Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 22. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 22. Psalm.

Vers 1-19.

Dieser Psalm enthält eine Weissagung von Christo und zwar 1. von Seinem Leiden und 2. von Seiner Herrlichkeit. Auf Christi Leiden weist schon die Ueberschrift hin, wenn es da heißt: Ein Psalm Davids, vorzusingen von der Hindin, die frühe gejagt wird. Denn gleich wie eine Hindin, d. h. eine Hirschkuh, von dem Jäger am frühen Morgen unablässig gejagt wird und dem armen Thiere keine Ruhe gelassen wird, bis es endlich todt geschossen ist, so ist Christus ein von Juden und Heiden gejagter Hirsch gewesen, der keine Ruhe noch Rast gehabt hat, bis sie Ihn ans Kreuz schlugen und nun sagen konnten: Da hängt Er! Wenn wir nun die Weissagung selbst betrachten, so muß uns zu Sinne sein, als ständen wir unter Christi Kreuze. Und doch ist der Psalm von David bereits tausend Jahre vor Christo gebetet worden. Aber tausend Jahre vor Christo betet er so, als stände er im Angesichte des Kreuzes Christi. Wer hat ihm das Alles gesagt? Der heilige Geist. Daraus erkennen wir aufs neue, wie wahr es ist, was der heilige Apostel Petrus sagt: Es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist, 2. Petr. 1,21. - Es heißt nun zuerst: Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen? Ich heule, denn Meine Hülfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe nun, so antwortest Du nicht; und des Nachts schweige ich auch nicht. Aber Du bist heilig, der Du wohnest unter dem Lobe Israels. Dünkt euch da nicht, ihr ständet unter Christi Kreuze? Heißt es da nicht: Und von der sechsten Stunde an ward eine Finsterniß über das ganze Land bis zu der neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? Das ist: Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen? Matth. 27,45-46. Das sind dieselben Worte, die hier von der Weissagung dem Messias in den Mund gelegt werden, und die dort am Kreuze Sein sterbender Mund gesprochen hat. Warum rief Er denn also? Darum weil Er die Qualen der ewigen Verdammnis; schmeckte; nur die Verdammten sind von Gott verlassen, sonst Niemand. Er nennt sich also mit diesen Worten einen Verdammten. Und das mußte geschehen, sonst hätten wir nicht erlöst werden können; hätte Er die Sünde nicht getragen, so wäre sie auf uns geblieben, hätte Er die Verdammniß nicht gelitten, so müßten wir sie noch leiden. O wie sauer ist es doch dem lieben Heilande geworden, uns zu erlösen von der Strafe, die wir mit unsern Sünden verdient haben! Ich heule, aber Meine Hülfe ist ferne. Damit stimmt wiederum das Neue Testament überein, denn als Er am Kreuze hing, war Er von Gott verlassen, aber auch in Gethsemane litt Er unsäglich unter Gottes Zorn. Als Er da im Staube lag, warf Gott alle unsere Sünde auf Ihn und sprach über Ihn das Urtheil der ewigen Verdammniß aus, weßhalb Er ja gleich nachher am Kreuze die Worte ausrief: Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen? So steht also der Schreckensruf mit dem Schreckensabend in Gethsemane in nächster Verbindung, wo Er im Staube lag, schrie und betete: Mein Vater ist es möglich, so gehe dieser Kelch an Mir vorüber, Matth. 26,39. So hat Er also Nachts in Gethsemane geschrien, und Tags am Kreuz auf Golgatha gerufen, aber Sein Vater antwortete Ihm nicht. Er mußte den Kelch trinken, mit den Hefen bis auf den Grund, so bitter er war, auf daß wir völlig erlöst würden durch Seine völlige Genugthuung. War das recht von Gott, daß Er Seinen eingebornen, liebsten Sohn so quälen ließ, daß Er Sein Gebet nicht erhörte, sondern Ihn mit den Qualen des Todes und der Verdammniß belegte? Der Messias selbst antwortet mit Ja, denn, sagt Er, Du Gott bist heilig, und wohnest unter dem Lobe Israels. Gerade weil Gott heilig ist, so mußte Er das thun. Der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes mußte vollkommen Genüge geleistet werden; und da Christus es freiwillig übernommen hatte, unser Stellvertreter zu werden, so mußte Er auch vollkommen die ganze Bürgschaft leisten. Darum ist Christo allein nicht geschehen, was