Vertrauen auf Ihn. Und so kommen wir zu dem Schluß, des HErrn zu harren, unverzagt zu sein und nicht müde zu werden. Amen.

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