allen Frommen geschieht, daß Gott sie erhört und ihnen hilft. Es heißt weiter: Unsere Väter hofften auf Dich; und da sie hofften, halfst Du ihnen. Zu Dir schrieen sie, und wurden errettet; sie hofften auf Dich, und wurden nicht zu Schanden. Die frommen Väter haben nie vergeblich gebetet, Gott hat sie jedesmal erhört; und Seinen eingebornen, geliebten Sohn erhört Er nicht, läßt Ihn vergebens schreien? Warum ist Er die einzige Ausnahme, da es sonst nie geschehen ist, daß Gläubige umsonst geschrieen haben? Um unsertwillen. Die Väter konnte Er erhören, uns auch, sie und wir sind keine Bürgen für andere; aber Ihn konnte Er nicht erhören, der ein Bürge geworden ist für uns. Er mußte unter das eiserne Gebot der Bürgschaft gestellt werden. Erst als der Gerechtigkeit Gottes vollkommen Genüge geleistet war, konnte Er los gelassen werden. Und da ist Er los gelassen. Das ist das wunderbare Schauspiel: Erhört ist Er erst, als Er Alles bezahlt, was Er übernommen hatte. Wie beschreibt Er nun Seine Jammergestalt, als Er vor Gott im Staube lag und am Kreuze hing? Wir singen in einem Gesange unsers Gesangbuchs: Schaue doch das Jammerbild zwischen Erd und Himmel hangen, wie Sein Blut in Strömen quillt, daß Ihm alle Kraft entgangen. Ach, mein Jesus, welche Noth, hängt am Kreuze und ist todt! Im Psalm ist eine noch gewaltigere Beschreibung Seines Leidens, denn da heißt es: Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks. Alle, die Mich sehen, spotten Meiner, sperren das Maul auf, und schütteln den Kopf: Er klage es dem HErrn, der helfe Ihm aus, und errette Ihn, hat Er Lust zu Ihm. Das ist der rechte Ausdruck: Ich bin ein Wurm und kein Mensch. Krümmte Er sich nicht im eigentlichsten Sinne des Worts wie ein Wurm, als Er in Gethsemane auf dem Angesicht lag im Staube? Da war Er nicht mehr anzusehen als ein Mensch, sondern als ein Wurm, der sich krümmt unter den Fußtritten des göttlichen Zorns, des göttlichen Grimms Seines Vaters. O Mensch, wie entsetzlich ist deine Sünde, daß unter den Fußtritten des göttlichen Zorns der eingeborne Sohn Gottes sich krümmen muß und rufen: Ich bin ein Wurm und kein Mensch! Und wie Er von Gott verworfen war, so fand Er auch bei den Menschen nur Spott der Leute und Verachtung des Volks. Sprechen sie nicht mit Hohn: Er hat Gott vertrauet, der erlöse Ihn nun, löstet es Ihn; denn Er hat gesagt: Ich bin der Sohn Gottes? Matth. 27,43.

Wer ist denn der, der solches leiden muß, der so schrecklich gemißhandelt wird von Gott? Denn sehen wir nicht darauf, daß Sein Leiden Bürgschaft ist, so können wir nicht anders sagen als: Es ist die scheußlichste Mißhandlung, die Ihn trifft. Wen trifft sie? Hört was der Messias von sich selber sagt: Denn Du hast Mich aus Meiner Mutter Leibe gezogen; Du warst Meine Zuversicht, da Ich noch an Meiner Mutter Brüsten war. Auf Dich bin Ich geworfen aus Mutterleibe; Du bist Mein Gott, von Meiner Mutter Leibe an. Also von Mutter Leibe an ist Er der Heilige Gottes gewesen, ohne Sünde geboren, ohne Flecken und Tadel. Siehe, das ist es eben: Der Heilige Gottes leidet, der nicht in Sünden geboren und groß geworden ist wie andere Leute, der als ein Gotteskind geboren wurde und der Gottes Kind geblieben ist in Seinem ganzen Leben, der nie eine Sünde gethan hat. Da blick in das Opfer der Bürgschaft und rufe aus mit Paulus: Einen solchen Hohenpriester sollten wir haben, der da wäre heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert, und höher, denn der Himmel ist, Ebr. 7,26; und setze mit Petrus hinzu: Der Gerechte für die Ungerechten, der Heilige für die Unheiligen, 1. Petr. 3,18. - Nachher im 18. Verse betet der Messias: Ich möchte alle Meine Gebeine zählen; sie aber schauen und sehen ihre Lust an Mir. Er hat sich nicht mästen können im Wohlleben wie andere Menschen, sondern ist hager und mager gewesen, und doch hat Keiner Erbarmen mir Ihm gehabt, denn es ist hier kein Helfer (V. 12). Hat Er denn keinen Freund gehabt? Hört, was Er von Seiner Umgebung sagt: Große Farren haben Mich umgeben, fette Ochsen haben Mich umringt. Damit sind die Juden gemeint.

Alle haben Ihn umringt mit aufgethanem Rachen, wie brüllende und reißende Löwen, Hannas und Kaiphas, Pharisäer und Sadduzäer, Schriftgelehrte und gemeines Volk. Alle sperren sie das Maul auf wider Ihn und schreien das Kreuzige, Kreuzige Ihn! Alle Juden waren Seine Feinde, und auch selbst Seine Jünger verließen Ihn und flohen. Im 17. Verse heißt es: Hunde haben Mich umgeben, und der Bösen Rotte hat sich um Mich gemacht. Das sind die Heiden. Wie die Juden, so standen auch sie wie Ein Mann gegen Ihn. Von Pilatus an bis zum untersten Kriegsknecht war keiner unter ihnen, der sich Seiner erbarmte, der Ihn mit einem Auge des Mitleids angeblickt hätte, sie umgaben Ihn alle mit Gebrüll, wie rasende Hunde. Da ist es geschehen, was der Heiland weissagend in unserm Psalme sagt: Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle Meine Gebeine haben sich zertrennt; Mein Herz ist in Meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Das ist die Todesnoth; wir nennen noch jetzt das Ende eines Menschen seine Auflösung. Da verlieren die Glieder ihre zusammenhaltende Kraft, sie lösen sich auf. Gänzlich aller Lebenskraft benommen, hängt Er da, dem Tode preisgegeben. Aber selbst die Art und Weise Seines Todes ist angegeben: Sie haben Meine Hände und Füße durchgraben, klagt der Messias. Gekreuzigt haben sie Ihn, der Kreuzestod ist Sein schreckliches Ende gewesen. Hier geht das Wort in Erfüllung: Verflucht ist Jedermann, der am Holz hängt, 5. Mos. 21,23. Da ist Christus für uns ein Fluch geworden, und wir können jubeln: Christus hat uns erlöset von dem Fluche des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für uns, Gal. 3,13. Da hängt Er, ein Scheusal, ein Fluch, Himmel und Erde stoßen Ihn aus, Sein Haupt reicht nicht an den Himmel, Seine Füße berühren nicht die Erde, zwischen Erd' und Himmel muß Er hangen. Und auch den Spott muß Er noch erleben, den V. 19 berichtet: Sie theilen Meine Kleider unter sich, und werfen das Loos um Mein Gewand. Unter Seinem Kreuze liegen die Kriegsknechte, und die vertreiben sich die Zeit, indem sie die Kleider des Heilands verloosen. Während Er am Kreuze hängt, würfeln die, die Er erlösen will, um Sein Gewand. So hat der heilige Geist das Einzelnste und Kleinste geweissagt von Christi Leiden und Sterben. Darum laßt das euren Glauben stärken und erkennt: Die heilige Schrift ist in Wahrheit Gottes Wort, das der heilige Geist geredet hat. Laßt uns aber auch bleiben bei dem Worte Gottes, daß es sei unsers Fußes Leuchte und das Licht auf unsern Wegen, unser Stecken und Stab, bei dem wir bleiben im Leben und im Sterben. Amen.

Vers 20-32.

Christi Herrlichkeit und Sein Regieren in der Herrlichkeit wird in der zweiten Hälfte des Psalms beschrieben. Jesus durfte und konnte nicht im Grabe und in der Hölle bleiben; Er mußte, wenn Er anders in Wahrheit der Heiland der Welt war, aus Tod und Grab auferstehn, und durch Seine Auferstehung das Reich der Herrlichkeit antreten, in welchem Er so wunderbare Werke zur Erlösung des Menschengeschlechts anfangen konnte. Die prächtige und herrliche Auferstehung des HErrn wird uns mit folgenden Worten gesagt: Aber Du, HErr, sei nicht ferne, Meine Stärke, eile Mir zu helfen. Errette Meine Seele vom Schwert, Meine Einsame von den Hunden. Hilf Mir aus dem Rachen des Löwen, und errette Mich von den Einhörnern. Jesus, der Messias, verlangt hier von Seinem Vater die Befreiung, Errettung und Erlösung von allen Seinen Feinden; und diese Erlösung ist eben geschehen in der Auferstehung. Es sollte aber auch die Auferstehung bald geschehen, nachdem Er gestorben war, darum heißt es: Eile Mir zu helfen; denn es sollte nach Ps. 16 Sein Fleisch die Verwesung nicht sehen, darum mußte geeilt werden mit der Hülfe. Dies Eilen ist geschehen, denn am dritten Tage ist Er auferstanden, und es hat Sein Fleisch die Verwesung nicht gesehen. Eben so sind bei Seiner Auferstehung alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt worden, Er hat sie bezwungen. Seine Feinde werden im Psalm Schwert, Hunde, Löwen, Einhörner genannt, das sind der Tod, der Teufel, die bösen Geister und das Grab mit Seinen Schrecken. Das Schwert tödtet, darum heißt es: Errette Meine Seele vom Schwert, d. h. vom Tode, Meine Einsame von den Hunden. Die Einsame ist Seine Seele, denn Er war ja von Gott und Menschen verlassen, einsamer als je andre Menschen gewesen sind. Andere haben geschrieen und ihnen ist geholfen, Er ist ein Wurm und kein Mensch, Ihm hilft Keiner. Diese Seine Einsame war in dem unreinen Ort der Hölle, wo die Hunde, das sind die unreinen Geister, der Löwe, das ist der Teufel, die Einhörner, das sind die starken Fürsten des Teufels, ihr Wesen treiben; und aus dem Allen ist Er errettet, siegreich und mächtig. Nun kommt das Wirken in dieser Herrlichkeit, denn nun ist Er eingegangen in das Reich der Ehren, und dies zu Stande zu bringen, wirkt Er nun von Seinem Thron der Herrlichkeit. Wie macht Er das? Es giebt nur einen Weg, dieses Reich der Herrlichkeit aufzurichten: Die Bekehrung der Juden und Heiden. Er fängt natürlich damit an, die Juden zu bekehren, sie sind das alte Bundesvolk und müssen zuerst gefragt werden, ob sie das Heil annehmen wollen; und erst wenn sie es verworfen haben, dann kann und soll das Reich Gottes zu den Heiden kommen. So war dies die eigentliche Ordnung: Erst die Bekehrung der Juden, dann die Bekehrung der Heiden und dann der jüngste Tag. Aber so ist es nicht geblieben, zum Theil wenigstens nicht. Ein Theil der Juden hat sich zwar bekehrt, ein anderer Theil aber, und zwar der größte, hat die Predigt des Gekreuzigten verworfen. Darum ist die Predigt zu den Heiden gegangen, weil Israel sie verworfen hatte, und sie soll zu den Heiden fortgehen bis ans Ende der Tage; dann soll noch einmal zu guter Letzt Israel aufgefordert werden zur Bekehrung, welcher Aufforderung ein Theil, die Auserwählten folgen wird. Also ist nun die Ordnung so: Erst wird ein kleiner Theil der Juden bekehrt, dann die Fülle der Heiden, dann der übrige Theil der Juden und zuletzt kommt das Ende der Welt, der jüngste Tag. Der erhöhte Messias spricht: Ich will Deinen Namen predigen Meinen Brüdern, Ich will Dich in der Gemeinde rühmen. Rühmet den HErrn, die ihr Ihn fürchtet; es ehre Ihn aller Same Jakobs, und vor Ihm scheue sich aller Same Israels. Das ist es, was zunächst geschehen soll: Die Predigt unter Israel. Seine Brüder sind zunächst die Israeliten, denn Christus stammt nach dem Fleische von den Juden, Er ist der Sohn Davids. Das Predigen hat Er ausgeführt durch Seine Apostel, denn die haben gleich am ersten Pfingstfeste angefangen, dem Volke Israel zu predigen das Wort Gottes mit solcher Beweisung des Geistes und der Kraft, daß an einem Tage Dreitausend sich bekehrten. Da hat Er aber nicht bloß den Brüdern Seinen Namen verkündigt, Er hat ihn auch gleich predigen können in der Gemeinde. Aber das waren nur die Erstlinge; Gottes Wille ist: Es ehre Ihn aller Same Jakobs. Diesem Gnadenwillen Gottes hat Israel schrecklich widerstrebt, aber Gott hat Sein Wort treu erfüllt, daß es ihnen nicht an einem Wort gemangelt hat. Der HErr wollte, daß alle Juden selig würden, aber Israel hat die Gnade des HErrn verachtet, und das ist so schrecklich. Die erste Gemeinde in Jerusalem mag wohl mit Weibern und Kindern zehntausend Seelen gezählt haben; aber die Stadt Gottes hatte wenigstens zweihunderttausend Einwohner, die übrigen hundertneunzigtausend verwarfen das Evangelium. Doch Jesus ließ noch nicht nach, Er sandte Seine Apostel in alle Oerter des jüdischen Landes zu predigen, namentlich als sie in der Verfolgung, die sich erhob über Stephanus Tod, zerstreut wurden durch das ganze jüdische Land. Die Apostel haben lange Jahre den Juden das Evangelium gepredigt, bis es sich heraus stellte, daß Israel als Volk das Evangelium nicht annehmen wollte; da wandten sie sich zu den Heiden. Aber auch da noch predigten sie in den Heidenstädten zuerst den Juden; und erst wenn man das Evangelium verworfen hatte, gingen sie zu den Heiden. Der Psalm zeigt weiter, wie, so groß auch die Gemeinde ist, in welcher der HErr Sein Heil wirken läßt, Er nicht müde werden will, eine größere Gemeinde zu sammeln, denn Er sagt: Dich will Ich preisen in der großen Gemeinde; Ich will Meine Gelübde bezahlen vor denen, die Ihn fürchten. Welches sind die Mittel, wodurch dies geschehen soll? Die Elenden sollen essen, daß sie satt werden; und die nach dem HErrn fragen, werden Ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben. Die Predigt des Evangeliums ist also das Mittel, die sollen sie hören. Die Schätze, die Israel angeboten wurden, kamen durch die Predigt des Evangeliums zu ihnen; durch die heilige Taufe sollten die Juden aufgenommen, und im Sakrament des heiligen Abendmahls sollten sie mit dem Leibe und Blute Christi gespeist werden. So sollten sie zur Seligkeit bereitet werden, und das nennt der HErr, Seine Gelübde bezahlen. Die dies nun annehmen, denen giebt der HErr die Verheißung: Ihre Seele soll ewiglich leben. Das sind die, die den Namen des HErrn preisen, die nicht genug rühmen können das Glück, das sie als Christen haben. Ists nicht ein Glück, als Kind Gottes zu empfangen Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit? an Gottes Tisch gespeist und getränkt zu werden und also versöhnt mit Gott, Ihm sein ganzes Herz ausschütten zu können im Gebet, und zu wissen: Mein Gebet ist erhört? Israel hat sich im fortgesetzten Sündendienst durch den Teufel verblenden lassen, solche Seligkeit zurückzuweisen; anders ist es gar nicht zu begreifen, wie sie das Evangelium haben verwerfen können. Nun soll das Reich Gottes zu allen Heiden kommen, denn: Es werde gedacht aller Welt Ende, daß sie sich zum HErrn bekehren, und vor Ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. Alle Geschlechter der Heiden sollen sich bekehren; diese Verheißung hat der HErr erfüllt durch den Befehl: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Matth. 28, 19. So haben die Apostel gethan, sie sind ausgegangen, haben den Heiden das Evangelium gepredigt, so weit ihre Füße sie tragen wollten, und haben also den Anfang gemacht, aller Welt zu predigen; denn sie haben gepredigt in Europa, Asien und Afrika. Da ist erfüllt das Wort: Denn der HErr hat ein Reich, und herrschet unter den Heiden. Aber die Vornehmen und Geringen, die Reichen und Armen, die Starken und Schwachen sollen auf gleiche Weise überwunden werden, darum heißt es weiter: Alle Fetten auf Erden werden essen und anbeten; vor Ihm werden die Kniee beugen Alle, die im Staube liegen, und die so kümmerlich leben. Die Fetten, das sind die Vornehmen und Reichen, die Fürsten und Könige; die im Staube liegen, das sind die Armen und Geringen, die Elenden und Jämmerlichen. Sie alle werden die Kniee beugen unter der Kraft des Wortes Gottes und anbeten als eine Gemeinde der Heiligen, der Christen. Da sieht man denn schon, wenn man bildlich reden will, die Löwen waiden bei den Lämmern, die Pardel bei den Böcken; Fürsten und Unterthanen, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe mit einander die Kniee beugen, in eine Kirche gehen, an einem Tische essen. Hat man dieses Heil erst empfangen, dann vergißt der Reiche seinen Reichthum, der Fürst sein Fürstenthum, der Geringe seine Armuth, der Niedrige seine Niedrigkeit; da bleibt nur ein Ruhm übrig, nicht der: Ich bin ein König, Edelmann oder Bauer, sondern: Ich bin ein Christ, - man vergißt den Nationalstolz und den Nationalhaß. Dieses herrliche Reich soll ausgebreitet werden bis ans Ende der Erde, es soll verkündigt werden allen Leuten und Völkern, auch denen die noch geboren werden, also bis zum jüngsten Tage; so lange noch Menschen geboren werden, soll gepredigt werden das Evangelium vom Reiche Gottes. Und es soll gepredigt werden, daß es das Wort des HErrn sei, nicht der Menschen, daß Er es thue. Amen.

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